BVwG W196 1404010-2

BVwGW196 1404010-25.4.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W196.1404010.2.00

 

Spruch:

W196 1404010-2/13E

W196 1404011-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.07.2013, Zl 12 12.838-BAG, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 wird das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.07.2013, Zl 12 12.839-BAG, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 75 Abs 20 AsylG 2005 wird das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reisten am 11.09.2008 erstmalig in das Bundesgebiet ein und stellten an demselben Tag Anträge auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden vom 17.01.2009 wurden die Anträge auf internationalen Schutz durch das Bundesasylamt gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen.

Die dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 05.02.2009 als unbegründet abgewiesen.

Am 18.02.2009 wurden die Beschwerdeführer per Flugzeug nach Krakau, Polen, überstellt.

Am 24.09.2010 stellten die Beschwerdeführer weitere Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 11.10.2010 gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurden.

Am 15.11.2010 sind die Beschwerdeführer unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist und nach Tschetschenien zurückgekehrt.

Am 17.09.2012 stellten die Beschwerdeführer die nunmehr verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen East am 17.09.2013 brachte die Erstbeschwerdeführerin vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ihren Fluchtgründen befragt vor, dass sie wegen ihres Sohnes nicht mehr in Tschetschenien bleiben könne. Ihr Sohn würde, sobald der fünfzehn Jahre alt sei, wegen Blutrache getötet werden, weil sein Vater an einem Krieg teilgenommen habe und Menschen umgebracht habe. Er werde nunmehr von drei Familien im Heimatdorf der Erstbeschwerdeführerin des Mordes beschuldigt und habe ihr Sohn daher mit Blutrache zu rechnen. Auch der Bruder des getöteten Mannes der Erstbeschwerdeführerin lebe aufgrund befürchteter Blutrache in Österreich. Als weiteren Grund gab die Beschwerdeführerin an, dass sie bereits einmal mit ihrem Sohn alleine in Österreich gewesen sei und nunmehr von ihrem Vater beschuldigt würde, hier kein anständiges Leben geführt zu haben. Er habe geschworen, dass er sie töten werde, weil es für das Ansehen ihrer Familie nicht gut sei. Nunmehr sei somit eigentlich die gesamte Familie gegen die Erstbeschwerdeführerin. Im Frühjahr 2011 sei sie auch von ihrem älteren Bruder geschlagen worden.

Am 25.06.2013 fand vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Graz, eine weitere niederschriftliche Einvernahme statt, im Zuge derer die Erstbeschwerdeführerin zunächst vorbrachte, im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben. Auf die Frage, ob alles korrekt protokolliert und rückübersetzt worden sei, gab sie an, sich daran nicht mehr erinnern zu können, sondern nur zu wissen, dass sie am Ende gefragt worden sei, ob alles, was sie gesagt habe, der Wahrheit entspreche. Wahrscheinlich habe man es ihr übersetzt; es sei ja nur das "Weginterview" gewesen. Sie habe auch eine Kopie mitbekommen. Nachgefragt, wann sie von Polen nach Tschetschenien zurückgekehrt sei, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, von Österreich und nicht von Polen aus nach Tschetschenien zurückgekehrt zu sein; dies sei Ende 2010 gewesen. 2008 sei sie über Polen das erste Mal nach Österreich gekommen und sei nach ungefähr fünf Monaten nach Polen abgeschoben worden. Dort habe sie dann einen negativen Bescheid erhalten und sei 2010 zurück nach Österreich gefahren. Sie habe von Vornherein nach Österreich gewollt, weil hier der einzige Verwandte ihres Sohnes lebe. Die Erstbeschwerdeführerin brachte weiters vor, dann eine Beratung eines Juristen in Anspruch genommen zu haben, der ihr gesagt habe, dass sie in Polen keine Chancen habe und dort mit einem negativen Bescheid ins Gefängnis komme. Er habe gemeint, dass sie nur das Asylverfahren in Österreich stoppen könne, indem sie zurück nach Tschetschenien fahre. Über die Botschaft sei sie dann nach Hause geschickt worden. Im November 2010 sei sie nach Österreich zurückgekehrt. Dazu aufgefordert, die Lebensumstände in Tschetschenien nach ihrer Rückkehr im Jahr 2010 zu schildern, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sich ihre Familie von ihr abgewandt habe. Sie habe einmal bei einem Onkel und einmal bei einer Tante, hauptsächlich aber beim Bruder ihrer Mutter gelebt, der auch in Avtury am anderen Ende des Ortes wohnhaft sei. Sie habe das Haus nicht verlassen können, weil sie alleine und ohne Mann sei. Sie sei auch bestraft worden, weil sie alleine in Europa gewesen sei und hätten sie gemeint, dass sie vom rechten Weg abgekommen sei und Schande über sie gebracht habe. Ihr Onkel habe sich auch "anders ihr gegenüber verhalten". Die Töchter ihres Onkels seien nicht verheiratet gewesen und hätten sich mit der Erstbeschwerdeführerin nicht abgeben dürfen. Ihr Vater habe nicht gewollt, dass er Probleme wegen der Familie des Mannes der Erstbeschwerdeführerin bekomme und habe gewollt, dass sie sich von ihrem Sohn lossage. Er habe gewollt, dass ihr Sohn zu seiner Großmutter väterlicherseits gehe, die alle Söhne begraben habe und nunmehr alleine sei. Der einzige Verwandte des Zweitbeschwerdeführers lebe hier in Österreich. Die Familie eines anderen Bruders sei in Wien aufhältig. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin sei vor 2008 krank gewesen und habe ihr ihr Vater damals schon gesagt, dass sie ihren Sohn abgeben solle. Im Frühling 2011 sei die Erstbeschwerdeführerin durch ihren Bruder schwer verprügelt worden. Er habe gesagt, dass er sie umbringen werde, wenn er Informationen dahingehend erhalte, dass sich die Erstbeschwerdeführerin hier nicht richtig verhalten habe. Auch ihr Vater habe ihr gesagt, dass er "so eine" nicht brauche. Die Erstbeschwerdeführerin sei also durch ihre Verwandten erniedrigt und beleidigt worden. Sie habe dort nichts machen und das Haus nicht verlassen können. Sie habe die ganze Zeit über im Haus gekocht und geputzt; so könne sie nicht weiterleben. Auch könne man sie nicht von ihrem Sohn trennen. Über weiteres Befragen führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie dann im September 2012 aus Tschetschenien ausgereist sei. Auch im Haus ihres Mannes könne sie nicht leben, weil dort das Problem mit der Blutrache bestehe. Auf die Frage, ob sie einen Inlandspass habe, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sich dieser zu Hause befinde, weil sie ihn nicht gebraucht habe. Man habe ihr gesagt, dass man sein Dokument hier nicht mehr zurückbekomme. Nachgefragt, ob sie derzeit Kontakt zu Personen im Heimatland habe, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, mit der Frau ihres Onkels in Kontakt zu stehen, weil sie ja wissen wolle, was zu Hause los sei. Als sie in Polen gewesen sei, sei ihre Mutter gestorben. Dazu befragt, welche männlichen Angehörigen ihres Mannes in Tschetschenien leben würden, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass von den Männern niemand in Tschetschenien lebe; nur die Mutter sei dort aufhältig. Der Cousin ihres Mannes, XXXX , sei jetzt auch hier. Nachgefragt, seit wann ihr Vater diese Einstellung ihr gegenüber habe, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass ihr dieser schon nicht materiell geholfen habe, als sie ihren Mann geheiratet habe, weil er bereits damals nicht zufrieden gewesen sei. Nachdem ihr Mann verstorben sei, habe er endgültig gesagt, was er denke. Er habe ihr mitgeteilt, dass man ihren Mann umgebracht habe und auch ihren Sohn töten werde. Ihr Mann habe Arabisch gelernt und habe er die Scharia befürwortet. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin hätten ihn für einen Wahhabiten gehalten, obwohl dies nicht der Wahrheit entsprochen habe. Er habe sein ganzes Leben die Regeln befolgt. Im ganzen Ort, aus dem ihr Mann gekommen sei, sei man gegen ihn gewesen. Zu der Zeit sei es noch selten gewesen, dass jemand so gelebt habe. Die Russen hätten zwei Brüder von ihm umgebracht, weshalb er die Russen nicht gemocht habe. Dazu aufgefordert, die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes zu nennen, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie einerseits wegen den Gründen ihres Sohnes und andererseits wegen ihren eigenen Problemen ausgereist sei. Sie könne so nicht mehr leben; niemand verstehe und unterstütze sie. Nachgefragt, welche Probleme ihr Sohn habe, gab sie an, dass es geheißen habe, dass man ihn wegen der Blutrache nicht in Ruhe lassen würde, wenn er fünfzehn Jahre alt sei. Dies würden dort alle wissen. Ihr Mann sei daran nicht schuld, sondern sei es so, dass zwei Brüder ihres Mannes im umgebracht worden seien; einer im ersten Krieg 1999 oder 2000, mit dem anderen sei der Mann der Erstbeschwerdeführerin im September 2000 im Auto gefahren, als ein Panzer ins Auto gefahren sei und diesen erdrückt habe. Ihr Mann habe überlebt. Deswegen habe er die Russen nicht gemocht. Als Kadyrow an die Macht gekommen sei, sei Magomadov persönlich zu ihnen gekommen, weil sie gewollt hätten, dass ihr Mann mit ihnen zusammenarbeite. Dies sei jedoch vom Mann der Erstbeschwerdeführerin abgelehnt worden, weil Kadyrow mit den Russen zusammenarbeite. Er sei dann als Wahhabit angesehen worden. Es habe immer wieder Säuberungen gegeben und habe ihr Mann teilweise nicht mehr zu Hause übernachtet. Man habe ständig nach ihrem Mann und seinem jüngeren Bruder gesucht, der zur damaligen Zeit in Baku gewesen sei. Alle anderen seien tot, weshalb man immer sie verfolgt habe. Im Jahr 2002 sei das Nachbarhaus umstellt worden; ihr Mann habe öfter im Nachbarhaus geschlafen. Man habe dann ihren Mann getötet; der jüngste Bruder sei verletzt worden, habe aber fliehen können. Zwei Freunde seien ebenfalls dabei gewesen und getötet worden. Der jüngste Bruder sei zu einem späteren Zeitpunkt in Nazran umgebracht worden; man habe die ganze Familie vernichten wollen.

Dazu befragt, wer dies wolle, gab die Erstbeschwerdeführerin an:

"Weil sie nicht mit Kadyrow zusammengearbeitet haben." Erneut dazu befragt, führte sie aus, dass dies im Protokoll ihres Schwagers stehen müsse; sie kenne sie persönlich nicht. Sie seien verfeindet. Solange sie in der Regierung arbeiten würden, bestehe für ihre Familien diese Bedrohung. Es seien ihnen das Land und auch die Häuser abgenommen worden, die sie dort gehabt hätten. Die Feinde hätten dann dort ihre Häuser gebaut. Die Frage, ob dies alles sei, was sie zur Blutrache sagen könne, bejahte die Erstbeschwerdeführerin; alles andere wisse ihr Schwager. Nachgefragt, ob man im Zusammenhang mit der Blutrache jemals mit ihr oder ihrem Sohn persönlich in Kontakt getreten sei, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass es dazu nicht gekommen sei. Sie habe ihren Sohn überall hin begleitet. Als sie bei ihnen im Haus gelebt habe, habe man sie persönlich bedroht. Konkret hätten ihr die Soldaten, die die Säuberungen gemacht hätten, eine Maschinenpistole an den Kopf gehalten, als sie ihren Sohn auf dem Arm gehabt habe. Nachgefragt, was dies mit der Blutrache zu tun gehabt habe, gab sie an, dass sie sie die ganze Zeit gesucht hätten. Man habe ihren Schwiegervater vor ihren Augen mit Stiefeln getreten. Auf die Frage, was nun der Grund für die Blutrache sei, die ihrem Sohn drohe, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass sein Vater nicht mit Kadyrow zusammengearbeitet habe. Nachgefragt, ob sie nach dem Tod ihres Mannes je wieder im Elternhaus gelebt habe, gab die Erstbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass ihr Vater schon gewollt habe, dass sie sich von ihrem Sohn lossage, als dieser zwei Jahre alt gewesen sei. Dies habe sie jedoch abgelehnt und habe dann bei ihrem Onkel gelebt. Ihr Vater habe ihr "das Haus verboten". Als ihre Mutter erkrankt sei, habe ihr die Erstbeschwerdeführerin geholfen. Sie sei immer tagsüber hingegangen, als ihr Vater bei der Arbeit gewesen sei. Darauf angesprochen, dass sie im Jänner 2009 angegeben habe, dass sie 2005 wieder zu ihrer Familie gezogen sei, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie ja im Nebenhaus bei ihrem Onkel gelebt habe. Das habe sie als ihr Zuhause betrachtet. Das Elternhaus ihrer Mutter sei am anderen Ortsrand. Dort habe sie dann vor ihrer Ausreise gelebt. Seit 2000 führe sie ein Zigeunerleben. Sie sei in XXXX und dann bei verschiedenen Onkeln gewesen. Sie verwechsle dies schon alles. Bezüglich ihres Sohnes wolle sei angeben, dass sie Angst um ihn habe und nicht wisse, was ihm passieren könnte. Wenn sie ihm etwas antue, so sei das ihr Ende. Dazu befragt, wer ihm etwas antun sollte, gab sie an, dass die Personen, die seinem Vater das angetan hätten, aus Hass auch ihrem Sohn etwas antun könnten. In XXXX würde man sie nicht mögen. Alle Verwandten, die ihr Sohn habe, seien hier. Nachgefragt ob zu ihrem Schwager hier in Österreich ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie sich ständig besuchen würden; er begleite sie überall hin. Nachgefragt, ob sie von ihm auch finanziell unterstützt werde, gab sie an, von ihm Lebensmittel zu erhalten. In einem gemeinsamen Haushalt würden sie nicht leben, jedoch würden sie in einer Pension in der Nähe wohnen. Zu Integrationsbemühungen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin an, bereits einen Deutschkurs abgeschlossen zu haben.

Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesasylamtes vom 23.07.2013 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 17.09.2012 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen festgehalten, dass aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen keine glaubhaften Gründe für einen in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Verfolgungsgrund hätten erkannt werden können. Betreffend Spruchpunkt II. wurde zusammengefasst ausgeführt, dass keine Umstände hervorgetreten seien, wonach in der Russischen Föderation seine solche Gefährdungslage bestehe, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wäre. Die Beschwerdeführer würden im Herkunftsstaat über eine ausreichende Existenzgrundlage verfügen und sei es ihnen bereits vor ihrer Ausreise gelungen, in Tschetschenien ihr Leben zu meistern. Trotz einer wirtschaftlich schwierigen Situation könne in einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführer nicht davon gesprochen werden, dass eine allgemeine lebensbedrohende Notlage vorliegen würde, die die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art 3 EMRK indizieren würde. Hinsichtlich Spruchpunkt III. wurde festgehalten, dass beide Beschwerdeführer gleichermaßen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien und die Ausweisung aus Österreich zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.

Mit den dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerden vom 07.08.2013 wurden die Bescheide vollinhaltlich angefochten und die Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht. Begründend wurde kurz zusammengefasst festgehalten, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei. Auch im Asylverfahren würden die AVG-Prinzipien und der Grundsatz der Erforschung des maßgebenden Sachverhaltes und der Wahrung des Parteiengehörs gelten. Für die Erstbeschwerdeführerin günstige Umstände müssten in gleichem Maße in die Entscheidung einfließen, wie ungünstige; diesen Umstand habe die belangte Behörde nicht beachtet. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien mangelhaft geblieben und habe es das Bundesamt darüber hinaus für nicht notwendig befunden, noch nähere Nachforschungen zur Lage in Tschetschenien anzustellen. In der Beschwerde wurden ergänzende Länderinformationen zu Tschetschenien angeführt, die nach Ansicht der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt hätten getroffen werden müssen. Die angeführten Länderberichte seien öffentlich zugänglich und einfach zu recherchieren, was zeige, wie ungenau sich die ermittelnde Behörde der ihr zugänglichen Quellen bedient habe. Die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht also nicht voll wahrgenommen und das Verfahren mit groben Mängeln behaftet. Der belangten Behörde sei darüber hinaus vorzuwerfen, dass diese offensichtlich eine Beweislastumkehr vorgenommen habe; zumal von ihr anstelle einer Glaubhaftmachung ein absoluter Beweis gefordert werde. Die vom Bundesamt aufgezeigten Widersprüche würden sich bei näherer Betrachtung nicht als solche erweisen; die Qualität der Erstbefragung könne jedenfalls nicht mit jener vor den Asylbehörden gleichgesetzt werden. Soweit das Bundesamt von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehe, so sei dazu festzuhalten, dass die Schwiegereltern ohne jegliche staatliche Unterstützung leben würden und zudem von der Gesellschaft verstoßen würden. Verwiesen sei überdies auf einen Bericht von Swetlana Gannuschkina, wonach alleinstehende Frauen mit Kindern keinesfalls abgeschoben werden dürften. Verwiesen sei auf einen weiteren Bericht von www.ecoi.net . Die Expertin Swetlana Gannuschkina sei der Meinung, dass es im Falle von häuslicher Gewalt unmöglich sei, etwas zu unternehmen. Keinesfalls wolle die Erstbeschwerdeführerin ein Gericht einschalten und würde dies die Situation der Beschwerdeführer nur verschlimmern. Auch Uwe Halbach bestätige diese Ansicht; prinzipiell sei die Einklagbarkeit von häuslicher Gewalt in Russland gegeben, jedoch seien die Rechtsstandards, die in Russland gelten würden, in Tschetschenien gar nicht mehr vorhanden. Die Blutrache, die den Zweitbeschwerdeführer betreffe, gehe von drei Familien aus, die mit dem verstorbenen Mann der Erstbeschwerdeführerin bzw. dessen Familie verfeindet wären. Die Erstbeschwerdeführerin wisse die Namen der Familien nicht, weswegen sie auf das Interview ihres Schwagers verweise. Jedenfalls würden diese Familien für Kadyrow arbeiten und hätten sehr viel Einfluss im Dorf. Niemand traue sich etwas gegen sie zu sagen. XXXX , die rechte Hand Kadyrows, sei im Haus der Beschwerdeführer gewesen und habe gewollt, dass alle Männer des Haushaltes für ihn kämpfen. Der Mann der Erstbeschwerdeführerin habe sich allerdings geweigert, weil bereits zwei seiner Brüder verstorben seien. Die Männer Kadyrows hätten daher vermutet, dass der Mann der Erstbeschwerdeführerin ein Rebell sei. Nachdem in weiterer Folge von jenen Familien zwei Söhne gestorben seien, sei der Mann der Erstbeschwerdeführerin verdächtigt worden, diese ermordet zu haben. Diese Verdächtigung sei vermutlich lediglich als Vorwand verwandet worden, um unter dem Deckmantel der Blutrache einen weiteren "Rebellen" unschädlich zu machen. Der Sohn der Erstbeschwerdeführerin solle als männlicher Nachkomme getötet werden, um die ganze Familie auszulöschen. Auch der Schwiegervater der Beschwerdeführer sei verprügelt worden. Nach diesem Vorfall habe der Schwiegervater seine Angreifer zu ihm in die Moschee eingeladen, um dort zu schwören, dass sein Sohn nichts mit den Morden zu tun habe. Dies stelle die übliche Vorgehensweise dar, um Blutrache beizulegen. Die Männer seien allerdings nicht in die Moschee gekommen und hätten darauf beharrt, den Sohn der Erstbeschwerdeführerin töten zu wollen. Richtig sei, dass die Erstbeschwerdeführerin während der vergangenen zwei Jahre in Tschetschenien kaum das Haus verlassen und sich versteckt habe. Gemeinsam mit ihrem Sohn habe sie bei einem Onkel gelebt. Der Zweitbeschwerdeführer habe eine Schule besucht, die sich in unmittelbarer Nähe des Hauses befunden habe. Zudem habe er sich immer wieder mit seinem Cousin auf den täglichen Schulweg begeben. Nicht die Zweitbeschwerdeführerin selbst habe ihren Sohn also überall hinbegleitet, wie es die Behörde angenommen habe. Ein tragender und von der Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG des Rates der Europäischen Union umfasster Grundsatz des Asylverfahrens sei, dass Anträge objektiv und unparteilich geprüft werden müssten. Dies sei im vorliegenden Verfahren nicht ausreichend der Fall. In rechtlicher Hinsicht sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführer sowohl von kadyrownahen Privatpersonen als auch von ihrer eigenen Familie verfolgt würden, weshalb sie eine Bedrohung ihres Lebens bzw. eine Gefährdung ihrer körperlichen Integrität zu befürchten hätten und die russischen Sicherheitsbehörden nicht willens bzw. fähig seien, ihnen den notwendigen Schutz zu bieten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht zumutbar. Die Sicherheitslage in Tschetschenien sei katastrophal und hätte den Beschwerdeführern daher zumindest der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen. Die Beschwerdeführer seien darüber hinaus unbescholten, würden Deutsch lernen und versuchen, sich zu integrieren. Beantragt werde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Eingabe vom 20.11.2013 wurden in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ein vorbereitender Schriftsatz sowie ein Antrag auf Beiziehung einer tschetschenisch-Dolmetscherin übermittelt.

