BVwG W196 2110318-1

BVwGW196 2110318-19.5.2016

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W196.2110318.1.00

 

Spruch:

W196 2110318-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über den Antrag auf internationalen Schutz der XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, nach Beschwerde über die Verletzung der Entscheidungspflicht und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 16.08.2012 wird bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 16.08.2012 wird bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird der Antragstellerin gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen die Antragstellerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Antragstellerin stellte am 02.09.2011 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesasylamt.

Im Rahmen der Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Ferlach am 02.09.2011 brachte die Antragstellerin vor, aufgrund der Verfolgung, der sie ausgesetzt gewesen sei, gezwungen gewesen zu sein, das Land zu verlassen. Verantwortlich dafür sei ihr Schwager, der Mann ihrer Schwester, der 2002 abgeholt worden sei. Die Antragstellerin sei auch zusammengeschlagen worden. Darüber hinaus habe sie keinerlei Chance gehabt, eine Arbeit zu finden und hätten ihre Kinder nicht normal in die Schule gehen können. Die Antragstellerin habe immer Angst um sie.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2011 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 02.09.2011 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16 Abs 1 lit c der Verordnung EG Nr 343/2003 des Rates für zuständig erklärt (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde die Antragstellerin gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 10 ABs 4 AsylG nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.11.2011 wurde die Beschwerde gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Die Antragstellerin und ihr Sohn kamen der behördlich im Rahmen des Gelinderen Mittels auferlegten Meldepflicht bei der Polizeiinspektion Vöcklabruck zum letzten Mal am 15.11.2011 nach. Die geplante Abschiebung der Antragstellerin und ihres Sohnes auf dem Luftweg nach Polen konnte nicht effektuiert werden, da sich die Antragstellerin und ihr Sohn bei der Festnahme am 23.11.2011 nicht mehr in ihrer Unterkunft aufhielten, sondern untertauchten.

Im November 2011 kehrte die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Sohn in das Heimatland zurück.

Am 16.08.2012 stellte die Antragstellerin den dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung brachte die Antragstellerin nach den Gründen für die neuerliche Asylantragstellung befragt vor, dass die Lage zu Hause noch schlimmer geworden sei. Ihr Ehemann schlage sie und ihren Sohn mehr als zuvor. Weil ihr Sohn bereits älter geworden sei, wehre er sich gegen die Angriffe ihres Ehemannes. Weiters führte die Antragstellerin aus, erfahren zu haben, dass die medizinische Versorgung in Österreich sehr gut sei. Da sie einige Gehirnerschütterungen und auch sonst noch gesundheitliche Probleme gehabt habe, sei sie wieder zurückgekehrt.

Am 22.08.2012 fand eine Einvernahme im Asylverfahren statt, im Zuge derer die Antragstellerin zunächst vorbrachte, bislang die Wahrheit gesagt zu haben. Zu ihren verwandtschaftlichen Bezugspunkten befragt, gab sie an, in Bregenz eine Halbschwester mütterlicherseits sowie ihre mitgereiste Schwester, deren Tochter und ihren Sohn zu haben. Derzeit wohne sie gemeinsam mit ihrer Schwester, deren Tochter und ihrem Sohn in der Betreuungsstelle Ost. Damit konfrontiert, dass ihr Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit rechtskräftig zurückgewiesen worden sei und die Zustimmung Polens weiterhin gültig sei, weshalb eine Ausweisung nach Polen beabsichtigt sei, führte die Antragstellerin aus, nicht nach Polen zu wollen, wie dies in der Nähe von Russland sei und es für sie dort gefährlich sei.

Am 16.11.2012 langte ein Schreiben der Antragstellerin ein, wonach die Zuständigkeit Polens gemäß Art 4 Abs 5 letzter Satz der Verordnung als erloschen angesehen werden müsse, zumal die Aufnahmeverpflichtung eines anderen Staates dann erlische, wenn der Asylwerber zwischenzeitlich die Hoheitsgebiete der Mitgliedsstaaten für mindestens drei Monate verlassen habe. Dadurch, dass die Antragstellerin im gegenständlichen Fall das Hoheitsgebiet Österreichs für eine Dauer von insgesamt mehr als drei Monaten verlassen habe, liege keine Aufnahmeverpflichtung Polens mehr vor. Durch die vorgelegten Meldezettel und Ladungen ergebe sich eine Aufenthaltsdauer in Tschetschenien von jedenfalls mehr als drei Monaten. Gleichzeitig legte die Antragstellerin eine Meldebestätigung aus Tschetschenien sowie eine Ladung der Polizei in Grosny vor.

Am 08.01.2013 langten eine Vollmacht der Mag. Marie-Luise Möller sowie ein psychotherapeutischer Kurzbefund der Dr. Friedrun Huemer des Hemayat Verein zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden in Österreich vom 23.11.2012 ein.

Am 18.03.2013 wurde das Verfahren der Antragstellerin zugelassen.

Am 14.05.2013 wurde eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt im Beisein einer Dolmetscherin der russischen Sprache und des Vertreters der Antragstellerin durchgeführt, wobei die Antragstellerin zunächst ausführte, etwas nervös zu sein. Es gehe ihr jedoch gut und sei sie in der Lage, sich zu konzentrieren. Dazu aufgefordert, ihren Familiennamen, ihren Vornamen sowie ihr Geburtsdatum zu nennen, gab sie an, den Namen XXXX zu tragen, am XXXX in Tschetschenien geboren zu sein und nach muslemischen Ritus geschieden zu sein. Ihren Ex-Ehemann habe sie im Jahr 2011 das erste Mal verlassen, sei dann jedoch zu ihm zurückgekehrt. Ungefähr im Oktober 2012 und im August 2012 sei sie wieder von ihm weggegangen. Sie sei weder standesamtlich verheiratet noch geschieden. Dazu aufgefordert, konkrete Angaben zu ihrem Familienstand zu machen, habe sie doch zuvor behauptet, geschieden zu sein, führte die Antragstellerin aus, dass man gewisse Aussagen tätigen müsse, um nach muslemischen Ritus geschieden zu sein. Weil sie dies noch nicht gemacht habe, sei sie also nach wie vor nach muslemischem Ritus verheiratet. Ihr Gatte halte sich derzeit in Grosny in seiner Eigentumswohnung auf. Dazu aufgefordert, anzugeben, wo sie sich nach dem negativen Ausgang ihres Asylverfahrens überall aufgehalten habe, führte die Antragstellerin aus, zunächst für eineinhalb Monate mit ihrem Sohn bei einer Bekannten in Grosny gelebt zu haben. Anschließend sei sie wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt und hätten sie in der Wohnung ihres Mannes zu dritt gelebt. Zu den Bekannten könne sie nur noch die Namen der Töchter nennen; den Familiennamen wisse sie nicht, weil es keine Bekannten seien, die ihr nahe stehen würden. Nachgefragt, ob sie somit nicht in der Lage sei, Personendaten zu den Bekannten, welche sie um Hilfe gebeten habe, zu machen, führte sie aus, dass ihr diese erlaubt hätten, in ihrer leerstehenden Wohnung zu leben. Sie wisse nur, dass diese Bekannten mehrere Wohnungen haben würden; früher habe ihre Schwester dort gelebt; diese müsste mehr wissen. Nachgefragt, wen sie konkret um Hilfe gebeten habe, gab die Antragstellerin an, dass sie hingegangen sei und um Hilfe gebeten habe; die Mutter heiße Coca. Die Bekannten würde sie schon lange kennen; ihre Schwester habe dort früher gelebt. Nachgefragt, was sie unter lange verstehe, gab die Antragstellerin an, dass sie sie vor fünf oder sechs Jahren kennengelernt habe. Sie habe sie persönlich nicht gut gekannt; es seien die Nachbarn ihrer Schwester gewesen und hätten sie sich gegrüßt. Dazu aufgefordert, konkret anzugeben, wo und wann sie sich an heimatliche Behörden gewandt habe und weswegen, führte die Antragstellerin aus, dass dies 2002 gewesen sei, als der Mann ihrer Schwester von Militärangehörigen mitgenommen worden sei und habe die Antragstellerin dann mit ihrer Schwester bei der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Leninskij Anzeige erstattet. Ihr Schwager sei Mitte November, entweder am 16. oder 17.11.2002, mitgenommen worden. Neuerlich befragt, gab sie an, dass dies im September 2002 gewesen sei. Ihre Schwester sei aufgrund der Schussverletzung verwundet gewesen und sei daher für einen Monat im Krankenhaus gewesen. Erst danach seien sie zur Staatsanwaltschaft gegangen. Hätte nur die Antragstellerin Anzeige erstattet, wäre diese von den Behörden nicht entgegengenommen worden, weil die Antragstellerin keine nahe Angehörige sei. Daher hätten sie auf die Genesung ihrer Schwester warten müssen. Zu den Verletzungen ihrer Schwester befragt, brachte die Antragstellerin vor, dass diese von Militärangehörigen angeschossen worden sei, als ihr Mann mitgenommen worden sei. Sie sei im sechsten Monat schwanger gewesen und habe noch immer eine Kugel in der Lunge. Nach Beweismitteln gefragt, gab die Antragstellerin an, dass es neben der russischen Meldebestätigung und den Ladungen zur Staatsanwaltschaft auch noch Fotos gebe, die ihr Vertreter habe. Auch habe sie ein russisches Schreiben mit, wonach sie sich im Jahr 2011 vor ihrer ersten Ausreise nach Österreich gemeinsam mit ihrer Schwester an eine Menschenrechtsorganisation gewandt habe. Aus dem Schreiben sei ersichtlich, dass sie sich darüber beklagen würden, dass ihre Rechte verletzt worden seien, zumal man sie mehrmals mit Ladungen aufgefordert habe zu erscheinen und sie auch mehrmals von Militärangehörigen ohne Ladung mitgenommen worden seien. Konkret seien sie zu OMON gebracht worden. Nachdem sie sich an die Organisation gewandt hätten, habe die Menschenrechtsorganisation zugesagt, an ihre Anschrift zu kommen, um ihnen zu helfen und habe ihnen dann das besagte Schreiben übermittelt. Nachgefragt, welche ihrer Rechte verletzt worden seien, führte die Antragstellerin aus, dass immer wenn etwas passiert sei, Leute zu ihnen gekommen seien und sie mitgenommen hätten. Auch ihr Bruder sei mitgenommen und später tot aufgefunden worden. Ihr Vater sei dann einen Monat später gestorben, weil er dies nicht ausgehalten habe. Die Antragstellerin habe auch zehn Jahre nachdem der Mann ihrer Schwester mitgenommen worden sei, nicht in Ruhe leben können. Ihre Schwester habe große Angst gehabt und sei überhaupt selten in ihr Elternhaus gekommen. Dazu aufgefordert, die Personendaten ihres Schwagers bekannt zu geben, führte die Antragstellerin aus, nur das Geburtsjahr 1980 zu kennen; ein konkretes Geburtsdatum wisse sie nicht. Nachgefragt, was ihr Schwager gearbeitet habe, führte die Antragstellerin aus, dass er ein Kämpfer, ein Emir, gewesen sei. Einen normalen Beruf habe er nicht gehabt; er sei sehr jung gewesen als der Krieg begonnen habe; woher das Geld gekommen sei, wisse die Antragstellerin nicht. Sie könne nicht sagen, ob ihr Schwager ehrenamtlich oder entgeltlich Kämpfer gewesen sei, wisse jedoch, dass er bei XXXX gewesen sei, welcher eine lokale Berühmtheit gewesen sei. Zu verwandtschaftlichen Bezugspunkten in der Russischen Föderation befragt, gab die Antragstellerin zu Protokoll, dass ihr Vater ungefähr einen Monat nach dem Tod seines Sohnes ums Leben gekommen sei. Er sei zusammengeschlagen worden und sei danach bettlägerig gewesen. Auch sei er bereits alt gewesen. Ihr Bruder sei im September 2005 getötet worden, nachdem er mitgenommen worden sei. Ihre Schwester sei dann von Militärangehörigen, welche in einem Auto der Marke UAZ gekommen seien, aufgefordert worden, ihn zu identifizieren. Ihr Bruder sei verblutet, nachdem man ihm fast den Kopf abgeschnitten gehabt habe. Die Leiche ihres Bruders sei anschließend nur eine Nacht lang zu Hause geblieben, anschließend sei das Begräbnis gewesen. Die Antragstellerin brachte weiters vor, dass sich ihre Familien niemals an irgendwelchen militärischen Kampfhandlungen beteiligt habe, ihr Bruder selbstständig tätig gewesen sei und die Schwester, nachdem sie geheiratet habe, Waffen zu Hause versteckt gehabt habe. Diese seien dann im Zuge einer Hausdurchsuchung gefunden worden, womit alles begonnen habe. Die Antragstellerin habe selbst davon nichts gewusst, weil ihre Schwester die Waffen im Elternhaus versteckt gehabt habe. Die Hausdurchsuchung habe im September oder Oktober 2002 stattgefunden. Ihre Schwester habe die Waffen im Elternhaus versteckt, weil ihr Mann Kämpfer gewesen sei und sie darum gebeten habe. Weil es in ihrer Familie keine Kämpfer gebe, habe sie gedacht, dass bei ihnen keine Hausdurchsuchung stattfinden werde. Nachgefragt, worum es bei diesen Ladungen, die die Antragstellerin in Vorlage gebracht habe, gegangen sei, brachte sie vor, dass es sich um Ladungen zu Verhören gehandelt habe, nachdem die Waffen gefunden worden seien. Man habe ihnen unter anderem vorgeworfen, dass sie Verbindungen zu den Kämpfern hätten, weil die Waffen bei ihnen gefunden worden seien und habe man deshalb geglaubt, dass sie mit den Kämpfern zusammen seien. Dem Bruder der Antragstellerin habe man vorgeworfen, dass er die Kämpfer finanziell unterstützt habe, obwohl er selbstständig gewesen sei. Ob ihre Schwester aktiv oder passiv an Kampfhandlungen beteiligt gewesen sei, wisse die Antragstellerin nicht; sie wisse nur, dass sie immer verschleiert gegangen sei; sie habe ja getrennt von ihr gewohnt. Auf Vorhalt, dass es absolut nicht nachvollziehbar erscheine, dass die Antragstellerin einerseits behaupte, Probleme wegen ihrer Schwester und deren Mann gehabt zu haben und andererseits nicht in der Lage sei, Auskünfte darüber zu erteilen, führte die Antragstellerin aus, dass ihre Schwester ihrer Familie schon so viele Probleme gebracht habe und sie sie nicht traumatisieren wolle; das sage sie immer wieder. Sie habe mit ihrem Mann getrennt von ihnen gelebt und wisse die Antragstellerin daher nicht, womit sie sich beschäftigt habe. Sie wisse nur, dass sie dann Probleme bekommen hätten. Derzeit halte sich der Gatte der Antragstellerin an der Heimatadresse auf. Er sei nicht der Vater ihres Sohnes, weil dies die zweite Ehe der Antragstellerin sei. Ihr Gatte arbeite für die Kadyrow Leute und gehöre diesen an. Er sei bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung im Jahr 2007 Militärangehöriger gewesen. Die Antragstellerin habe ihn unter anderem deshalb geheiratet, weil sie seine Hilfe gebraucht habe, nachdem sie keine Männer in der Familie gehabt hätten. Sie habe gewollt, dass er ihr und ihrer Schwester helfe. Es habe sie dann aber herausgestellt, dass er schlimmer sei als alle anderen. Die ersten zwei Monate hätten sie normal gelebt; anschließend habe er begonnen, den Sohn der Antragstellerin zu schlagen. Für die Kämpfer bekomme man gutes Geld und auch Autos. Nachgefragt, was sie damit meine, gab die Antragstellerin an, dass viele Kämpfer in die Berge gegangen seien und einige an die Front gewechselt hätten und nun bei Kadyrow seien. Ihr Mann habe gewollt, dass er ihre Schwester frage, wo ihr Mann sei, weil dieser damals als spurlos verschwunden gegolten habe. Sie hätten ihn jedoch nie mehr wieder gesehen. Die Frage, ob sie jemals Probleme mit den heimatlichen Behörden gehabt habe, verneinte die Antragstellerin; sie habe niemals Schwierigkeiten gehabt. Die Antragstellerin habe in ihrem Heimatland nichts gearbeitet. Eigentlich sei sie Friseurin, habe jedoch auch eine höhere Ausbildung. Sie habe die Wirtschaftsfakultät in Grosny besucht und anschließend geheiratet und das Studium abgeschlossen, obwohl ihr Mann ihr dies eigentlich nicht erlaubt habe. Auf die Frage, wann sie zuletzt Kontakt zu ihren Angehörigen in der Russischen Föderation gehabt habe, brachte die Antragstellerin vor, dass dies im Jahr 2011 gewesen sei. Sie habe gehofft, dass sie ihr finanziell helfen würden und ihr Mann sie dann wieder zu sich nehme. Nachgefragt, woher ihr Gatte gewusst habe, dass sie sich wieder in Tschetschenien aufhalte, gab die Antragstellerin an, dass er von ihrer Meldung erfahren habe. Er habe überall nach ihnen gesucht, sie letztendlich gefunden und anschließend ihren Sohn gewaltsam zu sich nach Hause mitgenommen und eingeschlossen. Die Frage, ob gegen die Antragstellerin ein Haftbefehl in der Russischen Föderation vorliege, verneinte die Antragstellerin; sie werde weder von heimatlichen Behörden noch von der Polizei, dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft gesucht. Nachgefragt, ob sie jemals Probleme mit den heimatlichen Behörden gehabt habe, brachte die Antragstellerin vor, beschuldigt worden zu sein, mit den Kämpfern zusammen zu sein. Sie wisse noch, dass sich die Beschuldigung auf den § 222 (ungesetzliches Tragen und Aufbewahren von Waffen) gestützt habe. Welche Waffen konkret im Elternhaus gefunden worden seien, könne die Antragstellerin nicht angeben; man wisse nur, dass Waffen gefunden worden und sie beschuldigt worden seien. Im Falle einer Rückkehr würde die Antragstellerin Angst haben; ihr Sohn sei nur ab und zu in die Schule gegangen. Sie habe Angst um ihr Leben und um jenes ihres Sohnes. Ihr Mann habe ihren Sohn so misshandelt, dass er Narben am Kopf habe. Diese tätlichen Übergriffe ihres Gatten auf ihren Sohn hätten drei Monate nach der Hochzeit begonnen. Auf Vorhalt, dass ihre Angaben nicht plausibel und logisch nachvollziehbar seien, brachte die Antragstellerin vor, dies zu wissen. Sie habe Angst gehabt, dass sie abgeschoben werde und ihr Gatte davon erfahre. Er habe dies aber auch so erfahren. Nun wisse sie, dass dies ein Fehler gewesen sei. Ihr Sohn sei nun größer und versuche, sie zu beschützen. Ihr Mann würde aber auch ihn schlagen. Ihr Mann habe gemeint, dass er sagen werde, dass der Sohn der Antragstellerin ein Kämpfer sei, damit er zumindest für seinen Sohn Geld bekomme. Nachdem ihr Sohn nun bereits Bartwuchs habe, könne er auch als Kämpfer angezeigt werden. Sie wisse, dass dies alles gefährlich sei. Zu ihrem Gesundheitszustand gab die Antragstellerin an, regelmäßig Medikamente einzunehmen und aufgrund ihrer Hepatitis Erkrankung beim Roten Kreuz gewesen zu sein. Dort habe man ihr gesagt, dass ihre Hepatitis Erkrankung nicht mehr vorhanden sei und sie geheilt sei. Die Antragstellerin selbst glaube dies jedoch nicht. Sie gehe einmal pro Monat zum Psychiater. Die Antragstellerin lebe derzeit von Frau Bock. Auf ihre Zukunftspläne angesprochen, brachte die Antragstellerin vor, nur einen Sohn zu haben. Sie wolle, dass er so wie die Leute hier lebe, damit er ein gutes Leben habe. Er interessiere sich sehr für Fußball. Nachgefragt, ob es eine gesetzliche Schulpflicht in Tschetschenien gebe, brachte die die Antragstellerin vor, dies nicht zu wissen, weil es in Tschetschenien anders sei. In Tschetschenien gebe es zwar eine Schulpflicht, jedoch keine Konsequenzen. Die Antragstellerin spreche ein bisschen Deutsch. Nachgefragt, ob sie abgesehen von ihrer Schwester, der Nichte und ihrem Sohn noch weitere Familienangehörige außerhalb des Heimatlandes habe, gab die Antragstellerin an, dass sich in Bregenz ihre ältere Schwester mütterlicherseits, eine Halbschwester von ihr, mit ihrem Mann und ihren Kindern aufgehalten habe. Diese sei vor kurzem nach Russland abgeschoben worden, weil ihr Antrag abgelehnt worden sei. Darüber hinaus habe sie keine Familienangehörigen in Österreich. Nachgefragt, welche Sprachen ihr Sohn spreche, brachte die Antragstellerin vor, dass dieser nur tschetschenisch spreche und einen Deutschkurs besuche. Die Antragstellerin gab über weiteres Befragen an, einen Auslandsreisepass besessen zu haben, der ihr in Polen abgenommen worden sei. Dieser sei im Jahr 2011 beim Passamt im Bezirk Leninskij ausgestellt worden. Nachgefragt, ob sie anlässlich der zweiten Ausreise legal oder illegal ausgereist sei, brachte die Antragstellerin vor, dass dies illegal gewesen sei. Das erste Mal seien sie mit einem Auslandsreisepass über Polen eingereist; beim zweiten Mal hätten sie keine Dokumente mehr gehabt. In ihrem Heimatland werde sie von der Staatsanwaltschaft seit dem Jahr 2002 gesucht. Darüber hinaus würden auch andere Behörden, nämlich OMON und auch die Abteilung im Bezirk XXXX seit dem Jahr 2002 nach ihr suchen; sie hätten damals auch Anzeige erstattet. Zu ihren Lebensverhältnissen in Österreich gab die Antragstellerin an, Kontakt zu anderen Landsleuten und darüber hinaus zu Lehrern ihres Sohnes und anderen Kursteilnehmern zu haben. Dazu aufgefordert, in allen Einzelheiten und somit konkret Auskunft über ihre Fluchtgründe zu erteilen, führte die Antragstellerin aus, das Heimaland verlassen zu haben, weil ihr Leben und jenes ihres Sohnes in Gefahr gewesen seien. Ihr Leben sei so schlimm gewesen, dass sie sich Schnittwunden an den Venen zugefügt habe. Man habe bei den Verhören mit ihr alles Mögliche gemacht. Es habe viele Fluchtgründe gegeben. Die Antragstellerin fürchte sich vor allem um das Leben ihres Sohnes; er sei jetzt schon groß. Sie habe Angst, dass man ihm was anhängen werde und ihn für einen Kämpfer erklären werde. Auf Vorhalt, dass ihr Vorbringen abstrakt gehalten sei, führte die Antragstellerin aus, mitgenommen und verhört worden zu sein. Ihr Mann habe sie und ihren Sohn zusammengeschlagen; man habe sie verhöhnt. Die Antragstellerin habe dies gesundheitlich nicht mehr ausgehalten und habe Angst um ihr Leben und jenes ihres Sohnes. Dazu aufgefordert, in allen Details von den fluchtauslösenden Ereignissen zu erzählen, gab die Antragstellerin an , dass alles 2002 begonnen habe und sie regelmäßig mitgenommen und in die verschiedenen Abteilungen gebracht worden seien; im Bezirk XXXX, in die Abteilung im Bezirk Leninskij und in die Omon-Abteilung. Sie seien jeweils zwei oder drei Tage festgehalten worden. Konkret meine sie damit, sich selbst, ihre Schwester, ihren Bruder und ihren Vater. Man habe aber nicht ihre Mutter und die Kinder mitgenommen. Sie seien jedes Mal befragt worden und hätten gesagt, dass sie nichts von den Waffen gewusst hätten, dass sie nicht mit den Kämpfern arbeiten würden. Diese hätten jedoch gemeint, dass dies nicht glaubhaft sei, zumal ihre Schwester von den Waffen gewusst und diese versteckt habe. Man habe sie regelmäßig mitgenommen und zusammengeschlagen. Die Antragstellerin habe eine Krankenhausbestätigung, wonach sie eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Das habe alles eine Zeit lang gedauert und sei 2005 ihr Bruder getötet worden und ihr Vater verstorben. 2007 sei ihre Mutter an einem Herzinfarkt verstorben. Danach habe sie zu Hause nichts mehr gehalten. Ihre Eltern seien verstorben gewesen und ihr Mann habe die Situation ausgenützt, weil sie ja keine Männer mehr in der Familie gehabt hätten. Abgesehen von den genannten Schwierigkeiten habe sie keine weiteren Probleme in der Russischen Föderation. Weiters gab die Antragstellerin als gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes XXXX an, dass dieser dieselben Fluchtgründe wie sie habe. Ihr Sohn laboriere an keiner lebensgefährlichen oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Er sei gesund und solle eine Ausbildung machen. Abschließend gab die Antragstellerin nach ihrem Gatten befragt an, dass dieser einen Tarnanzug gehabt habe und einfacher Soldat gewesen sei. Er sei nach wie vor Militärangehöriger und versuche einen höheren Dienstgrad zu bekommen. Deshalb habe er auch die Versuche gestartet, durch die Antragstellerin an Informationen zu kommen und seinen Sohn als Kämpfer darzustellen.

