B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W211.2116722.1.00
Spruch:
W211 2116722-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides
wird als unbegründet abgewiesen.
B) Der Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers
wird abgewiesen.
C) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.06.2014 gab die beschwerdeführende Partei an, in Kismayo geboren worden zu sein und ihre Flucht im März 2014 von Äthiopien aus begonnen zu haben. Sie habe eine Tante und einen Cousin in Deutschland und noch ihren Vater und drei Geschwister in ihrer Heimat oder einem Drittstaat. Als Fluchtgrund gab sie an, bereits als Kind mit ihrer Familie nach Äthiopien ausgereist zu sein. Ihre Mutter sei verstorben und ihr Vater psychisch krank. Die Großmutter würde auf die Geschwister aufpassen. Sie habe dann beschlossen, zu ihrer Tante nach Deutschland zu fahren.
3. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am 28.11.2014 gab die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, den Sheikhal anzugehören und bis zu ihrem achten Lebensjahr in Kismayo gelebt zu haben. Dann sei die gesamte Familie 2004 nach Äthiopien geflüchtet, in das Lager XXXX . Die beschwerdeführende Partei korrigierte sich und meinte, bis zu ihrem 11. Lebensjahr in Kismayo gelebt zu habe, drei Jahre lang die Koranschule besucht zu haben und wegen des Krieges 2009 mit ihrer Familie nach Äthiopien geflüchtet zu sein. Ende November 2013 sei der Großvater in Kismayo verstorben und die Familie wegen der Aufteilung des Erbes dorthin zurückgekehrt. Im Jänner 2014 seien sie wieder nach Äthiopien gegangen. Ihr Onkel in Kismayo habe sie zwangsverheiraten wollen; dieser Mann habe auch ihre Brüder erschossen und die beschwerdeführende Partei selbst am Arm verletzt. Sie sei dann mit in ein Haus genommen worden; eine Frau habe ihr Essen gebracht und ihr geholfen, von dort zu fliehen. Diese Frau habe sie zum Haus ihrer Tante gebracht, die sie nach Mogadischu ins Krankenhaus gebracht habe. Die beschwerdeführende Partei korrigierte sich und meinte, neben dem Haus der Tante habe es eine Apotheke gegeben, dort sei sie verarztet worden und am nächsten Tag sei sie mit ihrer Tante nach Mogadischu gegangen. Die beschwerdeführende Partei sei dann mit einem LKW nach XXXX zurückgekehrt. In XXXX sei das Leben schwer gewesen. Darauf angesprochen meinte sie, den Fluchtgrund, wie er im Protokoll der Erstbefragung aufscheint, so nicht erzählt zu haben.
Ein Arztbrief eines Krankenhauses, Abteilung für Neurologie und Psychosomatik, vom XXXX 2014 führt als Diagnose aus:
Spannungskopfschmerz und dissoziative Störung (G44.2 und F44.5). Ein weitere Arztbrief des gleichen Krankenhauses, Innere Abteilung, vom XXXX 2014 gibt als Diagnosen an: posttraumatische Belastungsstörung (F43.1), fraglicher Krampfanfall (G40.9), normochrome nomrozytäre Anämie (D64.9), Thoraxschmerzen (R07.4) und einen Mammaknoten links. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass eine Verlegung in eine andere Unterbringung und eine psychologische Weiterbetreuung angeraten werden. Die beschwerdeführende Partei erhalte Vitamininfusionen, einen Diätplan. Auffallend sei ein schmerzhafter Knoten in der Brust, wobei die beschwerdeführende Partei angegeben habe, auf der Flucht Schläge auf die Brust bekommen zu haben. Diesbezüglich solle eine Mammographie durchgeführt werden. Die Therapieempfehlung beinhaltete: psychologische Betreuung und Unterbringungswechsel; bei neuerlichem Krampfanfall Vorstellung in einer neurologischen Abteilung und Mammographie.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG wurde der beschwerdeführenden Partei eine Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG zur Seite gestellt.
5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht und die unentgeltliche Beigabe eines Verfahrenshelfers beantragt.
6. Am 20.06.2016 langte eine Beschwerdeergänzung ein, nach der die beschwerdeführende Partei Opfer einer Genitalverstümmelung geworden sei. Ein Arztbrief eines Krankenhauses vom XXXX 2016 führte aus, dass im Jänner eine Defibulation und diagnostische Laparoskopie vorgenommen worden sei.
7. Mit Schreiben vom 23.06.2016 wurden die beschwerdeführende Partei und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.08.2016 geladen. Die belangte Behörde informierte bereits bei der Beschwerdevorlage darüber, auf die Teilnahme an einer allfälligen mündlichen Verhandlung zu verzichten.
8. Am 16.08.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Rechtsvertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der sie soweit wesentlich angab, zur Zeit nicht in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung zu sein; sie nehme Vitamine und Medikamente wegen Eisenmangels ein. Sie sei als Achtjährige beschnitten worden, wobei dabei ihre Eileiter verstopft gewesen seien. In Österreich sei sie deswegen in Behandlung gewesen und könne mittlerweile auch schwanger werden. Bei der Erstbefragung habe sie sich bei den Daten geirrt; sie habe Somalia nicht 2014, sondern schon 2013 verlassen, wann genau wisse sie nicht. 2013 habe sie auch Äthiopien Richtung Europa verlassen. 2004 habe sie mit ihrer Familie Kismayo für XXXX verlassen. 2013 sei der Großvater gestorben, und die Familie sei wegen des Erbes nach Kismayo zurückgekommen. Drei Wochen später habe ihr Onkel gemeint, dass sie verheiratet werden sollte. Dieser Mann und drei weitere Männer seien zu ihnen nach Hause gekommen und hätten die beiden älteren Brüder, die dies verhindern sollten, getötet. Sie sei auch verletzt worden; man habe sie mitgenommen und in ein Haus gebracht. Eine Freundin der Mutter habe sie nach Mogadischu gebracht, um dort behandelt zu werden. Später sei sie nach XXXX geschickt worden. Zuletzt habe sie gehört, dass ihr Vater, ihre Großmutter und noch drei lebende Brüder ins Flüchtlingslager nach Äthiopien gegangen seien. Sie gehöre den Sheikhal XXXX an; die Sheikhal seien Hawiye. Auf Nachfrage meinte sie, dass man sie diskriminiere und ihre Frauen - gemeint: Sheikhal - zwangsverheiraten würde. Sie habe vor einem Jahr traditionell einen Mann geheiratet, der in München leben würde. Abschließend meinte die beschwerdeführende Partei schließlich, in Somalia beschnitten worden zu sein und deshalb keine Kinder bekommen zu können. Die Ärzte hier hätten sie behandelt, nun sei alles in Ordnung. In Somalia hätte sie kein Mann haben wollen, wenn sie keine Kinder bekommen könnte.