Gleichzeitig wurden folgende Urkunden vorgelegt:

* Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen auf dem Niveau A

1.2 durch die Erstbeschwerdeführerin vom 13.11.2013 und 02.07.2013

* Schulerfolgsbestätigung vom 15.02.2013 betreffend den Zweitbeschwerdeführer

* Ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung vom 15.02.2013 betreffend den Zweitbeschwerdeführer

* Schulbesuchsbestätigung vom 05.07.2013 betreffend den Zweitbeschwerdeführer

* Ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung vom 05.07.2013 betreffend den Zweitbeschwerdeführer

* Bestätigung der Obfrau des Vereins für Ringen in Graz

Am 11.02.2016 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Zuge derer die Erstbeschwerdeführerin zunächst dazu befragt, weshalb sie im Jahr 2008 erstmalig nach Österreich gekommen sei, vorbrachte, seit 2002 verwitwet zu sein. Ihr Vater habe nicht gewollt, dass sie ihren Sohn mit nach Hause nehme und dieser bei ihr verbleibe. Die Erstbeschwerdeführerin sei daher gezwungen gewesen, bei ihren Verwandten mütterlicherseits und bei Verwandten ihres Mannes zu leben. Ihre Mutter sei krank geworden; die Erstbeschwerdeführerin habe dann für sie gesorgt und sie gepflegt. Ihren Sohn habe sie bei der Schwiegermutter lassen müssen; ihr Vater habe ihr den Kontakt zu ihrem Sohn verboten, sodass die Erstbeschwerdeführerin ihren Sohn nicht habe besuchen können. Er habe sie einmal in der Woche besucht. Jedes Mal, wenn er zurück gemusst habe, habe er geweint und gedacht, dass die Erstbeschwerdeführerin schuld daran sei, dass er zur Oma habe zurück müssen. Wenn er krank gewesen sei, habe ihn die Erstbeschwerdeführerin nicht pflegen dürfen. Die Oma sei eine alte Frau gewesen. Die Erstbeschwerdeführerin habe dann Dokumente ausstellen lassen und habe, als ihr Vater in die Arbeit gegangen sei, gemeinsam mit ihrem Sohn ihr Heimatland verlassen. Konkret sei ihr Sohn im Jahr 2007 zur Großmutter gekommen, weil in diesem Jahr die Mutter der Erstbeschwerdeführerin krank geworden sei und sie sich um diese habe kümmern müssen. Ihr Vater habe nicht zugelassen, dass sie mit ihrem Sohn lebe, weshalb sie ihren Sohn bei der Großmutter gelassen habe. Da ihr Mann Probleme gehabt habe und ermordet worden sei, habe ihr Vater zu ihr gesagt, dass auch ihr Sohn getötet würde. Er habe nicht gewollt, dass er bei ihr bleibe. Ihr Vater habe einen schwierigen Charakter gehabt. Nachgefragt, weshalb dies so gewesen sei, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass ihr Mann Religion studiert habe, er zwar kein Wahhabit gewesen sei, seine Brüder jedoch von den Russen getötet worden seien, weshalb er die Russen nicht gemocht habe. Er habe einen kurzen Bart getragen und hätten alle gedacht, dass er Wahhabit sei. Deswegen habe ihn auch ihr Vater nicht gemocht und sei auch bei der Beerdigung nicht dabei gewesen. Weil er seinetwegen keine Probleme hätte haben wollen, habe er den Kontakt zur Familie vermieden. Die Frage, ob ihr Mann 2002 getötet worden sei, bejahte die Erstbeschwerdeführerin. Nachgefragt, weshalb er getötet worden sei, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass ihr Mann in letzter Zeit kaum zu Hause geschlafen habe; mal sei er bei Verwandten, mal bei Freunden gewesen. Eines Nachts seien Männer in ihr Haus eingedrungen, hätten ihren Mann gesucht, die Erstbeschwerdeführerin und ihren Schwiegervater geschlagen und nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes gefragt. Die Erstbeschwerdeführerin habe bei ihren Schwiegereltern gewohnt. Ihr Mann sei an dem Abend bei den Nachbarn gewesen. Ein Soldat habe dann am Grundstück des Nachbarn einen Jungen gesehen und hätten sie begonnen, das Haus zu beschießen; dies sei am 14.11.2002 gewesen. Ihr Mann und zwei weitere Männer seien getötet worden. Der Schwager der Erstbeschwerdeführerin und der Junge hätten überlebt. Anschließend seien weitere Tschetschenen dazu gekommen; es habe eine heftige Schießerei zwischen Russen und Rebellen stattgefunden, die am Abend aufgehört habe. Rebellen hätten dann die verletzten Männer und die Russen die drei Leichen mitgenommen. Seit 2001 hätten Russen und Tschetschenen gemeinsam gegen die Rebellen gearbeitet; sie seien bei ihnen gewesen und hätten ihren Schwager holen wollen. Anfang 2001 habe die Behörde gewollt, dass der Mann der Erstbeschwerdeführerin mit ihnen zusammenarbeite, habe dies aber nicht gewollt, weil die Russen zwei seiner Brüder getötet hätten. Seitdem sei er ständig verfolgt und schließlich umgebracht worden. Danach hätten sie seinen Bruder gesucht. Nach zwei Jahren sei er in XXXX , Dorf XXXX , getötet worden. Seine Leiche hätten sie nicht bekommen. Die Frage, ob sie nach dem Vorfall weiterhin mit ihrem Sohn bei den Schwiegereltern gelebt habe, bejahte die Erstbeschwerdeführerin; die erste Woche sei sie bei ihren Eltern gewesen; nachdem die Russen nach einer Woche die Leichen freigegeben hätten, sei sie zu ihren Schwiegereltern zurückgekehrt. Nachgefragt, ob sie bis 2007 bei ihren Schwiegereltern gelebt habe, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass dies nicht immer so gewesen sei. Sie sei ein Jahr lang bei ihren Verwandten mütterlicherseits, bei einem Onkel, konkret bei dem Bruder ihrer Mutter, gewesen. Ihr Vater habe ihr gesagt, dass er ihren Jungen abgeben müsse. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass sie dies nicht machen werde. Er habe dann nicht gewollt, dass sie weiterhin bei ihren Eltern wohne. Dies sei im Jahr 2005 oder 2006 gewesen. Ein Jahr sei sie bei ihrem Onkel gewesen, bevor im Jahr 2007 ihre Mutter schwer krank geworden sei und sie sie habe pflegen müssen. Sie sei dann gezwungen gewesen, den Jungen bei den Schwiegereltern zu lassen. Als sie dies getan habe, habe ihr ihr Vater den Kontakt nicht gänzlich verboten, sondern ihr erlaubt, ihren Sohn zu besuchen. Sie habe Dokumente ausstellen lassen und habe, als ihr Vater gerade bei der Arbeit gewesen sei, gemeinsam mit ihrem Kind ihr Heimatland verlassen. Sie sei dann gemeinsam mit ihrem Sohn zu ihrer Schwiegermutter gegangen; diese sei eine alte kranke Frau gewesen und habe nichts dagegen gehabt, dass sie ihren Sohn mitgenommen habe. Anschließend sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Sohn über Polen nach Österreich gereist; dies sei im Jahr 2008 gewesen. Nach fünf Monaten sei sie nach Krakau abgeschoben worden. Zwei Polen, die gerade von Amerika nach Hause gekommen seien, hätten ihr ein Ticket nach Warschau gekauft. Von dort aus sei die Erstbeschwerdeführerin dann mit dem Taxi in ein Flüchtlingslager in Polen gefahren. Sie habe dort zwei negative Bescheide erhalten und sei dann wieder zurück nach Österreich gefahren. In Traiskirchen sei ihr gesagt worden, dass sie keine Chance habe, in Österreich zu bleiben, weil in Polen Fingerabdrücke abgenommen worden seien und sie deshalb Österreich verlassen müsse. Als sie von Österreich im Jahr 2010 wieder nach Tschetschenien gefahren sei, sei sie zunächst bei ihrem Onkel gewesen. Ihre Mutter sei im Mai 2010 gestorben. Die Erstbeschwerdeführerin habe keine Möglichkeit mehr gehabt; ihre Mutter sei ihretwegen im Stress gewesen, weil ihr Vater Druck gemacht habe. Ihre Mutter habe dann gemeint, dass es besser wäre, wenn sie weggehe. Die Frage, ob sie dann zum Bruder ihrer Mutter gegangen sei und auch dort gewohnt habe, bejahte die Erstbeschwerdeführerin. Ihr Vater habe ihr gedroht, sie zu köpfen, falls er sie erwische. Ihre Brüder seien ebenfalls unzufrieden gewesen. Sie hätten gesagt, dass sie sie töten würden, wenn sie irgendetwas herausfinden oder ihretwegen Stress bekommen würden. Auch seitens des Onkels habe die Erstbeschwerdeführerin Druck gehabt. Sie habe nicht arbeiten gehen können und hätte immer zu Hause bleiben und sich um den Haushalt kümmern müssen. Sie sei ständig unter Druck gesetzt gewesen und habe sie immer zu Hause bleiben und sich um den Haushalt kümmern müssen. Für ihren Sohn und sie habe es keine Zukunft gegeben. Die Erstbeschwerdeführerin habe gewusst, dass sie für ihren Onkel eine Last gewesen seien. Auch seine Frau habe gefragt, wann sie gehen würden. Dazu befragt, ob sie nicht einfach einen anderen Mann hätte heiraten können, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie ihren Sohn der Schwiegermutter geben müsse, wenn sie einen anderen Mann heirate. Im Dorf der Schwiegereltern hätten die Leute gesagt, dass sie wegen der Blutrache warten würden, bis ihr Sohn erwachsen sei. Die Erstbeschwerdeführerin mache sich Sorgen und habe Angst um ihr Kind. Damit konfrontiert, dass sich die Schwiegermutter der Erstbeschwerdeführerin nunmehr seit einem Jahr in Österreich befinde, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass diese nunmehr auch hier sei. Sie habe gesagt, dass sie zu Hause auch unter Stress gestanden und bedroht worden sei und deshalb die Heimat verlassen habe. In ihrem Dorf gebe es zwei Familien, die bei der Behörde arbeiten würden. Von diesen seien Männer anscheinend von den Rebellen getötet worden und würden nunmehr denken, dass der Mann der Erstbeschwerdeführerin und ihr Schwager bei dieser Tötung dabei gewesen seien. Ihr Schwiegervater habe gesagt, dass er in der Moschee schwören könne, dass seine Söhne nichts getan hätten; sie hätten das nicht hören wollen und seien nicht dorthin gekommen. Einer, der dies zu ihrem Schwiegervater gesagt habe, sei geschlagen worden; die Erstbeschwerdeführerin habe dies selbst gesehen. Er habe dann gesagt, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihr Sohn weggehen müssten. So seien sie dann ausgereist. Die Frage, ob dies die Leute von Kadyrow gewesen seien, bejahte die Erstbeschwerdeführerin; es gebe zu Hause keine Zukunft für sie. Sie würde gerne mit ihrem Sohn in Österreich bleiben.

Der Zweitbeschwerdeführer gab dazu befragt, was er betreffend den Gründen für die Ausreise erzählen könne, an, dass er nicht viel mitbekommen habe, weil er sehr klein gewesen sei. Er habe nur gesehen, wie seine Mutter geweint habe. Bezüglich der Blutrache wisse er nichts. Nachgefragt, ob er etwas gehört oder gesehen habe, als er bei der Schwiegermutter gewohnt habe, führte der Zweitbeschwerdeführer aus, schon Menschen gesehen zu haben, die laut gesprochen hätten; mehr könne er aber dazu nicht sagen. Darauf angesprochen, dass seine Mutter gemeint habe, dass er von Bewohnern des Dorfes bedroht worden sei und nachgefragt, ob er etwas davon mitbekommen habe, führte der Zweitbeschwerdeführer aus, dass er immer habe zu Hause bleiben müssen, als jemand zu Besuch gewesen sei. Seine Mutter und seine Großmutter hätten ihn in ein anderes Zimmer geschickt. Der Zweitbeschwerdeführer führte weiters aus, die Schule besucht zu haben; er sei nicht viel draußen, sondern meist zu Hause gewesen. Nachgefragt, ob er sonst noch etwas erzählen könne bzw wie die Situation gewesen sei, als sie 2010 nach Tschetschenien zurückgekehrt seien und bei ihrem Onkel gelebt hätten, führte der Zweitbeschwerdeführer aus, dass sein Onkel nicht viel mit ihm gesprochen habe. Er habe das Gefühl gehabt, dass sein Onkel nicht mit ihm reden wolle. Seine Mutter sei zu Hause gewesen und habe geputzt und gewaschen. Der Zweitbeschwerdeführer habe gesehen, dass seine Mutter ab und zu geweint habe. Er sei nicht geschimpft oder geschlagen worden.

Die Zeugin, XXXX , gab auf die Frage, ob sie etwas zur Blutrachesituation erzählen könne, an, dass es für ihn genauso gefährlich sei, wie für ihren Sohn, weil sie gesagt hätten, dass sie keine Nachkommen am Leben lassen würden. Konkret meine sie die Anhänger von Ramsan; sein Spitzname sei XXXX , sein richtiger Name sei XXXX . Er wohne im Dorf XXXX und sei früher selbst Rebell gewesen. Jetzt sei er die rechte Hand von Ramsan. Es sei ein kleines Dorf und gebe es noch mehrere, die für ihn arbeiten würden. Konkret habe er gemeinsam mit anderen Männern, die ebenfalls für Ramsan gearbeitet hätten, gesagt, dass ihr Schwiegervater schon tot sei und ihnen gedroht. Nachgefragt, ob sie dies alles nur vom Schwiegervater wisse, brachte die Zeugin vor, dass er bei ihrem Schwiegervater gewesen sei. Ihre Schwägern sie bei ihrem Schwiegervater zu Hause gewesen; sie selbst sei jedoch nicht dabei gewesen. Er habe es ihr erzählt. Sie seien nicht ständig bei den Schwiegereltern wohnhaft gewesen. Eines Tages sei der XXXX bei ihren Schwiegereltern gewesen und habe zu ihrem Schwiegervater gesagt, dass er seine Nachkommen vernichten würde. Damit habe er ihre Kinder, die Kinder ihrer Schwägerin und auch die von ihrem Schwager, der in Graz wohne, gemeint. Auf die Frage, was den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr passieren würde, gab die Zeuign an, dass sie nicht glaube, dass sie die beiden leben lassen würden, weil sie strenge Kontrollen machen würden, auch bei den Personen, für die zuletzt Reisepässe ausgestellt worden seien. Ramsan habe nunmehr ein neues Gesetz erlassen, wonach Nachkommen von Männern, die sich den Rebellen anschließen würden, vernichtet würden. Es gebe dazu eine Videoaufnahme auf Youtube.

Abschließend wurden von den Beschwerdeführern Unterlagen betreffend ihre Integration, konkret fünf Zeugnisse des Zweitbeschwerdeführers der Neuen Mittelschule Graz St Peter, zwei Bestätigungen betreffend die Erstbeschwerdeführerin über einen Deutschkursbesuch, Diverse Empfehlungsschreiben sowie eine Bestätigung eines Boxvereines in Vorlage gebracht. Von der Erstbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sie an Feiertagen / Festtagen bei Veranstaltungen der Caritas koche und Friseurin werden wolle.