Am 25.04.2014 langte ein Schreiben der Antragstellerin ein, wonach sie beabsichtige, in Kürze zu heiraten und zur Vorbereitung der standesamtlichen Eheschließung ihre Geburtsurkunde benötige.

Am 22.10.2014 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegenständliche Säumnisbeschwerde ein.

Am 27.03.2015 wurden von der Antragstellerin eine Stellungnahme erstattet und wurden Beweismittel (Kursbestätigungen Samariterbund, Kursanmeldung Verein Ute Bock, Hochzeitsbestätigung des Islamischen Zentrums Wien sowie Behandlungsbestätigungen) in Vorlage gebracht. In der Stellungnahme wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin angesichts der aktuellen Entwicklung in Tschetschenien jedenfalls einer realen Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung als Angehörige von Widerstandskämpfern wegen unterstellter politischer und / oder religiöser Gesinnung ausgeliefert wäre. Insbesondere vor dem Hintergrund der bereits im Oktober 2013 neu erlassenen Gesetze, wonach Angehörige von Widerstandskämpfern für entstandene Schäden belangt werden müssten, sei das Prinzip der kollektiven Bestrafung mittlerweile offiziell gesetzlich festgelegt worden. Es sei bereits zu Brandanschlägen gekommen; dies im Konsens der russischen Behörden. Auf Basis der rechtlichen Grundlage seit 2013 könnten die russischen Sicherheitsbehörden verstärkter vermeintliche Unterstützer von Widerstandkämpfern verfolgen. Auch seien für den gegenständlichen Fall die jüngsten sicherheitsrelevanten Entwicklungen in Grosny und Tschetschenien insgesamt wesentlich, zumal am 04.12.2015 eine Großoffensive gegen vermeintliche Widerstandskämpfer durch die russischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle von Ramzan Kadyrov gestartet hätte. Zum Beweis werde auf Youtube-Videos verwiesen. Außerdem wurde in der Stellungnahme auf einen Bericht von Radio Free Europe verwiesen, woraus hervorgeht, dass die russische Regierung zusätzlich zu den bereits oben erwähnten strengeren Gesetzen zur strafrechtlichen Verfolgung vermeintlicher Widerstandskämpfer und deren Angehörigen weitere Verschärfungen umsetzen wolle. Anzuführen sei überdies, dass Ramzan Kadyrov zu den geplanten Gesetzesverschärfungen auch das Streichen von Sozialleistungen an Angehörige von Widerstandskämpfern plane. Insgesamt zeige sich eindeutig, dass die Antragstellerin als alleinstehende Frau keinerlei ausreichenden Schutz vor Verfolgung in Tschetschenien oder in der gesamten Russischen Föderation habe. Der Ehemann der Antragstellerin sei in Österreich anerkannter Konventionsflüchtling wegen asylrelevanter Verfolgung in Tschetschenien. Naturgemäß sei dessen Rückkehr auszuschließen.

Mit Schreiben vom 06.07.2015 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegenständliche Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und wies darauf hin, dass eine Erledigung aufgrund organisatorischer Umgliederungen und personeller Engpässe derzeit nicht möglich sei.

Wie sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und aus dem oben dargestellten Verfahrensgang ergibt, stellte die Antragstellerin am 16.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher im März 2013 zugelassen wurde. Bis dato hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entgegen der sechsmonatigen Entscheidungspflicht keine Entscheidung getroffen.

Der Beschwerde der Antragstellerin wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird daher gemäß Artikel 130 Abs 1 Z 3 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, iVm § 8 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, sowie § 73 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF, stattgegeben und geht somit die Zuständigkeit hinsichtlich des Antrags des Antragstellerin auf internationalen Schutz auf das Bundesverwaltungsgericht über.

Dieses hat in der Folge über den Antrag auf internationalen Schutz selbst zu entscheiden.

Am 27.10.2015 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, die im Wesentlichen folgenden Verlauf nahm:

"Sie haben am 02.09.2011 unter der AIS Zahl 11 09.981 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, dieser wurde am 23.10.2011 in 1. Instanz abgewiesen. Eine gegen diese Entscheidung eingebrachte Berufung wurde beim Asylgerichtshof abgelehnt. Ihr Verfahren wurde rechtskräftig negativ entschieden.

RI: Was passierte in der Zeit zwischen dem Ende des 1. Verfahrens und der neuen Asylantragstellung vom 16.08.2012? BF: Ende November 2011 kehrte ich mit meinem Sohn zurück. Ich habe Bekannte (das waren die Nachbarn meiner Schwester) gebeten, dort zu wohnen und ich wohnte dann dort. Dann habe ich mich im Dezember an meiner alten Adresse gemeldet, weil ich irgendwo gemeldet sein musste und so hat mich mein Ex-Mann gefunden.

RI: Warum haben Sie sich nicht an der Adresse der Bekannten gemeldet? BF: Ich durfte einige Zeit dort wohnen, aber ich durfte dort nicht gemeldet sein. Sie haben es nicht erlaubt. So hat mein Ex-Mann mich gefunden. Er ist beim Militär und kann leicht Menschen finden. Er hat uns gegen unseren Willen von der Adresse XXXX mitgenommen und uns an folgender Adresse festgehalten und geschlagen: XXXX (=Ehewohnung). Ein Grund war, dass ich heimlich zum

1. Mal das Land verlassen habe, ohne ihm Bescheid zu sagen. Er war ja ein brutaler Mensch. Er ist ja auch beim Militär. Als mein Sohn dann 17 Jahre alt war, hat er uns vorgeworfen, dass wir uns dem Schwager und damit den Rebellen angeschlossen hätten obgleich wir behauptet hätten, ausgereist zu sein.

RV: Hat er angenommen, sie wäre nicht ausgereist? BF: Ja. Mein Ex-Mann heißt XXXX. Sein Spitzname bei seinen Freunden und beim Militär ist "XXXX". Er hat sowohl mich, als auch meinen Sohn geschlagen. Er hat mich geschlagen 1. Weil er ein brutaler, sadistischer Mensch ist. Als ich mir die Adern aufgeschnitten habe, hat er mich nicht ins Krankenhaus gebracht, obwohl es nur 15m entfernt war. Gründe dafür waren, dass mein Schwager ein Rebellenführer (=Emir) war. Als ich von ihm schwanger war, hat er mich getreten und ich musste operiert werden. Ich habe sogar Narben davon. Da er zu stark geschlagen hat, bekam ich innere Blutungen und das Kind musste operativ entfernt werden und die Eileiter sind zerschnitten. Dadurch kann ich kein weiteres Kind mehr bekommen. Als seine Freunde bei uns waren, habe ich mitbekommen, was sie anderen Menschen (Häftlingen) antun. Das sind die Menschen mit Rufnamen XXXX, das sind seine Kollegen, die den anderen Menschen was antun. In der Zeit, die ich mit ihm verbracht habe, war ich seine Dienerin und immer wurde ich missbraucht. Alles was passierte, passierte gegen meinen Willen.

RI: Wieso nimmt man sich so einen Mann? Wie kommt das? BF: Wenn ihr wüsstet, was für ein guter Mensch er anfangs war. Die ersten 4 Monate lebten wir wunderschön. Alles war herrlich. Nach 4 Monaten kam dann erst seine Brutalität ans Licht. Er hat große Mengen an Haschisch im Keller gehabt und ich und mein Sohn mussten das Reinigen/Bearbeiten. Wir haben islamisch geheiratet.

RI: Und jetzt konnten Sie noch einmal heiraten? RV: Wenn man im islamischen Recht ein paar Wochen getrennt lebt, wird die Ehe für nichtig erklärt. Deshalb war eine Scheidung nicht notwendig. BF: Bei uns ist es nach 3 Monaten so. Anmerkung der D: Wenn ein Mann aber eine Frau verstößt, dann wird ihnen eine Zeit von 3 Monaten gegeben, da man schaut, ob die Frau schwanger ist.

RI: Also Ihr Mann hat Sie geschlagen, weil er Ihnen unterstellt hat, dass Sie sich den Rebellen angeschlossen haben? Wie lange waren Sie mit dem Mann zusammen? Wie lange hat es gedauert von bis er Sie gefunden hat und bis Sie ausgereist sind? BF: Nach einem Monat hat er mich gefunden und bei ihm waren wir (ich und mein Sohn) 8 Monate lang. Die Flucht ist uns Anfang August gelungen. Er hatte uns eingesperrt. Die Türen waren immer versperrt und die Fenster waren mit Gittern zu. Durch Gottes Segen konnten wir fliehen. Sie haben Haschisch geraucht, waren im Rauschzustand und wurden gerufen. In diesem Moment war die Tür offen und diese Chance habe ich ausgenutzt. Das 2. Mal bin ich ohne Dokumente ausgereist, mit einer Kopie des Inlandsreisepass. Die Schwester hat uns Tickets gekauft. Zu dieser Zeit war meine Schwester noch zu Hause.

RI: Zu Ihrer Schwester und Ihrem Schwager konnten Sie nicht flüchten? BF: Mein Schwager gilt als verschollen, wir wissen nicht wo er ist, da er zu den Rebellen gegangen ist. Meine Schwester hat eigene Probleme, muss ihren Aufenthaltsort immer wechseln.

RV: Kam es auch zu sexueller Gewalt? BF: Alles was passierte, passierte gegen meinen Willen - einschließlich sexueller Handlungen.

RV: Welchen Rang hatte Ihr Ex-Mann beim Militär? BF: Er ist ein Kommandant. Er hat eine eigene Truppe.

RV: Wissen Sie, welchen Verantwortungsbereich Ihr Ex-Mann beim Militär inne hatte? BF: Er ist für die Terrorbekämpfung zuständig gewesen.

RV: Wie viele Leute hatte er in seiner Truppe? BF: Genau kann ich nichts sagen, das weiß ich nicht genau. Aber mindestens 30 Mann.

RV: Haben Sie einige von der Truppe auch persönlich kennen gelernt?

BF: Ja. Die, die ich aufgezählt habe, sind auch Kommandanten. Die wichtigsten Kommandanten waren ab und zu bei uns versammelt.

RV: Waren die Kollegen Ihres Ex-Mannes über Ihre Schwester und den Schwager informiert? BF: Ja, das wussten sie. Unsere Probleme sind aufgrund des Schwagers entstanden. Selbst heute, wenn ich meine Freundin zu Hause anrufe, sagt sie, falls in Tschetschenien was passiert, wird nach meinem Schwager, meiner Schwester und mir gefragt.

RV: Wie wurden Sie von den Kollegen und Truppenmitgliedern Ihres Mannes behandelt? BF: Sie alle waren Tiere.

RV: Was meinen Sie damit? BF: Es gibt körperliche und seelische Misshandlung. Ich und mein Sohn wurden als Untermenschen behandelt. Im Rauschzustand konnten sie uns gegen die Wand stellen und auf uns zielen. "Ihr seid doch nichts. Keiner braucht euch"- Das waren die Worte, die sie gesagt haben. Körperlich misshandelt wurde ich nur von meinem Mann.

RV: Also sexuell? BF: Ja.

RV: Sie haben vorher erwähnt, dass Sie Narben haben. Welche Narben haben Sie und wo? BF: An meinen Händen habe ich Narben vom Ritzen, ich konnte diese Brutalität nicht mehr ertragen. Als ich getreten wurde, wurde ich operiert und davon habe ich auch Narben.

RV: Die Tritte, die Sie erlitten haben und aufgrund dieser Sie ins Krankenhaus mussten, waren vor dem ersten Antrag?* BF: Die Narben im Bauchbereich habe ich seit meinem ersten Asylantrag und die Narben an den Händen von zuletzt.

RV: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie viel über die militärischen Tätigkeiten Ihres Mannes erfahren hatten, z.B. über die Behandlung von Häftlingen. Haben Sie weitere Beispiele und weiß Ihr Mann, dass Sie über all dieses Wissen verfügen? BF: Sie haben die Häftlinge dermaßen brutal gefoltert, dass sie die Menschen durch Explosionen beseitigen mussten, damit andere Menschen nicht sehen konnten, wie sehr sie misshandelt wurden. Zur zweiten Frage: Ja er wusste es und aufgrund dessen hat er uns auch eingesperrt, damit wir nicht an die Öffentlichkeit gehen konnten. Für die misshandelten Menschen haben sie auch noch Orden bekommen.

RV: Ist Ihr Ex-Mann weiterhin beim Militär? BF: Ja. Meine Freundin, die in Tschetschenien ist, sagt das auch.

RV: Wie stehen Sie als Frau zu all dem, was Ihnen passiert ist? BF:

Ich finde es nicht normal, dass solche Brutalität Frauen dazu bringt Suizid zu verüben. Erst jetzt/hier, nachdem ich hier alles gesehen habe, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, ist es für mich noch schwerer gewesen, das 2. Mal die Folterungen/Misshandlungen zu ertragen. Ich kann diese Brutalität nicht mehr aushalten. Eine Frau hat dort keine Meinungsfreiheit bzw. Redefreiheit.

RI: Was befürchten Sie, wenn Sie nach Tschetschenien zurückgeschickt werden würden? Was glauben Sie, würde dann passieren? BF: Mein Ex-Mann ist ein Sadist. Ich bin mir zu 100% sicher, dass er mich töten wird. Und jetzt wo mein Sohn erwachsen ist, kann mein Ex-Mann ihm leicht unterstellen, ein Rebell zu sein und ihn ebenfalls, unter diesem Vorwand, töten. Was kann man von einem Menschen noch erwarten, obwohl er wusste, dass ich von ihm schwanger war, hat er mich so stark getreten, dass ich das Kind verloren habe. Er ist ein sehr brutaler Mensch.

RI: Hätten Sie eine Möglichkeit sich zu verstecken? Anderswo hin zu ziehen? BF: Er ist ein Mensch der in Tschetschenien Macht hat. Er kann mich selbst im großen Russland finden. Ich habe Angst, selbst in Russland zu leben. Es ist besser, wenn man sich hier erhängt, als zu diesen Folterungen zurückzukehren.

