BVwG W144 2252152-1

BVwGW144 2252152-12.2.2023

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W144.2252152.1.00

 

Spruch:

 

W144 2252152-1/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , XXXX geb., StA. von Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2022, Zl. IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), eine weibliche Staatsangehörige von Syrien, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihren eigenen Angaben bei der Erstbefragung zufolge hat sie Syrien illegal im August 2020 verlassen und sich über die Türkei, wo sie zirka sieben bis acht Monate aufhältig war, Griechenland, Albanien, den Kosovo, Serbien und ein ihm unbekanntes Land nach Österreich begeben, wo sie am 15.03.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf ihrer Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Landespolizeidirektion Wien vom 15.03.2021 gab die BF neben ihren Angaben zum Reiseweg im Wesentlichen an, dass sie in Hasaka geboren worden sei und in „ XXXX “ gewohnt habe. Sie sei verheiratet, habe sechs Jahre die Grundschule besucht, habe keine Berufsausbildung erhalten und keinen Beruf ausgeübt. Ihr Vater und drei Schwestern würden alle in Syrien leben. Ihr Ehemann, zwei Söhne, ihre Mutter, drei Brüder und fünf Schwestern würden in Österreich leben. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, in Syrien herrsche Bürgerkrieg. Ihre Ortschaft sei bombardiert worden und sie habe Angst vor dem Krieg. Sie habe Angst um ihren Mann und ihren Sohn. Es gebe keine Sicherheit mehr. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie um ihr Leben und das ihrer Familie.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 29.11.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte die BF eine syrische Identitätskarte in Vorlage und gab im Wesentlichen an, sie habe sechs Jahre die Grundschule besucht, sei Hausfrau gewesen und habe als Schneiderin gearbeitet. Es gehe ihr gesundheitlich sehr gut, sie gehe weder zum Arzt, noch nehme sie Medikamente. Sie sei im Dorf XXXX geboren und habe bis zum 10.10.2019 bis zum Eintreffen des Militärs im Heimatdorf dort gelebt. Befragt nach ihren Flucht- und Asylgründen gab die BF an, ihr Dorf sei unter Beschuss durch die Kriegsparteien gewesen. Ihr Mann und ihr Sohn würden gesucht werden. Sie hätten daher ihr Land verlassen. Sie würden in Sicherheit leben wollen. Sie sei in Syrien nicht persönlich bedroht oder verfolgt worden. Ihr Sohn XXXX werde gesucht, weil er im wehrpflichtigen Alter sei und auf beiden Seiten der Kriegsparteien mitkämpfen müsste. Ihr Mann werde gesucht, weil er dem Sohn seiner Schwester geholfen habe, vom Militär zu desertieren.

 

Mit Bescheid vom 17.01.2022 wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zusammengefasst zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass aus den Angaben der BF eine eigene persönliche Bedrohung bzw. asylrechtlich relevante Verfolgung nicht entnommen werden habe können. Es würden keine besonderen Umstände hervorgehen, dass die BF in Syrien unmittelbaren und/oder mittelbaren staatlichen Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Falle der Rückkehr ausgesetzt wäre. Dies würde durch das Vorbringen der BF, sie habe keine Strafrechtsdelikte begangen, es wäre nie ein Gerichtsverfahren gegen sie anhängig gewesen, noch wäre sie festgenommen worden oder in Haft gewesen, bekräftigt werden. Zu Spruchpunkt II. wurde erwogen, dass in ihrem Herkunftsgebiet eine Gefahrenlage vorliege, durch die praktisch jeder, der nach Syrien abgeschoben werde, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund würde sie im Falle einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Lage geraten.

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob die BF im Wege ihrer Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, welche gleich wie jene ihres Mannes lautet und worin vorgebracht wurde, dass die BF keine individuelle Bedrohung dargelegt habe, allerdings habe sie große Angst um ihren Sohn, weil er auf einer Seite der Kriegsparteien mitkämpfen müsse, und ebenso um ihren Mann, weil er dem Sohn seiner Schwester geholfen habe, vom Militär zu desertieren. In Bezug auf den Mann der BF wurde geltend gemacht, dass das BFA die im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichte unzureichend berücksichtigt habe und sich aus einem Bericht der schwedischen Einwanderungsbehörde ergebe, dass die Altersgrenze für den Reservedienst längst nicht mehr eingehalten werde. Es sei ein Risikoprofil der UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen würden, erfüllt und die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als „oppositionell“ betrachtet zu werden, sei relativ gering. Da laut den Länderinformationen generell im Umgang mit Wehrdienstverweigerern ein großes Maß an Willkür herrsche und die Konsequenzen vom Einzelfall abhängig seien, sei darauf zu schließen, dass auch jede damit in Zusammenhang stehende Hilfs- oder Unterstützungstätigkeit jedenfalls als Ausdruck einer regierungsfeindlichen Gesinnung interpretiert werden würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF ist eine Staatsangehörige Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Am 15.03.2021 stellte sie den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Der BF wurde mit Bescheid des BFA vom 17.01.2022 in Österreich der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die BF lebte in Syrien in einem Dorf im Distrikt Ras al-Ain im Gouvernement Hasaka. Sie besuchte sechs Jahre lang die Schule.

Das Gouvernement Al-Hasaka wird überwiegend von der kurdisch geführten SDF kontrolliert. Der Heimatdistrikt des BF befindet sich teilweise in der türkisch kontrollierten Zone.

1.2. Die gesunde BF wurde in Syrien nicht persönlich bedroht oder verfolgt.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Falle einer Rückkehr wegen der behaupteten Suche syrischer Behörden nach ihrem Mann oder nach ihrem Sohn verfolgt werden würde.

Im Falle einer Rückkehr drohen der BF keine gezielten Verfolgungshandlungen aufgrund einer unterstellten politisch-oppositionellen Gesinnung wegen ihrer illegalen Ausreise oder ihrer Rückkehr aus Europa.

1.3. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Syrien wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.12.2022

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer anderer religiöser Minderheiten. In der Praxis hängt der politische Zugang nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten (FH 24.2.2022).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen ("Shabiha"). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016). Ein Ende der Kampfhandlungen in Syrien ist nicht in Sicht. Der Konflikt ist eingefroren, das Land ist geteilt. Dank russischer Unterstützung hat Machthaber Bashar al-Assad seine Macht wieder gefestigt, auch wenn seine Truppen nur einen Teil des Landes – die Rede ist von rund zwei Dritteln – kontrollieren (DF 16.11.2022).

Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige. Die syrische Verfassung stellt auch sicher, dass die Ba'ath-Partei die Mehrheit in allen Regierungsgremien und Vereinigungen der Bevölkerung, wie Arbeiter- und Frauenorganisationen, hat (USDOS 12.4.2022). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft in Frage stellen könnten (FH 24.2.2022). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch Verfassung und bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich. Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.11.2021).

Ausländische Akteure wie Iran, Russland und die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus. In anderen Gebieten ist die zivile Politik häufig den von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen oder der Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) untergeordnet (FH 24.2.2022).

Zu den Machtverhältnissen in den Gebieten außerhalb der Regimekontrolle siehe die jeweiligen Abschnitte im Kapitel Sicherheitslage.

Wahlen

Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien zu "managen" und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren. Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens lebten (COAR 27.7.2020). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Ba'ath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und erhielten 70 % der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Ba'ath-Partei verbündet sind, und an nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020).

Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt kein Al-Jumhuriya.net Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (AAN/MEI 24.7.2020). Somit ist die Reihung auf der Liste durch das Regime und die Nachrichtendienste wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen (BS 23.2.2022).

Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie in einigen syrischen Botschaften Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1 % (78 % Wahlbeteiligung, ÖB 1.10.2021) gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und als "betrügerisch", und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).

Der politische Prozess gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 2254 unter Ägide der Vereinten Nationen stagniert, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Blockadehaltung des jegliche Zugeständnisse verweigernden Regimes (AA 29.11.2021). Am 22.11.2022 fand das 19. Treffen des sogenannten Astana-Formats zu Syrien statt. Es bietet ein Forum für die drei Garantenstaaten des syrischen Friedens - Russland, die Türkei und Iran - sowie für Delegierte der syrischen Regierung und Opposition, um sozioökonomische und humanitäre Fragen sowie Fragen des Staatsaufbaus zu erörtern (FB 22.11.2022). Bei dieser Gelegenheit bekräftigten die Länder ihr festes Engagement für die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität Syriens sowie die Notwendigkeit, den Kampf gegen den Terrorismus fortzusetzen (NA 23.11.2022).

Gebietskontrolle

Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Diese jüngste Phase der Deeskalation ist jedoch von Natur aus unbeständig und konnte vor allem dank des fragilen russisch-türkischen Bündnisses im Nordwesten Syriens und der vorübergehenden, aber immer noch andauernden US-Präsenz im Nordosten Syriens aufrechterhalten werden. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (IPS 20.5.2022). Vor allem Teile des Nordens, Nordwestens und Nordostens Syriens befinden sich weiterhin außerhalb der Kontrolle der Regierung (OHCHR 28.6.2022). [ Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage". ] 

Am Syrienkonflikt ist eine Vielzahl von Akteure beteiligt (IL 12.8.2022). Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren (BS 29.4.2020). Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) sind nicht in der Lage, Gebiete von der Türkei zurückzuerobern. Die Amerikaner, Russen, Israelis und Iraner akzeptieren die derzeitige Pattsituation (MEI 26.4.2022). Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020). Das Regime hat zwei Lehren aus dem Konflikt gezogen: Widerspruch mit allen Mitteln niederzuschlagen und verschiedene Akteure gegeneinander auszuspielen, um an der Macht zu bleiben. Aber diese Taktik bringt nicht wirkliche Stabilität oder Sicherheit. Ein permanenter Kampf um ein Minimum an Kontrolle inmitten eines sich verschlechternden sozioökonomischen Umfelds, in dem seine Souveränität von internen und externen Akteuren infrage gestellt wird, ist die Folge (BS 23.2.2022).

Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) dominiert (MEI 26.4.2022). Die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen (BS 23.2.2022). - Für mehr Informationen siehe insbesondere Unterkapitel "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".

Der Islamische Staat (IS) wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten (FH 4.3.2020). Im Nordosten aber auch in anderen Teilen des Landes verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021).

Nordost-Syrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, 'Ain al-'Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018). 2018 übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrin mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). - Anmerkung: Siehe dazu auch die Karten zum aktuellen Frontverlauf in den Unterkapiteln "Nordwest-Syrien" sowie "Sicherheitslage" im Kapitel Sicherheitslage.

Der militärische Arm der PYD, die YPG, ist die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 12.4.2022). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung (Syrian Democratic Council; politischer Arm der SDF) und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Die Zusammenarbeit auf technischer Ebene resp. der Güteraustausch (Raffinierung/Kauf von Erdöl; Aufkauf von Weizen) hat sich auch verkompliziert (ÖB 1.10.2021). Im Juni 2022 erklärte Präsident Erdoğan, dass eine neue türkische Militäroperation geplant sei, die sich gegen Gebiete an der syrisch-türkischen Grenze wie Kobane ('Ayn al-'Arab), Tal Rifa'at und Manbij richten würde, die von den kurdisch SDF kontrolliert werden (AJ 18.11.2022). - Anmerkung: Siehe hierzu auch das Unterkapitel "Türkische Militäroffensive in Nordsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage"

Das syrische Regime, die HTS und andere bewaffnete Gruppen in Idlib sowie die PYD in ihren Regionen haben autoritäre Systeme beibehalten oder aufgebaut. Dabei setzt das Regime am meisten und die PYD am wenigsten auf gewaltsame Unterdrückung zur Machterhaltung. Doch selbst im günstigsten Fall sind die Möglichkeiten der Bürger, ihren Interessen Gehör zu verschaffen, stark eingeschränkt (BS 23.2.2022). Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018). Die kurdischen Führungskräfte der YPG erklären, ihr Ziel sei die regionale Autonomie innerhalb eines dezentralisierten Syriens, nicht die Unabhängigkeit (Reuters 14.11.2022). Die PYD ist weniger gewalttätig in ihrer Repression, übt aber eine strikte Kontrolle in ihrem Einflussbereich aus. Während die kurdische Verfassung demokratisch ist, trägt die Herrschaft der PYD starke autoritäre Züge; der politische Wettbewerb ist nicht offen, sondern wird sorgfältig kontrolliert (BS 23.2.2022). Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP (Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak) nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der Democratic Union Party (PYD), welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021). Die Türkei betrachtet die YPG als syrischen Ableger der PKK. Obwohl die USA und die EU die PKK als Terrororganisation betrachten, betrachten sie die YPG als eine eigenständige Organisation und führen sie nicht auf ihren Terrorlisten (SWP 30.5.2022).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

 AJ - Al Jazeera (18.11.2022): Analysis: Is Turkey set for a new military operation in Syria?, https://www.aljazeera.com/news/2022/11/18/analysis-is-turkey-set-for-a-new-military-operation-in-syria , Zugriff 19.12.2022

 AAN/MEI - Ayman Abdel Nour in Middle East Institute (24.7.2020): Syria’s 2020 parliamentary elections: The worst joke yet, https://www.mei.edu/publications/syrias-2020-parliamentary-elections-worst-joke-yet , Zugriff 18.8.2020

 BBC - BBC News (25.2.2019): Why is there a war in Syria?, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-35806229 , Zugriff 18.8.2020

 BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Syria, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_SYR.pdf Zugriff 18.3.2022

 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (27.7.2020): Potemkin parliament: Baathists consolidate control as access to power shifts, https://coar-global.org/2020/07/27/potemkin-parliament-baathists-consolidate-control-as-access-to-power-shifts/ , Zugriff 15.9.2021

 DF - Deutschlandfunk (16.11.2022): Krieg in Syrien. Umgang mit einem erstarrten Konflikt, https://www.deutschlandfunk.de/syrien-tuerkei-fluechtlinge-buergerkrieg-assad-kurden-100.html , Zugriff 19.12.2022

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 DS - Der Standard (21.7.2020): Assads Baath-Partei gewinnt Mehrheit bei Parlamentswahl in Syrien, https://www.derstandard.at/story/2000118902082/assads-baath-partei-gewinnt-mehrheit-bei-parlamentswahl-in-syrien , Zugriff 18.8.2020

 Duclos, M. in Atlantic Council (31.7.2020): The Syrian parliamentary elections were a mockery, https://www.atlanticcouncil.org/blogs/menasource/the-syrian-parliamentary-elections-were-a-mockery/ , Zugriff 15.9.2021

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 FH - Freedom House (24.2.2022): Freedom in the World 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071414.html , Zugriff 19.12.2022

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 IPS - Inter Press Service (20.5.2022): What the Russian Invasion Means for Syria, https://www.ipsnews.net/2022/05/russian-invasion-means-syria/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=russian-invasion-means-syria , Zugriff 19.12.2022

 KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Gürbey, Gülistan] (4.12.2018): Zwischen den Fronten - Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1 , Zugriff 18.8.2020

 MEI - Middle East Institute (26.4.2022): Divided Syria: An examination of stabilization efforts and prospects for state continuity, https://www.mei.edu/publications/divided-syria-examination-stabilization-efforts-and-prospects-state-continuity , Zugriff 19.12.2022

 NA - Nova Agency (23.11.2022): Syria: Astana format summit reaffirms support for territorial integrity and fight against terrorism, https://www.agenzianova.com/en/news/syria-the-astana-format-summit-reaffirms-support-for-territorial-integrity-and-the-fight-against-terrorism/ , Zugriff 19.12.2022

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 19.12.2022

 OHCHR - United Nations Human Rights Council (28.6.2022): Policy Paper: Civilians under attack in Syria - Towards preventing further civilian harm, https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/coisyria/2022-06-28/Policy-paper-CoH-27-June.pdf , Zugriff 19.12.2022

 Reuters (14.11.2022): Factbox: What is the Syrian Kurdish YPG?, https://www.reuters.com/world/middle-east/what-is-syrian-kurdish-ypg-2022-11-14/ , Zugriff 19.12.2022

 Reuters (28.5.2021): Syria’s Assad wins 4th term with 95% of vote, in election the West calls fraudulent, https://www.reuters.com/world/middle-east/syrias-president-bashar-al-assad-wins-fourth-term-office-with-951-votes-live-2021-05-27/ , Zugriff 19.12.2022

 Savelsberg, Eva: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017). In STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020

 Spiegel (29.8.2016): Die Fakten zum Krieg in Syrien, https://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1 , Zugriff 18.8.2020

 SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (30.5.2022): The EU and NATO have to counter Turkey’s accusations regarding Sweden and Finland, https://www.swp-berlin.org/en/publication/the-eu-and-nato-have-to-counter-turkeys-accusations-regarding-sweden-and-finland , Zugriff 19.12.2022

 SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des "Islamischen Staates", https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf , Zugriff 18.8.2020

 taz - Die Tageszeitung (15.10.2022): Kurdischer Kanton Afrin in Nordsyrien: Eine Bande durch die andere ersetzt, https://taz.de/Kurdischer-Kanton-Afrin-in-Nordsyrien/ !5888260/, Zugriff 19.12.2022

 USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF - Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052987/Syria+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 19.12.2022

 WP - Washington Post, The (22.7.2020): Syria’s elections have always been fixed. This time, even candidates are complaining., https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/syrias-elections-have-always-been-fixed-this-time-even-candidates-are-complaining/2020/07/22/76e0bb12-cb5f-11ea-99b0-8426e26d203b_story.html , Zugriff 18.8.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.12.2022

Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Es ist zu beachten, dass die durch die türkischen Offensiven im Nordosten ausgelöste Dynamik verlässliche grundsätzliche Aussagen und Trendeinschätzungen schwierig macht. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).