Den Beschwerdeführern wurden aktuelle Länderberichte zu Tschetschenien überreicht und diesen eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

Am 25.02.2016 langten beim Bundesverwaltungsgericht Stellungnahmen der Beschwerdeführer ein, im Zuge derer diese vorbrachten, dass aufgrund des bisher erfolgten Beweisverfahrens davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien in eine ausweglose existenzbedrohende Situation geraten würden. Weder der Erstbeschwerdeführer noch der Zweitbeschwerdeführerin wäre es im Falle einer Rückkehr möglich, durch die Erbringung von Arbeitsleistungen für den notwendigen Unterhalt zu sorgen. Zunächst sei auf die wirtschaftlich generell angespannte Situation in Tschetschenien hinzuweisen; gerade für Frauen stelle sich die wirtschaftliche Situation nach den Länderberichten als besonders prekär dar. Alleine aus diesen allgemeinen Gegebenheiten ließe sich noch nicht ableiten, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation kommen würden; jedoch würden im vorliegenden Fall mehrere Umstände zusammenspielen, die insgesamt auf eine derartige Gefährdung der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien hindeuten würden. So sei die Erstbeschwerdeführerin Mutter eines noch nicht volljährigen Kindes und sei zu erwarten, dass diese aufgrund ihrer westlich orientierten Überzeugung, welche sich nach außen an ihrem Kleidungsstil manifestiere, weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt wäre. Für die Erstbeschwerdeführerin sei es dadurch schwierig, wenn nicht gar unmöglich, das Haus zu verlassen und erschiene es vor diesem Hintergrund noch unwahrscheinlicher, dass sie eine Arbeitsstelle in ihrem Herkunftsland finden würde. Der Druck auf Frauen, sich gemäß dem tschetschenischen Regime zu verhalten, habe erheblich zugenommen; festzuhalten sei darüber hinaus, dass auch die Situation von Frauen bei einem Tod ihres Ehemannes sehr problematisch sei. Weiters stelle sich die Frage, ob die Erstbeschwerdeführerin durch sonstige Leistungen und Unterstützungen über zumindest so ausreichende Mittel verfügen würde, die das Existenzminimum der Familie erreichen würden. Nach den Länderfeststellungen bestehe für alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ein Risiko, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten. Sozialleistungen seien nicht ausreichend; eine alleinstehende Frau mit Kindern sei somit immer auf Unterstützung durch ihre Familie angewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in mehreren aktuellen Erkenntnissen alleinstehenden oder alleinerziehenden Frauen subsidiären Schutz gewährt, weil es zu dem Schluss gekommen sei, dass sie im Falle der Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage kommen würden. Im vorliegenden Fall liege eine mit den Sachverhalten, die den zitierten BVwG-Erkenntnissen zugrunde gelegen seien, vergleichbare Situation vor. Die Erstbeschwerdeführerin könne im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien nicht mit einer Unterstützung durch den Familienverband rechnen und könne daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Die Beschwerdeführer seien Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da sie sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe befinden würden. Einerseits würden sie Blutrache, die durch Privatpersonen geübt werde, befürchten; andererseits werde die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der Tatsache, dass sie Tschetschenien bereits einmal verlassen habe, von ihrem Vater und ihren Brüdern verstoßen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes würden Fälle häuslicher Gewalt im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits stehen. Abschließend sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführer sehr gut integriert seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und führen die im Spruch genannten Namen.

Die Erstbeschwerdeführerin ist verwitwet und ist Mutter des Zweitbeschwerdeführers.

Vor ihrer Ausreise lebten die Beschwerdeführer in Tschetschenien.

Die Beschwerdeführer reisten am 11.09.2008 erstmalig in das Bundesgebiet ein und stellten an demselben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 05.02.2009 wurden die dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerden als unzulässig zurückgewiesen.

Am 18.02.2009 wurden die Beschwerdeführer per Flugzeug nach Krakau, Polen, überstellt.

Die von den Beschwerdeführern am 24.09.2010 gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes am 11.10.2010 gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer reisten am 15.11.2010 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem österreichischen Bundesgebiet aus und kehrten nach Tschetschenien zurück.

Am 17.09.2012 stellten die Beschwerdeführer die nunmehr verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer haben keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die Beschwerdeführer verfügen in ihrem Heimatland über eine gesicherte Existenzgrundlage.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gebe.

Im Bundesgebiet lebt ein Onkel des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Darüber hinaus befindet sich die Schwiegermutter der Erstbeschwerdeführerin nunmehr in Österreich. Die Beschwerdeführer stehen in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu diesen.

Im Heimatland der Beschwerdeführer befinden sich der Vater, zwei Brüder sowie ein Onkel der Erstbeschwerdeführerin. Auch lebt eine Schwägerin der Erstbeschwerdeführerin in Tschetschenien.

Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.

Es konnten keine Anhaltspunkte, welche für die Annahme einer hinreichenden Integration der Beschwerdeführer in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprechen, festgestellt werden.

Zur Situation in der Russischen Föderation wird festgestellt:

Ländervorhalt Russische Föderation, insbesondere Tschetschenien, Stand Jänner 2016

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dimitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Der islamistische Rebellenführer Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte getötet worden. Das russische Anti-Terror-Komitee teilte am Montag mit, Kebekow sei bei dem Einsatz in der Teilrepublik Dagestan "neutralisiert" worden. Bei der Operation in Buinasksk seien zudem vier weitere Menschen, darunter zwei regionale Rebellenführer, getötet worden. Die Website Kavkaz Center, die von den Rebellen zur Veröffentlichung ihrer Erklärung verwendet wird, bestätigte den Tod des Kommandeurs der Extremistengruppe Kaukasus Emirat (Zeit Online 20.4.2015, vgl. Kavkaz Center 20.4.2015). Kavkaz Center berichtet weiter, dass der "ungleiche" Kampf in der Siedlung Gerei-Alak im Vorort der Stadt Temir Khan Shura [früherer Name der Stadt Buinaksk] in Dagestan stattfand und dass der Emir des Untsukulsky Distrikts der Provinz Dagestan Shamil Balakhani (aka Shamil Khasanov) ebenso unter den Getöteten sei (Kavkaz Center 20.4.2015).

Nachdem einige Kommandanten des Kaukasus Emirates (von Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien/Karatschai) dem IS ihren Treueeid schworen, verlautbarte am 23.6.2015 Abu Muhammad al-Adnani - Sprecher des IS - die Schaffung der Provinz Kaukasus (Vilayat Qavqaz). Diese Entwicklung ist keine große Überraschung, da seit Herbst 2014 einige der Kommandanten von Tschetschenien und Dagestan dem IS den Treueeid leisteten. Der IS-Sprecher gratulierte den "Soldaten des Islamischen Staates im Kaukasus" und richtete aus, dass der Kalif den Treueeid annimmt und Sheikh Abu Mohammad al-Qadari (Rustam Asilderov) als "Gouverneur" des Kaukasus ernennt. Dies zeugt wohl davon, dass die Kaukasusgruppe vom IS als wichtige Organisation gesehen wird, da nicht jede Gruppe, die den Treueeid leistet, auch anerkannt wird. Natürlich ist der Ruf der tschetschenischen bzw. der nordkaukasischen Kämpfer im IS ein sehr guter. Dies dürfte wohl auch ein ausschlaggebender Punkt in der Anerkennung gewesen sein. Obwohl die "übergelaufenen" Kommandanten verlautbarten, dass "alle Mudschahedin des Kaukasus in dieser Entscheidung einig sind" haben jedoch das Vilayat Nogai Steppe und Karatschai-Tscherkessia ihre Position noch nicht öffentlich gemacht. Auch gibt es einige Anführer im Kaukasus Emirat, die sich weigern, dem IS die Treue zu schwören, wie z.B. Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov), der angeblich momentan dem Emirat vorstehen bzw. der Nachfolger von Aliaschab Kebekow (alias Ali Abu Muhammad) sein soll (siehe vorige Kurzinformation) (TOL 1.7.2015).

Bis jetzt hat die Abreise von Kämpfern aus dem Nordkaukasus nach Syrien dazu geführt, dass die Terroraktivitäten in Russland im vergangenen Jahr nachgelassen haben. Nur wenige kehrten bis jetzt zurück - in ganz Russland wurden weniger als 100 Strafverfahren gegen die Rückkehrer eingeleitet. Doch jetzt scheint sich die Lage zu verändern. Die Folgen für Russland könnten sehr ernst sein. Die Kampfmethoden könnten sich verändern (öffentliche Hinrichtungen, auch der Zivilbevölkerung). Der ehemalige Anführer der Islamisten im Kaukasus, Kebekow, sprach sich gegen brutale Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aus und wollte sich auf die Anschläge auf russische Sicherheitskräfte konzentrieren. In den nordkaukasischen Republiken waren die Terroristen auch auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Doch im April 2015 wurde Kebekow getötet. Sein Nachfolger war offenbar nicht stark genug, um die Verbreitung des IS-Einflusses zu stoppen (Welt.de 25.6.2015).

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtete Anfang Oktober 2015, dass das Kaukasus Emirat einen neuen Anführer haben könnte. Hintergrund für diese Aussage ist ein Video, das im September auf dem Online-Videoportal YouTube gepostet wurde. Darin zu sehen war eine Gruppe von sechs maskierten, schwarz gekleideten Männern, zwei davon mit Handwaffen. Der Sprecher, der sich als Amir Muslim identifizierte, erklärte, dass er und seine Kameraden mit Gottes Hilfe "nach Hause zurückgekehrt" seien (von woher ist nicht klar), um den Jihad weiterzuführen. Er ruft seine "Brüder", die das Vilayat Nokhchiycho (der Name des Kaukasus Emirats für Tschetschenien) auch verlassen haben zur Rückkehr auf. Ebenso ergeht ein Appell an alle Muslime des Kaukasus "aus ihrem Schlummer" zu erwachen und den Kämpfern gegen den gemeinsamen Feind zu helfen. Amir Muslims Gruppe benennt Abu-Khamza Umarov (Kampfname von Akhmed Umarov, dem älteren Bruder von Doku Umarov, welcher 2007 das Emirat ausgerufen hatte und es bis zu seinem Tod 2013 führte) als seinen Anführer. Erwähnt wird im Video auch, dass Akhmed Umarov der Gruppe geholfen haben soll zurückzukehren und Leute zu finden, die sie brauchen um den Jihad zu führen (RFE/RL 7.10.2015).

RFE/RL schreibt weiter, dass Akhmed Umarov hier zum ersten Mal als Anführer des Kaukasus Emirates genannt wird. Jedoch sind an dem Video einige Dinge auffällig: erstens zeigt sich die Gruppe nicht wie normalerweise üblich im Kampfanzug, sondern schwarz gekleidet und mit verhüllten Gesichtern. Zweitens erwähnt Amir Muslim den IS in keiner Weise, weder als potentiellen Verbündeten, noch als Rivale. Und drittens erwähnt er nicht, aus welchem Land er mit seinen Männern nach Hause gekommen ist. Jedoch wird explizit erwähnt, dass es Akhmed Umarov war, der ihnen geholfen habe "nach Hause zu kommen" und "Personen zu finden, die sie brauchen". Dies könnte darauf hindeuten, dass diese "Rückkehrer" mit der Situation in Tschetschenien nicht vertraut sind und keine Kontakte vor Ort haben. RFE/RL mutmaßt hier, dass es sich um Personen handeln könnte, die während der Kriege in den 1990er Jahren Tschetschenien als Kinder verlassen haben und in Europa aufgewachsen sind (RFE/RL 7.10.2015). Denkbar wäre somit auch, dass es sich um junge Männer aus Europa handelt, die schon in Europa geboren sind.

Die Jamestown Foundation berichtete Ende Oktober 2015, dass Abu Khamza eine unerwartete Stellungnahme abgab. Abu Khamza war die letzten Jahre der Amir (Anführer) der Majlis Shura (beratendes Gremium) des Nokhchiycho Velayats außerhalb des Kaukasus Emirats. Diese Majlis Shura befindet sich in Istanbul. In seiner Stellungnahme sagte Abu Khamza, dass er nach einem Treffen der Majlis Shura beschlossen hat, zurückzutreten. Es gab Berichte, dass Abu Khamza das Vertrauen der Majlis Mitglieder verloren habe. Anders als sein Bruder Doku Umarov hatte Abu Khamza einen skandalösen Ruf unter den Tschetschenen und der nordkaukasischen Diaspora in der Türkei. Sein Rücktritt hängt mit dem oben erwähnten Video in Zusammenhang, wo eine Gruppe tschetschenischer Kämpfer ihm persönlich Treue schworen. Viele, die diese Aussage hörten, sahen darin den Versuch Abu Khamzas seinen Status von einem Repräsentanten im Ausland zum Amir des Velayat Nokhchiycho aufzusteigen. Die im Video Beteiligten wollten offensichtlich klarmachen, dass nicht alle Kämpfer vom Emirat zum IS wechselten [vgl. vorige KIs]. Dass die Gruppe im Video erklärte, dass sie auf jegliche Anweisung von Abu Khamza hören würde, war der Streitpunkt, der ihn zum Rücktritt zwang. Bemerkenswert an diesem Vorfall ist jedoch, dass es eine Gruppe Militanter, die unabhängig von Amir Khamzat (er schwor dem IS seine Treue) - auch wenn sie klein und schwach ist - geschafft hat, Tschetschenien zu infiltrieren. Nachdem die verbliebenen tschetschenischen Kämpfer unter Amir Yakub (im Dezember 2014) und Amir Khamzat (im Juni 2015) dem selbsternannten Kalifen des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi ihre Treue schworen, waren sich die meisten Analysten einig, dass alle tschetschenischen Kämpfer sich dem IS angeschlossen hätten. Abu Khamza war offensichtlich mit der Entscheidung der Kämpfer das Emirat zu verlassen nicht glücklich. Seine Initiative, eine Gruppe von Kämpfern nach Tschetschenien zu entsenden sollte wohl nicht nur die Behörden, sondern auch die abtrünnigen Kämpfer herausfordern. Mitglieder des bewaffneten islamistischen Untergrundes der Velayate von Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und Kabardino und Karatschai betrachteten Abu Khamzas Initiative wohl mit Argwohn und forderten seinen Rücktritt. Sein Rücktritt könnte dem Kaukasus Emirat den letzten Schlag verpasst haben, wenn nicht bald ein neuer Amir in Dagestan eingesetzt wird (Jamestown 30.10.2015).

Quellen:

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gut gemacht haben oder dazu bereit sind. Experten gehen davon aus, dass bis zu 13.000 Personen von der Amnestie profitieren könnten (bis zum 28.8.2013 kamen offiziellen Angaben zu Folge effektiv 143 Personen frei). Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme der russischen Verfassung im Jahr 1993, wurde im Dezember 2013 eine umfassendere Amnestie für Straftäter erlassen. Der russischen Strafvollzugsbehörde zu Folge sollen 22.700 von der Amnestie profitiert haben; knapp über 1.000 Personen sollen enthaftet worden sein. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Vorjahr auf Initiative des damaligen Präsidenten Medwedjews gestrichen worden war. Der Strafrahmen wurde von früher umgerechnet 75 auf bis zu 125.000 Euro erhöht. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Das in Russland geltende Anti-Extremismusgesetz sollte ursprünglich insbesondere helfen, rassistische Straftaten im Land einzudämmen. Es sind jedoch auch schon mehrere Fälle einer fragwürdigen Anwendung bekannt. Auch gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong wird mit Hilfe des Anti-Extremismusgesetzes vorgegangen (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, teilweise auch vorübergehende Festnahmen). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte im Februar 2012 in einer Resolution "tiefe Besorgnis" über die missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes gegen die Zeugen Jehovas und Falun Gong aus. Verhängte Sanktionen bestehen zumeist in (niedrigen) Geldstrafen, alternativen Strafformen (soziale Arbeit) oder Bewährungsstrafen. Nach der Krim-Annexion im März 2014 ist verstärkt zu beobachten, dass die russischen Behörden unter dem Deckmantel des Extremismus-Gesetzes gegen kritische Vertreter der Krim-Tataren vorgehen. Politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs müssen sich seit einer Novellierung des NGO-Gesetzes als "ausländische Agenten" deklarieren und sind einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Anfang September 2014 waren 13 NGOs beim russischen Justizministerium als "ausländische Agenten" registriert. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (etwa die auf Wahlbeobachtung spezialisierte NGO "Golos"). Im Zuge einer Verschärfung des NGO-Gesetzes im Juni 2014 erhielt das Justizministerium das Recht, NGOs eigenständig in das Register der ausländischen Agenten einzutragen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. US DOS 27.2.2014).

Von einer Amnestie im Dezember 2013 konnten mehrere tausend Personen profitieren (u.a. die Aktivistinnen von "Pussy Riot"), zudem begnadigte Staatspräsident Putin den seit fast zehn Jahren inhaftierten Michail Chodorkowskij. Der Druck auf andere Regimekritiker bzw. Teilnehmer von Protestaktionen hingegen nimmt zu, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015a, ÖB Moskau 10.2014).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Klanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a, S. 9).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 10.6.2013).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und des Antiterrorismus betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen um die meisten Behördenvertreter welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen (USDOS 27.2.2014).

Die russische Polizei genießt in der Bevölkerung wenig Ansehen und steht im Ruf, oft selbst in Kriminalität und Korruption verwickelt zu sein. Vielfach wird von Misshandlungen von Personen in Polizeigewahrsam berichtet, meist um Geständnisse zu erzwingen, die häufig die Hauptgrundlage für russ. Gerichtsurteile darstellen. Im März 2011 trat ein neues russ. Polizeigesetz in Kraft. Neben der Namensänderung ("Polizei" statt wie bisher "Miliz") sollten damit die Bürgerrechte gestärkt werden. Für die Reform des Innenministeriums hatte die russische Regierung in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 7,9 Mrd. Euro zusätzlich im Budget eingeplant. In dieser Summe sind auch höhere Gehälter enthalten, die Polizisten korruptionsresistenter machen sollen. Im selben Zeitraum sollte die Zahl der Beamten um ca. ein Drittel reduziert werden. Ein großer Teil der beim EGMR eingehenden Beschwerden gegen die Russische Föderation betreffen das Exekutiv- und Strafvollzugssystem (ÖB Moskau 10.2014).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden. Insgesamt ist der sicherheitspolitische Aufwand für Russland im Nordkaukasus gewaltig, und die Verluste sind hoch (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Es gibt jedoch zahlreiche glaubwürdige Berichte, dass Exekutivbeamte in Fälle von Folter, Misshandlung und Gewaltanwendung zum Erzwingen von Geständnissen verwickelt sind, und es gab Vorwürfe, dass die Regierung Beschuldigte nicht konsequent zur Verantwortung zieht. Folter ist nicht gesetzlich definiert, daher können verdächtigte Polizisten von der Staatsanwaltschaft nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt werden. In den Nordkaukasuskonflikt involvierte Regierungsbeamte foltern und misshandeln Berichten zufolge Zivilisten und Konfliktteilnehmer. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Streitkräfte und Polizeieinheiten misshandeln sowohl Rebellen als auch Zivilisten in Anhaltezentren.