RV: Im gegenständlichen Fall liegt Asylrelevanz einerseits aufgrund unterstellter politischer und religiöser Gesinnung als Angehörige eines Widerstandskämpfers vor. Der Schwager der BF war Rebellenführer und hat mit dem bekannten XXXX zusammen gearbeitet. Der Ex-Mann der BF, war im Bereich der Terrorismusbekämpfung in einer wichtigen militärischen Position tätig. Nicht nur der Ex-Mann, sondern auch dessen Kollegen haben die BF misshandelt. Der Ex-Mann hat die BF bereits einmal gefunden. Es ist davon auszugehen, dass er sie auch wiederfinden würde. Darüber hinaus hat die BF auf die mittlerweile eingetretene westliche Orientierung hingewiesen, weswegen auch daraus Verfolgungsgefahren abgeleitet werden können. Die Einstellung der BF widerspricht dem Traditionellen Rollenbild einer Tschetschenischen Frau. Für die Glaubwürdigkeit des Vorbringens der BF spricht auch, dass sie offensichtlich über Detailwissen in Bezug auf militärische Tätigkeiten verfügt und selbst Spitznamen anderer Militärs nennen konnte. Verwiesen wird darüber hinaus auf aktuelle Entscheidungen des BVwG (W133 1439349 vom 29.04.2015, G313 1307473 vom 23.02.2015 und W111 1424691 vom 13.01.2015).

Zum Akt genommen werden: Integrationsunterlagen: Anmeldung für einen Deutschkurs Bemühungen zur standesamtlichen Eheschließung Arbeitsvorvertrag Unterstützungsschreiben Samariterbund Kursbestätigung Samariterbund (2x) 5 Unterstützungsschreiben von Privatpersonen Meldeauszug der aktuellen Meldeadresse des aktuellen Gatten Befundbericht von Dr. Sabine FRADL FÄ für Psychiatrie

Der D zur Übersetzung übergeben: 2 Schriftstücke in kyrillischer Schrift über den Verbleib des Schwagers"

Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung legte die Antragstellerin Unterlagen zum Nachweis ihrer Integration sowie einen Befundbericht der Dr. Sabine FRADL; Fachärztin für Psychiatrie, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die Antragstellerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und stellte am 31.08.2011 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2011 gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und Polen für die Prüfung des Antrages für zuständig erklärt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.11.2011 als unbegründet abgewiesen.

Die Antragstellerin tauchte in der Folge unter und kehrte im November 2011 gemeinsam mit ihrem Sohn in das Heimatland zurück.

Am 16.08.2012 stellte die Antragstellerin den diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Die Identität der Antragstellerin steht nicht fest.

Die Antragstellerin hat keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gibt.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Antragstellerin in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Antragstellerin als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die Antragstellerin ist arbeitsfähig und verfügt über eine gesicherte Existenzgrundlage.

Die Antragstellerin ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Sohn der Antragstellerin, XXXX lebt ebenfalls im österreichischen Bundesgebiet. Das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz vom 16.08.2012 (IFA-Zahl: 564733809) ist beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig.

Die Antragstellerin ist seit 27.09.2013 mit dem Russischen Staatsangehörigen, XXXX, geboren am XXXX, nach islamischem Ritus verheiratet. Diesem wurde im Bundesgebiet der Status des Konventionsflüchtlings zuerkannt.

Im Bundesgebiet befinden sich darüber hinaus die Schwester der Antragstellerin, XXXX, geboren am XXXX und deren Tochter, XXXX, geboren am XXXX.

Es konnten keine Anhaltspunkte, welche für die Annahme einer hinreichenden Integration der Antragstellerin in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprechen, festgestellt werden.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Ländervorhalt Russische Föderation, insbesondere Tschetschenien, Stand Jänner 2016

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dimitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Der islamistische Rebellenführer Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte getötet worden. Das russische Anti-Terror-Komitee teilte am Montag mit, Kebekow sei bei dem Einsatz in der Teilrepublik Dagestan "neutralisiert" worden. Bei der Operation in Buinasksk seien zudem vier weitere Menschen, darunter zwei regionale Rebellenführer, getötet worden. Die Website Kavkaz Center, die von den Rebellen zur Veröffentlichung ihrer Erklärung verwendet wird, bestätigte den Tod des Kommandeurs der Extremistengruppe Kaukasus Emirat (Zeit Online 20.4.2015, vgl. Kavkaz Center 20.4.2015). Kavkaz Center berichtet weiter, dass der "ungleiche" Kampf in der Siedlung Gerei-Alak im Vorort der Stadt Temir Khan Shura [früherer Name der Stadt Buinaksk] in Dagestan stattfand und dass der Emir des Untsukulsky Distrikts der Provinz Dagestan Shamil Balakhani (aka Shamil Khasanov) ebenso unter den Getöteten sei (Kavkaz Center 20.4.2015).

Nachdem einige Kommandanten des Kaukasus Emirates (von Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien/Karatschai) dem IS ihren Treueeid schworen, verlautbarte am 23.6.2015 Abu Muhammad al-Adnani - Sprecher des IS - die Schaffung der Provinz Kaukasus (Vilayat Qavqaz). Diese Entwicklung ist keine große Überraschung, da seit Herbst 2014 einige der Kommandanten von Tschetschenien und Dagestan dem IS den Treueeid leisteten. Der IS-Sprecher gratulierte den "Soldaten des Islamischen Staates im Kaukasus" und richtete aus, dass der Kalif den Treueeid annimmt und Sheikh Abu Mohammad al-Qadari (Rustam Asilderov) als "Gouverneur" des Kaukasus ernennt. Dies zeugt wohl davon, dass die Kaukasusgruppe vom IS als wichtige Organisation gesehen wird, da nicht jede Gruppe, die den Treueeid leistet, auch anerkannt wird. Natürlich ist der Ruf der tschetschenischen bzw. der nordkaukasischen Kämpfer im IS ein sehr guter. Dies dürfte wohl auch ein ausschlaggebender Punkt in der Anerkennung gewesen sein. Obwohl die "übergelaufenen" Kommandanten verlautbarten, dass "alle Mudschahedin des Kaukasus in dieser Entscheidung einig sind" haben jedoch das Vilayat Nogai Steppe und Karatschai-Tscherkessia ihre Position noch nicht öffentlich gemacht. Auch gibt es einige Anführer im Kaukasus Emirat, die sich weigern, dem IS die Treue zu schwören, wie z.B. Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov), der angeblich momentan dem Emirat vorstehen bzw. der Nachfolger von Aliaschab Kebekow (alias Ali Abu Muhammad) sein soll (siehe vorige Kurzinformation) (TOL 1.7.2015).

Bis jetzt hat die Abreise von Kämpfern aus dem Nordkaukasus nach Syrien dazu geführt, dass die Terroraktivitäten in Russland im vergangenen Jahr nachgelassen haben. Nur wenige kehrten bis jetzt zurück - in ganz Russland wurden weniger als 100 Strafverfahren gegen die Rückkehrer eingeleitet. Doch jetzt scheint sich die Lage zu verändern. Die Folgen für Russland könnten sehr ernst sein. Die Kampfmethoden könnten sich verändern (öffentliche Hinrichtungen, auch der Zivilbevölkerung). Der ehemalige Anführer der Islamisten im Kaukasus, Kebekow, sprach sich gegen brutale Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aus und wollte sich auf die Anschläge auf russische Sicherheitskräfte konzentrieren. In den nordkaukasischen Republiken waren die Terroristen auch auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Doch im April 2015 wurde Kebekow getötet. Sein Nachfolger war offenbar nicht stark genug, um die Verbreitung des IS-Einflusses zu stoppen (Welt.de 25.6.2015).

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtete Anfang Oktober 2015, dass das Kaukasus Emirat einen neuen Anführer haben könnte. Hintergrund für diese Aussage ist ein Video, das im September auf dem Online-Videoportal YouTube gepostet wurde. Darin zu sehen war eine Gruppe von sechs maskierten, schwarz gekleideten Männern, zwei davon mit Handwaffen. Der Sprecher, der sich als Amir Muslim identifizierte, erklärte, dass er und seine Kameraden mit Gottes Hilfe "nach Hause zurückgekehrt" seien (von woher ist nicht klar), um den Jihad weiterzuführen. Er ruft seine "Brüder", die das Vilayat Nokhchiycho (der Name des Kaukasus Emirats für Tschetschenien) auch verlassen haben zur Rückkehr auf. Ebenso ergeht ein Appell an alle Muslime des Kaukasus "aus ihrem Schlummer" zu erwachen und den Kämpfern gegen den gemeinsamen Feind zu helfen. Amir Muslims Gruppe benennt Abu-Khamza Umarov (Kampfname von Akhmed Umarov, dem älteren Bruder von Doku Umarov, welcher 2007 das Emirat ausgerufen hatte und es bis zu seinem Tod 2013 führte) als seinen Anführer. Erwähnt wird im Video auch, dass Akhmed Umarov der Gruppe geholfen haben soll zurückzukehren und Leute zu finden, die sie brauchen um den Jihad zu führen (RFE/RL 7.10.2015).

RFE/RL schreibt weiter, dass Akhmed Umarov hier zum ersten Mal als Anführer des Kaukasus Emirates genannt wird. Jedoch sind an dem Video einige Dinge auffällig: erstens zeigt sich die Gruppe nicht wie normalerweise üblich im Kampfanzug, sondern schwarz gekleidet und mit verhüllten Gesichtern. Zweitens erwähnt Amir Muslim den IS in keiner Weise, weder als potentiellen Verbündeten, noch als Rivale. Und drittens erwähnt er nicht, aus welchem Land er mit seinen Männern nach Hause gekommen ist. Jedoch wird explizit erwähnt, dass es Akhmed Umarov war, der ihnen geholfen habe "nach Hause zu kommen" und "Personen zu finden, die sie brauchen". Dies könnte darauf hindeuten, dass diese "Rückkehrer" mit der Situation in Tschetschenien nicht vertraut sind und keine Kontakte vor Ort haben. RFE/RL mutmaßt hier, dass es sich um Personen handeln könnte, die während der Kriege in den 1990er Jahren Tschetschenien als Kinder verlassen haben und in Europa aufgewachsen sind (RFE/RL 7.10.2015). Denkbar wäre somit auch, dass es sich um junge Männer aus Europa handelt, die schon in Europa geboren sind.

Die Jamestown Foundation berichtete Ende Oktober 2015, dass Abu Khamza eine unerwartete Stellungnahme abgab. Abu Khamza war die letzten Jahre der Amir (Anführer) der Majlis Shura (beratendes Gremium) des Nokhchiycho Velayats außerhalb des Kaukasus Emirats. Diese Majlis Shura befindet sich in Istanbul. In seiner Stellungnahme sagte Abu Khamza, dass er nach einem Treffen der Majlis Shura beschlossen hat, zurückzutreten. Es gab Berichte, dass Abu Khamza das Vertrauen der Majlis Mitglieder verloren habe. Anders als sein Bruder Doku Umarov hatte Abu Khamza einen skandalösen Ruf unter den Tschetschenen und der nordkaukasischen Diaspora in der Türkei. Sein Rücktritt hängt mit dem oben erwähnten Video in Zusammenhang, wo eine Gruppe tschetschenischer Kämpfer ihm persönlich Treue schworen. Viele, die diese Aussage hörten, sahen darin den Versuch Abu Khamzas seinen Status von einem Repräsentanten im Ausland zum Amir des Velayat Nokhchiycho aufzusteigen. Die im Video Beteiligten wollten offensichtlich klarmachen, dass nicht alle Kämpfer vom Emirat zum IS wechselten [vgl. vorige KIs]. Dass die Gruppe im Video erklärte, dass sie auf jegliche Anweisung von Abu Khamza hören würde, war der Streitpunkt, der ihn zum Rücktritt zwang. Bemerkenswert an diesem Vorfall ist jedoch, dass es eine Gruppe Militanter, die unabhängig von Amir Khamzat (er schwor dem IS seine Treue) - auch wenn sie klein und schwach ist - geschafft hat, Tschetschenien zu infiltrieren. Nachdem die verbliebenen tschetschenischen Kämpfer unter Amir Yakub (im Dezember 2014) und Amir Khamzat (im Juni 2015) dem selbsternannten Kalifen des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi ihre Treue schworen, waren sich die meisten Analysten einig, dass alle tschetschenischen Kämpfer sich dem IS angeschlossen hätten. Abu Khamza war offensichtlich mit der Entscheidung der Kämpfer das Emirat zu verlassen nicht glücklich. Seine Initiative, eine Gruppe von Kämpfern nach Tschetschenien zu entsenden sollte wohl nicht nur die Behörden, sondern auch die abtrünnigen Kämpfer herausfordern. Mitglieder des bewaffneten islamistischen Untergrundes der Velayate von Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und Kabardino und Karatschai betrachteten Abu Khamzas Initiative wohl mit Argwohn und forderten seinen Rücktritt. Sein Rücktritt könnte dem Kaukasus Emirat den letzten Schlag verpasst haben, wenn nicht bald ein neuer Amir in Dagestan eingesetzt wird (Jamestown 30.10.2015).

Quellen:

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gut gemacht haben oder dazu bereit sind. Experten gehen davon aus, dass bis zu 13.000 Personen von der Amnestie profitieren könnten (bis zum 28.8.2013 kamen offiziellen Angaben zu Folge effektiv 143 Personen frei). Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme der russischen Verfassung im Jahr 1993, wurde im Dezember 2013 eine umfassendere Amnestie für Straftäter erlassen. Der russischen Strafvollzugsbehörde zu Folge sollen 22.700 von der Amnestie profitiert haben; knapp über 1.000 Personen sollen enthaftet worden sein. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Vorjahr auf Initiative des damaligen Präsidenten Medwedjews gestrichen worden war. Der Strafrahmen wurde von früher umgerechnet 75 auf bis zu 125.000 Euro erhöht. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Das in Russland geltende Anti-Extremismusgesetz sollte ursprünglich insbesondere helfen, rassistische Straftaten im Land einzudämmen. Es sind jedoch auch schon mehrere Fälle einer fragwürdigen Anwendung bekannt. Auch gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong wird mit Hilfe des Anti-Extremismusgesetzes vorgegangen (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, teilweise auch vorübergehende Festnahmen). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte im Februar 2012 in einer Resolution "tiefe Besorgnis" über die missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes gegen die Zeugen Jehovas und Falun Gong aus. Verhängte Sanktionen bestehen zumeist in (niedrigen) Geldstrafen, alternativen Strafformen (soziale Arbeit) oder Bewährungsstrafen. Nach der Krim-Annexion im März 2014 ist verstärkt zu beobachten, dass die russischen Behörden unter dem Deckmantel des Extremismus-Gesetzes gegen kritische Vertreter der Krim-Tataren vorgehen. Politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs müssen sich seit einer Novellierung des NGO-Gesetzes als "ausländische Agenten" deklarieren und sind einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Anfang September 2014 waren 13 NGOs beim russischen Justizministerium als "ausländische Agenten" registriert. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (etwa die auf Wahlbeobachtung spezialisierte NGO "Golos"). Im Zuge einer Verschärfung des NGO-Gesetzes im Juni 2014 erhielt das Justizministerium das Recht, NGOs eigenständig in das Register der ausländischen Agenten einzutragen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. US DOS 27.2.2014).

Von einer Amnestie im Dezember 2013 konnten mehrere tausend Personen profitieren (u.a. die Aktivistinnen von "Pussy Riot"), zudem begnadigte Staatspräsident Putin den seit fast zehn Jahren inhaftierten Michail Chodorkowskij. Der Druck auf andere Regimekritiker bzw. Teilnehmer von Protestaktionen hingegen nimmt zu, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015a, ÖB Moskau 10.2014).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Klanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a, S. 9).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 10.6.2013).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

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Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und des Antiterrorismus betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen um die meisten Behördenvertreter welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen (USDOS 27.2.2014).

Die russische Polizei genießt in der Bevölkerung wenig Ansehen und steht im Ruf, oft selbst in Kriminalität und Korruption verwickelt zu sein. Vielfach wird von Misshandlungen von Personen in Polizeigewahrsam berichtet, meist um Geständnisse zu erzwingen, die häufig die Hauptgrundlage für russ. Gerichtsurteile darstellen. Im März 2011 trat ein neues russ. Polizeigesetz in Kraft. Neben der Namensänderung ("Polizei" statt wie bisher "Miliz") sollten damit die Bürgerrechte gestärkt werden. Für die Reform des Innenministeriums hatte die russische Regierung in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 7,9 Mrd. Euro zusätzlich im Budget eingeplant. In dieser Summe sind auch höhere Gehälter enthalten, die Polizisten korruptionsresistenter machen sollen. Im selben Zeitraum sollte die Zahl der Beamten um ca. ein Drittel reduziert werden. Ein großer Teil der beim EGMR eingehenden Beschwerden gegen die Russische Föderation betreffen das Exekutiv- und Strafvollzugssystem (ÖB Moskau 10.2014).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden. Insgesamt ist der sicherheitspolitische Aufwand für Russland im Nordkaukasus gewaltig, und die Verluste sind hoch (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Es gibt jedoch zahlreiche glaubwürdige Berichte, dass Exekutivbeamte in Fälle von Folter, Misshandlung und Gewaltanwendung zum Erzwingen von Geständnissen verwickelt sind, und es gab Vorwürfe, dass die Regierung Beschuldigte nicht konsequent zur Verantwortung zieht. Folter ist nicht gesetzlich definiert, daher können verdächtigte Polizisten von der Staatsanwaltschaft nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt werden. In den Nordkaukasuskonflikt involvierte Regierungsbeamte foltern und misshandeln Berichten zufolge Zivilisten und Konfliktteilnehmer. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Streitkräfte und Polizeieinheiten misshandeln sowohl Rebellen als auch Zivilisten in Anhaltezentren.

Menschenrechtsgruppen weisen darauf hin, dass die körperliche Misshandlung von Frauen in der Region Nordkaukasus zunimmt. Das Niederbrennen von Häusern mutmaßlicher Rebellen wird Berichten zufolge fortgesetzt. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet (USDOS 27.2.2014).

Ein Drittel der beim Ombudsmann für Menschenrechte eingehenden Beschwerden beziehen sich auf polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen. Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015).

2014 gingen weiterhin Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen aus dem ganzen Land ein. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben (AI 25.2.2015).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

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Korruption

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Die Führungsriege kündigt regelmäßig Antikorruptionskampagnen an, aber der Hauptzweck ist die Loyalität der Elite sicherzustellen und die Opposition von der Fokussierung auf dieses Thema abzuhalten. Im Dezember 2013 errichtete Putin eine neue Abteilung zur Korruptionsbekämpfung und im April 2014 verabschiedete Putin eine neue Antikorruptionsstrategie, jedoch sind nur wenige Beobachter der Meinung, dass diese Maßnahmen Resultate produzieren wird (FH 28.1.2015).

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, in der Medizin, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 27.2.2014).

Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 3.2015a).

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu kaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 16.3.2015).

Quellen:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Nach einer Novellierung des NGO-Gesetzes werden politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs als "ausländische Agenten" deklariert und einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (ÖB Moskau 10.2014).

