OGH 1Ob235/97h

OGH1Ob235/97h27.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Alexander B*****, wider die beklagte Partei Christian M*****, wegen 1.892 S sA (hier: Verhängung einer Ordnungsstrafe) infolge "außerordentlichen" Revisionsrekurses der Zeugin Maria F*****, gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 8.Jänner 1997, GZ 22 R 573/96p-38, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 27.März 1996, 2 C 380/95 t-25, bestätigt und über die Zeugin eine Ordnungsstrafe von 5.000 S verhängt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Das Rechtsmittel wird in Ansehung des bestätigenden Teils der zweitinstanzlichen Entscheidung zurückgewiesen; im übrigen wird ihm nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Erstgericht verhängte in einem Zivilprozeß, dessen Gegenstand Schadenersatzansprüche (Ersatz der Kosten des Abschleppens eines vor der Garage des Klägers abgestellten Pkws des Beklagten) von 1.892 S sind, über eine vom Kläger namhaft gemachte Zeugin, die während ihrer Vernehmung den Verhandlungssaal verlassen hatte, gemäß § 333 ZPO eine Ordnungsstrafe von 2.000 S. Den Antrag der Zeugin auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung des Rekurses gegen diesen Beschluß wies das Erstgericht ab.

Ihren gegen die Verhängung der Ordnungsstrafe von 2.000 S erhobenen Rekurs begründete die anwaltlich nicht vertretene Zeugin wie folgt:

"Ich vertrat ... (Kläger) im genannten Verfahren. Aus diesem Grund

war ich sowohl am ... als auch am ... bei der Tagsatzung anwesend. Am 15.01. wurden die (vom Beklagten namhaft gemachten fünf) Zeugen ... in 3/2 Stunden vernommen. Das Protokoll umfaßt 7 Seiten. Am 27.03.

wurde nur ich vernommen in 2/2 Stunden. Das dabei angefertigte

Protokoll umfaßt lächerliche 32 Zeilen. Offensichtlich schämte sich

B***** (gemeint: Verhandlungsrichter Dr.Helmut B*****) seine

sinnlosen und schikanösen Fragen und seine zynische Befragungsweise

zu protokollieren. Im Beschluß Jv ... behauptet B***** sogar, "daß

sich die Zeugin durch seine eingehende Befragung in die Enge

getrieben fühlte, worauf sie mit einen Wutausbruch reagierte und den

Verhandlungssaal verließ." Offensichtlich versucht B***** seine

Fehlleistung durch vorsätzliches Lügen zu verbergen. Oder kann B*****

zweiunddreissig Zeilen Protokoll als "eingehende Befragung" glaubhaft

machen ? Das Protokoll vom 27.03.96 gibt keinerlei Auskunft darüber,

warum ich den Verhandlungssaal verließ. ... Da das Protokoll mit

einer ganz anderen Fragestellung schließt, ist damit abermals

bewiesen, das B***** wiederholt ins Lügen abgleitet. ... Die einzige

Möglichkeit, mich der Schikanen und des Zynismus von B***** zu entziehen, war somit das Verlassen des Saales. Es ist bezeichnend für seinen Charakter, sein Fehlverhalten mit einer Ordnungsstrafe vertuschen zu wollen. Völlig untragbar wird dieser Mann schließlich durch sein wiederholtes Lügen. ..."

Das Rekursgericht gab mit dem der Zeugin am 14.Februar 1997 zugestellten Beschluß ON 38 deren Rekurs nicht Folge (Punkt 1.) und verhängte über sie wegen der in ihrem Rekurs enthaltenen beleidigenden Äußerungen zufolge § 86 ZPO eine Ordnungsstrafe von 5.000 S (Punkt 2.). Zu letzterem Punkt vertrat die zweite Instanz im wesentlichen die Auffassung, die im Rekurs enthaltenen Äußerungen unterstellten dem Erstrichter eine schikanöse und zynische Befragungsweise und bezichtigten ihn der wiederholten Lüge. Diese Behauptungen seien eine grobe und nicht zu rechtfertigende Beleidigung des Erstrichters, die über das erträgliche Ausmaß hinausgingen und die Verhängung einer empfindlichen Ordnungsstrafe verlangten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß es sich nicht um die ersten derartigen Ausfälle der Zeugin handle, habe sie doch bereits in ihrem Rekurs gegen die Abweisung ihres Verfahrenshilfeantrags (ON 30) dem Erstrichter schikanöses Verhalten und Mißbrauch seiner Amtsgewalt vorgeworfen.

