BVwG W257 2145053-1

BVwGW257 2145053-11.2.2018

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W257.2145053.1.00

 

Spruch:

W257 2145049-1/21E

 

W257 2145126-1/21E

 

W257 2145045-1/11E

 

W257 2145053-1/11E

 

W257 2145052-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Schriftliche Ausfertigung des am 11.01.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Herbert Gerhard MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX (kurz "BF1") geboren am XXXX, von XXXX (kurz "BF2") geboren am XXXX, von XXXX (kurz "BF3"), geboren am XXXX, von XXXX (kurz "BF4"), geboren am XXXX, von XXXX (kurz "BF5"), geboren am XXXX, alle Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 28.12.2016, Zl.en 1094370402-151749711 hinsichtlich BF1, 1094370206-151749805 hinsichtlich BF2, 1094371704-151749843 hinsichtlich BF3, 1094371508-151750337 hinsichtlich BF 4, 1094372701-151750981 hinsichtlich BF5, nach Durchführung von zwei öffentlichen mündlichen Verhandlung, nämlich am 14.03.2017 und am 11.01.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide werden stattgegeben und dem BF1 und der BF2 gem § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, sowie der BF3, BF4 und BF5 gem § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG 2005, der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige bis zum 01.02.2019 erteilt.

 

III. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

 

C)

 

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang

 

1.1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF1 bis BF5" genannt) reisten illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Familie setzt sich wie folgt zusammen:

 

IFA-Zahl Ho. Geschäftszahl

 

BF1 Vater XXXX 1094370402-151749711 W 257 2145049-1

 

BF2 Mutter XXXX 1094370206-151749805 W 257 2145126-1

 

BF3 Sohn XXXX 1094371704-151749843 W 257 2145045-1

 

BF4 Tochter XXXX 1094371508-151750337 W 257 2145053-1

 

BF5 Tochter XXXX 1094372701-151750981 W 257 2145052-1

 

Der BF1 ist mit der BF2 verheiratet. Die BF 3 bis BF 5 sind Ihre leiblichen Kinder. BF3 bis BF5 werden von BF2 ex lege vertreten. Alle sind von der mittels Vertrag von der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH vertreten.

 

1.2. Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.11.2015 gab BF1 an, am XXXX in Meydan Wardak geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, verheiratet und schiitischer Moslem zu sein. Zuletzt habe er für ca. eineinhalb Jahre - gemeinsam mit seiner Familie - im Iran, in der Stadt XXXX gelebt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte BF1 aus, dass er in Afghanistan mit den Stiefsöhnen seines Vaters in Grundstücksstreitigkeiten verwickelt gewesen und in diesem Zusammenhang von ihnen geschlagen sowie mit dem Tode bedroht worden sei, sollte er das Land verlassen. Er fürchte auch um das Leben seiner Familie.

 

1.3. BF2 gab an, am 01.01.1998 in Bessud, Afghanistan, geboren zu sein und der gleichen Volksgruppe wie BF1 anzugehören. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, widerholte Sie im Grunde die Angaben des BF1. Sie fürchte um ihr eigenes Leben und um das Leben ihrer Familie. Ein Bruder würde sich vermutlich in Österreich oder in Slowenien aufhalten. Ihre Eltern und übrigen Geschwister wären nach wie vor in Afghanistan.

 

1.4. Der BF1 und die BF2 wurden am 05.10.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz "BFA") niederschriftlich einvernommen. Zu Beginn legten sie diverse Dokumente vor, u.a. eine Tazkira (bei BF2 auch die des Vaters), Aufenthaltsbestätigungen sowie Entlassungsbriefe des Landeskrankenhauses - Universitätsklinikums XXXX, Empfehlungsschreiben, Fotos und eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs vor. Als Analphabet habe BF1 als Landwirt auf den familieneigenen Grundstücken in der Provinz Maydan Wardak, Distrikt Dai Mirdad, im Dorf XXXX, bis vor zweieinhalb Jahren gearbeitet. Danach seien sie in den Iran in die Stadt XXXX gezogen, wo der BF1 als Hilfsarbeiter tätig gewesen sei. BF2 habe eine Privatschule in Chilam Jai besucht und hätte zuletzt als Hausfrau und bei der Landwirtschaft gearbeitet. Ein Bruder der BF2 würde derzeit in Dänemark leben, ihr Eltern und übrigen Geschwister im Iran. Zum Fluchtgrund befragt, führte die BF2 aus, dass die Halbbrüder ihres Mannes nach dem Tod dessen Vaters verlangt hätten, die Grundstücke aufzuteilen. Diesbezüglich sei ihr Mann mehrmals bedroht und zuletzt auch zusammengeschlagen worden. Daraufhin wären sie innerhalb eines Tages mit der Hilfe von XXXX zuerst nach Kabul und später dann in den Iran ausgereist. In Kabul hätten sie nicht bleiben können, da man sie dort finden hätte können. Persönlich habe BF2 nie Kontakt zu den Taliban gehabt und sei weder sie noch ihre Kinder von den Halbbrüdern ihres Mannes bedroht worden.

 

Mangels einer Aufenthaltsberechtigung habe die Familie den Iran schlussendlich verlassen müssen. Die Ausreisekosten habe BF1 durch den Verkauf eines Grundstückes in Afghanistan finanzieren können. Insgesamt habe die Familie ein Haus und vier landwirtschaftliche Grundstücke. Von der Landwirtschaft habe die Familie ihren Lebensunterhalt verdient. Mit dem Käufer seines Grundstücks sei der BF1 zuletzt vor zwei Monaten in Kontakt gewesen. Zu seinem Fluchtgrund brachte BF1 ergänzend vor, dass er seine Heimat nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Allerdings hätten die Kuchis immer wieder seine Ernte zerstört. BF 2 meint diesbezüglich "einmal jährlich". Bei den Grundstücksnachbarn, XXXX, hätten BF1 und seine Familie Unterschlupf gefunden und am nächsten Tag wären sie aus Angst von den Halbbrüdern umgebracht zu werden, in den Iran ausgereist. An den Polizei oder den Dorfältesten habe er sich nicht gewandt. Auf Vorhalt, wonach er bei seiner Erstbefragung angegeben habe, Grundstückspapiere und ein dementsprechendes Testament zu besitzen, antwortete BF1, er könne diese vorlegen. Diese Unterlagen hätten ihm aber auch nicht weitergeholfen, da seine Halbbrüder mehr Geld als er gehabt hätten und somit auch mehr Macht. Als Grund für seine Annahme, dass die Halbbrüder des BF1 Kontakt zu den Taliban hätten, nannte er die körperliche Auseinandersetzung kurz vor seiner Ausreise. Seine Halbbrüder würden nach wie vor in seinem Heimatdorf leben. XXXX habe keine Probleme mit diesen nach dem Verkauf des Grundstücks gehabt. Bei einer Rückkehr nach Maidan Wardak würde er von den Taliban getötet werden. Seit fünf Tagen hätten alle Dorfbewohner Waffen gekauft, weil die Regierung das Dorf nicht gegen die Taliban schützen möchte. Dies habe er über Facebook von einem Dorfbewohner erfahren. Abschließend gab BF1 noch an, dass weder BF2, noch seine Kinder eigene Fluchtgründe hätten.

 

1.5. Mit dem im Spruch erwähnten Bescheid wurde den BF sowohl deren Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als auch deren Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II.). Den BF wurde gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihnen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

Begründet führte das BFA im zusammengehängten Familienverfahren aus, dass die Bedrohung seitens privater Personen aufgrund Grundstücksstreitigkeiten, keine Bedrohung iSd GFK darstelle. Eine Verbindung zwischen den Halbbrüdern und den Taliban habe nicht nachvollziehbar begründet werden können. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz der BF1-5 könne diesem zwar nicht zugemutet werden, jedoch habe die Familie beste Voraussetzungen für ein sicheres und auch wirtschaftliches Überleben in Kabul.

 

1.6. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden. Darin äußert die BF zunächst verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmung des § 16 BFA-VG, weshalb ein Normprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof angeregt werde (sh dazu Punkt 4.6) Davon abgesehen werde der Bescheid aber auch inhaltlich bekämpft. Die BF würden durch die Halbbrüder des BF1, welche höchstwahrscheinlich auch mit den Taliban in Verbindung stehen, verfolgt werden. Ebenso drohe ihnen Verfolgung durch die Kuchis und den Taliban. Zusammenfassend: Die BF würden asylrelevant verfolgt werden, da ihnen von den Taliban eine feindliche Gesinnung unterstellt werde. Dazu drohe ihnen Verfolgung aufgrund der ihnen unterstellten religiösen Gesinnung und aufgrund ihrer westlichen liberalen Einstellung. Auch drohe dem BF1 aufgrund seiner Grundstücksstreitigkeiten Verfolgung durch seine Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters. Schlussendlich drohe den BF Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit. Bei entsprechender Würdigung dieser Umstände hätte die belangte Behörde den BF Asyl, oder zumindest den subsidiären Schutz zuerkennen müssen.

 

1.7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.01.2017 vorgelegt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verband aufgrund der Familienzusammengehörigkeit die Verfahren und hat über die eingebrachten Beschwerden am 14.03.2017 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der die BF, im Beisein der Rechtsvertretung erschienen und in welche diese (ausgenommen die BF3 bis BF5) ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde der Behörde übermittelt.