Auch Zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürger mussten 2014 weiterhin mit Schikanen, öffentlichen Angriffen, Verleumdungen und in einigen Fällen auch mit Strafverfolgung rechnen. Das gesamte Jahr über wurden unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen mit Hilfe des sogenannten Agentengesetzes unter Druck gesetzt. Das 2012 eingeführte Gesetz verpflichtet NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten und nicht näher definierten "politischen Aktivitäten" nachgehen, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren und ihre Publikationen dementsprechend zu kennzeichnen. 2013 und 2014 mussten Hunderte von NGOs unangekündigte offizielle "Inspektionen" über sich ergehen lassen, Dutzende sahen sich zu langwierigen Gerichtsverfahren gezwungen, um sich gegen die Registrierung zur Wehr zu setzen (AI 25.2.2015). Im Mai 2014 wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass das Justizministerium NGOs auch ohne ihre Zustimmung als "ausländische Agenten" registrieren kann (AI 25.2.2015, vgl. Gannuschkina 3.12.2014). Bis Ende 2014 waren 29 NGOs auf diese Weise registriert worden, darunter mehrere führende Menschenrechtsorganisationen. Mindestens fünf NGOs beschlossen aufgrund dieser Schikanen, sich aufzulösen. Mitglieder der NGO Ekovakhta (Umweltwacht Nordkaukasus), die Umweltschäden im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi dokumentierten, wurden im Vorfeld des Sportereignisses unentwegt von Sicherheitsbeamten schikaniert. Die beiden Mitglieder Jewgeni Witischko und Igor Chartschenko wurden wegen haltloser Vorwürfe festgenommen und während der Eröffnung der Spiele in Gewahrsam gehalten. Jewgeni Witischko verlor während seiner Haft ein Berufungsverfahren, bei dem es um unverhältnismäßige Anklagen ging, die ihn und seine NGO zum Schweigen bringen sollten. Er wurde zur Verbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe umgehend in eine Strafkolonie verbracht. Im März 2014 musste Ekovakhta auf Anweisung eines Gerichts alle Tätigkeiten vorübergehend einstellen. Im November verfügte eine weitere Gerichtsentscheidung die Auflösung der NGO wegen eines geringfügigen formalen Verstoßes. Das Justizministerium beantragte vor Gericht die Schließung der Organisation Memorial Russland, die als Dachorganisation für die russischen Gesellschaften von Memorial fungiert. Beanstandet wurden vermeintlich fehlerhafte Registrierungen. Die Anhörung wurde verschoben, weil sich die NGO um eine Berichtigung der Registrierung bemühte (AI 25.2.2015).

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Ombudsmann

Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, der durch den russischen Präsidenten ernannt wird, äußert sich durchaus kritisch (AA 10.6.2013). Er kommentiert zahlreiche Menschenrechtsprobleme, wie Polizeigewalt, Haftbedingungen, die Behandlung von Kindern, Schikanen bei Militär und Religionsfreiheit. Er kritisiert auch die Intoleranz und das Anwachsen von ethnischem und religiösem Hass. Lukins Büro nutzt seinen Einfluss, um die Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsprobleme in den Gefängnissen zu lenken. Viele Führungspersönlichkeiten von Menschenrechtsorganisationen geben weiterhin an, dass Lukin als behördlicher Vertreter im Allgemeinen effektiv sei, trotz der Einschränkungen der Befugnisse seiner Stelle. Das Büro des Ombudsmannes umfasst mehrere spezialisierte Abteilungen, die für die Untersuchung von Beschwerden zuständig sind. Alle bis auf sechs der 83 Regionen haben regionale Menschenrechtsbeauftragte, deren Verantwortungsbereich jenem Lukins ähnlich ist. Ihre Effektivität variiert erheblich (USDOS 27.2.2014).

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Wehrdienst

Die Bedingungen des Wehrdienstes (12 Monate) sind hart. Die allgemeine Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 28 Jahren (in Zukunft 30 Jahren). Wehrpflichtige erhalten zurzeit ca. 40 Euro Monatssold plus Standort- und Gefahrenzulagen. Die Militärstaatsanwaltschaft berichtet häufiger über Bestechungs- und Korruptionsfälle mit dem Ziel des Freikaufs vom Wehrdienst. Die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften ist weiterhin problematisch. Es kommt nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina"). Bereits 2006 hatte Putin die Bildung einer Militärpolizeibehörde (geplante Mannstärke: 10.000) angeregt, die vor allem die "Dedowschtschina", aber auch Diebstahlsfälle in den Streitkräften bekämpfen sollte. Derzeit ist unklar, ob und inwieweit sie ihre Arbeit bereits aufgenommen hat. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Es bestehen Zweifel, ob die offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den bewaffneten Organen der Russischen Föderation vollständig und wahr sind. Die NGO "Komitee der Soldatenmütter" beklagt regelmäßig, dass es viel mehr Menschenrechtsverletzungen gebe als offiziell bekanntgegeben werde. Wehrdienstleistende verfügen seit Dezember 2009 grundsätzlich über ein privates Mobiltelefon und dürfen dieses benutzen, auch um auf Notlagen hinzuweisen. Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 10.6.2013).

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt. Laut Verfassung der Russischen Föderation hat jeder Bürger, bei dem Gewissensgründe gegen eine Ableistung des Wehrdienstes vorliegen würden, das Recht auf einen Ersatzdienst von 21 Monaten. Jeder, der für einen Zivildienst in Betracht gezogen werden wolle, müsse dies mindestens sechs Monate vor Dienstantrittsdatum der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitteilen. Diese trifft die Entscheidung darüber, ob dem Antrag auf einen Zivildienst stattgegeben wird. Ein solcher Antrag könne abgewiesen werden, wenn die Kommission zum Schluss kommt, dass keine angemessenen Gewissensgründe vorliegen würden. Weitere Gründe für eine Ablehnung eines Antrags sind die Nichtbeachtung der Frist für die Einreichung des Antrags auf einen Zivildienst, das Vorlegen falscher bzw. gefälschter Dokumente beim Antrag oder das zweimalige Ignorieren einer Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Gegen die Abweisung eines Antrags kann gerichtlich Berufung eingelegt werden. Weniger als ein Tausendstel aller Wehrpflichtigen würden von der Möglichkeit Gebrauch machen, um einen Zivildienst anzusuchen (BZ 7.2014).

Die Misshandlung von Rekruten ist ein bei den russischen Streitkräften verbreitetes Problem. Das Verteidigungsministerium hat das Problem erkannt und arbeitet sowohl mit dem Menschrechts-Ombudsmann der Regierung als auch mit NGOs zusammen, um die Menschenrechtssituation in den Streitkräften zu verbessern. So wird Rekruten das Recht eingeräumt die Kasernen über das Wochenende zu verlassen und in Einheiten nahe ihrem Wohnsitz zu dienen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind in den Streitkräften jedes Jahr mehrere Dutzend Todesopfer und mehrere tausend Verletzte aufgrund von Misshandlungen zu beklagen. Hinzu kommt eine hohe Zahl von Selbstmorden unter Rekruten, die auf Misshandlungen zurückzuführen sind. NGOs kritisieren, dass es nur in seltenen Fällen zu einer Verurteilung der Schuldigen kommt. Dem "Komitee der Soldatenmütter" zu Folge sollen Misshandlungsfälle im Jahr 2013 wieder angestiegen sein (ÖB Moskau 10.2014, vgl. USDOS 27.2.2014).

Quellen:

Wehrdienstverweigerung

Das russische Strafgesetzbuch von 1996 (mit Novellierungen bis Juli 2014) regelt in Art. 328 Abs. 1, dass Wehrdienstverweigerung, sofern keine gesetzlichen Gründe für eine Befreiung vom Wehrdienst vorliegen, entweder mit einer Geldstrafe von bis zu 200.000 Rubel bzw. in Höhe des bis zu 18-fachen Monatsgehalts bzw. eines anderen Einkommens des Verurteilten oder mit drei- bis sechsmonatigem Arrest oder mit bis zu zweijährigem Freiheitsentzug bestraft werde. Weiters werden in Art. 328 Abs. 2 die Strafen für Verweigerung des Zivildienstes genannt (Strafgesetzbuch, 13.6.1996, inklusive Novellen bis 21.7.2014).

In der Praxis werde nur eine kleine Anzahl an Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft. Außerdem würden derzeit die Strafen für Wehrdienstverweigerung in der Praxis "sehr gering" ausfallen, auch wenn laut Gesetz eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden könne. In der Praxis komme es nur bei einer "kleinen Anzahl" von Fällen zu Strafverfahren gegen Wehrdienstverweigerer (BZ 7.2014).

Im Jahr 2012 hätten landesweit mehr als 244.000 Männer die Einziehung in den Wehrdienst umgangen. Etwa 8.794 Russen hätten ihren Einberufungsbescheid erhalten, seien jedoch nicht ihrer Pflicht nachgekommen, bei der Rekrutierungsstelle zu erscheinen, was eine Straftat darstellt, die mit bis zu zwei Jahren bestraft werde. Rund 235.800 weitere Männer hätten sich dem Wehrdienst entzogen, indem sie verhindert hätten, über ihre Einberufung benachrichtigt zu werden. Dies stellt in Russland ein Verwaltungsdelikt dar (Ria Nowosti 13.3.2013).

Quellen:

Tschetschenien

Erstmals seit langer Zeit wurden rund 500 Personen aus ganz Tschetschenien in den aktiven Wehrdienst eingezogen. In die Truppenverbände traten die Rekruten erst im November 2014 ein. Bei der überwiegenden Mehrheit der Rekruten handelt es sich um Freiwillige, von denen viele eine militärische Karrierelaufbahn anstreben würden. Nach Angaben des Leiters für Einberufungsangelegenheiten des tschetschenischen Militärkommissariats habe es "sehr viele" Interessenten gegeben, weshalb die Freiwilligen nach den Kriterien Gesundheitszustand, hoher Bildungsgrad sowie danach ausgewählt worden seien, ob sie über Fachkenntnisse verfügten, die für den Dienst nützlich seien. Die derzeitige Zahl der Einberufenen sei weitaus niedriger als die Zahl derer, die in die Armee eintreten wollten. Aus Grosny seien 56 Personen ausgewählt worden, um direkt zum Dienst in der russischen Armee entsendet zu werden. Laut Aussage des Leiters der Einberufungskommission von Grosny hätten mehr als 200 Personen erklärt, aus eigenem Willen den aktiven Wehrdienst ableisten zu wollen. Wie er weiter ausführt, hätten insgesamt 1.000 junge Menschen aus Grosny das Auswahlverfahren bei der Einberufungskommission durchlaufen, obwohl (in Grosny) lediglich Bedarf an 56 Rekruten bestehe (Kavpolit.ru 20.10.2014). Die letzte größere Einberufungskampagne für Tschetschenen hat im Jahr 1992 stattgefunden. Danach habe man Tschetschenen faktisch nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen. Nur eine kleine Zahl an Rekruten sei einberufen worden, um in Verbänden zu dienen, die in Tschetschenien stationiert und dem Verteidigungsministerium unterstellt waren bzw. der Inlandsarmee des russischen Innenministeriums angehörten (Caucasian Knot 1.11.2014). Im Herbst 2001 ist in Tschetschenien ein Experiment durchgeführt worden, bei dem versuchsweise 70 Personen zum Wehrdienst einberufen wurden. Diese seien allesamt in eine Sportkompanie der Motorisierten Schützenbrigade im Militärbezirk Moskau entsandt worden. Allerdings seien alle tschetschenischen Rekruten einige Wochen später nach Hause geschickt worden, da es zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit anderen Rekruten sowie Offizieren der Einheit gekommen ist. In Tschetschenien selbst sind um diese Zeit zwei Bataillone der Sondereinsatztruppen der Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation (GRU) sowie Infanterieverbände der Militärkommandanturen geschaffen worden, in die örtliche Bewohner zum Dienst aufgenommen wurden. Im Jahr 2006 sind in Tschetschenien die Bataillone "Sewer" ("Nord") und "Jug" ("Süd") des russischen Innenministeriums gebildet worden. Zurzeit würde eine begrenzte Zahl an tschetschenischen Rekruten in Einheiten der Inlandsarmee des Innenministeriums dienen, die in Tschetschenien stationiert sind. Bei diesen handelt es sich um das Regiment "Achmat Kadyrow" (das ehemalige Sonderbataillon "Sewer") sowie um das Bataillon "Jug". Im Sommer 2013 sind 150 Rekruten in diese Bataillone entsendet worden (Caucasian Knot 16.10.2014).

Quellen:

http://www.kavpolit.ru/articles/chechentsev_pozvali_v_armiju-10468/ , Zugriff 31.3.2015, zitiert nach: ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.11.2014): Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Strafen bei Wehrdienstverweigerung (Ignorierung einer Ladung zum Wehrdienst); legale Gründe zur Verweigerung des Wehrdienstes; Befragung und "Durchleuchtung" des familiären Hintergrundes von rückkehrenden Tschetschenen, die einer Ladung zum Wehrdienst nicht nachgekommen sind; Diskriminierung von Tschetschenen bei Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung; Misshandlung und diskriminierende Behandlung von Tschetschenen in der Armee [a-8933-1], http://www.ecoi.net/local_link/290419/425021_de.html , Zugriff 31.3.2015

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Menschenrechtsverteidiger beklagen zum Teil erhebliche Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der gestiegene Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und Opposition. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 11.2014a).

In einigen Bereichen gibt die Menschenrechtslage in Russland weiterhin Anlass zu Kritik. Grundlegende Rechte wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit werden nicht immer in vollem Umfang gewährt; Journalisten und Menschenrechtsverteidiger haben mit Behinderungen bei ihrer Arbeit zu kämpfen und sind in manchen Fällen sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt. Während es zahlreiche unabhängige Radiosender, Printmedien, Online-Portale und Buchverlage gibt, übt der Staat besonders auf das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen beträchtlichen Einfluss aus. Zudem haben staatliche Stellen in der Vergangenheit wiederholt Gesetze gegen Extremismus, zur Regulierung von NGOs und allgemeine Steuergesetze angewendet, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. In der Folge von teils gewalttätigen Protesten im Mai 2012 wurden eine Reihe legislativer Maßnahmen, durch welche die Tätigkeit der politischen Opposition erschwert wird, angenommen. Anfang Juni 2012 unterzeichnete Präsident Putin eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts. Das neue Gesetz sieht u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für die Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor, enthält ein Vermummungsverbot und andere Einschränkungen (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Bei Operationen von Sicherheitskräften u.a. in Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrigen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015). Am 4.12.2014 griffen bewaffnete Kämpfer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mehrere Regierungsgebäude an und töteten dabei mindestens einen Zivilisten und 14 Polizeibeamte. Am nächsten Tag kündigte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow öffentlich an, man werde die Angehörigen der bewaffneten Männer des Landes verweisen und ihre Häuser zerstören. Mindestens 15 Häuser mit Dutzenden von Bewohnern, darunter kleinen Kindern, wurden niedergebrannt oder zerstört. Als Menschenrechtsverteidiger am 11.12.2014 in einer Pressekonferenz in Moskau dieses Vorgehen verurteilten und eine Untersuchung forderten, wurden sie mit Eiern beworfen. Über soziale Medien warf Ramsan Kadyrow dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group, Igor Kalyapin vor, er unterstütze Terroristen. Am Abend des 13.12.2014 wurde bei einem mutmaßlich durch Brandstiftung verursachten Feuer das Büro der Organisation in Grosny zerstört. Am Tag danach hielten Polizisten zwei Mitarbeiter ohne Erklärung mehrere Stunden lang fest, führten Leibesvisitationen durch und konfiszierten ihre Mobiltelefone sowie mehrere Fotoapparate und Computer. Den Opfern von Menschenrechtsverletzungen standen nach wie vor praktisch keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung, da die Strafjustiz weiterhin nicht effektiv arbeitete und von höchster politischer Stelle - zumeist heimlich - unter Druck gesetzt wurde. Präsident Kadyrow übte jedoch auch offen Kritik an tschetschenischen Richtern und Geschworenen, wenn sie in Strafverfahren Urteile verhängten, die seiner Ansicht nach zu mild ausfielen. Über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, war weiterhin schwierig und gefährlich. Man geht davon aus, dass viele Vorfälle nie öffentlich gemacht wurden. Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Journalisten und Rechtsanwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen befassten, wurden häufig von Polizeikräften oder unbekannten Personen bedroht und schikaniert (AI 25.2.2015).

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Der islamistische Widerstand in Tschetschenien ist in drei Gruppen geteilt. Eine versteckt sich an der Grenze zu Inguschetien, wird vom Emir Khamzat kommandiert und in diesem Gebiet konnte sich der frühere Emir des Kaukasus Emirates Dokku Umarow sieben Jahre lang verstecken. Er soll das Gebiet nie verlassen haben. Die zweite Gruppe versteckt sich im Vedenskiy Distrikt und wurde von den Brüdern Muslim und Hussein Gakajew angeführt, die im Jänner 2013 bei einer Militäroperation getötet wurden. Neuer Kommandant ist Amir Mahran. Momentan gibt es zu dieser Gruppe keine Informationen, außer dass sie existiert. Sie hat in letzter Zeit keine Aktionen ausgeführt. Die dritte Gruppe versteckt sich in den bergigen Wäldern an der Grenze zu Dagestan. Emir Aslanbek ist ihr Kommandant. Er nahm schon am Ersten Tschetschenienkrieg teil und ist ein sehr erfahrener Kämpfer. Diese Gruppe operiert in Dagestan und untersteht dem Emir von Dagestan. Neben diesen drei Gruppen, die das tschetschenische Vilayat bilden, gibt es kleine Gruppen junger Männer, die zwar behaupten, Teil der jihadistischen Struktur zu sein und dem Emir Tschetscheniens zu unterstehen, was aber nicht stimmt. Diese kleinen Gruppierungen und weitere Individuen, deren Motivation die jihadistische Ideologie ist, sind fähig, Schießereien oder kleinere Bomben zu legen. Sie wenden sich - wie auch die jihadistischen Kämpfer des Emirates hauptsächlich gegen Polizisten, Mullahs und Beamte und nicht gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, bei der 14 Polizisten ums Leben kamen, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

Meinungs- und Pressefreiheit / Internet

Die Erosion der russischen Presse- und Medienfreiheit ist ein schleichender Prozess. Insbesondere die vergangenen Monate waren vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise von einer neuen Welle verstärkter staatlicher Einflussnahme im Medienbereich gekennzeichnet (AA 11.2014a). Die Regierung verstärkte die Kontrolle der wichtigsten Medien, was zu einem deutlichen Rückgang der Meinungsvielfalt führte. Ein Großteil der nominell nicht unter staatlicher Kontrolle stehenden Medien übte verstärkt Selbstzensur aus und bot regierungskritischen Ansichten kaum noch Raum. Der Druck auf unabhängige Medien nahm erheblich zu. Sie erhielten Verwarnungen von offizieller Seite, mussten sich von redaktionellen Mitarbeitern trennen und sahen sich mit Problemen in ihren Geschäftsbeziehungen konfrontiert. Medien in öffentlicher und privater Hand wurden dazu benutzt, um politische Gegner, unabhängige NGOs und andere kritische Stimmen zu diffamieren. Die Behörden verschärften die Kontrolle des Internets. Nach einem neuen Gesetz, das im Februar 2014 in Kraft trat, konnte die Generalstaatsanwaltschaft die Medienaufsichtsbehörde anweisen, Webseiten wegen mutmaßlicher Verstöße, wie z.B. dem Aufruf zur Teilnahme an einer nicht genehmigten öffentlichen Versammlung, zu sperren. Eine richterliche Genehmigung war nicht notwendig. Mehrere unabhängige Medien wurden von offizieller Seite verwarnt, weil sie angeblich "extremistische" oder sonstige rechtswidrige Inhalte verbreiteten. Es kam weiterhin zu tätlichen Angriffen auf Medienschaffende. Im August 2014 wurden mehrfach Journalisten angegriffen, die über geheime Beisetzungen von dem Vernehmen nach in der Ukraine gefallenen russischen Soldaten berichten wollten. Auch Einzelpersonen und Gruppen von Menschen, die abweichende Meinungen vertraten, konnten ihr Recht auf freie Meinungsäußerung 2014 nicht ausüben (AI 25.2.2015).

