BVwG I401 2250426-1

BVwGI401 2250426-112.8.2022

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:I401.2250426.1.00

 

Spruch:

I401 2250426-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard Auer über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , vom 09.12.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 02.01.2021 den Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung an, er habe Angst vor Boko Haram gehabt, weil sie seine Eltern getötet hätten und die Christen in Nigeria verfolgen würden.

Am 30.11.2021 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen äußerte er, dass er bei seinem Bruder, der ein Mitglied der Biafra-Bewegung gewesen sei, im Bundestaat Imo gelebt habe. Im Jahr 2019 oder 2020 sei sein Bruder in einer Nacht im Haus der Familie von der nigerianischen Armee angegriffen worden. Sein Bruder und seine Stiefschwester seien weggebracht worden. Den Beschwerdeführer hätten sie ebenfalls mitnehmen wollen, jedoch habe er flüchten können. Auf der Flucht sei er von einer Kugel am linken Arm verletzt worden. Da das Militär angenommen habe, dass er tot sei, sei er nicht mitgenommen worden. Am nächsten Tag sei er von seinen Nachbarn nach B gebracht worden, wo seine Hand versorgt worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria als unbegründet ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 05.01.2022.

Am 11.04.2022 fand am Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung und des Dolmetschers für die englische Sprache eine mündliche Verhandlung statt, in der mit verfahrensleitenden Beschluss gemäß § 39 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG das Ermittlungsverfahren geschlossen wurde.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.06.2022 und vom 01.08.2022 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage in Nigeria vom 31.05.2022 und 29.07.2022 sowie zu allfälligen nach der mündlichen Verhandlung eingetretenen Änderungen in seinem Privat- und Familienleben und Gesundheitszustand eine Stellungnahme abzugeben. Mit Schreiben vom 20.06.2022 und vom 05.08.2022 machte er davon Gebrauch. Er stellte den Antrag, eine weitere Verhandlung durchzuführen, weil sich in seinem Familienleben insoweit eine Änderung ergeben habe, als er sich mit seiner Lebensgefährtin in der Zwischenzeit verlobt habe und Heiratsabsichten bestünden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Voranzustellen ist, dass der Beschwerdeführer den Spruchpunkt VI. betreffend die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise unbekämpft ließ. Dieser Spruchpunkt ist daher in Rechtskraft erwachsen.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 und nigerianischer Staatsangehöriger. Er wurde im Bundestaat Borno geboren. Nach dem Ableben seiner Eltern, die Mutter verstarb im Jahr XXXX und sein Vater im Jahr XXXX , lebte er bei seinem Bruder in dem im Süden Nigerias gelegenen Bundesstaat Imo. Vor seiner Ausreise hielt er sich für ca. vier bis fünf Monate im Bundesstaat Benue auf. Er gehört der Volksgruppe der Igbo, deren Sprache er auch spricht, an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Identität steht nicht fest.

Er ging in Nigeria zwölf Jahre in die Schule und war Fußballspieler. In Österreich leben keine Verwandten von ihm. Seit ca. fünf Monaten kennt er eine am XXXX geborene ungarische Staatsbürgerin namens C T, lebt jedoch mit ihr nicht in einer Lebensgemeinschaft. Bei einem Sportverein spielt er Fußball. Derzeit ist er in Peggau mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob und - gegebenenfalls - wer von seinen Familienangehörigen oder sonstige Verwandte des Beschwerdeführers in Nigeria leben.

Seitdem er sich im Bundesgebiet aufhält, geht er keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach, verkauft aber die Straßenzeitung Megaphon. Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung in Form der Unterbringung und Krankenversicherung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, besuchte seit 17.01.2022 einen Deutschkurs und hat die Deutschprüfung A1 abgelegt, ohne darüber Bescheid zu wissen, ob er die Prüfung bestanden hat. Es ist ihm nur schwer möglich, sich im Alltagsleben auf Deutsch verständlich zu machen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, jedoch erhob die Staatsanwaltschaft Graz gegen ihn Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) und schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB).

1.3. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Im Verfahren ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine unmittelbar gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungshandlungen durch staatliche Behörden in Nigeria. Er wurde und wird in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, politischen Gesinnung nicht verfolgt. Er war nicht Mitglied einer Biafra-Unabhängigkeitsbewegung. Er könnte sich - bei hypothetischer Annahme, die Verfolgung seines Bruders wegen dessen Mitgliedschaft zu einer Biafra-Bewegung im Bundesstaat Imo erstrecke sich auch auf den Beschwerdeführer - dieser durch eine innerstaatliche Relokation in einen anderen Landesteil entziehen.

Es besteht auch keine reale Gefahr, dass er im Fall der Rückkehr nach Nigeria einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.4. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage zu Nigeria (aus dem COI-CMS, Version 6, veröffentlicht am 29.07.2022) mit Angabe der Quellen:

Sicherheitslage

Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).

Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 weiter verschlechtert (AA 22.2.2022), Angriffe erfolgen vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWA [Islamischer Staat Westafrika] in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa (UKFCDO 11.7.2022). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram "technisch" besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).

Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 22.2.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).

Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB zugenommen (AA 22.2.2022). In der letzten Zeit hat es dort eine zunehmende Zahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 8.5.2022). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 22.2.2022).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 8.4.2022).

Im Mai und Juni 2022 kam es zu Gewalt in den Vororten von Abuja. Am 5.7.2022 erfolgte ein Angriff des ISWA auf das Kuje Gefängnis im FCT (UKFCDO 11.7.2022).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).

In der Zeitspanne Juli 2021 bis Juli 2022 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (1.785), Niger (1.473), Zamfara (1.114). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Ekiti (6), Gombe (10), Kano (15) (CFR 7.2022). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.7.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

- (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 25.7.2022

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria's security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021

- BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys 'all resources' amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021

- CFR - Council on Foreign Relations (7.2022): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 25.7.2022

- DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020

- EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

- FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

- Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020

- UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (11.7.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 25.7.2022

Nigerdelta

Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).

Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 weiter verschlechtert (AA 22.2.2022), Angriffe erfolgen vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWA [Islamischer Staat Westafrika] in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa (UKFCDO 11.7.2022). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram "technisch" besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).

Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 22.2.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).

Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB zugenommen (AA 22.2.2022). In der letzten Zeit hat es dort eine zunehmende Zahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 8.5.2022). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 22.2.2022).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 8.4.2022).

Im Mai und Juni 2022 kam es zu Gewalt in den Vororten von Abuja. Am 5.7.2022 erfolgte ein Angriff des ISWA auf das Kuje Gefängnis im FCT (UKFCDO 11.7.2022).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).

In der Zeitspanne Juli 2021 bis Juli 2022 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (1.785), Niger (1.473), Zamfara (1.114). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Ekiti (6), Gombe (10), Kano (15) (CFR 7.2022). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.7.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

- (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 25.7.2022

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria's security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021

- BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys 'all resources' amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021

- CFR - Council on Foreign Relations (7.2022): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 25.7.2022

- DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020

- EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

- FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

- Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020

- UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (11.7.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 25.7.2022

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Versammlungsfreiheit wird durch die Verfassung garantiert. Allerdings wird sie bisweilen durch das Eingreifen der Sicherheitsorgane gegen politisch unliebsame Versammlungen (z.B. von Schiiten oder Biafra-Aktivisten) in der Praxis eingeschränkt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022; FH 28.2.2022). Die Regierung verbietet gelegentlich gezielt Versammlungen, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass deren politischer, ethnischer oder religiöser Charakter zu Unruhen führen könnte. Die Regierung schränkt öffentliche Versammlungen ein, einschließlich vorübergehender Verbote von Gottesdiensten in einigen Bundesstaaten, als Reaktion auf COVID-19 (USDOS 12.4.2022).