 

1.8. Im Zuge der Verhandlungseinladung für den 14.03.2017 wurde den Parteien folgende Länderberichte zum Parteigengehör zugesandt (OZ3):

 

 

 

 

 

 

 

1.9. In der mündlichen Verhandlung am 14.03.2017 wiederholte der BF1 im Grundtenor seine Fluchtgründe, wie er sie bereits vor der belangten Behörde vorgebracht hat. Wegen Grundstücksstreitigkeiten mit seinen Stiefbrüdern, hätten er und seine Familie Afghanistan verlassen, um sich für ca. eineinhalb Jahre im Iran niederzulassen. Die Bestätigung zum Nachweis seines Besitzes sei in der Flüchtlingsunterkunft in XXXX entweder gestohlen worden. Seine Stiefbrüder hätten ihn eines Abends niedergeschlagen, wodurch er einen Bruch im rechten Bein erlitten habe. Der BF1 habe dies bei der Polizei anzeigen wollen, allerdings hätten ihn zwei Älteste aus dem Dorf davon abgeraten. Aber bereits vor dieser physischen Auseinandersetzung hätten seine Brüder ihn mit dem Tod bedroht, falls er ihnen die Grundstücke nicht überlassen sollte. Weiters hege er nur die Vermutung, dass seine Stiefbrüder mit den Taliban in Verbindung stehen. Seine Frau habe diese mit zwei Taliban gesehen. An den letzten Kuchiangriff könne er sich nicht mehr erinnern. Zur Finanzierung der Flucht habe er alle vier Grundstücke inkl. des Hauses verkauft. Auf die Frage, ob dieser Käufer Probleme mit seinen Stiefbrüdern bekommen habe, antwortete der BF1, dass das Eigentum auf XXXX übergegangen wäre. Der Verkauf habe vor seiner Ausreise stattgefunden. Den Iran hätten sie mangels gültiger Aufenthaltsdokumente verlassen müssen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er von seinen Stiefbrüdern geköpft werden, seine Kinder wären ebenfalls in Gefahr. In Kabul würde er verraten oder entdeckt werden. In seiner Heimatregion wäre es zudem schwer, seine Kinder in die Schule zu schicken. Einerseits gebe es nicht viele Schulen und andererseits würden von den Taliban bzw. anderen Gruppierungen Chemikalien in die Brunnen von Schulen eingebracht werden.

 

1.10. Zusätzlich wurde seitens des Gerichtes in der mündlichen Verhandlung am 14.03.2017 ein Gutachten des Mag. Karl Mahringer vom 05.03.2017 zu Geschäftszahl (GZ): BVwG-160.000/0001-Kammer A/2017, mit der Möglichkeit binnen 14 Tage eine Stellungnahme abzugeben, übergeben. Diesbezüglich wird in der Stellungnahme den BF vom 28.03.2017 im Hinblick auf die Versorgungslage in Kabul bzw. die Höhe der Lebenserhaltungskosten und die Möglichkeit der Sicherung der existenziellen Bedürfnisse auf das Gutachten von Dr. Sarajuddin Rasuly vom 23.10.2015 zu W119 2006001-1 verwiesen. Selbst wenn es sich dabei um ein älteres Gutachten handeln würde, so sei es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Versorgungslage in Kabul, die Lebenserhaltungskosten sowie die Möglichkeiten der Existenzsicherung dermaßen rapide verbessert hätten. Darüber hinaus könnten die Erwägungen des Sachverständigen nicht auf Frauen und Familien mit Kindern übertragen werden. In diesem Zusammenhang werde nochmal auf die Einschätzung von UNHCR verwiesen, wonach für Familien mit Kindern die Rückkehr ohne ein familiäres Netzwerk nicht zumutbar sei. Letztlich wird in der Stellungnahme noch auf die westliche Orientierung der weiblichen Familienmitglieder hingewiesen.

 

1.11. Das erkennende Gericht erkundigte sich am 15.03.2017 telefonisch beim Bürgermeister nach den BF. Dieser habe keinen direkten Kontakt zur Familie und könne auch keine näheren Angaben machen. Der Schulleiter der Neune Mittelschule gab über telefonische Auskunft bekannt, dass kein Kind der BF derzeit in die Schule gehe. Lediglich der BF3 würde ab dem Schuljahr 2017/18 einsteigen. Auch die Klassenlehrerin des BF3 gab nach telefonischer Rückfrage an, keinen Kontakt mit der Familie zu haben. Daraufhin wurde die PI Weißkirchen mit örtlichen Ermittlungen beauftragt. Am 16.03.2017 langte der diesbezügliche Bericht ein, welcher u.a. ergab, dass die BF2 mit einer weiteren afghanischen Frau und der Betreuerin der Unterkunft einkaufen gehe, sie nach wie vor sehr gläubig sei, ein Kopftuch trage, der deutschen Sprache nicht mächtig sei, jedoch gedenke in Zukunft Zahnarztgehilfin zu werden.

 

1.12. Diesbezüglich wird in der Stellungnahme vom 17.05.2017 ausgeführt, dass fraglich wäre, ob durch diese Ermittlungen wesentliche Erkenntnisse über die westliche Orientierung der BF2 gewonnen worden seien. Jedenfalls sei festzuhalten, dass der Umstand, dass die BF2 gläubig sei und ein Kopftuch trage, per se nicht gegen eine westliche Orientierung spreche. Die BF2 habe mittlerweile einen Lebensstil angenommen, die mit den vorherrschenden Erwartungshaltungen in Afghanistan betreffend die Lebensweise der Frau nicht vereinbar sei. Sie gehe alleine aus dem Haus, möchte eine Ausbildung machen, einen Beruf ergreifen und besuche auch Deutschkurse. Bei Zweifel einer westlichen Lebensweise werde die Anberaumung eines weiteren Verhandlungstermines beantragt. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit würde zudem verlangen, dass die BF2 direkt in einer mündlichen Verhandlung Stellung beziehen könne. Bezüglich des hg Aktenvermerkes vom 15.03.2017 wird ausgeführt, dass die BF zum Bürgermeister keinen direkten Kontakt hätten. Sowohl der BF1 als auch die BF2 hätten im Zuge von Festen, Veranstaltungen und Elternabenden Kontakt mit der Klassenlehrerin des BF3. Die Angaben der Klassenlehrerin könnten nur so verstanden werden, als darüber hinaus kein direkter Kontakt bestehe. Ergänzend werden Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen des BF1 und der BF2, sowie eine Teilnahmebestätigung eines Werte- und Orientierungskurses des BF1, vorgelegt. Letztlich wird erneut und detaillierter auf die Mängel des Gutachten von Mag. Mahringer hingewiesen. Das Gutachten sei zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes untauglich, es würden erhebliche Einwände gegen die Person des Sachverständigen bestehen, das Gutachten selbst widerspreche in zahlreichen Punkten den Anfordernissen eines Sachverständigengutachtens, sei mit schwerwiegenden Mängeln behaftet und in weiten Teilen widersprüchlich. Die Schlussforderungen des Gutachtens seien auf ihre Schlüssigkeit hin nicht überprüfbar. Zuletzt würden die Schlussforderungen nicht mit den Angaben anerkannter Quellen übereinstimmen.

 

1.13. Mit Stellungnahme vom 05.12.2017 wurden weitere Empfehlungsschreiben, Schulbesuchsbestätigungen, ein Beschluss des Bezirksgerichts zur GZ XXXX vom XXXX, ein ärztlicher Entlassungsbrief des XXXX sowie eine Aufenthaltsbestätigung des XXXX vorgelegt. Aus den beiden letztgenannten Urkunden sei ersichtlich, dass die BF2 aufgrund von Suizidalität in der psychiatrischen Abteilung des XXXX untergebracht gewesen sei. Als Diagnose sei eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, gestellt worden. Gegenständlich sei ein weiterer psychiatrischer Bedarf der BF2 gegeben, welcher im Fall der Rückkehr nach Afghanistan nicht gesichert wäre. Es würden Medikamente und ausreichend ÄrztInnen fehlen.

 

1.14. Im Zuge der Verhandlungseinladung für den 11.01.2018 wurde den Parteien folgende Länderberichte zum Parteigengehör mit einer 14tägigen Stellungnahmefrist zugesandt:

 

 

 

 

1.15. In der zu den mit der Ladung für den 11.01.2018 übermittelten Länderberichten abgegebenen Stellungnahme vom 03.01.2018 wird ausgeführt, dass das Länderinformationsblatt (OZ17) hinsichtlich der Sicherheitslage in Kabul nicht aktuell sei. Zur Sicherheitslage in Meyden Wardak und speziell zu Kabul werden erneut Länderberichte vorgelegt, welche allesamt von einer Verschlechterung ausgehen würden. Eine Rückkehr nach Meyden Wardak wäre aufgrund der Sicherheitslage und den Einschränkungen gegenüber Frauen nicht zumutbar. Zu berücksichtigen wäre, dass der BF1 und BF2 mehrfach angeben hätten, dass ihre Kinder im Iran keine Bildung erhalten hätten. Die Befürchtung des BF1, wonach seine Kinder auch in Afghanistan wahrscheinlich keine Schule besuchen könnten, sei vor dem Hintergrund der Länderberichte auch begründet. Auch in Kabul würden Rückkehrerinnen aus faktischen Gründen oft keinen Zugang zur Bildung haben.

 

1.16. Die mündliche Verhandlung am 11.01.2018 wurde auf Antrag der BF anberaumt. Zugleich war seitens des Gerichtes der Umstand der westlichen Orientierung der BF2 zum ersten Verhandlungstag am 14.03.2017 noch nicht zur Gänze geklärt. Dieser Verhandlungstag wurde daher genutzt, um speziell auf die westliche Orientierung der BF2 einzugehen.

 

1.17. Das Gericht konnte eine westliche Orientierung nicht erkennen, ebenso konnten die anderen vorgebrachten Fluchtgründe als asylrelevant angesehen werden. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in Kabul, wo sich die BF wieder ansiedeln müssten, erkannte das Gericht eine reale Gefahr der Verletzung nach Art 2 und 3 EMRK. Aus diesem Grund wurden den BF mit mündlichem Erkenntnis subsidiärer Schutz bis zum 11.01.2019 gewähren. Seitens des Vertreters wurde sogleich eine schriftliche Ausfertigung verlangt, welches mit gegenständlichen Erkenntnis vorgenommen wird.