Der gedruckten Ausgabe der regierungskritischen russischen Zeitung Nowaja Gaseta droht aus finanziellen Gründen das Aus. Auch wenn die Nowaja Gaseta womöglich nicht mehr in Papierform erscheinen wird, wird ihre Website weiter betrieben. Die Zeitung hat schwere finanzielle Probleme, der Hauptaktionär hat seine Zahlungen eingestellt und es gibt praktisch keine Anzeigenkunden. Die Nowaja Gaseta kann nicht mit vom Staat subventionierten Medien konkurrieren. Die Zeitung gehört zu den wichtigsten unabhängigen Medien Russlands. Offenbar im Zusammenhang mit ihren Recherchen wurden seit ihrer Gründung 1993 sechs ihrer Mitarbeiter getötet, darunter die Journalistin Anna Politkowskaja (Standard 13.3.2015).

Timur Kuaschew, ein Journalist aus Kabardino-Balkarien, der eng mit örtlichen Menschenrechtsverteidigern zusammenarbeitete, wurde am 1.8.2014 tot aufgefunden. Berichten zufolge war ihm eine tödliche Injektion verabreicht worden. Die Fälle der in den vergangenen Jahren im Nordkaukasus getöteten Journalisten, unter ihnen Natalja Estemirowa, Chadschimurad Kamalow und Achmednabi Achmednabijew, wurden nicht wirksam untersucht, und die Täter bleiben weiterhin im Dunkeln. Im Fall der im Oktober 2006 in Moskau ermordeten investigativen Journalistin Anna Politkowskaja wurden im Juni 2014 fünf Männer zu Haftstrafen verurteilt, doch die Auftraggeber wurden nicht identifiziert (AI 25.2.2015, vgl ÖB Moskau 10.2014, HRW 29.1.2015). Die Mörder von der Menschenrechtsverteidigerin Natalia Estemirowa (getötet 2009) wurden noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen (HRW 29.1.2015).

Während eine Anzahl unabhängiger Radiosender und Printmedien existiert, kontrolliert die Regierung doch einen großen Teil der Medien und v.a. das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen fast völlig. Auf die unabhängigen Medien wird von den Behörden verschiedentlich Druck ausgeübt, auf kritische Berichterstattung zu verzichten. Insbesondere die unscharfe Definition von Extremismus im russischen Anti-Extremismus-Gesetz schafft die Möglichkeit, Journalisten wegen Verbreitung angeblicher extremistischer Inhalte zu belangen. Das Internet galt bis vor kurzem als einer der letzten Räume für unabhängige Informationen. Die Bemühungen der russischen Behörden, auch diesen Freiraum einzuschränken, nahmen in letzter Zeit jedoch zu. Im Juli 2012 traten neue Regeln für das Internet in Kraft, aufgrund deren die Regierung u.a. das Recht erhält, bestimmte Internetseiten ohne eine vorangehende gerichtliche Entscheidung zu sperren. 2014 wurden mehrere Online-Nachrichtendienste (z.B. Lenta.ru) und oppositionelle Websites (Grani.ru, Kasparov.ru, ej.ru) gesperrt, die Arbeit von Bloggern reglementiert (Eintragung als Massenmedium) und die außergerichtliche Blockierung von Websites (sog. Lugowoj-Gesetz) eingeführt. Die staatliche Medienaufsicht Roskomnadzor blockiert derzeit über 2.000 Websites, betroffen sind aber laut Experten über 56.000 weitere Seiten, die IP-Adressen mit den blockierten Seiten teilen. Seit Juli 2014 müssen sich Blogger mit mehr als 3.000 Zugriffen pro Tag als Massenmedien registrieren und unterliegend dadurch einer größeren Kontrolle durch die Medienaufsicht. Weitere Einschränkungen des Internets sind geplant:

geht es nach der Staatsduma sollen ausländische Internetdienste wie Facebook oder Twitter ab Anfang nächsten Jahres Daten über russische Nutzer auf russische Servern speichern, um die Kontrolle der heimischen Sicherheitsdienste darüber zu erleichtern. Darüber hinaus überlegt man, sogenannte OTT-Dienste wie Telefonate via Skype zu reglementieren, da die Kontrolle darüber schwerer ist als bei herkömmlichen Telefonaten. Auch bei diesen Gesetzesvorschlägen beruft sich die Staatsduma auf den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Jahr zuvor gestrichen worden war. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 11.2014a).

Im September 2014 verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, nach dem ab Februar 2016 die ausländische Beteiligung an russischen Medien nur noch maximal 20% betragen darf (AA 11.2014a).

Auf der Weltrangliste 2015 der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen befindet sich Russland auf Platz 152 von 180 untersuchten Staaten (letztes Jahr: Platz 148). Angebliche Bedrohungen der nationalen Sicherheit dienen in vielen Staaten als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Russland etwa verabschiedete unter dem Eindruck des Kriegs mit der Ukraine weitere repressive Gesetze, darunter eine Verschärfung des Verbots, öffentlich zur Verletzung der territorialen Integrität aufzurufen - wodurch jede Kritik etwa an der Annexion der Krim kriminalisiert wird (ROG 12.2.2015).

Quellen:

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

Die Verfassung garantiert das Recht auf Versammlungsfreiheit, doch in der Praxis ist dieses teilweise eingeschränkt. Regionale Behörden haben wiederholt Demonstrationen oppositioneller Gruppen verboten oder durch administrative Maßnahmen verhindert. Anfang Juni 2012 wurde eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts angenommen. Die neuen Bestimmungen sehen u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor (bis zu 7.500 Euro für Privatpersonen und bis zu 25.000 Euro für juristische Personen) und enthalten ein Vermummungsverbot sowie andere Einschränkungen. Im Frühjahr 2013 wurden Teile des Gesetzes vom russischen Verfassungsgericht aufgehoben und vom Gesetzgeber Nachbesserungen verlangt. Dennoch kann bislang keine relevante Verbesserung beobachtet werden (ÖB Moskau 10.2014, vgl. HRW 29.1.2015).

Im Vergleich zu den Vorjahren gingen die Straßenproteste 2014 zwar zurück, im Februar und März sowie im Dezember kam es jedoch vermehrt zu Kundgebungen. Anlass waren die Prozesse gegen die Demonstrierenden vom Moskauer Bolotnaya-Platz, das militärische Eingreifen Russlands in der Ukraine, eine geplante Gesundheitsreform und die Verurteilung von Alexej und Oleg Nawalny. Nach wie vor galten für öffentliche Versammlungen aufwendige Genehmigungsverfahren. Bis auf wenige Ausnahmen wurden öffentliche Protestkundgebungen verboten, stark eingeschränkt oder aufgelöst. Im Juli 2014 wurden die Geldbußen für Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Veranstaltungen deutlich erhöht und wiederholte Verstöße als Straftat definiert, die mit Freiheitsstrafen geahndet werden kann. Zahlreiche Personen, die sich an gewaltlosen Protesten gegen das militärische Engagement Russlands in der Ukraine und gegen die Annexion der Krim beteiligten, wurden festgenommen und mit Geldstrafen oder bisweilen auch Haftstrafen belegt. Demonstrationen, die das Vorgehen der russischen Regierung in der Ukraine unterstützten, konnten hingegen an zentralen Orten stattfinden, die oppositionellen Kundgebungen in der Regel verwehrt blieben. In Samara erhielten mehrere engagierte Bürger anonyme Morddrohungen, nachdem sie mehrere Ein-Personen-Demonstrationen veranstaltet hatten - die einzige Form von Protest, für die keine Genehmigung erforderlich ist. Im August wurden drei Frauen vorübergehend auf einer Moskauer Polizeiwache festgehalten, weil sie Kleidung in Blau und Gelb trugen, den Farben der ukrainischen Flagge. Ähnliche Vorfälle wurden aus dem ganzen Land gemeldet. Ende 2014 kam es in zahlreichen russischen Städten, zumeist ungehindert, zu kleineren Protestkundgebungen gegen geplante Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich. In Moskau wurden jedoch vier Protestierende zu fünf bis 15 Tagen Haft verurteilt, nachdem Demonstrierende kurzzeitig eine Straße blockiert hatten. In dem politisch motivierten Strafverfahren gegen den Regierungsgegner Alexej Nawalny und seinen Bruder Oleg wurde am 30.12.2014 in Moskau das Urteil verkündet - zwei Wochen früher als vorgesehen. Es kam zu spontanen Protesten, bei denen mehr als 200 Menschen festgenommen wurden. Gegen zwei Personen ergingen Haftstrafen von 15 Tagen, 67 weitere wurden über Nacht festgehalten und bis zu ihrem Verfahren im Januar 2015 auf freien Fuß gesetzt (AI 25.2.2015).

Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen. Russlands berühmtester Oppositionsführer Nawalny verbrachte den größten Teil von 2014 in Hausarrest und wurde Ende 2014 zu dreieinhalb Jahre Haft auf Bewährung wegen Finanzbetrugs und sein Bruder zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im April 2012 wurden liberalere Regeln zur Registrierung von politischen Parteien eingeführt, die die Bildung hunderter neuer Parteien ermöglichten. Jedoch war keine dieser Parteien eine signifikante Bedrohung für die Behörden und viele dieser Parteien schienen nur darum gegründet worden zu sein, um Spaltung und Verwirrung innerhalb der Opposition hervorzurufen. Das Justizministerium verweigerte Nawalnys Fortschrittspartei im September 2014 die Registrierung mit der Begründung, dass obwohl die Partei beweisen konnte, dass sie Zweige in 40 Regionen hat, die Dokumente von 24 dieser Zweigstellen nicht rechtzeitig eingetroffen sind (FH 28.1.2015).

Morde an Oppositionellen kommen in Russland immer wieder vor. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow ist der jüngste Fall. Weitere Kremlkritiker die ihr Leben lassen mussten waren die Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja, der russische Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko, der Anwalt Sergej Magnizki, die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa und der russische Oligarch und einstige Multimillionär Boris Beresowski (Spiegelonline 28.2.2015).

Quellen:

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Regierung hat in die Renovierung der oft arg heruntergekommenen Gefängnisse investiert und durch Amnestien die Zahl der Insassen der bislang meist total überfüllten Gefängnisse reduziert (im Juni 2014 befanden sich offiziellen Daten zu Folge in Russland 676.000 Personen in Haft - im Jänner 2011 waren es noch knapp 750.000). Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. In Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch. Weder während noch nach der Haft gibt es Rehabilitierungsprogramme, so dass die Rückfallquote von Straftätern im internationalen Vergleich hoch ist. NGOs kritisieren, dass Besuche internationaler Beobachter nur in ausgewählten Gefängnissen zugelassen werden, die insgesamt nicht repräsentativ seien. Offiziellen Angaben zu Folge kamen 2012 in russischen Gefängnissen insgesamt 4.121 Gefangene ums Leben. Gelegentlich werden Vorfälle bekannt, in denen Häftlinge angesichts schlechter Haftbedingungen revoltieren (im Juni 2013 kam es im Rahmen eines Protestes zur kollektiven Selbstverletzung von ca. 40 Häftlingen in einer Strafkolonie in Irkutsk; im März 2014 schnitten sich 30 Häftlinge in einem Gefängnis im Gebiet Bryansk die Pulsadern auf) (ÖB Moskau 10.2014).

Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Eine unabhängige Kontrollkommission dokumentierte wiederholt Hinweise auf Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen in der auch als Untersuchungsgefängnis dienenden Gefängniskolonie IK-5 in der Region Swerdlowsk. Im Juli 2014 forderten Kommissionsmitglieder die Behörden auf, Foltervorwürfen nachzugehen, die der Untersuchungshäftling E. G. erhoben hatte, und legten als Beweismittel Fotos seiner Verletzungen vor. In einer schriftlichen Antwort teilte die Staatsanwaltschaft mit, eine Befragung des Personals von IK-5 und eine Durchsicht der Verwaltungsunterlagen habe ergeben, dass in der Gefängniskolonie keine Gewalt gegen E. G. angewendet worden sei und die Verletzungen aus der Zeit vor seiner dortigen Inhaftierung stammten. Weitere Ermittlungen wurden nicht eingeleitet (AI 25.2.2015).

Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnissen der Beschuldigten aufbauen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015, CPT 24.1.2013). Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Todesstrafe

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 10.2014, vgl. GIZ 2.2015a).

Quellen:

Religionsfreiheit

Das Religionsgesetz von 1997 regelt die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Es definiert vier traditionelle Religionen - Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus. Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 2.2015c, vgl. SWP 4.2013).

Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismus Vorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren ein (AA 10.6.2013).

Die Verfassung sieht die Religionsfreiheit vor, jedoch schränken andere Gesetze und Richtlinien diese ein. In der Praxis respektierte die Regierung die Religionsfreiheit im Allgemeinen, aber einige Minderheitengruppen hatten weiterhin Schwierigkeiten mit den Behörden. Die bedeutendsten Einschränkungen der Religionsfreiheit sind die Nutzung von Anklagen aufgrund von Extremismus um auf Minderheitenreligionen abzuzielen, Einschränkung des Versammlungsrechts, Bemühungen diverse Registrierungen zu verweigern und religiösen Besuchern Visa zu verweigern. Es gibt Berichte über gesellschaftliche Schikanen und Diskriminierung aufgrund der religiösen Zugehörigkeit, des Glaubens und der Ausübung der Religion. Mitglieder von religiösen Minderheitengruppen erfahren weiterhin Belästigungen und manchmal auch physische Attacken. Der gewalttätige Extremismus im Nordkaukasus und der Zustrom von Migranten aus Zentralasien führen in vielen Regionen zu einer negativen Einstellung gegenüber traditionellen muslimischen Gruppierungen. Da Ethnizität und Religion oft untrennbar miteinander verbunden sind, ist es bei vielen Vorfällen schwer zu beurteilen, ob deren Grund in ethnischer oder religiöser Intoleranz liegt (USDOS 28.7.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2014). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

Im Jänner 2014 berichtete Caucasian Knot, dass durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien junge Menschen auf der Straße angehalten und einvernommen wurden. Die Sicherheitskräfte sollen hier auf Männer mit Bärten und Frauen in Hidschab abgezielt haben, da diese als dem radikalen Islam zugehörig angesehen werden. Die Sicherheitskräfte sagten, dass dies als präventive Maßnahme zu sehen sei. Nicht nur in Grosny, auch in anderen Städten Tschetscheniens unternahmen Sicherheitskräfte "Anti-Wahabismus Razzien" und kontrollierten Handys von jungen Männern und Frauen. Menschenrechtsorganisationen haben keine Beschwerden über gesetzwidrige Handlungen in diesem Zusammenhang erhalten (Caucasian Knot 16.1.2014, vgl. DIS 1.2015, ACCORD 1.7.2014).

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

Quellen:

Ethnische Minderheiten

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch fast 100 andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt (GIZ 2.2015c). Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

In Russland ist man sich der Risiken, die Rassismus in einem traditionell multiethnischen Staat wie Russland darstellt, bewusst. Regelmäßig wird auf hoher und höchster politischer Ebene gegen Rassismus und Intoleranz appelliert. Es fehlt jedoch nach wie vor eine kohärente Politik zur Bekämpfung des grassierenden Rassismus. Die Jahresberichte der russischen NGO Sowa, die sich mit Rassismus auseinandersetzt, konstatierten für die Jahre 2010-2012 einen konstanten Rückgang rassistisch motivierter Gewalttaten in Russland. 2013 hat sich dieser Trend jedoch wieder umgekehrt: Mindestens 20 Personen wurden getötet, 173 verletzt. 2012 wurden 18 Personen getötet und 187 verletzt Es ist jedoch von einer höheren Dunkelziffer auszugehen. Die meisten Opfer stammen aus Zentralasien und dem Kaukasus. Immer wieder kommt es zu Fällen, in denen Auseinandersetzungen entlang ethnischer Linien verlaufen. 2013 war in Moskau die Ermordung eines Fußballfans durch einen Aserbaidschaner bzw. Attacken gegen Polizisten auf einem von zentralasiatischen Händlern besiedelten Markt Auslöser für Massenunruhen. Im Alltag kommt es gelegentlich zu (willkürlichen) Verhaftungen von Angehörigen kaukasischer Völker und Einwanderern aus Zentralasien. Ethnische Stereotypen im Boulevardjournalismus und in der Alltagskultur verstärken, besonders unter den russischen Moslems (12% der Bevölkerung) ein Gefühl der Entfremdung. Im Sommer 2013 kam es insbesondere in Moskau zu groß angelegten Polizeiaktionen gegen illegal aufhältige Migranten, bei denen mehrere Tausend Personen verhaftet und zum Teil in ihre Herkunftsländer (v.a. Zentralasien, Südkaukasus, Vietnam) abgeschoben wurden. Anfang 2014 wurden die Migrationsgesetze erneut verschärft. Ab 2015 sollen insbesondere die Migranten aus Zentralasien auf ihre Russischkenntnisse und ihr Wissen über das russische Staatswesen und seine Kultur überprüft werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Frauen / Kinder

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung, z.B. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden (ÖB Moskau 10.2014). Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan (ÖB Moskau 10.2014, vgl. FH 28.1.2015). Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering. In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung (ÖB Moskau 10.2014).

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 2.2015c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 8% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 28.1.2015). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 2.2015c).

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen offenbar auch gar nicht nach. Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland nur wenige. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel (AA 10.6.2013).

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland. Die menschenrechtliche Situation von Frauen im Nordkaukasus ist nach wie vor problematisch. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen, "Sittenwächtern" und häuslicher Gewalt im Nordkaukasus sind besorgniserregend. In den meisten Fällen werden diese Verbrechen nicht zur Anzeige gebracht, bzw. keine Strafverfolgung eingeleitet. Eine Quantifizierung des Problems ist schwierig, NGOs in Tschetschenien berichten jedoch von zumindest einem neuen Fall pro Monat. Problematisch scheint auch die Situation von Frauen im Fall einer Scheidung oder bei Tod des Ehemannes. In der Frage der Obsorge für die gemeinsamen Kinder, sowie in der Frage der Aufteilung des gemeinsamen Besitzes spielen traditionelle Vorstellungen eine wichtige Rolle. Oft haben Frauen es deshalb schwer die ihnen nach russischem Gesetz zustehenden Rechte auch in der Realität durchzusetzen (ÖB Moskau 10.2014).

Tschetschenische Behörden verlangen, dass Frauen in öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen. Im September 2014 warnte Kadyrow im Fernsehen, dass im Kampf gegen den nicht-traditionellen Islam, Frauen, die Kopftücher im "Wahabistenstil" tragen (Stirn und Kinn verdeckt) verhaftet würden (HRW 29.1.2015).

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischen Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv beschützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f).

Vergewaltigung:

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).

Muslimische Hochzeit:

Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art - durch einen Imam - die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, S. 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, S. 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, S. 25).

Waisenhäuser:

Wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben, nachdem beide Eltern verstorben sind, sorgt der Tradition zufolge die Familie ihres Vaters für sie. Wenn die Großeltern nicht für die Kinder sorgen können, werden sie in die Obhut der Familie ihrer Mutter übergeben. Wenn es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, kommen sie in ein Waisenhaus. In Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus setzen Familien alles daran, um zu vermeiden, dass Kinder in ein Waisenhaus kommen. Es ist nicht üblich, Kinder in Waisenhäuser zu bringen, und normalerweise leben in Waisenhäusern nur Kinder, die ihre gesamte Familie verloren haben. Im Allgemeinen vertreten Behörden die Auffassung, dass es in Tschetschenien keine Waisenhäuser geben sollte, da es Aufgabe der Familie ist, für die Kinder zu sorgen. 2009 ordnete Präsident Kadyrow an, dass alle Waisenhäuser in Tschetschenien geschlossen werden und die Kinder wieder zu ihren Verwandten zurückkehren sollten. Nach Auskunft eines Vertreters einer internationalen Organisation im Nordkaukasus lag dieser Initiative von Kadyrow der Wunsch zugrunde, deutlich zu machen, dass Familien einen starken Verbund darstellen und sie für sich selbst sorgen können. Nur wenige wollten jedoch entfernte Verwandte zu sich nehmen, zu denen sie kaum Kontakt hatten. Aufgrund des Wohnungsmangels und finanzieller Zwänge waren die Menschen nicht bereit, noch ein weiteres Mitglied in ihren Haushalt aufzunehmen und zu unterstützen. Kadyrow möchte den Eindruck vermitteln, dass die familiären Bande noch genauso stark sind wie früher, doch ist dies nach Angaben der Organisation nicht der Fall. Landinfo hat keinen Überblick über die Zahl der Waisenhäuser in Tschetschenien, doch nach Angaben eines tschetschenischen Rechtsanwalts gibt es eines in Grosny, ein weiteres im Bezirk Nadteretschny. Laut einer NGO in Moskau gibt es in Tschetschenien fünf oder sechs Waisenhäuser. In dem größten sind 200-300 Kinder untergebracht. Waisenhäuser sind öffentliche Einrichtungen (EASO 6.2014a, S. 31).