Die Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung ebenso garantiert (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021) wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören (AA 22.2.2022). Dies wird auch praktiziert (ÖB 10.2021) und hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft mit zahlreichen NGOs geführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Versuche der Regierung, zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch repressive Gesetzgebung und Verwaltungspraxis einzuschränken. Gewerkschaften können sich grundsätzlich frei betätigen (AA 22.2.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

- USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Opposition inkl. MASSOB, IPOB und IMN

In Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 22.2.2022).

Die Indigenous People of Biafra (IPOB) sind im September 2017 und die schiitische „Islamic Movement of Nigeria“ (IMN) im August 2019 verboten worden (AA 22.2.2022). Seither hat es nur noch vereinzelt Versuche der beiden maßgeblichen von der Igbo-Volksgruppe beherrschten, aber miteinander konkurrierenden Bewegungen IPOB und „Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra“ (MASSOB) gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Solche Aktivitäten werden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden (ÖB 10.2021). Im Jahr 2021 kam es vermehrt zu Agitationen seitens IPOB im Südosten und der Yoruba Nation im Südwesten. Dies unterstreicht die steigenden Spannungen im Land. Die Behörden reagieren darauf manchmal mit exzessiver Gewalt (HRW 13.1.2022).

IPOB: Nach der Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2021) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2021; vgl. AA 22.2.2022). Mutmaßliche IPOB-Mitglieder sind wegen Mordes, Brandstiftung und anderer Verbrechen verhaftet worden. Nnamdi Kanu, der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung. Im September 2019 kündigte er an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der Vereinten Nationen führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die Vereinten Nationen in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung. Kanu rief vom Ausland aus zum Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung der Sezession auf (ÖB 10.2021).

2020 wurde der bewaffnete Arm der IPOB, das Eastern Security Network (ESN), gegründet. Das ESN wird mit zahlreichen tödlichen Anschlägen auf Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen in Verbindung gebracht (ÖB 10.2021). Im August 2020 kam es bei einem Treffen der IPOB in der Stadt Enugu zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Gemäß IPOB sind demnach 21 Mitglieder getötet und 47 verhaftet worden (BAMF 24.8.2020), laut Polizei wurden hingegen vier IPOB-Mitglieder verhaftet und vier getötet (BAMF 24.8.2020; vgl. AI 7.4.2021). Zwischen September 2020 und Mai 2021 gab es eine Welle von Angriffen auf Polizeistationen und öffentliche Gebäude im Südwesten Nigerias, die dem ESN zugeschrieben werden (BBC 4.7.2021). Nach Medienangaben wird dem ESN vorgeworfen, in den letzten Monaten vor Juli 2021 mindestens 60 Menschen - zumeist Polizeiangehörige - getötet zu haben (BAMF 5.7.2021). Die Mitgliederzahl des ESN beläuft sich nach Angaben der nigerianischen Armee auf etwa 50.000. Das ESN unterhält in verschiedenen Teilen des Südostens Nigerias Ausbildungslager. Es behauptet auch, Ausbildungslager in anderen Teilen der Süd-Süd-Region zu haben. Es gibt eine Kommandostruktur. Der Anführer der IPOB, Mazi Nnamdi Kanu, kann als sein Oberbefehlshaber angesehen werden (VA ÖB 27.5.2022).

Den nigerianischen Behörden gelang im Juni 2021 die neuerliche Verhaftung Kanos (ÖB 10.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Ihm werden elf Delikte, darunter Terrorismus, Verrat, unerlaubter Waffenbesitz und Verbreitung verleumderischer Nachrichten, zur Last gelegt (ÖB 10.2021; vgl. BAMF 5.7.2021).

IMN: Nach gewaltsamen Protesten der schiitischen IMN in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt. Noch immer sitzen dutzende IMN-Anhänger ohne Anklage in Haft (AA 22.2.2022). Im März 2020 setzten die Sicherheitskräfte scharfe Munition und Tränengas gegen protestierende Mitglieder der IMN ein (HRW 13.1.2021). Die seit Ende 2015 andauernde Inhaftierung von Ibrahim Zakzaky führte immer wieder zu Straßenprotesten in der Hauptstadt Abuja, in deren Folge es bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu Dutzenden Toten gekommen war. Nach fast sechs Jahren in Haft wurden Ibrahim Zakzaky und seine Ehefrau am 28.7.2021 infolge eines Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof des Bundesstaats Kaduna freigelassen. Die Staatsanwaltschaft soll die Freilassung des Paares bestätigt und Berufung gegen den Freispruch angekündigt haben. Nach zahlreichen Freisprüchen von Mitgliedern der IMN in den Jahren 2019 und 2020 war zuletzt nur noch das Ehepaar in Haft gesessen. Vorgeworfen wurde dem Paar u.a. Mord, Verschwörung und Störung des Friedens (BAMF 2.8.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty Report, Nigeria, 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048597.html , Zugriff 27.5.2021

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw31-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 17.8.2021

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.7.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw27-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 17.8.2021

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (24.8.2020): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/BADE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw35-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 22.5.2022

- BBC - British Broadcasting Corporation (4.7.2021): Nnamdi Kanu's arrest leaves Nigeria's Ipob separatists in disarray, https://www.bbc.com/news/world-africa-57693863 , Zugriff 17.8.2021

- HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2066473.html , Zugriff 21.1.2022

- HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043506.html , Zugriff 27.5.2021

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

- VA ÖB - Vertrauensanwalt der ÖB Abuja (27.5.2022): Antwort des VA in Abuja übermittelt von der ÖB am 27.5.2022

Religiöse Gruppen

53,5 Prozent der Einwohner sind Moslems, 10,6 Prozent sind Katholiken und 35,3 Prozent gehören anderen christlichen Glaubensrichtungen an. Der Rest gehört anderen Religionen an (CIA 1.7.2022). Nach anderen Angaben besteht die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Muslimen, während die verbleibenden zwei Prozent anderen oder keinen Religionen angehören. Viele Menschen verbinden indigene Überzeugungen und Praktiken mit dem Islam oder dem Christentum (USDOS 2.6.2022).

Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 2.6.2022). Der Islam ist die vorherrschende Religion in den Regionen North West und North East, obwohl es dort auch bedeutende christliche Bevölkerungsgruppen gibt. In der Region North Central sind Christen und Muslime in etwa gleicher Zahl vertreten. Das Christentum ist die vorherrschende Religion in der Region South West, einschließlich Lagos, wo es auch bedeutende muslimische Bevölkerungsgruppen gibt. In der Region South East stellen christliche Gruppen, darunter Katholiken, Anglikaner und Methodisten, die Mehrheit. Im Süden des Landes bilden die Christen eine deutliche Mehrheit. Im Süden und Südosten gibt es eine kleine, aber wachsende Zahl von Muslimen (USDOS 2.6.2022).