Vorgelegt wurde, soweit wesentlich, ein Arztbrief eines Krankenhauses vom XXXX 2016, nach dem die beschwerdeführende Partei vermutlich wegen vermehrten vaginalen Flour vorstellig geworden sei; ein Abstrich vom Jänner 2016 habe Hefepilze gezeigt. Es bestehe ein Verdacht auf Soorkolpitis und Obstipation, und ein Laborbefund wegen einer Thrombose vom 21.07.2016.
9. Eine Stellungnahme zu den Länderberichten vom 24.08.2016 führte aus, dass die beschwerdeführende Partei nunmehr als nicht mehr beschnittene Frau gelte und nunmehr von "gender based violence" bedroht wäre. Sie wäre in Somalia eine alleinstehende Frau; und drohe ihr auch Verfolgung als Angehörige einer Minderheit.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am XXXX 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
1.1.2. Die beschwerdeführende Partei stammt aus Kismayo und gehört der Volksgruppe der Sheikhal XXXX an. Auf bereits erlittene Verfolgungen wegen ihrer Clanzugehörigkeit gibt es keine Hinweise.
Der Vater, die drei Brüder und die Großmutter der beschwerdeführenden Partei hielten sich zuletzt in XXXX in Äthiopien auf.
Ob es noch Familienangehörige der beschwerdeführenden Partei in Kismayo gibt, kann nicht festgestellt werden.
1.1.3. Bei der beschwerdeführenden Partei wurden im Jahr 2014 eine dissoziative Störung und ein Spannungskopfschmerz, eine posttraumatische Belastungsstörung, mögliche Krampfanfälle, eine Anämie, Thoraxschmerzen und ein Mammaknoten links diagnostiziert.
Sie befindet sich nicht in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung.
Sie nimmt zur Zeit Medikamente gegen die Anämie und Vitamine. Darüber hinaus wird die beschwerdeführende Partei nach ihren Angaben nicht medikamentös behandelt.
Zu dem ursprünglich diagnostizierten Knoten in der Brust und zu den Krampfanfällen wurden keine weiteren Unterlagen vorgelegt.
Im Jänner 2016 wurde bei der beschwerdeführenden Partei eine diagnostische Laparoskopie und Chromopertubation, Adhäsionslösung der Labia minora vorgenommen. Nach eigenen Angaben könnte sich die beschwerdeführende Partei mittlerweile einen Kinderwunsch erfüllen.
Im Februar 2016 litt sie an einer Scheidenpilzinfektion und Verstopfung und erhielt außerdem nach einer Diagnose einer Thrombose eine Laboruntersuchung.
1.1.4. Ob die beschwerdeführende Partei traditionell mit einem Mann in München verheiratet ist, kann nicht festgestellt werden. Festgestellt wird aber, dass sie in Österreich in keiner Lebensgemeinschaft mit einem Mann lebt.
1.2. Es wird nicht festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei mit ihrer Familie im Jahr 2013 zurück nach Kismayo gegangen ist und dort, ca. drei Wochen nach ihrer Rückkehr, von ihrem Onkel mit einer Zwangsverheiratung bedroht wurde. Es wird weiter nicht festgestellt, dass vier Männer ins Haus der beschwerdeführenden Partei gekommen, die beiden Brüder erschossen, die beschwerdeführende Partei mit dem Messer am Arm verletzt und mitgenommen hätten. Schließlich wird auch nicht festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei entweder in Kismayo in einer Apotheke oder in Mogadischu im Spital verarztet und von einer Tante bzw. Freundin der Mutter Richtung Äthiopien geschickt wurde.
2. Länderfeststellungen zur Situation in Somalia
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben.
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia, 25.04.2016, Auszüge:
1. Sicherheitslage
Kommentare zu den Eintragungen auf der Karte:
* Jene AMISOM-Garnisonen, die als "Strongholds" (Bastionen) markiert sind, können als permanent erachtet werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese an al Shabaab fallen können.
* Die meisten AMISOM-Garnisonen, die als "Forward Position" markiert sind, haben taktische Relevanz und scheinen permanent zu sein. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass diese unter starkem Druck der al Shabaab geräumt werden können (EASO 2.2016).
Gemäß der auch von EASO zitierten Analyse der Staatendokumentation zur Sicherheitslage in Somalia hat sich die Situation im Zeitraum 7.2014-6.2015 in folgenden Bezirken verschlechtert: Dhusamareb und Ceel Buur (Galgaduud); Belet Weyne und Bulo Burte (Hiiraan); Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe (Lower Shabelle);
Baidoa und Burhakaba (Bay); Xudur, Waajid und Rab Dhuure (Bakool);
Bulo Xawo (Gedo); Kismayo (Lower Jubba). Die Situation in folgenden Bezirken hat sich im gleichen Zeitraum verbessert: Ceel Waaq und Luuq (Gedo). In den anderen Bezirken sind keine relevanten Änderungen eingetreten (BFA 10.2015; vgl. EASO 2.2016).
Bild kann nicht dargestellt werden
(EASO 2.2016).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Dies ist einerseits bei der Verteilung terroristischer Aktivitäten im urbanen Raum zu erkennen, andererseits bei der Anzahl bewaffneter Auseinandersetzungen je Bezirk (BFA 10.2015).
Quellen:
- BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia:
Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse-lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf , Zugriff 23.3.2016
- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf , Zugriff 22.3.2016
1.1.1. Interim Juba Administration (IJA; Gedo, Lower und Middle Juba)
Mehrere wichtige Städte auf dem Gebiet der IJA sowie große Teile des Hinterlandes befinden sich noch unter Kontrolle der al Shabaab, z.B. Buale, Jilib und Jamaame. Auf dem Gebiet der IJA kommt es zu v.a. kleineren Angriffen und Hinterhalten der al Shabaab auf somalische Armee und AMISOM sowie auf die Kräfte der IJA. Dabei gibt es auch zivile Opfer. Im Hinterland, das sich unter Kontrolle der al Shabaab befindet, kommt es auch zu Luftschlägen gegen die Terroristen (EASO 2.2016).