 

1.18. Beweise wurden aufgenommen durch die Einvernahme der BF (OZ 8 und OZ 20), Einsicht in den jeweiligen Verwaltungsakte (OZ 1), Strafregisterauszüge des BF1 und der BF2 vom 27.01.2017, der eigenen telefonischen Erhebungen am 15.03.2017 (OZ 10), folgenden Stellungnahmen des Beschwerdeführers:

 

 

 

 

 

sowie den seitens des Gerichtes im Zuge der Verhandlungseinladung beigefügten Beilagen

 

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

2. Feststellungen

 

2.1. Zur den Personen der BF

 

Die BF, XXXX (Vater), XXXX (Mutter), XXXX (Sohn), XXXX (Tochter), XXXX (Tochter) wurden am XXXX (Vater), XXXX (Mutter), XXXX (Sohn), XXXX (Tochter, BF4) und am XXXX (Tochter, BF5), geboren. Sie sind afghanische Staatsbürger und gehörden der Volksgruppe der Hazara an. Sie alle bekennen sich zur schiitischen Glaubensausrichtung des Islams.

 

Die BF lebten in der Provinz Meydan Wardak im Distrikt Dai Mirdad in dem Dorf XXXX. BF1 war Landwirt auf den eigenen Grundstücken. Die Familie lebte in einen Einfamilienhaus. BF2 war Hausfrau; BF1 ernährte die Familie. Wegen Streitigkeiten mit den Stiefbrüdern des BF1 (dazu gleich später) verließen sie 2014 Afghanistan und siedelten sich in der Stadt XXXX im Iran an. Dort befanden sie sich ca 1 1/2 Jahren. Während dieser Zeit ernährte BF1 die Familie als Hilfsarbeiter. Zur Finanzierung der Ausreise nach Europa wurden die Grundstücke in Afghanistan verkauft.

 

BF1 hat Stiefbrüder in Meydan Wardak, wegen deren er jedoch geflohen ist. Er hat noch eine Schwester, wobei er nicht weiß wo sie lebt. BF2 hat einen Onkel väterlicherseits in Kabul. Dessen Familie besteht aus vier Söhnen und drei Töchtern, wobei die beiden ältesten Söhne nicht mehr bei ihm wohnen.

 

BF1 besuchte keine Schule. BF2 besuchte in Afghanistan eine Schule. BF3 besuchte für zwei Monate eine Schule in Afghanistan und ca 1 1/2 Monate eine Koranschule im Iran.

 

BF1, BF3 bis BF5 sind gesund. BF1 ist arbeitsfähig. BF2 leidet an einer depressiven Episode mit psychotischen Symptomen und befand sich 23.10.2017 bis zum 15.11.2017 in stationärer Behandlung (ärztlicher Entlassungsbrief unter OZ16). Seitdem muss sie Antidepressiva (Sertralin) einnehmen (Verhandlungsschrift vom 11.01.2018, OZ 20).

 

BF1 und BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Der Bürgermeister von Weißenkirchen, dem Wohnort der BF, bestätigte am 28.09.2016, das die Familie bei verschiedenen Aktivitäten sehr bemüht ist und zuletzt beim "steirischen Frühlingsputz" teilgenommen hat (AS 81 in OZ 1).

 

BF1 besuchte einen Werte- und Orientierungskurs am 22.03.2017 und zur gleichen Zeit einen Deutschkurs (OZ 15). BF2 besuchte zuletzt den Kurs "Deutsch-Kommunikation" der Pfarre Zeltweg. BF3 hat die vierte Schulstufe als außerordentlicher Schüler besucht. BF 5 befand sich im Schuljahr 2016/17 als außerordentliche Schülerin in der 1. Klasse der VS Weißkirchen/Stmk (OZ 16).

 

Keiner der BF konnte Zeugnisse über abgeschlossene Sprachkurse vorlegen.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen

 

2.2.1. Zu den primären Fluchtvorbringen des BF1

 

BF2 bis BF5 leiteten Ihren Fluchtgrund von BF1 ab.

 

2.2.1.1. Streit mit den Stiefbrüdern

 

BF1 vermeinte, dass er Grundstückstreitigkeiten mit seinen Stiefbrüdern hatte. Er sei dabei verletzt und mit dem Tode bedroht worden. BF2 sah einen dieser Stiefbrüder einmal mit einen Taliban reden.

 

Aus den Länderinformationsblatt, OZ 17 ist zu entnehmen, dass in Afghanistan grundsätzlich ein Gerichtswesen vorhanden ist, auch wenn dieses regional unterschiedlich ausgeführt wird und von dem islamischen Recht teilweise stark abhängig ist.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser Streit einen asylrelevanten Grund darstellt, dem zufolge für einen der BF eine Gefahr für Leib, Leben oder der körperlichen Unversehrtheit bestand, oder im Falle der Rückkehr, besteht. Ein asylrelevante Gefahr für einer Verfolgung konnte nicht festgestellt werden.

 

Die Streitigkeiten zwischen dem BF1 und den Stiefbrüdern gelten als private Streitigkeiten.

 

2.2.1.2. Der Überfall der Kuchi

 

BF1 brachte vor, dass die Kuchi (ein Nomadenvolk) "jedes Jahr die Ernte vernichtet" hätten. Es handelt sich dabei um einen Ressourcenkonflikt hinsichtlich landwirtschaftlicher Flächen.

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Die ca. 1,5 Million Nomaden (Kutschi), die mehrheitlich Paschtunen sind, leiden in besonderem Maße unter den ungeklärten Boden- und Wasserrechten. De facto kommt es immer wieder zu Diskriminierungen dieser Gruppe, da sie auf Grund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten. Nomaden werden öfter als andere Gruppen auf bloßen Verdacht hin einer Straftat bezichtigt und verhaftet, sind aber oft auch rasch wieder auf freiem Fuß. Angehörige der Nomadenstämme sind auf Grund bürokratischer Hindernisse dem Risiko der (faktischen) Staatenlosigkeit ausgesetzt. Die Verfassung sieht vor, dass der Staat Maßnahmen für die Verbesserung der Lebensgrundlagen von Nomaden ergreift. Einzelne Kutschi sind als Parlamentsabgeordnete oder durch politische und administrative Ämter Teil der Führungselite Afghanistans (AA 9 .2016). Die Verfassung sieht vor, dass 10 Sitze im Unterhaus der Nationalversammlung für die Kutschi-Minderheit reserviert sind. Auch sollen laut Verfassung vom Präsidenten zwei Kutschis zu Mitgliedern für das Oberhaus ernannt werden (AAN 4.2.2016; vgl. auch: CRS 15.1.2015)."

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dadurch eine asylrelevante Gefahr oder eine Verfolgung für einen der BF bestand, oder im Falle der Rückkehr, besteht.

 

2.2.2. Zu den nachträglich vorgebrachten Fluchtgründen

 

Folgende Fluchtgründe wurden zusätzlich ab dem Zeitpunkt der Beschwerde vorgebracht:

 

2.2.2.1. Verfolgung wegen der "nicht stark ausgeprägten religiösen Gesinnung" und wegen des Aufenthaltes im Iran

 

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die BF wegen des "Aufenthaltes im Iran" und wegen der "nicht stark ausgeprägten Religiosität" von Extremisten einer Verfolgung drohen würde. (Seite 266 der OZ 1).

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass durch einen dieser Gründe, weder einzeln auf bestimmte Personen bezogen, noch auf alle BF gemeinsam bezogen, weder einzeln (Gesinnung oder Aufenthalt) noch in der Gesamtbetrachtung (Gesinnung und Aufenthalt), eine asylrelevante Gefahr oder eine Verfolgung für einen der BF bestand, oder im Falle der Rückkehr, besteht.

 

2.2.2.2. Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu den Hazaras und den Schiiten

 

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die BF verfolgt werden würden, weil Sie der Minderheit der Hazaras und der schiitischen Glaubensrichtung angehören.

 

a)

 

Zur Lage der Hazaras: Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9 .2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9 .2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9 .2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016)."

 

b)

 

Zur Lage der Schiiten: Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015)."

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass einer der BF wegen der Volksgruppenzugehörigkeit und/oder wegen der Zugehörigkeit zu den Schiiten einer Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle der Rückführung ausgesetzt sein wird.

 

2.2.2.3. Zur westlichen Orientierung der weiblichen BF, insbesondere der BF2.

 

a)

 

In der Beschwerde wurde hinsichtlich der weiblichen BF, eine westliche Orientierung unterstellt. Aus der Beilage zu OZ 17 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017, Frauen in urbanen Zentren; Auszug):

 

"Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 AfghanInnen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessensten Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch eine starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragen aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Pashtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten. ...

 

Wie gestaltet sich das Alltagsleben für Frauen in den genannten Städten?

 

...

 

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft schwierig. Die konkrete Situation von Frauen unterscheidet sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit. Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich auf diesem Wege deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50 Prozent für Frauen bestimmt. Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses.

 

Die von Präsident Ghani indossierten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25 Prozent für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern).

 

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterinnen nur etwa 15 % der Richterschaft. Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plante u. a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti- Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen. ...

 

Wie gestalten sich die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen in Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif? Welche Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung haben Frauen (e.g. Sport, etc.)?

 

...Zusammenfassung:

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv sind. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Die Quellen erläutern die mannigfaltigen Schwierigkeiten mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban- Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen. Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, laut nachfolgend zitierten Quellen, eine Vielzahl von Beispielen."

 

Aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17, ist auszugsweise dazu zu entnehmen:

 

"Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014)...."