2010 gaben 38 Prozent der Muslime an, Sunniten zu sein, 12 Prozent Schiiten; der Rest sah sich als "etwas anderes" (5 Prozent) oder einfach als "Muslime" (42 Prozent). Unter den Sunniten finden sich mehrere Sufi-Strömungen, im Norden des Landes v.a. die Bruderschaften der Qadiriyya und der Tijaniyya (USDOS 2.6.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- CIA - Central intelligence Agency [USA] (1.7.2022): The World Fact Book, Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/ , Zugriff 13.7.2022

- USDOS - U.S. Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074007.html , Zugriff 13.7.2022

Spannungen zwischen Muslimen und Christen

Im Norden Nigerias (einschließlich des Middle Belts) grassiert die im Namen des Islam von Boko Haram und ISIS-WA (sogenannter Islamischer Staat) begangene Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Christen. Dasselbe gilt für die Gewalt, die von Fulani-Kämpfern im Norden und Nord-Zentral-Nigeria und bewaffneten Banditen v. a. im Nordwesten verübt wird. Die Einflusskreise dieser verschiedenen Gruppen überschneiden sich zunehmend, ähnlich wie ihre Agenden. Dies stellt nicht nur für die nördlichen Staaten, einschließlich der Staaten des Middle Belts, eine Bedrohung dar, sondern auch für die südlichen Staaten (OD 2022). Es gab zahlreiche gewalttätige Zwischenfälle zwischen überwiegend muslimischen Hirten und überwiegend christlichen, aber auch muslimischen Bauern in den Regionen North Central und South West sowie zwischen überwiegend muslimischen Hirten und überwiegend muslimischen, aber auch christlichen Bauern in der Region North-West. Nach Angaben des Council on Foreign Relations gab es im Laufe des Jahres 2021 schätzungsweise 1.112 Todesopfer durch Gewalt zwischen ethnischen Gruppen, Hirten und Bauern (USDOS 2.6.2022).

In den zwölf nördlichen Bundesstaaten wird die Religionsfreiheit von Nicht-Muslimen in der Praxis teilweise beschränkt, da viele Verwaltungsvorschriften ohne Rücksicht auf die jeweilige Religionszugehörigkeit erlassen und durchgesetzt werden. Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten haben dazu geführt, dass in den frühen 2000er-Jahren drei Amputationsurteile vollstreckt wurden, weitere Vollstreckungen sind nicht bekannt geworden. Die Dunkelziffer liegt unter Umständen höher, da Scharia-Gerichte Vollstreckungen nicht systematisch dokumentieren (AA 22.2.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- OD - Open Doors (2022): Länderprofil Nigeria, Berichtszeitraum: 1. Oktober 2020 - 30. September 2021, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/nigeria , Zugriff 29.4.2022

- USDOS - U.S. Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074007.html , Zugriff 13.7.2022

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet (USDOS 12.4.2022).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 12.4.2022). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 22.2.2022). In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2021). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 22.2.2022).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in denen eine Person keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, nicht besteht - abhängig von der Art der Bedrohung durch nicht-staatliche Akteur(e) bzw. die Lebensumstände der Person. Allerdings kann die Umsiedlung für alleinstehende Frauen, Nicht-Einheimische ohne Zugang zu Unterstützungsnetzwerken sowie für Angehörige sexueller Minderheiten schwieriger sein (UKHO 9.2021).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).

Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 3.5.2022 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

- UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (9.2021): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060292/NGA_CPIN_Internal_Relocation.pdf , Zugriff 29.4.2022

- USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2021; vgl. AA 22.2.2022; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2021).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2021).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

Grundversorgung

Nigeria ist mit mehr als 200 Millionen Einwohnern bei Weitem das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Vor einigen Jahren zog das westafrikanische Land in puncto Wirtschaftsleistung sogar an Südafrika vorbei. Allerdings befindet sich Nigeria seit dem Ölpreisverfall 2016 in einer wirtschaftlichen Krise. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie belasten das Land zusätzlich (ABG 11.2021).

Stärken: Reiche Erdöl- und Gasvorkommen; relativ breit aufgestellte Industrie in Lagos; größter Verbrauchermarkt Afrikas mit mehr als 210 Millionen Einwohnern; großer Pool an motivierten Arbeitskräften. Schwächen: Schlechte Infrastruktur; Korruption und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung; hohe Standortkosten und steigende Sicherheitskosten; Großteil der Bevölkerung mit rückläufiger Kaufkraft (ABG 11.2021).

2021 erreichte die nigerianische Wirtschaft vor allem aufgrund der deutlich gestiegenen Ölpreise und der fortschreitenden Erholung des privaten Sektors ein deutlich über den Erwartungen des IWF liegendes reales Wachstum von 3,6 %. Damit gelang nach sechs Jahren wirtschaftlichen Wachstums, welches durchgehend niedriger als das Bevölkerungswachstum war, eine Trendumkehr (WKO 13.6.2022).

Nigeria ist im Bereich der Landwirtschaft keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2021).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt. Etwa 60 Prozent der geschätzten 200 Millionen Menschen leben in absoluter Armut (BS 23.2.2022). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben ca. 90 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag und über 90 Prozent der Bevölkerung müssen mit einem Einkommen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag auskommen (ÖB 10.2021).

Die letzten offiziellen Zahlen des nigerianischen National Bureau of Statistics (NBS) die Arbeitslosigkeit betreffend stammen aus dem 4. Quartal 2020. Demnach waren damals 56,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Besonders hoch sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung unter Jugendlichen. Laut NBS betrugen sie im selben Zeitraum kumuliert 63 Prozent (ÖB 10.2021). Laut NBS sind mit Stand Mai 2022 immer noch die Zahlen aus Q4 2020 die aktuellsten. Die Arbeitslosigkeit selbst lag im Q4 2020 bei 33,3 Prozent (NBS 2022). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2021; vgl. BS 23.2.2022).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 23.2.2022).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2021). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 23.2.2022). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2021).

Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbstständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbstständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2021).

Der Entwicklungsplan der Regierung, der Economic Recovery and Growth Plan (ERGP) bzw. das Medium Term Expenditure Framework (MTEF) sehen im Bereich der landwirtschaftlichen Entwicklung die zusätzliche Bewirtschaftung von 5.000 ha Land und die Errichtung von 22 Bewässerungsdämmen vor. Der Bergbau sowie die bestehenden Freihandelszonen sollen wiederbelebt werden. Die sog. National Integrated Power Projects (NIPPs) sollen privatisiert und ihre 7.000 MW Kapazität optimiert werden. Neue Zugverbindungen, darunter zwischen Lagos und dem Handelszentrum des Nordens, Kaduna, werden verwirklicht. Eine weitere Brücke über den größten Fluss des Landes, den Niger, soll ebenfalls als Konzessionsmodell vergeben werden. In Lagos soll eine vierte Brücke gebaut werden, um das „Mainland“ mit den Geschäfts- und Nobelvierteln auf den „Islands“ zu verbinden. In allen 37 Bundesstaaten sollen rund 3.550 leistbare Wohnbauprojekte realisiert werden. Ein Teil dieser Projekte befindet sich bereits im Stadium der Verwirklichung (WKO 11.2021).

Quellen:

- ABG - Africa Business Guide (11.2021): Länderprofil Wirtschaft in Nigeria, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/nigeria , Zugriff 5.5.2022

- BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

- NBS - National Bureau of Statistics (2022): Homepage, https://www.nigerianstat.gov.ng/ , Zugriff 5.5.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (13.6.2022): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 14.7.2022

Rückkehr

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX unterstützt werden (AA 22.2.2022). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2021). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 22.2.2022).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 22.2.2022). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2021). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 22.2.2022) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2021) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2021).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 22.2.2022). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2021).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 22.2.2022).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen

Zwar existiert mit der National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur eine Minderheit) (AA 22.2.2022). Gemäß anderen Angaben sind inzwischen 42 Millionen Menschen registriert. Im Zuge dieser Registrierung wird die National Identity Number (NIN) vergeben, welche Voraussetzung für den Erhalt eines Personalausweises ist (MBZ 3.2021). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 22.2.2022). Der Besitz eines nigerianischen Ausweises, auch zertifiziert, garantiert nicht die korrekte Identität des Inhabers des Ausweises. Mit einer NIN haben Personen allerdings eine fixe Identität, die nicht mehr gewechselt werden kann. Es ist jedoch möglich, dass diese NIN aufgrund gefälschter Dokumente erstellt worden ist, und nicht mit der Identität bei Geburt übereinstimmt (MBZ 3.2021).

Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf, da es keinerlei Problem darstellt, einen echten Pass unter Vorlage gefälschter Dokumente oder Verwendung falscher Daten zu erhalten (AA 22.2.2022). Es ist aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 10.2021).

Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Fälschungstypische Fehler sind dabei in der Natur der Sache nicht immer aufzeigbar. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z. B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht (AA 22.2.2022).

Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 12.5.2022). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 10.2021). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen, dass landesweit nur bei 42 Prozent der Kinder unter fünf Jahren die Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 12.4.2022).

Zur Ausstellung von Reisepässen von nigerianischen Staatsbürgern in Wien: Die Botschaft stellt gemäß E-Mail Auskunft nigerianischen Staatsbürgern mit Wohnsitz in Wien Pässe aus. Die detaillierten Anforderungen für die Ausstellung von Reisepässen und alle anderen konsularischen Dienstleistungen können über die offizielle Website der Botschaft unter http://www.nigeriaembassyvienna.com/consular/ abgerufen werden (NBW 26.4.2022) Aus der angegebenen Webpage der nigerianischen Botschaft in Wien geht hervor, dass kein Dokument über die Meldung oder Wohnadresse benötigt wird. Es ist somit davon auszugehen, dass nigerianischen Staatsbürgern unabhängig von ihrem Wohnsitz Pässe ausgestellt werden (NBW o.D.).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021

- BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

- BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

- MBZ - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands [Niederlande] (3.2021): Country of origin information report Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2054389/03_2021_MinBZ_NL_COI_Nigeria.pdf , Zugriff 17.8.2021

- NBW - Nigerianische Botschaft Wien (26.4.2022): Antwort der nigerianischen Botschaft, übermittelt via E-Mail vom 26.4.2022, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

- NBW - Nigerianische Botschaft in Wien (o.D.): Konsularische Informationen, http://www.nigeriaembassyvienna.com/consular/ , Zugriff 28.7.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

- USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.20221.

1.5. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19-Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenige Tests durchgeführt werden. Mit Stand 10.5.2022 sind in Nigeria 255.802 Covid-19-Fälle erfasst, davon 2.723 aktive Fälle. Es gab bis dato offiziell 3.143 Tote aufgrund von COVID-19, getestet wurden 5,114.703 (Africa CDC 11.7.2022).

Seit dem 2.4.2022 müssen doppelt geimpfte Personen vor Abreise und nach der Ankunft keinen COVID-19 PCR-Test mehr durchführen lassen. Nicht vollständig geimpfte Reisende müssen beim Einchecken nach Nigeria einen negativen COVID-19 PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Außerdem müssen sie sich in Nigeria am 2. und am 7. Tag einem PCR-Test unterziehen. Zudem müssen sie sich sieben Tage in Selbstquarantäne begeben (WKO 24.4.2022).

Die COVID-19-Krise festigt die Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Im Juli/August 2018 haben 82 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen im Arbeitsalter gearbeitet, jedoch sind diese Anteile mit Stand September 2020 auf 78 Prozent bei Männern und 65 Prozent bei Frauen gesunken (STDOK 3.12.2021).

2021 erreichte die nigerianische Wirtschaft vor allem aufgrund der deutlich gestiegenen Ölpreise und der fortschreitenden Erholung des privaten Sektors ein deutlich über den Erwartungen des IWF liegendes reales Wachstum von 3,6 %. Damit gelang nach sechs Jahren wirtschaftlichen Wachstums, welches durchgehend niedriger als das Bevölkerungswachstum war, eine Trendumkehr (WKO 13.6.2022).

Quellen:

- Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (11.7.2022): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 14.7.2022

- STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.12.2021): Themenbericht - Zur sozioökonomischen Lage der und Gewalt gegen Frauen unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066684/NIGR_THEM_Frauen_2021_12_03_KE.pdf , Zugriff 24.1.2022

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (24.4.2022): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 10.5.2022

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (13.6.2022): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 14.7.2022

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80 % der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen und Bluthochdruck) (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses ).

Das größte Risiko für einen schweren Verlauf besteht bei Personen im Alter von über 60 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 3; WHO, Coronavirus, https://www.who.int/health-topics/coronavirus#tab=tab_1 ; Robert-Koch-Institut, Steckbrief zur CoronavirusKrankheit-2019 [COVID-19], https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV.html ).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II Nr. 203/2020, sind medizinische Indikationen für die Zuordnung zur COVID -19-Risikogruppe nach § 735 Abs. 1 ASVG bzw. § 258 Abs. 1 B-KUVG die arterielle Hypertonie mit bestehenden Endorganschäden, insbesondere chronische Herz- oder Niereninsuffizienz, oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung. Der ca. 42 Jahre alte Beschwerdeführer leidet zwar an arterieller Hypertonie, jedoch an keinen bestehenden Endorganschäden, oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung.

In Österreich gibt es mit Stand 11.08.2022, 00:00 Uhr insgesamt 66.650 aktive Fälle, und 20.485 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de ; Zugriff 12.08.2022).

In Nigeria gibt es mit Stand 11.08.2022, 17:01 Uhr insgesamt 261.885 bestätigte Fälle und 3.147 Todesfälle (https://covid19.who.int/region/afro/country/ng ; Zugriff 12.08.2022). In Relation zur Einwohnerzahl (von mehr als 214 Millionen Einwohnern) liegt die Infektions- sowie die Sterberate in Nigeria somit prozentual deutlich unter jener von Österreich (mit ca. 9 Mio. Einwohnern).

Der Beschwerdeführer, der ca. 20 ½ Jahre alt ist, ist gesund und gehört keiner Corona-19-Risikogruppe an.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt und zur Person des Beschwerdeführers:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor diesem und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der in der mündlichen Verhandlung getätigten Aussagen.

Ergänzend wurden aktuelle Auszüge aus dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung, dem Zentralen Melderegister, dem Strafregister der Republik Österreich, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und ein Versicherungsdatenauszug des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger eingeholt. Aus ihnen ergeben sich der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, der derzeitige Wohnort im Bundesgebiet, die strafgerichtliche Unbescholtenheit und die Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit und damit die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit. Die Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und schwerer Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB ist auf die Verständigung der Staatsanwaltschaft Graz vom 01.06.2022 zurückzuführen (Gerichtsakt, OZl. 11). Dass der Beschwerdeführer eine Straßenzeitung verkauft, geht auf seine glaubhafte Aussage in der mündlichen Verhandlung zurück (Verhandlungsprotokoll, S. 4; in der Folge werden nur mehr die Seitenzahlen angegeben).

Der Beschwerdeführer legte keine identitätsbezeugenden Dokumente vor. Damit steht seine Identität nicht fest. Da er jung und gesund ist, gehört er keiner Covid-19-Risikogruppe an. Damit ist bei ihm auch Arbeitsfähigkeit gegeben, was sich auch im Verkauf einer Straßenzeitung manifestiert.

Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, seinem Familienstand und seiner Kinderlosigkeit sowie zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Nigeria gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wie auch die Feststellungen, dass er in Nigeria für zwölf Jahre in die Schule ging und dort Fußballspieler war (S. 4).

Dass keine Verwandten von ihm in Österreich leben, geht auf seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zurück (S. 7).