In der Hauptstadt der IJA, Kismayo, stieg die Zahl terroristischer Aktivitäten nach der Befreiung im Jahr 2012 konstant an und erreichte im Quartal Q4 2013 ihren Höhepunkt. Seither sind die Zahlen gezielter Attentate und Sprengstoffanschläge konstant zurückgegangen (BFA 10.2015).
In Kismayo kam es im Oktober 2015 zu Auseinandersetzungen zwischen Kräften der IJA und der somalischen Armee. Außerdem gibt es in der Stadt ein großes Potential für Clankonflikte. Die al Shabaab hat in Kismayo eine verdeckte Präsenz, während die Stadt und der nähere Umkreis von den Kräften der IJA, der somalischen Armee und AMISOM kontrolliert wird (EASO 2.2016).
Quellen:
- BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia:
Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse-lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf , Zugriff 23.3.2016
- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf , Zugriff 22.3.2016
1.1.2. Al Shabaab (AS)
Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016).
Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.12.2015). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 15.3.2016).
Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 15.3.2016). In der jüngeren Vergangenheit hat al Shabaab schwere Niederlagen erlitten. Einerseits wurde der Anführer, Ahmed Godane, im September 2014 von einer US-Drohne eliminiert. Andererseits hat al Shabaab nach dem Verlust der wichtigen Hafenstadt Baraawe im Oktober 2014 noch weitere, strategisch wichtige Städte verloren (EASO 2.2016). Zuletzt wurden al Shabaab auch herbe Verluste zugefügt. Alleine bei einem Luftschlag gegen ein Lager der Terroristen in Raso (Hiiraan) wurden mehr als 150 frisch ausgebildete Kämpfer getötet und zahlreiche weitere verletzt. Bei einem Vorstoß der al Shabaab entlang der Küste in Nugaal wurden weitere 115 Kämpfer der al Shabaab getötet und 110 gefangen gesetzt. Bei einem ähnlichen Vorstoß im Hinterland fügten Kräfte der GIA der al Shabaab ebensolche Verluste zu. Allein im März 2016 betrugen die Verluste für al Shabaab mindestens 500 Mann, weitere 210 wurden gefangen gesetzt (A 4.2016). Trotz der Verluste ist al Shabaab immer noch in der Lage, große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia zu halten (EASO 2.2016; vgl. AI 24.2.2016). Die Gruppe kontrolliert auch Versorgungsrouten (UKHO 15.3.2016). Über wie viele Kämpfer die al Shabaab verfügt, ist nicht exakt bekannt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Miliz über mehr als 6.000 Mann verfügt (EASO 2.2016). Al Shabaab ist jedenfalls noch weit davon entfernt, besiegt zu sein (BS 2016).
Allerdings entwickelten sich Mitte 2015 innerhalb der al Shabaab die ersten Risse hinsichtlich einer Neuorientierung zum Islamischen Staat (IS). Mehrere IS-Sympathisanten wurden verhaftet; es kam auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen (EASO 2.2016; vgl. AI 24.2.2016, UNSC 8.1.2016).
Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).
Quellen:
- A - Sicherheitsanalyseabteilung (4.2016): Sicherheitsbericht für März 2016
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html , Zugriff 22.3.2016
- BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf , Zugriff 24.3.2016
- DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf , Zugriff 4.4.2016
- EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf , Zugriff 22.3.2016
- UKHO - UK Home Office (15.3.2016): Country Information and Guidance South and Central Somalia -Fear of Al-Shabaab, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458121464_som-cig-fear-of-al-shabaab.pdf , Zugriff 22.3.2016
- UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf , Zugriff 1.4.2016
2. Minderheiten und Clans
2.1. Bevölkerungsstruktur und Clanschutz
Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 13.4.2016). Die somalische Bevölkerung ist aber nur auf den ersten Blick homogen (EASO 8.2014). In ganz Somalia gibt es eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Sub-Clans und Sub-Sub-Clans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015). Tatsächlich bilden die Clans eine Art Sub-Ethnizität. Die Clans bilden auch die Grundlage der Identität eines Somali, jeder kennt normalerweise seine exakte Position im Clansystem. Dies gilt auch für die urbanisierte Bevölkerung. Wenn Somali ihre Herkunft beschreiben fangen sie meist bei sich selbst an und steigen dann die hierarchischen Ebenen des Systems bis zur Clanfamilie hinauf. Diese Aufzählung wird abtirsiimo oder abtirsiin genannt, und Kinder im Alter von acht oder neun Jahren können diese üblicherweise auswendig (EASO 8.2014).
Dabei gelten als Haupt-Clanfamilien die traditionell nomadischen Darod, Dir, Hawiye und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Diese Clanfamilien unterteilen sich weiter in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene der Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe, die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (xeer) Verantwortung übernimmt. Diese Gruppe sorgt aber traditionell auch für die Unterstützung von Angehörigen in schwierigen (finanziellen) Situationen. Nur in Mogadischu ist das System soweit erodiert, dass nicht mehr die mag/diya-Gruppe für Unterstützung sorgt, sondern lediglich die Kernfamilie (EASO 8.2014).
Die Clans sind politische Akteure, die normalerweise über eigenes Territorium verfügen. Traditionelle Verträge (xeer) werden meist zwischen Mag/Diya zahlenden Gruppen abgeschlossen. Allerdings ist das Clansystem - wie erwähnt - keine exakte Wissenschaft, Koalitionen und Abgrenzungen - auch geographische - sind nur schwer zu erfassen oder gar nicht genau definiert (EASO 8.2014).
Das Clansystem ist dynamisch und komplex. Aufgrund des Bürgerkrieges und damit verbundener Wanderbewegungen aber auch aufgrund des Bevölkerungswachstums waren nach 1991 zunehmende Fluktuationen zu verzeichnen. Aufzeichnungen von Genealogien sind umstritten (EASO 8.2014).
* Die Darod unterteilen sich in die großen Gruppen Ogadeni (Äthiopien und Jubba-Regionen), Marehan (Süd-/Zentralsomalia) und Harti. Letztere sind eine Föderation aus Majerteen (Hauptclan in Puntland), Dulbahante und Warsangeli (Regionen Sool und Sanaag).
* Die Hawiye leben vor allem in Süd-/Zentralsomalia, die wichtigsten Subclans sind Abgaal und Habr Gedir.
* Die Dir finden sich im westlichen Somaliland und in einigen Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Ihre Hauptclans sind Issa und Gadabursi (beide Somaliland) und Biyomaal (Südsomalia).