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass einer der BF, insbesondere BF2, eine westliche Orientierung so sehr verinnerlicht hat, dass Sie nicht mehr, oder nur unter unzumutbarer Verleugnung der inneren Persönlichkeit, als Frau in Afghanistan leben könne.

 

Ein asylrelevanter Grund oder eine Gefahr für eine Verfolgung wurde für keinen der BF festgestellt.

 

b)

 

In der Eingabe vom 03.01.2018 (OZ 19) wurde zudem vorgebracht, dass vor allem die weiblichen BF keine Schulbildung erhalten würden.

 

Thomas RUTTIG (Mitbegründer und Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network AAN, einer nicht gewinnorientierten Forschungsstelle, die ein Büro in Kabul unterhält) hat in seinem Referat "Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul" vom 12.04.2017, auszugsweise folgende Aussagen getroffen (Beilage in OZ 17):

 

"Bildung

 

Afghanistan hat eine Schulpflicht bis zur Sekundarstufe, die offiziell kostenlos ist. Aber man muss oft inoffiziell Schulgeld zahlen oder bestechen, damit die Kinder durch die Prüfung kommen. Also auch dort ist Korruption verbreitet. Auch da gibt es, genauso wie in den staatlichen Krankenhäusern, hohe Abwesenheitsraten, da die Lehrer Zweit- und Drittjobs haben, um sich über Wasser zu halten; sie gehören immer noch zu den am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen. Kabul ist vergleichsweise sicherer als die Provinzen. Da gibt es auch höheren Schulbesuch und man sieht die Kinder eher in grossen Zahlen in die Schule gehen - darunter auch die Mädchen. Die Samuel Hall Studie zeigt aber auf, dass nur zwischen 70 und 79 % der Haushalte alle ihre Kinder in die Schule schicken. Das heisst, viele, die eigentlich in die Schule gehen sollten, sind dann am Arbeitsplatz und nicht in der Schule. Die meisten Schüler, sowohl die Jungs als auch Mädchen, kommen oft nur bis zur sechsten Klasse. Und da gibt es eine Ungleichheit zwischen Jungs und Mädchen. 83 % der Mädchen, die offiziell eingeschult werden, fallen vor der sechsten Klasse oder einschliesslich der sechsten Klasse aus dem Bildungssystem. Da Lehrer nicht da sind, Schulmittel häufig nicht vorhanden sind, ist das dort produzierte Wissen niedrig. Es ist im besten Falle Wiederholen von vor-getragenen Inhalten. Viele verlassen die Schule auch nach der sechsten Klasse als Analphabeten und sind nicht in der Lage, Grundrechenarten anzuwenden."

 

Aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Bildung:

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016)..."

 

Aus der Beilage 7 aus OZ 3 (ACCORD, Schulsystem in Afghanistan):

 

"...Sicherheitslage:

 

Im Jahr 2016 mussten im ganzen Land mehr als 1.000 Schulen aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage geschlossen werden. 24 der insgesamt 34 Provinzen Afghanistans sind von derartigen Schließungen betroffen.55 Rund 150.000 Schulkinder in unsicheren Gegenden haben keinen Zugang zu Bildung, und es wurde in diesem Zusammenhang auch über Fälle von Entführung und Belästigung durch Bewaffnete berichtet. Regierungstruppen wie auch die Taliban benutzen Bildungseinrichtungen als Depots für Munition und Waffen sowie als Stützpunkte für Kämpfer. Indes kann es auch zu lokalen Kooperationen zwischen den Konfliktparteien kommen. So gibt es auch gänzlich unter Taliban-Kontrolle stehende Gebiete, in denen die Schulen dennoch geöffnet sind und von der Regierung unter Duldung der Taliban weiterbetrieben werden. Die Taliban erlauben Mädchen jedoch den Schulbesuch lediglich bis zur vierten Klasse. Neben Mädchenschulen können auch Schulen für Burschen, die als zu "westlich" angesehen werden...."

 

Laut den Angaben der BF befand sich das älteste Kind, der Sohn, ca 2 Monate in einer Schule, als Sie noch in Afghanistan lebten. Die Mädchen waren noch nicht schulpflichtig. Die Schule war ca 20 bis 40 Minuten Gehzeit von dem Haus der BF entfernt. BF2 gab an, dass dort auch Mädchen zur Schule gingen.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Bildung der BF3 bis BF5 im Herkunftsdistrikt durch irgendjemanden verweigert wurde und dadurch eine asylrelevante Gefahr droht oder im Falle der Rückkehr drohen würde.

 

2.2.2.4. Zur Medizinische Versorgung der BF2

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17

 

"Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse, und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar, und somit muss bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst (IOM 21.09.2016). Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Physisch und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch müssen eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Für verschiedene Krankheiten und Infektionen ist medizinische Versorgung nicht verfügbar. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten geboten werden, welche zudem meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Diagnostische Ausstattungen wie Computer Tomographie sind in Kabul (eine in Kabul) verfügbar (IOM 2016).

 

Medikamente:

 

Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (IOM 2016). Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war es vielen Frauen nicht erlaubt, alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 13.04.2016).

 

Beispiele für Behandlung psychischer Fälle in Afghanistan:

 

In öffentlichen und privaten Kliniken ist beispielsweise paranoide Schizophrenie behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patient/innen nichts für ihre Aufnahme bezahlen. Die Patient/innen müssen ihre Medikamente in außenstehenden Apotheken kaufen (IOM 11.10.2016). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Sharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn Patient/innen kein unterstützendes Familienumfeld haben. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 9 .2016). Krankenhäuser in Afghanistan:

 

Eine begrenzte Zahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Um Zugang zu erhalten, benötigt man die afghanische Nationalität (Ausweis/Tazkira). Man kann sich mit seinem Ausweis in jedem afghanischen Krankenhaus registrieren und [wird] je nach gesundheitlicher Beschwerde einem Arzt zugewiesen werden. Sollten Operation und Krankenhausaufenthalt nötig sein, wird dem Patienten in dem Krankenhaus ein Bett zur Verfügung gestellt (IOM 2016).

 

In Kandahar eröffnete eine pädiatrische Abteilung im Mirwais Krankenhaus, mit dem Ziel, die extrem hohe Säuglingssterberate zu reduzieren: unter anderem verdoppelte sich die Zahl der Säuglingsschwestern; die neue Brutkasteneinheit unterstützt die Spezialist/innen der Neonatalogie (The Guardian 01.12.2016). [...]."

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF2 wegen Ihrer bestehenden Krankheit im Falle einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung droht. Sie benötigt allerdings Medikamente (Antidepressiva).

 

2.2.2.5. Im Übrigen ist auch von Amts wegen kein asylrelevanter Grund zu Tage getreten und kann somit keine zutreffende Feststellung darüber getroffen werden, dass einer der BF einer konkreten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist oder eine solchen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

 

2.3. Zur Sicherheitssituation in der Herkunftsprovinz (Meydan Wardak)

 

in der Eingabe der BF vom 03.01.2018 (OZ 19), wird hinsichtlich dieser Provinz angeführt dass ca. 90 % dieses Territoriums von den Taliban besetzt ist (Seite 4).

 

Aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17: "Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in der Provinz festgehalten - gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Talibanaufständische sind in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz aktiv (Khaama Press 3.7.2016). Aufständische werden durch die Sicherheitskräfte in der Provinz Wardak bekämpft (SIGAR 30.1.2017) und auch militärische Operationen werden durchgeführt (Khaama Press 25.9.2016; Khaama Press 28.10.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016)."

 

Die Provinz ist daher nach derzeitigem Kenntnisstand als nicht sicher anzusehen. Die BF würden bei einer Rückführung in Ihr Heimatdistrikt in eine Situation gelangen, in der Ihr Leben in eine reale und nachweisbare Gefahr käme.

 

2.4. Zur allgemeinen Sicherheitssituation in Afghanistan, insbesondere Kabul

 

Aus der Eingabe der BF vom 03.01.2018 (OZ 19), ist zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor höchst volatil ist. Dies entspricht auch dem seitens des Gerichtes eingebrachten Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt, OZ 17). Im ersten Halbjahr 2017 wurden mehrere gezielte Anschläge in der Hauptstadt Kabul verübt. Die afghanischen und internationalen Streitkräfte verstärken landesweit deutlich ihre Luftoperationen, die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen die Luftangriffe und 73 % gegenüber dem Vergleichsjahreswert erhöht. Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in den südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst, die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (Länderinformationsblatt, OZ 17).

 

In der eingangs erwähnten Eingabe der BF ist zu entnehmen (Seite 5), das der IS in Kabul im Jahre 2017 mehrere gezielte Anschläge der Taliban auf die Minderheit der Hazara verübt hätte. Der BF bezog sich dabei auf einen Bericht der EASO, in dem es allerdings heißt "Shia Muslims were deliberately attacked by ISKP...on 11 Oktober 2016...", also schiitische Moslems wären das Ziel gewesen und dass im Jahr 2016. Es kann somit nicht - auch von einer seitens des BF eingeforderten - aktuellen Sicherheitslage gesprochen werden wenn auf einen Bericht im Okt 2016 zurückgegriffen wird und von diesem Ereignis ein allgemeiner Schluss darauf gezogen wird, dass sich die Angriffe der Taliban tatsächlich auch heute noch gezielt auf die Hazras richten würden. Die Staatendokumentation berichtet beispielsweise zu einem jüngeren Vorfall das einem Talibansprecher folgend, diese nicht die Verantwortung über einen Angriff im Mai 2017 übernehmen würden (Seite 15). Unbestreitbar, und übereinstimmend mit dem Länderinformationsblatt, ist die Tatsache dass tatsächlich vermehrt Anschläge in Kabul stattfanden (Seite 15). Gleichzeitig ist jedoch von den Länderinformationsblatt zu entnehmen dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul hat (Seite 44). Zudem wird angeführt dass die Hauptstadt Kabul in die Regel als sicheres Gebiet gilt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als z.B. in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangahar und Kunduz (Seite 15).

