VfGH V87/2021

VfGHV87/202124.6.2021

Kein Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit sowie die gesetzliche Grundlage des §24 EpidemieG 1950 durch die COVID-19-VirusvariantenV betreffend das Verbot des Verlassens von Teilen Tirols ab Februar 2021 wegen der dort verbreiteten (Südafrikanischen) COVID-19-Virusvariante B.1.351; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen zum jeweiligen Erlassungszeitpunkt; Verkehrsbeschränkung zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante im Bundesgebiet "unbedingt erforderlich"; Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit der – keinen schwerwiegenden Eingriff darstellenden – Testpflicht auch für Personen mit Antikörpern für das Ausreisen aus dem Landesgebiet bei unbeschränkter Bewegungsfreiheit in Tirol; keine Verletzung im Recht auf Privatleben durch die mit dem Test verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zum Schutz der Gesundheit anderer Personen

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art56
B-VG Art139 Abs1 Z3
EMRK Art8
EMRK 4. ZP Art2
EU-Grundrechte-Charta Art3
StGG Art2
StGG Art4
EpidemieG 1950 §24
COVID-19-VirusvariantenV BGBl II 63/2021 idF BGBl II 98/2021
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V87.2021

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

1. Mit dem auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge (ohne die Hervorhebung im Original)

"die COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV in der im Anfechtungszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 63/2021 idF II 5/2021, II 98/2021) als gesetzeswidrig bzw als verfassungswidrig aufheben,

 

in eventu

 

nach einem Außerkrafttreten der angefochtenen Verordnung aussprechen, dass diese gesetzeswidrig bzw verfassungswidrig war".

 

II. Rechtslage

1. §1, §24, §40 und §43a Epidemiegesetz 1950, BGBl 186/1950, idF BGBl I 33/2021 lauteten:

"I. HAUPTSTÜCK.

Ermittlung der Krankheit.

Anzeigepflichtige Krankheiten

 

§1. (1) Der Anzeigepflicht unterliegen:

1. Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an Cholera, Gelbfieber, virusbeding-tem hämorrhagischem Fieber, infektiöser Hepatitis (Hepatitis , B, C, D, E), Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), Infektionen mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus, Kinderlähmung, bakteriellen und viralen Lebensmittelvergiftungen, Lepra, Leptospiren-Erkrankungen, Masern, MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus/'neues Corona-Virus'), Milzbrand, Psittakose, Paratyphus, Pest, Pocken, Rickettsiose durch R. prowazekii, Rotz, übertragbarer Ruhr (Amöbenruhr), SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), transmissiblen spongiformen Enzephalopathien, Tularämie, Typhus (Abdominaltyphus), Puerperalfieber, Wutkrankheit (Lyssa) und Bissverletzungen durch wutkranke oder -verdächtige Tiere,

2. Erkrankungs- und Todesfälle an Bang`scher Krankheit, Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Diphtherie, Hanta-Virus-Infektionen, virusbedingten Meningoenzephalitiden, invasiven bakteriellen Erkrankungen (Meningitiden und Sepsis), Keuchhusten, Legionärskrankheit, Malaria, Röteln, Scharlach, Rückfallfieber, Trachom, Trichinose, West-Nil-Fieber, schwer verlaufenden Clostridium difficile assoziierten Erkrankungen und Zika-Virus-Infektionen.

 

(2) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen kann, wenn dies aus epidemiologischen Gründen gerechtfertigt oder auf Grund internationaler Verpflichtungen erforderlich ist, durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen oder bestehende Meldepflichten erweitern.

 

[…]

 

Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten

 

§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.

 

[…]

 

Sonstige Übertretungen.

 

§40. (1) Wer durch Handlungen oder Unterlassungen

a) den in den Bestimmungen der §§5, 8, 12, 13, 21 und 44 Abs2 enthaltenen Geboten und Verboten oder

b) den auf Grund der in den §§7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 24 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten oder

c) den Geboten oder Verboten, die in den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind, zuwiderhandelt oder

d) in Verletzung seiner Fürsorgepflichten nicht dafür Sorge trägt, daß die seiner Fürsorge und Obhut unterstellte Person sich einer auf Grund des §5 Abs1 angeordneten ärztlichen Untersuchung sowie Entnahme von Untersuchungsmaterial unterzieht,

macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.

 

(2) Wer einen Veranstaltungsort gemäß §15 entgegen den festgelegten Voraussetzungen oder Auflagen betritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche, zu bestrafen.

 

[…]

 

Zuständigkeiten betreffend COVID-19

 

§43a. (1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.

 

(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs1 festgelegt werden.

 

(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID-19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß Abs1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2 festgelegt werden.

 

(4) In einer Verordnung gemäß Abs1 bis 3 kann entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden.

 

(5) Durch Verordnung gemäß Abs1 können Verordnungen gemäß Abs2 und 3 oder Teile davon aufgehoben werden. Durch Verordnung gemäß Abs2 können Verordnungen gemäß Abs3 oder Teile davon aufgehoben werden.

 

(6) Verordnungen gemäß Abs2 und 3 sind vor deren Inkrafttreten dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister mitzuteilen."

 

2. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl I 90/2021 lautet:

"Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Epidemiegebiete

 

§24. (1) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Ebenso können Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten angeordnet werden.

(2) Verkehrsbeschränkungen für in Epidemiegebieten aufhältige Personen gemäß Abs1 sind insbesondere:

1. Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes, wie

a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Verlassen des Epidemiegebietes,

b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und

c) das Antreten einer selbstüberwachten Heimquarantäne nach Verlassen des Epidemiegebietes,

2. die Untersagung des Verlassens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.

 

(3) Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten gemäß Abs1 sind insbesondere:

1. Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten des Epidemiegebietes, wie

a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Betreten des Epidemiegebietes,

b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und

c) zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19: die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,

2. die Untersagung des Betretens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.

 

(4) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr §1 Abs5 Z5 und Abs5a bis 5e COVID-19-MG sinngemäß.

 

(5) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten als Epidemiegebiete gemäß Abs1 bestimmte örtlich abgegrenzte oder abgrenzbare Teile des Bundesgebietes, in denen außergewöhnliche regionale Umstände im Hinblick auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 vorliegen. Außergewöhnliche regionale Umstände liegen etwa vor, wenn aufgrund der Bewertung der epidemiologischen Situation gemäß §1 Abs7 COVID-19-MG im bundesweiten Vergleich ein besonders hohes Risiko der Verbreitung von SARS-CoV-2 anzunehmen ist oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Eigenschaften des Virus die bereits gesetzten Bekämpfungsmaßnahmen oder die weitere Bekämpfungsstrategie erheblich gefährdet sind."

 

3. Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, lautet wie folgt:

"Auf Grund des §1 Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, wird verordnet:

Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')."

 

4. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – im Folgenden: COVID-19-VvV), BGBl II 63/2021, idF BGBl II 98/2021 lautete:

"Auf Grund des §24 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I 23/2021, wird verordnet:

 

Örtlicher Anwendungsbereich

 

§1. Diese Verordnung gilt für das Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.

 

Anforderungen beim Überschreiten der Grenzen des Epidemiegebietes

 

§2. Personen, die sich im Gebiet nach §1 aufhalten, dürfen die Grenzen des in §1 umschriebenen Epidemiegebietes nur überschreiten, wenn sie einen Nach-weis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2 oder eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, deren Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.

 

Ausnahmen

 

§3. §2 gilt nicht für:

1. Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;

2. die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;

3. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit;

4. den Güterverkehr;

5. Transitpassagiere oder die Durchreise durch Tirol ohne Zwischenstopp, die auch bei ausschließlich unerlässlichen Unterbrechungen vorliegt;

6. Repatriierungsfahrten bzw -flüge.

 

Glaubhaftmachung

 

§4. Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe gemäß §3 glaubhaft zu machen.

 

Testergebnisse

 

§5. Als Testergebnisse im Sinne dieser Verordnung sind jene Nachweise zu verstehen, die im Rahmen von Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.

 

Inkrafttreten

 

§6. (1) Diese Verordnung tritt mit 12. Februar 2021 in Kraft und mit Ablauf des 10. März 2021 außer Kraft.

 

(2) §3 Z5 und 6 in der Fassung der Verordnung BGBl II Nr 98/2021 treten mit 4. März 2021 in Kraft."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II 63/2020, idF BGBl II 98/2021 zur Gänze wegen Gesetzwidrigkeit.

2. Der Antragsteller wohnt nach seinen Angaben im Bundesland Tirol (und nicht im politischen Bezirk Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee) und musste auf Grund seiner Mandatsausübung als Bundesrat regelmäßig von seinem Wohnort nach Wien reisen. Um seiner Mandatsverpflichtung nachkommen zu können sowie um rechtskonform aus Tirol nach Wien reisen zu dürfen, habe er sich wiederholt testen lassen. Der Antragsteller habe ausschließlich die Möglichkeit gehabt, entweder auf seine grundrechtlich geschützte Bewegungsfreiheit im gesamten Bundesgebiet zu verzichten oder "wiederkehrende gesetzwidrige, willkürliche und unzumutbare Eingriffe" in sein Recht auf körperliche Unversehrtheit zu dulden.

3. Der Antragsteller legt seine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"5. Gesetzeswidrigkeit der COVID-19-VvV

 

5.1. Vorbemerkung

 

Die COVID-19-VvV ist aus mehreren Gründen gesetzeswidrig. §24 Epidemiegesetz ermächtigt die Behörden lediglich dazu, Verkehrsbeschränkungen zu verfügen, sofern dies zum Schutz vor der Weiterverbreitung meldepflichtiger Krankheiten unbedingt erforderlich ist.

 

5.2. Keine meldepflichtige Krankheit

 

Meldepflichtige Krankheiten sind in §1 Abs1 Epidemiegesetz aufgezählt. Auf Grund des §1 Abs2 Epidemiegesetz 1950 wurde mit BGBl II 15/2020 die 'Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' kundgemacht: 'Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus').' Weitere Verordnungen existieren nicht.

 

Inwiefern eine Verordnung, die ihrem Titel zufolge 'anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' regelt, im Jahr 2021 überhaupt noch relevant sein kann, sei dahingestellt.

 

Nach der aktuellen Gesetzeslage sind jedenfalls weder 'SARS-CoV-2', auf die sich die Testpflicht bezieht, noch eine 'Virusvariante B1.351', die in der angefochtenen COVID-19-VvV erwähnt wird, eine anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des §1 Epidemiegesetzes.

 

5.3. Keine unbedingte Erforderlichkeit der Quarantäne über Tirol

 

Auch eine 'unbedingte Erforderlichkeit' im Sinne des §24 Epidemiegesetzes, die wohl im Sinne einer 'Unerlässlichkeit' zum Schutz vor Weiterverbreitung einer Krankheit zu verstehen ist, besteht nicht.

 

Um die Verordnung in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal dennoch rechtfertigen zu wollen, kommen abstrakt zwei Argumentationsansätze in Frage.

 

Der erste Argumentationsansatz besteht in der beabsichtigten Verhinderung der Weiterverbreitung von 'SARS-CoV-2' allgemein. Insoweit ist die isolierte Einstufung von Tirol als 'Epidemiegebiet' aber schon deshalb willkürlich, weil Tirol die zweitniedrigste Inzidenz in ganz Österreich aufweist (115,9), was sich auch in – relativ zu anderen Bundesländern – niedrigen Hospitalisierungszahlen widerspiegelt (26,3 % Normalbettenauslastung, 36,2 % Intensivbettenauslastung).

 

[…]

 

Der zweite Ansatz besteht in der argumentativen Hervorhebung des Schutzes vor der 'Virusvariante B1.351'. Bei der 'Virusvariante B1.351', die lediglich im Titel der COVID-19-VvV erwähnt wird, handelt es sich um eine landläufig als 'südafrikanische Mutation' bezeichnete Erscheinungsform des 'SARS-CoV-2'-Virus. Nach geltendem Recht ist diese Virusvariante aber nicht anders zu behandeln wie sonstige Erscheinungsformen von 'SARS-CoV-2'.

 

Auch faktisch scheitert dieser Argumentationsansatz daran, dass sich diese 'südafrikanische Mutation' keineswegs nur in Tirol verbreitet, sondern auch in Niederösterreich (https://noe.orf.at/stories/3092914/ https://www.oe24.at/ coronavirus/bereits-30-suedafrikafaelle-in-niederoesterreich/468223913), in Wien (https://wien.orf.at/stories/3089180/ ), Salzburg (https://www.sn.at/ salzburg/chronik/variante-aus-suedafrika-ist-in-salzburg be-staetigt-100621492), Vorarlberg und Oberösterreich (https://www.vienna.at/suedafrikavariante-nachweise-in-vorarlberg-und-oberoesterreich/6909126 ), in der Steiermark (https://www.kleinezeitung.at/steiermark/5935134/Faelle-in-der-Steiermark _ Diese-Massnahmen-setzt-das-Land-gegen-die) und auch in Kärnten (https://www.5min.at/202102356469/suedafrika-mutation-hat-weitere-kaerntner-bezirkeerreicht/ ). Diese Bundesländer wurden und werden aber im Unterschied zu Tirol nicht als 'Epidemiegebiet' deklariert. Selbst wenn man sich in einem Gedankenspiel mit der Denkvariante anfreunden will, dass die Stammfassung der Verordnung womöglich rechtskonform war, um damit eine Virusvariante in einem Bundesland zu isolieren, sind die faktischen Grundlagen ihrer Erlassung bereits in sich zusammengebrochen. Hinzu kommt, dass zur Eindämmung der Verbreitung einer sich weltweit verbreitenden Virusvariante die Isolation eines Bundeslandes überhaupt nur geeignet sein könnte, wenn außerdem Einreisen aus dem Ausland nach Restösterreich sinngleich geregelt wären. Das ist aber nicht der Fall.