* Die Isaaq sind der Hauptclan Somalilands.
* Die Digil und Mirifle/Rahanweyn leben in den fruchtbaren Tälern von Shabelle und Jubba und im Gebiet zwischen beiden Flüssen (v.a. Bay und Bakool) (EASO 8.2014).
Daneben finden sich in Somalia einige ethnische Minderheiten und ständische Berufskasten, die insgesamt zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung stellen (EASO 8.2014). Minderheitengruppen sind u.a. die Bantu (größte Gruppe), Benadiri, Reer Xamar, Bravanese, Swahili, Tumal, Yibir, Yaxar, Madhiban, Hawrarsame, Muse Dheryo, Faqayaqub und Gabooye (USDOS 13.4.2016). Minderheitenclans oder Berufskasten können mit großen Clans in eine Abhängigkeitsbeziehung (shegaat) treten und werden danach - in externen Belangen - als Teil des großen Clans erachtet. Langfristige Allianzen zwischen kleineren und größeren Clans werden gemäß dem traditionellen Recht (xeer) geschlossen. Beide Konstruktionen beinhalten auch den Schutz des kleineren Partners durch den größeren (EASO 8.2014).
Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014).
Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).
Clanschutz bedeutet die Androhung von Gewalt im Falle einer Aggression gegen ein Mitglied durch einen Außenstehenden. Die Möglichkeit, diese Drohung aufrecht zu erhalten ist genauso essentiell wie die Möglichkeit, einem Racheakt durch gemeinschaftliche Zahlung von Kompensation (mag/diya) zu entgehen. Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Dementsprechend wenden sich viele Menschen bei Gewaltverbrechen eher an den Clan als an die Polizei. Der Clanschutz kommt aber auf einer sehr niedrigen Ebene der Clan-Hierarchie zur Anwendung. Es reicht also z.B. in Mogadischu nicht, den Hawiye anzugehören, um Clanschutz zu erhalten. Die Zugehörigkeit zu einem dominanten Sub(sub)clan der Hawiye in Mogadischu ist relevanter (EASO 8.2014).
Inwiefern Clanschutz heute noch funktioniert ist umstritten. Faktoren wie AMISOM, die Restauration staatlicher Sicherheitsbehörden oder al Shabaab haben den Schutz erodiert. Andererseits hat der Rückzug von al Shabaab sowie der Mangel an staatlicher Verwaltung in den ländlichen Gebieten den Clanschutz verstärkt. Das Ausmaß an Clanschutz variiert also regional und ist im Laufe der Zeit Änderungen unterworfen. In Somaliland und Puntland, wo relative Stabilität herrscht, ist der Clanschutz weniger relevant als in Süd-/Zentralsomalia. In Mogadischu hingegen sind Älteste zwar noch bei der Konfliktvermittlung involviert, jedoch gibt es kein Risiko mehr, aufgrund der Clanzugehörigkeit einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Nicht mehr die Clans, sondern AMISOM, Armee und Polizei sind für die Sicherheit verantwortlich. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Teile von Armee und Polizei nach wie vor großen Bezug zu ihren Herkunftsclans haben (EASO 8.2014).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf , Zugriff 14.4.2016
- ÖIF - Österreichischer Integrationsfonds/BAA Staatendokumentation/Andreas Tiwald (12.2010): Die Parias Somalias:
Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung, http://www.integrationsfonds.at/fileadmin/content/AT/Downloads/Publikationen/n8_Laenderinfo_Somalia.pdf , Zugriff 21.4.2016
- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015dlid=252727 , Zugriff 14.4.2016
2.2. Aktuelle Situation
Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.12.2015). Grundsätzlich wurde bei der Bildung der föderalen Regierung Ende 2012 sowie beim letzten umfassenden Regierungsumbau auf eine möglichst breite Zusammensetzung aller Clans und Sub-Clans geachtet. Sowohl Regierung als auch Parlament sind entlang der sogenannten "4.5 Lösung" organisiert, das bedeutet, dass für jeden Sitz, den ein Vertreter der großen Clans in Regierung bzw. Parlament innehat, ein halber Sitz einem Vertreter der kleineren Clans (ÖB 10.2015) bzw. Minderheitenclans zufällt (USDOS 13.4.2016). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) dominieren Verwaltung, Politik, und Gesellschaft mit jeweils 61 Sitzen im Parlament. Dementsprechend sind die lokalen Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert (ÖB 10.2015). Die 4.5-Formel wurde aber auch schon zugunsten der Minderheiten gebrochen (USDOS 13.4.2016).
In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 13.4.2016). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung im Lichte der jeweiligen Clan- bzw. Sub-Clan-Zugehörigkeit auszugehen (AA 1.12.2015).
Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung beispielsweise im Rahmen staatlicher Vergabeverfahren, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 1.12.2015) oder um Gerichtsverfahren handeln (USDOS 13.4.2016). Angehörige eines (Sub‑)Clans können in Gebieten, die von einem anderen (Sub‑)Clan dominiert werden, aber auch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 1.12.2015). Es kann davon ausgegangen werden, dass der staatliche Schutz im Falle von Clan-Konflikten nicht zur Anwendung kommt, sondern die "Regelung" dieser Konflikte grundsätzlich den Clans selbst überlassen wird. Die staatlichen Sicherheitskräfte sind in der Regel zu schwach, um in Clankonflikte effektiv eingreifen zu können; zudem ist die föderale Regierung wohl auch nicht willens, sich in Konflikte dieser Art einzumischen und so den Unwillen einzelner Clans auf sich zu ziehen (ÖB 10.2015).
Viele Minderheitengemeinden leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 13.4.2016). Bantu werden aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert (UNHRC 28.10.2015). Auch einzelne andere Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Midgan, Gabooye), leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich, da sie nicht in die Clan-Strukturen eingebunden sind, in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut. Sie sind auch überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 13.4.2016). Allerdings datieren die letzten - unbestätigten - Berichte von Repressionen im engeren Sinn mit November 2013, als staatliche Sicherheitskräfte des Hawiye-Clans angeblich sesshafte Bantu-Landwirte von ihren Grundstücken vertrieben haben sollen (AA 1.12.2015). In den hier verwendeten Berichten werden keine aktuellen Beispiele gewaltsamer Repression oder der Verfolgung von Minderheiten genannt.
