AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:I412.2148488.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria alias Somalia, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX vom 05.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.04.2022, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt VI. zu lauten hat:
„Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 06.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit dem Kriegszustand zwischen Kurden und Türken in der Türkei begründete. Er selbst sei aber somalischer Staatsangehöriger und seit seiner frühesten Kindheit in der Türkei aufgewachsen.
2. Mit dem Bescheid vom 31.01.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Als Herkunftsstaat wurde Nigeria genannt. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt IV.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).
3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes wurde dieser Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an die belangte Behörde zurückgewiesen. Die kassatorische Entscheidung wurde mit fehlenden oder ungeeigneten Ermittlungen begründet. Die Feststellung einer nigerianischen Staatsangehörigkeit allein aufgrund der „fachlichen Wahrnehmung/Kompetenz“ des Einvernahmeleiters ist kein geeigneter Ermittlungsschritt, um die Staatsangehörigkeit entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers festzustellen.
4. Im fortgesetzten Verfahren wurde ein linguistisches Sprachgutachten eingeholt mit dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer sehr wahrscheinlich in Nigeria hauptsozialisiert wurde und eine Hauptsozialisierung in der Türkei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Der Beschwerdeführer wurde in einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme mit dem Sprachgutachten konfrontiert, bestritt aber weiterhin Nigerianer zu sein und wurde seitens des Rechtsberaters auch eine Stellungnahme zum Gutachten abgegeben. Darin werden wesentliche Mängel des Gutachtens geltend gemacht und die Kompetenz des Sachverständigen in Frage gestellt. Auf Nachfrage der Rechtsberaterin brachte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde erstmals sexuellen Missbrauch durch türkische Polizisten vor und machte er schließlich auch von seinem Recht gemäß § 20 AsylG 2005 Gebrauch, dass das weitere Verfahren durch weibliche Einvernahmeleiterinnen bzw. ein weiblich besetztes Gericht geführt wird. In einem vorgelegten Schreiben der Organisation XXXX wurde auch der Fluchtgrund des Menschenhandels in der Türkei genannt.
5. Im nunmehr angefochtene Bescheid vom 05.06.2018 stützt sich die belangte Behörde auf das oben angeführte linguistische Gutachten und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) neuerlich als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt VI.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).
6. Im Beschwerdeschriftsatz vom 28.06.2028 wurde weiterhin auf eine somalische Staatsangehörigkeit abgestellt und wurden die bereits vorgebrachten Fluchtgründe bezogen auf die Türkei aufrecht gehalten.
7. Der Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.07.2018 zu GZ I405 2148488-2/4Z die aufschiebende Wirkung zuerkannt, am 05.04.2022 fand eine mündliche Verhandlung in der Außenstelle Innsbruck statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer leidet an keiner schweren Erkrankung, ist nicht rehabilitations- oder pflegebedürftig und soweit gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste illegal ohne gültigem Reisedokument nach Österreich ein. Er hält sich seit Stellung des Asylantrages in Österreich auf. Fest steht, dass der Beschwerdeführer einige Jahre in der Türkei gelebt hat, sich aber nicht seit dem Kleinkindalter dort aufhält.
Der Beschwerdeführer hat weder im Herkunftsstaat, noch in der Türkei oder in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte und auch keine maßgeblichen privaten Verbindungen.
Der Beschwerdeführer besuchte laut eigenen Angaben keine Schule. Er spricht Englisch und etwas Türkisch sowie Deutsch. In der Türkei sicherte sich der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt durch das Sammeln von Aluminium und selbstständige Tätigkeiten als Tagelöhner und Uhrenverkäufer. In Österreich verkauft er eine Straßenzeitung. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung auch außerhalb der Herkunftsstaates hat er eine Chance, auch hinkünftig am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.
Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung im XXXX .
Der Beschwerdeführer besuchte 2018/2019 drei Deutschkurse Niveau A1 (je 50 Unterrichtseinheiten), hat jedoch keine Deutschprüfung positiv absolviert, besuchte 2021 den Kurs „LernBar/Schreiben, lesen, rechnen, digitale Kompetenzen“ (24 Unterrichtseinheiten) und hat in Österreich Bekanntschaften geschlossen, weist jedoch keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
An dieser Stelle ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer keine Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat vorbringt. Der Konflikt zwischen Türken und Kurden sowie ein etwaiger Menschenhandel durch sexuelle und physische Ausbeutung bezieht sich auf den zwischenzeitlichen Aufenthaltsstaat Türkei, in dem er zwar einige Zeit lang gelebt hat, der aber nicht sein Herkunftsstaat ist. Eine Verfolgung oder Bedrohung, die eine asylrelevante Prüfung nötig macht, wurde somit nicht vorgebracht.
Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen.
Im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria wird er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
1.3. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:
Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
1.3.1. Politische Lage
Letzte Änderung: 31.01.2022
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2021; vgl. AA 5.12.2020; GIZ 12.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 12.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 12.2020a; vgl. AA 5.12.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 5.12.2020).
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 23.3.2021). Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten, stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen und gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 5.12.2020).
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteizugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 5.12.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 3.3.2021).
Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 12.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 12.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation (GIZ 12.2020a).
Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat und Repräsentantenhaus. Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei All Progressives‘ Congress (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die People’s Democratic Party (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 5.12.2020).
Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 20.5.2021
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
BBC - BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3 , Zugriff 23.8.2021
DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by 'systemic failings', https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131 , Zugriff 20.5.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019 , Zugriff 20.5.2021
1.3.2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 31.01.2022
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 5.12.2020).
Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz (AA 5.12.2020), vorwiegend durch Boko Haram (FH 3.3.2021; vgl. UKFCDO 24.12.2021), sowie ISIS-WA [Islamischer Staat Westafrika] und anderen Gruppen (UKFCDO 24.12.2021). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram "technisch" besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).
Im Middle Belt kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern (AA 5.12.2020; vgl. FH 3.3.2021). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 5.12.2020). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).
Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen [u.a. IPOB - Indigenous People of Biafra] und der Staatsgewalt. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 5.12.2020). In der letzten Zeit hat es dort eine zunehmende Zahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 24.12.2021),
Zunehmend kritisch für die allgemeine Sicherheitslage in Nord- und Zentralnigeria ist die aus den nordwestlichen Bundesstaaten Sokoto, Zamfara, Katsina und Kaduna ausgehende Bandenkriminalität (insb. Viehdiebstähle, Überfälle, Entführungen) (AA 5.12.2020; vgl. EASO 6.2021). Bemühungen der Sicherheitskräfte haben eher zur Verdrängung der Aktivitäten in bisher nicht betroffene Gebiete als zur effektiven Verfolgung der Kriminellen geführt (AA 5.12.2020). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 3.8.2021).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).
In der Zeitspanne März 2020 bis März 2021 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.888), Kaduna (1.103), Zamfara (938). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (5), Bauchi (16), Jigawa (16) (CFR 12.4.2021). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.1.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 24.1.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria's security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021
BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys 'all resources' amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021
CFR - Council on Foreign Relations (12.4.2021): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 18.8.2021
DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020
EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2021 , Zugriff 20.5.2021
Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020
UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (24.12.2021): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 24.1.2022
1.3.3. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 31.01.2022
Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog inkl. Grund- und Freiheitsrechten (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2021). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 5 .12.202). Die Menschenrechtslage hat sich seit Amtsantritt der Zivilregierung 1999 deutlich verbessert (ÖB 10.2021; vgl. AA 5.12.2020, GIZ 12.2020a) - etwa durch die Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, die nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe (ÖB 10.2021).
Auch bekennt sich die Regierung ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, die auch in der Verfassung als einklagbar verankert sind. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2021).
Viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen (ÖB 10.2021), Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 12.2020a), die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen (ÖB 10.2021; vgl. GIZ 12.2020a) sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels (ÖB 10.2021). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf Meinungsfreiheit und auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 30.3.2021).
Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 5.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).
Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 12.2020a).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
1.3.4. Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 31.01.2022
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (GIZ 12.2020b; vgl. ÖB 10.2021, AA 5.12.2020) und Freiheit der Religionsausübung (ÖB 10.2021). Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen, religiöse Diskriminierung ist verboten. Jeder genießt die Freiheit, seine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern (USDOS 12.5.2021; vgl. USCIRF 4.2021). Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens. Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z.B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious- Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät. Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt (AA 5.12.2020).
Die Regierung achtet Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt in der Regel straflos bleibt. Die Verfassung verbietet es Gebietskörperschaften, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen. In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion (ÖB 10.2021). Manche Gesetze von Landes- und Bundesregierung diskriminieren Mitglieder christlicher oder muslimischer Minderheiten (USDOS 12.5.2021). Außerdem gestaltet sich die Umsetzung der verfassungsmäßig gesicherten Religionsfreiheit in der Praxis aufgrund religiöser Spannungen schwierig (GIZ 12.2020b).