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Green Zone" in Kabul

 

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

 

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

 

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

 

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017)."

 

Es kann somit festgestellt werden, dass aus sicherheitsrelevanter Sicht die Hauptstadt Kabul derzeit als sicher gilt.

 

2.5. Zum subsidiären Schutz

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt, OZ 17:

 

"Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016)....

 

Rückkehrer:

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017). ...

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

Aus Thomas RUTTIG (Beilage in OZ 17):

 

"Kabul:

 

Wie gesagt ist die Bevölkerungszahl Afghanistans unbekannt. Man weiss auch nicht, wie viele Einwohner Kabul hat. Man liest manchmal Angaben von bis zu sieben Millionen für Kabul. Es ist manchmal unklar, auf welches Gebiet sich die Angaben beziehen. Administrativ zu unterscheiden sind ja die Stadt Kabul und 14 ländlichen Distrikte, die dann zusammen die Provinz Kabul bilden. Das ergibt wahrscheinlich mehr als sieben Millionen Einwohner. Städte im Orient sind eher Konglomerate von Dörfern. Man siedelt nach wie vor in relativ kompakten, ethnischen Clustern. Die Hazaras ziehen zu den Hazaras, Paschtunen zu Paschtunen etc., was sich in den letzten Jahren durch ethnischen Spannungen in Afghanistan auch wieder verstärkt hat. Die meisten der Millionen Menschen, die im Grossraum Kabul leben, sind Binnenflüchtlinge. In den 40 Jahren des Konfliktes haben sich verschiedene Wellen von Menschen nach Kabul bewegt, weil sie damals dachten, sie würden Infrastruktur erhalten und Arbeit finden. Das hat natürlich zu einer Überlastung geführt. Kabul war vor ein paar Jahrzehnten als Hauptstadt Afghanistans für eine Bevölkerung von 750'000 Einwohner konzipiert worden. Heute hat man es mit dem Zehnfachen zu tun. Neuzuzügler hatten sich in den Aussenbezirken angesiedelt. In der Zwischenzeit sind sie fast zu Stadtzentren geworden. Man hat dadurch ein riesiges Wachstum der Stadt, ohne dass die Infrastruktur mitgewachsen ist. Viele Viertel Kabuls sind Slum-ähnliche Siedlungen. Dazu kommen zuletzt die Gruppen neuer Binnenflüchtlinge, die sich häufig in primitiven, provisorischen Unterkünften bis hin zu Zelten aufhalten und versuchen, sich als Tagelöhner durchzuschlagen.

 

Ob jetzt diese Binnenvertriebenen der letzten zwei, drei Jahre bei den sieben Millionen mitgezählt sind, ist mir nicht bekannt. Was man aber sehr gut sehen kann, ist die Polarisierung der Gesellschaft. Armut ist natürlich von der Quantität her sehr viel stärker vertreten als Reichtum. Die Schere in der Gesellschaft ist weiter aufgegangen. Man sieht es auch an der Art und Weise, wie man sich in Kabul ansiedelt....

 

Ernährung:

 

In Kabul und in den anderen großen Städten findet man an Lebensmitteln im Grunde alles. Obst, Gemüse und Brot, alles ist da.

Die Studie von Samuel Hall über Armut warnt aber: "Food availability is not a major determinant of food insecurity." Das heisst, Lebensmittel sind zwar vorhanden, aber man muss sie sich auch leisten können.

 

Samuel Hall hat sich die fünf grossen Städte angesehen und mehrere Tausend Familien befragt. Es ist wohl die Studie mit dem breitesten Sample. Die Armutsziffern liegen demnach zwischen 69% und 85%. Wenn die Armut landesweit um 59 % beträgt, würde das bedeuten, dass es der ländlichen Bevölkerung vergleichsweise besser geht als der städtischen. Das hat sicher mit der Binnenflucht und der Verslumung der grossen Städte zu tun, und dass Eigenversorgung auf dem Lande leichter ist.

 

Samuel Hall hat herausgefunden - und das wird auch von UN-Berichten bestätigt -, dass die Menschen sich zwar ernähren können, dabei handelt es sich aber um Mangelernährung. Laut Samuel Hall essen zum Beispiel nur 36 % der Kabuler Obst. Im Wesentlichen essen die Menschen Reis und Brot. Fleisch kommt oft nur ein Mal pro Monat auf den Tisch. Den Mangel an Kalorien soll der Gebrauch von viel billigem Speiseöl in fast allen Speisen kompensieren. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Gesundheit...."

 

Aus der Beilage 4 der OZ 3 (Afghanistan Update, Corinne Troxler):

 

"...Situation der Rückkehrenden. Gemäss UNHCR sehen sich Rückkehrende beim Wiederaufbau einer Lebensgrundlage in Afghanistan mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert. Geschätzte 40 Prozent sind verletzlich und verfügen nur über eine unzureichende Existenzgrundlage sowie einen schlechten Zugang zu Lebensmitteln und Unterkunft. Ausserdem erschwert die prekäre Sicherheitslage die Rückkehr. Gemäss UNHCR verlassen viele Rückkehrende ihre Dörfer innerhalb von zwei Jahren erneut. Sie weichen dann in die Städte aus, insbesondere nach Kabul. Bei einer Befragung durch UNHCR hatten etwa 63 Prozent der Rückkehrenden ein sehr tiefes Einkommen und 37 Prozent verdienten weniger als einen US-Dollar (50 Afghanis) pro Tag. Zudem ging es 69 Prozent nach der Rückkehr wirtschaftlich schlechter als im Exilland. ...

 

Kabul hatte in den letzten Jahren den grössten Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Die Bevölkerungszahl soll inzwischen etwa 3,5 Millionen Menschen umfassen, mit einem Wachstum von 10 Prozent zwischen 2005 bis 2015. ..."

 

Aus der Beilage 5 der OZ 3 (Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan, Dez 2016):

 

"....Außerdem ist Kabul massiv vom starken Anstieg der Zahl der Rückkehrer aus Pakistan betroffen, mit fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und einem ähnlichen Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan, die sich in den überfüllten informellen Siedlungen in Kabul niedergelassen haben. Angesichts des ausführlich dokumentierten Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 ist die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt."

 

Die BF befanden sich nur kurze Zeit in Kabul, sodann 1 1/2 Jahre im Iran. Die BF2 hat einen Onkel Kabul welche sie allerdings noch in Angaben nicht unterstützen könne, weil dieser ebenso eine große Familie hat. Aus der seitens der BF vorgebrachten Gutachtens des Dr. Rasuly (sh OZ 9 vom 28.03.2017, ab Seite 2), ist zu entnehmen dass eine Familie ca. $600 an Lebensunterhaltskosten in Kabul hat. Der BF1 müsste somit ca. $600 verdienen damit er seine Familie versorgen kann. BF1 befindet sich allerdings in Konkurrenz mit ca. 700.000 weiteren Rückkehrern in Kabul. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer im Allgemeinen arm (Länderinformationsblatt, OZ 17). Die BF haben keine Ersparnisse auf die Sie zurückgreifen könnten (aus der mündlichen Verhandlung am 11.01.2018). Dr. Rasuly führt zudem aus, dass Rückkehrer nach Kabul, welche keine familiären Bindungen und kein Geldmittel bei sich haben, mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind (Seite 6 der OZ 9).

 

BF1 und BF2 kämen im Falle einer einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb ihrer Heimatprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, aufgrund der notwendigen Versorgung ihrer minderjährigen Kinder und aufgrund der notwendigen medizinischen Versorgung der BF2, in eine Situation, in der BF1 und BF2 Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Zur den Personen der BF:

 

Die Feststellungen zu den Personen der BF stützen sich auf die in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden und in diesem Zusammenhang glaubwürdigen Aussagen der BF1 und BF2 im Zuge ihrer Einvernahmen vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem BFA, sowie in der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der BF, deren Herkunft, deren Religion und deren Volksgruppenzugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen der BF zu zweifeln. Zudem liegen teilweise Tazkiras vor, welche zwar keine von staatlicher Stelle ausgegebenen Dokumente sind, jedoch zumindest einen Hinweis auf die Richtigkeit der persönlichen Angaben bieten.

 

Die Angaben der BF zu deren Geburtsort, zu deren Familienangehörigen, zu deren sozialen und familiären Anknüpfungspunkten in Afghanistan, zu deren schulischen und beruflichen Werdegang, zu deren Aufenthalt im Iran und allgemein zur wirtschaftlichen Situation waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel. Auch zwischen den BF1 und BF2 ergaben sich diesbezüglich keine wesentlichen Widersprüche. Das BF3 eine Schule in Afghanistan besucht hat, ergibt sich aus den Einvernahmen des BF1 und der BF2.

 

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF1 und der BF2 ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

 

Die Integrationsbemühungen ergeben sich aus den vorgelegten und unzweifelhaften Dokumenten.

 

3.2. Zu den Fluchtgründen

 

3.2.1.1. Zu seinen primären Fluchtvorbringen Streit mit den Stiefbrüdern

 

3.2.1.2. Streit mit den Stiefbrüdern

 

Für das Gericht ist es glaubhaft, dass BF1 mit seinen Stiefbrüdern wegen Grundstücksstreitigkeiten in Streit geraten ist. Den Sachverhalt sowohl in der Erstbefragung vor der Behörde als auch vor dem Gericht weitgehend übereinstimmend. Seine Schilderungen wirkten vor dem Gericht durchwegs so als ob er Erlebtes tatsächlich wieder gab. Bestätigt werden die Angaben des BF1 durch die Angaben der BF2 welche sich diesem Punkt auch nicht widersprachen.