 

In Bezug auf 'SARS-CoV-2' ist Tirol in Relation zu anderen Bundesländern aktuell kein Problemfall, ganz im Gegenteil. Auch in Bezug auf die 'Virusvariante B1.351' unterscheidet sich Tirol nicht von anderen Bundesländern. Selbst wenn ein solcher Unterschied gegeben wäre, was nicht der Fall ist, muss eine besondere Relevanz der 'Virusvariante B1.351' zunächst dem Gesetz zu entnehmen sein. Bis dahin ist die Verordnung gesetzeswidrig.

 

Im Sinne der §§1, 24 Epidemiegesetz kann von einer 'unbedingten Erforderlichkeit' des §2 COVID-19-VvV in Bezug auf die Verbreitung von 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus') jedenfalls keine Rede sein.

 

5.4. Verkehrsbeschränkungen rechtfertigen keinen Testzwang

 

Vor der COVID-19-Pandemie bestand verfassungsrechtlich weitgehendes Einvernehmen darin, dass der staatliche Zwang zur Duldung intensiver körperlicher Eingriffe – auch durch medizinisches Fachpersonal – einer besonderen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung bedarf (vgl etwa zur Blutabnahme §5 Abs6 und 10 iVm §99 Abs1 litc StVO). Die COVID-19-VvV bewegt sich mit ihrer Testpflicht sogar im gesetzesfreien Raum. Selbst wenn temporäre Verkehrsbeschränkungen an einer Landesgrenze gesetzeskonform erlassen werden, dürfen diese nicht mit einem Testzwang bei sonstigem Ausreiseverbot verknüpft werden. Derartiges ist mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar (Art18 B‑VG).

 

Es ist denkbar, dass hierfür womöglich in §24 Epidemiegesetz einmal eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Ein entsprechender Ministerialentwurf befindet sich aktuell in Begutachtung (https://www.parlament.gv.at/ PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00098/index.shtml). Das ist ungeachtet der beschwichtigenden Begründung ('Klarstellungen') zum Ministerialentwurf in Wahrheit ein Eingeständnis der belangten Behörde dafür, die Testpflicht in §2 COVID- 19-VvV ohne eine gesetzliche Grundlage erlassen zu haben.

 

5.5. Keine Prüfung auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn

 

Die belangte Behörde hat es außerdem unterlassen, in diesem grundrechtssensiblen Bereich eine evidenzbasierte Prüfung und Abwägung der in Aussicht genommenen Regelung mit den davon betroffenen Grundrechten der Rechtsunterworfenen vorzunehmen und die Gesetzes- und Verfassungskonformität der Maßnahme stichhaltig zu begründen.

 

6. Verfassungswidrigkeit der COVID-19-VvV

 

6.1. Verletzung im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG 1867, Art7 B‑VG)

 

Die Testpflicht ist auch – aus mehreren Gründen – verfassungswidrig, sie ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgebot unsachlich, ja geradezu willkürlich (Art2 StGG 1867, Art7 B‑VG).

 

Selbst wenn man akzeptieren wollte, dass sich ungeachtet aller bereits verordneten COVID-19-Maßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot usw) und trotz der Eigenverantwortung aller in Österreich lebenden Menschen auch völlig kerngesunde Personen vor der Staatsmacht zu rechtfertigen haben, wiederholt Eingriffe zu dulden haben und einen Nachweis mitzuführen haben, wonach von Ihnen 'eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr' ausgeht (vgl etwa §1 Abs5 Z5 COVID-19-Maßnahmengesetz), so ist es willkürlich, diesen Nachweis nur auf 'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV‑2', die nicht älter als 48 Stunden sind, zu reduzieren.

 

So wurde beispielsweise auf der Webseite des BMSGPK noch bis vor kurzem die stark begrenzte Aussagekraft derartiger Tests hervorgehoben:

 

'Ich gehöre einer Risikogruppe an und fühle mich gesund – brauche ich einen Test?

Nein.

Ein PCR-Test sollte nur bei Krankheitszeichen zur Klärung der Ursache durchgeführt werden, bei einer gesunden Person hat ein PCR-Test nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. (Auch ein negatives Ergebnis kann eine Infektion nicht mit Sicherheit ausschließen.) Wenn man gesund ist, sich aber noch in der Inkubationszeit befindet, sagt ein negativer Test auf COVID-19 nichts darüber aus, ob man doch noch krank werden kann. Ein PCR-Test stellt daher keinesfalls eine Schutzmaßnahme dar. Personen, die der Risikogruppe angehören, brauchen daher nicht getestet werden, wenn sie sich gesund fühlen. Das gilt auch für deren Bezugspersonen. Schutzmaßnahmen, wie zB regelmäßiges Händewaschen, auf Händeschütteln und Umarmen verzichten und Abstand halten, sind unbedingt zu beachten!'

 

- Quelle: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/ Coronavirus—Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ–Testungen-und-Quarantaene.html | Stand 17.09.2020 (zuletzt abgerufen am 05.02.2021)

Diese behördliche Stellungnahme wurde mittlerweile gelöscht, weil sie mit der von der Bundesregierung willkürlich forcierten Konzept des 'Freitestens' und den dazu erlassenen Verordnungen des BMSGPK nicht mehr im Einklang stand. An der medizinischen Richtigkeit dieser Aussagen ändert dies nichts. Testpflichten sind ungeeignet zur Zielerreichung, sie sind auch unverhältnismäßig.

 

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Antragsteller einen besseren Nachweis beibringen kann, dass von ihm 'eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr' ausgeht, weil er aufgrund einer früheren Erkrankung seit knapp einem Jahr Antikörper gebildet hat, die aktuell weiterhin nachweisbar sind und den Effekt einer 'natürlichen Immunität' belegen, wie er ansonsten nur durch eine Impfung hergestellt werden kann.

 

Eine weitere Infektion mit dem Virus oder die Weitergabe einer Virenlast, die bereits geeignet wäre, andere Personen zu gefährden, ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft unwahrscheinlich. Der Antragsteller ist gegen die Krankheit immun.

 

[…]

 

Die epidem[i]ologische Gefahr, die vom Antragsteller ausgeht, ist aufgrund seiner Immunität viel geringer als bei Personen, die noch keine Antikörper gebildet bzw keine Immunität aufgebaut haben. Dennoch wird dem Antragsteller weiterhin eine fortwährende Testpflicht abverlangt.

 

Die Verfassungswidrigkeit der Norm zeigt sich also auch darin, dass Personen, die angesichts nachweislicher Immunität gegen die Krankheit einen gleichwertigen Nachweis bescheinigen können, wonach von Ihnen 'eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr' ausgeht (vgl etwa §1 Abs5 Z5 COVID-19-Maßnahmengesetz), nicht schon aufgrund dieses Nachweises ebenso frei aus Tirol ausreisen dürfen wie Personen, die einen mehr oder weniger aussagekräftigen PCR- oder Antigentest vorweisen können, der 48 Stunden zurückliegt (vgl auch §16 Abs4 der 4. COVID-19-SchuMaV idF BGBl II 105/2021).

 

Aufgrund dieser offenkundigen Unsachlichkeit und Willkür verletzt die angefochtene Norm den Antragsteller in seinen Grundrechten gemäß Art2 StGG 1867 und Art7 B‑VG.

 

6.2. Verletzung im Recht auf freie Mandatsausübung als Bundesrat (Art56 Abs1 B‑VG)

 

Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden (Art56 Abs1 B‑VG).

 

Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit des Antragstellers von behördlichen Aufträgen, wie etwa die Duldung eines medizinischen Eingriffs gemäß §2 COVID-19-VvV unter sonstiger Strafdrohung vor Anreisen vom Wohnort und Wahlkreis des Antragstellers in das Parlament in Wien, ist daher mit dem Wortlaut und dem Telos des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Mandatsausübung unvereinbar (vgl dazu etwa Koja, Das freie Mandat des Abgeordneten [1971], insbes. S. 14 ff. Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht Bd. 2 [1998], 66 f; Wieser, Art56 Abs1 B‑VG in: Korinek/Holoubek [Hg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht).

 

6.3. Verletzung im Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3 GRC ua)

 

Die Testpflicht verletzt den Antragsteller in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das sich ua aus Art3 GRC ableiten lässt. Der Antragsteller genießt den Schutz der Europäischen Grundrechtecharta als Unionsbürger, der im Rahmen des Bundesrats und einer aktuellen Sitzung des EU-Ausschusses (./B), auch Organfunktionen gemäß EUV und AEUV wahrzunehmen hat (Art23fArt23k B‑VG).

 

'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV‑2' (§2 COVID-19-VvV), die 'im Rahmen von Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden' können, sind mit schmerzhaften körperlichen Eingriffen verbunden, bei denen körpereigenes Untersuchungsmaterial aus der Nase entnommen werden muss. Bei der Probenentnahme kann eine Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen. Vereinzelt führten Fehler auch zur Verletzung der Nasen-Hirn-Schranke und zum Austritt von Hirnflüssigkeit (https://jamanet-work.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2771362 ).

 

Die behördliche Anordnung derartiger Tests ohne vorherige Aufklärung über die Risiken und ohne freie Einwilligung ist mit dem Grundrecht des Antragstellers auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar. Derartige Testpflichten sind ebenso ungeeignet zur Zielerreichung wie nach Gesamtabwägung der Rechtsgüter unverhältnismäßig im engeren Sinn. Das gilt umso mehr, als der Antragsteller bereits gegen die Krankheit einen nachweislichen Immunitätsschutz aufgebaut hat (s.o. zu ./H, ./I, ./J) und daher kein sachlicher Grund mehr besteht, ihn weiterhin einer zwangsweisen und mit Schmerzen verbundenen medizinischen Testung in kurzen Abständen zu unterziehen.

 

6.4. Verletzung im Grundrecht auf Bewegungsfreiheit bzw Freizügigkeit (Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK)

 

Nach Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben 'zu kommen und zu gehen' (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 6). Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind (vgl V363/2020).

 

Das ist, wie oben dargelegt, nicht der Fall. In Bezug auf 'SARS-CoV-2' ist Tirol in Relation zu anderen Bundesländern aktuell kein Problemfall, ganz im Gegenteil. Auch in Bezug auf die 'Virusvariante B1.351' unterscheidet sich Tirol nicht von anderen Bundesländern. Die in §2 COVID-19-VvV normierte Ausreisebeschränkung war und ist daher ungeeignet zur Zielerreichung, nicht erforderlich und unverhältnismäßig, sie verletzt den Antragsteller in seinen Grundrechten gemäß Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK."

 

4. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz legte die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vor und erstattete eine Äußerung, in der er die Zulässigkeit des Antrages bestreitet sowie den Bedenken des Antragstellers im Wesentlichen wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Zur Zulässigkeit

 

1. Zur Bezeichnung der angefochtenen Verordnung

 

1.1. Aus §57 VfGG ergibt sich das Erfordernis der hinreichend genauen Bezeichnung, in welcher Fassung eine Verordnung angefochten wird (vgl VfGH 20.11.2014, V61/2013; 7.10.2015, G24/2013, V12/2013). Die diesbezüglichen Angaben des Antragstellers sind unklar, zumal auch die Fassung BGBl II Nr 85/2020 ins Treffen geführt wird ('BGBl II 63/2021 idF BGBl. II Nr 85/2021, BGBl II 98/2021'), obgleich es sich dabei nicht um die angefochtene Fassung handeln dürfte.

 

Wenngleich der Verfassungsgerichtshof die fehlende Bezeichnung der Fassung der angefochtenen Norm dann als unproblematisch erachtet, wenn die angefochtenen Bestimmungen wörtlich wiedergegeben werden (mwN nur VfGH 1. 10. 2020, V405/2020), lässt sich durch die diesbezüglich widersprüchliche Angabe nicht zweifelsfrei erschließen, ob die zum Anfechtungszeitpunkt nicht mehr in Geltung stehende Fassung BGBl II Nr 85/2021 ebenso mitangefochten wird. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller für die Begründung der unmittelbaren Betroffenheit auch eine nicht in den zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung BGBl II Nr 98/2021 fallende Plenarsitzung des Bundesrates (am 26. 4. 2021) ins Treffen führt.

 

1.3. Der BMSGPK erachtet den Antrag sohin als unzulässig. Sofern der Verfassungsgerichtshof dennoch von der Zulässigkeit des Antrags ausgehen sollte, nimmt der BMSGPK wie folgt in der Sache Stellung:

 

III. In der Sache:

 

Einleitend verweist der BMSGPK auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, wonach sich der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002) und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004; VfGH 26.2.2018, V96/2017).

 

1. Zum behaupteten Verstoß gegen das Legalitätsprinzip

 

1.1. Der Antragsteller sieht einen Verstoß gegen §24 EpiG darin, dass SARS-CoV-2 sowie die Virusvariante B1.351 keine anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des §1 des EpiG darstellen und keine unbedingte Erforderlichkeit von Verkehrsbeschränkungen über Tirol zum Schutz vor der Weiterverbreitung meldepflichtiger Krankheiten vorgelegen sei. Zudem handle es sich bei der Testauflage nicht um eine Verkehrsbeschränkung im Sinne des §24 EpiG, womit sie nicht gesetzlich gedeckt sei. Bei der Verordnungserlassung sei zudem keine Prüfung auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit vorgenommen worden.

 

1.2. Den Ausführungen des Antragstellers, dass es der COVID-19-VvV an einer gesetzlichen Grundlage fehle, da es sich bei SARS-CoV-2 sowie der Virusvariante B1.351 nicht um eine anzeigepflichtige Krankheit gemäß §1 des EpiG handle, ist aus Sicht des BMSGPK Folgendes entgegenzuhalten:

 

Mit der 'Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020', BGBl II Nr 15/2020, wurde 2019-nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus') auf der Grundlage des §1 Abs2 EpiG der Anzeigepflicht nach EpiG unterworfen.