Die Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften und religiösen Gruppen ist auf lokaler Ebene und in der Bevölkerung teilweise nur unzureichend ausgeprägt. Eine Ausnahme sind die Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen seit Generationen auch Mischehen zwischen Moslems und Christen verbreitet sind. In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit dagegen problematisch, insbesondere im Middle Belt, wo der Kampf um Land und Lebensraum zunehmend religiös aufgeladen wird (AA 5.12.2020). NGOs sowie religiöse Organisationen drücken ihre Besorgnis aus, dass die Gewalt zwischen vorwiegend muslimischen Fulani-Nomaden und vorwiegend christlichen Bauern in den nördlich und zentral gelegenen Staaten, religiöse Untertöne hat. Gemäß lokalen Behörden, Wissenschaftlern und Experten spielen dabei aber auch Ethnizität, Politik, Kriminalität, mangelnde Rechenschaft und Zugang zu Justiz sowie der Konflikt um sich reduzierende nutzbare Landflächen eine zentrale Rolle (USDOS 12.5.2021).
Auch die Lage zwischen den Moslems der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist teilweise stark angespannt. Versammlungen und Märsche der schiitischen Minderheit gelten als Provokation. Diesbezüglich kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen. Nach gewaltsamen Protesten des IMN (Islamic Movement of Nigeria) in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt (AA 5.12.2020). Die Regierung betont allerdings, dass dieses Verbot nicht gegen die „friedfertigen und gesetzestreuen“ Schiiten in Nigeria gerichtet ist (USDOS 12.5.2021).
Die islamistisch-terroristischen Organisationen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika sind weiterhin aktiv und führen zahlreiche Angriffe auf Bevölkerungszentren oder religiöse Ziele durch [Anm. Siehe Abschnitt: Sicherheitslage] (USDOS 12.5.2021).
Generell können jene Personen, die sich vor Problemen hinsichtlich der Religionsfreiheit oder vor Boko Haram fürchten, entweder staatlichen Schutz oder aber eine innere Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen, Fälle sind jedoch individuell zu prüfen. Staatlicher Schutz ist wahrscheinlicher außerhalb der nordöstlichen Staaten verfügbar, ist aber auch dort lokalen Ressourcen entsprechend unterschiedlich ausgeprägt (UKHO 1.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, [Link nicht mehr aktiv. Die Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf.]
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (1.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Boko Haram, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005749/Nigeria_-_BH_-_v3_-_January_2019.pdf , Zugriff 9.7.2021
USCIRF - U.S. Commission on International Religous Freedom [USA] (4.2021): USCIRF - Recommended for Countries of particular concern (CPC), https://www.ecoi.net/en/file/local/2052979/Nigeria+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 8.7.2021
USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
1.3.5. Religiöse Gruppen
Letzte Änderung: 31.01.2022
Nigeria ist von drei unterschiedlichen Religionen geprägt: dem Islam, dem Christentum und den indigenen Religionen (GIZ 12.2020b). 53,5 Prozent sind Moslems, 10,6 Prozent sind Katholiken und 35,3 Prozent gehören anderen christlichen Glaubensrichtungen an. Der Rest gehört anderen Religionen an (CIA 18.1.2022). Nach anderen Angaben besteht die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Muslimen, während die verbleibenden zwei Prozent anderen oder keinen Religionen angehören. Viele Menschen verbinden indigene Überzeugungen und Praktiken mit dem Islam oder dem Christentum (USDOS 12.5.2021).
Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich (AA 5.12.2020; vgl. GIZ 12.2020b, USDOS 5.12.2021). Allerdings gibt es im Norden, wo die muslimischen Hausa- Fulani überwiegen, auch signifikante christliche Bevölkerungsteile. In Zentralnigeria, Abuja und den südwestlichen Yoruba-Bundesstaaten halten sich die Anteile an Muslimen und Christen die Waage (USDOS 12.5.2021; vgl. GIZ 12.2020b).
2010 gaben 38 Prozent der Muslime an, Sunniten zu sein, 12 Prozent Schiiten; der Rest sah sich als „etwas anderes“ (5 Prozent) oder einfach als „Muslime“ (42 Prozent). Unter den Sunniten finden sich mehrere Sufi-Strömungen (USDOS 12.5.2021), im Norden des Landes v.a. die Bruderschaften der Qadiriyya und der Tijaniyya (GIZ 12.2020b; vgl. USDOS 12.5.2021). Seit der nigerianischen Unabhängigkeit sind viele islamische Gemeinschaften entstanden, d.h. wie bei den Christen auch, passte sich der Islam den afrikanischen Traditionen u.a. mit der Entstehung neuer islamischer Sekten an (GIZ 12.2020b).