Am 26.Februar 1997, somit innerhalb der Rechtsmittelfrist, beantragte die Zeugin neuerlich die Bewilligung der Verfahrenshilfe, diesmal zur Erhebung eines "außerordentlichen" Revisionsrekurses gegen beide rekursgerichtlichen Beschlußpunkte. Das Erstgericht wies diesen Verfahrenshilfeantrag ab; das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit dem der Zeugin am 20.Juni 1997 zugestellten Beschluß ON 45.

Rechtliche Beurteilung

Der zufolge § 521 Abs 3 iVm § 464 Abs 3 ZPO rechtzeitige "außerordentliche" Revisionsrekurs der Zeugin ist teils absolut unzulässig, teils nicht berechtigt.

a) Der Beschluß der zweiten Instanz ON 45, der wegen des Rechtsmittelausschlusses des § 528 Abs 2 Z 4 ZPO ("über die Verfahrenshilfe") nicht mehr anfechtbar wäre, wurde von der Zeugin nicht angefochten.

b) Punkt 1.) des angefochtenen rekursgerichtlichen Beschlusses ON 38 entzieht sich einer meritorischen Überprüfung, weil bestätigende Entscheidungen der zweiten Instanz auch in Fragen von Ordnungs- oder Mutwillensstrafen zufolge § 528 Abs 2 Z 2 ZPO unanfechtbar sind (EvBl 1965/28; 3 Ob 2425/96f und 1 Ob 114/97i in Fällen einer Mutwillensstrafe nach § 448a ZPO; RIS-Justiz RS0036311, RS0044260). Insoweit muß das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen werden.

c) Die Anfechtung der Verhängung einer Ordnungsstrafe über die Zeugin durch das Rekursgericht mit Punkt 2.) des angefochtenen Beschlusses ON 38 ist dagegen zulässig. Denn der Rechtsmittelausschluß des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO kommt - entgegen der vom Rekursgericht im nicht angefochtenen Beschluß ON 45 zum Ausdruck gebrachten Auffassung - hier nicht zum Tragen, weil Entscheidungsgegenstand bei Verhängung einer Ordnungs- oder Mutwillensstrafe nicht der Streitwert, nicht eine geldwerte Leistung ist, sondern die Tatsache der Bestrafung durch das Gericht, die einen Verweis beinhaltet und eine Mißbilligung (SZ 35/122; 6 Ob 564/84, 6 Ob 658/90 ua, zuletzt 1 Ob 114/97i) durch das wie ein Gericht erster Instanz entscheidende Berufungs- oder Rekursgericht zum Ausdruck bringt. Der Rekurs gegen einen derartigen Beschluß ist unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands der Rechtssache, in der der Beschluß erging, oder von der Höhe der Ordnungs- oder Mutwillensstrafe oder vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zulässig (stRspr: SZ 35/122; 3 Ob 520/91; 5 Ob 129/92 ua, zuletzt 2 Ob 2256/96w in einem Zwischenverfahren zur Entscheidung über die beantragte Verfahrenshilfe; RIS-Justiz RS0036270; Gitschthaler in Rechberger, § 220 ZPO Rz 6). Die Entscheidung 7 Ob 557/92 (EvBl 1992/174 = RZ 1993/42), worin ausgesprochen wurde, Voraussetzung für eine Anfechtung wäre jedenfalls ein Verfahren, in dem der Oberste Gerichtshof überhaupt angerufen werden könne, betraf ein Grenzberichtigungsverfahren nach § 4 Abs 2 der 2.TN und wurde von Kodek (in Rechberger, § 528 ZPO Rz 8) deshalb kritisiert, weil sie mit dem der Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken, daß Ordnungsstrafen auch bei einem 15.000 S nicht übersteigenden Streitwert angefochten werden könnten, nicht in Einklang zu bringen sei. Dementsprechend hat der erkennende Senat auch jüngst in seiner Entscheidung 1 Ob 114/97i ausgesprochen, gegen die Verhängung einer Mutwillensstrafe (nach § 448a ZPO) durch das Erstgericht sei nach wie vor unabhängig vom Wert des Streitgegenstands und ungeachtet der Tatsache, daß § 220 ZPO in § 517 ZPO idFd Art IV Z 107 ZVN 1983 und Art II Z 5 ZVN 1986 nicht genannt sei, der Rekurs an die zweite Instanz zulässig.