 

Eingangs ist anzuführen, dass dem Titel einer Verordnung kein verbindlicher Charakter zukommt und die Bezugnahme auf das Jahr 2020 ihrem normativen Gehalt sohin nicht schadet. Für die Frage der 'Relevanz' einer Rechtsnorm kommt es ausschließlich auf ihr formelles In- und Außerkrafttreten und ihren (zeitlichen, sachlichen und persönlichen) Anwendungsbereich an. Zudem ist anzumerken, dass die Rechtsansicht des Antragstellers zur Folge hätte, dass es vielen Gesetzen und Verordnungen an Verbindlichkeit mangeln würde, könnte deren Aktualität auf Grund der Anführung einer Jahreszahl im Titel in Frage gestellt werden (das EpiG 1950 wäre diesfalls schon seit langem nicht mehr anwendbar, was der Antragsteller auch nicht behauptet).

 

Die ursprüngliche Bezeichnung für das Virus SARS-CoV-2 war 2019-nCoV. Der offizielle Name für Virus und Krankheit wurde im Februar 2020 von der World Health Organisation bekannt gegeben (https://www.who.int/emergencies/ diseases/novel-coronavirus-2019/technical-guidance/naming-the-coronavirus-disease-(covid-2019)-and-the-virus-that-causes-it; letzter Zugriff 26.04.2021).

 

Die Bezeichnung 'SARS-CoV-2' umfasst auch sämtliche damit in Zusammenhang stehende Virusvarianten. Diese sind somit zweifelsfrei vom Katalog des §1 EpiG erfasst. Die monierte Gesetzwidrigkeit aufgrund des Nichtvorliegens einer meldepflichtigen Krankheit ist sohin aus Sicht des BMSGPK nicht gegeben.

 

1.3. Was die behauptete mangelnde unbedingte Erforderlichkeit der Testauflage für die Ausreise aus Tirol (verstanden als 'Überschreiten der Grenzen des Epidemiegebietes' im Sinne des §2 COVID-19-VvV) zum Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Erkrankung betrifft, ist auf die Dokumentation im Verordnungsakt zu verweisen (s dazu den Sachverhalt und die rechtliche Begründung zur COVID-19-VvV im Verordnungsakt). Es ist zudem klarstellend zu erwähnen, dass es sich um Ausreisebeschränkungen aus Teilen von Tirol gehandelt hat und keine Gebietsquarantäne per se über Tirol verhängt wurde.

 

Die COVID-19-VvV wurde nicht aus Anlass der allgemeinen COVID-Inzidenz erlassen, sondern war dem besorgniserregenden Auftreten der Südafrika-Variante des Virus SARS-CoV-2 (in den in §1 leg cit genannten Gebieten) geschuldet. Die zentrale Zielsetzung, die weitere Verbreitung der Variante in Restösterreich zu verhindern, ist unzweifelhaft im Verordnungsakt zur COVID-19-VvV dokumentiert.

 

1.4. Seit Mitte Dezember 2020 wurde aus dem Vereinigten Königreich über die zunehmende Identifizierung und Verbreitung der sogenannten SARS-CoV-2 VOC 202012/01 (VOC: variant of concern) Variante berichtet. Diese Viren gehören der Linie B.1.1.7 (501Y.V1) an und breiten sich seit September 2020 mit Schwerpunkt im Süden und Südosten Großbritanniens aus. Ebenfalls im Dezember 2020 wurde zudem erstmals vom vermehrten Auftreten einer SARS-CoV-2 Variante in Südafrika (B.1.351, 501Y.V2) berichtet. Im brasilianischen Bundesstaat Amazonas zirkuliert die SARS-CoV-2 Variante P.1 (501Y.V3), die von der Linie B.1.1.28 abstammt. Sie weist, wie die anderen VOCs, eine Reihe von Polymorphismen im S‑Protein auf […].

 

Von der ECDC wurden bisher drei Variants of Concern identifiziert, deren Verbreitungsrisiko mit 'hoch/sehr hoch' beurteilt wird: B.1.1.7 (501Y.V1), B.1.351 (501Y.V2) und P.1 (501Y.V3). Die Varianten zeigen eine erhöhte Übertragbarkeit. Dies kann aufgrund von erhöhten Fallzahlen zu vermehrten Hospitalisierungen und Todesfällen führen […]. Proben, die eine S‑Gen‑Mutation aufwiesen, zeigten bei der Abnahme mit höherer Wahrscheinlichkeit eine höhere Viruslast. Eine S‑Gen‑Mutation ist nicht spezifisch für eine gewisse SARS-CoV-2 Variante […]. In einer anderen (Pre‑Print) Studie wurde im Vergleich zum Wildtyp eine ähnliche Viruslast bei der B.1.1.7 Variante gefunden […].

 

Bezüglich einer möglichen kürzeren Inkubationszeit bei SARS-CoV-2-Mutationen zeigten Studien, dass Varianten mit der Mutation D614G schneller in Zellen replizieren als andere Varianten und sie so eventuell zu einer kürzeren Inkubationszeit führen könnten […]. Andere Studien legen wiederum eine längere Inkubationszeit nahe […].

 

Die Daten- und Studienlage zu den neuen SARS-CoV-2 Varianten ist aufgrund der geringen Zeit seit erster Identifizierung limitiert und meist regional begrenzt. Viele Länder, in denen die Virusvarianten etabliert sind, zeigen stark ansteigende Inzidenzraten, was zu erhöhten Hospitalisierungsraten, überforderten Gesundheitssystemen und Übersterblichkeit führen kann […].

 

Das RKI hat seine Empfehlungen bezüglich Absonderungen angepasst und empfiehlt bei Verdacht auf oder nachgewiesener Infektion mit einer dieser Varianten (VOC) – unabhängig von Schwere, Hospitalisierung und Alter – vorsorglich eine 14-tägige Isolierung und eine Testung mittels Antigentest oder eine PCR-Untersuchung vor Entisolierung […].

 

Die Variante B.1.1.7 scheint mit einer höheren Übertragbarkeit und einer höheren Reproduktionsrate einherzugehen. So proliferierte die Variante während des nationalen Lockdowns in Großbritannien, während andere Varianten zurückgingen. Daten durch Genomsequenzierung, Epidemiologie und Prognosemodellen deuten darauf hin, dass B.1.1.7 leichter von Mensch zu Mensch übertragen wird […]. Es wird angenommen, dass die Variante zwischen 43 – 82 % infektiöser ist […].

 

Zusätzlich liegen erste Daten vor, dass eine Infektion mit B.1.1.7 um bis zu fünf Tage länger verlaufen könnte als Infektionen mit sonstigen SARS-CoV-2-Virustypen […].

 

Eine in Science publizierte Studie […] untersuchte eine Vielzahl von statistischen und dynamischen Modellierungsansätzen, um die beobachtete Ausbreitung der Virusvariante B1.1.7 in England zu erklären. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Variante eine um 43‑90 % höhere Reproduktionszahl aufweist als bereits vorhandene Varianten. Ihre Ergebnisse werden durch ähnliche Erfahrungen in Dänemark, Schweiz und den Vereinigten Staaten bestätigt, die die erhöhte Übertragbarkeit der Variante zwischen 59 und 74 % schätzen. Für Österreich wurde eine entsprechende Analyse durch das Prognosekonsortium basierend auf den bestätigten Fallzahlen zur Virusvariante durchgeführt. Anhand der Ausbreitungsdynamik zwischen KW 6 und KW 8 lässt sich eine effektive Reproduktionszahl der Varianten mit der Mutation N501Y – dazu zählen die UK- und die Südafrika-Variante – schätzen, die um durchschnittlich 23 % höher (95 % KI 21‑25 %) ist als die der vorangegangenen Variante […]. Unter den in KW 6 bis KW 8 geltenden Maßnahmen/Adherence-Bedingungen führte dies zu einer effektiven Reproduktionszahl von 1,24 der Mutante (95 % KI 1,23‑1,25) und 1,00 des Wildtyps (95 % KI 0,99 – 1,01).

 

Für die Virusvariante B.1.351 zeigen Berechnungen, dass die Variante um bis zu 50 % infektiöser sein könnte als die Wildtyp-Variante […]. Für P.1 wird eine erhöhte Übertragbarkeit aufgrund der Ähnlichkeit mit der Variante B.1.351 als denkbar erachtet […]. Derzeit gibt es noch keine Evidenz zu verstärkter Transmissibilität von P.1, allerdings lässt die N501Y-Mutation, die auch in den Varianten B.1.1.7 und B.1.351 vorhanden ist, dies vermuten […].

 

1.5. Da aufgrund des (auch im Verordnungsakt dokumentierten) Wissensstands im Zeitpunkt der Verordnungserlassung somit zu befürchten war, dass die Südafrika-Variante um bis zu 50 % infektiöser sein könnte und der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfungen oder bereits durchgemachte Infektionen) reduziert sein könnte und somit eine raschere Ausbreitung, vermehrte Reinfektionen und schmälere Impferfolge zu befürchten waren, war die Ergreifung rascher und effektiver Eindämmungsmaßnahmen unerlässlich. Insbesondere aufgrund der Gefährdung der geplanten Bekämpfungsstrategie (va des Impfplans) durch die Ausbreitung der neuen Variante steht für den BMSGPK außer Frage, dass Tirol mit Ausnahme der in §1 der COVID-19-VvV genannten Gebiete im Zeitpunkt der Verordnungserlassung als Epidemiegebiete im Sinne des §24 EpiG einzustufen war:

 

§24 des EpiG bindet das verordnungserlassende Organ nämlich nicht an bestimmte Parameter wie etwa hohe Inzidenzen. §24 EpiG verlangt in diesem Zusammenhang bei Vorliegen einer entsprechenden Gefahrensituation insbesondere nicht, dass die meldepflichtige Krankheit bereits um sich greift. In Anbetracht der nicht nur repressiven, sondern auch präventiven Stoßrichtung des Seuchenrechts ('Verhinderung der Verbreitung') kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit der Ergreifung von Maßnahmen nicht erst zugewartet werden muss, bis sich die Varianten bereits großflächig verbreitet haben. Entsprechend dem seuchenrechtlichen Vorsorgeprinzip war von Seiten des verordnungserlassenden Organs aufgrund der besorgniserregenden Datenlage über die Virusvariante vom Vorliegen eines Epidemiegebietes auszugehen.

 

1.6. Wenn der Antragsteller in diesem Zusammenhang moniert, dass sich die Südafrika-Variante keineswegs nur in Tirol, sondern schon breitflächig in ganz Österreich verbreitet habe und die restlichen Bundesländer nicht als Epidemie-gebiet deklariert wurden, so ist auf die im Verordnungsakt zur COVID-19-VvV dokumentierte Auswertung und Überwachung der Fälle hinzuweisen. Wie sich der fachlichen Begründung (s Seiten 3 und 4) entnehmen lässt, konnte in Tirol mit 4. 1. 2021 das erste Mal die Variante B.1.1.7 (UK-Variante) mit 16 Fällen nachgewiesen werden. Weitere Fälle dieser Variante konnten in den darauffolgenden Wochen erhoben werden – mit derzeitigem Höhepunkt am 4. 1. 2021 mit 16 Fällen. Am 12. 1. 2021 konnte das erste Mal die Variante B1.351 (Südafrika-Variante) mit sechs Fällen nachgewiesen werden. Einige weitere Fälle dieser Variante konnten in den darauffolgenden Wochen, mit Höhepunkt am 23. 1. 2021 mit 30 Fällen, erhoben werden. Im Vergleich zur UK‑Variante dominierte in Tirol die Südafrika-Variante (s die entsprechenden Tabellen und Abbildungen in der fachlichen Begründung im Verordnungsakt zur COVID-19-VvV). Fälle der B.1.351 Variante verteilten sich hauptsächlich in den Gebieten Innsbruck und Schwaz, wobei im Westen Tirols und in Osttirol noch keine Virusvarianten/N501Y-positive Fälle bekannt waren. Tirol war mit Stand 8. 2. 2021 das einzige Bundesland, in dem sich die Südafrika-Variante (B.1.351) etabliert hatte (s zur Verbreitungslage im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II Nr 98/2021 gleich).

 

1.7. Im Hinblick auf den vom Antragsteller vorgebrachten 'Zusammenbruch der faktischen Grundlagen' (gemeint wohl: Auftreten der Variante nur in Tirol) in Bezug auf die Verlängerung der COVID-19-VvV, ist auf die Tabelle auf Seite 4 der fachlichen Begründung im Verordnungsakt zur 2. Verlängerung der COVID‑19‑VvV zu verweisen. Aus der Tabelle kann ein Auftreten von 327 bestätigten Fälle der B1.351-Variante entnommen werden, wovon 305 auf Tirol entfallen (Stand 25. 2. 2021).

 

Hervorzuheben ist, dass in der Tabelle auf Seite 6 der fachlichen Begründung im Verordnungsakt zur 2. Verlängerung der COVID-19-VvV hinsichtlich der Variante B1.351 im zeitlichen Verlauf 95 % der vorgescreenten Proben auf Tirol entfallen, während sich der Anteil an Infektionen mit der Variante B1.351 in Österreich gesamt auf 4,7 % beläuft.

 

Der fachlichen Begründung zur 2. Verlängerung der COVID-19-VvV kann zudem entnommen werden, dass die Variante B1.351 mit Datenstand 02. 03. 2021 hauptsächlich im Bundesland Tirol identifiziert wurde.