Menschenrechtsgruppen weisen darauf hin, dass die körperliche Misshandlung von Frauen in der Region Nordkaukasus zunimmt. Das Niederbrennen von Häusern mutmaßlicher Rebellen wird Berichten zufolge fortgesetzt. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet (USDOS 27.2.2014).

Ein Drittel der beim Ombudsmann für Menschenrechte eingehenden Beschwerden beziehen sich auf polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen. Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015).

2014 gingen weiterhin Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen aus dem ganzen Land ein. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben (AI 25.2.2015).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Korruption

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Die Führungsriege kündigt regelmäßig Antikorruptionskampagnen an, aber der Hauptzweck ist die Loyalität der Elite sicherzustellen und die Opposition von der Fokussierung auf dieses Thema abzuhalten. Im Dezember 2013 errichtete Putin eine neue Abteilung zur Korruptionsbekämpfung und im April 2014 verabschiedete Putin eine neue Antikorruptionsstrategie, jedoch sind nur wenige Beobachter der Meinung, dass diese Maßnahmen Resultate produzieren wird (FH 28.1.2015).

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, in der Medizin, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 27.2.2014).

Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 3.2015a).

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu kaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 16.3.2015).

Quellen:

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Nach einer Novellierung des NGO-Gesetzes werden politisch tätige und aus dem Ausland finanzierte NGOs als "ausländische Agenten" deklariert und einer strikten behördlichen Kontrolle unterworfen. Mehrere Organisationen und Einzelpersonen, welche eine solche Registrierung verweigerten, wurden bereits zu Geldstrafen bzw. zur vorübergehenden Schließung verurteilt (ÖB Moskau 10.2014).

Auch Zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürger mussten 2014 weiterhin mit Schikanen, öffentlichen Angriffen, Verleumdungen und in einigen Fällen auch mit Strafverfolgung rechnen. Das gesamte Jahr über wurden unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen mit Hilfe des sogenannten Agentengesetzes unter Druck gesetzt. Das 2012 eingeführte Gesetz verpflichtet NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten und nicht näher definierten "politischen Aktivitäten" nachgehen, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren und ihre Publikationen dementsprechend zu kennzeichnen. 2013 und 2014 mussten Hunderte von NGOs unangekündigte offizielle "Inspektionen" über sich ergehen lassen, Dutzende sahen sich zu langwierigen Gerichtsverfahren gezwungen, um sich gegen die Registrierung zur Wehr zu setzen (AI 25.2.2015). Im Mai 2014 wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass das Justizministerium NGOs auch ohne ihre Zustimmung als "ausländische Agenten" registrieren kann (AI 25.2.2015, vgl. Gannuschkina 3.12.2014). Bis Ende 2014 waren 29 NGOs auf diese Weise registriert worden, darunter mehrere führende Menschenrechtsorganisationen. Mindestens fünf NGOs beschlossen aufgrund dieser Schikanen, sich aufzulösen. Mitglieder der NGO Ekovakhta (Umweltwacht Nordkaukasus), die Umweltschäden im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi dokumentierten, wurden im Vorfeld des Sportereignisses unentwegt von Sicherheitsbeamten schikaniert. Die beiden Mitglieder Jewgeni Witischko und Igor Chartschenko wurden wegen haltloser Vorwürfe festgenommen und während der Eröffnung der Spiele in Gewahrsam gehalten. Jewgeni Witischko verlor während seiner Haft ein Berufungsverfahren, bei dem es um unverhältnismäßige Anklagen ging, die ihn und seine NGO zum Schweigen bringen sollten. Er wurde zur Verbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe umgehend in eine Strafkolonie verbracht. Im März 2014 musste Ekovakhta auf Anweisung eines Gerichts alle Tätigkeiten vorübergehend einstellen. Im November verfügte eine weitere Gerichtsentscheidung die Auflösung der NGO wegen eines geringfügigen formalen Verstoßes. Das Justizministerium beantragte vor Gericht die Schließung der Organisation Memorial Russland, die als Dachorganisation für die russischen Gesellschaften von Memorial fungiert. Beanstandet wurden vermeintlich fehlerhafte Registrierungen. Die Anhörung wurde verschoben, weil sich die NGO um eine Berichtigung der Registrierung bemühte (AI 25.2.2015).

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Quellen:

Ombudsmann

Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, der durch den russischen Präsidenten ernannt wird, äußert sich durchaus kritisch (AA 10.6.2013). Er kommentiert zahlreiche Menschenrechtsprobleme, wie Polizeigewalt, Haftbedingungen, die Behandlung von Kindern, Schikanen bei Militär und Religionsfreiheit. Er kritisiert auch die Intoleranz und das Anwachsen von ethnischem und religiösem Hass. Lukins Büro nutzt seinen Einfluss, um die Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsprobleme in den Gefängnissen zu lenken. Viele Führungspersönlichkeiten von Menschenrechtsorganisationen geben weiterhin an, dass Lukin als behördlicher Vertreter im Allgemeinen effektiv sei, trotz der Einschränkungen der Befugnisse seiner Stelle. Das Büro des Ombudsmannes umfasst mehrere spezialisierte Abteilungen, die für die Untersuchung von Beschwerden zuständig sind. Alle bis auf sechs der 83 Regionen haben regionale Menschenrechtsbeauftragte, deren Verantwortungsbereich jenem Lukins ähnlich ist. Ihre Effektivität variiert erheblich (USDOS 27.2.2014).

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Wehrdienst

Die Bedingungen des Wehrdienstes (12 Monate) sind hart. Die allgemeine Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 28 Jahren (in Zukunft 30 Jahren). Wehrpflichtige erhalten zurzeit ca. 40 Euro Monatssold plus Standort- und Gefahrenzulagen. Die Militärstaatsanwaltschaft berichtet häufiger über Bestechungs- und Korruptionsfälle mit dem Ziel des Freikaufs vom Wehrdienst. Die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften ist weiterhin problematisch. Es kommt nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina"). Bereits 2006 hatte Putin die Bildung einer Militärpolizeibehörde (geplante Mannstärke: 10.000) angeregt, die vor allem die "Dedowschtschina", aber auch Diebstahlsfälle in den Streitkräften bekämpfen sollte. Derzeit ist unklar, ob und inwieweit sie ihre Arbeit bereits aufgenommen hat. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Es bestehen Zweifel, ob die offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den bewaffneten Organen der Russischen Föderation vollständig und wahr sind. Die NGO "Komitee der Soldatenmütter" beklagt regelmäßig, dass es viel mehr Menschenrechtsverletzungen gebe als offiziell bekanntgegeben werde. Wehrdienstleistende verfügen seit Dezember 2009 grundsätzlich über ein privates Mobiltelefon und dürfen dieses benutzen, auch um auf Notlagen hinzuweisen. Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 10.6.2013).

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt. Laut Verfassung der Russischen Föderation hat jeder Bürger, bei dem Gewissensgründe gegen eine Ableistung des Wehrdienstes vorliegen würden, das Recht auf einen Ersatzdienst von 21 Monaten. Jeder, der für einen Zivildienst in Betracht gezogen werden wolle, müsse dies mindestens sechs Monate vor Dienstantrittsdatum der zuständigen örtlichen Einberufungskommission mitteilen. Diese trifft die Entscheidung darüber, ob dem Antrag auf einen Zivildienst stattgegeben wird. Ein solcher Antrag könne abgewiesen werden, wenn die Kommission zum Schluss kommt, dass keine angemessenen Gewissensgründe vorliegen würden. Weitere Gründe für eine Ablehnung eines Antrags sind die Nichtbeachtung der Frist für die Einreichung des Antrags auf einen Zivildienst, das Vorlegen falscher bzw. gefälschter Dokumente beim Antrag oder das zweimalige Ignorieren einer Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Gegen die Abweisung eines Antrags kann gerichtlich Berufung eingelegt werden. Weniger als ein Tausendstel aller Wehrpflichtigen würden von der Möglichkeit Gebrauch machen, um einen Zivildienst anzusuchen (BZ 7.2014).

Die Misshandlung von Rekruten ist ein bei den russischen Streitkräften verbreitetes Problem. Das Verteidigungsministerium hat das Problem erkannt und arbeitet sowohl mit dem Menschrechts-Ombudsmann der Regierung als auch mit NGOs zusammen, um die Menschenrechtssituation in den Streitkräften zu verbessern. So wird Rekruten das Recht eingeräumt die Kasernen über das Wochenende zu verlassen und in Einheiten nahe ihrem Wohnsitz zu dienen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind in den Streitkräften jedes Jahr mehrere Dutzend Todesopfer und mehrere tausend Verletzte aufgrund von Misshandlungen zu beklagen. Hinzu kommt eine hohe Zahl von Selbstmorden unter Rekruten, die auf Misshandlungen zurückzuführen sind. NGOs kritisieren, dass es nur in seltenen Fällen zu einer Verurteilung der Schuldigen kommt. Dem "Komitee der Soldatenmütter" zu Folge sollen Misshandlungsfälle im Jahr 2013 wieder angestiegen sein (ÖB Moskau 10.2014, vgl. USDOS 27.2.2014).

Quellen:

Wehrdienstverweigerung

Das russische Strafgesetzbuch von 1996 (mit Novellierungen bis Juli 2014) regelt in Art. 328 Abs. 1, dass Wehrdienstverweigerung, sofern keine gesetzlichen Gründe für eine Befreiung vom Wehrdienst vorliegen, entweder mit einer Geldstrafe von bis zu 200.000 Rubel bzw. in Höhe des bis zu 18-fachen Monatsgehalts bzw. eines anderen Einkommens des Verurteilten oder mit drei- bis sechsmonatigem Arrest oder mit bis zu zweijährigem Freiheitsentzug bestraft werde. Weiters werden in Art. 328 Abs. 2 die Strafen für Verweigerung des Zivildienstes genannt (Strafgesetzbuch, 13.6.1996, inklusive Novellen bis 21.7.2014).

In der Praxis werde nur eine kleine Anzahl an Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft. Außerdem würden derzeit die Strafen für Wehrdienstverweigerung in der Praxis "sehr gering" ausfallen, auch wenn laut Gesetz eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden könne. In der Praxis komme es nur bei einer "kleinen Anzahl" von Fällen zu Strafverfahren gegen Wehrdienstverweigerer (BZ 7.2014).

Im Jahr 2012 hätten landesweit mehr als 244.000 Männer die Einziehung in den Wehrdienst umgangen. Etwa 8.794 Russen hätten ihren Einberufungsbescheid erhalten, seien jedoch nicht ihrer Pflicht nachgekommen, bei der Rekrutierungsstelle zu erscheinen, was eine Straftat darstellt, die mit bis zu zwei Jahren bestraft werde. Rund 235.800 weitere Männer hätten sich dem Wehrdienst entzogen, indem sie verhindert hätten, über ihre Einberufung benachrichtigt zu werden. Dies stellt in Russland ein Verwaltungsdelikt dar (Ria Nowosti 13.3.2013).

Quellen:

Tschetschenien

Erstmals seit langer Zeit wurden rund 500 Personen aus ganz Tschetschenien in den aktiven Wehrdienst eingezogen. In die Truppenverbände traten die Rekruten erst im November 2014 ein. Bei der überwiegenden Mehrheit der Rekruten handelt es sich um Freiwillige, von denen viele eine militärische Karrierelaufbahn anstreben würden. Nach Angaben des Leiters für Einberufungsangelegenheiten des tschetschenischen Militärkommissariats habe es "sehr viele" Interessenten gegeben, weshalb die Freiwilligen nach den Kriterien Gesundheitszustand, hoher Bildungsgrad sowie danach ausgewählt worden seien, ob sie über Fachkenntnisse verfügten, die für den Dienst nützlich seien. Die derzeitige Zahl der Einberufenen sei weitaus niedriger als die Zahl derer, die in die Armee eintreten wollten. Aus Grosny seien 56 Personen ausgewählt worden, um direkt zum Dienst in der russischen Armee entsendet zu werden. Laut Aussage des Leiters der Einberufungskommission von Grosny hätten mehr als 200 Personen erklärt, aus eigenem Willen den aktiven Wehrdienst ableisten zu wollen. Wie er weiter ausführt, hätten insgesamt 1.000 junge Menschen aus Grosny das Auswahlverfahren bei der Einberufungskommission durchlaufen, obwohl (in Grosny) lediglich Bedarf an 56 Rekruten bestehe (Kavpolit.ru 20.10.2014). Die letzte größere Einberufungskampagne für Tschetschenen hat im Jahr 1992 stattgefunden. Danach habe man Tschetschenen faktisch nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen. Nur eine kleine Zahl an Rekruten sei einberufen worden, um in Verbänden zu dienen, die in Tschetschenien stationiert und dem Verteidigungsministerium unterstellt waren bzw. der Inlandsarmee des russischen Innenministeriums angehörten (Caucasian Knot 1.11.2014). Im Herbst 2001 ist in Tschetschenien ein Experiment durchgeführt worden, bei dem versuchsweise 70 Personen zum Wehrdienst einberufen wurden. Diese seien allesamt in eine Sportkompanie der Motorisierten Schützenbrigade im Militärbezirk Moskau entsandt worden. Allerdings seien alle tschetschenischen Rekruten einige Wochen später nach Hause geschickt worden, da es zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit anderen Rekruten sowie Offizieren der Einheit gekommen ist. In Tschetschenien selbst sind um diese Zeit zwei Bataillone der Sondereinsatztruppen der Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation (GRU) sowie Infanterieverbände der Militärkommandanturen geschaffen worden, in die örtliche Bewohner zum Dienst aufgenommen wurden. Im Jahr 2006 sind in Tschetschenien die Bataillone "Sewer" ("Nord") und "Jug" ("Süd") des russischen Innenministeriums gebildet worden. Zurzeit würde eine begrenzte Zahl an tschetschenischen Rekruten in Einheiten der Inlandsarmee des Innenministeriums dienen, die in Tschetschenien stationiert sind. Bei diesen handelt es sich um das Regiment "Achmat Kadyrow" (das ehemalige Sonderbataillon "Sewer") sowie um das Bataillon "Jug". Im Sommer 2013 sind 150 Rekruten in diese Bataillone entsendet worden (Caucasian Knot 16.10.2014).

Quellen:

http://www.kavpolit.ru/articles/chechentsev_pozvali_v_armiju-10468/ , Zugriff 31.3.2015, zitiert nach: ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.11.2014): Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Strafen bei Wehrdienstverweigerung (Ignorierung einer Ladung zum Wehrdienst); legale Gründe zur Verweigerung des Wehrdienstes; Befragung und "Durchleuchtung" des familiären Hintergrundes von rückkehrenden Tschetschenen, die einer Ladung zum Wehrdienst nicht nachgekommen sind; Diskriminierung von Tschetschenen bei Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung; Misshandlung und diskriminierende Behandlung von Tschetschenen in der Armee [a-8933-1], http://www.ecoi.net/local_link/290419/425021_de.html , Zugriff 31.3.2015

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 3.2015a).

Menschenrechtsverteidiger beklagen zum Teil erhebliche Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der gestiegene Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und Opposition. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 11.2014a).

In einigen Bereichen gibt die Menschenrechtslage in Russland weiterhin Anlass zu Kritik. Grundlegende Rechte wie Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit werden nicht immer in vollem Umfang gewährt; Journalisten und Menschenrechtsverteidiger haben mit Behinderungen bei ihrer Arbeit zu kämpfen und sind in manchen Fällen sogar Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt. Während es zahlreiche unabhängige Radiosender, Printmedien, Online-Portale und Buchverlage gibt, übt der Staat besonders auf das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen beträchtlichen Einfluss aus. Zudem haben staatliche Stellen in der Vergangenheit wiederholt Gesetze gegen Extremismus, zur Regulierung von NGOs und allgemeine Steuergesetze angewendet, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. In der Folge von teils gewalttätigen Protesten im Mai 2012 wurden eine Reihe legislativer Maßnahmen, durch welche die Tätigkeit der politischen Opposition erschwert wird, angenommen. Anfang Juni 2012 unterzeichnete Präsident Putin eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts. Das neue Gesetz sieht u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für die Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor, enthält ein Vermummungsverbot und andere Einschränkungen (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Bei Operationen von Sicherheitskräften u.a. in Dagestan, Kabardino-Balkarien und Tschetschenien kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrigen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen (AI 25.2.2015, vgl. HRW 29.1.2015). Am 4.12.2014 griffen bewaffnete Kämpfer in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mehrere Regierungsgebäude an und töteten dabei mindestens einen Zivilisten und 14 Polizeibeamte. Am nächsten Tag kündigte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow öffentlich an, man werde die Angehörigen der bewaffneten Männer des Landes verweisen und ihre Häuser zerstören. Mindestens 15 Häuser mit Dutzenden von Bewohnern, darunter kleinen Kindern, wurden niedergebrannt oder zerstört. Als Menschenrechtsverteidiger am 11.12.2014 in einer Pressekonferenz in Moskau dieses Vorgehen verurteilten und eine Untersuchung forderten, wurden sie mit Eiern beworfen. Über soziale Medien warf Ramsan Kadyrow dem Leiter der Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group, Igor Kalyapin vor, er unterstütze Terroristen. Am Abend des 13.12.2014 wurde bei einem mutmaßlich durch Brandstiftung verursachten Feuer das Büro der Organisation in Grosny zerstört. Am Tag danach hielten Polizisten zwei Mitarbeiter ohne Erklärung mehrere Stunden lang fest, führten Leibesvisitationen durch und konfiszierten ihre Mobiltelefone sowie mehrere Fotoapparate und Computer. Den Opfern von Menschenrechtsverletzungen standen nach wie vor praktisch keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung, da die Strafjustiz weiterhin nicht effektiv arbeitete und von höchster politischer Stelle - zumeist heimlich - unter Druck gesetzt wurde. Präsident Kadyrow übte jedoch auch offen Kritik an tschetschenischen Richtern und Geschworenen, wenn sie in Strafverfahren Urteile verhängten, die seiner Ansicht nach zu mild ausfielen. Über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, war weiterhin schwierig und gefährlich. Man geht davon aus, dass viele Vorfälle nie öffentlich gemacht wurden. Menschenrechtsverteidiger, unabhängige Journalisten und Rechtsanwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen befassten, wurden häufig von Polizeikräften oder unbekannten Personen bedroht und schikaniert (AI 25.2.2015).