Das Christentum unterteilt sich in Katholiken, Protestanten und synkretistische afrikanische Kirchengemeinschaften. Bei letzteren handelt es sich um eine Vermischung von traditionellen Religionen mit Freievangelisten – meist Mitglieder evangelikaler und pentekostaler Kirchen. Es gibt im Land bereits über tausend dieser – meist stark profitorientierten – neuen afrikanischen Kirchengemeinden mit mehreren Millionen Mitgliedern, Tendenz steigend (GIZ 12.2020b).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
CIA - Central intelligence Agency [USA] (18.1.2022): The World Fact Book, Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/ , Zugriff 21.1.2022
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021
1.3.6. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 31.01.2022
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet (USDOS 30.3.2021).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 30.3.2021). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 5.12.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019b).
In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2021). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 5.12.2020).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 30.3.2021).
Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).
Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt, mit Stand September 2020 auf 50 Personen (USDOS 30.3.2021). Im ganzen Land gilt eine Ausgangssperre von Mitternacht bis 4 Uhr (WKO 7.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (3.2019b): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 22.6.2021
USDOS - U.S. Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048101.html , Zugriff 26.5.2021
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.1.2022): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html , Zugriff 26.1.2022
1.3.7. Grundversorgung
Letzte Änderung: 31.01.2022
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte. 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent. Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe) (GIZ 6.2020). 2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 2.11.2021).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 5.12.2020). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 5.12.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020).
Über 70 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020). Dennoch ist Nigeria in diesem Bereich keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2021).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2021). Mit Stand August 2020 benötigen gemäß UN 10,6 Millionen Menschen in Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa humanitäre Hilfe (HumAngle 11.8.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 12.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d. h., sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben ca. 90 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag und über 90 Prozent der Bevölkerung müssen mit einem Einkommen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag auskommen (ÖB 10.2021). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 12.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die letzten offiziellen Zahlen des nigerianischen National Bureau of Statistics (NBS) die Arbeitslosigkeit betreffend stammen aus dem 4.Quartal 2020. Demnach waren damals 56,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Besonders hoch sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung unter Jugendlichen. Laut NBS betrugen sie im selben Zeitraum kumuliert 63 Prozent (ÖB 10.2021). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2021; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 12.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2021). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2021).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
HumAngle (11.8.2020): Number of People Requiring Humanitarian Aid in North-East Nigeria Highest in Five Years, https://humanglemedia.com/number-of-people-requiring-humanitarian-aid-in-north-east-nigeria-highest-in-five-years/ , Zugriff 6.8.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.11.2021): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 21.1.2022
1.3.8. Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 31.01.2022
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 12.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 12.2020b; vgl. ÖB 10.2021). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 10.1.2022). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2021). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 12.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2021).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 5.12.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2021). Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 5.12.2020). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über eine moderne Ausstattung (ÖB 10.2021).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 5.12.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 5.12.2020). In Nigeria stehen 250 Psychiater für eine Bevölkerung von 200 Millionen Menschen zur Verfügung (Devex 29.9.2020). Es gibt weniger als 15 auf psychische Erkrankungen spezialisierte Spitäler (IRB 12.1.2020) und 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 5.12.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor (AA 5.12.2020). Die Rate der im NHIS versicherten Personen ist von 10 Prozent (5,6 Millionen Nigerianer) vor zehn Jahren auf 1,72 Prozent (eine Million Nigerianer) in aktualisierten Statistiken [Stand: 2020] gefallen. 90 Prozent der Nigerianer sind nicht versichert. 3-5 Prozent der Bevölkerung sind in irgendeiner Form krankenversichert (TG 25.9.2020). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 12.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 5.12.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2021). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 5.12.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2021).