 

Da der Wissensstand darauf hindeutet, dass die Südafrika-Variante um bis zu 50 % infektiöser sein könnte (das Prognosekonsortium hat basierend auf vorliegenden Zahlen eine erhöhte Übertragbarkeit auf 27 % prognostiziert) und vermutet wird, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfungen oder bereits durchgemachte Infektionen) reduziert sein könnte, kann von einer rascheren Ausbreitung, vermehrten Reinfektionen und schmäleren Impferfolgen ausgegangen werden. Wenn es in einzelnen Regionen zu Ausbrüchen mit Varianten kommt, bei denen zu befürchten ist, dass es zu einer geringeren Wirksamkeit von Impfstoffen kommen könnte, so ist es essentiell, dass in derartigen Regionen strikt und konsequent Maßnahmen zur Eindämmung der Varianten gesetzt werden. Durch das isolierte Auftreten der B1.351 Variante in Tirol (ausgenommen Osttirol) erschien das Forcieren verschärfter Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung als effektivste Methode sinnvoll. Die erhobenen Einzelfälle der Südafrika-Variante in Wien (vier Fälle) und Steiermark (ein Fall) breiteten sich mit Datenstand 08. 02. 2021 in den betroffenen Bundesländern noch nicht aus. Epidemiologische Ausbreitungsmodelle (zB SIR Modell) verwenden in der Regel Parameter, die unter anderem von einer räumlichen Trennung abhängig sind. Aus fachlicher Sicht war es daher gerechtfertigt den politischen Bezirk Lienz, die Gemeinde Jungholz sowie das Rißtal im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee von den Bestimmungen auszunehmen, da eine geographische Trennung zu jenen Gebieten besteht, in denen bereits eine Dynamisierung des Virusgeschehens eingetreten ist.

 

1.8. Die COVID-19-VvV wird sohin dem Grundsatz der regionalen Differenzierung nach epidemiologischer Lage gerecht, indem sie sich – entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl dazu die rechtlichen Ausführungen in der rechtlichen Begründung im Verordnungsakt zur COVID-19-VvV) – nur auf jene Bereiche des Bundeslandes Tirol bezieht, die von der einzudämmenden Virusvariante betroffen sind (vgl den differenzierten örtlichen Anwendungsbereich des §1 der COVID-19-VvV).

 

Das Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf die fehlende gesetzliche Voraussetzung der unbedingten Erforderlichkeit im Sinne des §24 des EpiG erweist sich sohin als unbegründet, da aufgrund des aufgezeigten konzentrierten Auftretens der Südafrika-Variante in Teilen Tirols Ausreisebeschränkungen zur Eindämmung der Verbreitung der Variante unbedingt erforderlich waren. Zudem ist anzumerken, dass die Testauflage das deutlich gelindere zur Verfügung stehende Mittel darstellt. Um eine Ausbreitung in Restösterreich effektiv zu verhindern, wäre alternativ nur eine gänzliche Gebietsquarantäne in Betracht gekommen. Die potentiell zu verhängenden Maßnahmen wurden sohin sorgfältig gegeneinander abgewogen.

 

1.9. Betreffend der behaupteten fehlenden sinngleichen Regelung der Einreise aus dem Ausland ist auf die Bestimmungen der COVID-19-EinreiseV, BGBl II Nr 445/2020 idF BGBl II Nr 103/2021, zu verweisen. Gemäß §4 Abs1 der COVID-19-EinreiseV dürfen Personen aus EU/EWR Staaten sowie aus der Schweiz, Andorra, Monaco, San Marino und dem Vatikan nur uneingeschränkt einreisen, wenn sie aus einem in der Anlage A genannten Staat oder Gebiet einreisen (Z1) und bei der Einreise glaubhaft machen, dass sie sich innerhalb der letzten zehn Tage ausschließlich in Österreich oder in einem in der Anlage A genannten Staat oder Gebiet aufgehalten haben (Z2).

 

Personen die jedoch bei der Einreise diese Voraussetzungen nicht erfüllen, haben gemäß §4 Abs2 der COVID-19-EinreiseV ein ärztliches Zeugnis oder ein Testergebnis gemäß §2 mitzuführen und bei einer Kontrolle vorzulegen. Kann das ärztliche Zeugnis oder das Testergebnis nicht vorgewiesen werden, ist unverzüglich, jedenfalls binnen 24 Stunden nach der Einreise, ein molekularbiologischer Test auf SARS-CoV-2 oder Antigen-Test auf SARS-CoV-2 durchführen zu lassen. Zusätzlich ist unverzüglich eine zehntägige Quarantäne gemäß §3 der COVID-19-EinreiseV anzutreten. Die Quarantäne gilt als beendet, wenn ein molekularbiologischer Test auf SARS-CoV-2 oder Antigen-Test auf SARS-CoV-2 frühestens am fünften Tag nach der Einreise durchgeführt wird und das Testergebnis negativ ist.

 

Für die Einreise aus Risikostaaten nach Österreich bestehen somit vergleichbare Regelungen, zumal ebenso wie beim Verlassen der in der COVID-19-VvV genannten Gebiete Tirols ein negatives Testergebnis auf SARS-CoV-2 vorgelegt werden muss. Zusätzlich sieht die COVID-19-EinreiseV eine verpflichtende Quarantäne und damit strengere Regelungen als die COVID-19-VvV vor. Dies ist jedoch insofern gerechtfertigt, als die Pandemieentwicklung, insbesondere auch die Ausbreitung bzw das Auftreten von Virusvarianten innerhalb von Österreich, der Möglichkeit einer genaueren Beobachtung und Risikoanalyse unterliegt und sohin gelindere Mittel vorgesehen werden können. Für weitere Ausführungen dazu s auch die fachliche Begründung im Verordnungsakt zur COVID-19-VvV.

 

1.10. Was den Rückschluss des Antragstellers aus dem Nationalratsbeschluss 757 BlgNR 27. GP , dass die derzeit geltende Rechtslage eine Testpflicht als Auflage für das Verlassen eines Epidemiegebietes nicht erlaube, betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass §24 Abs2 Z1 und 2 des EpiG idF des genannten Nationalratsbeschlusses (Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes und Untersagung des Verlassens, sofern Voraussetzungen und Auflagen nicht ausreichen) der geltenden Rechtslage entsprechen. So hat der Verfassungsgerichtshof die Verhängung einer Quarantäne auf der Grundlage des §24 EpiG bereits grundsätzlich für zulässig erachtet (vgl VfGH 10.12.2020, V535/2020-17). Bei der Testauflage handelt es sich um eine Auflage für das Verlassen des Epidemiegebietes und sohin um ein wesentlich gelinderes Mittel zu einer Quarantäne. Die Zulässigkeit einer solchen gelinderen Maßnahme ergibt sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wonach Verkehrsbeschränkungen nur verhängt werden dürfen, 'sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist' (§24 EpiG). §24 Abs2 Z1 EpiG dient diesbezüglich lediglich der Klarstellung. Im Hinblick auf die mit der Novelle BGBl I Nr 23/2021 erfolgten Änderungen wird insbesondere klargestellt, dass es sich etwa beim Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr um eine entsprechende Auflage handeln kann (s dazu die Erläuterung zum IA 1324/A 259 /BNR).

 

Wenn der Antragsteller dies als Eingeständnis einer fehlenden gesetzlichen Grundlage versteht, missinterpretiert er somit die geltende Rechtslage und verkennt insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebenden Anforderungen (einzige Alternative zur Testpflicht wäre in Anbetracht der epidemiologischen Lage tatsächlich eine gänzliche 'Quarantäne' der betroffenen Gebiete gewesen).

 

1.11. Zur monierten mangelnden Prüfung und Abwägung der Maßnahmen der COVID-19-VvV im Hinblick auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ist auf Pkt. III.1.3-1.8. zu verweisen. Hinsichtlich der fehlenden Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Tests als Auflage für die Ausreise aus Teilen Tirols ist Folgendes anzuführen:

 

Testverfahren dienen dem qualitativen Nachweis des Erregers. Aus dem Nachweis des Erregers allein lässt sich noch kein Hinweis auf die Infektiösität ableiten, jedoch sind zusätzlich erhobene Parameter (zB Viruskonzentration, CT‑Wert) ein wesentliches Indiz für die Ausscheidung von replizierfähigem Virusmaterial.

 

• Erbgut

 

Der labordiagnostische Goldstandard für die Diagnose einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist der direkte Virusnachweis aus respiratorischen Sekreten mittels Poly-merase-Kettenreaktion (PCR) bzw anderer Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken (NAT). Zum PCR-Nachweis von SARS-CoV-2 sind eine Reihe kommerzieller Testsysteme unterschiedlicher Anbieter verfügbar. Typischerweise wird aus der Probe zuerst virale Nukleinsäure (RNA) extrahiert. Aus dieser wird nach reverser Transkription (RT) eine PCR (oder auch eine andere NAT wie isothermale Amplifikation) zum Nachweis Virus-spezifischer Nukleinsäuren durchgeführt. Bei den meisten in Europa kommerziell verfügbaren Testassays haben sich als Standard die von der Charité vorgeschlagen[en] Zielsequenzen etabliert. Jedoch gibt es auch Hersteller, die sich an andere[n] Protokollen orientieren bzw steht es ihnen auch frei, eigene Zielsequenzen zu definieren.

 

• Virale Proteine

 

Beim Antigentest handelt es sich um einen direkten Virusnachweis, der virale Proteine in respiratorischen Probenmaterialien immunologisch detektiert. Überwiegend kommen dafür Point-of-Care Systeme bzw Schnelltestformate zum Einsatz. Die Durchführung des Antigen-Test[s] erfordert daher im Gegensatz zum PCR-Test keine spezielle Laborausstattung und kann außerhalb von medizinischen Laboratorien erfolgen. Durch die rasche Verfügbarkeit des Ergebnisses eignen sich Antigen-Schnelltests für eine dezentrale Testung symptomatischer Personen im Rahmen der Differentialdiagnose respiratorischer Infektionen. Antigen-Schnelltests bieten als Ergänzung zu PCR-Tests signifikante Vorteile. Sie stellen wegen der schnell verfügbaren Testergebnisse und wegen guter Verfügbarkeit eine wichtige Säule der Teststrategie dar […].

 

• Einfluss der Virusvarianten auf Testverfahren

 

Wenn ein PCR-Test auf der Amplifikation von zwei (oder mehr) Zielsequenzen von SARS-CoV-2 basiert und nur eine davon positiv ist, während die andere negativ ist, sind grundsätzlich mehrere Ursachen in Betracht zu ziehen. Eine davon hängt damit zusammen, dass eine Mutation in einer der Zielsequenzen von SARS-CoV-2 auftritt. Dies war der Fall bei dem von der Yale Universität entwickelten Testprotokoll bzw beim kommerziell verfügbaren Thermo Fisher TaqPath assay. Bei den drei Sequenzen, die bei diesem assay zum Einsatz kommen, trat aufgrund der Del 69/70 ein S‑Amplifikationsfehler auf, der die ersten Hinweise für die Mutation im Vereinigten Königreich lieferte […]. Kommerzielle PCR-Tests verwenden idR zwei bis drei Zielsequenzen für den qualitativen Nachweis von SARS-CoV-2. Da in Österreich verschiedene kommerzielle Testkits zur Anwendungen kommen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr niedrig, dass zeitgleich so viele Mutationen in so vielen verschiedenen Bereichen (Spike-Protein, Nucleocapsid-Protein, Envelope-Protein, offener Leserahmen) auftreten, dass bei allen verwendeten Testverfahren Amplifikationsfehler auftreten.

 

Bei einer Analyse von fünf kommerziell verfügbaren Antigentests wurde festgestellt, dass diese zuverlässig die neuen Virusvarianten erkennen konnten. Der Grund hierfür ist, dass der Großteil der verfügbaren Antigentests auf das Nucleocapsid-Protein des Virus abziel[t]. Im N‑Protein treten aus bisherigen Erfahrungen anhand von Sequenzierungen wenige Mutationen auf, und wenn, dann betreffen sie eher das N‑Terminal (https://asm.org/Articles/2021/February/ SARS-CoV-2-Variants-vs-Vaccines), das für die Nachweisbarkeit durch Antigentests nicht relevant ist. Daher haben die bisher bekannten Mutationen keinen Einfluss auf die Leistungsmerkmale von Antigentests (https://www.gov.uk/ government/publications/sars-cov-2-lateral-flow-antigen-tests-evaluation-of-vui-20201201/sars-cov-2-lateral-flow-antigen-tests-evaluation-of-vui-20201201).

 

Die Rolle von asymptomatisch infizierten Personen ist seit den ersten Berichten über das Auftreten von COVID-19 Ende 2019 eine zentrale Frage im Zusammen-hang mit dem Infektionsgeschehen. Wie bei anderen (respiratorischen) Infektionserkrankungen auch setzt sich die Grundgesamtheit der Transmissionen aus symptomatisch und asymptomatisch infizierten Personen zusammen. Eine besondere Herausforderung bei SARS-CoV-2 liegt darin, dass eine klare a priori Abgrenzung der asymptomatischen von symptomatischen Personen aufgrund der Eigenschaften des Virus kaum möglich ist. Aus bisherigen Erkenntnissen ist die Latenzzeit (Zeitraum von Ansteckung bis zur Infektiosität) kürzer als die Inkubationszeit (Zeitraum der von der Ansteckung bis zum Symptombeginn). Infizierte Personen sind am infektiösesten kurz vor Ausbruch der Symptome, d.h. zu diesem Zeitpunkt sind Personen entweder prä-symptomatisch oder asymptomatisch. Vorliegende Evidenz lässt daher vermuten, dass zwar grundsätzlich eine geringere Ansteckungsgefahr von asymptomatischen Personen im Vergleich zu prä-symptomatischen ausgeht. Zum Zeitpunkt, in dem die Ansteckungsgefahr jedoch ansteigt, kann nicht ausreichend zwischen beiden Gruppen unterschieden werden. Daher ist es wichtig, pharmazeutische Maßnahmen zu implementieren, die dieser mangelnden Unterscheidbarkeit Rechnung tragen, um Infektionsketten zielführend zu unterbrechen.