Die folgenden Karten zeigen Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien [Anm.: zu den verbleibenden Rückzugsgebieten des Islamischen Staates (IS) siehe Abschnitte zu den Regionen]:

CC 3.11.2022 (mit Stand 30.9.2022)

UNHRC 14.9.2022 (mit Stand 6.2022)

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans bzw. durch von Iran unterstützte Milizen einschließlich Hizbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen hat am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat vor den besorgniserregenden und gefährlichen Entwicklungen in Syrien gewarnt. Dabei wies er insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022).

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für die Arabische Republik Syrien stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien, die sie als "Operation Claw-Sword" bezeichnet und die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielt, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße getroffen hat (HRW 7.12.2022). Die Türkei hat seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien gestartet (France24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022) [Zur von Präsident Erdogan ankündigten Militäroffensive siehe das Unterkapitel "Türkische Militäroperationen in Nordsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage"].

Im Nordwesten Syriens führte das Vordringen der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen. Russland verstärkte seine Luftangriffe in Idlib, und die Türkei griff kurdische und Regimekräfte an. Russland setzte die Bombardierungen in der Provinz Idlib am 7., 11. und 17.10.2022 fort und belastete damit den Waffenstillstand vom März 2020 (ICG 10.2022).

Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

 

Quelle: Zenith 11.2.2022

Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung leben in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte HTS sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten SDF und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).

Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).

In weiten Teilen des Landes besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der COI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonierten und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines "Memorandum of Understanding" zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).

Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022; vgl WP 30.11.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich 10 bis 15 Angriffe auf die Streitkräfte der Regierung von Syrien pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Der UN-Sicherheitsrat schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022).

Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).

Zum IS-Angriff vom 20.1.2022 in al-Hassakah siehe das Unterkapitel "Nordost-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).

SNHR berichtet von 64 getöteten Zivilisten im November 2022, darunter 14 Kinder, zwei Frauen und sechs Personen, die an den Folgen von Folterungen starben. Dabei wurde festgestellt, dass das syrische Regime erneut Streumunition gegen Lager für Binnenvertriebene eingesetzt hat, was ein Kriegsverbrechen darstellt (SNHR 1.12.2022). Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022):

SNHR 1.1.2022

 

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) dokumentierte im Zeitraum 1.1.2021 - 2.12.2022 in den syrischen Gouvernements die folgende Anzahl an Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern:

 

Gouvernements

Vorfälle 2021

Todesopfer 2021

Vorfälle 2022 (bis 2.12.)

Todesopfer 2022 (bis 2.12.)

Deir ez Zor

469

1127

284

618

Daraa

375

649

431

643

Al Hasakeh

345

621

323

907

Aleppo

303

690

425

1017

Idlib

301

690

169

345

Raqqa

296

780

253

709

Hama

140

544

87

234

Homs

114

402

99

314

Rural Damascus

110

137

143

219

As Sweida

37

43

29

56

Quneitra

31

39

11

21

Lattakia

30

70

26

56

Damaskus

14

41

14

20

Tartous

4

8

3

5

Insg.

2569

5841

2297

5164

     

Im Monatsverlauf dokumentierte ACLED im Zeitraum 1.1.2020-30.11.2022 die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):

ACLED o.D.; *2022: Zeitraum 1.1.-30.11.2022

Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).

Die folgende Aufstellung listet die konfliktrelevanten Vorfällen im Zeitraum April bis September 2022 mittels Vergleich zwischen dem zweiten und dem dritten Quartal 2022 auf:

CC 3.11.2022

Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien

Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OPCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021). Am 26.1.2022 veröffentlichte die Untersuchungskommission der OPCW einen Bericht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.9.2015 in Marea, Syrien, ein chemischer Blisterstoff als Waffe eingesetzt wurde (OPCW 26.1.2022). In einem weiteren Bericht vom 1.2.2022, kommt die OPCW zu dem Schluss, dass es außerdem hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.10.2016 in Kafr Zeita, Syrien, eine industrielle Chlorflasche als chemische Waffe eingesetzt wurde (OPCW 1.2.2022).

Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)

Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2072999/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien%2C_%28Stand_November_2021%29%2C_29.11.2021.pdf , Zugriff 29.11.2022

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 ACLED/ACCORD - Armed Conflict Location & Event Data Project, zusammengestellt von ACCORD (25.3.2021): Syrien, Jahr 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050734/2020ySyria_en.pdf , Zugriff 21.6.2021

 ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/ , Zugriff 12.12.2022

 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (6.12.2022): Briefing Notes KW 49, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw49-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 7.12.2022

 BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (12.10.2022): Antwortschreiben Version 2 (Stand 16.9.2022)

 CATS - Centre for Applied Turkey Studies (20.8.2021): Visualizing Turkey’s Foreign Policy Activism, https://www.cats-network.eu/topics/visualizing-turkeys-foreign-policy-activism/#c5850 , Zugriff 15.12.2022

 CC - The Carter Center (3.11.2022): Quarterly Review on Syrian Political and Military Dynamics July-September 2022, https://storymaps.arcgis.com/stories/bb84958f3b0f456d9139f1447ba3e638 , Zugriff 29.11.2022

 CNN - Cable News Network (30.11.2022): ISIS acknowledges the death of its leader, announces his successor, https://edition.cnn.com/2022/11/30/middleeast/isis-leader-dies-intl/index.html , Zugriff 6.12.2022

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (29.6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf , Zugriff 9.10.2020

 DS - Der Standard (10.3.2022): IS-Terrormiliz ernennt Abu Hassan zum neuen Anführer, https://www.derstandard.at/story/2000134011407/is-miliz-ernennt-abu-hassanneuen-anfuehrer , Zugriff 17.3.2022

 DZ - Die Zeit (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg , Zugriff 9.10.2020

 EUAA – European Union Agency for Asylum (9.2022): Syria: Security situation. Country of Origin Information Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2078716/2022_09_EUAA_COI_Report_Syria_Security_situation.pdf , Zugriff 30.11.2022

 FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.3.2019): Die letzte Schlacht gegen den „Islamischen Staat“ hat begonnen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kurden-beginnen-angriff-auf-letzte-is-bastion-in-syrien-16082097.html , Zugriff 9.10.2020

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 ICG - International Crisis Group (o.D.): Syria, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/east-mediterranean-mena/syria , Zugriff 23.3.2022

 KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Wörmer, Nils] (4.12.2018b): Assads afghanische Söldner, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner ,Zugriff 22.9.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand Ende September 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066258/SYRI_%C3%96B-Bericht_2021_09.pdf , Zugriff 29.11.2022

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 OPCW - Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (26.1.2022): OPCW issues Fact-Finding Mission report on chemical weapons use allegation in Marea, Syria, in September 2015, https://www.opcw.org/media-centre/news/2022/01/opcw-issues-fact-finding-mission-report-chemical-weapons-use-allegation , Zugriff 30.11.2022

 Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-idUSKCN0XA2C5 , Zugriff 9.10.2020

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.12.2022): 64 Civilians, Including 14 Children, Two Women, and Six Victims Who Died due to Torture, Were Documented Killed in Syria, in November 2022, https://snhr.org/blog/2022/12/01/64-civilians-including-14-children-two-women-and-six-victims-who-died-due-to-torture-were-documented-killed-in-syria-in-november-2022/ , Zugriff 13.12.2022

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2022): 1,271 Civilians, Including 299 Children, 134 Women, and 104 Victims of Torture, Killed in Syria in 2021, https://snhr.org/wp-content/pdf/english/1271_Civilians_Including_229_Children_134_Women_and_104_Victims_of_Torture_Killed_in_Syria_in_2021_en.pdf , Zugriff 30.11.2022

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2020): 3,364 Civilians Documented Killed in Syria in 2019, http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/3364_civilians_were_killed_in_Syria_in_2019_en.pdf , Zugriff 10.2.2020

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 UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.9.2021): UN Syria Commission: Increasing violence and fighting add to Syria’s woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456&LangID=E , Zugriff 1.10.2021

 UNSC - United Nations Security Council (29.11.2022): Uptick in Violence Threatens Three Years of Relative Calm in Syria, Special Envoy Tells Security Council, Calling for De-Escalation, https://press.un.org/en/2022/sc15121.doc.htm , Zugriff 9.12.2022

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 VOA - Voice of America (24.10.2022): Islamic State Group Still Active in Southern Syria, Observers Say, https://www.voanews.com/a/islamic-state-group-still-active-in-southern-syria-observers-say-/6804095.html , Zugriff 12.12.2022

 WP - Washington Post (30.11.2022): IS says leader Abu al-Hassan al-Qurayshi killed in battle, https://www.washingtonpost.com/world/is-says-leader-abu-al-hassan-al-qurayshi-killed-in-battle/2022/11/30/70e6ff80-70cd-11ed-867c-8ec695e4afcd_story.html , Zugriff 6.12.2022

 Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien , Zugriff 9.12.2022

"VERSÖHNUNGSABKOMMEN" (AUCH "BEILEGUNGSABKOMMEN")

Letzte Änderung: 29.12.2022

Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung während militärischer Operationen zurückerobert wurden, auferlegt werden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als "settlement agreements" bezeichnet] folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 1.10.2021). Diese Versöhnungsabkommen sind de facto Kapitulationsvereinbarungen (NMFA 5.2022; vgl. SACD 8.11.2021, TIMEP 15.10.2021). Diese Vereinbarungen wurden meist dann unterzeichnet, wenn eine Pattsituation erreicht war, und es dem syrischen Regime nicht gelang, die militärische Macht zu übernehmen (SACD 8.11.2021; vgl. TIMEP 15.10.2021). Laut der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD), eine 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Basisbewegung aus Syrien, gehörten zu den Taktiken bisher auch Belagerungen, bei denen das Regime die Menschen in diesen Gebieten nicht nur der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten beraubte, sondern sie auch mit Luftangriffen und Granaten beschoss, die Infrastruktur zerstörte und Zivilisten tötete, um das Gebiet schließlich zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zu zwingen (SACD 8.11.2021). Die Regierung hat vor allem Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den Versöhnungsprozess als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen (NMFA 5.2022). Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Es gibt Quellen, die berichten, dass diejenigen, die freigelassen werden, ein Dokument erhalten. Versöhnungsprozesse scheinen auf Ad-hoc-Basis durchgeführt zu werden, was bedeutet, dass Unterschiede auftreten und keine eindeutige Beschreibung des Prozesses gegeben werden kann (NMFA 5.2022). In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021; vgl. ÖB 1.10.2021).

Die von der Regierung angebotenen Versöhnungsabkommen sind an verschiedene Bedingungen geknüpft (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 1.10.2021). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Ausweisung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 1.10.2021). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsabkommen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 7.2019; vgl. BS 23.2.2022). Die syrischen Behörden haben Einzelpersonen verhaftet, nachdem ihnen die Freilassung zugesichert wurde, und Vereinbarungen über die Freistellung von der Wehrpflicht und über den Dienstort neuer Wehrpflichtiger gebrochen (BS 23.2.2022).

Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). In neuen Versöhnungsabkommen im Süden Syriens erzwang das Regime die Vertreibung von Zivilisten - ohne Beweise für ihre Beteiligung an den Feindseligkeiten - allein aufgrund ihrer öffentlichen Opposition gegen das Regime oder der Weigerung ehemaliger Oppositionskämpfer, sich den Reihen der Regimetruppen anzuschließen. Die erzwungene Vertreibung in Syrien hat erhebliche Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, da Familien auseinandergerissen werden und die Zivilbevölkerung gezwungen ist, in Vertriebenenlagern zu leben, in denen es an grundlegenden Dingen fehlt (TIMEP 15.10.2021). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 12.4.2022).

Soweit bekannt, gibt es auch individuelle Versöhnungsabkommen für Syrer, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren wollen, bzw. für Vertriebene, die in ein Gebiet unter der Kontrolle der Behörden zurückkehren. Der Abschluss eines individuellen Versöhnungsabkommens ist auch hier kein genau definiertes Verfahren und kann von Person zu Person und von Botschaft zu Botschaft variieren; in der Regel beinhaltet es jedoch die Unterzeichnung eines Dokuments in einer Botschaft, in dem die Person ihre "Straftat" zugibt. Versöhnungsabkommen bieten allerdings keinen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen (NMFA 5.2022; vgl. HRW 13.1.2022). In den letzten Jahren wurden zahlreiche Fälle von Verhaftungen und anderen Verstößen gegen die Abkommen durch die syrischen Behörden dokumentiert (NMFA 5.2022). Die syrischen Behörden und regierungsnahe Milizen verhaften und misshandeln weiterhin willkürlich Menschen, oder lassen sie verschwinden, darunter auch Personen, die sogenannte Versöhnungsabkommen unterzeichnet haben (HRW 13.1.2022; vgl. TIMEP 15.10.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

 BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Syria Country Report 2022, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069699/country_report_2022_SYR.pdf , Zugriff 30.11.2022

 EIP - European Insititute of Peace (7.2019): Refugee Return in Syria: Dangers, Security Risks and Information Scarcity, https://www.eip.org/wp-content/uploads/2020/06/EIP-Report-Security-and-Refugee-Return-in-Syria-July.pdf , Zugriff 30.11.2022

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066477.html , Zugriff 30.11.2022

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2022): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2081724/Country+of+origin+information+report+Syria.pdf , Zugriff 30.11.2022

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069799/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf , Zugriff 30.11.2022

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 13.1.2022

 SACD - Syrian Association for Citizen's Dignit (SACD) (8.11.2021): Did Daraa mark the end of reconciliation agreements in Syria?, https://syacd.org/did-daraa-mark-the-end-of-reconciliation-agreements-in-syria/ , Zugriff 30.11.2022

 STDOK - Staatendokumentation of the BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Bericht Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (15.10.2021): Daraa: Another Example of the Regime’s Failure of Reconciliation, https://timep.org/commentary/analysis/daraa-another-example-of-the-regimes-failure-of-reconciliation/ , Zugriff 30.11.2022

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 30.11.2022

(…)

TÜRKISCHE MILITÄROPERATIONEN IN NORDSYRIEN

Letzte Änderung: 29.12.2022

"Operation Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")

Am 24.8.2016 hat die Türkei die "Operation Euphrates Shield" (OES) in Syrien gestartet (MFATR o.D.; vgl. WINEP 26.3.2019). Die OES war die erste große Militäroperation der Türkei in Syrien (OR o.D.). In einer Pressemitteilung des Nationalen Sicherheitsrats (vom 30.11.2016) hieß es, die Ziele der Operation seien die Aufrechterhaltung der Grenzsicherheit und die Bekämpfung des Islamischen Staat (IS) im Rahmen der UN-Charta; außerdem wurde betont, dass die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) sowie die mit ihr verbundenen PYD/YPG keinen Korridor des Terrors vor den Toren der Türkei errichten dürfen (CE 19.1.2017). Obwohl die türkischen Behörden offiziell erklärten, dass die oberste Priorität der Kampf gegen den IS sei, betonen viele Kommentatoren und Analysten jedoch, dass das Ziel darin bestand, die Schaffung eines einzigen von den Kurden kontrollierten Gebiets in Nordsyrien zu verhindern (OR o.D.; vgl. WINEP 26.3.2019, SWP 30.5.2022). Die Türkei betrachtet die kurdische Volksverteidigungseinheit (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) und ihren politischen Arm, die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat - PYD), als den syrischen Zweig der PKK und damit als direkte Bedrohung für die Sicherheit der Türkei (SWP 30.5.2022). Seit die türkischen Streitkräfte und die von ihnen unterstützten Gruppierungen nach der Militäroperation OES mehrere Gebiete in Aleppo eingenommen haben, haben sich die humanitären Krisen allmählich verschärft, es kommt fast täglich zu Übergriffen, Angriffen und Explosionen (SOHR 4.12.2022).