Apotheken und in geringerem Maße v.a. private Kliniken verfügen über eine Auswahl essenzieller Medikamente. Hier sind die gängigen Antiphlogistika und Schmerzmittel sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente für Herz-Kreislauferkrankungen und zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden erhältlich (AA 5.12.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2021).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 5.12.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2021).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 12.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2021).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 22.8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.1.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5 , 24.1.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (22.8.2021): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 23.8.2021
Devex (29.9.2020): Short of mental health professionals, Nigeria tries a new approach, https://www.devex.com/news/short-of-mental-health-professionals-nigeria-tries-a-new-approach-98176 , Zugriff 3.8.2020
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]
HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chained-abused , Zugriff 3.8.2021
IRB - Immigration and Refugee Board [Kanada] (12.1.2020): Response to information request, https://www.justice.gov/eoir/page/file/1342146/download , Zugriff 3.8.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
TG - The Guardian (25.9.2020): Over 170 million Nigerians without health insurance, https://guardian.ng/features/over-170-million-nigerians-without-health-insurance/ , Zugriff 3.8.2021
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
1.3.9. Rückkehr
Letzte Änderung: 31.01.2022
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 5.12.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2021). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 5.12.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 5.12.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2021). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 5.12.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2021) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 5.12.2020; vgl. ÖB 10.2021). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2021).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 5.12.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2021).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 5.12.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zu den vorliegenden Akten eingeholt. Außerdem wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria (Stand 31.01.2022) berücksichtigt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Strittig blieb bis zuletzt die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers. Er selbst blieb bei seinen Angaben, somalischer Staatsbürger zu sein. Beweise dafür konnte er nicht vorlegen und gründet sich seine Behauptung darauf, dass ihm dies von jenem türkischen Mann so gesagt worden sei, der ihn nach dem Tod des Vaters als Kleinkind zu sich genommen habe. Aus dem eingeholten linguistischen Sachverständigengutachten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer keine solchen Türkischkenntnisse aufweist, die er haben müsste, wenn er wie behauptet seit seinem etwa zweiten Lebensjahr in der Türkei aufgewachsen sein will. Stattdessen wurde im Gutachten festgehalten, dass der Beschwerdeführer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in der Türkei hauptsozialisiert wurde, sehr wahrscheinlich in Nigeria hauptsozialisiert wurde und keinen Bezug zu Somalia aufweist. In der Stellungnahme der Rechtsberatung zum Gutachten wird eine Kompetenzüberschreitung des Gutachters geltend gemacht und das Gutachten per se als mangelhaft kritisiert. Wenn darauf abgestellt wird, dass der Sachverständige mangels eigenen Türkischkenntnissen das Niveau des Beschwerdeführers in dieser Sprache nicht beurteilen könnte, so wird übersehen, dass das vorliegende Gutachten ausdrücklich nicht aufgrund eines laiendialektologischen Verfahrens zustande gekommen ist, sondern die Sprachproben gezielt hinsichtlich überprüfbarer Merkmale ausgewertet wurden. Der Sachverständige beherrscht im Vergleich auch nicht alle über 500 gesprochenen Sprachen Nigerias, sondern bestimmt anhand von Merkmalen und Varietäten. Der Sachverständige konnte in Kombination mit der Überprüfung sonstiger länderspezifischer Merkmale wie Währung und Banknoten zur Türkei nachvollziehbar darlegen, dass der Beschwerdeführer einen Erfahrungshintergrund in der Türkei erkennen lässt. Aufgrund der eindeutig nicht erstsprachlichen Qualität des vom Beschwerdeführer gesprochenen Türkischen, sowie aufgrund seines nicht in die Zeit vor 2005 zurückreichenden Erfahrungshintergrundes in der Türkei kam der Sachverständige zum Schluss, dass der Beschwerdeführer erst seit dem Erwachsenenalter in der Türkei aufhältig war und eine Hauptsozialisierung aufgrund der Varietät des Englischen in Nigeria erfahren hat. Diese Schlussfolgerung passt auch zu den widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers, wonach der türkische Mann, der ihn aufgezogen haben soll, „Arafat Hammed“ geheißen haben soll (Ersteinvernahme, AS 15), später gab er an, dass der Mann den Namen „Murat“ trug (vor dem Sprachgutachter AS 261; Schreiben XXXX AS 441) und in der Einvernahme vor der belangten Behörde nannte er ihn „ XXXX “ (AS 411). Auch den später getroffenen Mann aus Gambia nannte er zunächst „ XXXX “ (AS 262) und änderte er den Namen im Schreiben von XXXX (AS 441) in „ XXXX “ ab. Der Sachverständige konnte auch keine Varietät des gambischen Englisch feststellen und ist die Erklärung, dass ihm der alte Mann aus Gambia erst die Sprache Englisch beigebracht habe, nicht glaubhaft.
In Gesamtschau ergibt sich schlüssig und nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Nigeria stammt und erst später im Erwachsenenalter in der Türkei gelebt hat. Das zu Grunde gelegte linguistische Gutachten ist vollständig, enthält Befund und Gutachten im engeren Sinn und steht mit den Gesetzen der Logik im Einklang.