Auf den Behauptungen des Beschwerdeführers fußt die Feststellung, dass seine Eltern verstorben sind. Dass nicht festgestellt werden konnte, ob sein Bruder und/oder seine Stiefschwester sowie weitere Seitenverwandte von ihm in Nigeria leben, fußt auf den bei der niederschriftlichen Einvernahme gemachten widersprüchlichen Angaben. Zum einen führte er aus, keine Familie bzw. niemanden mehr in Nigeria zu haben, weil alle getötet worden seien, zum anderen wiederholte er mehrmals, seine Geschwister seien von der nigerianischen Armee mitgenommen worden (AS 95 f; AS 98). In der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er seine Geschwister nach dem Vorfall nicht mehr hat sehen können und nicht wisse, ob sie am Leben seien oder nicht. Bezüglich den Seitenverwandten behauptete der Beschwerdeführer, sein Vater sei ein Einzelkind gewesen und zu seinen Tanten und Onkel mütterlicherseits nie einen Kontakt gehabt zu haben und daher nicht wisse, ob und wo sie in Nigeria leben (S. 6 f).

Die Feststellung, dass er seit ca. fünf Monaten eine ungarische Staatsangehörige kennt, mit ihr aber keine Lebensgemeinschaft führt, ist auf seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zurückzuführen (S. 6: „RI: Leben Sie mit ihr zusammen? BF: Nein, noch nicht.“). Auch wenn der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 20.06.2022 und vom 05.08.2022 zu dem mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.06.2022 und vom 01.08.2022 eingeräumten Parteiengehör bezüglich etwaig seit der mündlichen Verhandlung eingetretener Änderungen hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und seiner persönlichen Verhältnisse ausführte, mit Frau T (zu ergänzen: einer ca. zwanzig Jahre älteren ungarischen Staatsbürgerin) in einer Lebensgemeinschaft zu leben, sich mit ihr verlobt zu haben und es bestünden Heiratsabsichten, ändert dies nichts an der nicht bestehenden Lebensgemeinschaft. In der mündlichen Verhandlung nannte der Beschwerdeführer im Gegensatz zu dem nunmehr in Kopie vorgelegten Reisepass, in dem der Vorname C angeführt ist, einen anderen, deutsch klingenden Vornamen, nämlich Angelika. Er versicherte auch, mit ihr (gemeint: mit Angelika) noch nicht zusammenzuleben (S. 6). Im Übrigen erwähnte er in der mündlichen Verhandlung nicht, dass die seit zwei Monaten bestehende Beziehung bereits so enge sei, dass er beabsichtige, sich zu verloben, ja sogar zu heiraten. Zudem ergibt sich aus den aktuellen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, dass der Beschwerdeführer in Peggau und seine Bekannte vom 04.08.2021 bis 21.04.2022 in Österreich nicht gemeldet war und (erst) seit diesem Zeitpunkt mit Hauptwohnsitz in Graz gemeldet ist. Von einer tiefergehenden Beziehung, insbesondere von einem gemeinsamen Zusammenleben, kann daher nicht ausgegangen werden.

Dass beim Beschwerdeführer eine über das übliche Maß hinausgehende sonstige Verfestigung in sprachlicher, sozialer und beruflicher Hinsicht vorliegt, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Daran kann das Fußballspielen beim Sportverein B P und der Verkauf einer Straßenzeitung nichts ändern.

Nur auf die Frage, ob er Deutsch spricht, gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung auf Deutsch eine Antwort („ein bisschen“; S. 8). Auf die anderen auf Deutsch gestellten Fragen gab er keine Antwort oder antwortete er auf Englisch. Damit verfügt der Beschwerdeführer über sehr einfache Deutschkenntnisse. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass er, wie er in der Stellungnahme vom 05.08.2022 darlegt, die Prüfung A1 abgelegt zu haben, aber noch auf das Prüfungsergebnis zu warten, ist es für ihn schwierig, sich im Alltagsleben auf Deutsch verständlich zu machen.

Im Übrigen bestreitet der Beschwerdeführer den vom Bundesamt festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete er in der Beschwerde diesbezüglich kein konkretes gegenteiliges Vorbringen.

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Verwaltungsgerichtshof erhob wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung, weil sich die polizeiliche Erstbefragung eines Asylwerbers im Sinne des § 19 AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung seiner Identität und Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl erachtet er es aber nicht generell als unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass ein gänzlich von den Angaben im weiteren Verlauf des Verfahrens abweichendes Vorbringen eines Asylwerbers in seiner Erstbefragung ein relevantes Argument gegen dessen Glaubwürdigkeit darstellt (VwGH 10.02.2021, Ra 2021/18/0019).

Den Antrag auf internationalen Schutz stützte der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung auf die von ihm gehegte Angst vor Boko Haram, weil sie seine Eltern getötet hätten und die Christen in Nigeria verfolgen würden.

Den gewissermaßen primären Fluchtgrund, wegen der Zugehörigkeit seines Bruders zur Biafra-Unabhängigkeitsbewegung und deswegen von der nigerianischen Armee verfolgt und angeschossen worden zu sein, erwähnte der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung nicht, sondern erst bei der ca. elf Monate später erfolgten Einvernahme durch das Bundesamt. Auch wenn bei der Erstbefragung generell die geltend gemachten Fluchtgründe nicht näher erörtert werden, ist von einem Asylwerber zu erwarten, dass er seine zentralen Fluchtgründe, die ihn veranlasst haben, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, vorbringt. Denn kein Asylwerber würde eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250). Es ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel bestrebt ist, unmittelbar nach seiner Einreise die für seine Ausreise maßgeblichen fluchtauslösenden Verfolgungen, denen er im Herkunftsstaat ausgesetzt war, vorzutragen. Zumindest den Kern seiner Fluchtgeschichte wird er gleichbleibend schildern.

Dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung das Engagement seines Bruders für die Biafra-Unabhängigkeitsbewegung, dieser und seine Stiefschwester bei einem nächtlichen Angriff der nigerianischen Armee Ende 2019 bzw. Anfang 2020 mitgenommen worden seien und der Beschwerdeführer auf der Flucht eine Schussverletzung davongetragen habe, was als einprägsame Erlebnisse - so sie stattgefunden haben - dauerhaft in Erinnerung bleibt, unerwähnt ließ, ist als Steigerung des Fluchtvorbringens zu werten (VwGH 21.06.2021, Ra 2021/14/0096), selbst bei Berücksichtigung seines Alters von rund 18 Jahren bei dem ihm (angeblich) widerfahrenen Vorfall. Angesichts des Umstandes, dass mit dem in der mündlichen Verhandlung verkündeten verfahrensleitenden Beschluss das Ermittlungsverfahren geschlossen wurde, bedarf es keiner näheren Erörterung des in der Stellungahme vom 05.08.2022 wiederholten Fluchtvorbringens.

Gegen eine Verfolgung des Beschwerdeführers spricht ferner der Umstand, dass es den vorgebrachten Verfolgungshandlungen, denen er seitens des nigerianischen Militärs ausgesetzt gewesen sein soll, am zeitlichen Konnex zwischen dem fluchtauslösenden Ereignis und dem tatsächlichen Verlassen des Herkunftsstaates im April oder Mai 2020 fehlt (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Eine Person, die behauptet, sie sei von der nigerianischen Armee gesucht worden, bleibt nicht weitere vier bis fünf Monate nach den bedrohlichen Ereignissen in seinem Herkunftsstaat (AS 97: „Ich blieb … vier oder fünf Monate in Benue State.“). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht nachvollziehbar begründen, warum er mit seiner Ausreise über diesen Zeitraum zugewartet hat. Vielmehr versicherte er, im Bundesstaat Benue ohne Probleme gelebt zu haben und diesen verlassen zu haben, weil er niemanden gekannt habe und auf der Straße habe schlafen müssen (AS 97 f).