"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")

Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der Terroristen in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der Terroristen. Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (WINEP 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).

"Operation Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mithilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des IS kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge sind in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021).

Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).

Siehe dazu auch das Unterkapitel "Nordost-Syrien" und "Nordwest-Syrien" im Kapitel "Sicherheitslage".

"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")

Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die "Operation Frühlingsschild" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021). Der Auslöser für die türkische "Operation Frühlingsschild" im Norden Idlibs im Februar 2020 war die Verhinderung eines Übergreifens des syrischen Konflikts - insbesondere in Bezug auf Extremisten und Flüchtlingen - auf die Türkei als Folge einer neuen Regimeoffensive. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, die die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021).

Das vorrangige Ziel Russlands und des syrischen Regimes ist es, den Druck auf HTS aufrechtzuerhalten. Die Türkei hat ihrerseits regelmäßig Drohnenaktivitäten über Idlib gezeigt. Das Hauptziel der Türkei besteht darin, eine Pufferzone zu den Kräften des syrischen Regimes aufrechtzuerhalten, deren Vorrücken - ohne vorherige Absprache oder Vereinbarung - die Sicherheit der türkischen Grenze gefährden würde (EPC 17.2.2022). Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen (TCC 18.2.2021). Die Kämpfe zwischen den Fraktionen der SNA haben zur allgemeinen Instabilität in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien beigetragen. Weder die von den USA unterstützten, kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) noch die HTS sind in ihren Reihen so konfliktreich wie die SNA (CC 3.2022). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen YPG. Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021). Der jüngste Anstieg der Gewalt kam, als die Türkei nach dem Bombenanschlag vom 13.11.2022 in Istanbul, für den sie die YPG und die PKK verantwortlich machte, mit einer neuen Bodenoperation drohte (AJ 24.11.2022; vgl. VOA 27.11.2022; HRW 7.12.2022).

Die von Präsident Erdoğan ankündigte Militäroffensive der Türkei 2022

Im Mai 2022 erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei erwäge eine Militäroperation zur Ausweitung der türkisch kontrollierten Gebiete in Syrien, um dem Einfluss der YPG entgegenzuwirken (CRS 8.11.2022; vgl. HRW 17.8.2022). Erdogan hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten (MI 21.11.2022; vgl. RND 27.11.2022; vgl. HRW 17.8.2022). Zuletzt konzentrierte er seine Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete (MI 21.11.2022). Kobanê als Symbol des Widerstandes des kurdischen Selbstverwaltungsgebiets (auch Rojava) steht im Fokus der türkischen Angriffe. Dörfer und das Zentrum von Kobanê werden immer wieder attackiert (ANF 29.11.2022).

Am 20.11.2022, eine Woche nach einem Bombenanschlag in Istanbul am 13.11.2022, bei dem sechs Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden (OSES 29.11.2022; vgl. AW 30.11.2022, AJ 22.11.2022), startete die Türkei die sogenannte "Claw-Sword Air Operation". Die Regierung in Ankara macht die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG für den Anschlag verantwortlich. Sowohl PKK als auch YPG und die Demokratischen Kräfte Syriens, die wichtigste Bodentruppe im Kampf gegen den IS im Nordosten Syriens, haben eine Beteiligung an dem Bombenanschlag in Istanbul bestritten (HRW 7.12.2022; vgl. DZ 20.11.2022; OSES 29.11.2022). Als Vergeltungsmaßnahme hat das türkische Militär eine Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche militante Ziele in Nordsyrien und im Irak geflogen (AW 30.11.2022; vgl. AJ 22.11.2022). Eine Bodenoffensive werde "zu gegebener Zeit" beginnen, so Erdoğan. Es wäre die vierte Militäroperation in Nordsyrien, wo die Türkei mit den Invasionen von 2016, 2018 und 2019 die YPG aus der Grenzregion zurückgedrängt hat und große Landstriche besetzt hält. Auf diese Weise will Ankara die YPG eindämmen. Zugleich erhofft sich die Türkei, syrische Kriegsflüchtlinge aus der Türkei in dieser Region anzusiedeln (RND 27.11.2022). Seit dem 19.11.2022 attackiert die türkische Armee das kurdische Selbstverwaltungsgebiet mit Kampfbombern, Artillerie und Drohnen. Dabei sind Dutzende Zivilisten und Mitglieder der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte ums Leben gekommen. Außerdem wurden mehr als zwanzig Soldaten des Assad-Regimes getötet (ANF 29.11.2022). Die kurdische Miliz SDF teilten mit, türkische Flugzeuge hätten bei den Angriffen auch zwei Dörfer mit Binnenflüchtlingen in Nordsyrien unter Beschuss genommen. Die türkischen Angriffe hätten außerdem zivile Infrastruktur zerstört, darunter Getreidesilos, ein Kraftwerk und ein Krankenhaus. Türkischen Angaben hingegen zufolge handle es sich bei den zerstörten Zielen um Bunker, Tunnel und Munitionsdepots. Die SDF im Norden Syriens hat Vergeltung für türkische Luftangriffe auf ihre Stellungen angekündigt (DZ 20.11.2022). Am 23.11.2022 richteten sich die türkischen Angriffe auch gegen einen SDF-Posten im Gefangenenlager al-Hol, in dem mehr als 53 000 IS-Verdächtige und ihre Familienangehörigen festgehalten werden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder aus etwa 60 Ländern (HRW 7.12.2022). Die verstärkten Militäraktionen in Teilen des Nordwestens und Nordostens Syriens haben die Angst vor einem weiteren Ausbruch des Konflikts geweckt, der sich auf bewohnte Zivilgebiete und überfüllte humanitäre Einrichtungen auswirken könnte. In ganz Nordsyrien wurden Berichten zufolge Zivilisten verletzt und wichtige zivile Infrastrukturen beschädigt, wodurch der Zugang der Menschen zu lebenswichtigen Gütern wie Strom und Wasser gefährdet ist (SIRF 1.12.2022; vgl. HRW 7.12.2022).

Die USA, Russland und Iran haben öffentlich vor einem weiteren türkischen Einmarsch in Nordostsyrien gewarnt (HRW 17.8.2022). Die USA haben zur "sofortigen Deeskalation" aufgerufen. Größte Sorge in Washington ist, dass eine türkische Offensive im Nordirak der Terrormiliz IS in die Hände spielt (RND 27.11.2022; vgl. USDOS 23.11.2022). Zellen des IS sind in Syrien immer noch aktiv. Die YPG ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS. Tausende ehemalige IS-Kämpfer sitzen in Gefängnissen, die von der Kurdenmiliz kontrolliert werden. Eine Schlüsselrolle für die türkische Syrien-Strategie spielt Russland. Präsident Wladimir Putin ist der wichtigste politische und militärische Verbündete des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Die russischen Streitkräfte haben die Lufthoheit über Syrien. Für eine Bodenoffensive braucht Erdoğan zumindest die Duldung Moskaus. Putins Syrien-Beauftragter Alexander Lawrentjew forderte die Türkei auf, "von exzessiver Gewaltanwendung auf syrischem Staatsgebiet abzusehen" (RND 27.11.2022). Am 30.11.2022 verlegte Russland Truppenverstärkungen in ein Gebiet in Nordsyrien, das von kurdischen Kämpfern und Regierungstruppen kontrolliert wird, wie Anwohner und ein Kriegsbeobachter sagten. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erklärte, Russland verstärke seine Truppen auf einem von der Regierung kontrollierten Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Tal Rifa'at (AN 30.11.2022).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

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 UN News - United Nations News (14.10.2019): Military operation in northeast Syria could see unintentional release of ISIL affiliates: UN chief, https://news.un.org/en/story/2019/10/1049201 , Zugriff 12.10.2020

 UNSC - United Nations Security Council (20.8.2020): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018), 2449 (2018), 2504 (2020) and 2533 (2020); Report of the Secretary-General [S/2020/813], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036556/S_2020_813_E.pdf , Zugriff 12.10.2020

 UNSC - United Nations Security Council (23.4.2020): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018), 2449 (2018) and 2504 (2020), https://undocs.org/S/2020/327 , Zugriff 29.9.2021

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 VOA - Voice of America (27.11.2022): Thousands Protest Turkish Strikes on Kurdish Groups in Syria, https://www.voanews.com/a/thousands-protest-turkish-strikes-on-kurdish-groups-in-syria/6852735.html , Zugriff 1.12.2022

 WINEP - The Washington Institute for Near East Policy (26.3.2019): Assessing the Post–July 15 Turkish Military: Operations Euphrates Shield and Olive Branch, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/assessing-post-july-15-turkish-military-operations-euphrates-shield-and-olive , Zugriff 1.12.2022

 WP - Washington Post (14.10.2019): Syrian troops enter key towns in northeast under deal with Kurds, available by subscription at https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/syrian-troops-enter-towns-in-northeast-as-erdogan-warns-of-wider-offensive/2019/10/14/3fe2c420-ee06-11e9-bb7e-d2026ee0c199_story.html , Zugriff 1.12.2022

Nordost-Syrien

Letzte Änderung: 29.12.2022

Mit Stand Dezember 2022 befinden sich die Gouvernorate al-Hassakah und Ar-Raqqa sowie Teile von Deir Ez-Zor nördlich des Flusses Euphrat und Teile des Gouvernements Aleppo um Manbij und Kobanê sowie das Gebiet um Tal Rifa'at unter der Kontrolle der kurdisch geführten SDF [Anm.: Syrian Democratic Forces - Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria - AANES] (Liveuamap Stand 2.12.2022).

Die folgende Karte zeigt die Machtverhältnisse in der Region mit Stand 2.12.2022:

  

Liveuamap 2.12.2022

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen [Anm.: siehe hierzu Unterkapitel "Türkischen Militäroperationen in Nordsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage"] (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Die kurdischen, sogenannten "Selbstverteidigungseinheiten" (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen. Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Anmerkung: Siehe dazu auch die Karte von Februar 2022 von Zenith mit den militärischen Akteuren im Kapitel "Sicherheitslage".

Nach wie vor kommt es trotz der am 22.10.2019 in Sotschi zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Waffenruhe immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen und Kampfhandlungen am Rande der türkisch kontrollierten Zone zwischen pro-türkischen Milizen und Einheiten der SDF, insbesondere an den Rändern der türkisch kontrollierten Zone im Raum um Tal Tamar rund 30 km südlich von Ra's al-'Ayn sowie südlich von Tal Abyad (AA 29.11.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Die "Deeskalationszone", die sich von den nordöstlichen Bergen von Latakia bis zu den nordwestlichen Vororten von Aleppo erstreckt und sowohl durch Hama als auch durch Idlib verläuft, wurde nach einem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan am 5.3.2020 mit einer Waffenruhe belegt. In der Region ist es jedoch zu einer spürbaren Eskalation der Militäroperationen durch russische und regimetreue Kräfte und den ihnen nahestehenden Milizen gekommen, einschließlich des täglichen Bombardements mit Dutzenden von Raketen und Artilleriegranaten und russischen Luftangriffen, die alle zu erheblichen menschlichen Verlusten und Sachschäden geführt haben (SOHR 2.12.2022).

Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der "Syrian National Army" (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB 1.10.2021). Seit Mai 2022 droht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit einer zusätzlichen militärischen Bodenoperation im Nordosten Syriens, welche die Städte Tel Rifa'at und Manbij im Gouvernement Aleppo zum Ziel hat (HRW 17.8.2022; vgl. CC 3.11.2022). Dieser geplante Einmarsch wäre ein weiterer in einer Serie seit 2016 [Anm.: siehe hierzu Unterkapitel "Türkischen Militäroperationen in Nordsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage"] (HRW 17.8.2022). Die von Präsident Erdoğan ankündigte Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien gegen das Selbstverwaltungsgebiet (auch Rojava) ist laut Einschätzung des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) "weiterhin möglich": "Im Gegensatz zu früheren Operationen (z.B. Afrin 2018) dürfte dieses Mal aber die Existenz „Rojavas“ auf dem Spiel stehen" (IFK 8.2022). Auch das Risiko terroristischer Anschläge, insbesondere, aber nicht ausschließlich durch Untergrundgruppen des IS bleibt in Nordostsyrien sehr hoch (AA 29.11.2021).

Auf folgender Karte ist das Konfliktgeschehen zwischen Türkei und SDF für den Zeitraum 1.7.2022 bis 30.9.2022 auf Basis von ACLED-Daten verortet:

CC 3.11.2022 (Daten von The Carter Center und ACLED)

ACLED registrierte im dritten Quartal 2022 270 Konfliktfälle zwischen verschiedenen kurdischen bewaffneten Gruppen und türkischen Streitkräften oder von der Türkei unterstützten Oppositionsgruppen. Dies ist ein Rückgang um 30 % im Vergleich zum letzten Quartal. Der Rückgang erfolgte trotz der Rhetorik und der Besorgnis über einen neuen türkischen Einmarsch in Nordsyrien. Die Zahl der türkischen Drohnenangriffe ist weitgehend gleich geblieben (28 Ereignisse im zweiten Quartal und 29 im dritten Quartal). Die Angriffe beschränkten sich jedoch nicht mehr auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfinden; im Juli und August 2022 schlugen türkische Drohnen auf Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobani, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah (CC 3.11.2022).

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Ar-Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS gewesen (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Die Entwicklungen im Nordosten haben bis dato noch nicht zu dem befürchteten, großflächigen Wiedererstarken des IS geführt (ÖB 1.10.2021), allerdings führt der IS weiterhin militärische Operationen und Gegenangriffe durch und IS-Zellen sind nach wie vor in der Lage, ein Sicherheitsvakuum zu nutzen und Attentate zu verüben (SOHR 29.11.2022).

Die SDF leiteten mit Unterstützung der internationalen Koalition gegen den IS regelmäßige Sicherheitskampagnen ein (SOHR 29.11.2022; vgl. UNHRC 14.9.2022), die sich gegen IS-Zellen und Personen richteten, die beschuldigt wurden, mit diesen Zellen zu verkehren (SOHR 26.12.2021; vgl. USDOD 4.11.2021). Im Nordosten, aber auch in anderen Teilen des Landes, verlegt sich der IS verstärkt auf Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. ICG 18.11.2021, COAR 28.5.2021) und Einrichtungen der Selbstverwaltung (COAR 28.5.2021). Es wurde auch von Angriffen auf Mitarbeiter der Ölfelder in Deir ez-Zor berichtet (AM 29.12.2021). SOHR hat seit Anfang 2022 181 Operationen des IS, darunter bewaffnete Angriffe und Explosionen, in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung dokumentiert. Laut Statistiken des SOHR wurden bei diesen Operationen 135 Menschen getötet, darunter 52 Zivilisten und 82 Angehörige der SDF, der Inneren Sicherheitskräfte und anderer militärischer Formationen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung operierten. Bei diesen Angriffen wurde der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah nicht berücksichtigt, bei dem es zu schweren Verlusten kam (SOHR 29.11.2022).

Am 20.1.2022 griffen Kämpfer des IS das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah an (ANI 26.1.2022). Im Sina'a-Gefängnis befanden sich geschätzte 3.500 inhaftierte IS-Kämpfer wie auch rund 700 Minderjährige, darunter 150 ausländische Staatsbürger, die von ihren Eltern in das selbsternannte Kalifat gebracht worden waren. Vertreter der SDF gaben an, dass IS-Kämpfer, die sich in einem Teil des Gefängnisses verschanzt hatten, Minderjährige als menschliche Schutzschilde verwendeten (NYT 25.1.2022). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer, die in den vergangenen Jahren administrative und militärische Positionen in den vom IS kontrollierten Gebieten in Syrien innegehabt hatten (AM 26.1.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (AJ 26.1.2022).

Der Angriff löste tödliche Zusammenstöße zwischen den SDF und den IS-Kämpfern aus. Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.1.2022). Die Kämpfe zwischen der von den USA unterstützten kurdisch geführten Miliz und IS-Kämpfern weiteten sich auf Stadtteile rund um das Gefängnis im Nordosten Syriens aus (NYT 25.1.2022). In fast allen Vierteln rund um das Gefängnis kam es zu Zusammenstößen (UNHRC 14.9.2022). US-Truppen begannen am 24.1.2022, aus der Luft und auch am Boden einzugreifen. US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.1.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.1.2022; vgl. NYT 25.1.2022, EUAA 9.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS. In den zehn Tagen andauernden Gefechten starben laut SDF über 500 Menschen, Dreiviertel davon IS-Kämpfer (TWP 24.2.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren, wobei es jedoch auch im Zuge der Kampfhandlungen und der Suche nach verschanzten IS-Kämpfern zu Zerstörungen von Privathäusern und Geschäften gekommen war (MPF 8.2.2022). Der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis ist eine deutliche Erinnerung an die Bedrohung, die vom IS im Nordosten Syriens noch immer ausgeht, und an die Verwundbarkeit der dort lebenden Zivilisten (OHCHR 18.11.2022).

Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z.B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.2.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.1.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS in letzter Zeit im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.9.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 9.2022).

Für weitere Informationen über die Aktivitäten des IS in Syrien siehe das Kapitel "Sicherheitslage".

Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB 1.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 7.11.2022), auch aus Österreich (ÖB 1.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.2.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt und es ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden. 64 % der Bewohner von al-Hol sind Kinder (MSF 7.11.2022), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 5.5.2022; vgl. MSF 11.2022). Im Jahr 2021 war die häufigste Todesursache in al-Hol, mit 38 % aller Todesfälle im Lager, der Tod im Zusammenhang mit Straftaten. Laut Ärzte ohne Grenzen wurden zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen in dem Lager auch 30 Mordversuche gemeldet (MSF 11.2022). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 6.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Flüchtlingslagers al-Hol ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination des IS und andere Aktivitäten begünstigt. Die SDF sahen sich gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager in Nordsyrien abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 3.12.2022).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet:

TWI 15.3.2022 [vgl. Karte des Carter Center - CC 3.11.2022 - im ersten Abschnitt des Kapitels "Sicherheitslage"]

Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (ES 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie steigende Treibstoffpreise protestiert (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Die Gefahr eines türkischen Angriffs droht ständig an der Grenze, und obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2072999/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien%2C_%28Stand_November_2021%29%2C_29.11.2021.pdf , Zugriff 2.12.2022

 AJ – Aljazeera (26.1.2022): Kurdish-led forces in Syria recapture prison from ISIL, https://www.aljazeera.com/news/2022/1/26/kurdish-led-forces-in-syria-recapture - prison-from-isil, Zugriff 27.1.2022

 Al-Sharq - Al Sharq Strategic Research (27.8.2021): Heated Conflict or Consolidation of the Status Quo in Northeast Syria: What is next for the AANES?, https://research.sharqforum.org/2021/08/27/heated-conflict-or-consolidation-of-the-status-quo-in-northeast-syria-what-is-next-for-the-aanes/ , Zugriff 29.12.2021

 AM – Al-Monitor (26.1.2022): How attack on Kurdish-run prison in northeast Syria will affect Islamic State,https://www.al-monitor.com/originals/2022/01/how-attack-kurdish - run-prison-northeast-syria-will-affect-islamic-state, Zugriff 27.1.2022

 AM - Al-Monitor (29.12.2021): Islamic State cells impose levy on oil investors in northeastern Syria, https://www.al-monitor.com/originals/2021/12/islamic-state-cells-impose-levy-oil-investors-northeastern-syria , Zugriff 3.1.2022

 AM - Al-Monitor (30.5.2021): Syrian Arab tribes put Kurdish administration on notice, https://www.al-monitor.com/originals/2021/05/syrian-arab-tribes-put-kurdish-administration-notice , Zugriff 29.12.2021

 AN - Arab News (17.10.2021): How viable is the Kurds’ autonomous rule in northeastern Syria?, https://www.arabnews.com/node/1949126/middle-east , Zugriff 29.12.2021

 ANI – Asian News International (26.1.2022): Over 500 Islamic State terrorists surrender in Syrian Al-Hasakah after prison break: SDF, https://www.aninews.in/news/world/asia/over-500-islamic-state-terrorists-surrender-in-syrian-al-hasakah-after-prison-break-sdf20220126120507/ , Zugriff 26.1.2022

 AO - Ahram Online (3.12.2022): IS coming back? https://english.ahram.org.eg/News/480731.aspx , Zugriff 5.12.2022

 CC - The Carter Center (3.11.2022): Quarterly Review on Syrian Political and Military Dynamics July-September 2022, https://storymaps.arcgis.com/stories/bb84958f3b0f456d9139f1447ba3e638 , Zugriff 2.12.2022

 CMEC - Carnegie Middle East Center (2.10.2020): A Fluid Frontier, https://carnegie-mec.org/diwan/82858 , Zugriff 29.12.2021

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (28.5.2021): Northeast Syria Social Tensions and Stability Monitoring: April Update, https://coar-global.org/2021/05/28/northeast-syria-social-tensions-and-stability-monitoring-pilot-project-2/ , Zugriff 29.12.2021

 ES - Etana Syria (30.6.2022): Syria Military Brief: North-East Syria - 30 June 2022, https://etanasyria.org/syria-military-brief-north-east-syria-30-june-2022/ , Zugriff 5.12.2022

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 HRW - Human Rights Watch (17.8.2022): Questions and Answers: Turkey’s Threatened Incursion into Northern Syria, https://www.hrw.org/news/2022/08/17/questions-and-answers-turkeys-threatened-incursion-northern-syria , Zugriff 5.12.2022

 ICG - International Crisis Group (18.11.2021): Syria: Shoring Up Raqqa’s Shaky Recovery, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064234/229-raqqas-shaky-recovery.pdf , Zugriff 27.12.2021

 ICG - International Crisis Group (11.10.2019): Averting an ISIS Resurgence in Iraq and Syria, https://d2071andvip0wj.cloudfront.net/207-averting-an-isis-resurgence.pdf , Zugriff 23.12.2021

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 JsF - Jusoor for Studies (9.9.2022): The US Strengthens its Presence in the Syrian File, Message in Multiple Directions, https://www.jusoor.co/details/The%20US%20strengthens%20its%20presence%20in%20the%20Syrian%20file ,%20messages%20in%20multiple%20directions/1118/en, Zugriff 6.12.2022

 KF - Kreisky Forum (5.2022): Report: Hegemonies and Alliances: Rojava and Sinjar as Security. Challenges for the Region and Beyond, https://www.kreisky-forum.org/wp-content/uploads/2022/05/Report-Rojava-and-Sinjar-as-Security-Challenges.pdf , Zugriff 5.12.2022

 Liveuamap - Live Universal Awareness Map (Stand 2.12.2022): Map of Syrian Civil War, https://syria.liveuamap.com/ , Zugriff 16.12.2022

 MSF - Medecins Sans Frontieres (11.2022): Between two fires: Danger and desperation in Syria's Al-Hol camp, https://www.msf.org/danger-and-desperation-syria%E2%80%99s-al-hol-camp-report-msf , Zugriff 5.12.2022

 MSF - Medecins Sans Frontieres (7.11.2022): A lost generation live in fear inside Syria's Al-Hol camp, https://www.msf.org/generation-lost-danger-and-desperation-syria%E2%80%99s-al-hol-camp , Zugriff 5.12.2022

 NBC News - National Broadcasting Company (6.10.2022): ISIS infiltrated a refugee camp to recruit fighters. Inside the Biden admin’s plan to stop it, https://www.nbcnews.com/news/world/isis-syria-al-hol-camp-population-reduced-biden-administration-plan-rcna50877 , Zugriff 5.12.2022

 NYT - New York Times (25.1.2022): Prison Attack in Syria Is Latest Sign of ISIS Resurgence, https://www.nytimes.com/live/2022/01/25/world/syria-news-isis-us ,Zugriff 26.1.2022

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 5.12.2022

 OHCHR - The Office of the High Commissioner for Human Rights (18.11.2022): Syria: UN Human Rights Chief condemns brutal killing of two girls, alarmed by sharp rise in violence at Al-Hol camp, https://www.ohchr.org/en/taxonomy/term/1123 , Zugriff 5.12.2022

 PBS - Public Broadcasting Service (22.2.2022): In one-time ISIS capital of Raqqa, poverty and fear drive residents out, https://www.pbs.org/newshour/world/in-one-time-isis-capital-of-raqqa-poverty-and-fear-drive-residents-out , Zugriff 5.12.2022

 SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (2.12.2022): "Putin-Erdogan" area in November 2022 | Nearly 50 fata*lities in acts of vio*lence…chronic crises…withdrawal of Turkish brigade from Idlib, https://www.syriahr.com/en/278644/ , Zugriff 5.12.2022

 SOHR - Syrian Observatory for Human Rights (26.12.2021): SDF-controlled areas in 2021 | Nearly 230 deaths in over 340 attacks by ISIS cells…worsening crises and growing protests…nearly 860 arrests, https://www.syriahr.com/en/232227/ , Zugriff 27.12.2021

 STC - Save the Children (5.5.2022): Syrien: Kinder im Al Hol-Camp täglicher Gewalt ausgesetzt, https://www.savethechildren.de/news/syrien-kinder-im-al-hol-camp-taeglicher-gewalt-ausgesetzt/ , Zugriff 5.12.2022

 TWI - The Washington Institute for Near East Policy (12.10.2022): The SDF Is Caught Between Turkey and the Islamic State Again, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/sdf-caught-between-turkey-and-islamic-state-again , Zugriff 5.12.2022

 TWI - The Washington Institute for Near East Policy (15.3.2022): How to Preserve the Autonomy of Northeast Syria, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-preserve-autonomy-northeast-syria , Zugriff 17.3.2022

 TWP - The Washington Post (Loveluck, Louisa) (24.2.2022): How the Islamic State used bullying and bribes to rebuild in Syria, https://www.washingtonpost.com/world/2022/02/24/islamic-state-syria-attacks/ , Zugriff 10.3.2022

 UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.9.2022): Advance Edited Version - Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, Fifty-first session 12 September–7 October 2022, Agenda item 4, Human rights situations that require the Council’s attention, https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/regularsession/session51/2022-09-14/A_HRC_51_45_AEV.docx , Zugriff 29.11.2022

 USDOD - United States Department of Defense [USA] (4.11.2021): Operation Inherent Resolve, Quarterly Report to the United States Congress | July 1, 2021 – September 30, 2021, https://media.defense.gov/2021/Nov/08/2002889206/-1/-1/1/LEAD%20INSPECTOR%20GENERAL%20FOR%20OPERATION%20INHERENT%20RESOLVE%20QUARTERLY%20REPORT%20JULY%201 ,%202021%20%E2%80%93%20SEPTEMBER%2030,%202021.PDF, Zugriff 30.12.2021

 Zenith (11.2.2022): »Der IS rekrutiert eine neue Generation von Kämpfern«, https://magazin.zenith.me/de/politik/interview-mit-syrien-experte-fabrice-balanche-%C3%BCber-den-die-kurden-und-syrien , Zugriff 9.3.2022

(…)

Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 29.12.2022

Anmerkungen:

In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.

Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht, klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".

DIE SYRISCHEN STREITKRÄFTE - WEHR- UND RESERVEDIENST

Letzte Änderung: 29.12.2022

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB 1.10.2021).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB 1.10.2021; vgl. EASO 4.2021).

Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020). Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).

Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018, ACCORD 21.9.2022).

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).

Die syrische Regierung hat im Jahr 2016 begonnen, irreguläre Milizen im begrenzten Ausmaß in die regulären Streitkräfte zu integrieren (CMEC 12.12.2018). Mit Stand Dezember 2022 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 2.12.2022).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EASO 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).

Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018; vgl. ICG 9.5.2022). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) in der Lage ist, zu rekrutieren, jedoch nicht in allen Gebieten der AANES, in denen die kurdischen Gruppierungen vor Ort die Oberhand haben. Die syrische Regierung ist nach wie vor in einigen von der AANES kontrollierten Gebieten präsent und kann dort rekrutieren, wo sie im Sicherheitsdistrikt oder muraba'a amni im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie in Qamishli oder in Deir ez-Zor. In einigen Gebieten wie Afrin hat die syrische Regierung jedoch keine Kontrolle und kann dort keine Personen einberufen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die Syrische Arabische Armee eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022).

Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) operiert hauptsächlich im Gouvernement Idlib und anderen Gebieten im Nordwesten Syriens (Grenzstädte zur Türkei). Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 12.12.2022). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen und sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der „Gesuchten“ zu setzen, was ihre Verhaftung zur Rekrutierung erleichtert, wenn sie das Gouvernement Idlib in Gebiete unter der Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich im Gouvernement Aleppo konzentriert, von der Türkei unterstützt wird und aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA) besteht. Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann dort keine Personen für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022).

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.1.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebs, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches "Hochfahren" dieses Systems scheint derzeit [Anm.: Stand 16.9.2022] nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Zwei Erlässe beendeten mit 7.4.2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EASO 11.2021). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 2021 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EASO 11.2021).

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen, wie zuletzt beispielsweise in Dara'a, trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022). Alle Eingezogenen können dagegen laut EASO [Anm.: inzwischen in European Union Agency for Asylum (EUAA) umbenannt] potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EASO 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/de/dokument/2042795.html , Zugriff 12.12.2022

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/de/dokument/1451486.html , Zugriff 12.12.2022

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (21.9.2022): Anfragebeantwortung zu Syrien: Unterliegen Palästinenser, die den Wehrdienst absolviert haben, auch einer Pflicht zum Reservedienst?, https://www.ecoi.net/de/dokument/2080420.html , Zugriff 9.12.2022

 ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (1.12.2022): The State of Syria: Q2 2022 – Q3 2022, https://acleddata.com/2022/12/01/the-state-of-syria-q2-2022-q3-2022/ , Zugriff 12.12.2022

 BMLV - Militärexperte des Bundesministeriums für Landesverteidigung [Österreich] (12.10.2022): Antwortschreiben Version 2 (Stand 16.9.2022), per e-Mail

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (2.12.2022): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/syria/#military-and-security , Zugriff 12.12.2022

 CMEC - Carnegie Middle East Center (12.12.2018): Reintegrating Syrian Militias: Mechanisms, Actors, and Shortfalls, https://carnegie-mec.org/2018/12/12/reintegrating-syrian-militias-mechanisms-actors-and-shortfalls-pub-77932 , Zugriff 12.12.2022

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (28.1.2021): Syria in 2021, https://coar-global.org/2021/01/28/syria-in-2021/ , Zugriff 18.11.2022

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (24.11.2020): Changes to military service reflect Damascus’s unrealistic aims, growing socio-economic divide, https://coar-global.org/2020/11/24/changes-to-military-service-reflect-damascuss-unrealistic-aims-growing-socio-economic-divide/ , Zugriff 12.12.2022

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 EB - Enab Baladi (3.6.2020): Fear of forced military conscription looms over northern rural Homs again, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/03/fear-of-forced-military-conscription-looms-over-northern-rural-homs-again/ , Zugriff 12.12.2022

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 ÖB - Österreichische Botschaft [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066258/SYRI_%C3%96B-Bericht_2021_09.pdf , Zugriff 12.12.2022

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 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf , Zugriff 12.12.2022

 PAR - Webseite des Parlaments [Syrien] (12.5.2007): المرسوم التشريعي 30 لعام 2007 قانون خدمة العلم [Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=4921& , Zugriff 12.12.2022

 Rechtsexperte der ÖB Damaskus [Österreich] (14.9.2022): Antwortschreiben per e-Mail

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (16.11.2022): Breaking Down the Amnesty Decrees Issued by the Syrian Regime Between March 2011 and October 2022, https://snhr.org/wp-content/uploads/2022/11/R221013E.pdf , Zugriff 22.11.2022

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 12.12.2022

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law, https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/ , Zugriff 12.12.2022

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 12.12.2022

 TSO – The Syrian Observer (27.1.2022): Mixed Reactions Following Desertion Amnesty, https://syrianobserver.com/security/72953/mixed-reactions-following-desertion-amnesty.html , Zugriff 22.11.2022

BEFREIUNG, AUFSCHUB, BEFREIUNGSGEBÜHREN, STRAFEN BEI ERREICHUNG DES 43. LEBENSJAHRS OHNE ABLEISTUNG DES WEHRDIENSTS

Letzte Änderung: 29.12.2022

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

EASO [inzwischen in European Union Agency for Asylum (EUAA) umbenannt] kommt in seinem Bericht vom April 2021 zu dem Schluss, dass aufgrund der unklaren Maßstäbe, die von den medizinischen Ausschüssen für die Bewertungen verwendet werden, die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien schwer eruierbar ist (EASO 4.2021).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021; vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 31 (Rechtsexperte 14.9.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigten Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an (DIS 5.2020; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird ("bayan harakat"). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Diese mit dem Gesetz Nr. 35 vom 15.11.2017 beschlossene Änderung ermöglicht es der Direktion für militärische Rekrutierung, Vermögen wie Immobilien und bewegliche Güter von syrischen Männern zu beschlagnahmen, die ihren Verpflichtungen zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachgekommen sind. Gesetz Nr. 39 vom 24.12.2019 zur Änderung von Artikel 97 des Wehrdienstgesetzes Nr. 30 aus dem Jahr 2007 veränderte die Art der vorgesehenen Beschlagnahmung. Es ermöglicht die Beschlagnahme von Eigentum von Männern, die das 42. Lebensjahr vollendet haben und weder den Militärdienst abgeleistet noch die Kompensationszahlung von 8.000 USD ordnungsgemäß beglichen haben, oder von deren Ehefrauen oder Kindern, ohne dass die betroffenen Personen davon in Kenntnis gesetzt werden. Derzeit kann das Vermögen dieser Person vorsorglich beschlagnahmt werden, was bedeutet, dass es weder verkauft noch an eine andere Partei übertragen werden kann. Das Vermögen kann ohne weitere Ankündigung vom Staat versteigert werden, anstatt es bis zu einer Lösung der Frage einzufrieren. Der Staat kann den geschuldeten Betrag aus der Versteigerung einbehalten und den Restbetrag (falls vorhanden) an die Person zurückzahlen, deren Eigentum versteigert wurde. Erreicht das Vermögen des Mannes nicht den Wert der Kompensationszahlung, kann das gleiche Versteigerungsverfahren auf das Vermögen seiner Frau oder seiner Kinder angewandt werden, bis der Wert der Gebühr erreicht ist (Rechtsexperte 14.9.2022).

Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).

Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten

Christliche und muslimische religiöse Führer sind weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit, wobei muslimische Geistliche dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 2.6.2022). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht, und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Anders als in vielen Gebieten unter Regierungskontrolle konnten sich Männer im Gouvernement Suweida der gesetzlich festgelegten allgemeinen Wehrpflicht in den syrischen nationalen Streitkräften weitgehend entziehen (Syria Untold 9.1.2020; vgl. COAR 30.9.2020). Stattdessen hat die drusische Gemeinschaft gut organisierte Nachbarschaftsschutzgruppen und Einheiten der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) unterhalten. Die syrische Regierung hält jedoch offiziell weiterhin an der verfassungsmäßig verankerten "heiligen Pflicht" des allgemeinen Wehrdienstes - auch für die in Suweida heimische drusische Gemeinschaft - fest (COAR 30.9.2020). Eine von EASO zitierte Expertin gab 2021 an, dass es Rekrutierungsversuche der SAA im Gouvernement Suweida gibt, die jedoch oftmals auf Widerstand der lokalen Bevölkerung stoßen (EASO 4.2021). Die Grauzone bezüglich der Umsetzung der Wehrpflicht hat zur Folge, dass derzeit rund 30.000 Personen zum Wehrdienst gesucht sind und Suweida nicht verlassen bzw. nicht in von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete reisen können (The New Arab 11.2.2022).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022

 Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (30.9.2020): The Syrian Economy at War, https://coar-global.org/2020/09/30/the-economy-of-war-in-syria-armed-group-mobilization-as-livelihood-and-protection-strategy/ , Zugriff 21.11.2022

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf , Zugriff 9.12.2022

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 9.12.2022

 DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D , Zugriff 9.12.2022

 EB – Enab Baladi (9.2.2019): Military Service Exemption Fee: Expensive Return Ticket To Homeland, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/09/military-service-exemption-fee-expensive-return-ticket-to-homeland/ , Zugriff 9.12.2022

 EASO – European Asylum Support Office (4.2021): Syria: Military Service, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048969/2021_04_EASO_COI_Report_Military_Service.pdf , Zugriff 9.12.2022

 FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 9.12.2022

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 9.12.2022

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 9.12.2022

 ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 9.12.2022

 PAR – Website of the Parliament [Syria] (15.11.2017): القانون رقم /35/ لعام 2017 القاضي بتعديل قانون خدمة العلم الصادر بالمرسوم التشريعي رقم /30/ لعام /2007/ [Law No. 35 of 2017 amending the Military Service Law issued by Legislative Decree No. 30 of 2007], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=-1&Loc1=&Key1=&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1& , Zugriff 9.12.2022

 Rechtsexperte der ÖB Damaskus [Österreich] (14.9.2022): Antwortschreiben per e-Mail

 SANA – Syrian Arab News Agency (8.11.2017): مجلس الشعب يقر مشروع قانون يتعلق بمن تجاوز سن التكليف للخدمة ربط الإلزامية وآخر حول السجل العام للعاملين في الدولة بوزارة التنمية الإدارية [The People's Assembly passes a draft law related to those who have passed the age of mandatory service and another about linking the public registry of workers in the country to the Ministry of Administrative Development], http://www.sana.sy/?p=656572 , Zugriff 9.12.2022

 SB Berlin - Botschaft der Syrischen Arabischen Republik Berlin [Syrien] (o.D.): شؤون التجنيد http://mofaex.gov.sy/berlin-embassy/ar/pages738/%D8%B4%D8%A4%D9%88%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AC%D9%86%D9%8A%D8%AF , Zugriff 9.12.2022

 SLJ – Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320 , Zugriff 9.12.2022

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 9.12.2022

 Syria Untold (9.1.2020): Men evading military service in southern Syria’s Suwayda feel ‘trapped’, https://syriauntold.com/2020/01/09/men-evading-military-service-in-southern-syrias-suwayda-feel-trapped/ , Zugriff 21.11.2022

 The New Arab (11.2.2022): Why protests in Suweida are deeply troubling for the Syrian regime, https://www.newarab.com/analysis/why-protests-suweida-are-troubling-syrian-regime , Zugriff 21.11.2022

 USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073954.html , Zugriff 9.12.2022

AMNESTIEN IM ALLGEMEINEN UND IM ZUSAMMENHANG MIT FOLGENDEM MILITÄRDIENST

Letzte Änderung: 29.12.2022

- Rechtssicherheit

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition, besteht in der Praxis eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB 1.10.2021).

- Amnestien allgemein

Seit März 2011 [Anm.: bis Oktober 2022] hat der syrische Präsident 21 Amnestiedekrete erlassen. In den meisten dieser Dekrete wurden die Strafen der Begnadigten für die verschiedenen Verbrechen und Vergehen ganz oder teilweise aufgehoben (SNHR 16.11.2022). Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. SNHR 16.11.2022, MED 10.2021).

Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020; vgl. SNHR 16.11.2022). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020, MED 10.2021), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020, MED 10.2021).

Die Amnestiedekrete resultierten im Allgemeinen nur in der Entlassung einer begrenzten Anzahl von gewöhnlichen Kriminellen (USDOS 12.4.2022). Der Ausschluss von politischen Gefangenen ist der Haft- und Gerichtspraxis in Syrien teilweise inhärent. Willkürlich Verhaftete werden in der Regel ohne Anklage für längere Zeit festgehalten, und die Inhaftierten werden oft nicht über die gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert (MED 10.2021). Die Amnestien schlossen Gefangene, die nicht eines Verbrechens angeklagt wurden, aus (USDOS 12.4.2022; vgl. MED 10.2021).

Erhebungen der Menschenrechtsorganisation SNHR ergaben, dass im Zeitraum März 2011 bis Oktober 2022 rund 7.350 Personen im Rahmen der 21 Amnestiedekrete aus diversen Zivil- und Militärgefängnissen der syrischen Regierung sowie aus Haftanstalten unterschiedlicher Zweigstellen des Sicherheitsapparats entlassen wurden. Darunter befanden sich rund 6.100 Zivilisten und 1.250 Militärangehörige. Dem stellt SNHR eine Anzahl von rund 123.300 Personen gegenüber, die in zeitlicher Nähe zu den Amnestien verhaftet wurden oder gewaltsam verschwanden (SNHR 16.11.2022).

Eine begrenzte Anzahl von Gefangenen kam im Zuge lokaler Beilegungsabkommen mit dem Regime frei. Während des Jahres 2021 verletzten Regimekräfte vorherige Amnestieabkommen durch Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten und frühere Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppen in Gebieten mit unterzeichneten Beilegungsabkommen mit dem Regime (USDOS 12.4.2022).

Die im Zeitraum 2011-2021 erlassenen Amnestien für Überläufer und Wehrdienstverweigerer verlangen von den Begünstigten nach wie vor, dass sie ihren Wehrdienst ableisten, nachdem sie sich gestellt haben (MED 10.2021). Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020; vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Ein Syrien-Experte merkte in diesem Zusammenhang auch an, dass die Durchsetzungsfähigkeit des Präsidenten bei den Amnestiedekreten vor Ort angezweifelt werden kann, und Vergeltung ein weitverbreitetes Phänomen ist (Balanche 13.12.2021).

Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 29.11.2021).

- Kürzlich erlassene Amnestien

Eine Generalamnestie vom Mai 2021 (Gesetzesdekret 13/2021) erstreckte sich auf Straftaten in Zusammenhang mit Wehrdienstverweigerung, wobei sich Wehrdienstverweigerer innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzesdekrets zum Wehrdienst melden mussten, um unter die Amnestie zu fallen. Folgende Artikel nach dem Militärstrafgesetzbuch waren von der Amnestie ausgenommen: 102, 103/5, 154-160 (SNHR 16.11.2022).

Am 25.1.2022 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 3/2022 eine Generalamnestie für "interne und externe Desertion", die vor diesem Datum begangen wurde (SANA 25.1.2022). Die Amnestie umfasst Straftaten nach Artikel Artikel 100 ("interne Desertion") und 101 ("externe Desertion") des Militärstrafgesetzbuchs (Gesetzesdekret Nr. 61 von 1950), schließt jedoch die Artikel 102 ("Flucht zum Feind, Flucht vor dem Feind") und 103 ("Flucht durch Verschwörung und Flucht in Kriegszeiten") aus (TSO 27.1.2022; vgl. SNHR 16.11.2022).

Im Mai 2022 hat Präsident Assad mit dem Gesetzesdekret Nr. 7/2022 eine Generalamnestie für "terroristische Verbrechen" erlassen, welche von Syrern vor dem 30.4.2022 begangen wurden, mit Ausnahme derjenigen Straftaten, die zum Tod eines Menschen geführt haben und die im Antiterrorismusgesetz Nr. 19 von 2012 und im Strafgesetzbuch, das durch das Gesetzesdekret Nr. 148 von 1949 und dessen Änderungen erlassen wurde, festgelegt sind (TSO 3.5.2022). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Nach dem Militärstrafgesetzbuch geahndete Vergehen fallen nicht unter diese Amnestie (SNHR 16.11.2022).

- Amnestien der "Selbstverwaltung" in Nordost-Syrien

Am 10.10.2020 erließ die sog. "Selbstverwaltung" in Nordost-Syrien eine "Generalamnestie" für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).

Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen". Zu Amnestien der syrischen Regierung für Reservepflichtige siehe Unterkapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst".

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien,https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview per Videotelefonie

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 9.12.2022

 EB - Enab Baladi (3.4.2020): Decrees for detainees .. without including them Syrian detainees off legislators’ table, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/04/decrees-for-detainees-without-including-them-syrian-detainees-off-legislators-table/ , Zugriff 9.12.2022

 MED - Middle East Directions (10.2021): Manipulating National Trauma: The Assad Regime’s Wartime Instrumentalisation of Presidential Amnesties, https://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/72798/QM-AX-21-047-EN-N%5b1%5d.pdf?sequence=5&isAllowed=y , Zugriff 22.11.2022

 MEE - Middle East Eye (2.5.2021): Syria: Amnesty announced ahead of presidential elections, https://www.middleeasteye.net/news/syria-amnesty-offered-ahead-presidential-elections , Zugriff 9.12.2022

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 9.12.2022

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 9.12.2022

 SANA - Syrian Arab News Agency (25.1.2022): President al-Assad gives general amnesty to internal and external desertion crimes, http://www.sana.sy/en/?p=261557 , Zugriff 22.11.2022

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (16.11.2022): Breaking Down the Amnesty Decrees Issued by the Syrian Regime Between March 2011 and October 2022, https://snhr.org/wp-content/uploads/2022/11/R221013E.pdf , Zugriff 22.11.2022

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 9.12.2022

 TSO – The Syrian Observer (3.5.2022): Justice Minister: Amnesty Decree Most Comprehensive for Terrorist Crimes, https://syrianobserver.com/news/75121/justice-minister-amnesty-decree-most-comprehensive-for-terrorist-crimes.html , Zugriff 22.11.2022

 TSO – The Syrian Observer (27.1.2022): Mixed Reactions Following Desertion Amnesty, https://syrianobserver.com/security/72953/mixed-reactions-following-desertion-amnesty.html , Zugriff 22.11.2022

 Üngör, Uğur Ümit - Geschichtsprofessor, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview per Videotelefonie

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 9.12.2022

WEHRDIENSTVERWEIGERUNG / DESERTION

Letzte Änderung: 29.12.2022

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).

Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).

Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu (AA 29.11.2021; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021). Während es laut einer Quelle keine Berichte darüber gibt, dass diejenigen, die die Wehrdienstbefreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlt haben, bei ihrer Rückkehr Probleme hatten (DIS 5.2022), berichten andere Quellen, dass unter anderem auch Rückkehrer bei ihrer Ankunft von den syrischen Behörden verhaftet, inhaftiert und gefoltert wurden, die eine Statusbereinigung vorgenommen hatten. Eine erteilte positive Sicherheitsüberprüfung stellt keinesfalls eine Garantie für eine sichere Rückkehr nach Syrien dar (EASO 6.2021).

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder, zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021, Rechtsexperte 14.9.2022).

Für nähere Informationen siehe auch das Unterkapitel "Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts".

Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 5.2022). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).

Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung. Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen "interner" und "externer" Desertion. Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubs nicht innerhalb von 15 Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Artikel 100/1/b des Militärstrafgesetzbuchs). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Artikel 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Artikel 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Artikel 101/1). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Artikel 101/2). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z.B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen. Es gibt jedoch Fälle von militärischer Desertion, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020). Human Rights Watch berichtete 2021 vom Fall eines Deserteurs, der nach seiner Rückkehr zuerst inhaftiert und nach Abschluss eines "Versöhnungsabkommens" zur Armee eingezogen wurde, wo er nach Angaben einer Angehörigen aufgrund seiner vorherigen Desertion gefoltert und misshandelt wurde (HRW 20.10.2021).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen dokumentierte im ersten Halbjahr 2022 die Festnahme, Folter und Misshandlung von neun Männern, die der Wehrpflicht nicht nachgekommen oder übergelaufen waren. Unter anderem betraf dies Überläufer, die nach einer Amnestie zurückkehrten und dann verhaftet wurden (UNHRC 17.8.2022).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).

Bzgl. Konfiszierungsmöglichkeiten im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes siehe Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".

Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021). Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am "Versöhnungsprozess" einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden. Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine große Abschreckung, um zurückzukehren (ICG 9.5.2022). Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).

Zu den "Versöhnungsabkommen" siehe auch Abschnitt "Versöhnungsabkommen" im Kapitel "Sicherheitslage".

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hierbei kein klares Muster gibt (DIS 5.2022). Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2022): Syria - Treatment Upon Return, https://www.ecoi.net/en/file/local/2072754/notat-syria-treatment-upon-return-may-2022.pdf , Zugriff 23.11.2022

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 9.12.2022

 DIS/DRC - Danish Immigration Service [Dänemark]/ Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 9.12.2022

 EASO – European Asylum Support Office (6.2021): Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060547/2021_06_EASO_COI_Report_Syria_Situation_returnees_from_abroad_DE.pdf , Zugriff 23.11.2022

 FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 9.12.2022

 HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): "Our Lives Are Like Death" Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.hrw.org/report/2021/10/20/our-lives-are-death/syrian-refugee-returns-lebanon-and-jordan , Zugriff 23.11.2022

 ICG - International Crisis Group (9.5.2022): Syria: Ruling over Aleppo’s Ruins, https://www.ecoi.net/en/file/local/2072598/234-syria-aleppos-ruins_0.pdf , Zugriff 23.11.2022

 Khaddour, Kheder - Gast-Wissenschaftler am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (24.12.2021): Interview, per Videotelefonie

 Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf , Zugriff 9.12.2022

 Rechtsexperte der ÖB Damaskus [Österreich] (14.9.2022): Antwortschreiben per e-Mail

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 9.12.2022

 Üngör, Uğur Ümit - Professor für Geschichte, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview, per Videotelefonie

 UNHRC - United Nations Human Rights Council (17.8.2022): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic*,*****, https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/regularsession/session51/2022-09-14/A_HRC_51_45_AEV.docx , Zugriff 23.11.2022

(…)

Nordost-Syrien

Letzte Änderung: 29.12.2022

Anm.: Die Rekrutierung von Minderjährigen direkt durch die PKK oder die Revolutionäre Jugend, einem mutmaßlichen Teil der PKK, sowie der Rekrutierung von erwachsenen Freiwilligen, die nicht unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallen, werden hier nicht thematisiert.