 

Die BF brachten nicht vor, dass der Staat Afghanistan Ihnen die Rechtsverfolgung nicht gewährt hätten. Der Streit wurde nicht vor einem Gericht geklärt.

 

Eine Verbindung der Stiefbrüder zu den Taliban - so wie es die Rechtsvertretung vorbrachte (sh Seite 6ff der Beschwerde) war jedoch keineswegs glaubhaft. BF2 sah einmal einen Stiefbruder mit einem Taliban reden Danach hätte Sie diese mehrmals zusammen gesehen (Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 14.03.2017). BF1 meinte, dass er diese Verbindung (Stiefbrüder mit den Taliban) nicht mit Sicherheit sagen könne (Seite 9, ebenda). Wenn nicht einmal die BF eine Verbindung klar herstellen konnten, ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie die Rechtsvertretung zu dieser Annahme kommt, zumal diese eine Verbindung auch in keiner Weise begründen konnte.

 

3.2.1.3. Der Überfall der Kuchi

 

Der BF1 gab vor der Behörde an dass die Kuchi regelmäßig gekommen sein und die Ernte vernichtet hätten. Selbiges gab der BF1 vor dem Gericht an. Er konnte allerdings nicht mehr sagen wann die Kuchi das letzte Mal das Dorf angegriffen hätten. Eine persönliche Bedrohung durch die Kuchi wurde weder von BF1 noch von BF2 angegeben. Auch wurde von beiden nicht erwähnt dass der Angriff der Kuchi der fluchtauslösende Grund war. Aus dem Länderinformationsblatt ist nicht ersichtlich dass die Hazara generell wegen den Kuchi verfolgt werden. In der Beschwerde wurde auf den Konflikt der Kuchi zu den Hazara hingewiesen und vorgebracht, dass die BF dadurch einer Verfolgung ausgesetzt seien. Nachdem keine persönliche Bedrohung seitens der BF vorgebracht wurde, kann der Rechtsvertretung in der Beschwerde, dass sich daraus eine konkrete Gefahr ergeben würde, nicht gefolgt werden. Die Ableitung von einer abstrakten möglichen Gefahr (die sich im gegenständlichen Fall zudem auch nur auf die Ernte bezog), konkret auf den vorliegenden Fall, würde zu einer Verallgemeinerung führen, gegen die sich die Rechtsvertretung selbst in der Beschwerde mehrfach aussprach. Für die Annahme dieser von der Rechtsvertretung aufgestellten Logik, nämlich ausgehend von dem Fall der BF und der abstrakte Möglichkeit dass die Kuchi die Hazars überfallen können, um dadurch die induktive Schlussfolgerung aufzustellen, dass alle Hazaras wegen den Kuchi unter einer asylrelevanten Verfolgung stehen würden, fehlen die entsprechenden Länderberichte, die auch seitens der Rechtsvertretung nicht beigebracht werden konnten.

 

Zudem haben die BF laut Ihren Angaben keine Grundstücke mehr, weil diese für die Flucht nach Europa verkauft wurden. Im Falle einer Rückführung haben Sie daher von den Kuchi nichts zu befürchten, weil sie dieser Ressourcenkonflikt mangels Ressource "landwirtschaftliche Fläche" nicht mehr betreffen würde.

 

3.2.2. Zu den nachträglich vorgebrachten Fluchtgründen

 

3.2.2.1. Verfolgung wegen der "nicht stark ausgeprägten religiösen Gesinnung" und wegen des Aufenthaltes im Iran

 

Weder aus den Länderberichten noch aus den persönlichen Schilderungen der BF ist diese abstrakte Möglichkeitsform der Diskriminierung nachvollziehbar. Erst die Rechtsvertretung hat dies in der Beschwerde vorgebracht. Weder BF1 noch BF2 haben dies von sich aus in den beiden mündlichen Verhandlungen vorgebracht. Keines der Länderberichte beschreibt, dass alle Personen mit einer "nicht stark ausgeprägten religiösen Gesinnung" oder wegen des "Aufenthaltes im Iran" einer Verfolgung ausgesetzt sind. Es ist mit keinen den logischen Denkgesetzen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vereinbar, dass ein 1 1/2 jähriger Aufenthalt im Iran eine Person derart verändert, dass sie als regierungsfeindlich gesinnt angesehen wird. Keiner der BF machte diesbezügliche Angaben. Zudem steht dies im Widerspruch mit der Tatsache, dass es sich um Schiiten handelt. Denn wenn man Schiite ist und dies als asylrelevant vorbringt, so wie die BF, dann kann es nicht möglich sein, auf der anderen Seite "keine stark ausgeprägte religiöse Gesinnung" zu haben und deswegen auch verfolgt zu werden. Dieser Grund wurde daher völlig unsubstantiiert von dem Rechtsvertreter in der Beschwerde ohne tatsächlichen auf einen Sachverhalt oder persönliche Geschehnisse beruhend, vorgebracht.

 

3.2.3. Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu den Hazaras und den Schiiten

 

Die BF brachten selbst nicht vor, wegen der Volkgruppenzugehörigkeit und oder wegen der religiösen Einstellung verfolgt worden zu sein. Erst in der Beschwerde wurde dies seitens des Rechtsvertreters vorgebracht. Aus den Länderberichten ist zu entnehmen, dass es zu Spannungen wegen der Volksgruppenzugehörigkeit oder der moslemischen Ausrichtung auch zu Anschlägen kam (Juli 2016).

 

Aber auch hier ist zu sagen, dass man vor dem Hintergrund der Länderberichte von der allgemeinen Möglichkeit einer Gefahr nicht darauf schließen kann, dass jeder Hazara oder jeder Schiite konkret einer Verfolgung ausgesetzt ist. Für diese induktive Schlussfolgerung fehlen die entsprechenden offiziellen Länderberichte, die auch der BF nicht vorbringen konnte. Eine Verfolgung aufgrund der Rasse der Hazaras oder einer Verfolgung aufgrund der Religiosität, war daher nicht festzustellen.

 

3.2.3.1. Zur westlichen Orientierung der weiblichen BF, insbesondere der BF2

 

a)

 

Die erste Verhandlung im März 2017 wurde unterbrochen und im Jänner 2018 fortgeführt. Grund war, dass der erkennende Richter sich über die westliche Orientierung der BF noch nicht im Klaren war. Gleichzeitig wurde seitens der Rechtsvertretung nach der gerichtlichen telefonischen Erhebung nochmals um eine Verhandlung ersucht. Um den Sachverhalt zu erheben, um ein Bild von der Lebensweise zu erhalten, wurde seitens des Richters auch ein Auftrag an die örtliche Polizei gesandt und ein Gespräch mit dem Bürgermeister und der Schule geführt (sh OZ 10, AV des Gerichtes vom 15.03.2017, Bericht der PI Weißenkirchen vom 15.3.2017). Das Ergebnis dieser Berichte war nicht allzu erschöpfend. Die Aussagekraft der polizeilichen Ermittlungen ist für das Gericht kaum von Relevanz.

 

Am 28.09.2016 berichtete der Bürgermeister (OZ1, AS 343) dass die Familie sehr bemüht ist. Es wurde eine Aktivität am "Steirischen Frühjahrsputz" bescheinigt. Der Bürgermeister berichtete dagegen dem Gericht telefonisch am 15.03.2017, dass er keinen direkten Kontakt mit der Familie habe. Das soziale Engagement beschränkte sich daher für das Gericht auf diesen einen Frühlingsputz (Sammeln von Müll auf öffentlichen Flächen).

 

Die Volksschule berichtet, dass der Vater bei den Elternabenden erscheine (OZ1, AS 341). Im Gespräch am 15.03.2017 wurde seitens der Klassenlehrerin auch erwähnt, dass sie die Mutter noch nicht gesehen habe, die Kinder kommen mit dem Schulbus. Schulbesuchsbestätigungen liegen vor. Für das Gericht ergibt sich aus den telefonischen Erhebungen, dass BF2 gegenüber der Schule wenig bis kaum in Erscheinung tritt. Dies stimmt auch mit den erwähnten Dokumenten überein. Von einer westlich orientierten Frau wird jedoch ein aktiveres Zugehen auf die Behörden oder der Schule der erwartet. Dass der Vater hier größtenteils (bei einem Fest sah man beide Elternteile) alleine auftritt stimmt für das Gericht nicht mit dem Bild einer westlich orientierten Frau zusammen.

 

Die BF2 hatte in der Verhandlung im März 2017 einen klaren Berufswunsch, und gab an, alleine einzukaufen. In der Verhandlung im Jänner 2018 trug sie kein Kopftuch mehr. Sie gab an, wegen familiärer Spannungen bereits überlegt zu haben, sich von BF1 scheiden zu lassen.

 

Bezüglich des Kopftuchs ist zu sagen, dass das Ablegen des Kopftuches nur ein Indiz dafür ist, eine westliche Einstellung zu haben, ein Automatismus ist davon nicht abzuleiten. Dagegen kann man auch mit einem Kopftuch westlich orientiert sein. Diese äußeren Zeichen sind weniger von Belang als die innere Einstellung, wie zB der Wunsch sich zu integrieren. Zudem ist aus den Länderberichten zu entnehmen (sh 2.2.2.3) das Hazaras zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendieren. Aus der Befragung von BF2 und BF1 ging auch hervor, dass das Ablegen des Kopftuches innerhalb der Familie nicht allzu sehr thematisiert wurde. Daher lässt sich für diesen Fall nicht ableiten, dass das Ablegen des Kopftuches automatisch eine westlich Orientierung bedeutet.