Abgesehen davon, ist dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers kein Glauben beizumessen. Die Verfolgung sei darin begründet gewesen, dass sein Bruder Mitglied der Biafra-Bewegung gewesen sei. Das nigerianische Militär habe seinen Bruder und seine Stiefschwester Ende 2019 oder Anfang 2020 im Haus, in dem sie gewohnt haben, aufgesucht und sie beide weggebracht. Der Beschwerdeführer habe flüchten können. Auf der Flucht sei er am Arm angeschossen und daraufhin bewusstlos geworden. Das Militär habe angenommen, dass er tot sei. Die Nachbarn hätten ihn am nächsten Tag gefunden und zu einem Heilpraktiker gebracht, der seine Hand versorgt habe.

Ein so eindringliches Erlebnis, wie es die Verschleppung des Bruders, der nach dem Ableben der Eltern den Beschwerdeführer über viele Jahre versorgt hatte, und der Stiefschwester darstellt, bleibt auch einem jungen Mann im Alter von ca. 18 Jahren in Erinnerung. Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer über ein solch zutiefst emotional belastendes, persönlich erlebtes Schicksal keine exakten Angaben zu dem Tag des Vorfalls machen konnte. Dass er sich nur daran erinnern konnte, das Ereignis habe sich Ende 2019 bzw. Anfang 2020 zugetragen, spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Beschwerdeführers.

Augenscheinlich ist auch, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Geschehnisse der Verschleppung der Geschwister unterschiedliche Aussagen tätigte. So gab er bei der Einvernahme durch das Bundesamt an, dass, als das Militär das Haus der Familie betreten habe, sein Bruder sofort festgenommen worden sei, während er mit seiner Stiefschwester in einem Zimmer geschlafen habe (AS 96). In der mündlichen Verhandlung gab er widersprüchlich dazu an, sie hätten zuerst seinen Bruder und dann seine Schwester aufgegriffen und beide gefesselt. Als sie zuletzt ihn hätten holen wollen, sei er weggerannt (S. 12).

Darüber hinaus ist sein bei der niederschriftlichen Einvernahme getätigtes Vorbringen, der gesamte Vorfall im bzw. der Angriff auf das Haus, an dem acht oder neun Personen beteiligt gewesen seien, habe 20 Minuten gedauert, und auf der Flucht sei er angeschossen worden (AS 99), nicht glaubhaft. Es überzeugt nicht, dass es dem Beschwerdeführer bei einer Überzahl von bewaffneten Männern der nigerianischen Armee und dem Verstreichen einer längeren Zeitspanne nach dem Eindringen auf das Gelände und in das Haus dennoch möglich war, die „Flucht“ zu ergreifen. Dass die fünf Soldaten des nigerianischen Militärs, die sich im Haus befunden hätten, und die drei bzw. vier Militärangehörigen auf dem Gelände vor dem Haus binnen 20 Minuten seiner nicht habhaft werden konnten, ist nicht nachvollziehbar. Es widerspricht zudem den Denkgesetzen der Logik, wenn der Beschwerdeführer im Wissen, dass das Haus, in dem er mehrere Jahre gelebt hatte, von einem hohen Zaun mit Stacheldraht „umringt“ und es nicht möglich war, darüber zu klettern (S. 16), den von Vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch einer Flucht unternahm.

Ebenso erweisen sich in diesem Zusammenhang die von ihm gemachten Aussagen als höchst unplausibel, wonach er auf der (versuchten) Flucht am linken Arm angeschossen worden sei (wobei am nächsten Tag ein Heilpraktiker bzw. ein Arzt seine Hand versorgt haben soll), er in Ohnmacht gefallen sei, die Militärangehörigen ihn für tot hielten und ihn daher nicht mitgenommen hätten (AS 95). Mit den allgemeinen menschlichen Erfahrungen des Lebens ist es nicht in Einklang zu bringen, dass eine Person, die am Arm durch einen Streifschuss verletzt wird, (für mehrere Stunden: „Die Nachbarn haben mich am nächsten Tag aufgesammelt …“, AS 95; „Ich … wachte am nächsten Morgen auf.“, AS 97) in Ohnmacht fällt, und die Angehörigen des Militärs nicht eingehend nachprüfen, ob sie - wie die Geschwister - mitgenommen werden kann (AS 95: „Sie haben mich nicht mitgenommen, vielleicht dachten sie, ich sei tot.“) oder noch am Leben ist (AS 98: „Sie wollten einfach uns töten.“).

Besonderes Gewicht ist überdies dem Umstand beizumessen, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erweckte, dass ihn die Verschleppung seiner Geschwister und die ihm widerfahrene Schussverletzung nicht besonders naheging. Seine Schilderungen zu dem gesamten Vorfall, insbesondere über die lebensbedrohliche Situation, die Angstzustände, denen er ausgesetzt gewesen sein muss („Sie wollten uns töten.“), und die mit einem solchen dramatischen Ereignis einhergehende psychische Ausnahmesituation des Beschwerdeführers, die Interaktionen und geführten Dialoge mit dem Militär, die bzw. der Versuch der Kontaktaufnahme mit den Geschwistern etc. blieben ohne - spontane Rückerinnerung an - sachverhaltstypische Details und Emotionen. Die aufgewühlten Gemütszustände, in denen sich der Beschwerdeführer bei einem solchen Erlebnis befunden haben muss, erwähnte er bei keinen seiner Einvernahmen, auch nicht in der mündlichen Verhandlung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend den Angriff auf das Haus des Bruders, die Verschleppung seiner Geschwister, die erlittene Schusswunde und das auf diese zurückgehende In-Ohnmacht-Fallen ist daher anzuzweifeln.

Die Glaubhaftigkeit des Beschwerdeführers ist darüber hinaus durch weitere divergierende Angaben im Verfahren, auch wenn sie nicht unmittelbar mit dem Fluchtvorbringen im Zusammenhang stehen, in Zweifel zu ziehen. In Bezug auf seine Ausreise aus Nigeria gab er bei der Erstbefragung an, dass er einen Führerschein und einen Reisepass gehabt habe, mit dem er legal ausgereist sei. Diesen habe er auf der Reise durch Libyen verloren (AS 29). Bei der niederschriftlichen Einvernahme äußerte er dem widersprechend, nie einen Reisepass gehabt zu haben, lediglich einen Führerschein, welchen er auf der Flucht verloren habe (AS 93). In der mündlichen Verhandlung bestätigte er wiederum, einen nigerianischen Reisepass und Führerschein gehabt zu haben (S. 9).

Widersprüchlich geblieben sind außerdem die Angaben des Beschwerdeführers zu dem Alter seiner Geschwister. So führte er sowohl bei der Erstbefragung als auch der Einvernahme durch das Bundesamt aus, dass seine (Stief-) Schwester zehn und sein Bruder 21 Jahre alt seien (AS 27, AS 94). In der mündlichen Verhandlung wandte er ein, dass sich die diesbezüglichen Aussagen auf den Zeitpunkt des Ablebens der Eltern bezogen hätten (S. 7). Abgesehen davon, dass seine Eltern nicht im selben Jahr verschieden sind (die Mutter des Beschwerdeführers sei im Jahr XXXX und sein Vater im Jahr XXXX verstorben), gibt es im erstinstanzlichen Verfahren das Alter seiner Geschwister betreffend keine Anhaltspunkte für eine Bezugnahme auf das Ableben der Eltern. Im Übrigen steht seinen in der mündlichen Verhandlung geäußerten Behauptungen entgegen, dass er sowohl bei der Erstbefragung im Jänner 2021 als auch bei seiner Einvernahme im November 2021 versicherte, den Dolmetscher zu verstehen bzw. ihn während der gesamten Einvernahme einwandfrei bzw. „sehr gut“ verstanden zu haben, und er die Richtigkeit des Protokolls nach der Rückübersetzung durch seine Unterfertigung bestätigte. Von der ihm eingeräumten Möglichkeit, Einwendungen zu erheben bzw. Korrekturen vorzunehmen, machte er keinen Gebrauch.