Das Ausmaß an Diskriminierung hängt von der Minderheit ab:
Berufskasten sind generell stärkerer Diskriminierung ausgesetzt als ethnische Minderheiten. Sie leben meist in Ghetto-ähnlichen Vierteln oder Stadtteilen (EASO 8.2014; vgl. ÖIF 12.2010). Mischehen - vor allem zwischen Berufskasten und den Hauptclans - sind traditionell beschränkt (USDOS 13.4.2016; vgl. EASO 8.2014, ÖB 10.2015). Dieses Tabu scheint aber in den vergangenen Jahren etwas aufgeweicht worden zu sein (EASO 8.2014). So kommen Beziehungen, die nicht den klassischen Strukturen entsprechen, häufiger vor. Ehen, in welchen die Frau einem Hauptclan angehört und der Ehemann einer Minderheit, sind aber sehr selten (C 18.6.2014).
Auch in anderen Bereichen gibt es regionale Unterschiede: Während etwa Mogadischu durch seine Durchmischung eher tolerant ist, gibt es in Puntland eine klare Trennung und in einigen Gebieten dürfen Angehörige von Minderheiten nicht in den Städten wohnen (B 14.10.2014).
Manche Minderheiten haben von al Shabaab profitiert und die Gruppe unterstützt. Mit dem Machtverlust für al Shabaab kommt es auch zu Fällen, wo diese vorherige Unterstützung nun negative Auswirkungen hat (EASO 8.2014). So waren bzw. sind überproportional viele Angehörige von Minderheiten bei der Ausführung von Körperstrafen und Exekutionen sowie bei der Verübung gezielter Attentate beteiligt. Das Risiko von Racheaktionen besteht (B 10.2014). Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- B - Experte B (10.2014): Dieser Experte ist in Mogadischu tätig.
- C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.
- LI - Landinfo (4.4.2016): Somalia: Praktiske forhold og sikkerhetsutfordringer knyttet til reisevirksomhet i Sør-Somalia, http://www.landinfo.no/asset/3331/1/3331_1.pdf , Zugriff 4.4.2016
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):
Asylländerbericht Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf , Zugriff 25.2.2016
- UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (5.11.2015): AAW (expert evidence - weight) Somalia v. Secretary of State for the Home Department, [2015] UKUT 00673 (IAC), http://www.refworld.org/docid/5669ccf64.html , Zugriff 7.4.2016
- UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC), http://www.bailii.org/uk/cases/UKUT/IAC/2014/ [2014]_UKUT_442_iac.html, Zugriff 7.4.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
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- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015dlid=252727 , Zugriff 14.4.2016
3. Frauen
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).
Die somalische Regierung hat mit Unterstützung der EU-Delegation für Somalia einen Aktionsplan zur Bekämpfung der sexuellen Übergriffe verabschiedet, die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 10.2015).
Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 13.4.2016), bleibt häusliche Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (USDOS 13.4.2016; vgl. AA 1.12.2015).
Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten, Milizionäre (HRW 27.1.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016), Polizisten und Mitglieder der al Shabaab (UNHRC 28.10.2015).
Es gibt Berichte, die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.12.2015).
Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.4.2016). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt herrscht aber weitgehend Straflosigkeit. Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia rar (UKHO 3.2.2015; vgl. AA 1.12.2015; ÖB 10.2015; USDOS 13.4.2016). Bei der Strafjustiz herrscht Unfähigkeit (UNHRC 28.10.2015). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen selbst zu tätigen (Suche nach Zeugen, Lokalisierung von Schuldigen) (USDOS 13.4.2016; vgl. UKHO 3.2.2015).
Andererseits hat die Militärjustiz bereits einige Soldaten der Armee wegen Vergewaltigungen zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt (UNHRC 28.10.2015). Meist werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe aber vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (UNHRC 28.10.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Von staatlichem Schutz kann nicht ausgegangen werden (ÖB 10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015), für die am meisten vulnerablen Fälle ist er nicht existent (HRW 27.1.2016).
In Puntland wird an einem Gesetz über sexuelle Vergehen gearbeitet. Das Frauenministerium unterstützt Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt - auch durch das Vorantreiben einer Strafverfolgung der Täter (UNHRC 28.10.2015). In Puntland gehen die Behörden gegen der Vergewaltigung Beschuldigte vor (UKHO 3.2.2015).
Grundlage für eine Eheschließung ist die Scharia, Polygamie und Ehescheidung sind somit erlaubt (ÖB 10.2015). Die Übergangsverfassung legt kein Mindestalter für eine Eheschließung fest. Die Kinderehe ist verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45 Prozent der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8 Prozent bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet. In ländlichen Gebieten werden auch 12jährige Mädchen verheiratet (USDOS 13.4.2016).
Zwangsehen sind weit verbreitet (ÖB 10.2015). Zwangsehen durch al Shabaab kommen in der Regel nur dort vor, wo die Gruppe die Kontrolle hat (C 18.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016; UKHO 3.2.2015; DIS 9.2015). Dort sind Frauen und Mädchen einem ernsten Risiko ausgesetzt, von al Shabaab entführt, vergewaltigt und zu einer Ehe gezwungen zu werden (UKHO 3.2.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Eine Verweigerung kann für das Mädchen oder ihre Familie den Tod bedeuten (DIS 9.2015; vgl. NOAS 4.2014). Aus Städten unter Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee gibt es keine Berichte hinsichtlich Zwangsehen mit Kämpfern der al Shabaab; wohl aber gibt es Berichte über diesbezügliche Drohungen via SMS (DIS 9.2015). Hingegen zwingen auch Angehörige bewaffneter Milizen und Clanmilizen Mädchen zur Eheschließung (UNHRC 28.10.2015).
Manchmal müssen entführte Frauen und Mädchen für al Shabaab auch als Putzkräfte, Köchinnen oder Trägerinnen arbeiten. In einigen Fällen wurden Mädchen als Selbstmordattentäterinnen verwendet (UKHO 3.2.2015).
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden (USDOS 13.4.2016). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.12.2015). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.12.2015).
In den kleiner werdenden Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, herrscht eine strenge und harte Interpretation der Scharia. Viele Regeln betreffen Frauen: Vollverschleierung; Arbeitsverbot; Verbot der Reise mit nicht-verwandten Männern etc. Bei Nicht-Einhaltung der Regeln drohen schwere Bestrafungen (UKHO 3.2.2015).