 

Auch der Wunsch sich scheiden zu lassen, ist für sich genommen kein Zeichen einer westlichen Orientierung. Die Scheidung im Isalm ist - notorisch bekannt, sh dazu allerding ergänzend https://de.wikipedia.org/wiki/Islamische_Ehe#Scheidung - auch von Seiten der Frauen möglich. Daraus lässt sich zwar ableiten, dass BF2 zwar einmal den Wunsch hatte von BF1 getrennt zu leben, ein getrenntes Leben bedeutet jedoch für sich genommen noch nicht, das damit eine westliche Orientierung verbunden ist. Es ist zwar der Hinweis für den Wunsch ein selbstbestimmtes Leben zu führen, aber nicht jeder Scheidungsgedanken führt automatisch dazu, dass die Persönlichkeit in Österreich derart verändert wurde, dass im Falle einer Rückführung das Verleugnen dieser Persönlichkeit ein unverhältnismäßiger Eingriff wäre. Gerade auch, weil Scheidungen im Islam auch möglich sind.

 

Das Gericht kommt jedoch auch deswegen zur Auffassung, dass ein westliche Orientierung nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Verleugnen dieser Einstellung im Falle einer Rückkehr ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeit der BF2 bedeutet, weil BF2 in diesen 10 Monaten keine Anstrengungen unternommen hat, Ihren im März 2017 vor dem Gericht geäußerten Berufswunsch - Zahnarztassistentin - auch zu erfüllen. BF1 und BF2 leben nun mittlerweile mehr als drei Jahre in Österreich. Sie leben in einer ländlichen Gegend in der Steiermark und leben von der Grundversorgung. Weder BF1 noch BF2 haben jedoch eine abgeschlossene Sprachausbildung. Gerade die Sprache verbindet mit der Örtlichkeit und der gegenwärtigen Kultur. Würde eine westliche Orientierung bestehen, dann müssten deutliche Anzeichen vorliegen, den gefassten Berufswunsch auch nachzugehen. Auch wenn es vermutlich in den ländlichen Gebieten schwerer ist, einen Sprachkurs zu besuchen, muss ein deutliches intrinsisches Bemühen vorhanden sein. Dies auch vor dem Hintergrund, dass BF2 im Nov 2017 vom Spital entlassen wurde. Genau deswegen wurde im März 2017 die Verhandlung unterbrochen und im Jänner 2018 fortgesetzt. Der Richter konnte keinerlei Integrationsbemühungen der B2, welches ein deutliches Zeichen für eine westliche Orientierung, nämlich in dem Maße dass die Persönlichkeit im Falle der Rückkehr verleugnen werden müsste, erkennen. Dies wurde auch durch den persönlichen Eindruck, den der Richter in den beiden Verhandlungen gewann, unterstützt.

 

Dabei führte die BF2 in der Verhandlung am 14.03.2017 noch an, dass Sie in Österreich die Rechte der Frau schätze. Auf die Frage, was genau, meinte Sie, dass Sie sich hier frei fühle und alleine aus dem Haus gehen könne. Sie dürfe etwas lernen und dürfe hier eine Berufsausbildung machen und in Zukunft einer Arbeit nachgehen. Sie könne Ihren Berufswunsch in Afghanistan nicht nachgehen. Auf die Frage, was sie konkret tun müsse um den Berufswunsch nachzugehen, antwortete Sie, dass Sie zuallererst die Sprache lernen müsse. (Seite 14 ff der Verhandlungsniederschrift vom 14.03.2017). Konkrete Schritte, dies auch umzusetzen, fehlen jedoch. BF1 und BF2 legten zuletzt folgende Deutschkurse ab: 24 Stunden Deutsch bei der Caritas im März 2017 (OZ 15).

 

Das Gericht kam daher zur Auffassung, dass der Berufswunsch der BF2 zwar während der mündlichen Verhandlung vorhanden war (der Richter befragte die BF in diese Richtung), dieser Wunsch jedoch keinerlei Taten folgen lies. Dar Gericht muss daher annehmen, dass die Möglichkeit, sich durch den Beruf zu verwirklichen, bzw das Grundrecht auf Arbeit und freie Berufswahl, auch wahrzunehmen bei BF2 nicht so sehr ausgeprägt ist. Zugleich ist aus den Länderberichten zu entnehmen, dass Frauen grundsätzlich auch Berufe offenstehen (abhängig von der Bildungs- und Gesellschaftsschicht), dh mit dem gegenständlichen Entscheid wird nicht absolut in das Grundrecht der BF2 eingegriffen, sondern nur in Bezug auf Österreich durch den Ausschluss des weiteren Verbleibes durch Nichtgewährung von Asyl.

 

Eine westliche Orientierung in dem oben beschriebenen Ausmaß konnte bei BF2 nicht festgestellt werden.

 

BF4 und BF5 sind 8 und 5 Jahre alt. In diesem Alter ist eine Anpassung an die Gegebenheiten, insbesondere der Kultur der Eltern als natürliche Entwicklung anzusehen; jedenfalls ist die Persönlichkeit noch nicht so ausgeprägt, dass man von einer Verfestigung sprechen könne und in diese im Falle der Rückkehr unverhältnismäßig eingreifen würde. Eine westliche Orientierung von BF4 und BF5 war daher nicht zu erkennen.

 

b)

 

Von den drei Kindern war in Afghanistan nur BF 3 schulpflichtig. Der Fußweg war zwischen 20 Minuten (so BF2) und 40 Minuten (so BF1). Aus der Beilage 7 aus OZ 3 (ACCORD, Schulsystem in Afghanistan) ist zu entnehmen, dass Taliban Mädchen den Schulbesuch erlauben würden (sh weiter unter 2.2.2.3).

 

Es befand sich somit eine Schule in der Nähe des Herkunftsortes. Auch in Kabul befinden sich Schulen - und auch Mädchenschulen. Die Taliban haben nicht die Herrschaft über Kabul.

 

BF1 meinte, dass es schwierig sei, in Afghanistan Kinder in die Schule zu senden, weil es nicht viele Schulen gäbe (Seite 12 der Einvernahme am 14.03.2017). Dem muss jedoch entgegen gehalten werden, dass BF3 nach seinen Angaben zur Schule ging. Er vermeinte weiters, das Chemikalien in den Schulbrunnen von den Taliban geschüttet werde. Dies ist jedoch eine allgemeine Behauptung, weil diese nicht konkretisiert wurde. Der Fluchtgrund in den Iran war auch der Streit mit den Stiefbrüdern und nicht, weil BF3 nicht mehr zu Schule gehen konnte BF2 meinte am 11.08.2018, (sh Seite 5) dass er wegen "der unsicheren Lage" nicht mehr zur Schule gehen hätte können. Weiter substantiiert wurde dies nicht und erscheint daher weniger glaubhaft. Dass BF3 nicht mehr zu Schule gehen konnte war jedoch kein fluchtauslösender Grund.

 

3.3. Zur medizinischen Versorgung der BF2

 

Es liegt in OZ 16 ein ärztlicher Entlassungsbrief vom 14.11.2017 vor. An der Richtigkeit ist nicht zu Zweifeln. BF2 benötigt derzeit Medikamente (Antidepressiva). Die Feststellungen gründen Sich auf den unzweifelhaften Länderberichten. Im Übrigen sh dazu die Ausführungen im nächsten Punkt. Medikamente sind in Kabul zu beschaffen, sind allerdings sehr teuer.

 

3.4. Zur Sicherheitssituation in der Herkunftsprovinz (Meydan Wardak)

 

Diese Feststellungen gründen sich ua auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Länderinformationsblatt, OZ 17), welches bereits von der belangten Behörde in das Verfahren eingebracht und im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, und den darin jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Die darüberhinausgehenden Länderfeststellungen ergeben sich aus dem seitens der BF oder seitens des Gerichtes eingebrachten Berichten (sh dazu die Beweise unter 1.18).

 

3.5. Zur allgemeinen Sicherheitssituation in Afghanistan, insbesondere Kabul

 

Die Feststellungen gründen Sich auf den unzweifelhaften Länderberichten. Im Übrigen sh dazu die Ausführungen im vorigen Punkt). Hinsichtlich der Sicherheitslage in Kabul ist jedoch anzuführen, dass der Ansicht der Rechtsvertretung nicht gefolgt werden könne, dass der IS gezielt Anschläge auf Hazaras verübe (sh dazu die Ausführungen unter Punkt 2.4).

 

3.6. Zum subsidiären Schutz

 

Die Feststellungen gründen sich vor allem auf die dort genannten Länderberichte (sh 2.5). Dr. Rasuly vermeint, dass die Familie ca 600.- $ zum Überleben in Kabul benötigt. Es ist notorisch bekannt, dass solche Einkommen lediglich in staatlichen oder halbstaatlichen Unternehmen zu erzielen sind. Um jedoch dort derzeit eine Anstellung zu finden, bedarf es ein entsprechendes Netzwerk und eine Schulbildung. Das hat weder BF1 noch BF2. Zudem bedarf BF2 weiterhin Antidepressiva. Die Kosten alleine für dieses Medikament würde die Familie übergebührlich belasten. BF 1 war Landwirt und im Iran 1 1/2 Jahre Hilfsarbeiter. Die Kinder sind 11, 8 und 5 Jahre alt, somit noch stark von den Eltern abhängig. Sie haben keine Ersparnisse und keine Grundstücke oder Eigentum in Afghanistan.

 

Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen geht das Gericht davon aus, dass BF1 keine Anstellung finden wird, es an einer Unterstützung seitens der Verwandten mangelt und eine sonstige Versorgung beispielsweise durch NGO, wenn überhaupt, nur für ein paar Wochen vorhanden ist. Die Familie wird dadurch in Slums in Kabul leben. Eine Rückführung in den Heimatdistrikt ist wegen der derzeitigen Talibanpräsenz nicht möglich.