 

Breitflächige und niederschwellige Testungen zum Nachweis von SARS-CoV sind eine effektive Methode, um Infektionsketten zu unterbrechen, da sie die rasche Identifikation von Personen ermöglichen, die bereits mit dem Virus infiziert sind. Dadurch können zeitnah infizierte Personen durch die Gesundheitsbehörden abgesondert werden. Studien belegen, dass der Effekt umso größer ist, je früher diese Maßnahmen eingeleitet werden; bereits nach 3 oder 4 Tagen hat es kaum noch Auswirkungen auf die Reduktion der Reproduktionszahl […]. Die zum quantitativen Nachweis von SARS-CoV-2 eingesetzten Tests – sowohl PCR als auch Antigen – zeigen bei den auftretenden Virusvarianten keine Minderung ihrer Leistung, da in der Regel verschiedene Zielsequenzen untersucht werden (PCR) und / oder der Nachweis über das Protein erfolgt, das nicht von Mutationen betroffen ist (Antigentest) (https://www.gov.uk/government/publications/sars-cov-2-lateral-flow-antigen-tests-evaluation-of-vui-20201201/sars-cov-2-lateral-flow-antigen-tests-evaluation-of-vui-20201201 ).

 

Ausreisetests werden auch als Teil der Maßnahmen in österreichischen Hochinzidenzregionen benutzt – in diesen Hochinzidenzregionen zeigt sich eine wesentliche Verringerung der Fallzahlen nach Implementierung der Maßnahmen. Wie aus einem Bericht aus der Gemeinde Roppen (Tirol) hervorgeht, konnte die 7‑Tagesinzidenz durch konsequentes Testen und Ausreisekontrollen auf null gesenkt werden […].

 

1.12. Die Verpflichtung zum Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr durch Vorlage eines negativen Testergebnisses ist daher ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19.

 

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass bei Vorlage eines Nachweises über ein negatives Ergebnis die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von SARS-CoV-2 entsprechend dem gesetzlichen Auftrag grundlegend verringert ist.

 

Die Auflage des Nachweises eines negativen Testergebnisses ist vor dem Hinter-grund der epidemiologischen Situation im Zeitpunkt der Verordnungserlassung auch das gelindeste in Betracht kommende Mittel. Um eine Ausbreitung in Restösterreich effektiv zu verhindern, wäre alternativ nur eine gänzliche Gebietsquarantäne in Betracht gekommen.

 

Bei der Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske sowie der Einhaltung des grundsätzlich normierten Mindestabstandes handelt es sich zwar um zentrale Säulen der Seuchenbekämpfung, je nach epidemiologischer Lage ist aber auch eine Kombination mit anderen Maßnahmen erforderlich, um die Weiterverbreitung von COVID-19 samt Varianten zu verhindern. Am Beispiel der Verhinderung der Einschleppung der Virusvarianten dargelegt, ist hinsichtlich FFP2‑Maske und Abstand zu bedenken, dass diese Maßnahmen allenfalls nicht durchgehend eingehalten werden (können) und vor dem Hintergrund der im Verordnungsakt dargelegten epidemiologischen Situation isolierte Maßnahmen nicht ausreichend waren.

 

2. Zur behaupteten Verletzung im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B.VG [B‑VG])

 

2.1. Der Antragsteller moniert eine Gleichheitswidrigkeit in Bezug auf die Ausreisetestpflicht aus Tirol, insbesondere weil für Personen, die einen positiven Antikörpertest vorweisen können, keine Ausnahme vorgesehen sei. Zudem seien Testpflichten zur Zielerreichung ungeeignet und damit unverhältnismäßig.

 

2.2. Einleitend ist diesbezüglich auf eine Widersprüchlichkeit des Antragsvor-bringens hinzuweisen, zumal der Antragsteller einerseits behauptet, bei den Virusmutationen handle es sich nicht um SARS-CoV-2, andererseits aber eine Immunität aufgrund durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion annimmt.

 

2.3. Im Hinblick auf die Eignung und Verhältnismäßigkeit der Ausreisetestpflicht ist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf Pkt. III.1.11 und III.1.12 zu verweisen.

 

2.4. Der Gleichheitssatz setzt dem Verordnungsgeber (vgl zur Prüfung von Verordnungsbestimmungen am Maßstab des Verfassungsrechts VfSlg 17.960/2006, 19.033/2010) insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung (und dem Verordnungsgeber) jedoch von Verfassung wegen nicht verwehrt, ihre (sozial-)politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002). Der Normsetzer kann im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und darf generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl VfSlg 13.497/1993, 15.850/2000, 16.048/2000, 17.315/2004 und 17.816/2006, 19.722/2012, jeweils mwN) sowie auch Härtefälle in Kauf nehmen (vgl VfSlg 16.771/2002 mwN). Ob das Ergebnis einer Regelung in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht am Maßstab des Gleichheitssatzes gemessen werden (vgl VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000, 16.814/2003).

 

2.5. Der Behauptung, dass es willkürlich sei, die Ausreise aus Tirol nur mit einem negativen Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2 oder eines molekularbio-logischen Tests auf SARS-CoV-2, nicht aber auch mit einem Antikörpertest zu erlauben, ist zu entgegnen, dass der Antragsteller abermals die Zielsetzung der COVID-19-VvV verkennt.

 

2.6. Die Ausreisetestpflicht wurde angesichts des besorgniserregenden Auftretens der Südafrika-Variante des SARS-CoV-2-Virus (in den in §1 der COVID-19-VvV genannten Gebieten) normiert. Wenn der Antragsteller behauptet, dass beim Vorliegen positiver Antikörper eine Infektion mit dem Virus oder die Weitergabe einer Virenlast, die bereits geeignet wäre, andere Personen zu gefährden, unwahrscheinlich ist, verkennt er den Stand der Wissenschaft zu dieser Frage.

 

2.7. Die Immunität bei respiratorischen Viruserkrankungen ist komplex und kann durch Testungen schwer abgebildet werden. Es existieren Testverfahren, mit denen eine weitgehende Korrelation mit Immunität angenommen werden kann, jedoch sind die verfügbaren Verfahren mit entsprechenden Limitationen behaftet. Obwohl eine gesicherte Aussage über eine sterilisierende Immunität also schwer zu treffen ist, kann dennoch bei entsprechendem Nachweis von Antikörpern in ausreichender Konzentration von einer, wie im Epidemiegesetz (vgl §15 Abs2 Z5) und im COVID-19-MG (vgl §1 Abs5 Z5) genannten, 'niedrigeren epidemiologischen Gefahr' ausgegangen werden (s dazu https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Fachinformationen.html )[.]

 

Bezüglich Virusvarianten ist jedoch zu berücksichtigen:

 

Virusvarianten von SARS-CoV-2 gehen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Reinfektionen einher. So lassen erste Studien vermuten, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper (durch Impfung oder durchgemachter Infektion) bei der Variante B1.351 reduziert sein könnte. Dies könnte Impferfolge schmälern oder zu Reinfektionen führen […].

 

Die diesbezüglichen Entscheidungsgrundlagen sind auch der fachlichen Begründung zur 2. Verlängerung der COVID-19-VvV zu entnehmen. Da es zum Zeitpunkt des Auftretens der Südafrika-Variante in Österreich hinsichtlich dieser Variante noch wenig wissenschaftliche Evidenz gab, war es geboten, aufgrund der potentiellen Gefahr von Reinfektionen eine Testpflicht zum Nachweis der geringen epidemiologischen Gefahr zu normieren. Es bestehen sohin berücksichtigungs-würdige, relevante Unterschiede im Hinblick auf die Zielsetzungen betreffend die Verbreitung des Virus im Allgemeinen im gesamten Bundesgebiet und dem Entgegenwirken der Verbreitung einer Virusvariante, die vermehrt in einem Bundesland auftritt.

 

2.8. Diese im Hinblick auf die Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante zentralen Unterschiede im Tatsächlichen rechtfertigen auch eine unterschiedliche Behandlung von getesteten und genesenen Personen. Es liegt daher keine Verletzung des Gleichheitssatzes vor.

 

3. Zur behaupteten Verletzung des Rechts auf freie Mandatsausübung als Bundesrat (Art56 Abs1 B‑VG)

 

3.1. Der Antragsteller behauptet eine Verletzung des Rechts auf freie Mandatsausübung als Bundesrat, da die Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates bei der Ausübung dieser Berufe gemäß Art56 Abs1 B‑VG an keinen Auftrag gebunden seien. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit des Antragstellers von behördlichen Aufträgen, wie etwa die Duldung eines medizinischen Eingriffs (Testung) gemäß §2 COVID-19-VvV sei daher mit dem Wortlaut des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Mandatsausübung unvereinbar.

 

3.2. Damit verkennt der Antragsteller die Rechtslage:

 

Wenngleich der Grundsatz des freien Mandats Abgeordneten garantiert, dass 'jegliche Möglichkeit einer Bindung ihres Verhaltens ausgeschlossen ist' (VfSlg 4126/1961), folgt daraus keine generelle Ausnahme von allgemeinen rechtlichen Verhaltenspflichten. Dazu führen Eberhard/Kopetzki, Gutachterliche Stellungnahme zum Aktionsradius der Abgeordneten in der aktuellen Krisensituation, S 5 f […] aus: 'Die Abgeordneten sollen nach diesem Grundsatz bei der Ausübung ihrer Tätigkeit an niemandes Weisungen gebunden sein. Während dies historisch im Sinne einer Absage an eine 'Rätedemokratie' (dazu Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 400) verstanden und damit auf das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Wählern bezogen wurde, wird in jüngerer Zeit dabei vor allem das Verhältnis zu den politischen Parteien und zu den von ihnen im Parlament gebildeten Fraktionen in den Vordergrund gerückt (dazu eingehend Wieser, in Korinek/Holoubek ua, Bundesverfassungsrecht, Art56/1 B‑VG, Rz 15, 17, 27). Erkennbar nicht im Vordergrund – und zwar weder in historischer noch in aktueller Betrachtungsweise – steht hingegen das Verhältnis zwischen dem Präsidium des Parlaments, also der Leitung des Nationalrates und des Bundesrates, und den Abgeordneten, aber auch nicht zwischen diesen und dem Parlament in seiner gesetzgebenden Funktion, das für einen generellen Adressatenkreis maßgebliche Regelungen zu schaffen ermächtigt ist.

 

Art56 B‑VG räumt den Abgeordneten vor allem keine Sonderstellung gegenüber den für alle anderen Personen geltenden gesetzlichen Bindungen und Verpflichtungen ein, sofern die Verfassung nicht ausnahmsweise etwas Abweichendes vorsieht (wie etwa beim Immunitätsschutz).

 

Andernfalls würde das freie Mandat eine gesetzesungebundene Position von Mandataren kreieren, was weder historisch intendiert, noch unter verfassungs-rechtlichen Kautelen, nämlich dem Gleichheitssatz (Art7 Abs1 B‑VG), zulässig, sondern vielmehr selbst verfassungswidrig wäre.'

 

Das freie Mandat verbürgt daher auch keinen spezifischen Schutz der Bewegungsfreiheit der Abgeordneten. Seuchenrechtliche, allgemeine Einschränkung-gen der Bewegungsfreiheit (siehe Pkt III.5.8.) schränken daher den Grundsatz des freien Mandats iSd Art56 Abs1 B‑VG nicht ein (eine Einschränkung des passiven Wahlrechts wurde demgegenüber nicht behauptet, sodass darauf auch nicht eingegangen werden muss). Die behauptete Verletzung liegt somit nicht vor.

 

4. Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3. GRC)

 

4.1. Der Antragsteller behauptet eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC. Art3 GRC sei auf ihn anwendbar, da er im Rahmen seiner Funktion als Bundesrat auch Organfunktionen gemäß EUV und AEUV ausübe.

 

4.2. Der BMSGPK geht nicht davon aus, dass im vorliegenden Fall die EU‑Grundrechte-Charta (GRC) zur Anwendung kommt, da das EpiG nicht der Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art51 GRC dient (siehe dazu Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar² Art51 Rz 16 ff, Stand 1.4.2019, rdb.at). Auch sonst liegt kein Sachverhalt mit Unionsrechtsbezug vor.

 

Die Ausübung der Funktion als Bundesrat als Anknüpfungspunkt für die Anwendung der GRC ist nicht überzeugend, da die Anwendbarkeit der GRC anhand der zu beurteilenden Regelungsmaterie zu prüfen ist (vgl die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, wonach zu prüfen ist, ob die konkret anzuwendende innerstaatliche Rechtslage in den Anwendungsbereich der GRC fällt: mwN Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar² Art51 Rz 42). Die von der Beurteilung der konkreten Rechtsmaterie entkoppelte Rechtsauffassung des Antragstellers würde demgegenüber dazu führen, dass bei nahezu allen Lebenssachverhalten ein Unionsrechtsbezug anzunehmen wäre. Damit würde aber die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ausgehöhlt.

 

Art8 EMRK wurde hingegen vom Antragsteller nicht ins Treffen geführt, sodass sich nach Ansicht des BMSGPK ein weiteres inhaltliches Vorbringen erübrigt.

 

5. Zur behaupteten Verletzung auf Freizügigkeit (Art4 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK)

 

5.1. Der Antragsteller behauptet, die in §2 COVID-19-VvV normierte Ausreisebeschränkung verletze sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Freizügigkeit (Art4 StGG, Art2 Abs2 4. ZPEMRK), insbesondere da sie zur Zielerreichung ungeeignet und unverhältnismäßig sei, da Tirol in Relation zu anderen Bundesländern keinen Problemfall dargestellt habe und sich auch in Bezug auf die Virusvariante B1.351 nicht von anderen Bundesländern unterschieden habe.

 

5.2. Zur Darlegung der pandemischen Situation in Tirol, vor allem in Hinblick auf das konzentrierte Auftreten der Virusvariante B1.351 ist zur Vermeidung von Wiederholungen auf Pkt. III.1.3 - III.1.8. zu verweisen.