In politische Entscheidungsprozesse sind Frauen nicht adäquat eingebunden (UNHRC 28.10.2015). Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Diese stellen aber nur 14 von 275 Abgeordneten. In der 26köpfigen Regierung finden sich drei Frauen (USDOS 13.4.2016). In der Regionalversammlung der Galmudug Interim Administration (GIA) sind 8 von 64 Abgeordneten Frauen (UNSC 11.9.2015). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 13.4.2016).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch nachrangig behandelt (USDOS 13.4.2016). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in vielen Bereichen, vor allem; Gesundheit, Beschäftigung und Arbeitsmarktbeteiligung (ÖB 10.2015), Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung (USDOS 13.4.2016). Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.
- DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf , Zugriff 4.4.2016
- EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (10.9.2015):
R.H. v. Sweden, Application no. 4601/14, Council of Europe: European Court of Human Rights, http://www.refworld.org/docid/55f66ef04.html , Zugriff 7.4.2015
- HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html , Zugriff 22.3.2016
- NOAS - Norwegian (4.2014): Persecution and protection in Somalia,
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- Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html , Zugriff 14.4.2016
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3.1. Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (USDOS 25.6.2015), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (USDOS 13.4.2016; vgl. LI 11.6.2015; AA 1.12.2015). Betroffen sind mehr als 90% aller Mädchen (LI 11.6.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). In der Regel erleiden FGM dabei Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren (AA 1.12.2015); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wurde die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 13.4.2016). Quellen im jüngsten Bericht des Danish Immigration Service (DIS) erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle des DIS gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).
63% der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation/WHO Typ III) (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.12.2015).
Bei den Bendiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).
Landesweit bemühen sich die Regierungen, diese Praxis einzuschränken (AA 1.12.2015). UNICEF arbeitet mit der somalischen Regierung, mit Puntland und anderen Akteuren zusammen, um die Menschen gegen FGM zu mobilisieren und die Praktik auszurotten (UNHRC 28.10.2015). In Puntland ist FGM verboten und es gibt Zeichen einer Reduzierung. Laut einer Untersuchung von UNICEF in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Somaliland und Puntland sind in Nordsomalia 25% der Mädchen zwischen 1-14 Jahren von FGM betroffen. Im Gegensatz dazu sind es bei den über 15jährigen 99% (UKHO 3.2.2015).
In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014). Auch die Gruppe al Islah und andere Islamisten setzen sich gegen FGM ein (C 18.6.2014). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).
Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist es aber in den Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).
Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen (LIFOS 24.1.2014) und psychischem Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird. Der psychische Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).
Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert (EASO 8.2014). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.
- DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf , Zugriff 4.4.2016
- EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf , Zugriff 14.4.2016
- LI - Landinfo (11.6.2015): Barn og unge , http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1436864948_3151-1.pdf , Zugriff 4.4.2016
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539 , Zugriff 4.4.2016
- UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance
- Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html , Zugriff 14.4.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
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- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015dlid=252727 , Zugriff 14.4.2016
4. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Es mangelt den IDPs an Schutz (UNHRC 28.10.2015). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Dies ist vor allem auf die beschränkten Ressourcen und Kapazitäten sowie auf eine schlechte Koordination zurückzuführen (USDOS 13.4.2016). So sehen sich IDPs der Diskriminierung sowie sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (UNHRC 28.10.2015). In Mogadischu sind dafür Regierungs- und alliierte Kräfte sowie Zivilisten verantwortlich (HRW 27.1.2016). Viele der Opfer von Vergewaltigungen waren Frauen und Kinder in und um Mogadischu, im Afgooye-Korridor, in Bossaso, Galkacyo und Hargeysa (USDOS 13.4.2016).
IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.1.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015).
Quellen:
- HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html , Zugriff 22.3.2016
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (29.2.2016): Somalia Task Force on Yemen Situation; Weekly Inter-Agency Update #4; 16 - 29 February 2016,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1457428154_4somaliainter-agencyupdate16-29february2016.pdf , Zugriff 30.3.2016
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (3.2.2016): Somalia; Total Internally Displaced Persons, http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1455102722_jan-2016-total-idps-by-region-v2-1.pdf , Zugriff 30.3.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
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- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015dlid=252727 , Zugriff 14.4.2016
4.1. Rückkehrspezifische Grundversorgung
Als allgemeine Regel gilt, dass Somali auch sehr entfernt Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen, unterstützen werden, da eine Clan-Verbindung besteht. Voraussetzung dafür ist, dass die Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Allerdings wurde das Konzept der Clan-Solidarität in Süd-/Zentralsomalia überdehnt. Viele Familien und Clan-Netzwerke sehen sich nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse vertriebener Verwandter zu erfüllen (DIS 9.2015).
Beide - Familie (auch die erweiterten und entfernt verwandten Teile) und Clan - bleiben einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um Akzeptanz, Sicherheit und Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) geht. Eine Person, die an einen neuen Wohnort zieht, erwartet sich die Akzeptanz des Clans in der lokalen Gemeinschaft. Diese Akzeptanz bedeutet, dass die Menschen über den Neuankömmling und seine Verbindungen Bescheid wissen; damit steht auch der Schutz in Verbindung, den diese Person vom Clan erlangen kann. Dies gilt auch für Rückkehrer, doch können diese ja nach Fähigkeiten und Kapazitäten auch autark leben, ohne einer Clan-Belästigung ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite ist eine schwache Person mit wenigen Ressourcen auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen. Grundsätzlich wird dabei nicht zuerst der Clan um Unterstützung angefragt (DIS 9.2015). Hier wendet man sich zuerst an die Familienebene. Wenn aber eine Person in einem Gebiet weder über Kernfamilie noch über Verwandte verfügt, dann kann der Clan Ressourcen zur Verfügung stellen (DIS 9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014), wobei dies im Falle von Mogadischu eher bei großen Clans Erfolg haben wird (UKUT 3.10.2014). Eine übersiedelnde Person, wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 9.2015; vgl. UKUT 5.11.2015) noch auf Rimessen zurückgreifen kann. Diese Person ist auf humanitären Schutz angewiesen (UKUT 5.11.2015). Auch für alleinstehende Frauen oder Alleinerzieherinnen hängt der zu erwartende Lebensunterhalt vom Status und von den Ressourcen der Familienangehörigen im Aufnahmegebiet ab (DIS 9.2015).
Quellen:
- DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf , Zugriff 4.4.2016
- UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (5.11.2015): AAW (expert evidence - weight) Somalia v. Secretary of State for the Home Department, [2015] UKUT 00673 (IAC), http://www.refworld.org/docid/5669ccf64.html , Zugriff 7.4.2016
- UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC), http://www.bailii.org/uk/cases/UKUT/IAC/2014/ [2014]_UKUT_442_iac.html, Zugriff 7.4.2016
3. Beweiswürdigung:
3.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt wird, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der beschwerdeführenden Partei als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.
Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
3.2. Die (ursprüngliche) Herkunft der beschwerdeführenden Partei aus Kismayo und ihre Clanzugehörigkeit sollen der beschwerdeführenden Partei geglaubt werden, insbesondere auch deshalb, weil sich daran keine hier wesentlichen Rechtsfolgen knüpfen können. In Hinblick darauf, dass sie wiederholt und hier auch glaubhaft angegeben hat, entweder 2004 oder 2009 mit ihrer Familie nach Äthiopien gezogen zu sein, können auch eventuelle fehlerhaften und mangelhaften Kenntnisse zu Kismayo mit ihrer langen Abwesenheit von dort erklärt werden.
In Hinblick auf den Aufenthalt in Äthiopien ist es weiter plausibel, dass sich Familienmitglieder der beschwerdeführenden Partei zuletzt auch dort aufgehalten haben. Im Lichte der gleich erklärten weiteren mangelnden Glaubwürdigkeit des sonstigen Vorbringens kann aber nicht festgestellt werden, ob es noch Familienangehörige der beschwerdeführenden Partei in Kismayo gibt.
Die Feststellung zu einer in Österreich nicht bestehenden Lebensgemeinschaft basiert auf den Angaben der beschwerdeführenden Partei.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zu den aktuellen Behandlungen fußen auf den vorgelegten Unterlagen und den Angaben der beschwerdeführenden Partei in der Verhandlung.
3.3. Die beschwerdeführende Partei muss sich vorhalten lassen, dass ihr asylrelevant angelegtes Vorbringen betreffend eine angebliche drohende Zwangsverheiratung, die Ermordung ihrer Brüder und ihre eigene Mitnahme nicht glaubhaft ist.
Bemerkenswert dazu ist, dass die beschwerdeführende Partei selbst ihr Vorbringen, ohne Aufforderung, bereits in ihren eigenen Erzählungen abändert, sodass ihre Vorbringen auch innerhalb nur einer Einvernahme nicht stringent sind. So gibt sie selbst bei der Einvernahme am 28.11.2014 an, zuerst 2004 mit ihrer Familie nach Äthiopien gegangen zu sein, um gleich darauf zu sagen, dass es anders gewesen sei, sie habe bis zu ihrem 11. Lebensjahr in Kismayo gelebt und die Familie sei 2009 nach Äthiopien geflüchtet (AS 49). Die Familie habe sich also dreieinhalb Jahre im Lager in Äthiopien aufgehalten (AS 51). In der mündlichen Verhandlung meinte sie, sicher 2004 nach Äthiopien gegangen zu sein.
Darüber hinaus ist die beschwerdeführende Partei inkonsistent bei den Abläufen ihrer Geschichte, wenn es um ihre Mitnahme und die Verarztung ihrer Verletzung geht: in der Einvernahme am 28.11.2014 meinte sie, dass eine Frau ihr dann Wasser und Essen gebracht hätte und ihr gesagt habe, sie wisse, dass der Mann böse sei und sie würde ihr helfen zu flüchten. Sie habe ihr dann zur Flucht verholfen, sie zum Haus ihrer Tante gebracht, die sie ins Krankenhaus nach Mogadischu gebracht habe. Nein, es sei so gewesen, dass diese Frau ihr zur Flucht verholfen habe, sie zum Haus der Tante gebracht habe; daneben habe es eine Apotheke gegeben, und der Apotheker habe die Wunde genäht. Am nächsten Tag seien sie nach Mogadischu geflüchtet (AS 53). In der mündlichen Verhandlung wurde diese Sequenz des Vorbringens anders geschildert: "Sie haben mich mitgenommen. Der Mann hat mich in ein Haus gebracht. Ich war verletzt. Eine Freundin meiner Mutter hat mich nach Mogadischu gebracht, wo meine Wunde behandelt wurde." Später: "In Mogadischu wurde meine Wunde genäht".
Dann: "Ich habe geweint und geschrien. Dann ist die Frau zu mir gekommen. Ich habe geblutet. Die Frau ist die Freundin meiner Mutter, die Tante." Die Frage, ob die Frau, die die beschwerdeführende Partei aus dem Haus geholt habe, die gleiche gewesen sei, die sie auch nach Mogadischu gebracht habe, bejahte die beschwerdeführende Partei. Die gleiche Frau habe ihr geholfen aus dem Haus zu kommen und dann habe sie sie nach Mogadischu gebracht.
Damit widerspricht sich die beschwerdeführende Partei jedoch nicht nur betreffend Jahreszahlen oder Daten (so hinsichtlich ihres Umzugs nach Äthiopien), sondern auch hinsichtlich der handelnden Personen in ihrer Erzählung (Tante/Freundin der Mutter) und der Sequenz ihrer Reise nach Mogadischu.
Dazu wird insbesondere angemerkt, dass die beschwerdeführende Partei Teile dieser Widersprüche im Rahmen ihres eigenen Vorbringens erstattete, ohne dazu durch Fragen oder besondere Hinweise hingeführt worden zu sein. Der erkennenden Richterin fällt dabei insbesondere auf, dass sie einmal erzählte, von einer Frau zur Tante/Freundin der Mutter gebracht worden zu sein, während sie in der mündlichen Verhandlung angab, von jener Freundin der Mutter/Tante selbst abgeholt worden zu sein. Auch die Frage, wann sie nun nach Mogadischu gefahren sein wollen, bleibt im Endeffekt ungeklärt. Diese Widersprüche betreffen schließlich Details des Vorbringens, die sich nur schlecht durch Vergessen erklären lassen.
Das Bundesverwaltungsgericht ist also vom asylbezogen angelegten Vorbringen nicht überzeugt. Unter dieser Einschätzung leidet aber auch eine allfällige Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 2013 überhaupt nach Kismayo zurückkehrte.
Diese Einschätzung kann auch durch die aus dem Jahr 2014 stammenden Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer eventuellen dissoziativen Störung nicht wirklich erschüttert werden:
die beschwerdeführende Partei befindet sich in keiner psychologischen oder psychiatrischen Betreuung und scheint auch früher keine aufgesucht zu haben. Eine Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens oder eine allfällige fehlende Einvernahmefähigkeit kann auf Basis der vorgelegten Unterlagen nicht belegt werden.