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Der islamistische Widerstand in Tschetschenien ist in drei Gruppen geteilt. Eine versteckt sich an der Grenze zu Inguschetien, wird vom Emir Khamzat kommandiert und in diesem Gebiet konnte sich der frühere Emir des Kaukasus Emirates Dokku Umarow sieben Jahre lang verstecken. Er soll das Gebiet nie verlassen haben. Die zweite Gruppe versteckt sich im Vedenskiy Distrikt und wurde von den Brüdern Muslim und Hussein Gakajew angeführt, die im Jänner 2013 bei einer Militäroperation getötet wurden. Neuer Kommandant ist Amir Mahran. Momentan gibt es zu dieser Gruppe keine Informationen, außer dass sie existiert. Sie hat in letzter Zeit keine Aktionen ausgeführt. Die dritte Gruppe versteckt sich in den bergigen Wäldern an der Grenze zu Dagestan. Emir Aslanbek ist ihr Kommandant. Er nahm schon am Ersten Tschetschenienkrieg teil und ist ein sehr erfahrener Kämpfer. Diese Gruppe operiert in Dagestan und untersteht dem Emir von Dagestan. Neben diesen drei Gruppen, die das tschetschenische Vilayat bilden, gibt es kleine Gruppen junger Männer, die zwar behaupten, Teil der jihadistischen Struktur zu sein und dem Emir Tschetscheniens zu unterstehen, was aber nicht stimmt. Diese kleinen Gruppierungen und weitere Individuen, deren Motivation die jihadistische Ideologie ist, sind fähig, Schießereien oder kleinere Bomben zu legen. Sie wenden sich - wie auch die jihadistischen Kämpfer des Emirates hauptsächlich gegen Polizisten, Mullahs und Beamte und nicht gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, bei der 14 Polizisten ums Leben kamen, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

Meinungs- und Pressefreiheit / Internet

Die Erosion der russischen Presse- und Medienfreiheit ist ein schleichender Prozess. Insbesondere die vergangenen Monate waren vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise von einer neuen Welle verstärkter staatlicher Einflussnahme im Medienbereich gekennzeichnet (AA 11.2014a). Die Regierung verstärkte die Kontrolle der wichtigsten Medien, was zu einem deutlichen Rückgang der Meinungsvielfalt führte. Ein Großteil der nominell nicht unter staatlicher Kontrolle stehenden Medien übte verstärkt Selbstzensur aus und bot regierungskritischen Ansichten kaum noch Raum. Der Druck auf unabhängige Medien nahm erheblich zu. Sie erhielten Verwarnungen von offizieller Seite, mussten sich von redaktionellen Mitarbeitern trennen und sahen sich mit Problemen in ihren Geschäftsbeziehungen konfrontiert. Medien in öffentlicher und privater Hand wurden dazu benutzt, um politische Gegner, unabhängige NGOs und andere kritische Stimmen zu diffamieren. Die Behörden verschärften die Kontrolle des Internets. Nach einem neuen Gesetz, das im Februar 2014 in Kraft trat, konnte die Generalstaatsanwaltschaft die Medienaufsichtsbehörde anweisen, Webseiten wegen mutmaßlicher Verstöße, wie z.B. dem Aufruf zur Teilnahme an einer nicht genehmigten öffentlichen Versammlung, zu sperren. Eine richterliche Genehmigung war nicht notwendig. Mehrere unabhängige Medien wurden von offizieller Seite verwarnt, weil sie angeblich "extremistische" oder sonstige rechtswidrige Inhalte verbreiteten. Es kam weiterhin zu tätlichen Angriffen auf Medienschaffende. Im August 2014 wurden mehrfach Journalisten angegriffen, die über geheime Beisetzungen von dem Vernehmen nach in der Ukraine gefallenen russischen Soldaten berichten wollten. Auch Einzelpersonen und Gruppen von Menschen, die abweichende Meinungen vertraten, konnten ihr Recht auf freie Meinungsäußerung 2014 nicht ausüben (AI 25.2.2015).

Der gedruckten Ausgabe der regierungskritischen russischen Zeitung Nowaja Gaseta droht aus finanziellen Gründen das Aus. Auch wenn die Nowaja Gaseta womöglich nicht mehr in Papierform erscheinen wird, wird ihre Website weiter betrieben. Die Zeitung hat schwere finanzielle Probleme, der Hauptaktionär hat seine Zahlungen eingestellt und es gibt praktisch keine Anzeigenkunden. Die Nowaja Gaseta kann nicht mit vom Staat subventionierten Medien konkurrieren. Die Zeitung gehört zu den wichtigsten unabhängigen Medien Russlands. Offenbar im Zusammenhang mit ihren Recherchen wurden seit ihrer Gründung 1993 sechs ihrer Mitarbeiter getötet, darunter die Journalistin Anna Politkowskaja (Standard 13.3.2015).

Timur Kuaschew, ein Journalist aus Kabardino-Balkarien, der eng mit örtlichen Menschenrechtsverteidigern zusammenarbeitete, wurde am 1.8.2014 tot aufgefunden. Berichten zufolge war ihm eine tödliche Injektion verabreicht worden. Die Fälle der in den vergangenen Jahren im Nordkaukasus getöteten Journalisten, unter ihnen Natalja Estemirowa, Chadschimurad Kamalow und Achmednabi Achmednabijew, wurden nicht wirksam untersucht, und die Täter bleiben weiterhin im Dunkeln. Im Fall der im Oktober 2006 in Moskau ermordeten investigativen Journalistin Anna Politkowskaja wurden im Juni 2014 fünf Männer zu Haftstrafen verurteilt, doch die Auftraggeber wurden nicht identifiziert (AI 25.2.2015, vgl ÖB Moskau 10.2014, HRW 29.1.2015). Die Mörder von der Menschenrechtsverteidigerin Natalia Estemirowa (getötet 2009) wurden noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen (HRW 29.1.2015).

Während eine Anzahl unabhängiger Radiosender und Printmedien existiert, kontrolliert die Regierung doch einen großen Teil der Medien und v.a. das am weitesten verbreitete Medium Fernsehen fast völlig. Auf die unabhängigen Medien wird von den Behörden verschiedentlich Druck ausgeübt, auf kritische Berichterstattung zu verzichten. Insbesondere die unscharfe Definition von Extremismus im russischen Anti-Extremismus-Gesetz schafft die Möglichkeit, Journalisten wegen Verbreitung angeblicher extremistischer Inhalte zu belangen. Das Internet galt bis vor kurzem als einer der letzten Räume für unabhängige Informationen. Die Bemühungen der russischen Behörden, auch diesen Freiraum einzuschränken, nahmen in letzter Zeit jedoch zu. Im Juli 2012 traten neue Regeln für das Internet in Kraft, aufgrund deren die Regierung u.a. das Recht erhält, bestimmte Internetseiten ohne eine vorangehende gerichtliche Entscheidung zu sperren. 2014 wurden mehrere Online-Nachrichtendienste (z.B. Lenta.ru) und oppositionelle Websites (Grani.ru, Kasparov.ru, ej.ru) gesperrt, die Arbeit von Bloggern reglementiert (Eintragung als Massenmedium) und die außergerichtliche Blockierung von Websites (sog. Lugowoj-Gesetz) eingeführt. Die staatliche Medienaufsicht Roskomnadzor blockiert derzeit über 2.000 Websites, betroffen sind aber laut Experten über 56.000 weitere Seiten, die IP-Adressen mit den blockierten Seiten teilen. Seit Juli 2014 müssen sich Blogger mit mehr als 3.000 Zugriffen pro Tag als Massenmedien registrieren und unterliegend dadurch einer größeren Kontrolle durch die Medienaufsicht. Weitere Einschränkungen des Internets sind geplant:

geht es nach der Staatsduma sollen ausländische Internetdienste wie Facebook oder Twitter ab Anfang nächsten Jahres Daten über russische Nutzer auf russische Servern speichern, um die Kontrolle der heimischen Sicherheitsdienste darüber zu erleichtern. Darüber hinaus überlegt man, sogenannte OTT-Dienste wie Telefonate via Skype zu reglementieren, da die Kontrolle darüber schwerer ist als bei herkömmlichen Telefonaten. Auch bei diesen Gesetzesvorschlägen beruft sich die Staatsduma auf den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Jahr zuvor gestrichen worden war. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 11.2014a).

Im September 2014 verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, nach dem ab Februar 2016 die ausländische Beteiligung an russischen Medien nur noch maximal 20% betragen darf (AA 11.2014a).

Auf der Weltrangliste 2015 der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen befindet sich Russland auf Platz 152 von 180 untersuchten Staaten (letztes Jahr: Platz 148). Angebliche Bedrohungen der nationalen Sicherheit dienen in vielen Staaten als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Russland etwa verabschiedete unter dem Eindruck des Kriegs mit der Ukraine weitere repressive Gesetze, darunter eine Verschärfung des Verbots, öffentlich zur Verletzung der territorialen Integrität aufzurufen - wodurch jede Kritik etwa an der Annexion der Krim kriminalisiert wird (ROG 12.2.2015).

Quellen:

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

Die Verfassung garantiert das Recht auf Versammlungsfreiheit, doch in der Praxis ist dieses teilweise eingeschränkt. Regionale Behörden haben wiederholt Demonstrationen oppositioneller Gruppen verboten oder durch administrative Maßnahmen verhindert. Anfang Juni 2012 wurde eine Gesetzesnovelle zur deutlichen Verschärfung des russischen Versammlungsrechts angenommen. Die neuen Bestimmungen sehen u.a. eine drastische Erhöhung der Geldstrafen für Organisation und Teilnahme an nicht genehmigten Kundgebungen vor (bis zu 7.500 Euro für Privatpersonen und bis zu 25.000 Euro für juristische Personen) und enthalten ein Vermummungsverbot sowie andere Einschränkungen. Im Frühjahr 2013 wurden Teile des Gesetzes vom russischen Verfassungsgericht aufgehoben und vom Gesetzgeber Nachbesserungen verlangt. Dennoch kann bislang keine relevante Verbesserung beobachtet werden (ÖB Moskau 10.2014, vgl. HRW 29.1.2015).

Im Vergleich zu den Vorjahren gingen die Straßenproteste 2014 zwar zurück, im Februar und März sowie im Dezember kam es jedoch vermehrt zu Kundgebungen. Anlass waren die Prozesse gegen die Demonstrierenden vom Moskauer Bolotnaya-Platz, das militärische Eingreifen Russlands in der Ukraine, eine geplante Gesundheitsreform und die Verurteilung von Alexej und Oleg Nawalny. Nach wie vor galten für öffentliche Versammlungen aufwendige Genehmigungsverfahren. Bis auf wenige Ausnahmen wurden öffentliche Protestkundgebungen verboten, stark eingeschränkt oder aufgelöst. Im Juli 2014 wurden die Geldbußen für Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Veranstaltungen deutlich erhöht und wiederholte Verstöße als Straftat definiert, die mit Freiheitsstrafen geahndet werden kann. Zahlreiche Personen, die sich an gewaltlosen Protesten gegen das militärische Engagement Russlands in der Ukraine und gegen die Annexion der Krim beteiligten, wurden festgenommen und mit Geldstrafen oder bisweilen auch Haftstrafen belegt. Demonstrationen, die das Vorgehen der russischen Regierung in der Ukraine unterstützten, konnten hingegen an zentralen Orten stattfinden, die oppositionellen Kundgebungen in der Regel verwehrt blieben. In Samara erhielten mehrere engagierte Bürger anonyme Morddrohungen, nachdem sie mehrere Ein-Personen-Demonstrationen veranstaltet hatten - die einzige Form von Protest, für die keine Genehmigung erforderlich ist. Im August wurden drei Frauen vorübergehend auf einer Moskauer Polizeiwache festgehalten, weil sie Kleidung in Blau und Gelb trugen, den Farben der ukrainischen Flagge. Ähnliche Vorfälle wurden aus dem ganzen Land gemeldet. Ende 2014 kam es in zahlreichen russischen Städten, zumeist ungehindert, zu kleineren Protestkundgebungen gegen geplante Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich. In Moskau wurden jedoch vier Protestierende zu fünf bis 15 Tagen Haft verurteilt, nachdem Demonstrierende kurzzeitig eine Straße blockiert hatten. In dem politisch motivierten Strafverfahren gegen den Regierungsgegner Alexej Nawalny und seinen Bruder Oleg wurde am 30.12.2014 in Moskau das Urteil verkündet - zwei Wochen früher als vorgesehen. Es kam zu spontanen Protesten, bei denen mehr als 200 Menschen festgenommen wurden. Gegen zwei Personen ergingen Haftstrafen von 15 Tagen, 67 weitere wurden über Nacht festgehalten und bis zu ihrem Verfahren im Januar 2015 auf freien Fuß gesetzt (AI 25.2.2015).

Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen. Russlands berühmtester Oppositionsführer Nawalny verbrachte den größten Teil von 2014 in Hausarrest und wurde Ende 2014 zu dreieinhalb Jahre Haft auf Bewährung wegen Finanzbetrugs und sein Bruder zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im April 2012 wurden liberalere Regeln zur Registrierung von politischen Parteien eingeführt, die die Bildung hunderter neuer Parteien ermöglichten. Jedoch war keine dieser Parteien eine signifikante Bedrohung für die Behörden und viele dieser Parteien schienen nur darum gegründet worden zu sein, um Spaltung und Verwirrung innerhalb der Opposition hervorzurufen. Das Justizministerium verweigerte Nawalnys Fortschrittspartei im September 2014 die Registrierung mit der Begründung, dass obwohl die Partei beweisen konnte, dass sie Zweige in 40 Regionen hat, die Dokumente von 24 dieser Zweigstellen nicht rechtzeitig eingetroffen sind (FH 28.1.2015).

Morde an Oppositionellen kommen in Russland immer wieder vor. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow ist der jüngste Fall. Weitere Kremlkritiker die ihr Leben lassen mussten waren die Journalistin und Regierungskritikerin Anna Politkowskaja, der russische Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko, der Anwalt Sergej Magnizki, die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa und der russische Oligarch und einstige Multimillionär Boris Beresowski (Spiegelonline 28.2.2015).

Quellen:

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Regierung hat in die Renovierung der oft arg heruntergekommenen Gefängnisse investiert und durch Amnestien die Zahl der Insassen der bislang meist total überfüllten Gefängnisse reduziert (im Juni 2014 befanden sich offiziellen Daten zu Folge in Russland 676.000 Personen in Haft - im Jänner 2011 waren es noch knapp 750.000). Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. In Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch. Weder während noch nach der Haft gibt es Rehabilitierungsprogramme, so dass die Rückfallquote von Straftätern im internationalen Vergleich hoch ist. NGOs kritisieren, dass Besuche internationaler Beobachter nur in ausgewählten Gefängnissen zugelassen werden, die insgesamt nicht repräsentativ seien. Offiziellen Angaben zu Folge kamen 2012 in russischen Gefängnissen insgesamt 4.121 Gefangene ums Leben. Gelegentlich werden Vorfälle bekannt, in denen Häftlinge angesichts schlechter Haftbedingungen revoltieren (im Juni 2013 kam es im Rahmen eines Protestes zur kollektiven Selbstverletzung von ca. 40 Häftlingen in einer Strafkolonie in Irkutsk; im März 2014 schnitten sich 30 Häftlinge in einem Gefängnis im Gebiet Bryansk die Pulsadern auf) (ÖB Moskau 10.2014).

Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich in der Regel Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Eine unabhängige Kontrollkommission dokumentierte wiederholt Hinweise auf Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen in der auch als Untersuchungsgefängnis dienenden Gefängniskolonie IK-5 in der Region Swerdlowsk. Im Juli 2014 forderten Kommissionsmitglieder die Behörden auf, Foltervorwürfen nachzugehen, die der Untersuchungshäftling E. G. erhoben hatte, und legten als Beweismittel Fotos seiner Verletzungen vor. In einer schriftlichen Antwort teilte die Staatsanwaltschaft mit, eine Befragung des Personals von IK-5 und eine Durchsicht der Verwaltungsunterlagen habe ergeben, dass in der Gefängniskolonie keine Gewalt gegen E. G. angewendet worden sei und die Verletzungen aus der Zeit vor seiner dortigen Inhaftierung stammten. Weitere Ermittlungen wurden nicht eingeleitet (AI 25.2.2015).

Exekutivpersonal greift manchmal auf Misshandlungs- und Folterpraktiken zurück, um Geständnisse zu erzwingen. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen oft nur auf Geständnissen der Beschuldigten aufbauen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Exekutivbeamte werden oft nicht untersucht. Besonders oft wird Folter offenbar im Nordkaukasus angewendet (ÖB Moskau 10.2014, vgl. DIS 1.2015, CPT 24.1.2013). Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Todesstrafe

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 10.2014, vgl. GIZ 2.2015a).

Quellen:

Religionsfreiheit

Das Religionsgesetz von 1997 regelt die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Es definiert vier traditionelle Religionen - Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus. Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 2.2015c, vgl. SWP 4.2013).

Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismus Vorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren ein (AA 10.6.2013).

Die Verfassung sieht die Religionsfreiheit vor, jedoch schränken andere Gesetze und Richtlinien diese ein. In der Praxis respektierte die Regierung die Religionsfreiheit im Allgemeinen, aber einige Minderheitengruppen hatten weiterhin Schwierigkeiten mit den Behörden. Die bedeutendsten Einschränkungen der Religionsfreiheit sind die Nutzung von Anklagen aufgrund von Extremismus um auf Minderheitenreligionen abzuzielen, Einschränkung des Versammlungsrechts, Bemühungen diverse Registrierungen zu verweigern und religiösen Besuchern Visa zu verweigern. Es gibt Berichte über gesellschaftliche Schikanen und Diskriminierung aufgrund der religiösen Zugehörigkeit, des Glaubens und der Ausübung der Religion. Mitglieder von religiösen Minderheitengruppen erfahren weiterhin Belästigungen und manchmal auch physische Attacken. Der gewalttätige Extremismus im Nordkaukasus und der Zustrom von Migranten aus Zentralasien führen in vielen Regionen zu einer negativen Einstellung gegenüber traditionellen muslimischen Gruppierungen. Da Ethnizität und Religion oft untrennbar miteinander verbunden sind, ist es bei vielen Vorfällen schwer zu beurteilen, ob deren Grund in ethnischer oder religiöser Intoleranz liegt (USDOS 28.7.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2014). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

Im Jänner 2014 berichtete Caucasian Knot, dass durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien junge Menschen auf der Straße angehalten und einvernommen wurden. Die Sicherheitskräfte sollen hier auf Männer mit Bärten und Frauen in Hidschab abgezielt haben, da diese als dem radikalen Islam zugehörig angesehen werden. Die Sicherheitskräfte sagten, dass dies als präventive Maßnahme zu sehen sei. Nicht nur in Grosny, auch in anderen Städten Tschetscheniens unternahmen Sicherheitskräfte "Anti-Wahabismus Razzien" und kontrollierten Handys von jungen Männern und Frauen. Menschenrechtsorganisationen haben keine Beschwerden über gesetzwidrige Handlungen in diesem Zusammenhang erhalten (Caucasian Knot 16.1.2014, vgl. DIS 1.2015, ACCORD 1.7.2014).