§ 220 ZPO behandelt die Strafen des Zivil- verfahrens, besagt aber nicht, in welchen Fällen Ordnungs- oder Mutwillensstrafen verhängt werden dürfen oder zu verhängen sind, sondern verweist diesbezüglich dynamisch auf andere Bestimmungen der ZPO (1 Ob 114/97i; Gitschthaler in Rechberger, § 220 ZPO Rz 1). Gemäß § 86 ZPO kann gegen eine Partei, welche die dem Gericht schuldige Achtung in einem Schriftsatz durch beleidigende Ausfälle verletzt, eine Ordnungsstrafe verhängt werden. Regelungszweck des § 86 ZPO - ebenso wie jener des § 85 Abs 1 GOG für das außerstreitige Verfahren - ist es offenkundig, jede an das Gericht gerichtete Eingabe, deren Inhalt die dem Gericht schuldige Achtung durch beleidigende Ausfälle verletzt, unter Sanktion zu stellen (8 Ob 652/89; 5 Ob 118/92 ua; RIS-Justiz RS0036327). Sie dient der Wahrung einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise und soll helfen, das Verfahren zu "entschärfen" (MietSlg 40.760; 5 Ob 118/92, 5 Ob 129/92 ua, zuletzt 1 Nd 27/95; RIS-Justiz RS0036327; Fasching II 562; Gitschthaler aaO § 86 ZPO Rz 2). Durch diese Bestimmung soll keineswegs eine sachlich berechtigte Kritik verhindert, sondern nur jede an das Gericht gerichtete Eingabe, deren Inhalt die dem Gericht schuldige Achtung durch beleidigende Ausfälle verletzt, unter Sanktion gestellt werden (5 Ob 118/92; 5 Ob 129/92 ua). Verletzt selbst eine sachlich berechtigte Kritik oder Äußerung wegen ihrer beleidigenden oder ausfälligen Form die dem Gericht schuldige Achtung, so kann das Gericht eine Ordnungsstrafe verhängen (EvBl 1966/263; 5 Ob 118/92, 5 Ob 129/92 uva, zuletzt 1 Nd 27/95; RIS-Justiz RS0036332). Die oben in den wesentlichen Punkten wiedergegebenen Äußerungen der Zeugin in ihrem Rekurs stellen, selbst wenn man die Berechtigung ihrer Vorwürfe über die Verhandlungsführung des Erstrichters anläßlich ihrer Vernehmung unterstellte, Beleidigungen dar, die das Maß sachlich berechtigter Kritik eindeutig überschreiten, zumal nicht jedes Wort isoliert betrachtet werden darf, sondern auf die Bedeutung des dem Gericht insgesamt gemachten Vorwurfs abzustellen ist. Das Rekursgericht hat iSd stRspr des Obersten Gerichtshofs zutreffend erkannt, daß eine Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung nicht nur dann mit einer Ordnungsstrafe zu belegen ist, wenn sie in der Absicht begangen wurde, das Gericht zu verunglimpfen, sondern auch dann, wenn sie einem Mangel an Überlegung entsprang. Es kommt nicht auf die Absicht des Verfassers des Schriftsatzes an, sondern auf die Beurteilung der Äußerung nach objektiven Gesichtspunkten (MietSlg 40.760 mwN, 5 Ob 118/92, 5 Ob 129/92 uva, zuletzt 1 Nd 27/95; RIS-Justiz RS0036256, RS0036303, RS0036397 ua). Die Verhängung einer Ordnungsstrafe über die Zeugin durch das Rekursgericht ist daher nach nicht zu beanstanden; sie war vielmehr notwendig.

Nach § 220 Abs 1 ZPO idF der ZVN 1983 darf eine Ordnungsstrafe den Betrag von 20.000 S nicht übersteigen. Angesichts dieser vom Gesetzgeber gezogenen Grenze, des (in ihrem Vermögensbekenntnis ON 28) behaupteten Jahreseinkommens der Zeugin von 34.673 S und der (im Rekurs ON 36 behaupteten) Sorgepflicht für ein 13jähriges Kind erachtet der Oberste Gerichtshof gerade unter Berücksichtigung der schon vom Rekursgericht ins Treffen geführten, bereits einmal vorgekommenen - und nicht geahndeten - Beleidigung des Verhandlungsrichters die verhängte Strafe der Schwere der Tat und den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Zeugin angemessen. Einer Herabsetzung der Strafe kann daher nicht nähergetreten werden.

Insoweit ist dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

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