Schließlich muss noch gesagt werden, dass auch eine mögliche Verletzung am Oberarm keinen Hinweis auf den Kontext der Verletzung geben kann.
3.4. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die in Auszügen unter Punkt 2. in diesem Erkenntnis wiedergegeben sind. Die schriftliche Stellungnahme der Vertretung der beschwerdeführenden Partei zu diesen Länderberichten bezieht das Bundesverwaltungsgericht in seine Überlegungen mit ein.
4. Rechtliche Beurteilung:
A) Spruchpunkt I.:
4.1. Rechtsgrundlagen
4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
4.1.2. Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation der Asylwerberin und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2003, Zl. 2001/20/0011). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich die Asylwerberin außerhalb ihres Heimatlandes befindet. Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH vom 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).
4.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.
4.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
4.2.1. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt geht das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass die beschwerdeführende Partei überhaupt im Jahr 2013 nach Kismayo zurückkehrte, noch, dass sie dort von einer Zwangsverheiratung bedroht gewesen ist. Weiter wird nicht davon ausgegangen, dass die beschwerdeführende Partei mitgenommen, befreit und von einer Tante bzw. Freundin der Mutter nach Mogadischu gebracht wurde.
Eine allfällige Verfolgungsgefahr aus Gründen der drohenden Zwangsverheiratung lässt sich daher nicht erkennen.
4.2.2. Eine mögliche Verfolgungsgefahr aufgrund der Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei zur den Sheikhal XXXX geht weder aus ihrem eigenen Vorbringen noch aus den allgemeinen Länderberichten derart hervor, dass auf Basis des Vorgebrachten mit der nötigen Wahrscheinlichkeit von einer solchen ausgegangen werden könnte. Die schriftliche Stellungnahme vom 24.08.2016 gibt dazu auch keine weiteren Hinweise. Wenn dort von einer Minderheitenzugehörigkeit gesprochen wird, muss erwähnt werden, dass die beschwerdeführende Partei selbst meinte, dass die Sheikhal XXXX zu den Hawiye zählen würden. Eine echte Minderheiteneigenschaft, wie sie zB betreffend die Reer Hamar, Tumal oder die Madhibaan unbestritten ist, kann bei den Sheikhal XXXX sicher nicht in dieser Art angenommen werden.
4.2.3. In Hinblick auf die allgemeine mangelnde Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Partei betreffend ihr asylrelevant angelegtes Vorbringen, kann das Bundesverwaltungsgericht auch keine Hinweise darauf erkennen, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr mit der nötigen Wahrscheinlichkeit als alleinstehende Minderheitenangehörige angesehen werden müsste, die als IDP in den entsprechenden Lagern einer bereits als asylrelevant anzusehenden geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt wäre. Diesbezüglich kann nicht mit der nötigen Sicherheit angenommen werden, dass die beschwerdeführende Partei in Kismayo nicht über familiäre und clanbezogene Unterstützung verfügen könnte.
4.2.4. Die beschwerdeführende Partei gibt selbst darüber hinaus an, sich mittlerweile einen Kinderwunsch erfüllen zu können, was ihre Sorge der sozialen Akzeptanz zu lindern vermag.
In Hinblick auf die in Österreich vorgenommene Defibulation erlaubt es die mangelnde allgemeine Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Partei leider auch nicht, die entsprechenden Parameter, wie das soziale und familiäre Umfeld im Falle einer - sowieso theoretischen - Rückkehr, festzustellen und anhand derer zu prüfen, ob die beschwerdeführende Partei tatsächlich einem entsprechend hohen sozialen und familiären Druck ausgesetzt wäre, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Gegenständlich lässt sich eine solche mögliche Verfolgungsgefahr in Bezug auf die konkrete Situation der beschwerdeführenden Partei in Somalia nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit feststellen. In diesem Sinne lässt sich auch die Begründung des in der Stellungnahme vom 09.06.2016 zitierten Erkenntnisses des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2014 zur Zl. E-1425/2014 nicht auf den gegenständlichen Sachverhalt anwenden. Die dort festgestellte Situation stellte sich gravierend anders da, als die feststellbare Situation der ersten beschwerdeführenden Partei und ist die dortige Begründung betreffend eine drohende Reinfibulation tatsächlich einer von mehreren Faktoren, die für die Asylzuerkennung wesentlich waren, und nach Verständnis der erkennenden Richterin auch nicht der wichtigste. Abschließend ist anzumerken, dass die Gefahr einer drohenden Reinfibulation in Somalia im Lichte der Rechtsprechung unter bestimmten Umständen, wie im Rahmen eines entsprechenden familiären und sozialen Umfeld, das Maß einer ausreichend wahrscheinlichen und intensiven Verfolgungsgefahr erreichen kann. Gegenständlich ermöglichte jedoch die fehlende Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Partei nicht, diese Umstände in Erwägung zu ziehen.
4.2.5. Schließlich wurde auf die allgemeinen Sicherheitsbedenken der beschwerdeführenden Partei bereits mit der Zuerkennung von subsidiärem Schutz eingegangen.
Auch hinsichtlich ihrer möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und auch ihres in der Verhandlung thematisierten möglichen zukünftigen Familienlebens mit einem in München wohnhaften Mann wird die beschwerdeführende Partei auf ihren bereits bestehenden Aufenthaltstitel verwiesen.
4.2.6. Sonstige asylrelevante Gründe für eine mögliche Verfolgung wurden nicht vorgebracht und ergeben sich auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht aus der Akten- und Berichtslage. Mangels Bestehen einer aktuellen maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, kann daher der Beschwerde zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nicht stattgegeben werden.
Zu B) Antrag auf Beigabe eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers:
Der gegenständliche Antrag auf Beigabe eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers ist im Lichte der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs abzuweisen:
Der VwGH führte in seiner Entscheidung vom 26.04.2016, Zl Ra 2016/20/0043, aus: "Hat eine Partei in einem Verfahren vor dem VwG einen Rechtsanspruch auf Vertretung durch einen Rechtsberater (§ 52 Abs. 1 BFA-VG), dann besteht kein Anspruch auf einen Verfahrenshilfeverteidiger."
Die beschwerdeführende Partei hatte gegenständlich Anspruch auf einen Rechtsberater und bekam auch einen mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG zur Seite gestellt. In der mündlichen Verhandlung war sie außerdem durch eine Rechtsberaterin vertreten, die auch eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderberichten nachreichte.
Zu C) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
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