Wehrpflichtsgesetz der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“

Mit Stand Juni 2022 ist das Dekret Nr. 3 vom 4.9.2021 weiterhin in Kraft, welches Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren (geboren 1998 oder später) zum "Wehrdienst" in der „Demokratische Selbstverwaltung für Nord und Ostsyrien“ verpflichtet. Das Alter ist nun in allen betreffenden Gebieten dasselbe, während es zuvor je nach Gebiet variierte. Vor dem Dekret Nr. 3 war auch das Alterslimit höher - bis 40 Jahre. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022).

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim Büro für Selbstverteidigungspflicht ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des "Wehrdiensts" dokumentiert wird - z.B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022).

Nach Protesten gab es auch ein temporäres Aussetzen der Wehrpflicht wie z.B. in Manbij im Juni 2021 [Anm.: dazu siehe auch weiter unten]. Ob jemand aus Afrin, das sich nun nicht mehr unter Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet, wehrpflichtig wäre, ist aktuell unklar. Die "Wehrpflicht" gilt nicht für Personen außerhalb des "Selbstverwaltungsgebiets", außer der Betreffende hat mindestens fünf Jahre im "Selbstverwaltungsgebiet" gewohnt (DIS 6.2022).

Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Laut Medienberichten waren insbesondere Lehrer von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen betroffen. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Burschen und Mädchen (AA 29.11.2021). Laut DIS beziehen sich die Berichte von Zwangsrekrutierungen manchmal eher auf den Selbstverteidigungsdienst oder auf andere Gruppen als die SDF (Syrian Democratic Forces) (DIS 6.2022).

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB 29.9.2020). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 29.11.2021), während das Danish Immigration Service nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen dem Militärdienst zu entgehen, laut dem Gesetz zur Selbstverteidigungspflicht durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für den Betreffendne zu finden (DIS 6.2022). Im Fall von Verweigerung aus Gewissensgründen oder im Fall einer Verhaftung wegen Wehrdienstverweigerung erhöht sich der Wehrdienst laut EASO [Anm.: inzwischen in European Union Asylum Agency, EUAA umbenannt] auf 15 Monate. Spät eintreffende Wehrdienstpflichtige müssen einen Monat länger Wehrdienst leisten (EASO 11.2021). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: zur nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts (ÖB 29.9.2020). Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020).

Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem "Wehrdienst" Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Im Ausland (Ausnahme Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).

Ursprünglich betrug die Länge des "Wehrdiensts" sechs Monate, wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert. Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr, und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen (DIS 6.2022). Einer anderen Quelle zufolge dauert der Wehrdienst sechs Monate mit Ausnahme des Zeitraums Mai 2018 bis Mai 2019, als dieser zwölf Monate umfasste (EASO 11.2021). In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je Gebiet entschieden wird, z.B. die Verlängerung um einen Monat im Jahr 2018 wegen der Lage In Baghouz. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Auch nach Angaben der Vertretung der "Selbstverwaltung" gab es auch Fälle, in welchen Personen der Wehrdienst um einige Monate verlängert wurde (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem IS-Befreiungsversuch mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z.B. bei den Kämpfen gegen den sogenannten Islamischen Staat von 2016-2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten "Wehrdienst" gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Proteste gegen die "Wehrpflicht"

Das Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht" stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung, insbesondere bei vielen jungen Männern, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021). Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).

Militärdienst von Frauen und Minderjährigen

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] (AA 29.11.2021; vgl. DIS 6.2022) oder in den Selbstverteidigungseinheiten leisten (DIS 6.2022). Es gibt Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 29.11.2021; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Zu Anfang 2022 gab es noch einige Minderjährige in den SDF, trotz früherer Entlassungen von Minderjährigen und Bemühungen deren Aufnahme zu unterbinden. Wie es zu Rekrutierungen, bzw. möglichen Zwangsrekrutierungen, von Minderjährigen für die SDF kommt, gibt es verschiedene Erklärungen (DIS 6.2022).

Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst

Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Am 14.4.2022 besetzten die SDF und die Asayish für einen Tag die Verwaltungseinrichtungen, was Berichten zufolge eine Reaktion auf die Belagerung des kurdischen Stadtteils Sheikh Maqsoud in Aleppo durch das Regime war (DIS 6.2022).

Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) in der Lage ist, zu rekrutieren, jedoch nicht in allen Gebieten. Die syrische Regierung ist nach wie vor in einigen von der AANES kontrollierten Gebieten präsent und kann dort rekrutieren, wo sie über eine Präsenz im Sicherheitsdistrikt oder muraba'a amni im Zentrum der Gouvernorate verfügt, wie in Qamishli oder in Deir ez-Zor. In einigen Gebieten wie Afrin hat die syrische Regierung jedoch keine Kontrolle und kann dort keine Personen einberufen. Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die Syrische Arabische Armee eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 9.12.2022

 BMLV – Militärexperte des Bundesministeriums für Landesverteidigung (12.10.2022): Antwortschreiben Version 2 (Stand 16.9.2022)

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/ , Zugriff 9.12.2022

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.2022): Syria: Military recruitment in Hasakah Governorate, https://www.ecoi.net/en/file/local/2075255/syria_fmm_rappport_military_recruitment_hasakah_governorate_june2022.pdf , Zugriff 9.12.2022

 EB - Enab Baladi (12.7.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/# , Zugriff 9.12.2022

 EASO – European Asylum Support Office (11.2021): Country Guidance: Syria; Common analysis and guidance note, November 2021 https://www.ecoi.net/en/file/local/2064844/Country_Guidance_Syria_2021.pdf , Zugriff 9.12.2022

 HRW - Human Rights Watch (11.10.2019): Turkey/Syria: Civilians at Risk in Syria Operation, https://www.hrw.org/news/2019/10/11/turkey/syria-civilians-risk-syria-operation , Zugriff 9.12.2022

 NMFA - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation, per E-Mail am 27.8.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 9.12.2022

 Rechtsexperte der ÖB Damaskus [Österreich] (14.9.2022): Antwortschreiben per e-Mail

 Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf , Zugriff 9.12.2022

 UNGASC - United Nations General Assembly (20.6.2019): Report of the Secretary-General [A/73/907-S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf , Zugriff 9.12.2022

Bewegungsfreiheit

BEWEGUNGSFREIHEIT INNERHALB SYRIENS

Letzte Änderung: 09.08.2022

Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 12.4.2022). Landesweit wurden zahlreiche Checkpoints eingerichtet. Überlandstraßen und Autobahnen werden zeitweise gesperrt (BMEIA 5.4.2022). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land (AA 5.4.2022). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile von einander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte "Versöhnungskarte" vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Listen. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019).

Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019), bzw. ziemlich willkürlich, sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). In den Gebieten des Regimes verlangen die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste für eine sichere Passage durch ihre Checkpoints Bestechungsgeld. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben. Die ungefähr fünf Kontrollpunkte werden von verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats betrieben. Rückkehrende aus dem Libanon bezahlen Schmuggler, um die Checkpoints zu umgehen (HRW 20.10.2021).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken waren abgeschnitten (COAR 5.7.2021 - für nähere Informationen siehe Unterkapitel "Südsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage").

Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. Die HTS greift systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein und schreibt ihnen die Begleitung durch einen "mahram", einem nahen männlichen Verwandten, in der Öffentlichkeit vor (USDOS 12.4.2022).

Anm.: Informationen zu Zugangsbeschränkungen zu Herkunftsgebieten siehe Kapitel "Rückkehr".

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.4.2022): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung Stand - 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 31.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 5.4.2022

 BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.4.2022): Syrien (Arabische Republik Syrien) Stand 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 24.03.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/syrien/ , Zugriff 5.4.2022

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (5.7.2021): Dar’a Siege: Russia Abouts Face, Amps up Pressure, https://coar-global.org/2021/07/05/dara-siege-russia-abouts-face-amps-up-pressure/ , accessed 27.9.2021

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (9.2019): Syria - Access to Damascus Province for Individuals from Former Rebel-held Areas, https://www.ecoi.net/en/file/local/2017468/COI_report_Syria_Access+to+Damascus+Province_sept_2019.pdf , Zugriff 8.9.2020

 DIS/DRC - Danish Immigration Service [Dänemark] / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 8.9.2020

 FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 HRW - HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): 'Our Lives Are Like Death'; Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062564/syria1021_web.pdf , Zugriff 5.4.2022

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020

 UNSC - United Nations Security Council (23.10.2018): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017) and 2401 (2018) [S/2018/947], https://www.ecoi.net/en/file/local/1450109/1226_1542035101_n1833353.pdf , Zugriff 8.9.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 8.8.2022

EIN- UND AUSREISE, SITUATION AN GRENZÜBERGÄNGEN

Letzte Änderung: 09.08.2022

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet, verweigern. Die Kosten für einen Reisepass von 800 bis 2.000 USD macht diesen für viele unerschwinglich. Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 12.4.2022). Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt: Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib ist die Lage weiterhin fragil, und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 31.3.2022).

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Seit 1.8.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von 100 USD pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt (ÖB 1.10.2021). Das stellt ein weiteres Hindernis für eine Rückkehr dar. Fälle, bei denen Rückkehrende am Grenzübergang Nasib nicht den Betrag in syrischen Pfund ausgehändigt bekamen, sind von Human Rights Watch dokumentiert. Anfang April 2021 wurden Vertriebene von der Zahlung ausgenommen (HRW 20.10.2021).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 12.4.2022).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen. Dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017) [Anm.: Für weitere Informationen zu Einreisemöglichkeiten in Nachbarländer siehe Abschnitt „Bewegungsfreiheit“ und die jeweiligen LIBs zu Libanon und Jordanien, den einzigen Nachstaaten, welche ebenfalls Mandatsgebiet von UNRWA sind [Dort finden sich auch Informationen, aus denen hervorgeht, dass ein legale Umsiedlung von staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien nicht vorgesehen ist, und auch eine etwaige UNRWA-Registrierung nicht zu einer Legalisierung des Aufenthalts oder etwa zu einem gesicherten, dauerhaften Aufenthaltsrecht führt, wie das seit Oktober 2012 geltende Einreiseverbot Jordaniens für Palästinenser illustriert].

Infolge der COVID-19-Pandemie verfügte Maßnahmen wurden bereits wieder sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien gelockert. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020), ist aber weiterhin reduziert (BMEIA 5.4.2022). Der Flughafen Damaskus und Grenzübergänge werden regelmäßig unter Angabe drohender Gewalt als Begründung geschlossen (USDOS 12.4.2022).

Weitere Informationen siehe Kapitel "Rückkehr".

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.3.2022): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung, Stand - 31.03.2022 (Unverändert gültig seit: 03.03.2022), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 28.9.2021

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 BMeiA - Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten (5.4.2022): Syrien (Arabische Republik Syrien) Stand 05.04.2022 (Unverändert gültig seit: 24.03.2022), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/syrien/ , Zugriff 5.4.2022

 BMEIA – Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.9.2020): Syrien - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/syrien/ , Zugriff 14.9.2020

 FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (7.2020): COVID-19 and the Syrian Regime, An Opportunity to tighten its authoriarian control over society, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/beirut/16329-20200708.pdf , Zugriff 14.9.2020

 HRW - HRW – Human Rights Watch (20.10.2021): 'Our Lives Are Like Death'; Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2062564/syria1021_web.pdf , Zugriff 5.4.2022

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 13.1.2022

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 8.8.2022

(…)

Rückkehr

Letzte Änderung: 29.12.2022

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen [Anm.: Siehe weiter unten für weitere Informationen zu Sicherheitsüberprüfungen!], Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Einem Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, welche das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Offiziell gibt der Staat zwar vor, Syrer zur Rückkehr zu ermutigen, aber insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als "Verräter" angesehen. Aus Sicht des syrischen Staates ist es besser, wenn diese im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für Präsident al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo hat der syrische Staat laut einem befragten Syrien-Experten jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021). Das Regime will Rückkehrer mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021).

Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften gegenüber Rückkehrenden, die sich in verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassten Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).

Hindernisse für die Rückkehr

Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).

Die katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 1.10.2021). Mangel an Wohnraum und Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.2.2022). Viele Menschen haben ihre Häuser zurückgelassen, die mittlerweile von jemandem besetzt wurden. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst (mukhabarat) auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021).

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung gesehen als Leute, die davon gelaufen sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021; vgl. Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich "sauber" sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021). Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).

Neben den fehlenden sozio-ökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB 1.10.2021). Die Meinungen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern sind uneinheitlich. Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, da es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat auf Social Media), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen nicht sehr ernst oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021). Laut dem Syrien-Experten Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein "erweitertes Syrien", und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021). Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als "Krankheitserreger" sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut dem syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021). Laut dem Nahost-Experten Fabrice Balanche kann man, wenn man Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht zurückkommen, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für politische Flüchtlinge. Auch besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil, um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021). Laut Khaddour sind Entführungen, um Geld zu erpressen, nur individuelle Akte (Khaddour 24.12.2021).

Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Rakka, Deir Ez-Zor). Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 % der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben. Zwei Drittel der Überlebenden sind lebenslang eingeschränkt. 39 % der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 % auf landwirtschaftlichen Flächen, 10 % auf Straßen oder am Straßenrand. 26 % der Opfer seit 2019 waren Binnenvertriebene IDPs (ÖB 1.10.2021).

Die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums lässt sich weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus als Indikator beschränken, noch ist ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen können nach geografischen Kriterien daher weiterhin nicht getroffen werden. Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann nach Einschätzung des Auswärtigen Amts insofern für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden (AA 29.11.2021). UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (UNHCR 6.2022).

Für weitere Informationen siehe auch Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".

Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern

Es besteht nach wie vor kein freier und ungehinderter Zugang UNHCRs und anderer Menschenrechtsorganisationen zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist (AA 29.11.2021; vgl. DIS 5.2022). Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen bei der Rückkehr ist es unklar, wie systematisch und weit verbreitet Übergriffe gegen Rückkehrer sind. Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt zur Abwesenheit eines klaren Musters bei (DIS 5.2022).

Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder auch nur mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Die syrische Regierung und ihr Sicherheitsapparat haben immer wieder Personen verfolgt, die sich abweichend oder oppositionell geäußert haben, unter anderem durch willkürliche Inhaftierung, Folter und Schikanen gegen Kritiker und ihre Angehörigen. Trotz Amnestien und gegenteiliger Erklärungen hat die syrische Regierung bisher keine Änderung ihres Verhaltens erkennen lassen. Selbst dort, wo Einzelpersonen von der Regierung Sicherheitsgarantien erhalten haben, kam es zu Übergriffen. Jeder, der aus dem Land geflohen ist oder sich gegen die Regierung geäußert hat, läuft Gefahr, als illoyal angesehen zu werden, was dazu führen kann, dass er verdächtigt, bestraft oder willkürlich inhaftiert wird (COAR/HRW/HBS/JUSOOR 19.4.2021).

Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter der Willkür des Kontrollpersonals oder praktischen Problemen wie eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehört medizinisches Personal zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, insbesondere wenn es in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet hat. Dies gilt auch für Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell für Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der NGO International Crisis Group (ICG) berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020). Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauerten. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Buben und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).

Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021).

Rückkehr an den Herkunftsort

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-konfessionelle, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Regionen kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).

Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021). Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020). Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020).

Übereinstimmenden Berichten der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen (UNHCR, Human Rights Watch, Enab Baladi, The Syria Report) sowie Betroffenen zufolge finden Verstöße gegen Wohn,- Land- und Eigentumsrechte (Housing, Land and Property – HLP) seitens des Regimes fortgesetzt statt. Die Rechte der Zivilbevölkerung auf Zugang und Nutzung ihres Eigentums werden durch Konfiszierung, Enteignung, Zerstörung oder Zwangsverkauf, zum Teil mit gefälschten Dokumenten, verletzt. Seit 2011 wurden mehr als 50 neue Gesetze und Verordnungen zur Stadtplanung und -entwicklung erlassen, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Die Sicherheitsbehörden bzw. regimetreue Milizen verweigern den Vertriebenen, oft als regimekritisch oder oppositionsnah angesehenen Bevölkerung, die Rückkehr an ihre Ursprungsorte (AA 29.11.2021). Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs konfrontieren für Rückkehrer mit schweren Zerstörungen, der Herrschaft regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Vor zwei Jahren haben die syrischen Behörden begonnen, ehemaligen Bewohnern die Rückkehr nach Yarmouk zu erlauben, wenn diese den Besitz eines Hauses nachweisen können und eine Sicherheitsfreigabe besteht. Bislang sollen allerdings nur wenige zurückgekommen sein. UNRWA dokumentierte bis Juni 2022 die Rückkehr von rund 4.000 Personen, weitere 8.000 haben im Laufe des Sommers eine Rückkehrerlaubnis bekommen (zur Einordnung: Vor 2011 lebten rund 1.2 Millionen Menschen in Yarmouk, davon 160.000 Palästinenser) (TOI 17.11.2022). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020). Viele kehren aus Angst vor Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht zurück, oder, da sie keine Häuser mehr haben, in die sie zurückkehren könnten. Die Rückkehrer kämpfen laut UNRWA mit einem "Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, begrenzten Transportmöglichkeiten und einer weitgehend zerstörten öffentlichen Infrastruktur" (TOI 17.11.2022).

Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019). So berichtet UNHCR von einer "sehr begrenzten" und "abnehmenden" Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück und davon handelte es sich bei 94% um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022).

Weitere Informationen zu Enteignungen und der Wohnraumsituation finden sich im Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft" im Abschnitt "Wohnsituation und Enteignungen".

Bedingungen der Rückkehr

Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt - auch bei den Flüchtlingen selbst. Da Präsident al-Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).

Administrative Verfahren der syrischen Behörden für Rückkehrer

Die syrische Regierung bietet administrative Verfahren an, die Rückkehrwillige aus dem Ausland oder aus von der Opposition kontrollierten Gebieten vor der Rückkehr in durch die Regierung kontrollierte Gebiete durchlaufen müssen, um Probleme mit der Regierung zu vermeiden. Im Rahmen dieser Verfahren führen die syrischen Behörden auf die eine oder andere Weise eine Überprüfung der Rückkehrer durch. Während des als "Sicherheitsüberprüfung" (arabisch muwafaka amniya) bezeichneten Verfahrens wird der Antragsteller mit Fahndungslisten verglichen. Beim sogenannten "Statusregelungsverfahren" (arabisch: taswiyat wade) beantragt ein Antragsteller, wie es in einigen Quellen heißt, "Versöhnung", sodass sein Name von den Fahndungslisten der syrischen Behörden gestrichen wird (DIS 5.2022).

Sicherheitsüberprüfungen vor der Rückkehr sowie inoffizielle Schutzversprechen

Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht [Anm.: Siehe weiter unten für Informationen über verschiedene Behördengänge in Syrien, welche eine Sicherheitsfreigabe erfordern!] (AA 19.5.2020). Gemäß einem Rechtsexperten der ÖB Damaskus hat prinzipiell jeder syrische Staatsbürger das Recht, sich auf dem syrischen Staatsgebiet zu bewegen sowie es zu verlassen und darf gemäß Artikel 38 der syrischen Verfassung von 2012 nicht an der Rückkehr gehindert werden. Daraus folgt, dass von syrischen Staatsbürgern vor ihrer Rückkehr keine Sicherheitsfreigabe verlangt wird, oder sie um eine solche ansuchen müssen. Der Konflikt hat die Sicherheitsfreigabe jedoch ins Zentrum gerückt. Viele syrische Staatsbürger haben die Rückkehr nach Syrien erwägt, fürchten allerdings, von den syrischen Behörden verhaftet zu werden. Darüber hinaus haben die Vereinten Nationen und die EU die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen nur unterstützt, wenn dies freiwillig geschieht und Syrien als sicher gelten kann. Darauf basierend, und da die syrische Regierung auch bestrebt war, zu zeigen, dass Syrien sicher ist und für die Rückkehr von Flüchtlingen offen steht, damit diese am Wiederaufbau des Landes teilnehmen, hat die syrische Regierung zur Erleichterung der Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien zugestimmt, in manchen Fällen bekannt zu geben, ob jemand gemäß ihrer Aufzeichnungen in Syrien gesucht wird. Dies ist bei der freiwilligen Rückkehr von Gruppen von Syrern aus dem Libanon der Fall, erleichtert durch die Kooperation des "General Security Office (GSO)" [Libanesischer Nachrichtendienst, der auch für die Überwachung von ausländischen Staatsbürgern im Libanon zuständig ist.] im Libanon mit den syrischen Behörden. D.h., bei der Teilnahme an einer GSO-unterstützten Rückkehr führt das GSO akkordiert mit den syrischen Behörden eine Sicherheitsüberprüfung durch und leitet die persönlichen Daten der Rückkehrer an die syrischen Behörden weiter. Letztere informieren das GSO dann darüber, welche Personen eine Sicherheitsfreigabe erhalten haben. Eine ähnliche Vorgehensweise wurde auch bei individuellen Rückkehrern aus Jordanien vermerkt: Rückkehrer müssen hierzu bei der syrischen Botschaft in Amman um eine Sicherheitsfreigabe ansuchen. Laut einer in Syrien tätigen Menschenrechtsorganisation überprüfen die syrischen Behörden bei der Sicherheitsüberprüfung Informationen über den Antragsteller, Familienmitglieder und eventuell auch seine erweiterte Familie. Das syrische Außenministerium ermöglichte im Rahmen des letzten Amnestiegesetzes (Gesetzesdekret Nr. 7/2022 vom 30.4.2022), welches alle von syrischen Staatsbürgern vor dem 30.4.2022 verübten terroristischen Verbrechen ohne Todesopfer miteinschließt, dass syrische Staatsbürger im Ausland durch die diplomatischen Vertretungen überprüft werden, ob sie unter das Amnestiegesetz fallen. Die betroffenen Personen müssen bei der syrischen Botschaft ihres Wohnorts erscheinen und einen gesonderten Antrag ausfüllen. Die syrische Botschaft leitet den Antrag dann an das Außenministerium weiter, das eine Liste mit den persönlichen Daten der Antragsteller vorbereitet und sie an das syrische Innenministerium weiterleitet. Letzteres gleicht die Namen auf der Liste mit einer zentralen Datenbank ab, um zu überprüfen, ob eine Person Verbindungen zu "terroristischen" Gruppierungen hat (Rechtsexperte 27.9.2022).

Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Laut Mohamad Rasheed braucht jeder, der nach Syrien zurückkehren will, eine Sicherheitsüberprüfung, selbst Eltern von Personen, die für das syrische Regime arbeiten (Rasheed 28.12.2021). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der ICG stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete dem DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Laut Fabrice Balanche brauchen Personen, die kein politisches Asyl und keine Probleme mit dem Regime haben auch keine Sicherheitsüberprüfung, sondern nur jene, die auf einer Liste gesuchter Personen stehen. Um diese Überprüfung durchzuführen, bezahlt man die zuständige Behörde (z.B. syrische Botschaft, Grenzbeamte an der Grenze zwischen Syrien und Libanon, syrische Behörden im Heimatort in Syrien), um zu überprüfen, ob der eigene Name auf einer Liste steht. Es sind jedoch viele Fälle bekannt, bei denen Personen inhaftiert wurden, die offiziell nicht vom Regime gesucht wurden, und die Sicherheitsüberprüfung gemacht hatten, zum Teil um Geld zu erpressen (Balanche 13.12.2021). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, auch wurde von vereinzelten Todesfällen in Haft berichtet (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021, HRW 20.10.2021).

Die Herkunftsregion spielt eine große Rolle für die Behörden bei der Behandlung von Rückkehrern, genauso wie die Frage, was die Person in den letzten Jahren gemacht hat. Syrer aus Homs, Deir iz-Zor oder Ost-Syrien werden dabei eher verdächtigt als Personen aus traditionell regierungstreuen Gebieten (Khaddour 24.12.2021). Besonders Gebiete, die ehemals unter Kontrolle oppositioneller Kräfte standen (West-Ghouta, Homs, etc.) stehen seit der Rückeroberung durch das Regime unter massiver Überwachung und der syrische Staat kontrolliert genau, wer dorthin zurückkehren darf. Es kann also besonders schwierig sein, für eine Rückkehr in diese Gebiete eine Sicherheitsüberprüfung zu bekommen und falls man diese erhält und zurückkehrt, wird man den Sicherheitsbehörden berichten müssen (Üngör 15.12.2021).

Mehrere Experten gehen davon aus, dass es vor allem auf die informelle Sicherheitsgarantie ankommt. Der sicherste Schutz vor Inhaftierung ist es, ein gutes Netzwerk bzw. Kontakte zum Regime zu haben, die einem im Notfall helfen können. Man muss jemanden in der Politik oder vom Geheimdienst haben, den man um Schutz bittet (Balanche 13.12.2021; vgl. Khaddour 24.12.2021, Rechtsexperte 27.9.2022). Laut Kheder Khaddour wird der offizielle Weg zur Rückkehr kaum genutzt, nicht nur weil er sehr langwierig ist, sondern auch weil niemand Vertrauen in die Institutionen hat. Nur bekannte Oppositionspersonen müssen den offiziellen Weg gehen, dieser Prozess bringt aber keine Garantie mit sich. Daher muss zusätzlich auch immer eine informelle Sicherheitsgarantie über persönliche Kontakte erlangt werden, wenn jemand zurückkehren will. Wenn jemand auf einer schwarzen Liste aufscheint, muss er seinen Namen bereinigen lassen. Dies geschieht meist durch Bestechung (Khaddour 24.12.2021).

"Versöhnungsanträge", Statusregelungsverfahren

Das Regime hat einen Mechanismus zur Erleichterung der "Versöhnung" und Rückkehr geschaffen, der als "Regelung des Sicherheitsstatus" (taswiyat al-wadaa al-amni) bezeichnet wird. Das Verfahren beinhaltet eine formale Klärung mit jedem der vier großen Geheimdienste und eine Überprüfung, ob die betreffende Person alle vorgeschriebenen Militärdienstanforderungen erfüllt hat. Einzelne Personen in Aleppo berichteten jedoch, dass sie durch die Teilnahme am "Versöhnungsprozess" einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden (ICG 9.5.2022). Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. "wasta") herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).

Rückkehrverweigerungen

Die Regierung verweigert oft manchen Bürgern die Rückkehr, während andere Syrer, die in die Nachbarländer flohen, die Vergeltung des Regimes im Fall ihrer Rückkehr fürchten (USDOS 12.4.2022). Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5 % (SD 16.1.2019), 10 % (Reuters 25.9.2018), 20 % (Qantara 2.2.2022) oder bis zu 30 % (ABC 6.10.2018) geschätzt. Das Regime fördert nicht die sichere, freiwillige Rückkehr in Würde, eine Umsiedlung oder die lokale Integrations von IDPs. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 12.4.2022). Einige Beobachter und humanitäre Helfer geben an, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019).

Syrische Flüchtlinge müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Weitere im Fall einer Rückkehr benötigte behördliche Genehmigungen

Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).

Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).

Umsetzung und Rechtssicherheit

Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass die Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung für Betroffene wie Dritte extrem komplex bis unmöglich ist. Rückkehrende sehen sich mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert. Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen. Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass eine positive Sicherheitsüberprüfung keine Garantie für eine sichere Rückkehr ist. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (system-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits auch dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiären Verbindungen zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Vergleichbare Menschenrechtsverletzungen und Repressionen durch lokale Akteure wurden im Berichtszeitraum, absolut betrachtet in geringerem Umfang, auch in Nicht-Regimegebieten dokumentiert. Unverändert besteht somit in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen und Rückkehrende. Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (AA 29.11.2021)

Exilpolitische Aktivitäten, bzw. nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung über im Ausland lebende Syrer und Syrerinnen

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).

Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines "Taqrir" (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).

Das im April 2022 erlassene "Cyber-Kriminalitätsgesetz" (Nr. 20/2022) hat die Definition von "Internetverbrechen" ausgeweitet (TIMEP 5.10.2022) und sieht harte Strafen für das Verfassen, Kommentieren, Teilen oder Erwähnen von Online-Beiträgen vor, die vorgeblich das Prestige des syrischen Staates beschädigen, die nationale Einheit gefährden oder eine negative öffentliche Meinung schüren (TAW 17.5.2022).

Syrische Rückkehrende aus Libanon, Jordanien und der Türkei

Im November 2022 wurde die syrische Bevölkerung auf 21,6 Millionen Menschen geschätzt (CIA 15.11.2022). Im Jahr 2021 registrierte UNOCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) etwa 456.000 Binnenvertriebene in Syrien, im Jahr 2022 bis einschließlich August rund 131.000. Demgegenüber kehrten 2021 rund 169.000 Binnenvertriebene zurück, im Zeitraum Jänner-August 2022 waren es rund 80.000 (UNOCHA 7.10.2022). Mitte November 2022 waren 5.534.620 Personen als syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens und Nordafrikas registriert. Nach Angaben des UNHCR kehrten im Jahr 2022 (bis einschl. Oktober) insgesamt rund 43.000 Flüchtlinge nach Syrien zurück, im Jahr 2021 waren es rund 36.000 (UNHCR 17.11.2022). Weder Binnenvertriebene noch Flüchtlinge sind unbedingt in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Abb.: Anzahl der selbstorganisiert Rückkehrenden im Zeitverlauf 2016-10.2022 laut UNHCR

UNHCR 17.11.2022

Am 5.11.2022 erfolgte die zweite große Rückkehraktion nach Syrien, die die libanesischen Behörden als freiwillige Rückkehr reklamieren. - Etwa 350 Personen wurden zur syrischen Grenze gebracht. Am 26.10.2022 waren bereits etwa 500 Personen auf diese Weise außer Landes verbracht worden. Seit 2018 gibt es immer wieder Versuche, zahlreiche syrische Staatsangehörige zur Rückkehr zu bewegen. Hierbei wird eine weite Palette von Druckmitteln eingesetzt, die internationale Beobachter an der Freiwilligkeit vieler der berichteten Rückreisen zweifeln lässt. Die beiden Aktionen im Oktober und November 2022 sind die ersten derartigen Verbringungen seit über zwei Jahren. Die Krise im Libanon hat allerdings nachweislich zu freiwilligen Rückkehrbewegungen von Syrern und Syrerinnen geführt. Syrische Flüchtlinge im Libanon sind im Regelfalle den Folgen des ökonomischen Zusammenbruchs des Landes stärker ausgesetzt als libanesische Staatsangehörige, da sie zu vielen Dienstleistungen keinen Zugang haben und ihnen der Arbeitsmarkt nur sehr begrenzt legal zur Verfügung steht. Libanon ist kein Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention (BAMF 7.11.2022). Eine kleine Zahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Vereinbarungen nach Syrien zurückgekehrt, die jedoch nicht vom UNHCR überwacht werden. Einige Flüchtlinge erklärten, sie kehrten wegen der strikten Politik und der sich verschlechternden Bedingungen im Libanon zurück, nicht weil sie Syrien für sicher hielten. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen ohne Rechtsgrundlage und ohne ordnungsgemäßes Verfahren gewaltsam vertrieben. Zehntausende sind weiterhin von Vertreibung bedroht (HRW 17.1.2019). Die libanesischen Statistiken weisen darauf hin, dass Syriens Sicherheitsapparat bisher lediglich 20 % der AntragstellerInnen für eine Rückkehr aus dem Libanon eine Heimkehrerlaubnis gewährt hat (Qantara 2.2.2022).

Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 1.10.2019; vgl. SD 6.5.2020), ist aufgrund der Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien bisher nur eine geringe Zahl von Syrern nach Syrien zurückgekehrt (SD 6.5.2020). Im Jahr 2021 normalisierten mehrere Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien trotz der Menschenrechtsverletzungen in Syrien ihre Beziehungen zum syrischen Regime. Dabei wurden Kooperationszusagen gemacht, welche die Frage einer verfrühten Rückkehr von Flüchtlingen und das eventuelle Ermöglichen von Menschenrechtsverletzungen aufwarfen (HRW 13.1.2022).

Die Türkei beherbergt mit Stand 17.11.2022 3.585.447 Millionen syrische Flüchtlinge (UNHCR 17.11.2022). Im Juli 2019 änderte sich die Haltung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Die türkischen Sicherheitskräfte begannen, syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben, und sie in die türkischen Provinzen zurückzuschicken, in denen sie registriert waren. Sie fingen damit an, einige von ihnen abzuschieben, und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). NGO-Berichten zufolge haben die türkischen Behörden immer wieder Flüchtlinge inhaftiert, und sie gezwungen, "freiwillige" Rückkehrdokumente zu unterschreiben, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020). Auch die Organisation Syrians for Truth and Justice erhob in ihrem jüngsten Bericht vom Februar 2022 ebenfalls diesen Vorwurf (STJ 14.2.2022).

Für nähere Informationen siehe auch COI-CMS-LI Türkei, Kapitel "Binnenvertriebene und Flüchtlinge" sowie zur völkerrechtswidrigen Verbringung von syrischen Gefangenen in die Türkei und deren dortige Verurteilung siehe Kapitel "Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland".