Befremdlich ist auch, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung das aktuelle Alter seines Bruders nicht angeben hat können (S. 7). Wenn man in Betracht zieht, dass er bis zu dem geschilderten Vorfall über viele Jahre mit seinem, sich um ihn kümmernden Bruder zusammengelebt hatte, ist es unverständlich, das Alter des Bruders nicht zu kennen.

Die anderen Divergenzen in seinen Aussagen (Ausreise einmal mit, das andere Mal ohne Schlepper, unterschiedliche Höhe der Aufwendungen für die Flucht, Unkenntnis, welcher Biafra-Unabhängigkeitsbewegung der Bruder angehört hat [er benannte die Gruppierung mit „OBB“]) fallen bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mehr entscheidend ins Gewicht.

Insgesamt konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen, dass ihm in Nigeria aufgrund des Engagements seines Bruders für eine Biafra-Unabhängigkeitsbewegung eine Verfolgung gedroht hatte bzw. droht. Damit braucht auf sein Vorbringen in der Stellungnahme vom 05.08.2022, das Militär gehe, wie den Länderberichten entnommen werden könne, mit besonderer Härte gegen die Mitglieder der IPOB vor, und es komme vermehrt zu Gewaltakten, nicht mehr eingegangen zu werden.

Den tragenden Erwägungen des Bundesamtes zu den Voraussetzungen für den Status des subsidiär Schutzberechtigten ist ebenfalls beizutreten. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig. Im Fall der Rückkehr sollte er durch die Aufnahme einer Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um einfache Hilfstätigkeiten handelt, seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Durch seine in Österreich ausgeübte Tätigkeit als Verkäufer einer Straßenzeitung erwarb er zudem Berufserfahrung, welche ihm bei einer Rückkehr in sein Heimatland zugutekommen sollte.

Seinem Vorbringen in den Stellungnahmen vom 20.06.2022 und vom 05.08.2022 zu den Länderberichten vom 31.05.2022 und vom 29.07.2022, wonach sich ihnen eine besondere Vulnerabilität von Personen mit dem Profil des Beschwerdeführers, die bestehende prekäre Sicherheits- und Versorgungslage für Personen ohne familiäres Auffangnetz und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie für Rückkehrer entnehmen lasse, ist entgegen zu halten, dass sich aus ihnen keine Hinweise ergeben, dass bezogen auf den Beschwerdeführer die Lebensgrundlage und Versorgungslage im Vergleich zur übrigen Bevölkerung in Nigeria prekärer und ungünstiger wäre. Bedenken hinsichtlich der Unmöglichkeit der Existenzsicherung bestehen nicht. Bei der von ihm dargelegten Sorge, er verfüge über kein Eigentum und keine Unterkunftsmöglichkeiten in Nigeria, sodass ihm bei der Rückkehr Obdach- und Mittellosigkeit drohe, und es ihm deshalb unzumutbar sei, innerhalb Nigerias Schutz zu suchen, weil ein Ortswechsel ohne Gefahr, in eine wirtschaftliche oder finanzielle Notlage zu geraten, nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, handelt es sich um eine auf kein Tatsachensubtrat gestützte Mutmaßung. Mit seinem bloß pauschal gehaltenen Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, die bestehenden und sich ihm bietenden Möglichkeiten, eine Arbeit und Wohnung in Nigeria zu finden, auszuräumen. In diesem Zusammenhang ist zudem auf die Länderberichte zur „Rückkehr“ zu verweisen, wonach eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird. Warum der gesunde und erwerbsfähige Beschwerdeführer, auch wenn er in Nigeria auf keine familiäre Unterstützung zählen kann, was - wie bereits ausgeführt - nicht feststeht - nicht in der Lage sein soll, dort eine Lebensgrundlage für sich zu erwirtschaften, legte er in seinen Stellungnahmen nicht näher dar.

In Zusammenhang mit der Sicherheitslage in Nigeria verkennt das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht, dass es in einzelnen Bereichen des Herkunftsstaates zu Gewaltausbrüchen kommt, jedoch ist nach den Länderfeststellungen Nigeria kein klassisches Bürgerkriegsland. Ein bewaffneter innerstaatlicher oder zwischenstaatlicher Konflikt besteht demnach nicht, sodass eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr aufgrund solcher Konflikte ausgeschlossen werden kann. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt generell keine Bedrohung im Sinn des Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar und wird entsprechend den Länderfeststellungen selbst eine alleinstehende Person, die nach Nigeria zurückgeführt wird und dort in keinem privaten Verband Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet, insbesondere, da für den Beschwerdeführer die Möglichkeit besteht, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Aus einer Zusammenschau der zitierten Quellen ergibt sich sohin eine Sicherheitslage, die es einer Person mit dem „Profil“ des Beschwerdeführers erlaubt, in Nigeria relativ unbehelligt zu leben, ohne zwingend damit rechnen zu müssen, Opfer von Verfolgung, willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden. Er vermochte keine außerhalb seiner eigenen Person liegenden Gründe zu benennen, welche gegen eine Rückkehr bzw. für die reale Gefahr der Folter, einer unmenschlichen Bestrafung, unmenschlichen Behandlung, der Todesstrafe bzw. einer wie immer gearteten existentiellen Bedrohung sprechen würden.

Auch in Hinblick auf die noch immer bestehende Covid-19-Pandemie ergeben sich keine Rückkehrhindernisse. Das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, ist in Österreich nicht geringer als in Nigeria und gehört der Beschwerdeführer als junger und gesunder Mann zudem zu keiner Risikogruppe im Sinn der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung (BGBl. II Nr. 203/2020) und ist bei ihm aufgrund seines Alters auch im Fall einer Infektion in der Regel von keinem schweren Krankheitsverlauf auszugehen. Es fehlt daher auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie fallgegenständlich an den geforderten außergewöhnlichen Umständen im Sinn des Art. 3 EMRK. Die Feststellungen zur Covid-19-Pandemie ergeben sich aus den zitierten Quellen (vgl. Pkt. II.1.5.).

Es war daher die Feststellung zu treffen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers als sehr jungen gesunden und damit arbeitsfähigen Mann nach Nigeria nicht automatisch dazu führt, dass er einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation zu Nigeria vom 29.07.2022 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen sowie auf Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl:

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinn des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Der Beschwerdeführer vermochte, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, mit dem auf das Engagement seines Bruders für die Biafra-Unabhängigkeitsbewegung gestützten Fluchtgrund keine asylrelevante Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Sein diesbezügliches Vorbingen blieb widersprüchlich, war nicht plausibel und glaubhaft. Das weitere von ihm in der Erstbefragung geltend gemachte, ganz allgemein gehaltene Fluchtmotiv, Angst vor Boko Haram gehabt zu haben, weil sie seine Eltern getötet hätten und Christen verfolgen würden, hielt er in der Folge nicht mehr aufrecht.