Der Sachverständige XXXX hat auch selbst zu seiner Person angeführt, dass seine Kompetenz eine allgemein afrikanistisch-linguistische sei. Er habe an der Universität Wien Afrikanistik und Politikwissenschaften studiert und im Jahr 1991 promoviert. Seitdem sei er in verschiedenen Forschungsprojekten in Österreich und Deutschland beschäftigt gewesen und habe dort und in Nigeria an verschiedenen Universitäten gelehrt. Bereits 1999 sei er als Gutachter im Asylverfahren verschiedener europäischer Behörden der ersten und zweiten Instanz tätig gewesen. Darüber hinaus ist das Gutachten durch umfassende bibliographische Hinweise gestützt und finden sich darin auch verwendeten Quellen. Der Gutachter hat seine Kompetenz, im vorliegenden Fall ein Gutachten zu erstellen, hinreichend belegt.
Gemäß den Standesregeln des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs hat der Sachverständige nach seiner Beauftragung unverzüglich und – soweit erforderlich – durch ein erstes Aktenstudium oder durch erste informative Ermittlungen zu prüfen, ob er für den Gutachtensauftrag die erforderliche Sachkompetenz besitzt. Bei Zweifel an seiner Sachkompetenz hat der Sachverständige die Übernahme des Auftrages abzulehnen. Bestehen solche Zweifel für einzelne Teile des Gutachtensauftages, ist der Auftraggeber darüber zu informieren und ihm die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen (die Einholung eines Hilfsgutachtens) vorzuschlagen.
Im gegenständlichen Verfahren sind keine Umstände zutage getreten, wonach der Sachverständige eine fehlende Sachkompetenz zur Beurteilung der Frage der Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers aufweise. Anhand der zuvor zitierten Passage der Standesregeln des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen wäre es zudem die Pflicht des Sachverständigen, bei Zweifeln die Auftragsübernahme abzulehnen. Soweit in der Stellungnahme vom 17.05.2018 infrage gestellt wird, ob der Sachverständige das notwendige Expertenwissen betreffend die Überprüfung der türkischen Sprachkompetenz des Beschwerdeführers besitzt, ist darauf hinzuweisen, dass es dem Sachverständigen, obwohl dieser eine Spezialisierung in Afrikanistik aufweist, durchaus möglich war eine Hauptsozialisierung in der Türkei auszuschließen, da der Beschwerdeführer Türkisch mit einem nigerianisch-englischen Akzent sprach und die Beurteilung eines nigerianischen Akzentes eindeutig im Fachbereich des Sachverständigen liegt und er auch viele alltägliche Worte (z.B. Milch) im Türkischen nicht anführen konnte (Gutachten S 63).
Der Sachverständige erstattete ein einwandfreies Gutachten, welches mit Schlüssigkeit und Fachwissen besticht. Das Gutachten zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen des Beschwerdeführers entsprach überdies vollinhaltlich den Kriterien des Verwaltungsgerichtshofes. Er führte einerseits die Ansatzpunkte der Sprachanalyse näher aus und enthält der Großteil des eingebrachten Gutachtens den detailliert ausgeführten Befundbericht, welcher mit Fachwissen überzeugte. Der Beschwerdeführer ist der Bestellung dieses Sachverständigen im Vorhinein zudem nicht entgegengetreten.
Im Übrigen wäre es dem Beschwerdeführer freigestanden, durch Einholung eines weiteren Sprachgutachtens dem herangezogenen auf fachlich gleicher Ebene entgegenzutreten bzw. dieses zu entkräften.
Zu der in der Stellungnahme vom 17.05.2018 erhobene Monierung, dass die Sprachanalyse ein umstrittenes Beweismittel sei, ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die grundsätzliche Tauglichkeit von Sprachanalysen (bei notwendiger sorgfältiger Prüfung des Einzelfalls) zur (Negativ-) Feststellung des Herkunftslandes in Entscheidungen des UBAS, respektive Asylgerichtshofes anerkannt wurde. Nichtsdestotrotz geht die erkennende Richterin davon aus, dass Sprachanalysegutachten im Einzelfall zu beurteilen sind. Eine völlige Ablehnung dieser Methode lässt sich aber nicht erschließen. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es tatsächlich schwierig sein kann, nur aufgrund einer Sprachanalyse mit ausreichender Sicherheit festzustellen, welches der wahre Herkunftsstaat eines Asylwerbers ist. Dies wird in bestimmten Fällen, insbesondere dann, wenn zusätzliche andere Indizien dafür vorliegen, möglich sein, nicht jedoch in anderen Fällen.