Syrische Rückkehrende aus Europa

Die verfügbaren Informationen über Syrer, die aus Europa nach Syrien zurückkehren, sind begrenzt (Rechtsexperte 14.9.2022, DIS 5.2022). Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück. Im selben Jahr suchten zehn Syrer bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr nach Syrien an. In Dänemark leben rund 35.000 Syrer und Syrerinnen, in den Niederlanden ca. 77.000 (EASO 6.2021). Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 Syrer mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück (Daily Sabah 15.6.2020). Die meisten syrischen Flüchtlinge in der EU erwägen nicht, in (naher) Zukunft nach Syrien zurückzukehren, wie Umfragen aus verschiedenen europäischen Staaten illustrieren. Diejenigen, die nicht nach Syrien zurückkehren wollten, wiesen auf verschiedene Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter das Fehlen grundlegender Dienstleistungen (wie Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit) und die derzeitige syrische Regierung, die an der Macht geblieben ist (Rechtsexperte 14.9.2022).

Quellen:

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2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit der BF ergeben sich aus ihren Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren.

 

Das Datum der Antragstellung auf internationalen Schutz und der Umstand, dass der BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ergeben sich aus der Aktenlage.

 

Die Feststellungen zur Herkunft der BF und zu ihrer Schulbildung basieren auf ihren Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren.

 

Die Feststellungen zur Gebietskontrolle im Herkunftsgouvernement der BF (Hasaka) ergeben sich aus den festgestellten Länderinformationen und aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com [zuletzt eingesehen am 31.01.2023].

 

2.2. Dass die BF gesund ist, ergibt sich aus ihren eigenen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.11.2021, wonach es ihr (gesundheitlich) sehr gut gehe, sie weder zum Arzt gehe, noch Medikamente einnehme. Gesundheitliche Probleme wurden auch im Beschwerdeschriftsatz nicht geltend gemacht.

 

Dass die BF in Syrien nicht persönlich bedroht oder verfolgt wurde, brachte sie im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vor, zumal sie auf die Frage: „Wurden Sie in Syrien persönlich bedroht oder verfolgt?“ antwortete: „Ich persönlich nicht. Es gibt überall Krieg und keine Sicherheit.“ Auch im Beschwerdeschriftsatz wurde dieses Vorbringen sinngemäß wiederholt, indem ausgeführt wird, die BF habe dargelegt, keine individuelle Bedrohung erfahren zu haben, sodass dies den Feststellungen zugrunde gelegt werden konnte. Wie vom BFA zutreffend erwähnt wurde, deckt sich dies auch mit den Angaben der BF vor dem BFA, wonach sie verneinte, Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt zu haben und in Haft gewesen oder festgenommen worden zu sein.

 

Die Negativfeststellung betreffend eine Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr wegen der behaupteten Suche syrischer Behörden nach dem Mann oder dem Sohn der BF, beruht auf folgenden Erwägungen:

 

Wie vom BFA bereits im angefochtenen Bescheid erwähnt, sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die BF in Syrien unmittelbaren und/oder mittelbaren staatlichen Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention im Falle der Rückkehr ausgesetzt wäre. Die BF berief sich bezüglich der behaupteten Suche nach ihrem Mann auf keine eigenen Wahrnehmungen, sondern darauf, dass ihr Mann es ihr erzählt habe (siehe Seite 6 der Niederschrift über die Einvernahme vor dem BFA am 29.11.2021). Wie sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX betreffend den Mann der BF ergibt, vermochte ihr Mann die behauptete Unterstützung eines Neffen bei der Desertion vom Militärdienst nicht glaubhaft machen und wurde hierzu ausgeführt:

 

„2.4. Dass der BF nicht ins Blickfeld der syrischen Behörden gelangt ist bzw. nicht von diesen gesucht wird, ergibt sich aus einer Zusammenschau seines diesbezüglichen Vorbringens mit den vorliegenden Länderberichten.

 

Wie vom BFA im angefochtenen Bescheid dargelegt, behauptete der BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.11.2021, gesucht zu werden, weil er „Leuten geholfen“ habe, vom Militär zu desertieren. In Übereinstimmung mit dem BFA erachtet auch das Bundesverwaltungsgericht dieses Vorbringen des BF als nicht glaubhaft. Die diesbezüglichen Angaben des BF sind vage, wenig detailreich und allgemein gehalten, sodass sie nicht glaubwürdig erscheinen. So vermochte der BF den Namen der Person, von welcher er bei den Behörden gemeldet worden wäre, und auch von jener Person, von welcher er erfahren habe, dass er auf der Liste stehe, nicht anzugeben und beschränkte sich auf vage Angaben: „Ich hatte Angst, weil es üblich war, dass man auf eine Liste kommt. Es wurde darüber allgemein gesprochen.“ Darüber hinaus wurde im angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass der BF keine gleichbleibenden Angaben zu seinem Vorbringen erstattete, zumal er in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA zunächst angab, einer habe ihm gesagt, dass er (der BF) auf der Liste stehe, in weiterer Folge aber (bloß) seine Angst, auf der Liste zu stehen, geltend machte („Ich hatte Angst, weil es üblich war, dass man auf eine Liste kommt. Es wurde darüber allgemein gesprochen.“). Auch die Frage, ob er persönlich bedroht oder verfolgt worden sei, verneinte der BF und bezog sich erneut auf seine Angst, auf der Liste zu stehen: „Persönlich nicht, aber es war die Angst, dass ich auf der Liste war“. Darüber hinaus erwähnte der BF anlässlich seiner Erstbefragung am 15.03.2021 nicht einmal ansatzweise, dass er seinem Neffen bei der Desertion geholfen hätte, sodass das erst im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme erstattete und vage gehaltene Vorbringen auch vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft erscheint. Hierbei wird nicht verkannt, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof gleichwohl betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Wie vom BFA im angefochtenen Bescheid dargelegt, mangelt es auch an einem zeitlichen Konnex zwischen der behaupteten Unterstützung beim Desertieren des Neffen, zumal sich der Vorfall laut Vorbringen des BF am Anfang des Jahres 2019 ereignet haben und der BF (erst) mehrere Monate danach sein Heimatdorf verlassen haben soll. Als Grund für das Verlassen des Heimatdorfes, führte der BF zwei Mal in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA die schlechte Sicherheitslage an („Das Dorf wurde gestürmt und ich bin mit meiner Familie (Ehefrau und Sohn XXXX ) in mehrere benachbarte Dörfer gezogen.“ und „Auf der einen Seite von unserem Dorf ist die freie syrische Armee gekommen und auf der anderen Seite war die Regierungsarmee. Wir waren mitten in der Schusslinie. Meine Ehefrau, mein Sohn und ich sind daher aus dem Dorf geflohen.“), eine Suche nach ihm aufgrund der behaupteten Unterstützung seines Neffen beim Desertieren führte er jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht ins Treffen. In einer Gesamtschau dieser Erwägungen und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beweiswürdigung des BFA im Beschwerdeschriftsatz nicht konkret entgegengetreten wurde, konnte der BF die behauptete Unterstützung eines Neffen bei der Desertion vom Militärdienst nicht glaubhaft machen.“

 

Aus diesem Grund vermag auch im Hinblick auf die von der BF geäußerte Angst, weil ihr Mann einem Neffen geholfen habe, vom Militär zu desertieren, keine Verfolgungsgefahr für sie aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie ihres Mannes erkannt werden.

 

Auch im Hinblick auf die behauptete Suche nach dem Sohn XXXX ist keine maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr für die BF als Familienangehörige zu erblicken und wurde eine Verfolgungsgefahr für die Person der BF auch nicht konkret von ihr behauptet. Hierzu ist zunächst auf die Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , betreffend den Mann der BF zu verweisen:

 

„Im Hinblick auf das weitere Vorbringen des BF, sein Sohn XXXX werde auch gesucht, ist festzuhalten, dass angesichts der obigen Ausführungen Zweifel an diesen Angaben des BF angebracht sind. Zudem erwähnte der BF dies erst auf die Frage, warum er nach Österreich gekommen sei, obwohl er in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA bereits zuvor ausführlich zu seinen Flucht- und Asylgründen befragt worden war und auf die Frage, ob er noch etwas Wichtiges mitteilen wolle, angegeben hatte: „Ich habe alles gesagt“. Diesem Sohn des BF wurde mit Bescheid des BFA vom 17.01.2022 der Status des Asylberechtigten zuerkannt, nachdem er vorgebracht hatte, einerseits zum syrischen Heer einrücken, andererseits bei den Kurden mitkämpfen zu müssen, weil er im wehrfähigen Alter sei. Es ergibt sich aber weder aus dessen Vorbringen in der Erstbefragung noch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, dass er gesucht werde, vielmehr verneinte dieser Sohn des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.11.2021, in Syrien persönlich bedroht oder verfolgt worden zu sein. Vor diesem Hintergrund gelingt es dem BF nicht aufzuzeigen, dass er als Familienangehöriger im Hinblick auf seinen Sohn XXXX ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten wäre.“

 

Auch wenn nicht verkannt wird, dass nach den vorliegenden Länderinformationen die Schwelle, um von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist und dass Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden, können Repressalien gegenüber Familienmitgliedern laut Länderberichten insbesondere bei Familien von „high-profile“-Deserteuren vorkommen. Da weder die BF, noch ihr Mann oder ihr Sohn vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten sind und auch keine Anhaltspunkte bestehen, dass der Sohn der BF ein „high-profile“-Ziel für die syrischen Behörden wäre, erscheint es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die BF aufgrund der Wehrdienstentziehung ihres Sohnes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte. Das BFA ging sohin zu Recht davon aus, dass der BF im Falle einer Rückkehr keine unmittelbaren und/oder mittelbaren staatlichen Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würden.

 

2.3. Für die Feststellung, dass der BF im Falle einer Rückkehr keine gezielten Verfolgungshandlungen aufgrund einer ihr unterstellten oppositionellen Gesinnung wegen ihrer illegalen Ausreise oder wegen ihrer Rückkehr aus Europa drohen, waren folgende Erwägungen ausschlaggebend:

 

Wie bereits erwähnt wurde, wurde die BF in Syrien nicht persönlich bedroht oder verfolgt und es ist auch nicht ersichtlich, dass sie bereits in das Blickfeld der syrischen Behörden gelangt wäre (siehe dazu Punkt 2.2.). Eine illegale Ausreise aus Syrien hatte nur früher eine Haftstrafe und/oder eine Geldbuße zur Folge und derartige Strafen wurden im Jahr 2019 aufgehoben (siehe Seite 201 der aktuellen EASO Country Guidance zu Syrien vom November 2021: „The Syrian Ministry of Interior issued a circular in March 2019 waiving the punishment of illegal exit by means of imprisonment and/or fines which used to be in effect previously.“). Eine illegale Ausreise kann zwar ein förmliches Verfahren vor der Rückkehr nach Syrien nach sich ziehen. Allein aus der Durchführung von solchen „Sicherheitsüberprüfungen“ kann jedoch nicht geschlossen werden, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung droht (siehe dazu BVwG 20.07.2022, Zl. W293 2249151-1/9E, und die dazu erfolgte Revisionszurückweisung des VwGH 21.09.2022, Ra 2022/19/0227).

 

Aufgrund der festgestellten Länderinformationen, denen zufolge die vorliegenden Quellen bezüglich der Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern nicht einheitlich sind (siehe dazu die festgestellten Länderinformationen im Kapitel „Rückkehr“) und die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, stark vom Einzelfall abhängt, kann auch nicht angenommen werden, dass die syrischen Behörden sämtliche aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation ins Ausland geflohene syrische Staatsbürger als Regimegegner ansehen würden. In seinem Erkenntnis vom 11.11.2020, Ra 2020/18/0147, hielt der Verwaltungsgerichtshof auch ausdrücklich im Hinblick auf syrische Staatsangehörige fest: „Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich nämlich weder, dass jedem Rückkehrer, der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, noch, dass Personen, deren Familienangehörigen im Ausland Asyl gewährt wurde, allgemein asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten.“ Eine Asylantragstellung in Österreich ist den syrischen Behörden auch nicht bekannt, zumal es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten weiterzugeben. Da die BF nicht in das Blickfeld der syrischen Behörden gelangt ist, liegen auch keine diesbezüglich gefahrerhöhenden Umstände davor, aufgrund derer der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte.

 

2.4. Die Feststellungen zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Syrien ergeben sich aus der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation aus dem COI-CMS (Version 8, Datum der Veröffentlichung: 29.12.2022). Es handelt sich dabei um Berichte diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten diese ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes

und ausgewogenes Bild zur Situation in Syrien. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

3.1.1. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung“. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z 1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht „zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht“ (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat „nicht gewillt oder nicht in der Lage“ sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009). Um den Status der Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dazu nicht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428; VwGH 21.05.2021, Ra 2020/19/0180; VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009; VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009). Für die Frage der Asylrelevanz wäre konkret zu prüfen, ob der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung (des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit und nicht mit einer entfernten Möglichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 21.05.2021, Ra 2020/19/0180; VwGH 05.02.2021, Ra 2020/01/0378; VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009). Die Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat kann die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen (vgl. VwGH 03.08.2021, Ra 2021/20/0266, unter Verweis auf VwGH 26.04.2021, Ra 2021/20/0006, mwN). Die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung (vgl. VwGH 11.07.2017, Ra 2016/20/0275).

 

3.1.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, wurde die BF in Syrien nicht persönlich bedroht oder verfolgt und die geltend gemachte Suche nach ihrem Mann wegen der behaupteten Unterstützung eines Neffen bei der Desertion vom Militärdienst konnte nicht glaubhaft gemacht werden.

Aus den in der Beweiswürdigung genannten Gründen erscheint es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die BF wegen der Wehrdienstentziehung ihres Sohnes im Falle einer Rückkehr verfolgt werden würde. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Erwägungen von UNHCR und EASO (nunmehr EUAA), zumal in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, zum unter Punkt III.A.1.b genannten Risikoprofil betreffend Familienangehörige von Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung sind, erwähnt wird: „UNHCR ist ferner der Auffassung, dass Familienangehörige von Wehrdienstentziehern und Deserteuren aufgrund ihrer vermeintlichen politischen Meinung möglicherweise internationalen Flüchtlingsschutz benötigen.“ (Seite 139). Auch aus der EASO Country Guidance Syria vom November 2021 lässt sich nicht ableiten, dass jeder Familienangehörige eines Militärdienstverweigerers oder Deserteurs Verfolgungshandlungen seitens des syrischen Regimes ausgesetzt wäre (siehe insbesondere Seite 81 und Seite 84 mit jeweiligem Verweis auf den EASO-Bericht „Syria Military Service“ vom April 2021, Punkte 4.1.2. und 4.2.1.).

3.1.3. Wie beweiswürdigend aufgezeigt, ist auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf gezielte Verfolgungshandlungen gegen die BF wegen Unterstellung einer politisch-oppositionellen Haltung seitens der syrischen Behörden aufgrund ihrer illegalen Ausreise oder einer nach einer Asylantragstellung in Österreich erfolgten Rückkehr aus Europa nach Syrien gegeben.

3.1.4. Zum Vorbringen der BF, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben, ist festzuhalten, dass den allgemeinen Gefahren in Syrien, die sich aus der Bürgerkriegssituation ergeben (Sicherheitslage, Wirtschaftslage, willkürliches Verhalten des syrischen Regimes), durch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA Rechnung getragen wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt in dem Umstand, dass im Heimatland des Asylwerbers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404, unter Verweis auf VwGH 02.03.2006, 2004/20/0415, 26.01.2006, 2005/01/0537, 15.05.2003, 2002/01/0203, 21.03.2002, 99/20/0410, 11.11.1999, 99/20/0117).

Da es der BF nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete, aktuelle Verfolgung aus einem Konventionsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen, war ihr Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 abzuweisen.

3.2. Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind im gegenständlichen Fall erfüllt.

In casu ergibt sich der Sachverhalt eindeutig aus der Aktenlage und der von der Verwaltungsbehörde ermittelte entscheidungswesentliche Sachverhalt weist noch die gesetzlich gebotene Aktualität auf. Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Beurteilung keinen gegenüber der Entscheidung des BFA in einem relevanten Punkt veränderten Sachverhalt zugrunde und weicht nicht von den tragenden Erwägungen des BFA ab (vgl. dazu etwa VwGH 05.10.2021, Ra 2020/18/0424). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes löst das Aufzeigen weiterer, vom BFA nicht aufgegriffener und somit erstmals thematisierter Aspekte die Verhandlungspflicht nur dann aus, wenn damit die tragenden verwaltungsbehördlichen Erwägungen nicht bloß unwesentlich ergänzt werden (vgl. VwGH 06.05.2020, Ra 2020/14/0051, mit Verweis auf VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0452), was hier nicht der Fall war.

Das BFA hat den entscheidungswesentlichen Sachverhalt vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und in der Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt behauptet. In der Beschwerde wurde den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA nicht substantiiert entgegengetreten. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war daher zur Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich.

 

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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