 

5.3. In seinem Erkenntnis vom 14. 7. 2020, V363/2020 hat der Verfassungsgerichtshof zum Grundrecht auf Freizügigkeit Folgendes ausgesprochen: […]

 

5.4. Es ist nicht zweifelhaft, dass §2 COVID-19-VvV den Schutzbereich des Art4 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK berührt. Der BMSGPK verkennt nicht das Gewicht dieses Eingriffs. Der Eingriff ist jedoch im Sinne dieser Rechtsprechung gerechtfertigt:

 

5.5. Zunächst ist §2 COVID-19-VvV von der gesetzlichen Grundlage des §24 EpiG gedeckt.

 

Die Auflage, das Epidemiegebiet nur unter Vorlage eines negativen Testergebnisses auf SARS-CoV-2 verlassen zu dürfen, dient der Verhinderung der Verbreitung der besorgniserregenden Südafrikanischen Virusvariante und liegt somit im evidenten öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes. Zur Eignung der Maßnahme wird zur Vermeidung von Wiederholungen erneut auf die Ausführungen in Pkt. III.1.11. und III.1.12. verwiesen. Im Zuge der Prüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme ist darauf hinzuweisen, dass sich der örtliche Anwendungsbereich der COVID-19-VvV nur auf jene Teile des Tiroler Landesgebietes erstreckt, in denen ein vermehrtes Auftreten der zu bekämpfenden Virusvariante zu beobachten war. Die Maßnahme ist daher auf das absolut notwendige Ausmaß beschränkt. Zudem ist der Eingriff insbesondere im Vergleich zu Verboten des Verlassens von Epidemiegebieten gering und wird vom Gewicht der geschützten öffentlichen Interessen überwogen. Angesichts der unter Pkt. III.1.5 beschriebenen Eigenschaften der Virusvariante standen auch keine geeigneten gelinderen Mittel zur Verfügung, um der Gefahr durch die neue Variante (durch die leichtere Übertragbarkeit, aber insbesondere auch durch die zu befürchtende Aushöhlung der Impfstrategie) zu begegnen.

 

5.8. Im Übrigen ergibt sich auch für den Antragsteller aufgrund in seiner Eigenschaft als Bundesrat nichts Anderes. Diesbezüglich ist abermals auf die Ausführungen von Eberhard/Kopetzki zu verweisen:

 

'Dass zwischen der Bewegungsfreiheit der Abgeordneten und seuchenrechtlichen Bewegungsbeschränkungen ein Spannungsverhältnis besteht, ist evident. In diesem Spannungsfeld stehen einander auch verfassungsrechtlich geschützte Rechte bzw Rechtsgüter gegenüber: Auf der einen Seite die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates zugunsten Leben und Gesundheit (insb Art2 und 8 EMRK), die durch die epidemierechtlichen Maßnahmen der Seuchenbekämpfung umgesetzt werden; auf der anderen Seite die von diesen Maßnahmen betroffenen Rechte auf Freizügigkeit der Person (Art4, 6 StGG; Art2 4. ZPEMRK). Beim Aufeinandertreffen dieser divergierenden Schutzgüter können Situationen auftreten, bei denen eine gleichzeitige Optimierung beider Sphären nicht gelingt. Die Verfassung löst diesen Konflikt allerdings nicht durch eine Privilegierung der Abgeordneten auf: Weder die Grundsätze des passiven Wahlrechts noch das freie Mandat (siehe dazu Pkt. III.3) oder die außerberufliche Immunität garantieren den Abgeordneten eine spezifische Sonderstellung gegenüber den epidemierechtlichen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Diese Maßnahmen sind bei Abgeordneten grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie bei allen anderen Personen auch. Sämtliche aus der Abgeordneteneigenschaft erfließenden Rechtspositionen können in verhältnismäßiger Form eingeschränkt werden.

 

Bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmenden Güterabwägung ist zwischen individuell-personenbezogenen freiheitsentziehenden Maßnahmen (zB. Absonderung) und flächenbezogenen Verkehrsbeschränkungen (zB. Sperre von Gebieten) zu differenzieren. Bei den Verkehrsbeschränkungen ist die Notwendigkeit einer lückenlosen Durchsetzung einerseits geringer.

 

Wenn Art57 Abs2 B‑VG den Schutz der außerberuflichen Immunität auf Freiheitsentziehungen 'wegen einer strafbaren Handlung' beschränkt und damit andere freiheitsentziehende Maßnahmen gegenüber Abgeordneten vom Immunitätsschutz ausschließt, dann muss dies umso mehr für sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit gelten, die nicht die Schwelle zum Freiheitsentzug erreichen. Was Art57 Abs2 B‑VG bewusst gestattet, kann bei systematischer Auslegung der Verfassung nicht durch das passive Wahlrecht (und schon gar nicht durch das freie Mandat) verboten sein. Art56 Abs1 und Art57 Abs2 B‑VG gehen daher vom gleichen Verständnis aus, dass Abgeordnete zulässigerweise von Maßnahmen des Epidemierechts betroffen sein können.

 

Sowohl Freiheitsentziehungen als auch sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bei Mandataren sind grundsätzlich unter den gleichen Bedingungen verfassungsrechtlich zulässig wie bei anderen Personen.' […]

 

5.9. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Bewegungsfreiheit ist daher nach Ansicht des BMSGPK durch die bekämpfte COVID-19-VvV nicht verletzt."

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit verletzt.

Nicht jedem Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

1.2. Der Antragsteller ist durch die angefochtene Verordnung unmittelbar und aktuell betroffen. Durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen wird dem Antragsteller – der im politischen Bezirk *** wohnhaft ist – untersagt, das Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirkes Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee ohne Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen- bzw molekularbiolgischen Tests auf COVID-19 zu verlassen (§2 iVm §1 COVID-19-VvV), sofern kein Ausnahmetatbestand (§3 COVID-19-VvV) vorliegt.

1.3. In einer Konstellation wie der vorliegenden erweist sich der Antrag auch nicht deswegen mangels aktueller Betroffenheit als unzulässig, weil die angefochtene Verordnung im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist:

1.3.1. Aus dem Wortlaut des Art139 Abs1 Z3 B‑VG ("verletzt zu sein behauptet") ergibt sich, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreifen müssen (siehe statt vieler zu Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.634/1991, 13.585/1993, 14.033/1995; zu Gesetzesbestimmungen VfSlg 9096/1981, 12.447/1990, 12.870/1991, 13.214/1992, 13.397/1993).

Der Verfassungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen (vgl für Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.413/1990, 12.756/1991, 12.877/1991, 14.712/1996, 14.755/1997, 15.852/2000, 16.139/2001, 19.391/2011; für Gesetzesbestimmun-gen VfSlg 12.999/1992, 16.621/2002, 16.799/2003, 17.826/2006, 18.151/2007; VfGH 6.3.2019, G318/2018), was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind und damit das Ziel des Art139 Abs1 Z3 B‑VG schon erreicht ist (zB VfSlg 15.491/1999, 17.653/2005, 18.284/2007, 18.837/2009, 19.391/2011). Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berühren (vgl zB VfSlg 10.313/1984, 15.888/2000, 16.581/2002, 17.798/2006, 18.235/2007; allgemein auch zB 12.976/1992, 15.116/1998, 17.826/2006). Solches hat der Verfassungsgerichtshof bislang insbesondere dann angenommen, wenn es sich um einen auf einzelne Kalenderjahre bezogenen Anspruch handelt (VfSlg 16.581/2002) oder wenn die außer Kraft getretene Bestimmung die Rechtssphäre des Antragstellers weiterhin etwa in Beziehung auf privatrechtliche Verträge, die der Anfechtende während des Zeitraumes der Geltung abgeschlossen hat, unmittelbar berührt (VfSlg 12.976/1992).

Insbesondere erachtet der Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Wirksamkeit angefochtener Verordnungsbestimmungen und damit die Antragslegitimation ungeachtet des Umstandes, dass die Verordnung bereits außer Kraft getreten ist, bei zeitraumbezogenen Regelungen für gegeben, weil diese für den entsprechenden Zeitraum weiterhin anzuwenden sind (siehe VfSlg 10.820/1986 sowie insbesondere die Rechtsprechung zu sogenannten Systemnutzungstarifen im Energierecht VfSlg 15.888/2000, 15.976/2000, 17.094/2003, 17.266/2004, 17.798/2006, 19.840/2013).

1.3.2. Wie Art139 Abs4 (und ebenso Art140 Abs4) B‑VG deutlich macht, kann bzw muss dem Rechtsschutzziel eines Antrages nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG in bestimmten Konstellationen auch durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes Rechnung getragen werden, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen gesetzwidrig waren.

Die vom Antragsteller bekämpfte Verordnung ist Teil eines gesetzlichen und verordnungsmäßigen Regelungssystems, das zur Bewältigung einer krisenhaften Situation, der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und ihrer Auswirkungen, dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gesetzgeber Ermächtigungen für die Verwaltung erlassen hat, auf die Verordnungen gestützt werden, die Ge- und Verbote enthalten, die unmittelbar (verfassungsgesetzlich gewährleistete) Rechte einschränken und die Nichteinhaltung dieser Anordnungen unter Strafe stellen. Anlass und Zielsetzung dieses Regelungssystems verlangen von der Vollziehung eine laufende Beobachtung und Anpassung ihrer Maßnahmen, was eine rasche Abfolge von Bestehen und Änderung einzelner Verordnungen und Verordnungsbestimmungen bewirkt.

Ein Antrag nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG soll (wie auch ein solcher nach Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG) Rechtsschutz gewährleisten, wenn dieser gegen individuelle Rechtseingriffe durch (Gesetzes- oder) Verordnungsbestimmungen sonst nicht oder nur auf unzumutbarem Weg (zur diesbezüglichen Subsidiarität des Individualantrages vgl Rohregger, Art140 B‑VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 163) erlangt werden kann. Insofern hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach festgestellt, dass der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin gipfelt, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet (VfSlg 11.196/1986, 16.245/2001).

Dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Klärung, ob der durch die angefochtene Verordnung bewirkte Eingriff in seine (Grund-)Rechtssphäre, recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte, kann angesichts des Umstandes, dass ansonsten Rechtsschutz nur bei Setzen einer strafbaren Handlung zu erlangen (gewesen) wäre, nur in einem Verfahren nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG Rechnung getragen werden. Dieses Rechtsschutzinteresse, das insoweit über den kurzen Zeitraum hinausreicht, in dem die angefochtene Verordnung in Kraft gestanden ist (vgl das von einem ähnlichen Rechtsschutzgedanken getragene System der Maßnahmenbeschwerde oder die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Versammlungsuntersagungen, zB VfSlg 20.312/2019), bewirkt, dass im vorliegenden Fall die Rechtssphäre des Antragstellers auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes berührt wird, und begründet – noch (vgl VfSlg 10.819/1986, 11.365/1987) – die Wirksamkeit der angefochtenen Verordnung, auch wenn diese zwischenzeitig außer Kraft getreten ist.

Die angefochtene Verordnung ist zwar mit Ablauf des 10. März 2021 außer Kraft getreten. Vor dem Hintergrund der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes greifen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen dennoch unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein und beeinträchtigen seine rechtlich geschützten Interessen auch noch aktuell (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020; V395/2020; V396/2020; V411/2020; G202/2020).

1.4. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder bestimmte Stellen als gesetzwidrig aufgehoben werden.

1.5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe VfSlg 20.161/2017 mwN), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle etwa als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 17.512/2005, 19.413/2011, 20.161/2017).

Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, durch die seine (rechtlich geschützten) Interessen aktuell beeinträchtigt sind und die mit diesen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies – wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen – im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, durch welche die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht aktuell beeinträchtigt sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden (und nach Auffassung des Antragstellers den Sitz der Gesetzwidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden, die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden Bestimmungen offensichtlich trennbar, führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), ist der Antrag insgesamt zulässig (vgl VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle einer ganzen Verordnung), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).

1.6. Der Antragsteller begehrt mit seinem (Haupt-)Antrag die Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B.1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV), BGBl II 63/2021, idF BGBl II 98/2021 zur Gänze.

1.7. Der (Haupt-)Antrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung erweist sich als zulässig. Anders als in jenen Fällen, in denen der Verfassungsgerichtshof die Anfechtung eines gesamten Regelwerks für unzulässig erklärt hat (vgl zB VfSlg 20.112/2016; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 14.7.2020, G180/2020 ua), greifen sämtliche Regelungen der angefochtenen Verordnung derart ineinander, dass eine isolierte Anfechtung einer einzelnen Bestimmung nicht möglich ist. Die Verordnung enthält nämlich nicht mehrere voneinander trennbare Tatbestände und die Bedenken des Antragstellers beziehen sich auf sämtliche (wesentliche) Bestimmungen der Verordnung, weswegen die Anfechtung der gesamten Verordnung zulässig ist (vgl VfGH 3.3.2021, V75/2019 ua).

1.8. Dem Antragsteller steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, seine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, weil dem Antragsteller im Fall des Zuwiderhandelns gegen die angefochtenen Bestimmungen eine Verwaltungsstrafe nach §40 EpiG droht (vgl zB VfGH 3.3.2021, V75/2019 ua mwN).

1.9. Der Antragsteller hat – entgegen der Auffassung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz – auch hinreichend genau bezeichnet, in welcher Fassung er die Anfechtung der Verordnung begehrt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller den angefochtenen Verordnungstext im Antrag wörtlich wiedergibt. Der Verfassungsgerichtshof hat somit keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller die Aufhebung der COVID-19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 63/2021, idF BGBl II 98/2021 begehrt.