Im vorliegenden Verfahren sind auch nach Erstellung des Sprachanalysegutachtens keine weiteren eindeutigen Hinweise hervorgekommen, bzw. wurden solche vom Beschwerdeführer auch nicht substantiell vorgebracht, welche im Gegensatz dazu die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers mit Somalia begründen würden.
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen in Österreich gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Zu seinem Gesundheitszustand legte er einen klinisch-psychologischen Befundbericht vom 25.01.2018 vor (AS 347f), in dem eine posttraumatische Belastungsstörung festgehalten wurde. Vor der belangten Behörde und zuletzt in der Beschwerdeverhandlung (S 3 Verhandlungsprotokoll) gab er aber an, gesund zu sein und an keiner Erkrankung zu leiden. Da er eine Straßenzeitung verkauft und sich auch vor der erkennenden Richterin arbeitswillig zeigte, konnte von einer Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden.
Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.
Auch in integrativer Hinsicht konnte der Beschwerdeführer außer einigen Unterstützungsschreiben, Deutschkursbestätigungen sowie der Bestätigung über den Verkauf einer Straßenzeitung keine Belege vorweisen.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
Die Feststellungen zu seinem gegenwärtigen Wohnsitz und seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem vorliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem und dem ZMR.
2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer bringt als Fluchtgrund aus der Türkei die dortige kriegsähnliche Situation zwischen Kurden und Türken vor und führt später im Verfahren auch Menschenhandel und sexuellen Missbrauch ins Treffen. Alle diese Vorbringen beziehen sich auf den Staat Türkei und konnten bei der Prüfung von asylrelevanter Verfolgung im Herkunftsstaat keine Berücksichtigung finden.
Bezogen auf den festgestellten Herkunftsstaat Nigeria brachte er weder vor der belangten Behörde, noch in der Beschwerde oder in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Bedrohung oder Verfolgung vor.
Laut der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Richtigkeit der Angaben des Asylwerbers über seine Identität und seine Herkunft grundsätzlich maßgebliche Bedeutung für die Frage zu, ob die von ihm angegebenen - aus seiner behaupteten Abstammung resultierenden - Verfolgungsgründe überhaupt zutreffen können. Entsprächen - auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens - die Angaben des Asylwerbers über eine Bedrohungssituation in dem von ihm als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat offensichtlich nicht den Tatsachen, weil seinem Vorbringen insbesondere wegen eines Täuschungsversuches über seine wahre Identität keinerlei Glaubwürdigkeit zukommt, so läge in Ermangelung eines "sonstigen Hinweises" auf eine asylrelevante Verfolgung ein offensichtlich unbegründeter Asylantrag im Sinne des § 6 Z 3 AsylG 1997 vor (Hinweis E vom 30.11.2000, 99/20/0590, und vom 30.01.2001, 2000/01/0106 sowie 27.09.2001, 2001/20/0393).
Das bedeutet, dass im Asylverfahren neben der Person des Asylwerbers auch dem Herkunftsstaat eine zentrale Bedeutung zukommt: Der Asylwerber determiniert mit der Bekanntgabe seines Herkunftsstaates in seinem Antrag auf internationalen Schutz - im Zusammenhalt mit dem geltend gemachten, individuellen Fluchtgrund - den Verfahrensgegenstand des Asylverfahrens, wobei es sich bei der Gewährung von Asyl bzw. von subsidiärem Schutz nicht um einen amtswegig zu erlassenden, sondern um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt handelt (vgl. VwGH 30.03.2006, 2003/20/0345). Sowohl der Herkunftsstaat als auch der persönliche Fluchtgrund müssen also vom Beschwerdeführer in seinem Antrag auf internationalen Schutz behauptet und zumindest glaubhaft gemacht werden, was gegenständlich nicht passiert ist.
Der Beschwerdeführer hat behauptet, ausschließlich in der Türkei verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer hat seine nigerianische Herkunft verschleiert und behauptet Staatsangehöriger von Somalia zu sein, und somit hat der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz unrichtig begründet. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf den festgestellten Herkunftsstaat Nigeria keinerlei Fluchtgründe geltend gemacht hat, es ist ihm nicht gelungen, eine aktuelle Verfolgungsgefahr in Nigeria glaubhaft zu machen.
2.4. Zu den Länderfeststellungen:
Die unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zur Lage in Nigeria basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 31.01.2022; zu den darin verwendeten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland in der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert entgegen.