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

Quellen:

Ethnische Minderheiten

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch fast 100 andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt (GIZ 2.2015c). Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

In Russland ist man sich der Risiken, die Rassismus in einem traditionell multiethnischen Staat wie Russland darstellt, bewusst. Regelmäßig wird auf hoher und höchster politischer Ebene gegen Rassismus und Intoleranz appelliert. Es fehlt jedoch nach wie vor eine kohärente Politik zur Bekämpfung des grassierenden Rassismus. Die Jahresberichte der russischen NGO Sowa, die sich mit Rassismus auseinandersetzt, konstatierten für die Jahre 2010-2012 einen konstanten Rückgang rassistisch motivierter Gewalttaten in Russland. 2013 hat sich dieser Trend jedoch wieder umgekehrt: Mindestens 20 Personen wurden getötet, 173 verletzt. 2012 wurden 18 Personen getötet und 187 verletzt Es ist jedoch von einer höheren Dunkelziffer auszugehen. Die meisten Opfer stammen aus Zentralasien und dem Kaukasus. Immer wieder kommt es zu Fällen, in denen Auseinandersetzungen entlang ethnischer Linien verlaufen. 2013 war in Moskau die Ermordung eines Fußballfans durch einen Aserbaidschaner bzw. Attacken gegen Polizisten auf einem von zentralasiatischen Händlern besiedelten Markt Auslöser für Massenunruhen. Im Alltag kommt es gelegentlich zu (willkürlichen) Verhaftungen von Angehörigen kaukasischer Völker und Einwanderern aus Zentralasien. Ethnische Stereotypen im Boulevardjournalismus und in der Alltagskultur verstärken, besonders unter den russischen Moslems (12% der Bevölkerung) ein Gefühl der Entfremdung. Im Sommer 2013 kam es insbesondere in Moskau zu groß angelegten Polizeiaktionen gegen illegal aufhältige Migranten, bei denen mehrere Tausend Personen verhaftet und zum Teil in ihre Herkunftsländer (v.a. Zentralasien, Südkaukasus, Vietnam) abgeschoben wurden. Anfang 2014 wurden die Migrationsgesetze erneut verschärft. Ab 2015 sollen insbesondere die Migranten aus Zentralasien auf ihre Russischkenntnisse und ihr Wissen über das russische Staatswesen und seine Kultur überprüft werden (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

Frauen / Kinder

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung, z.B. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden (ÖB Moskau 10.2014). Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan (ÖB Moskau 10.2014, vgl. FH 28.1.2015). Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering. In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung (ÖB Moskau 10.2014).

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 2.2015c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 8% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 28.1.2015). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 2.2015c).

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen offenbar auch gar nicht nach. Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland nur wenige. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel (AA 10.6.2013).

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 27.2.2014).

Quellen:

Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland. Die menschenrechtliche Situation von Frauen im Nordkaukasus ist nach wie vor problematisch. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen, "Sittenwächtern" und häuslicher Gewalt im Nordkaukasus sind besorgniserregend. In den meisten Fällen werden diese Verbrechen nicht zur Anzeige gebracht, bzw. keine Strafverfolgung eingeleitet. Eine Quantifizierung des Problems ist schwierig, NGOs in Tschetschenien berichten jedoch von zumindest einem neuen Fall pro Monat. Problematisch scheint auch die Situation von Frauen im Fall einer Scheidung oder bei Tod des Ehemannes. In der Frage der Obsorge für die gemeinsamen Kinder, sowie in der Frage der Aufteilung des gemeinsamen Besitzes spielen traditionelle Vorstellungen eine wichtige Rolle. Oft haben Frauen es deshalb schwer die ihnen nach russischem Gesetz zustehenden Rechte auch in der Realität durchzusetzen (ÖB Moskau 10.2014).

Tschetschenische Behörden verlangen, dass Frauen in öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen. Im September 2014 warnte Kadyrow im Fernsehen, dass im Kampf gegen den nicht-traditionellen Islam, Frauen, die Kopftücher im "Wahabistenstil" tragen (Stirn und Kinn verdeckt) verhaftet würden (HRW 29.1.2015).

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischen Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv beschützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f).

Vergewaltigung:

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).

Muslimische Hochzeit:

Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art - durch einen Imam - die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, S. 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, S. 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, S. 25).

Waisenhäuser:

Wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben, nachdem beide Eltern verstorben sind, sorgt der Tradition zufolge die Familie ihres Vaters für sie. Wenn die Großeltern nicht für die Kinder sorgen können, werden sie in die Obhut der Familie ihrer Mutter übergeben. Wenn es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, kommen sie in ein Waisenhaus. In Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus setzen Familien alles daran, um zu vermeiden, dass Kinder in ein Waisenhaus kommen. Es ist nicht üblich, Kinder in Waisenhäuser zu bringen, und normalerweise leben in Waisenhäusern nur Kinder, die ihre gesamte Familie verloren haben. Im Allgemeinen vertreten Behörden die Auffassung, dass es in Tschetschenien keine Waisenhäuser geben sollte, da es Aufgabe der Familie ist, für die Kinder zu sorgen. 2009 ordnete Präsident Kadyrow an, dass alle Waisenhäuser in Tschetschenien geschlossen werden und die Kinder wieder zu ihren Verwandten zurückkehren sollten. Nach Auskunft eines Vertreters einer internationalen Organisation im Nordkaukasus lag dieser Initiative von Kadyrow der Wunsch zugrunde, deutlich zu machen, dass Familien einen starken Verbund darstellen und sie für sich selbst sorgen können. Nur wenige wollten jedoch entfernte Verwandte zu sich nehmen, zu denen sie kaum Kontakt hatten. Aufgrund des Wohnungsmangels und finanzieller Zwänge waren die Menschen nicht bereit, noch ein weiteres Mitglied in ihren Haushalt aufzunehmen und zu unterstützen. Kadyrow möchte den Eindruck vermitteln, dass die familiären Bande noch genauso stark sind wie früher, doch ist dies nach Angaben der Organisation nicht der Fall. Landinfo hat keinen Überblick über die Zahl der Waisenhäuser in Tschetschenien, doch nach Angaben eines tschetschenischen Rechtsanwalts gibt es eines in Grosny, ein weiteres im Bezirk Nadteretschny. Laut einer NGO in Moskau gibt es in Tschetschenien fünf oder sechs Waisenhäuser. In dem größten sind 200-300 Kinder untergebracht. Waisenhäuser sind öffentliche Einrichtungen (EASO 6.2014a, S. 31).

Quellen:

Mutterschaftskapital und Kindergeld

Laut einem am 1.1.2007 erlassenen Gesetz erhalten russische Frauen, die zwei oder mehr Kinder haben, vom Staat eine Einmalzahlung (2014 liegt diese bei RUB 429.408,50 (USD 12.520)), die bei einer Bank hinterlegt werden. Das zweite oder weitere Kind muss nach dem 1.1.2007 geboren worden sein. Dieses Geld nennt sich "Mutterschafts-Kapital" und wird auf einem speziellen Bankkonto hinterlegt, für das den Frauen ein Zertifikat ausgehändigt wird, das ihren Anspruch auf das Kapital bestätigt. Auf dieses Geld, das grundsätzlich nicht bar ausgezahlt wird, kann erst zugegriffen werden, wenn das Kind 3 Jahre alt ist (d.h. Frauen, die das Kapital im Januar 2007 erhalten, haben erst im Januar 2010 Zugriff darauf). Der hinterlegte Betrag darf nicht in bar ausgezahlt werden, sondern nur zu Investitionszwecken dienen, z.B. der Verbesserung der familiären Wohnverhältnisse, der Ausbildung der Kinder oder der Rente der Mutter. Diese Beihilfe erhält die Frau nur einmalig, auch wenn sie mehrere Kinder hat. Zurzeit läuft das Projekt bis 2016. Seit dem 1.1.2009 kann dieses Mutterschaftsgeld, unabhängig vom Alter des Kindes, auch zur Hypothekentilgung herangezogen werden (IOM 6.2014; vgl. Pension Fund o.D., MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014).

Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).

Quellen:

LGBTI

Homosexualität ist in Russland kein Straftatbestand. Nachdem bereits auf lokaler Ebene (so St. Petersburg, Nowosibirsk, Ryazan, Archangelsk und Kostroma) ähnliche Gesetze angenommen worden waren, trat mit Anfang Juli 2013 auch auf föderaler Ebene ein Gesetz zum Verbot der Propaganda von Homosexualität und "nicht traditionellen sexuellen Beziehungen" in Kraft. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen von 4.000-5.000 Rubel (100-125 Euro) für natürliche Personen und bis zu 1 Mio. Rubel (25.000 Euro) für juristische Personen und Organisationen vor, wenn diese Informationen verbreiten, welche "nicht-traditionelle" sexuelle Orientierungen bei Minderjährigen fördern oder solche Orientierungen positiv darstellen würden. Medien, die über Homosexualität berichten, können für drei Monate geschlossen werden. Ausländischen Staatsbürgern, die gegen das Gesetz verstoßen, droht zudem die Ausweisung aus Russland. Kritiker gehen jedoch davon aus, dass das Gesetz in der Praxis zur Unterbindung jeglicher öffentlicher Veranstaltung der LGBT-Gemeinschaft, wie etwa Straßenparaden, führt. Zudem zeigt sich in der Aktivität von homophoben Gruppen geringe gesellschaftliche Akzeptanz. Fehlender Schutz durch Polizei und gesellschaftliche Tabuisierung machen Homosexuelle zu leichten Opfern von Verbrechen. Die "Gayparade" der russischen Homosexuellenbewegung war in der Vergangenheit von Gewaltexzessen rechtsradikaler und ultraorthodoxer Gegendemonstranten überschattet. "Gayparaden" werden von der Moskauer Stadtverwaltung regelmäßig untersagt, Aktivisten die sich dem Verbot widersetzen verhaftet (ÖB Moskau 10.2014).

Die Behörden nahmen Angehörige sexueller Minderheiten ins Visier und beriefen sich dabei u.a. auf das 2013 in Kraft getretene Gesetz, das "Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen" unter Strafe stellt. Aktivisten, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LGBTI) einsetzten, wurden konsequent daran gehindert, friedliche Versammlungen abzuhalten, selbst an Orten, die eigens für öffentliche Zusammenkünfte ohne vorherige Anmeldung vorgesehen waren, wie z.B. kaum besuchte Parks. In drei Fällen, bei denen die Veranstaltungen zunächst verboten worden waren, bestätigten Gerichte zwar das Recht der LGBTI-Aktivisten auf friedliche Versammlung; die Urteile hatten jedoch keine Präzedenzwirkung (AI 25.2.2015).

Gegen LGBTI-Personen eingestellte Gruppen attackierten diese und die Behörden unternahmen zwar einige isolierte Untersuchungen, jedoch versagten sie homophobe und transphobe Gewalt zu verfolgen (HRW 29.1.2015).

Quellen:

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung sind gesetzlich gewährleistet und gelten für alle Staatsbürger der Russischen Föderation einschließlich, Tschetschenen, Dagestaner, Inguschen etc. Alle erwachsenen Staatsbürger müssen bei Inlandsreisen behördlich ausgestellte "Inlandspässe" mit sich führen und müssen sich nach ihrer Ankunft bei den lokalen Behörden registrieren. Personen ohne Inlandspass oder ohne ordentliche Registrierung werden von Behörden oft staatliche Dienste verwehrt. Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein. Personen mit dunklerer Hautfarbe aus dem Kaukasus oder afrikanischer oder asiatischer Herkunft werden oft zur Überprüfung ihrer Dokumente herausgegriffen. Es gab glaubhafte Berichte, dass die Polizei nicht registrierte Personen willkürlich und über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus strafte oder Bestechungsgelder verlangte (US DOS 27.2.2014, vgl. AA Bericht 10.6.2013, FH 28.1.2015).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 10.6.2013).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vgl. AA 10.6.2013).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Volgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Volgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Volgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Volgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Volgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Volgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. SOVA gab an, dass die Haltung gegenüber Personen aus dem Nordkaukasus negativer wird. Russen haben verschiedene Gründe, warum ihnen Personen aus dem Nordkaukasus unbehaglich seien:

Diese werden als anders oder als gewalttätig betrachtet, oder man hat Angst vor terroristischen Aktivitäten. In großen Städten werden sie zudem als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Gemäß SOVA gab es seit 2008 einen Rückgang rassistisch motivierter Übergriffe. 2008 fielen 116 Personen rassistisch motivierten Morden zum Opfer, 2011 waren es 23. 2007 hatte es 623 Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe gegeben, 2011 waren es 183. Die meisten Opfer stammten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus lagen bei den Opferzahlen an zweiter Stelle. Wenngleich die Berichterstattung über solche Verbrechen lückenhaft ist, kann dennoch aufgrund der von der Organisation gesammelten Information von einem tatsächlichen Rückgang von Hassverbrechen ausgegangen werden. Der Rückgang der Zahlen liegt gemäß SOVA daran, dass der Druck der Behörden auf Neonazi-Gruppen erhöht wurde und dass diese Gruppen nunmehr eher auf politischer Ebene partizipieren. 2011 wurden 189 Personen für gewalttätige Hassverbrechen verurteilt (2010: 297, 2009: 130). Gemäß der Chechen Social and Cultural Association ist die negative Stimmung nicht nur gegen Tschetschenen, sondern gegen Personen aus dem Kaukasus insgesamt gerichtet. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner. Mehrere Quellen gaben an, dass Tschetschenen heutzutage weniger oft für Personenkontrollen herausgegriffen werden, als etwa Zentralasiaten. Zumindest gelegentlich kommt es nach Aussage mehrerer Quellen vor, dass Tschetschenen Drogen oder Waffen untergeschoben werden, um einen Strafrechtsfall zu fabrizieren. Jedoch kommen solche Fälle falscher Anschuldigungen weniger oft vor als vor einigen Jahren und sind nicht systematisch; betroffen von solchen Praktiken sind nicht nur Tschetschenen. Mehreren Quellen zufolge finden nur sehr wenige Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst und bei der Polizei (DIS 8.2012).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

Gefälschte Dokumente

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Anteil der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung entsprach zuletzt 75,7 Millionen Menschen bzw. etwa 53% der Gesamtbevölkerung des Landes. Der vorwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung ist in großen und mittelständischen Unternehmen beschäftigt, die nicht dem Kleinunternehmertum zugerechnet werden. Das höchste monatliche Durchschnittseinkommen wird in Moskau (RUB 58.400 / USD 1702) und in den erdöl-und erdgasfördernden autonomen Gebieten registriert: in Nenetz und Jamalo-Nenetz (RUB 64.600 / USD 1884), Autonomes Gebiet Chanty-Mansijskij (RUB 55.400 / USD 1615), die Republik Sacha (Jakutien) (RUB 45600 / USD 1330), die autonome Region der Tschuktschen (RUB 50.800 / USD 1481, Sankt Petersburg (40.500 RUB / USD 1180) und die Region Moskau (35.700 RUB / 1040 USD). Die niedrigsten Durchschnittseinkommen werden in den südlichen Bundes-Distrikten (einschließlich Adygea, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karachaevo-Tscherkessien, Nord-Ossetien-Alania, Tschetschenien und Stavropol Krai etc.) verzeichnet (17.900 / USD 522) (IOM 6.2014).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 62 in 2015. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum 2014. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an (GIZ 2.2015b).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80 % von Moskau finanziert (GIZ 3.2015a).