 

Damit kommt das Gericht zur Ansicht, dass vor dem Hintergrund der unzweifelhaften und nicht widersprüchlichen Länderfeststellungen, dass die BF1 und BF2 im Falle einer Rückkehr, insbesondere nach Kabul, derzeit in eine ausweglose Situation kommen, sie BF3 bis BF5 nicht in mehr ausreichend ernähren können und in Ihre geschützten Rechte des Art 2 und 3 EMRK eingegriffen werden würde.

 

Daraus folgt

 

4. rechtlich:

 

4.1. Zu Spruchpunkt A)

 

4.1.1. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN).

 

4.1.1.1. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt (sh Punkt 3) und in den Feststellungen (sh Punkt 2) festgehalten konnte keiner der BF, weder gemeinsam noch einzeln, bezogen auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan in folgenden Punkten, eine persönliche Verfolgungshandlung, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft geltend machen:

 

 

 

 

Sohin kann nicht erkannt werden, dass den BF aus dem von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

 

4.1.1.2. Zu dem Streit mit seinen Stiefbrüdern (sh Punkt 2.2.1.1) ist Folgendes zu sagen:

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2015, Ra 2015/20/0030, mwN). Dies war aber im gegenständlichen Fall nicht gegeben.

 

Das BFA begründete die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten in zutreffender Weise damit, dass die BF keinen nach dem Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Grund vorbrachten. Die Streitigkeiten zwischen Privatpersonen (wie in diesem Fall) sind nicht als Grund anerkennt.

 

4.1.1.3. Zur Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu den Hazaras und den Schiiten (sh Punkt 2.2.2.2) ist folgende zu sagen:

 

Was eine allfällige Gruppenverfolgung der Hazara anbelangt, so ist Folgendes auszuführen: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung allerdings nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (siehe dazu zuletzt das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 2017, Ra 2016/20/0089 u. v.m.).

 

Wie den Länderfeststellungen zwar zu entnehmen ist, unterliegen Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - in Afghanistan zwar zweifelsohne nach wie vor gesellschaftlichen Diskriminierungen und Schikanen, deren Lage hat sich allerdings sowohl ökonomisch, als auch politisch insgesamt verbessert - so sind sämtliche ethnische Minderheiten nach der afghanischen Verfassung geschützt. Sowohl der Gleichheitsgrundsatz, als auch die Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert. Schiiten sind nicht nur im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), sondern auch im Hohen Friedensrat vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen. Entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung sind Hazara keiner gezielten systematischen Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

 

Von einer systematischen Vertreibung oder massiv diskriminierenden Benachteiligung sämtlicher (schiitischer) Hazara und damit von einer asylrechtlichen (Gruppen)Verfolgung im oben beschriebenen Sinn kann daher - auch im Hinblick auf ihre Repräsentation in Politik sowie auch Armee und Sicherheitsbehörden - nicht ausgegangen werden.

 

Zwar trifft es zu, dass in Afghanistan vereinzelte Angriffe, Entführungen oder Tötungen von Zivilpersonen (darunter auch Hazara) grundsätzlich jederzeit und überall möglich sind. Die Gründe für diese Gewalthandlungen sind dabei aber ebenso vielfältig, wie die dabei beteiligten Konfliktgruppen und die jeweiligen Opfer der Taten.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwies in seiner Judikatur auf die schlechte Situation für Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan, verneinte jedoch eine automatisch vorliegende Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr allein auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe (EGMR 05. Juli 2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit von Hazara und Schiiten in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

 

4.1.1.4. Zur westlichen Orientierung der weiblichen BF, insbesondere der BF2 (sh Punkt 2.2.2.3)

 

Insgesamt ist es den BF nicht gelungen, eine westliche Orientierung bei BF2, BF4 oder bei BF5 darzulegen. Es ist ebenso wenig gelungen, dass bei einen der genannten BF die Persönlichkeit so sehr verändert wurde, als erst dadurch der Zugang zu verschiedenen Grundrechte, wie zB das Recht auf Arbeit und die Berufsfreiheit (Art 15 GRC), oder das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben (Art 8 EMRK) möglich wäre.

 

Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen:

 

Soweit in der Beschwerde pauschal und völlig unsubstantiiert auf das UN-Flüchtlingskommissariat verwiesen wird, welches weiterhin von einem hohen Schutzbedarf für Asylsuchende aus Afghanistan ausgehe, ist zu erwidern, dass dies keine einzelfallbezogene Prüfung des Asylvorbringens ersetzt. Im Übrigen ist hierbei anzumerken, dass die allgemeine schlechte Lage in Afghanistan für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK begründet. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH).

 

Auch aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lässt sich für den BF eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

 

Zu den von den BF behaupteten Problemen im Iran, die letztlich zu seiner Ausreise nach Europa geführt haben, ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG 2005 die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Aufgrund der afghanischen Staatsangehörigkeit des BF kann somit sein Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

4.2. Zu Spruchpunkt B) 1.

 

4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

4.2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

 

4.2.3. Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

 

4.2.4. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).

 

4.2.5. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61204/09; siehe dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255).

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

4.2.6. Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

 

Die Familie stammt aus der Provinz Meydan Wardak, welche - wie im Rahmen der Beweiswürdigung unter Punkt 3.6 näher ausgeführt - derzeit eine der Provinzen mit schlechter Sicherheitslage in Afghanistan ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde (sh dazu Punkt 2.3)

 

Die BF1 und 2 können nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus folgenden Gründen auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, insbesondere in die Hauptstadt Kabul, verwiesen werden:

 

Aus dem in das Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterial (s. insbesondere die Dokumente unter Punkt 2.5, wie das Länderinformationsblatt, OZ 17, Thomas Ruttig, Corinne Troxler und die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan, Dez 2016) geht im Wesentlichen Folgendes hervor:

 

In der Stadt Kabul herrscht eine prekäre Versorgungslage. Die Ressourcenknappheit am Wohnungsmarkt, in der täglichen Versorgung von Nahrungsmitteln, trifft vor allem jene, welche keine sozialen Anknüpfungs-, oder Ankerpunkte in Kabul haben. Die Stadt Kabul ist massiv vom starken Anstieg der Zahl der Rückkehrer aus Pakistan, der im Jahresvergleich gleichbleibend großen Zahl an Rückkehrern aus dem Iran sowie von den vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen (v.a. aus der Zentralregion) betroffen, weshalb sich die Wohnraumsituation sowie die Lage im Dienstleistungsbereich als extrem angespannt darstellen. Näher ausgeführt bedeutet dies, dass die für die Grundversorgung benötigten Waren auch für die breite Schicht der Bevölkerung in Kabul so teuer geworden sind, dass Hilfsarbeiter meist am Rande der Stadt in Slums unter schwierigen und menschenunwürdigen Bedingungen ohne Wasch-, Koch- oder Heizgelegenheit unter ständiger Gefahr des Verlusts ihrer Behausung leben, und dass eine hohe Arbeitslosigkeit gegeben ist. Im gegenständlichen Fall ist das der Fall. BF2 hat zwar einen Onkel in Kabul, welcher die Familie allerdings nicht versorgen kann. Der BF1 arbeitete in der Landwirtschaft und verfügt über keine Schulbildung.

 

Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu:

 

 

 

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, geht das Gericht durch die Verkettung erschwerender Umstände davon aus, dass sich die Familie nicht selbst versorgen kann und in eine ausweglose Situation gelangt.

 

Den BF würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der - im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und in seiner Beschwerde vorgebrachten - ihn betreffenden individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht in Betracht kommt. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005) und die BF andererseits unbescholten ist (Z 3 leg.cit.).

 

Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stattzugeben.

 

4.3. Zu A) II.: Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:

 

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

 

4.4. Zu A) III.: Zur Behebung der Spruchpunkte III. und IV.

 

Mit Spruchpunkt III der Bescheide wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem § 57 AsylG nicht erteilt und gem § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG 2005 jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde jeweils festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Mit Spruchpunkt IV wurde eine 14-tägige Ausreisefrist festgelegt, indem eine freiwillige Ausreise erfolgen hätte können.

 

Nachdem im gegenständlichen Fall subsidiärer Schutz gewährt wurde, ist gem § 10 Abs. 1 AsylG 2005 keine Rückkehrentscheidung zu treffen. Aus diesem Grund mussten die Spruchpunkte mit gegenständlichem Erkenntnis ersatzlos behoben werden.

 

4.5. Zum Familienverfahren:

 

BF1, BF2, BF3, BF4 und BF5 sind zueinander unzweifelhaft eine Familie im Sinne des § 2 Abs. 1 Ziffer 22 AsylG 2005. Gem § 34 Abs. 3 des AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht den Status des subsidiär Schutzberechtigten jeden innerhalb der Familie zuzuerkennen, sofern einem Familienangehörigen der Status des subsidiär Schutzberechtigten erteilt wurde und sofern keine Ausschließungsgründe gem Ziffer 1 bis 4 vorliegen. Im gegenständlichen Fall kommen die beiden sorgepflichtigen Elternteile (BF1 und BF2) im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Situation. Dieser Status schlägt sich auf die BF3 bis BF5 in Anwendung des § 34 Abs. 3 AsylG 2005 auf diese durch.

 

4.6. Zum Antrag § 16 BFA-VG:

 

In der Beschwerde wurde der Antrag gestellt, dass der § 16 BFA-VG wegen verfassungsrechtlicher Bedenken seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zur Prüfung den Verfassungsgerichtshof vorzulegen ist. Der Antrag bezieht sich auf den § 16 BFA-VG in der Fassung der Antragstellung, der 13.01.2017. § 16 BFA-VG befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Fassung durch BGBl. I Nr. 24/2016. Nachdem durch BGBl. I Nr. 140/2017 der § 16 BFA-VG am 17.10.2017 abgeändert wurde, ist der Antrag obsolet. Der Antrag wird daher gem § 31 Abs. 2 und 3 VwGVG abgelehnt.

 

4.7. Zu C) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).

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