Quellen:

Mutterschaftskapital und Kindergeld

Laut einem am 1.1.2007 erlassenen Gesetz erhalten russische Frauen, die zwei oder mehr Kinder haben, vom Staat eine Einmalzahlung (2014 liegt diese bei RUB 429.408,50 (USD 12.520)), die bei einer Bank hinterlegt werden. Das zweite oder weitere Kind muss nach dem 1.1.2007 geboren worden sein. Dieses Geld nennt sich "Mutterschafts-Kapital" und wird auf einem speziellen Bankkonto hinterlegt, für das den Frauen ein Zertifikat ausgehändigt wird, das ihren Anspruch auf das Kapital bestätigt. Auf dieses Geld, das grundsätzlich nicht bar ausgezahlt wird, kann erst zugegriffen werden, wenn das Kind 3 Jahre alt ist (d.h. Frauen, die das Kapital im Januar 2007 erhalten, haben erst im Januar 2010 Zugriff darauf). Der hinterlegte Betrag darf nicht in bar ausgezahlt werden, sondern nur zu Investitionszwecken dienen, z.B. der Verbesserung der familiären Wohnverhältnisse, der Ausbildung der Kinder oder der Rente der Mutter. Diese Beihilfe erhält die Frau nur einmalig, auch wenn sie mehrere Kinder hat. Zurzeit läuft das Projekt bis 2016. Seit dem 1.1.2009 kann dieses Mutterschaftsgeld, unabhängig vom Alter des Kindes, auch zur Hypothekentilgung herangezogen werden (IOM 6.2014; vgl. Pension Fund o.D., MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014).

Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).

Quellen:

LGBTI

Homosexualität ist in Russland kein Straftatbestand. Nachdem bereits auf lokaler Ebene (so St. Petersburg, Nowosibirsk, Ryazan, Archangelsk und Kostroma) ähnliche Gesetze angenommen worden waren, trat mit Anfang Juli 2013 auch auf föderaler Ebene ein Gesetz zum Verbot der Propaganda von Homosexualität und "nicht traditionellen sexuellen Beziehungen" in Kraft. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen von 4.000-5.000 Rubel (100-125 Euro) für natürliche Personen und bis zu 1 Mio. Rubel (25.000 Euro) für juristische Personen und Organisationen vor, wenn diese Informationen verbreiten, welche "nicht-traditionelle" sexuelle Orientierungen bei Minderjährigen fördern oder solche Orientierungen positiv darstellen würden. Medien, die über Homosexualität berichten, können für drei Monate geschlossen werden. Ausländischen Staatsbürgern, die gegen das Gesetz verstoßen, droht zudem die Ausweisung aus Russland. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass das Gesetz in der Praxis zur Unterbindung jeglicher öffentlicher Veranstaltung der LGBT-Gemeinschaft, wie etwa Straßenparaden, führt. Zudem zeigt sich in der Aktivität von homophoben Gruppen geringe gesellschaftliche Akzeptanz. Fehlender Schutz durch Polizei und gesellschaftliche Tabuisierung machen Homosexuelle zu leichten Opfern von Verbrechen. Die "Gayparade" der russischen Homosexuellenbewegung war in der Vergangenheit von Gewaltexzessen rechtsradikaler und ultraorthodoxer Gegendemonstranten überschattet. "Gayparaden" werden von der Moskauer Stadtverwaltung regelmäßig untersagt, Aktivisten die sich dem Verbot widersetzen verhaftet (ÖB Moskau 10.2014).

Die Behörden nahmen Angehörige sexueller Minderheiten ins Visier und beriefen sich dabei u.a. auf das 2013 in Kraft getretene Gesetz, das "Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen" unter Strafe stellt. Aktivisten, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LGBTI) einsetzten, wurden konsequent daran gehindert, friedliche Versammlungen abzuhalten, selbst an Orten, die eigens für öffentliche Zusammenkünfte ohne vorherige Anmeldung vorgesehen waren, wie z.B. kaum besuchte Parks. In drei Fällen, bei denen die Veranstaltungen zunächst verboten worden waren, bestätigten Gerichte zwar das Recht der LGBTI-Aktivisten auf friedliche Versammlung; die Urteile hatten jedoch keine Präzedenzwirkung (AI 25.2.2015).

Gegen LGBTI-Personen eingestellte Gruppen attackierten diese und die Behörden unternahmen zwar einige isolierte Untersuchungen, jedoch versagten sie homophobe und transphobe Gewalt zu verfolgen (HRW 29.1.2015).

Quellen:

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung sind gesetzlich gewährleistet und gelten für alle Staatsbürger der Russischen Föderation einschließlich, Tschetschenen, Dagestaner, Inguschen etc. Alle erwachsenen Staatsbürger müssen bei Inlandsreisen behördlich ausgestellte "Inlandspässe" mit sich führen und müssen sich nach ihrer Ankunft bei den lokalen Behörden registrieren. Personen ohne Inlandspass oder ohne ordentliche Registrierung werden von Behörden oft staatliche Dienste verwehrt. Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein. Personen mit dunklerer Hautfarbe aus dem Kaukasus oder afrikanischer oder asiatischer Herkunft werden oft zur Überprüfung ihrer Dokumente herausgegriffen. Es gab glaubhafte Berichte, dass die Polizei nicht registrierte Personen willkürlich und über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus strafte oder Bestechungsgelder verlangte (US DOS 27.2.2014, vgl. AA Bericht 10.6.2013, FH 28.1.2015).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 10.6.2013).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vgl. AA 10.6.2013).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Volgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Volgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Volgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Volgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Volgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien:

Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Gemäß SOVA gab es seit 2008 einen Rückgang rassistisch motivierter Übergriffe. 2008 fielen 116 Personen rassistisch motivierten Morden zum Opfer, 2011 waren es 23. 2007 hatte es 623 Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe gegeben, 2011 waren es 183. Die meisten Opfer stammten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus lagen bei den Opferzahlen an zweiter Stelle. Wenngleich die Berichterstattung über solche Verbrechen lückenhaft ist, kann dennoch aufgrund der von der Organisation gesammelten Information von einem tatsächlichen Rückgang von Hassverbrechen ausgegangen werden. Der Rückgang der Zahlen liegt gemäß SOVA daran, dass der Druck der Behörden auf Neonazi-Gruppen erhöht wurde und dass diese Gruppen nunmehr eher auf politischer Ebene partizipieren. 2011 wurden 189 Personen für gewalttätige Hassverbrechen verurteilt (2010: 297, 2009: 130). Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS 8.2012).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

Gefälschte Dokumente

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung entsprach zuletzt 75,7 Millionen Menschen bzw. etwa 53% der Gesamtbevölkerung des Landes. Der vorwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung ist in großen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, die nicht dem Kleinunternehmertum zugerechnet werden. Das höchste monatliche Durchschnittseinkommen wird in Moskau (RUB 58.400 / USD 1702) und in den erdöl-und erdgasfördernden autonomen Gebieten registriert: in Nenetz und Jamalo-Nenetz (RUB 64.600 / USD 1884), Autonomes Gebiet Chanty-Mansijskij (RUB 55.400 / USD 1615), die Republik Sacha (Jakutien) (RUB 45600 / USD 1330), die autonome Region der Tschuktschen (RUB 50.800 / USD 1481, Sankt Petersburg (40.500 RUB / USD 1180) und die Region Moskau (35.700 RUB / 1040 USD). Die niedrigsten Durchschnittseinkommen werden in den südlichen Bundes-Distrikten (einschließlich Adygea, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karachaevo-Tscherkessien, Nord-Ossetien-Alania, Tschetschenien und Stavropol Krai etc.) verzeichnet (17.900 / USD 522) (IOM 6.2014).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 62 in 2015. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum 2014. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an (GIZ 2.2015b).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80 % von Moskau finanziert (GIZ 3.2015a).

Mit der Schaffung des "Nord-Kaukasus Distrikts", der Annahme eines umfangreichen Programmes für die sozioökonomische Entwicklung und der Betrauung von Wirtschaftsfachleuten mit hohen politischen Funktionen in der Region verfolgt Moskau seit Anfang 2010 einen umfassenderen Ansatz zur Stabilisierung der nordkaukasischen Republiken. Anstatt den Fokus auf Sicherheitsaspekte im engeren Sinn zu legen und die nordkaukasischen Republiken durch Transferzahlungen in finanzieller Abhängigkeit zu halten, gehen die geplanten Maßnahmen in Richtung einer strukturellen und nachhaltigeren Konsolidierung. Der damalige PM Putin hat am 6.9.2010 eine Strategie zur Entwicklung des Nordkaukasus bis 2025 signiert. Die Strategie kombiniert föderale Programme und private Geschäftsprojekte und soll bis zu 400.000 Arbeitsplätze schaffen. Im Wirtschaftsbereich sollen vor allem die Bau-, die Energie-, die Agrar- und die Tourismusbranche gefördert werden. Insgesamt wurden Projekte mit dem Gesamtwert von 600 Mrd. Rubel (ca. 15 Mrd. Euro) gebilligt. Als Teil dieses Programmes wurden im Rahmen einer Sitzung der Kommission für sozio-ökonomische Entwicklung im Nordkaukasus Anfang Mai 2011 von der russ. Regierung 30 vorrangige Investitionsprojekte für die Region ausgewählt. Für diese sollen 145 Mrd. Rubel (3,5 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt werden. Am 12.5.2014 wurde der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk, Alexander Chloponin, durch den bisherigen Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikow, ersetzt. Experten werteten diese Personalrochade als Stärkung der Sicherheitsstrukturen in den Beziehungen zur Region. Darüber hinaus wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen. Dieses wird vom früheren Gouverneur der Region Krasnojarsk Lew Kuznetsow geführt und soll sich v.a. mit wirtschaftlichen Fragen und der Verteilung von Budgetmitteln befassen. Die Situation im Nordkaukasus bleibt in bestimmten Gebieten angespannt. Dies ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: niedriger Grad wirtschaftlicher Entwicklung, verlorenes Vertrauen in die Politik Moskaus sowie ethnische Rivalitäten. Hinzu kommen noch regional spezifische Strukturen und Probleme. Im Nordkaukasus herrscht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zwischen russischen Truppen, kremltreuen lokalen Einheiten, islamistischen Rebellen und kriminellen Banden. Russische Menschenrechtler beklagen, dass die Staatsmacht im Nordkaukasus schwach ist und alle möglichen Gruppierungen in dieses Vakuum vorstoßen (ÖB Moskau 10.2014).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen:

dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau. Renten- und Krankenversicherungsbeiträge wurden 2011 angehoben (GIZ 2.2015c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

Renten

In der Russischen Föderation leben 37,8 Millionen Rentner (28% der Gesamtbevölkerung). Ihr hauptsächliches Einkommen besteht in einer Altersrente. Alle russischen Staatsbürger, die in Besitz einer Rentenversicherung sind, haben einen staatlich garantierten Anspruch auf den Erhalt einer Rente. Es gibt verschiedene Rentenformen:

Die derzeitige Rente besteht aus einem Basisanteil von 3.910,34 RUB/Monat (ca. 115 USD). Für Rentner, die älter als 80 Jahre sind, in den nördlichen Regionen Russlands gearbeitet haben und einige andere Kategorien gibt es einen etwas erhöhten Basisanteil. Zusätzlich gibt es auch einen Versicherungsanteil und einen Akkumulationsanteil. In manchen Regionen, die über ausreichende Finanzmittel verfügen, gibt es zusätzliche Unterstützung, so z.B. in Moskau. Manche Regionen bieten in Form von Dienstleistungen zusätzliche Hilfe an (z.B. kostenfreie Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort, Steuervergünstigungen, Vergünstigungen auf Medikamente sowie medizinische und orthopädische Dienstleistungen und anderes). Im Regelfall entrichten die Arbeitgeber den Beitrag an die Rentenversicherung für den jeweiligen Arbeitnehmer. Die Höhe des o. g. Basisanteils und des Versicherungsanteils wird staatlich festgelegt; der Akkumulationsanteil obliegt der Kontrolle durch den Rentenversicherten. Der Akkumulationsanteil wurde im Jahr 2002 eingeführt und spielt lediglich für Staatsbürger eine Rolle, die 1967 oder später geboren wurden. Am 1. April 2014 betrug die durchschnittliche Altersrente 11.600 RUB (ca. 388 USD) in ganz Russland. Eine Altersrente kann gewährt werden, wenn die betreffende Person mindestens 5 Jahre durchgehend versicherungspflichtig gearbeitet hat (IOM 6.2014).

Wohnungswesen

Die Wohnsituation in der Russischen Föderation ist im Allgemeinen als schwierig zu bezeichnen. Die durchschnittliche Wohnfläche in einem Haus oder einer Wohnung liegt bei 19-20 m² pro Person (2-3mal weniger als in entwickelten europäischen Ländern). Diese Art der Unterkunft steht Statistiken zufolge jedoch weniger als 50% der Bevölkerung zur Verfügung. 2,5 Millionen Familien warten gegenwärtig auf eine staatliche Unterbringung in neuen größeren Unterkünften. Es wird darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten bis zum Erhalt einer Unterkunft im Rahmen eines Sozialprogramms bei 15-20 Jahren liegen können. Anspruchsberechtigt sind Personen mit bestimmten Erkrankungen, Personen, die auf weniger als 10m² leben (die Größe kann von Region zu Region variieren), Familien mit 4 und mehr Kindern etc. (IOM 6.2014).

In der Russischen Föderation wird die Idee des Sozialwohnungswesens verfolgt:

Aufgrund schnell steigender Wohnraumpreise hat die breite Öffentlichkeit Schwierigkeiten, die Kosten mit dem durchschnittlichen Einkommen zu decken. Je nach Region variieren die Wohnraumpreise erheblich. Die teuerste Region ist die Stadt Moskau, gefolgt von St. Petersburg, Jekaterinburg, Sotschi und weiteren Städten mit gutem Wirtschaftsklima und guten Arbeitsmöglichkeiten (IOM 6.2014).

Arbeitslosigkeit

Jeder Arbeitslose (außer Schülern, Studenten und Rentnern) kann einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellen. Um die Arbeitslosenhilfe zu erhalten, müssen russische Staatsbürger bei den Beschäftigungszentren des Bundesarbeits- und Beschäftigtendienstes ("Rostrud") an ihrem Wohnort (entsprechend dem Meldestempel im Pass) gemeldet sein. Die Arbeitsagentur wird dem Arbeitsuchenden innerhalb von 10 Tagen nach der Übermittlung seiner Dokumente entsprechende Stellen anbieten. Nimmt der Arbeitsuchende keine der angebotenen Stellen an, erhält er den Arbeitslosen-Status und die Arbeitslosenhilfe wird für ihn berechnet. Die Beihilfe wird auf Basis des Durchschnitts-Einkommens berechnet, das die Person während der letzten Beschäftigung bezogen hat; die Beihilfe ist jedoch begrenzt durch ein Minimum und ein Maximum, das durch die Russische Gesetzgebung festgelegt wurde. Seit 2009 liegt die minimale Beihilfe bei RUB 850 (25 USD) im Monat und das Maximum bei RUB 4.900 (143 USD). Die Beihilfe wird monatlich gezahlt, vom ersten Tag der offiziellen Anerkennung der Arbeitslosigkeit (IOM 6.2014).

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken:

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 2.2015c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In die Modernisierung des Gesundheitswesens werden erhebliche Geldmittel investiert. Ziel ist es, die staatliche Gesundheitsversorgung technisch und verwaltungsmäßig so effizient zu machen, dass sie ab 2015 weitgehend durch die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden kann (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 1.4.2015b).

Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2014).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit 7 föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und 12 Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 2.2015c).

Quellen:

Tschetschenien

Angaben liegen nur für die tschetschenische Hauptstadt vor: Im Rahmen der Durchführung des vorrangigen nationalen Projekts "Gesundheitswesen" finden in fast allen medizinischen Einrichtungen der im Krieg zerstörten Stadt Grosny Wiederaufbauarbeiten statt. Bereits 27 medizinische Einrichtungen sind wieder an die Wasserversorgung angeschlossen. Renovierungs- und Bauarbeiten werden in den städtischen Krankenhäusern Nr.1 und Nr.5, in dem Kinderheim Nr.1, in dem Kinderkrankenhaus Nr.2, im Geburtskrankenhaus Nr.2 und den Kinderpolykliniken Nr.1 und Nr. 5 durchgeführt. Aus Mitteln des republikanischen Haushalts werden die Wiederaufbaumaßnahmen im Klinischen Krankenhaus Nr.3 und in den Polykliniken Nr.1, 3, 4 und 5 finanziert (IOM 6.2014).

Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch, aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012). Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Natürlich ist die Gesundheitsversorgung noch nicht auf europäischem Niveau, aber es wird intensiv daran gearbeitet, zumindest die Standards der Russischen Föderation zu erreichen. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.6 Medikamente). Auf die faktische Zuzahlung durch die Patienten muss hingewiesen werden (AA 11.2014a).

Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen und folgende Quellen: AA Bericht 10.6.2013, US DOS 27.2.2014, FH 28.1.2015). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten PTBS

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (International SOS 7.11.2014). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (International SOS 11.3.2015) und Dagestan z.B. im Republican Psychiatric Dispancery, Shota Rustaveli Str. 57B, Machatschkala (International SOS 12.1.2012).

In der Republik Inguschetien gibt es keine psychiatrischen Kliniken (mit Betten). Es gibt aber eine psychoneurologische Poliklinik in Nazran, wo die Registrierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen begrenzt ist. In der Regel gibt es an den örtlichen Polikliniken nur wenige Psychologen / Psychiater. Die Qualität der Dienstleistungen wird als zweifelhaft beschrieben. Junge qualifizierte Ärzte wollen in der Psychiatrie aufgrund der niedrigen Löhne nicht praktizieren und wählen deshalb besser bezahlte Arbeitsplätze. Aufgrund dessen werden die Patienten von älteren Ärzten mit veraltetem, bzw. überholtem Wissen behandelt (Landinfo 26.6.2012).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

HIV/AIDS und Hepatitis C sind in der Russischen Föderation behandelbar, beispielsweise im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment, 179, Naberezhnaya Obvodnogo kanala/12, Bumazhnaya str. in St. Petersburg (International SOS 27.5.2014). In Moskau ist HIV/AIDS z.B. im Infectious Hospital # 2, 15, 8th Street of Sokolinoy Gori behandelbar (International SOS 11.2.2014). Multiresistente Tuberkulose ist beispielsweise im Central Research Institute of Tuberculosis, 2 Yauzskaya Alleya in Moskau behandelbar (International SOS 11.2.2014).