Mit der Schaffung des "Nord-Kaukasus Distrikts", der Annahme eines umfangreichen Programmes für die sozioökonomische Entwicklung und der Betrauung von Wirtschaftsfachleuten mit hohen politischen Funktionen in der Region verfolgt Moskau seit Anfang 2010 einen umfassenderen Ansatz zur Stabilisierung der nordkaukasischen Republiken. Anstatt den Fokus auf Sicherheitsaspekte im engeren Sinn zu legen und die nordkaukasischen Republiken durch Transferzahlungen in finanzieller Abhängigkeit zu halten, gehen die geplanten Maßnahmen in Richtung einer strukturellen und nachhaltigeren Konsolidierung. Der damalige PM Putin hat am 6.9.2010 eine Strategie zur Entwicklung des Nordkaukasus bis 2025 signiert. Die Strategie kombiniert föderale Programme und private Geschäftsprojekte und soll bis zu 400.000 Arbeitsplätze schaffen. Im Wirtschaftsbereich sollen vor allem die Bau-, die Energie-, die Agrar- und die Tourismusbranche gefördert werden. Insgesamt wurden Projekte mit dem Gesamtwert von 600 Mrd. Rubel (ca. 15 Mrd. Euro) gebilligt. Als Teil dieses Programmes wurden im Rahmen einer Sitzung der Kommission für sozio-ökonomische Entwicklung im Nordkaukasus Anfang Mai 2011 von der russ. Regierung 30 vorrangige Investitionsprojekte für die Region ausgewählt. Für diese sollen 145 Mrd. Rubel (3,5 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt werden. Am 12.5.2014 wurde der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk, Alexander Chloponin, durch den bisherigen Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikow, ersetzt. Experten werteten diese Personalrochade als Stärkung der Sicherheitsstrukturen in den Beziehungen zur Region. Darüber hinaus wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen. Dieses wird vom früheren Gouverneur der Region Krasnojarsk Lew Kuznetsow geführt und soll sich v.a. mit wirtschaftlichen Fragen und der Verteilung von Budgetmitteln befassen. Die Situation im Nordkaukasus bleibt in bestimmten Gebieten angespannt. Dies ist auf eine Kombination unterschiedlicher Faktoren zurückzuführen: niedriger Grad wirtschaftlicher Entwicklung, verlorenes Vertrauen in die Politik Moskaus sowie ethnische Rivalitäten. Hinzu kommen noch regional spezifische Strukturen und Probleme. Im Nordkaukasus herrscht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zwischen russischen Truppen, kremltreuen lokalen Einheiten, islamistischen Rebellen und kriminellen Banden. Russische Menschenrechtler beklagen, dass die Staatsmacht im Nordkaukasus schwach ist und alle möglichen Gruppierungen in dieses Vakuum vorstoßen (ÖB Moskau 10.2014).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen:

dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau. Renten- und Krankenversicherungsbeiträge wurden 2011 angehoben (GIZ 2.2015c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

Renten

In der Russischen Föderation leben 37,8 Millionen Rentner (28% der Gesamtbevölkerung). Ihr hauptsächliches Einkommen besteht in einer Altersrente. Alle russischen Staatsbürger, die in Besitz einer Rentenversicherung sind, haben einen staatlich garantierten Anspruch auf den Erhalt einer Rente. Es gibt verschiedene Rentenformen:

Die derzeitige Rente besteht aus einem Basisanteil von 3.910,34 RUB/Monat (ca. 115 USD). Für Rentner, die älter als 80 Jahre sind, in den nördlichen Regionen Russlands gearbeitet haben und einige andere Kategorien gibt es einen etwas erhöhten Basisanteil. Zusätzlich gibt es auch einen Versicherungsanteil und einen Akkumulationsanteil. In manchen Regionen, die über ausreichende Finanzmittel verfügen, gibt es zusätzliche Unterstützung, so z.B. in Moskau. Manche Regionen bieten in Form von Dienstleistungen zusätzliche Hilfe an (z.B. kostenfreie Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort, Steuervergünstigungen, Vergünstigungen auf Medikamente sowie medizinische und orthopädische Dienstleistungen und anderes). Im Regelfall entrichten die Arbeitgeber den Beitrag an die Rentenversicherung für den jeweiligen Arbeitnehmer. Die Höhe des o. g. Basisanteils und des Versicherungsanteils wird staatlich festgelegt; der Akkumulationsanteil obliegt der Kontrolle durch den Rentenversicherten. Der Akkumulationsanteil wurde im Jahr 2002 eingeführt und spielt lediglich für Staatsbürger eine Rolle, die 1967 oder später geboren wurden. Am 1. April 2014 betrug die durchschnittliche Altersrente 11.600 RUB (ca. 388 USD) in ganz Russland. Eine Altersrente kann gewährt werden, wenn die betreffende Person mindestens 5 Jahre durchgehend versicherungspflichtig gearbeitet hat (IOM 6.2014).

Wohnungswesen

Die Wohnsituation in der Russischen Föderation ist im Allgemeinen als schwierig zu bezeichnen. Die durchschnittliche Wohnfläche in einem Haus oder einer Wohnung liegt bei 19-20 m² pro Person (2-3mal weniger als in entwickelten europäischen Ländern). Diese Art der Unterkunft steht Statistiken zufolge jedoch weniger als 50% der Bevölkerung zur Verfügung. 2,5 Millionen Familien warten gegenwärtig auf eine staatliche Unterbringung in neuen größeren Unterkünften. Es wird darauf hingewiesen, dass die Wartezeiten bis zum Erhalt einer Unterkunft im Rahmen eines Sozialprogramms bei 15-20 Jahren liegen können. Anspruchsberechtigt sind Personen mit bestimmten Erkrankungen, Personen, die auf weniger als 10m² leben (die Größe kann von Region zu Region variieren), Familien mit 4 und mehr Kindern etc. (IOM 6.2014).

In der Russischen Föderation wird die Idee des Sozialwohnungswesens verfolgt:

Aufgrund schnell steigender Wohnraumpreise hat die breite Öffentlichkeit Schwierigkeiten, die Kosten mit dem durchschnittlichen Einkommen zu decken. Je nach Region variieren die Wohnraumpreise erheblich. Die teuerste Region ist die Stadt Moskau, gefolgt von St. Petersburg, Jekaterinburg, Sotschi und weiteren Städten mit gutem Wirtschaftsklima und guten Arbeitsmöglichkeiten (IOM 6.2014).

Arbeitslosigkeit

Jeder Arbeitslose (außer Schülern, Studenten und Rentnern) kann einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellen. Um die Arbeitslosenhilfe zu erhalten, müssen russische Staatsbürger bei den Beschäftigungszentren des Bundesarbeits- und Beschäftigtendienstes ("Rostrud") an ihrem Wohnort (entsprechend dem Meldestempel im Pass) gemeldet sein. Die Arbeitsagentur wird dem Arbeitsuchenden innerhalb von 10 Tagen nach der Übermittlung seiner Dokumente entsprechende Stellen anbieten. Nimmt der Arbeitsuchende keine der angebotenen Stellen an, erhält er den Arbeitslosen-Status und die Arbeitslosenhilfe wird für ihn berechnet. Die Beihilfe wird auf Basis des Durchschnitts-Einkommens berechnet, das die Person während der letzten Beschäftigung bezogen hat; die Beihilfe ist jedoch begrenzt durch ein Minimum und ein Maximum, das durch die Russische Gesetzgebung festgelegt wurde. Seit 2009 liegt die minimale Beihilfe bei RUB 850 (25 USD) im Monat und das Maximum bei RUB 4.900 (143 USD). Die Beihilfe wird monatlich gezahlt, vom ersten Tag der offiziellen Anerkennung der Arbeitslosigkeit (IOM 6.2014).

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken:

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 2.2015c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In die Modernisierung des Gesundheitswesens werden erhebliche Geldmittel investiert. Ziel ist es, die staatliche Gesundheitsversorgung technisch und verwaltungsmäßig so effizient zu machen, dass sie ab 2015 weitgehend durch die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden kann (AA 11.2014a, vgl. GIZ 2.2015c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 1.4.2015b).

Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2014).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit 7 föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und 12 Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 2.2015c).

Quellen:

Tschetschenien

Angaben liegen nur für die tschetschenische Hauptstadt vor: Im Rahmen der Durchführung des vorrangigen nationalen Projekts "Gesundheitswesen" finden in fast allen medizinischen Einrichtungen der im Krieg zerstörten Stadt Grosny Wiederaufbauarbeiten statt. Bereits 27 medizinische Einrichtungen sind wieder an die Wasserversorgung angeschlossen. Renovierungs- und Bauarbeiten werden in den städtischen Krankenhäusern Nr.1 und Nr.5, in dem Kinderheim Nr.1, in dem Kinderkrankenhaus Nr.2, im Geburtskrankenhaus Nr.2 und den Kinderpolykliniken Nr.1 und Nr. 5 durchgeführt. Aus Mitteln des republikanischen Haushalts werden die Wiederaufbaumaßnahmen im Klinischen Krankenhaus Nr.3 und in den Polykliniken Nr.1, 3, 4 und 5 finanziert (IOM 6.2014).

Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch, aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012). Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Natürlich ist die Gesundheitsversorgung noch nicht auf europäischem Niveau, aber es wird intensiv daran gearbeitet, zumindest die Standards der Russischen Föderation zu erreichen. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.6 Medikamente). Auf die faktische Zuzahlung durch die Patienten muss hingewiesen werden (AA 11.2014a).

Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen und folgende Quellen: AA Bericht 10.6.2013, US DOS 27.2.2014, FH 28.1.2015). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten PTBS

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (International SOS 7.11.2014). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (International SOS 11.3.2015) und Dagestan z.B. im Republican Psychiatric Dispancery, Shota Rustaveli Str. 57B, Machatschkala (International SOS 12.1.2012).

In der Republik Inguschetien gibt es keine psychiatrischen Kliniken (mit Betten). Es gibt aber eine psychoneurologische Poliklinik in Nazran, wo die Registrierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen begrenzt ist. In der Regel gibt es an den örtlichen Polikliniken nur wenige Psychologen / Psychiater. Die Qualität der Dienstleistungen wird als zweifelhaft beschrieben. Junge qualifizierte Ärzte wollen in der Psychiatrie aufgrund der niedrigen Löhne nicht praktizieren und wählen deshalb besser bezahlte Arbeitsplätze. Aufgrund dessen werden die Patienten von älteren Ärzten mit veraltetem, bzw. überholtem Wissen behandelt (Landinfo 26.6.2012).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

HIV/AIDS und Hepatitis C sind in der Russischen Föderation behandelbar, beispielsweise im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment, 179, Naberezhnaya Obvodnogo kanala/12, Bumazhnaya str. in St. Petersburg (International SOS 27.5.2014). In Moskau ist HIV/AIDS z.B. im Infectious Hospital # 2, 15, 8th Street of Sokolinoy Gori behandelbar (International SOS 11.2.2014). Multiresistente Tuberkulose ist beispielsweise im Central Research Institute of Tuberculosis, 2 Yauzskaya Alleya in Moskau behandelbar (International SOS 11.2.2014).

Quellen:

Medikamente

Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt:

a) In ambulanten Kliniken, städtischen und Gebietskrankenhäusern sowie im Falle einer Behandlung zu Hause, auf Kosten des Patienten; ausgenommen sind Personen, die einer der Kategorien angehören, die einen Anspruch auf staatlich finanzierte Medikamente haben.

b) In 24-Stunden-Krankenhäusern und Tageskliniken werden die Ausgaben von der staatlichen Krankenversicherung (OMS) und den lokalen Budgets gedeckt. Dies bedeutet, dass Medikamente kostenlos an entsprechend pflichtversicherte Patienten herausgegeben werden.

c) im Rahmen einer Notfallversorgung sind die benötigten Medikamente kostenlos; nicht nur innerhalb einer Klinik, sondern auch außerhalb (IOM 6.2014).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3 Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung (IOM 6.2014). Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 40 (ca. 1,28 USD) und 180 RUB (ca. 5,80 USD) (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Abschiebung von russischen Staatsangehörigen aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Abschiebung geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rückübernahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Personen von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Gemäß Rückübernahmeabkommen muss die Rückstellung 10 Tage vor Ankunft in der Russischen Föderation den russischen Behörden mitgeteilt werden. Wenn die rück zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation wird den Abgeschobenen von einem Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdiensts der Russischen Föderation ein Fragebogen ausgehändigt. Das Ausfüllen dieses Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. Darin werden u.a. Fragen zum beabsichtigten Wohnsitz in Russland gestellt, zum Grund des Verlusts des Reisedokuments und ob man in dem Land, aus dem man abgeschoben wurden, ordentlich behandelt wurde. Dieser Fragebogen dient laut Auskunft der russischen Seite dazu, die lokalen Stellen des Föderalen Migrationsdienstes am Ort des beabsichtigten Wohnsitzes zu informieren, dass eine Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit bereits im Zuge der Rückübernahme stattgefunden hat und somit nicht nochmals erforderlich ist. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Abschiebung informiert wird und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Informationen zur weiteren Situation von Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation liegen der Botschaft nicht vor. Im November 2012 wurde ein per Sammelflug aus Österreich abgeschobener Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug abgeschobener, Tschetschene in Grosny inhaftiert. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern (freiwilligen Rückkehrern und Abgeschobenen) wird darauf hingewiesen, dass die der Botschaft vorliegenden Informationen sich in erster Linie auf Rückkehrer nach Tschetschenien beziehen. Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal würden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien könne nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt. Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei". Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen (ÖB Moskau 10.2014). Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden (AA 10.6.2013).

Quellen:

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht (AA 10.6.2013).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

Die Identität, Staatsangehörigkeit und Herkunft der Beschwerdeführer hat bereits die belangte Behörde aufgrund des vorgelegten Inlandsreisepasses der Erstbeschwerdeführerin und der Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers festgestellt und haben sich im weiteren Verfahren keine diesbezüglichen Zweifel ergeben.

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer sowie zu sonstigen im Hinblick auf eine Ausweisung relevanten Aspekten ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin in den Einvernahmen vor dem Bundesamt bzw in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus dem Vorbringen in der Stellungnahme vom 24.02.2016.

Dass die Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten sind, ergibt sich aus den eingeholten Strafregisterauskünften.

Mangels gegenteiliger Angaben im Verfahren war davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer gesund sind.

Das Datum der Antragstellungen und die Ausführungen zum bisherigen Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Russischen Föderation beruhen auf einer Vielzahl unbedenklicher, seriöser und aktueller Quellen, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei ist. Die Beschwerdeführer sind den Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten.

Die Feststellung, wonach das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig ist, beruht auf folgenden Erwägungen:

Bereits das Bundesasylamt hat in seiner Beweiswürdigung dargelegt, dass die von der Erstbeschwerdeführerin präsentierte Fluchtgeschichte bzw Bedrohungssituation aufgrund zahlreicher Unplausibilitäten nicht glaubhaft sei und somit als nicht den Tatsachen entsprechend gewertet werden müsse.

Im Zuge der Stellung des ersten Antrages auf internationalen Schutz im Jahr 2008 brachte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen vor, dass ihr Ehemann am 14.11.2002 ermordet worden sei und sie nunmehr wegen der Blutrache um ihren Sohn fürchte. Sie sei darüber hinaus beschimpft worden, weil sie die Witwe eines Rebellen sei.

In der niederschriftlichen Erstbefragung im nunmehrigen Verfahren gab die Erstbeschwerdeführerin einerseits an, dass ihr Sohn im Alter von fünfzehn Jahren wegen Blutrache getötet würde, weil sein Vater an einem Krieg teilgenommen habe und Menschen umgebrachte habe, andererseits machte sie geltend, dass sie aufgrund des Umstandes, bereits einmal mit ihrem Sohn in Österreich gewesen zu sein, von ihrem Vater beschuldigt worden sei, kein anständiges Leben geführt zu haben und von diesem mit dem Tod bedroht worden sei. Von ihrem älteren Bruder sei sie im Frühjahr 2011 geschlagen worden.

Zur vorgebrachten Blutracheproblematik ist zunächst zu bemerken, dass es in keiner Weise verständlich erscheint, dass die Erstbeschwerdeführerin als Grund dafür im Zuge der Erstbefragung anführte, dass der Vater ihres Sohnes am Krieg teilgenommen habe und Menschen getötet habe, in der Einvernahme vom 25.06.2013 dann zu ihren Fluchtgründen befragt jedoch vorbrachte, dass die Blutracheproblematik durch die mangelnde Bereitschaft des Vaters des Zweitbeschwerdeführers, mit Kadyrow zusammenzuarbeiten, bedingt sei.

Abgesehen davon, dass es der Erstbeschwerdeführerin nicht möglich war, gleichbleibend anzugeben, aus welchem Grund ihr Sohn gesucht werden sollte, konnte sie auch nicht konkret darlegen, von wem er überhaupt Verfolgung zu befürchten habe. Insbesondere ist für die erkennende Richterin nicht nachzuvollziehen, weshalb die Erstbeschwerdeführerin, die in einer Einvernahme vom 13.01.2009 noch vorbrachte, von drei Familien wegen Blutrache gesucht worden zu sein, in der Befragung vom 25.06.2013 zunächst behauptete, keine näheren Angaben zu den Verfolgern machen zu können, bevor sie ihre Angaben etwas später neuerlich abänderte, indem sie angab, von Soldaten mit Maschinenpistolen bedroht worden zu sein. In der Beschwerde brachte sie dann schließlich vor, dass die Blutrache von drei Familien ausgehe, die für Kadyrow arbeiten würden und sehr viel Einfluss im Dorf hätten.

Auch das übrige Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu der angeblichen Blutracheproblematik war keineswegs gleichbleibend; vielmehr waren ihre Schilderungen vage und blieben im abstrakten Bereich:

"F: Geben Sie bitte alles an, was Sie zur Blutrache wissen?

A: ... Sie wollen die ganze Familie vernichten.

F: Wer will das?

A: Weil sie nicht mit Kadyrow zusammengearbeitet haben.

Die Frage wird wiederholt.

A: Das muss im Protokoll meines Schwagers stehen, ich kenne sie persönlich nicht. Sie sind verfeindet. Solange die in der Regierung arbeiten, besteht für unsere Familie diese Bedrohung. Es wurde ihnen das Land abgenommen, auch die Häuser, die sie dort hatten. Diese Feinde haben dort ihre Häuser gebaut.

F: Ist das alles, was sie mir zur Blutrache sagen können.

A: Das ist alles was ich sagen kann und weiß. Alles andere weiß mein Schwager.

F: Ist man je an mit Ihnen oder Ihrem Sohn in Zusammenhang mit der Blutrache persönlich in Kontakt getreten?

A: Dazu ist es nicht gekommen. Ich begleite meinen Sohn überall hin. Als ich bei ihnen im Haus gelebt habe, hat man mich persönlich bedroht. Die Soldaten die Säuberungen gemacht haben, haben mir eine Maschinenpistole an den Kopf gelegt. Ich hatte meinen Sohn auf dem Arm.

F: Hat das etwas mit der Blutrache zu tun gehabt?

A: Ja. Sie haben sie die ganze Zeit gesucht. Man hat meinen Schwiegervater vor meine Augen mit den Stiefeln getreten."

Bereits aus diesem Auszug ist ersichtlich, dass eine detaillierte oder umfassende Schilderung der Ereignisse auch auf konkretes Nachfragen nicht erfolgte. Bei dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine Reihe von Vermutungen, die sie keineswegs untermauern konnte. Für das erkennende Gericht ist es schlichtweg nicht glaubwürdig, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihr Sohn nunmehr eine Verfolgung zu befürchten haben sollen, wäre doch davon auszugehen gewesen, dass diese Absicht spätestens in den zwei Jahren, in denen sich die Beschwerdeführer nach ihrer freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland in Tschetschenien aufgehalten haben, längst in die Tat umgesetzt worden wäre, zumal die Erstbeschwerdeführerin auch selbst angab, bereits von den Behörden aufgesucht und sogar mit einer Maschinenpistole bedroht worden zu sein. Weshalb damit bis zum fünfzehnten Lebensjahres ihres Sohnes hätte abgewartet werden sollen, ist nicht nachvollziehbar. Wäre dies tatsächlich so, ist wiederum unverständlich, weshalb man bereits in den vergangenen Jahren stets nach der Erstbeschwerdeführerin und ihrem Sohn hätte suchen sollen und sie mit einer Maschinenpistole hätte bedrohen sollen. In Summe hat dieses Aussageverhalten in keiner Weise das Bild einer glaubwürdigen Fluchtgeschichte zeichnen können.