1.10. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Die Ermächtigung in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 determiniert den Verordnungsgeber in folgender Hinsicht:

2.2.1. §24 erster Satz EpiG idF BGBl I 33/2021 ermöglicht, Verkehrsbeschränkungen für in einem Epidemiegebiet aufhältige Personen zu verfügen, sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist. Gemäß §24 zweiter Satz EpiG idF BGBl I 33/2021 können ebenso Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete "von außen" angeordnet werden.

Die Verordnungsermächtigung zur Verhängung von Verkehrsbeschränkungen in einem (Epidemie-)Gebiet nach §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 hat – wie alle im II. Hauptstück des Epidemiegesetzes 1950 vorgesehenen Maßnahmen – die Verhinderung der Ausbreitung ansteckender, nach dem Epidemiegesetz 1950 meldepflichtiger Krankheiten vor Augen. Dies mit der Einschränkung, dass die Verkehrsbeschränkung "im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist".

2.2.2. §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 legt das Ziel einer möglichen Verkehrsbeschränkung zwischen Personen eines bestimmten (Epidemie-)Gebietes mit dem Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Krankheit fest. Welche Krankheiten "meldepflichtig" (bzw "anzeigepflichtig") sind, ist in §1 EpiG bestimmt, wobei der Bundesminister für Gesundheit und Frauen (nunmehr: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen kann (§1 Abs2 EpiG).

2.2.3. Dem Verordnungsgeber ist im Hinblick auf die Entscheidung, ob bzw in welcher Ausgestaltung eine Verkehrsbeschränkung in einem bestimmten (Epidemie-)Gebiet in Anbetracht der "Art und des Umfanges" der dort auftretenden meldepflichtigen Krankheit nach §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 zur Verhinderung der Weiterverbreitung "unbedingt erforderlich" ist, ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen. Der Verordnungsgeber hat zu beurteilen, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Weiterverbreitung der meldepflichtigen Krankheit die Beschränkung der Aus- und Einreise in ein bestimmtes Gebiet für erforderlich hält, und dabei eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Personen vorzunehmen. Der Verordnungsgeber hat also in Ansehung des Standes und der Ausweitung der Krankheit sowie der in Geltung stehenden übrigen Maßnahmen notwendig prognosenhaft zu beurteilen, ob und inwieweit die Beschränkung der Aus- und Einreise in ein (Epidemie-)Gebiet geeignet, erforderlich und insgesamt angemessen ist (vgl zur Verordnungsermächtigung nach §5c EpiG VfGH 10.3.2021, V573/2020).

2.2.4. Die Zuständigkeit für die Erlassung von Verordnungen nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID-19 kommt gemäß §43a Abs1 EpiG primär dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu.

2.2.5. Mit der angefochtenen COVID-19-Virusvariantenverordnung sah der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit Wirkung ab 12. Februar 2021 – und zunächst befristet bis zum Ablauf des 21. Februar 2021, anschließend bis zum 3. März 2021 und letztlich – bis zum 10. März 2021 (siehe §6 COVID-19-VvV idF BGBl II 63/2021, BGBl II 85/2021 und BGBl II 98/2021) eine Beschränkung der Ausreise aus dem Bundesland Tirol vor. Gemäß §2 COVID-19-VvV durften Personen, die sich im Bundesland Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee aufhielten, die Grenzen dieses Gebietes nur dann überschreiten, wenn sie einen Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests auf COVID-19 (bezeichnet als "SARS-CoV-2"), deren Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen durfte, mit sich führten. §3 COVID-19-VvV sah für die Pflicht zur Vorlage eines solchen Nachweises für die Ausreise aus Tirol bestimmte Ausnahmen vor.

2.3. Zum behaupteten Verstoß gegen §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 und das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK:

2.3.1. Der Antragsteller macht einleitend geltend, der angefochtenen Verordnung fehle die gesetzliche Grundlage. Nach der aktuellen Gesetzeslage seien nämlich weder "SARS-CoV-2", worauf sich die Testpflicht beziehe, noch die "Virusvariante B.1.351", die in der angefochtenen Verordnung erwähnt werde, eine anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des §1 EpiG.

Zudem verstoße die COVID-19-Virusvariantenverordnung (im Speziellen deren §2) gegen die gesetzlichen Vorgaben des §24 EpiG idF BGBl I 33/2021, weil die verordnete Quarantäne über das Bundesland Tirol zum Schutz vor der Weiterverbreitung einer Krankheit nicht unbedingt erforderlich gewesen sei. Hinsichtlich einer Weiterverbreitung von COVID-19 allgemein sei die Einstufung des Bundeslandes Tirol als Epidemiegebiet willkürlich erfolgt, weil das Bundesland Tirol die zweitniedrigste Inzidenz in ganz Österreich aufgewiesen habe. Im Hinblick auf einen Schutz vor der Weiterverbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 (auch als "südafrikanische Mutation" bezeichnet) sei auszuführen, dass sich die Mutation keineswegs nur in Tirol, sondern auch in Niederösterreich, Wien, Vorarlberg und Oberösterreich verbreitet habe. Außerdem bewege sich die "Testpflicht" in einem "gesetzfreien Raum". Selbst im Falle von gesetzeskonformen temporären Verkehrsbeschränkungen dürften diese nicht mit einem "Testzwang" verknüpft werden. Derartiges sei mit dem Legalitätsprinzip nicht vereinbar. Die verordnungserlassende Behörde habe es auch unterlassen, eine evidenzbasierte Prüfung und Abwägung der in Aussicht genommenen Regelungen mit den betroffenen Grundrechten vorzunehmen. Außerdem bedürfe der in §2 COVID-19-VvV normierte "Testzwang" als staatlicher Zwang zur Duldung intensiver körperlicher Eingriffe einer besonderen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung.

Der Antragsteller ist zudem der Auffassung, die angefochtene Verordnung greife in unverhältnismäßiger Weise in das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK ein. Die in §2 COVID-19-VvV bestimmte Ausreisebeschränkung sei zur Zielerreichung nicht erforderlich und unverhältnismäßig.

2.3.2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hält diesem Vorbringen in seiner Äußerung entgegen, "2019‑nCoV" sei die ursprüngliche Bezeichnung für das Coronavirus gewesen. Die Bezeichnung "SARS-CoV-2" für das Coronavirus sei im Februar 2020 von der World Health Organisation bekannt gegeben worden. Der Terminus "SARS‑CoV‑2" umfasse zudem sämtliche damit in Zusammenhang stehende Virusvarianten.

Die bekämpfte Verordnung sei nicht aus Anlass der allgemeinen COVID-19-Inzidenz, sondern auf Grund des besorgniserregenden Auftretens der COVID-19-Virusvariante B.1.351 in den unter §1 COVID-19-VvV genannten Gebieten erlassen worden. Für die COVID-19-Virusvariante B.1.351 zeigten Berechnungen, dass diese um bis zu 50% infektiöser sein könne als die "Wildtyp-Variante". Auf Grund des zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung bestehenden Wissensstandes sei zu befürchten gewesen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper bei dieser Virusvariante reduziert sei. Die Ausreisebeschränkungen seien daher zur Eindämmung der Weiterverbreitung der Virusvarianten unbedingt erforderlich gewesen. Zudem sei die "Testauflage" ein geeignetes und das deutlich gelindeste zur Verfügung stehende Mittel gewesen. Alternativ wäre nur eine gänzliche Gebietsquarantäne in Betracht gekommen.

Aus der fachlichen Begründung im Verordnungsakt lasse sich entnehmen, dass die COVID-19-Virusvariante B.1.351 erstmals am 12. Jänner 2021 im Bundesland Tirol mit sechs Fällen nachgewiesen werden habe können. Der Höhepunkt der Infektionszahlen betreffend die COVID-19-Virusvariante B.1.351 sei am 23. Jänner 2021 mit 30 Fällen gewesen. Im Vergleich zur COVID-19-Virusvariante B.1.1.7 (auch als "UK-Variante" bezeichnet) habe die COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol dominiert (hauptsächlich in den Gebieten Innsbruck und Schwaz). Das Bundesland Tirol sei mit Stand 8. Februar 2021 das einzige Bundesland gewesen, in dem sich die COVID-19-Virusvariante B.1.351 etabliert hätte. Durch das isolierte Auftreten der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol (ausgenommen Osttirol) erschiene das Forcieren verschärfter Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung als effektivste Methode sinnvoll. Die Ausreisebeschränkungen seien zur Eindämmung der Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1351 unbedingt erforderlich gewesen. Zudem gebe es für die Einreise aus "Risikostaaten" nach Österreich vergleichbare Regelungen.

2.3.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken des Antragstellers, die angefochtene Verordnung verstoße gegen §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 sowie das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK, nicht:

2.3.3.1. Gemäß Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben "zu kommen und zu gehen" (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 6). Schließlich steht es nach Art2 Abs2 des 4. ZPEMRK jedermann frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.

Die Freizügigkeit ist nicht schrankenlos gewährleistet. Schon in VfSlg 3447/1958 hat der Verfassungsgerichtshof mit Blick unter anderem auf behördlich angeordnete Seuchenmaßnahmen ausgeführt, dass diese durch öffentliche Rücksichten geboten sein und sich daher ihrem Inhalt und ihrem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich nach auf die Wahrung dieser Rücksichten beschränken müssen (in der Folge hat der Verfassungsgerichtshof den Art4 Abs1 StGG immanenten Gesetzesvorbehalt dadurch begrenzt gesehen, dass der Gleichheitsgrundsatz durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen der Freizügigkeit mittels willkürlicher Veränderung der Rechtsordnung verhindert, siehe VfSlg 7379/1974, 7686/1975, 8373/1978 und zur Kritik an dieser Rechtsprechung mwN Pöschl, Art4 StGG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 44 f.). Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZPEMRK – der besondere Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs4 4. ZPEMRK (zu dessen Zielrichtung siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, Rz 67) spielt im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Maßnahmen keine Rolle – müssen Einschränkungen der Freizügigkeit gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse des Schutzes der Gesundheit notwendig sein. Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020).

2.3.3.2. In diesem Sinne ist auch die in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 vorgesehene Einschränkung der Verordnungsermächtigung zu sehen, wonach Verkehrsbeschränkungen zum Schutz vor der (Weiter-)Verbreitung einer meldepflichtigen Krankheit nur vorgesehen werden dürfen, soweit sie im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens der Krankheit "unbedingt erforderlich" sind. Die Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen ihre gesetzliche Grundlage in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 finden, ist somit auch im Lichte des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu beurteilen.

2.3.3.3. Mit der (auf §1 Abs2 EpiG gestützten) Verordnung des Bundeministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, wurde festgelegt, dass "Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')" der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen. Für den Verfassungsgerichtshof steht zunächst zweifelsfrei fest, dass die Erweiterung des Kataloges der meldepflichtigen Krankheiten in §1 EpiG eine Reaktion des Verordnungsgebers auf das Auftreten des neuartigen Virus COVID-19 (zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung mit der Bezeichnung "2019-nCoV") war. Die Erweiterung der in §1 EpiG aufgelisteten meldepflichtigen Krankheiten hatte die Bekämpfung und Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der neuartigen COVID-19-Krankheit zum Ziel.

Es ist dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zuzustimmen, dass die Bezeichnung "SARS‑CoV‑2" lediglich eine spätere, von der World Health Organisation bekannt gegebene, andere Bezeichnung des neuartigen Virus COVID‑19 gewesen ist. Bei den in Rede stehenden Virusvarianten von COVID‑19 handelt es sich um neue, später aufgetretene Mutationen der neuartigen COVID-19-Krankheit. Da es sich bei den Mutationen von COVID‑19 nicht um eigenständige, sondern um von der Bezeichnung "2019‑nCoV" umfasste Krankheiten handelt, stellt auch die in Rede stehende COVID-19-Virusvariante B.1.351 eine meldepflichtige Krankheit iSd §24 iVm §1 EpiG idF BGBl I 33/2021 dar.

2.3.3.4. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist bei der Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung auch seiner Dokumentationspflicht im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nachgekommen (vgl etwa VfGH 14.7.2020, V363/2020 und V411/2020):

Dem vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vorgelegten und auch für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Verordnungsakt, welcher der Erlassung der (Stammfassung der) COVID-19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 63/2021, sowie der zweiten Verlängerung der COVID-19-Virusvariantenverordnung, BGBl II 98/2021, zugrunde liegt, ist im Hinblick auf die hier maßgebliche Verordnung zunächst unter der Rubrik "Sachverhalt zu 2021 - 0.101.536" Folgendes zu entnehmen:

"Betreff: VO des BMSGPK, mit der mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden (COVID-19-Virusvariantenverordnung – COVID-19-VvV)

Erlassung

Im Hinblick auf die beunruhigende Verbreitung der 'südafrikanischen' Virusvariante (B1.351) in Tirol wären Maßnahmen gegen seine weitere Verbreitung über Tirol hinaus nötig. Dies vor dem Hintergrund der stärkeren Übertragbarkeit und der geringen Wirksamkeit von Impfungen (insbesondere der Impfstoff von AstraZeneka).

Im Detail siehe die rechtliche Begründung und die fachlichen Unterlagen im Akt."

Im Verordnungsakt finden sich ua von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Abteilung Infektionsepidemiologie & Surveillance, erstellte Statistiken, welche die Anzahl der bestätigten COVID-19 Fälle (inklusive der zu diesem Zeitpunkt bekannten COVID-19-Virusvarianten) in den einzelnen Bundesländern in den ersten fünf Kalenderwochen des Jahres 2021 wieder-geben und graphisch darstellen. Im Verordnungsakt enthalten sind ferner ein Entwurf der Verordnung mitsamt einer rechtlichen Begründung sowie eine fachliche Begründung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz für die Erlassung der COVID-19-Virusvariantenverordnung (Stand 10. Februar 2021).