Quellen:

Medikamente

Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt:

a) In ambulanten Kliniken, städtischen und Gebietskrankenhäusern sowie im Falle einer Behandlung zu Hause, auf Kosten des Patienten; ausgenommen sind Personen, die einer der Kategorien angehören, die einen Anspruch auf staatlich finanzierte Medikamente haben.

b) In 24-Stunden-Krankenhäusern und Tageskliniken werden die Ausgaben von der staatlichen Krankenversicherung (OMS) und den lokalen Budgets gedeckt. Dies bedeutet, dass Medikamente kostenlos an entsprechend pflichtversicherte Patienten herausgegeben werden.

c) im Rahmen einer Notfallversorgung sind die benötigten Medikamente kostenlos; nicht nur innerhalb einer Klinik, sondern auch außerhalb (IOM 6.2014).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3 Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung (IOM 6.2014). Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 40 (ca. 1,28 USD) und 180 RUB (ca. 5,80 USD) (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rück zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grosny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern (freiwilligen Rückkehrern und Abgeschobenen) wird darauf hingewiesen, dass die der Botschaft vorliegenden Informationen sich in erster Linie auf Rückkehrer nach Tschetschenien beziehen. Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen (ÖB Moskau 10.2014). Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden (AA 10.6.2013).

Quellen:

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht (AA 10.6.2013).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

Die Identität der Antragstellerin konnte mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten mit Lichtbild nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit und zur Volksgruppenzugehörigkeit ist angesichts ihrer Sprach- und Ortskenntnisse plausibel.

Das Datum der Antragstellungen und die Ausführungen zum bisherigen Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützten sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Das erkennende Gericht kommt nach gesamtheitlicher Würdigung und insbesondere aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zu dem Ergebnis, dass der von der Antragstellerin angegebene Fluchtgrund wegen mangelnder Plausibilität nicht den Tatsachen entspricht. Insbesondere kann vom erkennenden Gericht kaum nachvollzogen werden bzw erscheint es äußerst lebensfremd, dass die Antragstellerin wegen ihres Schwagers seit bereits 14 Jahren im Heimatland durch Behörden befragt und mitgenommen werden soll, dies obwohl ihr Schwager auch bereits für tot erklärt wurde. Auch abseits davon kamen im Verfahren Ungereimtheiten und Widersprüche zustande, die die Antragstellerin trotz expliziten Nachfragens nicht nachvollziehbar aufzuklären vermochte.

Zunächst ist festzuhalten, dass es bereits nicht für die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin spricht, dass diese im bisherigen Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz unter Verwendung von verschiedenen Alias-Identitäten in Erscheinung getreten ist. Hieraus ist entnehmbar, dass die Antragstellerin im Laufe des Verfahrens wiederholt versucht hat, ihre wahre Identität und Herkunft zu verschleiern, was zwingend negative Auswirkungen auf die Einschätzung ihrer inhaltlichen Angaben zu ihren Fluchtgründen zur Folge hat. Es ergibt sich daraus nämlich bereits eindeutig die Bereitschaft der Antragstellerin, Falschangaben vor den Asylbehörden zu tätigen.

Auch die sonstigen Angaben der Antragstellerin vermochten den Voraussetzungen für die Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr nicht zu entsprechen.

So ist es für die erkennende Richterin in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb die Antragstellerin, obwohl diese geltend machte, bereits seit dem Jahr 2002 im Fokus von verschiedensten Behörden gestanden zu sein, bis zum Jahr 2011 gemeinsam mit ihrem damals noch minderjährigen Sohn in der Russischen Föderation verblieben ist. Wäre die Antragstellerin tatsächlich einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen und so wie sie ausführte regelmäßig mitgenommen, zusammengeschlagen und darüber hinaus jeweils zwei bis drei Tage festgehalten worden, hätte sie sicherlich anders gehandelt und wäre nicht noch neun Jahre im Herkunftsstaat verblieben.

Auch die nach den Angaben der Antragstellerin problemlose Reisepassausstellung durch tschetschenischen Behörden im Jahr 2011 deutet nach dem Dafürhalten der erkennenden Richterin nicht auf ein seitens dieser bestehendes reales und intensives Interesse an der Person der Antragstellerin hin.

Schon das Verhalten der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt und den Modalitäten der Ausreise legt daher den Verdacht nahe, dass es im Herkunftsstaat gar keine asylrelevanten Probleme gegeben hat.

Dass die Antragstellerin ihren Herkunftsstaat aus asylfremden Motiven verlassen hat, zeigt sich aus Sicht der erkennenden Richterin auch durch ihre Angaben im Zusammenhang mit der freiwilligen Rückkehr nach Tschetschenien im Jahr 2011: So ist es gänzlich unverständlich, weshalb, die Antragstellerin, die massive Probleme im Heimatland geltend machte, nach Tschetschenien zurückkehrte. Wäre die Antragstellerin tatsächlich einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen, hätte sie sicherlich anders gehandelt. Der Erklärungsversuch ("Ich bin nach hause gefahren, ich wollte dort Geld ausborgen. Bei uns Tschetschenen hilft man sich aus. Ich wollte irgendwo anderswohin fahren. Wenn ich nachgefragt werde, möglicherweise Frankreich") auf Vorhalt, dass ihre Angaben, wonach sie für eine Schleppung in die Heimat bezahlt haben sollte, obwohl sie im Heimatland einer Gefahr ausgesetzt sei, gänzlich unglaubwürdig sind, vermochte das erkennende Gericht in keiner Weise zu überzeugen. Damit konfrontiert, dass ihre Angaben über ihre angebliche Heimreise gänzlich unglaubwürdig sind und dazu aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, antwortete die Antragstellerin dann ausweichend: "Ich finde keinen Ausweg. Ich habe einen Sohn. Mein Mann schlägt mich." Auf neuerlichen Vorhalt ("Obwohl Ihr Mann Sie schlägt, fahren Sie nachhause?") vermochte die Antragstellerin die Unstimmigkeiten wiederum nicht auszuräumen, sondern führte aus: "Ich wusste nicht, was ich tun soll. Die Situation war aussichtslos, ich hatte Angst, dass ich in Polen ins Gefängnis kommen werde. Ich habe hier einen Sohn. Ich werde auf niemanden mehr hören." Schon das Verhalten der Antragstellerin im Zusammenhang mit der freiwilligen Rückkehr in den Herkunftsstaat legt daher den Verdacht nahe, dass es im Herkunftsstaat gar keine asylrelevanten Probleme gegeben hat. Für das erkennende Gericht ist es in keiner Weise verständlich, weshalb die Antragstellerin im Jahr 2012, nachdem ihr Asylverfahren aufgrund von der Zuständigkeit Polens in Österreich negativ entschieden wurde, einer Rückkehr in ihr Heimatland den Vorzug gab, dies obwohl sie in Polen ein Asylverfahren hätte durchlaufen und bei Vorliegen der Voraussetzungen Schutz erhalten können. Auch das unkooperative Verhalten der Antragstellerin, sie kam ihrer Meldepflicht im Rahmen des Gelinderen Mittels nicht mehr nach und tauchte unter, sodass der bereits gebuchte Flug wieder storniert werden musste, vermag nicht für die Antragstellerin zu sprechen.

Was die vorgebrachte häusliche Gewalt durch ihren Ehemann betrifft, so ist festzuhalten, dass auffällt, dass die Antragstellerin in ihrem Verfahren über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz im Jahr 2011 lediglich davon sprach, aufgrund der Probleme wegen ihres Schwagers und aufgrund des Umstandes, dass sie keine Chance gehabt habe, eine Arbeit zu finden, ausgereist zu sein und erst im Zuge der Erstbefragung am 17.08.2012 ihre Ausreise darauf stützte, dass ihr Sohn und sie durch ihren Ehemann "mehr als zuvor" geschlagen worden seien und sich ihr Sohn, der nun älter sei, gegen die Angriffe wehre. Wie bereits erläutert erscheinen diese Ausführungen schon unter dem Aspekt, dass die Antragstellerin im Jahr 2011 freiwillig in ihr Heimatland zurückkehrte, nicht plausibel. Die Antragstellerin brachte im nunmehrigen Verfahren vor, bereits etwa zwei bis drei Monate nach der Eheschließung im Jahr 2007 häuslicher Gewalt durch ihren Ehegatten ausgesetzt gewesen zu sein. Würde man den Angaben der Antragstellerin folgen, wonach ihr Sohn und sie bereits seit dem Jahr 2007 in derart massiver Weise durch ihren Ehegatten misshandelt worden seien, so erscheint es umso unverständlicher, dass sich die Antragstellerin im Jahr 2011 gemeinsam mit ihrem Sohn freiwillig nach Tschetschenien begab.

Insgesamt gelang es der Antragstellerin nicht, individuelle und konkrete Verfolgungsgründe glaubhaft zu machen. Die mangelnde Plausibilität der Angaben sowie die aufgezeigten Unstimmigkeiten in ihren Angaben erscheinen unverständlich und bekräftigen das erkennende Gericht in der Annahme, dass es sich beim Fluchtvorbringen lediglich um ein gedankliches Konstrukt zwecks Asylerlangung handelt. Es ist daher nicht glaubhaft, dass die Antragstellerin in ihrem Heimatland wohlbegründete Furcht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen hatte bzw sich eine solche zukünftig ergibt.

Angesichts der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens war auch nicht mehr näher auf die in der Stellungnahme vom 27.03.2015 erwähnten Youtube-Videos sowie auf den Bericht von Radio Free Europe einzugehen.

Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass die Antragstellerin Ladungen in Vorlage brachte, jedoch können diese Unterlagen zur Untermauerung ihres Fluchtvorbringens ebenfalls keinen Beitrag leisten und sind nicht geeignet, das unglaubwürdige Vorbringen der Antragstellerin zu unterstützen, zumal daraus nur hervorgeht, dass ihre Schwester und sie selbst als Zeuginnen bei einem Untersuchungsrichter erscheinen sollten. Abgesehen davon, dass der Name der Antragstellerin in den vorgelegten Ladungen völlig anders als von ihr im Verfahren angegeben geschrieben ist (XXXX), geht daraus in Widerspruch zu ihrem Vorbringen in der Einvernahme vom 14.05.2013 auch in keiner Weise hervor, dass sie des Deliktes des § 222 (ungesetzliches Tragen und Aufbewahren von Waffen) beschuldigt würde.

Es wird auch nicht verkannt, dass die Antragstellerin Fotos und einen medizinischen Befund aus dem Jahr 2010 aus dem Heimatland vorlegte, aus denen sich Prellungen, Gesichtshämatome und eine Gehirnerschütterung ergeben. Abgesehen davon, dass sich in dem vorgelegten Befund der Polyklinik aus dem Jahr 2010 keinerlei Informationen über den Unfallhergang finden, können die vorgelegten Unterlagen in Zusammenschau mit den zuvor aufgezeigten gravierenden Unplausibilitäten zur Untermauerung des Fluchtvorbringens der Antragstellerin ebenso keinen Beitrag leisten.

Auch aus der vorgelegten Bestätigung des Regionalen Gesellschaftlichen Fonds "Nizam" lässt sich für die Antragstellerin nichts gewinnen, zumal darin nur der von der Antragstellerin und ihrer Schwester geschilderte Sachverhalt wiedergegeben wird.

Was den von der Antragstellerin vorgelegten Internetauszug betrifft, so ist dazu anzumerken, dass das darin genannte Geburtsdatum (03.10.1980) weder mit jenem in der Bescheinigung über die Vaterschaftsfeststellung betreffend die Nichte der Antragstellerin (03.11.1980) noch mit jenem von der Schwester der Antragstellerin in der Einvernahme vom 14.05.2013 angegebenen Geburtsdatum (03.05.1980) übereinstimmt und darüber hinaus auch der Name anders geschrieben wurde (XXXX) als in der Bescheinigung über die Vaterschaftsfeststellung (XXXX). Insofern lässt sich daraus für die Antragstellerin nichts gewinnen.

Darüber hinaus bestünde für die Antragstellerin eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Den Länderfeststellungen zufolge ist die Bewegungsfreiheit in der Russischen Föderation für alle Staatsbürger, einschließlich Tschetschenen, gesetzlich gewährleistet. Laut UNHCR Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities und haben Tschetschenen denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsangehörigen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin als, so wie ihr Rechtsvertreter in der mündlichen Verhandlung angab, westlich gekleidete und arbeitsfähige Frau, die ihre gesamtes bisheriges Leben in der Russischen Föderation verbrachte, ihr Leben nicht durch Erwerbstätigkeit in anderen Teilen der Russischen Föderation bestreiten könnte. Auch wenn die Antragstellerin über keine Verwandten in anderen Teilen der Russischen Föderation verfügt, ist schon aufgrund des Zuganges zum Arbeitsmarkt (die Antragstellerin brachte vor, Friseurin zu sein und darüber hinaus ein Studium an der Wirtschaftsfakultät in Grosny abgeschlossen zu haben), der bestehenden Sozialleistungen in der Russischen Föderation und der Sprachkenntnisse der Antragstellerin nicht davon auszugehen, dass diese in eine aussichtslose Lage geriete. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass es in fast allen Regionen Russlands eine tschetschenische Gemeinschaft, auf deren Unterstützung "Neuankömmlinge" zurückgreifen könnten. (vgl dazu auch die hg Erkenntnisse vom 03.06.2015, Zl W112 1420241-2 und vom 23.03.2016, W196 1404010-2)

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß Artikel 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

gegen Weisungen gemäß Artikel 81a Abs 4.

Gemäß § 73 Abs 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

Im Falle der Änderung der Zuständigkeit während des Verfahrens beginnt die Entscheidungsfrist für die nunmehr zuständige Behörde mit dem Einlangen des Anbringens neu zu laufen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 RZ 65, mwH).

Wenn die Behörde auf Grund der besonderen Gegebenheiten eines Falles, auf den sie keinen Einfluss hat, nicht in der Lage ist, das Verfahren im vorgegeben Zeitraum abzuschließen, oder wenn die Behörde das Verfahren deshalb nicht vorantreiben konnte, weil eine Partei es unterlassen hat, die für die Weiterführung des Verfahrens notwendigen Handlungen zu setzen, kann es der Behörde nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie nicht binnen sechs Monaten entscheidet (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 RZ 124, mwH).

Gemäß § 8 Abs 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Ist die Säumnisbeschwerde zulässig und nicht abzuweisen, geht die Zuständigkeit zur Entscheidung auf das Verwaltungsgericht über (siehe Eder/Martschin/Schmid: Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, NWV 2013, K 28 zu § 28 VwGVG).

Ein überwiegendes Verschulden ist dann anzunehmen, wenn die Behörde nicht durch ein schuldhaftes Verhalten der Partei (vgl. VwGH 22.12.2010, 2009/06/134; VwGH 18.11.2003, 2003/05/0115) oder durch unüberwindliche Hindernisse von der Entscheidung abgehalten wurde (vgl. VwGH 26.09.2011, 2009/10/0266); etwa wenn die Behörde die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (vgl. VwGH 26.01.2012, 2008/07/0036). In der Abwägung des Verschuldens der Partei an der Verzögerung gegen jenes der Behörde genügt ein "überwiegendes" Verschulden der Behörde (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 8 VwGVG, Anm. 9, mwH.).

Wie sich aus den Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und aus dem oben dargestellten Verfahrensgang ergibt, hat die Behörde seit der Antragstellung am 16.08.2012 keinen Bescheid erlassen und hat somit gegen die sechsmonatige Entscheidungspflicht verstoßen.

Zu prüfen bleibt, ob die gegenständliche Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abzuweisen ist, weil die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesamtes zurückzuführen ist.

Aus dem Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2015 ergibt sich, dass eine Erledigung aufgrund organisatorischer Umgliederungen und personeller Engpässe derzeit nicht möglich sei. Es gehen daraus keine Umstände hervor, wonach die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen wäre. In diesem Zusammenhang ist weiters anzumerken, dass sich aus dem Akteninhalt auch nicht ergibt, dass die Ermittlungsverzögerung durch ein schuldhaftes Verhalten des Antragstellers oder durch unüberwindliche Hindernisse verursacht war.

Zum Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Beschwerde war daher die sechsmonatige Entscheidungsfrist gemäß § 8 Abs 1 VwGVG verstrichen, weshalb sich aufgrund der - unbestrittenen - Säumigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht als zulässig erweist.

Daraus folgt, dass der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht stattzugeben war und dass die Zuständigkeit hinsichtlich des Antrags des Antragstellers auf internationalen Schutz auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen ist und es in der Folge über diesen Antrag selbst zu entscheiden haben wird.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach einer Prognose zu erstellen ist. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl VwGH E 24.03.1999, Zl 98/01/0352).

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs 1 AsylG).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend dargestellt, kommt dem Vorbringen der Antragstellerin im gegenständlichen Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz keine Glaubwürdigkeit zu. Der Antragstellerin ist es aufgrund der zahlreichen Unplausibilitäten und des unglaubwürdigen Eindrucks in der mündlichen Beschwerdeverhandlung im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation kann nicht erkannt werden, dass der Antragstellerin im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohen würde.

Darüber hinaus bestünde für die Antragstellerin aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Der Antrag war somit aus den dargelegten Gründen gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 1), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 (Abschaffung der Todesstrafe) zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung nach § 7 zu verbinden (Abs 2 leg cit). Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (Abs 3 leg cit).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl VwGH 99/20/0573, 19.02.2004).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl VwGH 26.06.1997, Zl 95/18/1293 und 17.07.1997, Zl 97/18/0336).

Gemäß Art 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt.

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Für die Gewährung von Abschiebeschutz ist die maßgebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Verletzung der Menschenrechte gefordert. Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre, konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen genügen hingegen nicht.

Weder aus den Angaben der Antragstellerin noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eins Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl 2000/01/0443).

Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Russischen Föderation eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw allgemeine Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat im Sinne des § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unrechtmäßig erscheinen ließe. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnte.

Die Antragstellerin ist nach ihren eigenen Angaben Friseurin und hat darüber hinaus ein Studium an der Wirtschaftsfakultät in Grosny abgeschlossen. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es der Antragsteller in ihrem Heimatland nicht möglich wäre, eine Arbeit aufzunehmen und so für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Die Antragstellerin verbrachte den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Russischen Föderation, beherrscht die russische und tschetschenische Sprache und ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut.

Hinzu kommt, dass die Antragstellerin nach wie vor über familiäre Bezugspunkte im Heimatland verfügt. So wurde eine der beiden Schwestern der Antragstellerin ihren eigenen Angaben zufolge bereits in die Russische Föderation abgeschoben, nachdem deren Verfahren in Österreich negativ entschieden wurde. Die andere Schwester der Antragstellerin sowie ihre Nichte sind, nachdem ihre Verfahren mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag ebenfalls negativ erledigt wurden, gleichermaßen wie die Antragstellerin von Rückkehrentscheidungen betroffen. Auch ist angesichts des Umstandes, dass die Antragstellerin nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien im Jahr 2011 die Möglichkeit hatte, bei einer Bekannten in Grosny unterzukommen und sie auch in der mündlichen Verhandlung davon sprach, mit einer Freundin zu Hause in telefonischem Kontakt zu stehen, davon auszugehen, dass diese nach wie vor über ein soziales Netzwerk im Heimatland verfügt.

Was die von der Antragstellerin vorgelegten medizinischen Befunde betrifft, so ist entscheidungsgegenwärtig nicht zu erkennen, weshalb der Gesundheitszustand der Antragstellerin einer Überstellung in die Russische Föderation entgegenstehen sollte. Aus den vorgelegten Befunden ergibt sich, dass die Antragstellerin an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet und diesbezüglich Medikamente einnimmt. Aus den dem Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen ergibt sich klar, dass eine medizinische Grundversorgung in Tschetschenien flächendeckend gewährleistet ist und psychische Erkrankungen in mehreren Kliniken sowohl stationär als auch ambulant behandelt werden können. Was die Hepatitis-Erkrankung der Antragstellerin betrifft, so hat diese in der Einvernahme vom 14.05.2013 bereits selbst davon gesprochen, dass man ihr beim Roten Kreuz gesagt habe, dass ihre Hepatitis-Erkrankung bereits ausgeheilt sei. Auch legte die Antragstellerin keine aktuellen dem entgegenstehenden medizinischen Befunde vor, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin aktuell deshalb noch behandelt werden müsste.