Auch verstrickte sich die Erstbeschwerdeführerin in Widersprüche, die sie nicht nachvollziehbar aufzuklären vermochte: So schilderte sie im Zuge der Einvernahme vom 13.01.2009, von 2000 bis 2005 im Haus ihres Ehemannes gelebt zu haben und anschließend in ihr Elternhaus gezogen zu sein, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Demgegenüber gab sie im nunmehrigen Verfahren vor dem Bundesasylamt auf die Frage, ob sie nach dem Tod ihres Mannes wieder im Elternhaus gelebt habe an, dass ihr Vater gewollt habe, dass sie sich von ihrem Sohn lossage, als dieser zwei Jahre alt gewesen sei, was sie jedoch abgelehnt habe und anschließend bei ihrem Onkel gelebt habe. Mit dem Widerspruch konfrontiert, war die Erstbeschwerdeführerin nicht in der Lage, diese Unplausibilitäten überzeugend auszuräumen:

"V: Sie haben im Jänner 2009 angegeben, dass Sie 2005 wieder zu Ihrer Familie gezogen wären, um sich um Ihre kranke Mutter zu kümmern.

F: Ich habe ja im Nebenhaus bei meinem Onkel gelebt. Das betrachte ich als mein Zuhause. Das Elternhaus meiner Mutter ist am anderen Ortsrand. Dort habe ich dann vor meiner Ausreise gelebt. Seit 2000 führe ich ein Zigeunerleben. Ich war in XXXX , dann bei einem Onkel, dann beim anderen. Ich verwechsle das schon alles."

Aus diesem Rechtfertigungsversuch ist ein weiterer Widerspruch zu erblicken, zumal die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der Befragung im Jahr 2009 in keinem Wort erwähnte, "ein Zigeunerleben" geführt zu haben und bei verschiedensten Onkeln gelebt zu haben, sondern lediglich vorbrachte, zunächst im Haus ihres Ehemannes und anschließend in ihrem Elternhaus gelebt zu haben.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht änderte die Erstbeschwerdeführerin ihre Angaben neuerlich ab, indem sie vorbrachte nach dem Tod ihres Mannes zunächst gemeinsam mit ihrem Sohn bei den Schwiegereltern gelebt zu haben.

Seltsam mutet zudem an, dass die Erstbeschwerdeführerin während ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt zu keinem Zeitpunkt erwähnte, jemals tatsächlich von ihrem Sohn getrennt worden zu sein, sondern dies erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorbrachte.

Was die Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin, wonach diese von ihrem Vater und ihrem Bruder bedroht worden sei, weil sie diese beschuldigt hätten, während ihres Auslandsaufenthaltes kein anständiges Leben geführt zu haben, betrifft, so ist dazu zunächst festzuhalten, dass für die erkennende Richterin nicht nachvollziehbar ist, dass die Erstbeschwerdeführerin, sollten diese Probleme nach ihrer Rückkehr im Jahr 2010 tatsächlich bestanden haben, nicht wesentlich früher ihr Heimatland verließ, sondern nahezu zwei Jahre zuwartete. Würde man den Angaben der Erstbeschwerdeführerin, wonach diese von ihren Verwandten tatsächlich geschlagen und mit dem Tode bedroht worden sei, folgen, so wäre es naheliegend gewesen, dass diese zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt ausgereist wäre. Bereits das Verhalten der Erstbeschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Ausreisezeitpunkt legt daher den Verdacht nahe, dass es im Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme gegeben hat. Wie bereits die belangte Behörde festgehalten hat, erscheint es zwar durchaus naheliegend, dass der Erstbeschwerdeführerin durch ihren Vater und ihren Bruder aufgrund ihres Auslandesaufenthaltes Vorhaltungen gemacht wurden. Dass die Erstbeschwerdeführerin tatsächlich einer asylrelevanten Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen sein soll, ist angesichts des zuletzt fast zweijährigen Aufenthaltes im Heimatland hingegen nicht glaubhaft. Dem Bundesamt ist auch beizupflichten, wenn dieses darauf hinweist, dass, wenn die Verwandten der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich vorgehabt hätten, ihr Gewalt anzutun, dieses Vorhaben in den zwei Jahren, in denen sie sich vor ihrer neuerlichen Ausreise im Heimatland aufgehalten hat, auch verwirklicht worden wäre.

Mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens war nicht mehr näher auf die Beschwerdeausführungen zu häuslicher Gewalt einzugehen.

Insgesamt gelang es der Erstbeschwerdeführerin somit nicht, individuelle und konkrete Verfolgungsgründe glaubhaft zu machen, zumal sich in ihrem Vorbringen zahlreiche beträchtliche Widersprüche bzw Unplausibilitäten ergaben, die in ihrer Summe jedenfalls zur Annahme der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens zwingen. Es ist nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführer in ihrem Heimatland wohlbegründete Furcht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen hatten oder sich eine solche zukünftig ergibt.

Darüber hinaus bestünde für die Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Den Länderfeststellungen zufolge ist die Bewegungsfreiheit in der Russischen Föderation für alle Staatsbürger, einschließlich Tschetschenen, gesetzlich gewährleistet. Laut UNHCR Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities und haben Tschetschenen denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsangehörigen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erstbeschwerdeführerin als, so wie sie selbst angab, westlich gekleidete und arbeitsfähige Frau, die ihre gesamtes bisheriges Leben in der Russischen Föderation verbrachte, ihr Leben nicht durch Erwerbstätigkeit in anderen Teilen der Russischen Föderation gemeinsam mit ihrem Sohn bestreiten könnte. Auch wenn die Beschwerdeführer über keine Verwandten in anderen Teilen der Russischen Föderation verfügen, ist schon aufgrund des Zuganges zum Arbeitsmarkt, der bestehenden Sozialleistungen in der Russischen Föderation und der Sprachkenntnisse der Beschwerdeführer nicht davon auszugehen, dass diese in eine aussichtslose Lage gerieten. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass es in fast allen Regionen Russlands eine tschetschenische Gemeinschaft, auf deren Unterstützung "Neuankömmlinge" zurückgreifen könnten. (vgl dazu auch das hg Erkenntnis vom 03.06.2015, Zl W112 1420241-2)

Wenn die Beschwerdeführer im Zuge ihrer Stellungnahme vom 24.02.2016 auf Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes verweisen, in denen alleinstehenden oder alleinerziehenden Frauen unter Verweis auf eine ansonsten existenzbedrohende Lage subsidiärer Schutz gewährt worden sei, so ist dazu festzuhalten, dass die in der Stellungnahme angeführten Einzelfallentscheidungen, in der jeweils mehrere Elemente zusammentrafen, die für eine besondere Vulnerabilität sprechen könnten, nicht mit dem Fall der Beschwerdeführer zu vergleichen sind. Insofern war darauf nicht näher einzugehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 75 Abs 19 AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Ad I.)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach einer Prognose zu erstellen ist. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH E 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs 1 AsylG).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend dargestellt wurde, kommt dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, wonach der Zweitbeschwerdeführer wegen Blutrache getötet würde und die Erstbeschwerdeführerin asylrelevante Probleme mit ihren Familienangehörigen habe, weil sie von diesen beschuldigt würde, kein anständiges Leben geführt zu haben, keine Glaubwürdigkeit zu. Der Erstbeschwerdeführerin ist es aufgrund der zahlreichen Widersprüche und des unglaubwürdigen Eindruckes in der mündlichen Beschwerdeverhandlung im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Person bzw die Person ihres Sohnes gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohen würde.

Darüber hinaus bestünde für die Beschwerdeführer aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Die Beschwerde war somit aus den dargelegten Gründen gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen.

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z1), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 (Abschaffung der Todesstrafe) zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung nach § 7 zu verbinden (Abs 2 leg cit). Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (Abs 3 leg cit).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl VwGH 99/20/0573, 19.02.2004).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl VwGH 26.06.1997, Zl. 95/18/1293 und 17.07.1997, Zl. 97/18/0336).

Gemäß Art 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt.

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Für die Gewährung von Abschiebeschutz ist die maßgebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Verletzung der Menschenrechte gefordert. Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre, konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen genügen hingegen nicht.

Weder aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Für die Russische Föderation kann nicht festgestellt werden, dass in diesem Herkunftsstaat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw eine allgemeine Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unrechtmäßig erscheinen ließe. Auch ist kein kennzeichnender Grad willkürlicher Gewalt aufgrund eines bewaffneten Konflikts gegeben, der ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr laufen würden, einer individuellen Bedrohung des Lebens ausgesetzt zu sein. Die Abschiebung der Beschwerdeführer würde sie jedenfalls nicht in eine "unmenschliche Lage" wie etwa Hungertod, unzureichende oder gar keine medizinische Versorgung, massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar Verlust des Lebens, versetzen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnten.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine junge und gesunde Frau ohne erkennbare Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Sie brachte vor, in Österreich sowohl regelmäßig als Köchin bei der Caritas beschäftigt zu sein, als auch in der Pension anderen Bewohnern die Haare zu schneiden und als Frisörin arbeiten zu wollen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum es der Erstbeschwerdeführerin nach einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht zugemutet werden könnte, das für sich und ihren Sohn zum Überleben Notwendige durch eigene Arbeit zu bestreiten. So garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte und kann den Länderfeststellungen zufolge von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden.

Darüber hinaus besteht den Länderfeststellungen zufolge etwa die Möglichkeit, Arbeitslosenbeihilfe zu erhalten; weiters wird unter gewissen Voraussetzungen eine Sozialrente gewährt und kann humanitäre Hilfe bei den in der Russischen Föderation tätigen nationalen und internationalen humanitären Organisationen in Anspruch genommen werden. Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die Beschwerdeführer kann somit nicht erkannt werden (vgl dazu auch die hg Erkenntnisse vom 30.12.2015, Zl W112 1435710-1 und vom 08.02.2016, Zl W196 2116069-1). Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu schützen, sondern einzig und alleine Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.

Für den Fall, dass die Beschwerdeführer nicht nach Kernrussland sondern nach Tschetschenien zurückkehren sollten, ist festzuhalten, dass diese dort nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen und daher davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführer, etwa von der Schwägerin der Erstbeschwerdeführerin und deren Familie, zumindest anfänglich Unterstützung erhalten könnten bzw sie ihnen die Wiedereingliederung in das soziale Umfeld erleichtern würden.

Sonstige außergewöhnliche Umstände, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten, sind im gegenständlichen Verfahren weder hervorgetreten, noch wurde ein derartiges Abschiebehindernis vorgebracht.

Es ergibt sich somit kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Ad II.)

§ 75 Abs 20 AsylG lautet:

Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs 1 AVG des Bundesasylamtes,

3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,

4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs 1 AVG des Bundesasylamtes,

5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7

aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

kommt, oder

6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs 3a oder 9 Abs 2 vorliegen.

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Im Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf das Erkenntnis des VfGH vom 17. März 2005, VfSlg. 17.516, und die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Fremdensachen - darauf hingewiesen, dass auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17. 2. 2007. 2006/01/0216). Eine lange Dauer des Asylverfahrens macht für sich allein keinesfalls von vornherein eine Ausweisung unzulässig (VwGH 2010/22/0094).

Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern, kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl VwGH 17. 12.2007, 2006/01/0216; siehe die weitere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum hohen Stellenwert der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften: VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/0479; VwGH 16. 1. 2007, 2006/18/0453; jeweils VwGH 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw 2006/18/0316; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 20. 9. 2006, 2005/01/0699).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Im vorliegenden Fall hat sich kein unzulässiger Eingriff in das Privat- oder Familienleben der Beschwerdeführer ergeben:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers und liegt insofern jedenfalls ein Familienleben vor. Da beide Beschwerdeführer gleichermaßen von Rückkehrentscheidungen betroffen wären, liegt somit kein Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens vor.

Wie festgestellt, befinden sich darüber hinaus ein Onkel des Zweitbeschwerdeführers sowie die Schwiegermutter der Erstbeschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet; dass die Beschwerdeführer zu diesen in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stünden, ist im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen.

Insgesamt haben sich also im Verfahren keine familiären Anknüpfungspunkte der Beschwerdeführer an Österreich ergeben, welche eine im Lichte der Rechtsprechung des EGMR ausreichende Beziehungsintensität begründen würden und im konkreten Einzelfall höher zu bewerten wären als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen.

Es bleibt zu prüfen, ob mit der Abschiebung der Beschwerdeführer ein unzulässiger Eingriff in ihr Privatleben erfolgt. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer im Jahr 2008 erstmalig in das Bundesgebiet einreisten, jedoch schon wenig später nach Zurückweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz nach Polen überstellt wurden. Auch im Jahr 2010, nach ihrer zweiten Antragstellung, befanden sie sich nur wenige Wochen im Bundesgebiet, bevor sie unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig nach Tschetschenien zurückkehrten. Die nunmehr verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten die Beschwerdeführer im September 2012, wobei ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die gesamte Dauer über auf die Stellung dieser Anträge auf internationalen Schutz gestützt war. Die bisherige Aufenthaltsdauer beträgt sohin dreieinhalb Jahre.

Die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet wird dadurch relativiert, dass die Einreise illegal erfolgte und der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste den Beschwerdeführern auch bewusst sein.

Was die Erstbeschwerdeführerin betrifft, so wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass diese Bemühungen zeigt, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren, höflich und hilfsbereit ist, sich an der Reinigung der allgemein benützten Wohnräumen des Flüchtlingsquartiers beteiligt, wie sich aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben ergibt, und auch zeitweise bei der Caritas kocht bzw anderen Bewohnern der Pension die Haare schneidet. Dennoch kann dies noch nicht als ausreichend ausgeprägte Integration in die österreichische Gesellschaft gewertet werden. Festzuhalten ist, dass die Erstbeschwerdeführerin bislang nicht selbsterhaltungsfähig ist, sondern nach wie vor Leistungen aus der Grundversorgung bezieht. In den vorgelegten Empfehlungsschreiben wird zwar eine gewisse soziale Vernetzung, aber keine relevante, außergewöhnliche Integration bescheinigt. Die Erstbeschwerdeführerin hat den Aufenthalt ohne Zweifel genutzt, mehrfach Sprachkurse zu besuchen, aus den im Akt befindlichen Bestätigungen ergibt sich, dass sie von 21.09.2015 bis 14.12.2015 für sechs Stunden pro Woche einen Deutschkurs für Erwachsene (Niveau B1/1) besuchte und nunmehr seit 11.01.2016 an einem Deutschkurs für Erwachsene (Niveau B1/2) teilnimmt. Prüfungsbestätigungen wurden von der Erstbeschwerdeführerin nicht in Vorlage gebracht. Alleine aus dem Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin regelmäßig an Deutschkursen teilnimmt, kann jedoch ebenfalls noch nicht auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen, schützenswerten und dauernden Integration geschlossen werden.

Was den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer betrifft, so wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht übersehen, dass dieser regelmäßig am Boxtraining teilnimmt und die Neue Mittelschule Graz - St. Peter besucht. Dazu wird ausgeführt, dass der Schulbesuch kein besonderes Zeichen von Integration ist. Er fällt zwar bei der Abwägung ins Gewicht, kann aber einen Verbleib der Familie in Österreich nicht rechtfertigen. Der Zweitbeschwerdeführer hat nach den eigenen Angaben der Beschwerdeführer im Verfahren bereits in seinem Heimatland eine Schule besucht und spricht russisch. Aufgrund des überwiegenden Lebens des Zweitbeschwerdeführers im Herkunftsstaat und seines noch jungen mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters, kann nicht davon ausgegangen werden, dass für ihn der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat mit unzumutbaren Härten verbunden wäre, zumal auch seine erstmalige Sozialisation in der Russischen Föderation stattgefunden hat.

Weiters musste den Beschwerdeführern im Hinblick auf die unberechtigten Anträge auf internationalen Schutz bewusst sein, dass sie etwaige eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht werden aufrechterhalten können. Insgesamt betrachtet überwiegen nach Ansicht der erkennenden Richterin daher insbesondere im Hinblick auf die noch relativ kurze Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen dem privaten Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet (vgl VwGH 25.02.2010, Zl 2009/21/0142).

Es trifft zwar zu, dass die Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten sind und keine Verstöße gegen Erfordernisse der öffentlichen Ordnung begangen wurden, sieht man von deren illegalen Einreise ab. Der Umstand, dass die Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden sind, bewirkt aber keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich (vgl VwGH 24.07.2002, Zl 2002/18/0112).

Insgesamt sind also zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration der Beschwerdeführer in Österreich hervorgekommen.

Im Besonderen ist hier noch auf die folgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, in denen trotz langjährigem Aufenthalt und erfolgten Integrationsschritten seitens des Höchstgerichts die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht wurde: VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 ua. (Familie;

siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises;

Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine staatliche Unterstützung), VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023 (sechsjähriger Aufenthalt; enge Beziehung zu Geschwistern in Österreich; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Einstellungszusage; großer Freundes- und Bekanntenkreis), VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (siebeneinhalbjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang Ehe mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen;

andere in Österreich lebende Familienangehörige), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; 3 Jahre Berufstätigkeit;

gute Deutschkenntnisse; engen Kontakt zu Freundes- und Bekanntenkreis sowie Bruder in Österreich; Unbescholtenheit; kaum Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen), VwGH 23.03.2010, 2010/18/0038 (siebenjähriger Aufenthalt; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; beruflich integriert als Zeitungsausträger, Sportverein), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0031 (achtjähriger Aufenthalt; familiäre Bindung zu Onkel, der BF unterstützt; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; Grundversorgung), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (knapp achtjähriger Aufenthalt; beabsichtigte Eheschließung mit öst. Staatsbürgerin; Sohn in Ö geboren; gute Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert), VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026 (siebenjähriger Aufenthalt; Mangel an familiären Bindungen; Unbescholtenheit;

Deutschkenntnisse; fehlende Bindungen zum Heimatstaat;

arbeitsrechtlicher Vorvertrag), VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187 (mehr als siebenjähriger Aufenthalt; Sohn besitzt österreichische Staatsbürgerschaft; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; keine berufliche Integration), VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit;

unbescholten; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse;

Vereinsmitglied).

Da somit nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine Rückkehrentscheidung betreffend die Beschwerdeführer in die Russische Föderation zulässig ist, ist das Verfahren diesbezüglich an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung sind für das Bundesamt jedoch nicht bindend.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art 133 Abs 4 erster Satz B-VG idF BGBl I Nr 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall erweist sich die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall ausschließlich tatsachenlastig ist, sodass dieser keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Wie der rechtlichen Beurteilung unzweifelhaft zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung, insbesondere zum Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung und zu Art 8 EMRK weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

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