Soweit in der Beschwerde auf die Frage der mangelnden Schutzfähigkeit und -willigkeit des nigerianischen Staates und der fehlenden innerstaatliche Fluchtalternative eingegangen wird, erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Argumenten, weil der Beschwerdeführer eine gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft gemacht hat.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz:

3.2.1. Rechtslage:

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage in Nigeria (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Fall der Rückkehr nach Nigeria mit existentiellen Nöten konfrontiert ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 07.09.2016, Ra 2015/19/0303).

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Nigeria führt nicht automatisch dazu, dass er in eine unmenschliche Lage bzw. eine Notlage geraten würde und seine in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte verletzt würden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend, um subsidiären Schutz zu gewähren (VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Vielmehr ist zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 10.03.2021, Ra 2021/19/0060).

Derartige Umstände wurden seitens des Beschwerdeführers nicht dargelegt und sind auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Sein Vorbringen in der Beschwerde und den zuletzt eingebrachten Stellungnahmen zur Lage in Nigeria, insbesondere zur dort vorherrschenden, einen großen Teil der Bevölkerung treffenden Armut, sowie der ihm drohenden Obdach- und Mittellosigkeit, weil es ihm an einem bestehenden Familienverband fehle, was wiederum die Schutzsuche innerhalb Nigerias als denkunmöglich und unzumutbar erscheinen lasse, blieb allgemein gehalten, unsubstantiiert sowie auf eine Mutmaßung beschränkt. Einen beachtenswerten Umstand mit Bezug auf seine Person brachte der Beschwerdeführer damit nicht vor. Er ist jung, gesund und damit erwerbsfähig und gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an. Er verfügt über eine schulische Ausbildung und hat mittlerweile in Österreich durch den Verkauf einer Straßenzeitung Berufserfahrung gesammelt. Es wäre ihm möglich, durch die Ausübung einer (Hilfs-) Tätigkeit seinen Lebensunterhalt in Nigeria zu bestreiten. Es ist daher davon auszugehen, dass er im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat seine Grundbedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Im Übrigen bestünde für ihn die Möglichkeit, den Kontakt zu den Tanten und Onkel mütterlicherseits, mit denen er - wie er behauptet - bisher keinen Kontakt haben soll, zu suchen. Im Übrigen konnte nicht festgestellt werden, ob sein Bruder und seine Stiefschwester noch in Nigeria leben.

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und/oder Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, mwN).

Zudem ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsbericht keine Hinweise, dass bezogen auf den Beschwerdeführer die Lebensgrundlage und Versorgungslage im Vergleich zur übrigen Bevölkerung in Nigeria prekärer und ungünstiger wäre. Bedenken hinsichtlich der Existenzsicherung bestehen nicht. Von einer existenzbedrohenden Lage kann im Fall des Beschwerdeführers daher nicht die Rede sein. Hinzu kommt, dass - wie im Länderbericht ausgeführt - eine nach Nigeria zurückkehrende Person, selbst dann, wenn sie in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021). Es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, gegebenenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Fall der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden, um allfällige Anfangsschwierigkeiten bei der Reintegration in Nigeria leichter überwinden zu können.

Zudem ist es dem Beschwerdeführer gerade in Großstädten, wie beispielsweise in Benin City, Lagos, Abuja, möglich, sich als alleinstehender, junger und gesunder Mann niederzulassen. Damit stünde ihm im Übrigen auch eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, selbst wenn sei Fluchtvorbringen - bei hypothetischer Wahrunterstellung - tatsächlich wahr wäre.

Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass er allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber der Situation in Nigeria bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem Länderinformationsblatt zu Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen:

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG 2005 (gemeint offenbar: einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“) wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine Hinweise, die es nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung:

3.4.1. Rechtslage:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Zu prüfen ist, ob die vom Bundesamt verfügte Rückkehrentscheidung mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

Bei der Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249).

Der Beschwerdeführer führt, wie oben dargelegt, in Österreich keine Lebensgemeinschaft bzw. familienähnliche Beziehung. Daran kann der Umstand, dass er vor ca. fünf Monaten eine ungarische Staatsbürgerin kennengelernt hat, nichts ändern. Das Eingehen einer Beziehung zu einem Zeitpunkt, zu dem der Fremde nicht mit einem weiteren Verbleib im Inland rechnen konnte, führt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu einer wesentlichen Minderung der in die Interessenabwägung einzubeziehenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet (VwGH 28.04.2022, Ra 2020/14/0303). Ein schützenswertes Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK besteht beim Beschwerdeführer somit nicht. Angesichts dessen bedarf es daher zur Klärung, ob zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Bekannten eine (enge) Beziehung besteht, keiner weiteren mündlichen Verhandlung mehr.

Zu prüfen ist daher ein etwaiger Eingriff in sein Privatleben. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554).

Unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479 zu einem dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder auch Erkenntnis vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 zu einem zweijährigem Aufenthalt in Verbindung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet war), des Verfassungsgerichtshofes (29.11.2007, B 1958/07-9, wonach im Fall eines sich seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Berufungswerbers die Behandlung der Beschwerde wegen Verletzung des Art. 8 EMRK abgelehnt wurde; ebenso 26.04.2010, U 493/10-5 im Falle eines fünfjährigen Aufenthaltes) und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (siehe etwa EGMR, 08.04.2008, Nnyanzi v. UK, 21878/06) muss angesichts der kurzen Dauer des Inlandsaufenthaltes von rund eineinhalb Jahren davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers das Interesse an der Achtung seines Privatlebens deutlich überwiegt.

Bei der Einzelfallprüfung bedarf es zudem der Beurteilung, ob der Beschwerdeführer in der Zeit seines Aufenthalts wesentliche Integrationsschritte gesetzt hat.

Es fehlen gegenständlich alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser - unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanter - Bindungen allenfalls hätte ergeben können. Während seines bisherigen Aufenthaltes erwarb er geringe Deutschkenntnisse (der Beschwerdeführer behauptet, die Deutschprüfung A1 abgelegt zu haben) und ging er mit Ausnahme der Tätigkeit als Zeitungsverkäufer bisher keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach. Er bezieht vielmehr Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, woraus die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit resultiert. Auch durch das Fußballspielen in einem Verein setzte er keine beachtenswerten sozialen Integrationsschritte.

In diesem Zusammenhang fällt zudem negativ ins Gewicht, dass die Staatsanwaltschaft Graz gegen den Beschwerdeführer wegen § 269 Abs. 1 StGB und § 84 StGB Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben hat.

Es liegen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer einen tiefergehenden Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde.

Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Anknüpfungspunkte und ist mit den kulturellen Gepflogenheiten in Nigeria vertraut. Von einer Entfremdung und Entwurzelung kann bei einer Abwesenheit von ca. zwei Jahren nicht gesprochen werden und es deutet nichts darauf hin, dass es ihm im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Auch in Hinblick auf die noch immer anhaltende Covid-19-Pandemie stehen keine Rückkehrhindernisse nach Nigeria im Weg. Da der Beschwerdeführer als junger und gesunder Mann keiner Risikogruppe zuzuordnen ist, trifft ihn die Pandemie in Nigeria nicht anders oder stärker als in Österreich.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die - wie der Beschwerdeführer - ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind, auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt, schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich (VwGH 12.12.2012, Zl 2012/18/0207).

Angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers, seiner nicht ausgeprägten Integration sowie des Umstandes, dass er in Österreich kein im Sinn des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben führt, kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass seine privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinn von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (zB vorübergehend nach Art. 8 EMRK, vgl. § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG abzuweisen war.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig ist. Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (VwGH 25.09.2019, Ra 2019/19/0399, mwN).

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen war.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Fluchtgründen sowie zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bei einem jungen, volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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