Die Beurteilungskriterien des VfGH und EGMR bei Vorliegen von Krankheiten im Zusammenhang mit Art 3 EMRK gestalten sich wie folgt:

Im Fall D. v. the United Kingdom (EGMR 2.5.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997, 93) ging es um die Abschiebung eines an Aids im Endstadium erkrankten Staatsangehörigen von St. Kitts/Karibik, der bei der Einreise in das Vereinigte Königreich wegen Mitführens einer größeren Menge Kokain festgenommen und zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der EGMR entschied in diesem Fall, dass zwar die Abschiebung Kranker nicht schlechthin unzulässig sei. Es seien die Besonderheiten jedes Einzelfalls zu berücksichtigen. Im konkreten Fall befand sich der Beschwerdeführer im fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Krankheit, sodass eine Abschiebung nach St. Kitts den Beschwerdeführer einem realen Risiko aussetzen würde, unter äußerst schlimmen Umständen zu sterben. Der EGMR erkannte schließlich, dass unter diesen außergewöhnlichen Umständen eine Abschiebung als unmenschliche Behandlung iSd Art 3 EMRK zu werten sei.

Der EGMR sah die unmenschliche Behandlung in diesem Fall nicht bloß in der Krankheit des Beschwerdeführers, sondern in den besonderen Umständen, mit denen der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung konfrontiert wäre, nämlich im Risiko eines Todes unter qualvollen Umständen.

Im Fall Bensaid (EGMR 6.2.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001, 26), einer an Schizophrenie erkrankten Person, sah der EGMR in der Abschiebung nach Algerien keine Verletzung in Art 3 EMRK. Er bestätigte zwar die Ernsthaftigkeit des Krankheitszustandes, erklärte jedoch, dass die Möglichkeit einer Behandlung in Algerien grundsätzlich gegeben sei. Die Tatsache, dass die Umstände der Behandlung in Algerien weniger günstig seien, als im Vereinigten Königreich, sei im Hinblick auf Art 3 EMRK nicht entscheidend. Weiters sah der EGMR diesen Fall nicht mit dem unter Pkt. 2.1 dargestellten Fall D. v. the United Kingdom vergleichbar. Der EGMR stellte auf die "hohe Schwelle" des Art 3 EMRK ab, wenn die Zufügung von Leid nicht in die direkte Verantwortung eines Vertragsstaates falle.

Ebenso wenig erkannte der EGMR im Fall Ndangoya (EGMR 22.6.2004, Appl. 17.868/03) eine Verletzung in Art 3 EMRK durch die Abschiebung einer mit HIV infizierten, noch nicht an Aids erkrankten Person. Der EGMR stellte fest, dass AIDS ohne Behandlung in etwa ein bis zwei Jahren ausbrechen dürfte, dass aber eine medizinische Behandlung im Herkunftsland (Tanzania) möglich sei. Dann fährt der EGMR fort, dass es wahr sei, dass eine Behandlung im Herkunftsland, - insbesondere an dem Ort, wo der Erkrankte leben wolle, - wahrscheinlich schwer zu erlangen sei, das Gericht habe aber anzumerken, dass es dem Asylwerber frei stehe, sich an einem Platz niederzulassen, an dem medizinische Versorgung gewährleistet sei.

Dem Fall Salkic and others (EGMR 29.6.2004, Appl. 7702/04) lag ein Sachverhalt zu Grunde, nach dem den Eltern nach ihrer Einreise in Schweden im Jahr 2002 ein posttraumatisches Belastungssyndrom diagnostiziert wurde und ein Gutachten dem 14 Jahre alten Sohn und der 8 Jahre alten Tochter ein sehr schweres Trauma attestierte. Der EGMR sah in der Abschiebung der Familie unter Verweis auf den o.a. Fall D. v. the United Kingdom keine Verletzung in Art 3 EMRK. Der EGMR merkte dazu an, das er die Ernsthaftigkeit des Gesundheitszustandes insbesondere in Anbetracht der Kinder anerkenne. Angesichts des hohen Schwellenwertes betreffend eines Eingriffes in Art 3 EMRK seien diese geforderten außergewöhnlichen Umstände, welche eine Verantwortlichkeit des Vertragsstaates auslösen würden, nicht hervorgetreten.

Auch im Fall Ovdienko (EGMR 31.5.2005, Appl. 1383/04) lag nach der Entscheidung des EGMR keine Verletzung von Art 3 EMRK durch die Zurückschiebung einer an einem posttraumatischen Stresssyndrom und an Depressionen leidenden Person vor. Diese hatte sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden, war selbstmordgefährdet und wurde teilweise in einer geschlossenen psychiatrischen Krankenanstalt behandelt. Der EGMR begründete seine Entscheidung neuerlich damit, dass der Beschwerdeführer nicht an einer unheilbaren Krankheit im Endstadium leide und verwies auf seine Entscheidung im Fall D. v. the United Kingdom.

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. Mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine bilde im Hinblick auf den hohen Eingriffsschwellenwert ("high treshold")kein ausreichendes "real risk" einer Verletzung von Art 3 EMRK.

Auch im Fall Hukic (EGMR 29.9.2005, Appl. 17.416/05) sah der EGMR die Abschiebung einer am Down-Syndrom leidenden Person nach Bosnien-Herzegowina nicht als Verletzung von Art 3 EMRK. Er führte aus, dass es in Bosnien-Herzegowina Behandlungsmöglichkeiten gebe. Selbst wenn diese nicht denselben Standard wie in Schweden aufwiesen, nicht so leicht zu erhalten und kostenintensiver seien, würde eine Abschiebung nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Art 3 EMRK führen.

Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms, diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.

Im Fall Ayegh (EGMR 7.11.2006, Appl. 4701/05) gegen Schweden drohte einem Beschwerdeführer, dem in zwei Gutachten eine schwere Traumatisierung, Depressionen, Angstzustände und die Gefahr, Selbstmord zu begehen, attestiert wurden, die Abschiebung in den Iran. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für den Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand. Der EGMR begründete seine Entscheidung, die Beschwerde für unzulässig zu erklären, damit, dass schlechtere Behandlungsmöglichkeiten im Iran kein Abschiebehindernis seien und dass auch die Selbstmorddrohung für den Fall der Ausweisung den Staat nicht daran hindere, die Abschiebung zu vollziehen, vorausgesetzt, dass konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des angedrohten Selbstmordes vom Staat ergriffen werden.

Die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Russland im Fall Goncharova & Alekseytsev gegen Schweden (EGMR 3.5.2007, Appl. 31.246/06) erkannte der EGMR nicht als Verletzung in Art 3 EMRK, obwohl der Zweitbeschwerdeführer schwer psychisch krank (von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt) war, bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich und gedroht hatte, sich im Falle der Abschiebung umzubringen. Der EGMR begründete seine Entscheidung erneut - unter Zitierung der Entscheidung D. v. United Kingdom - damit, dass nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände Art3 EMRK verletzt sein könnte. Der Zweitbeschwerdeführer sei jedoch nicht in einer geschlossenen Anstalt gewesen und habe auch nicht ständigen Kontakt mit einem Psychiater gehabt. Auch die Drohung, im Falle der Abschiebung Selbstmord zu begehen, hindere den Vertragsstaat nicht daran, die Abschiebung zu veranlassen. Auch diese Beschwerde wies der EGMR damit mit Hinweis auf Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat und Ausführungen, wonach ein Vertragsstaat nicht gehalten ist, im Falle von Selbstmorddrohungen von einer Abschiebung Abstand zu nehmen, zurück.

Der EGMR hat sich am 27.05.2008 in der Entscheidung N. gg. Vereinigtes Königreich, Appl. 26565/05 wiederum - aus Anlass einer Beschwerde einer an Aids im fortgeschrittenen Stadium erkrankten Beschwerdeführerin - mit der Frage beschäftigt, ob Gesundheitsgefahren ein Abschiebungsverbot nach Art 3 EMRK begründen. Darin führte der EGMR aus, dass er bis zu dieser Entscheidung lediglich einmal (D. gg. Vereinigtes Königreich, 02.05.1997, Nr. 30240/96) eine Verletzung des Art 3 EMRK im Zusammenhang mit der Ausweisung einer Person in einen Staat, in dem ihr nicht die gleiche medizinische Versorgung zur Verfügung stehen würde, festgestellt hat. Dies im Zusammenhang mit einer sehr schweren Aids-Erkrankung, fehlenden familiären Bindungen und damit zusammenhängenden Versorgungsmöglichkeiten im Heimatstaat und starken Bindungen zum Aufenthaltsstaat.

Im diesem Fall N. gg. Vereinigtes Königreich führte der EGMR aus, dass es gemäß ständiger Rechtsprechung - abgesehen von außerordentlichen Umständen - keinen Eingriff in die durch Artikel 3 EMRK garantierten Rechte darstellt, wenn mit der Ausweisung merklich schwierigere Lebensumstände und eine reduzierte Lebenserwartung verbunden sind. Weiters legte der EGMR dar, dass obwohl viele der in der Konvention enthaltenen Rechte zwar wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben, diese jedoch im Wesentlichen bürgerliche und politische Rechte schützt und es keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten gibt, die schlechtere Gesundheitsvorsorge in den Zielstaaten der Abschiebung für Ausländer auszugleichen, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.

Der EGMR stellte in dem konkreten Fall darauf ab, dass die Beschwerdeführerin reisefähig war und dass ihr Zustand solange stabil bleiben würde, wie sie die notwendige Grundbehandlung erhalten würde. Auch wenn die Beschwerdeführerin bereits neun Jahre behandelt worden ist, gibt es gemäß dem EGMR keine Verpflichtung, dass die Behandlung weiterzuführen ist. Dem stand für den EGMR auch nicht entgegen, dass die im entschiedenen Fall konkret benötigte Behandlung in Uganda nur ca. der Hälfte der an AIDS erkrankten Personen erteilt werden konnte und dass die Einschätzung der Situation der Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr bis zu einem gewissen Grad auf Spekulationen beruhte. Unter diesen Prämissen nahm der Gerichtshof an, dass keine Verletzung des Art 3 EMRK durch die Abschiebung vorlag.

In der Beschwerdesache AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04, stellte der EGMR fest, dass in Togo eine grundsätzliche adäquate Behandlung der noch nicht ausgebrochenen AIDS-Erkrankung - wenn auch unter erheblichen Kosten - gegeben ist und erklärte die Behauptung der Verletzung von Art 3 EMRK durch die Ausweisung des Beschwerdeführers für offenkundig haltlos.

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

Derartige außergewöhnliche Umstände im oben dargestellten Sinn sind im Falle der Antragstellerin nicht gegeben, zumal - wie bereits ausgeführt - nicht davon ausgegangen werden kann, dass die medizinische Versorgungslage in der Russischen Föderation in einem Maße gestaltet ist, dass die bei der Antragstellerin vorliegende Beeinträchtigung nicht behandelt werden könnten.

Der Umstand, dass die - im gegenständlichen Fall vorhandenen - medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland allenfalls nicht den gleichen Standard haben mögen wie in Österreich und allfälligerweise Kosten verursachen, ist im Lichte der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMRK nicht ausschlaggebend.

Zusammenfassend ist nochmals festzuhalten, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art 3 EMRK.

Auf Grundlage der oben dargestellten Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR und des damit einhergehenden Beurteilungsmaßstabes gelangt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass der gegenständliche Fall nicht mit dem Fall D. v. the United Kingdom - in welchem die unmenschliche Behandlung nicht bloß darin zu sehen war, dass sich der Beschwerdeführer in den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit befand, sondern in den besonderen Umständen, mit denen der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung konfrontiert gewesen wäre, nämlich im Risiko eines Todes unter qualvollen Umständen ohne jegliche Aussicht auf medizinische Behandlung oder familiäre Begleitung - vergleichbar ist.

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen, handelt es sich im Lichte der dargestellten Judikatur bei den Erkrankungen der Antragstellerin nicht um dermaßen schwere, akut lebensbedrohliche und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbare Erkrankungen, die zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art 3 EMRK führen könnten.

Sonstige außergewöhnliche Umstände, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten, sind im gegenständlichen Verfahren weder hervorgetreten, noch wurde ein derartiges Abschiebehindernis vorgebracht.

Es ergibt sich somit kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung der Antragstellerin in die Russische Föderation zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Abs 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Gemäß § 10 Abs 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegt.

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß § 52 Abs 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 46 Abs 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Die Verhältnismäßigkeit der Abschiebung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung des Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Die Antragstellerin ist Mutter des XXXX, geboren am XXXX, welcher mit ihr einreiste und ebenfalls am 16.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet stellte. Der Sohn der Antragstellerin ist mittlerweile volljährig.

Wie bereits weiter oben ausgeführt, reicht unter Volljährigen das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft nicht, um ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK zu begründen; vielmehr wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt. Darüber hinaus müssen noch zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen.

Ein solches spezielles Nahe- bzw Abhängigkeitsverhältnis der Antragstellerin zu ihrem in Österreich aufhältigen Sohn, welches eine im Lichte der Rechtsprechung des EGMR ausreichende Beziehungsintensität begründen würde und im konkreten Einzelfall auch höher zu bewerten wäre, als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Sohn der Antragstellerin wurde mit Erkenntnis des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.03.2015, rechtskräftig am 30.03.2015, wegen Raubes nach § 142 Abs 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten, Probezeit drei Jahre, (als junger Erwachsenere) verurteilt. Von 13.02.2015 bis 25.03.2015 befand er sich in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Zwar ist die Antragstellerin an derselben Adresse in 1100 Wien wie ihr Sohn gemeldet, jedoch ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass zu diesem ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis bestehen würde. Zusätzlich ist festzuhalten, dass es der Antragstellerin und ihrem erwachsenen Sohn möglich sein wird Kontakt über moderne grenzüberschreitende Kommunikationsmittel wie Internet, Telefon und Post aufrecht zu erhalten.

Was die sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhältige Schwester der Antragstellerin, XXXX, geboren am XXXX, betrifft, so ist festzuhalten, dass diese, nachdem ihre Anträge auf internationalen Schutz mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag negativ entschieden wurden, ebenfalls von Rückkehrentscheidungen betroffen sind.

Insgesamt ist also ein Eingriff in das Recht auf Familienleben zu verneinen und bleibt zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben der Antragstellerin eingegriffen würde.

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Antragstellerin im September 2011 erstmalig in das Bundesgebiet einreiste, jedoch schon wenig später nach Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutzes infolge der Zuständigkeit Polens und der Abweisung der dagegen erhobenen Beschwerde zunächst untertauchte und anschließend nach Tschetschenien zurückkehrte.

Den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte die Antragstellerin im August 2012, wobei ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die gesamte Dauer über auf die Stellung dieses Antrages auf internationalen Schutz gestützt war. Die bisherige Aufenthaltsdauer beträgt sohin dreieinhalb Jahre und wird dadurch relativiert, dass die Einreise illegal erfolgte und der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerberin rechtmäßig war. Dies musste der Antragstellerin auch bewusst sein.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wird nicht verkannt, dass die Antragstellerin gewisse Bemühungen gezeigt hat, sich zu integrieren, indem sie von 15.10.2013 bis 13.06.2014 und von 06.10.2014 bis 11.06.2015 an einem Deutschkurs des Samariterbundes Wien teilnahm und sich für einen Deutschkurs des Flüchtlingsprojektes Ute Bock (Beginn im Mai 2015) anmeldete. Darüber hinaus brachte die Antragstellerin einen Arbeitsvorvertrag in Vorlage. Prüfungsbestätigungen wurden von der Antragstellerin hingegen zu keinem Zeitpunkt vorgelegt. Aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben kann höchstens eine beginnende soziale Vernetzung, keinesfalls jedoch eine relevante außergewöhnliche Integration bescheinigt werden.

Was die Bindung zu ihrem Lebensgefährten betrifft, mit dem sie seit 27.09.2013 nach islamischem Ritus verheiratet ist, so ist dazu auszuführen, dass diese zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Antragstellerin bewusst sein musste, dass ihr Aufenthaltsstatus bzw der Fortbestand des Privatlebens von vornherein unsicher war. Die Antragstellerin durfte sich bislang nur aufgrund ihres Antrages auf internationalen Schutz in Österreich aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war.

Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 8.4.2008, 21.878/06, NL 2008, 86, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich).

Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande).

Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.

Keine Verletzung von Art 8 EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da - wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte - die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 8.7.2009, 2008/21/0533; vgl auch VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Art 8 EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach 7 Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art 8 EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.6.2010, 2010/18/0209; vgl ähnlich auch VwGH 13.4.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0081).

Vor diesem Hintergrund vermag auch die Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Lebensgefährten, mit dem sie seit September 2013 nach muslimischem Recht verheiratet ist, nicht entscheidend zu stärken.

Insgesamt betrachtet überwiegt nach Ansicht der erkennenden Richterin daher insbesondere im Hinblick auf die noch relativ kurze Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen dem privaten Interesse der Antragstellerin an einem Verbleib im Bundesgebiet (vgl VwGH 25.02.2010, Zl 2009/21/0142).

Es trifft zwar zu, dass die Antragstellerin strafgerichtlich unbescholten ist und keine Verstöße gegen Erfordernisse der öffentlichen Ordnung begangen hat, sieht man von deren illegalen Einreise ab. Der Umstand, dass die Antragstellerin in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt aber keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich (vgl VwGH 24.07.2002, Zl 2002/18/0112).

Insgesamt sind also zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration der Antragstellerin in Österreich hervorgekommen.

Im Besonderen ist hier noch auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen trotz langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht wurde:

VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie; siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch ; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung),

VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis),

VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang Ehe mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen; andere in Österreich lebende Familienangehörige),

VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; 3 Jahre Berufstätigkeit; gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen),

VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein),

VwGH 25.02.2010, 2010/18/0031 (achtjähriger Aufenthalt; familiäre Bindung zu Onkel, der BF unterstützt; Deutschkenntnisse;

Unbescholtenheit; Grundversorgung),

VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (knapp achtjähriger Aufenthalt;

beabsichtigte Eheschließung mit öst. Staatsbürgerin; Sohn in Ö geboren; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert),

VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026 (siebenjähriger Aufenthalt; Mangel an familiären Bindungen; Unbescholtenheit; Deutschkenntnisse; fehlende Bindungen zum Heimatstaat; arbeitsrechtlicher Vorvertrag),

VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187 (mehr als siebenjähriger Aufenthalt;

Sohn besitzt österreichische Staatsbürgerschaft; Deutschkenntnisse;

Unbescholtenheit; keine berufliche Integration),

VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit; unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse; Vereinsmitglied).

Nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände der Antragstellerin ist somit davon auszugehen, dass der Antragstellerin ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen nicht zu erteilen ist, wie bereits oben ausgeführt wurde.

Auch Umstände, dass der Antragstellerin allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, liegen nicht vor. Weder war der Aufenthalt der Antragstellerin seit mindestens einem Jahr geduldet (Z 1), noch ist die Antragstellerin Opfer von Menschenhandel (Z 2) oder von häuslicher Gewalt (Z 3).

Schließlich sind im Hinblick auf die der gegenständlichen Entscheidung zugrundeliegenden Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, wonach die Abschiebung der Antragstellerin in die Russische Föderation unzulässig wäre.

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden und sich auch sonst nicht ergeben, ist die Frist mit 14 Tagen festzulegen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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