Soweit in der mündlichen Verhandlung moniert wird, die belangte Behörde hätte sich mit den Länderberichten zur Situation in Somalia befassen müssen, ist wiederum auf das eingeholte Sachverständigengutachten hinzuweisen, wonach der Beschwerdeführer sehr wahrscheinlich eine Hauptsozialisierung in Nigeria erfahren habe und darauf, dass der Beschwerdeführer weder in der mündlichen Verhandlung noch durch eine entsprechende Urkundenvorlage eine Hauptsozialisierung in Somalia bzw. eine somalische Staatsbürgerschaft glaubhaft machen konnte. Das erkennende Gericht folgt – wie schon die belangte Behörde – den nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen und traf die belangte Behörde somit korrekte Länderfeststellungen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Der Beschwerdeführer hat wie unter Pkt. 2.3. ausgeführt, keine Fluchtgründe in Bezug auf den Herkunftsstaat vorgebracht.
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher schon aus diesem Grund nicht gegeben und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
3.2.1. Rechtslage:
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).
Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).
3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Dem Beschwerdeführer droht in Nigeria - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer spricht die dortige Landessprache, ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig. Er hat seinen Lebensunterhalt bisher auch außerhalb Nigerias durch Annahme verschiedener Tätigkeiten bestreiten können und zeigte sich auch in Österreich arbeitswillig und –fähig, sodass er sich auch in Nigeria aus Eigenem eine, wenn auch bescheidene, Existenz sichern kann.
Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria besser gestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Unter dem Punkt „Grundversorgung“ des Länderinformationsblattes wird dazu ausgeführt: „Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).“. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Nigeria kennt keine Beschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit innerhalb der Landes und steht es dem Beschwerdeführer frei, sich in jedem Landesteil niederzulassen.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
3.3.1. Rechtslage:
Gemäß § 58 Abs. 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs. 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).
3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG, abzuweisen war.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
3.4.1. Rechtslage:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall
Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) war wie dargestellt nicht zu erteilen und bleibt zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:
Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 06.12.2015 bis zum Datum der vorliegenden Entscheidung zwar gewisse, auch auf – dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnende – Verzögerungen (Einholung eines Sprachgutachtens, mehrfache Unzuständigkeitseinreden aufgrund § 20 AsylG 2005 und Aussetzung von Verhandlungsterminen aufgrund Corona-Pandemie) zurückgehende Dauer. Der seit der Antragstellung andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.
Im Besonderen ist hier noch in rechtlicher Hinsicht auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen trotz langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht wurde: VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie; siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit beziehungsweise Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung), VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; drei Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen), VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein), VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit; unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse; Vereinsmitglied), VwGH 17.05.2017, Ra 2017/22/0059 (mehr als achtjährige Aufenthaltsdauer; Tätigkeit als Zeitungsverteiler, Gewerbeberechtigung, Sozialversicherung und Einstellungszusage für Vollbeschäftigung als "Pizzafahrer"; Freundschaften zu Österreichern im Bundesgebiet), VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076 (knapp sechsjähriger Aufenthalt, legale Beschäftigung seit 2012, gute Deutschkenntnisse, Selbsterhaltungsfähigkeit), VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034 (achtjähriger Aufenthalt, Tätigkeit in einem Massagesalon, Selbsterhaltungsfähigkeit).
Das Gewicht seiner privaten Interessen wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003; VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov). Der Beschwerdeführer führt nach eigenen Angaben keine Lebensgemeinschaft oder eine „familienähnliche“ Beziehung in Österreich. Es fehlen alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz gewisser in einem Zeitraum eines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes entstandener – unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanter – Bindungen allenfalls hätte ergeben können (wie etwa Teilnahme am Erwerbsleben und am sozialen Leben in Österreich, Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerb von nachweisbaren und weiterführenden Deutschkenntnissen). Daran vermag auch der Verkauf einer Straßenzeitung nichts zu ändern. Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er wie festgestellt aufgewachsen ist und hauptsozialisiert wurde, zumindest sprachliche Verbindungen.
Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.
Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit seine persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.
Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (z.B. vorübergehend nach Art 8 EMRK, vgl. § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.
3.5. Zum Ausspruch, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.):
3.5.1. Rechtslage:
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. Bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:
Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 – 0062).
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.
Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria erfolgte daher zu Recht. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet.
3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 besteht ua eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
Dies ist gegenständlich nicht der Fall, da die aufschiebende Wirkung mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.07.2018, GZ I405 2148488-2/4Z, zuerkannt wurde und war Spruchpunkt VI. daher entsprechend abzuändern.
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Derartige „besondere Umstände“ wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.
3.7. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides):
Wie gerade ausgeführt, wurde vom Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG mit Beschluss von 12.07.2018 zuerkannt, weshalb ein erneutes Absprechen darüber an dieser Stelle unterbleibt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
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