2.3.3.5. In den vorgelegten Verordnungsakten (insbesondere in den darin enthaltenen fachlichen Begründungen) hat der Verordnungsgeber zunächst dokumentiert, dass die COVID-19-Virusvariante B.1.351 erstmals am 12. Jänner 2021 in Tirol nachgewiesen worden sei. In den darauffolgenden Wochen seien mit Stand vom 23. Jänner 2021 30 Fälle der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol nachgewiesen worden. Mit Stand vom 8. Februar 2021 sei das Bundesland Tirol (mit Ausnahme bestimmter Regionen in Ost- und Westtirol) das einzige Bundesland gewesen, in dem sich die COVID-19-Virusvariante B.1.351 "etabliert" habe. Im Anschluss legte der Verordnungsgeber in seiner fachlichen Begründung (unter Bezugnahme auf international anerkannte Quellen) dar, dass der Wissensstand darauf hindeute, die COVID-19-Virusvariante B.1.351 könnte um bis zu 50% infektiöser sein als die "Wildtyp-Variante". Nach den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen gebe es zudem Hinweise auf einen verringerten Schutz durch neutralisierende Antikörper (sowohl bei einer erfolgten Impfung als auch einer "durchgemachten" Infektion) gegen die COVID-19-Virusvariante B.1.351. Dadurch könnten etwaige Impferfolge geschmälert und Reinfektionen begünstigt werden. Anschließend legte der Verordnungsgeber unter Heranziehung epidemiologischer Ausbreitungsmodelle dar, dass der politische Bezirk Lienz, die Gemeinde Jungholz sowie das Rißtal im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee von den Bestimmungen ausgenommen werden könnten, weil eine geographische Trennung zu jenen Gebieten bestehe, in denen bereits eine "Dynamisierung des Virusgeschehens" eingetreten sei.

2.3.3.6. Im Hinblick auf die zweite zeitliche Ausweitung der Verkehrsbeschränkungen durch die Verordnungsnovelle BGBl II 98/2021 hielt der Verordnungsgeber im Verordnungsakt (fachliche Begründung vom 3. März 2021) fest, dass mit Stand vom 25. Februar 2021 327 Fälle der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesgebiet bestätigt worden seien, wovon 305 Fälle auf Tirol entfallen seien. Zudem gebe es weiterhin Hinweise auf eine höhere Infektiosität sowie auf einen verringerten Schutz durch neutralisierende Antikörper sowohl bei einer erfolgten Impfung als auch einer "durchgemachten Infektion" gegen die COVID-19-Virusvariante B.1.351. Außerdem zeige ua auch die COVID-19-Virusvariante B.1.351 eine erhöhte Übertragbarkeit. Dies könne auf Grund der erhöhten Fallzahlen zu vermehrten Hospitalisierungen, überforderten Gesundheitssystemen und Übersterblichkeit führen. In vielen Ländern, in denen ua die COVID-19-Virusvariante B.1.351 etabliert sei, seien auch tatsächlich stark ansteigende Inzidenzraten mit den damit verbundenen Konsequenzen (erhöhte Hospitalisierungsraten, überforderte Gesundheitssysteme und Übersterblichkeit) sichtbar. Das deutsche Robert Koch-Institut habe seine Empfehlungen angepasst und empfehle bei Verdacht auf eine nachgewiesene Infektion ua mit der COVID-19-Virusvariante B.1.351 – unabhängig von Schwere, Hospitalisierung und Alter – vorsorglich eine 14-tägige Isolierung sowie einen Test mittels Antigentest oder PCR-Untersuchung vor einer Aufhebung der Isolierung.

2.3.3.7. Damit hat der Verordnungsgeber zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes hinreichend dokumentiert, auf welcher Informationsbasis im Hinblick auf die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände, nämlich das Auftreten der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol und die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung dieser Krankheit, seine Verordnungsentscheidung fußte.

2.3.3.8. Entgegen der Behauptung des Antragstellers, wonach sich die COVID-19-Virusvariante B.1.351 auch in anderen Bundesländern verbreitet habe und insoweit die Einstufung Tirols als Epidemiegebiet nicht notwendig gewesen sei, sind auf die im Verordnungsakt vorgelegten Erhebungen zu verweisen, die nachweislich belegen, dass sich die COVID-19-Virusvariante B.1.351 besonders stark im Bundesland Tirol (mit Ausnahme bestimmter Regionen) verbreitete. Vor diesem Hintergrund ist dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nicht entgegenzutreten, wenn er die zeitlich befristete Ausreisebeschränkung durch Verlangen des gültigen Nachweises eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 beim Verlassen der in §1 COVID-19-VvV genannten Gebiete iSd §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 für "unbedingt erforderlich" erachtete.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes hat die verordnungserlassende Behörde eine evidenzbasierte Prüfung und Abwägung der in Aussicht genommenen Regelungen mit den dadurch bewirkten Grundrechtsbeschränkungen vorgenommen. Unter Berücksichtigung der im Verordnungsakt dargelegten Informationen bezüglich der mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden Gefahr einer rascheren (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesgebiet hat die verordnungserlassende Behörde nachvollziehbar und auch hinreichend dargelegt, dass die Verfügung einer Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus den in §1 COVID-19-VvV aufgelisteten Epidemiegebieten "unbedingt erforderlich" (§24 EpiG idF BGBl I 33/2021) war.

Die in §2 COVID-19-VvV normierten Bedingungen für die Überschreitung der Grenzen des Epidemiegebietes sahen auch keine zwangsweise (gegen den Willen der im Epidemiegebiet befindlichen Personen) Durchführung eines Antigen- oder molekularbiologischen Tests auf COVID-19 vor. Die "Testpflicht" war vielmehr – wie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zutreffend in seiner Äußerung ausführt – das im Rahmen des §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 verhältnismäßige Mittel, um einerseits die Ausreise aus dem Epidemiegebiet zu ermöglichen, andererseits aber die (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 zu unterbinden.

Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat im Übrigen – entgegen der Auffassung des Antragstellers – mit Verordnung über die Einreise nach Österreich im Zusammenhang mit COVID-19 (COVID-19-Einreiseverordnung – COVID-19-EinreiseV, BGBl II 445/2020) vergleichbare Regelungen für Personen geschaffen, die aus Risikostaaten in das Bundesgebiet einreisen wollten.

2.3.3.9. Die angefochtene Verordnung verstößt somit – wie die vorstehenden Ausführungen zeigen – nicht gegen den im Lichte der Anforderungen des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu verstehenden §24 EpiG idF BGBl I 33/2021. Die Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) dient dem Ziel des Gesundheitsschutzes, nämlich der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung von COVID-19 (bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351), im Sinne des Art2 Abs3 4. ZPEMRK. Der in §2 COVID-19-VvV für die Überschreitung der Grenzen des Bundeslandes Tirol (bzw Teilen davon) verlangte Nachweis eines negativen Ergebnisses eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests im Hinblick auf COVID-19, der nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, ist zur Erreichung dieses Zieles geeignet: Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass der in §2 COVID-19-VvV verlangte Nachweis des Infektionsstatus anhand eines hinreichend aktuellen Testergebnisses einer hiezu befugten Stelle (§5 COVID-19-VvV) ein geeignetes Mittel ist, um die Ausreise von mit COVID-19 infizierten Personen hintanzuhalten und damit die (Weiter‑)Verbreitung des Virus einzudämmen.

Wie oben (unter Punkt 2.3.3.6.) ausgeführt, ist im Verordnungsakt nachvollziehbar und hinreichend dokumentiert, dass zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen COVID-19-Virusvariantenverordnung von einem erhöhten Auftreten der COVID-19-Virusvariante B.1.351 im Bundesland Tirol (bzw in Teilen desselben) auszugehen war. Die mit der "Testpflicht" für die Ausreise gemäß §2 COVID-19-VvV verbundene Einschränkung der Freizügigkeit der im umfassten Gebiet wohnhaften bzw aufhältigen Personen ist im Lichte des verfolgten Zieles der Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung dieser Virusvariante verhältnismäßig. Zunächst handelt es sich bei der in §2 COVID-19-VvV vorgesehenen Verpflichtung zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol um keinen schwerwiegenden Eingriff in Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK, zumal die Bewegungsfreiheit für Bewohner bzw Aufhältige innerhalb Tirols von der Ausreisebeschränkung unberührt blieb. Der gemäß §2 COVID-19-VvV für die Ausreise verlangte Nachweis eines negativen Antigen- bzw molekularbiologischen Testergebnisses auf COVID-19 ist im Hinblick auf die Verfügbarkeit solcher Tests, die angewendeten (Test-)Verfahren, die Dauer der Gültigkeit des Nachweises über das negative Testergebnis und die Ausnahmetatbestände in §3 COVID-19-VvV gerechtfertigt. Hiebei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die angefochtene Verkehrsbeschränkung anhand der Entwicklung der Infektionszahlen in regelmäßigen Abständen evaluierte und die Notwendigkeit der Verkehrsbeschränkung während des Geltungszeitraumes der Verordnung laufend überprüfte.

Ausgehend von den im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen und festgestellten Tatsachen erweist sich die Verhängung der zeitlich befristeten Ausreisebeschränkung zum Schutz vor der Weiterverbreitung von COVID-19 bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351 zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen Verordnungsbestimmungen als verhältnismäßige Verkehrsbeschränkung im Sinne des §24 EpiG idF BGBl I 33/2021.

2.3.3.10. Die angefochtene Verordnung findet somit in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 ihre gesetzliche Grundlage und ist mit dem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK vereinbar.

2.4. Zum behaupteten Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG:

2.4.1. Der Antragsteller ist darüber hinaus der Ansicht, die in §2 COVID-19-VvV vorgesehene "Testpflicht" sei unsachlich, weil der Nachweis nur durch einen Antigen-Test oder einen molekularbiologischen Test im Hinblick auf COVID-19 erbracht werden könne. Der Antragsteller könne jedoch einen "besseren" Nachweis erbringen, weil er (in Folge einer überstandenen Infektion mit COVID‑19) Antikörper gebildet habe und diese auch aktuell nachweisbar seien. Eine weitere Infektion mit dem Virus oder die Weitergabe einer Virenlast, die geeignet wäre, andere Personen zu gefährden, sei nach aktuellem Stand der Wissenschaft unwahrscheinlich.

2.4.2. Wie aus den vorgelegten Verordnungsakten hervorgeht und wie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seiner Äußerung darlegt, wurde die angefochtene Verordnung mit dem Ziel der Verhinderung einer (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 erlassen. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz konnte mit Blick auf die im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen, zu denen mehrere fachliche Studien zählten, in der damaligen Situation davon ausgehen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper bei der COVID-19-Virusvariante B.1.351 geschmälert sein könnte und eine Reinfektion mit dem Virus möglich wäre. In diesem Zusammenhang weist der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seiner Äußerung nachvollziehbar darauf hin, dass im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Reinfektionen auszugehen war. Die zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung verfügbaren, im Verordnungsakt dokumentierten Daten und Studien hätten vermuten lassen, dass der Schutz durch neutralisierende Antikörper gegen COVID-19 (in Folge einer durchgemachten Infektion oder Impfung) bei der COVID-19-Virusvariante B.1.351 reduziert sein könne. Der reduzierte Schutz durch gebildete Antikörper im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 könne die Wirksamkeit der Impfung schmälern und zu Reinfektionen führen. Bei Personen, die Antikörper gegen COVID-19 in einer ausreichenden Konzentration aufwiesen, könne im Hinblick auf die COVID-19-Virusvariante B.1.351 nicht von einer "niedrigeren epidemiologischen Gefahr" ausgegangen werden.

2.4.3. Vor diesem Hintergrund war es unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes zur Erreichung des Ziels der Vermeidung der (Weiter-)Verbreitung der COVID-19-Virusvariante B.1.351 sachlich gerechtfertigt, auch Personen mit Antikörpern gegen COVID-19 zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID-19 bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol gemäß §2 COVID-19-VvV zu verpflichten. Die behauptete unsachliche Gleichbehandlung im Widerspruch zu Art2 StGG und Art7 B‑VG liegt bereits aus den dargelegten Gründen nicht vor.

2.5. Zum behaupteten Verstoß gegen Art3 GRC:

2.5.1. Der Antragsteller bringt zudem vor, die in der angefochtenen Verordnung verlangten Antigen- oder molekularbiologischen Tests auf COVID-19 seien mit schmerzhaften körperlichen Eingriffen verbunden. Im Zuge einer Probeentnahme könne eine Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen. Vereinzelt könne die Probenabnahme auch zu einer Verletzung der Nasen-Hirn-Schranke und zum Austritt von Hirnflüssigkeit führen. Die Pflicht zu derartigen Tests sei mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar.

2.5.2. Ungeachtet der Frage, ob der Anwendungsbereich des Art3 GRC im konkreten Fall überhaupt eröffnet ist, ist dem Vorbringen des Antragstellers (auch im Hinblick auf Art8 EMRK) bereits deshalb nicht zu folgen, weil die mit einem Antigen- bzw molekularbiologischen Test auf COVID‑19 in der Regel verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Hinblick auf das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Der Verordnungsgeber verhängte die angefochtene "Testpflicht" bei der Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) zum Schutz der Gesundheit anderer, in concreto zum Schutz vor einer Infektion mit COVID‑19 bzw der COVID-19-Virusvariante B.1.351. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes überwiegt – aus den bereits unter Punkt 2.3.3.9. angeführten Gründen – der Gesundheitsschutz die seitens des Antragstellers unter Art3 GRC ins Treffen geführten Interessen.

2.6. Zum behaupteten Verstoß gegen Art56 B‑VG:

2.6.1. Der Antragsteller bringt ferner vor, durch die angefochtene Verordnung im Recht auf freie Mandatsausübung als Mitglied des Bundesrates gemäß Art56 Abs1 B‑VG verletzt zu sein.

2.6.2. Ein Verstoß des §2 COVID-19-VvV gegen Art56 Abs1 B‑VG liegt aus den unter Punkt 2.3.3.9. dargelegten Gründen nicht vor: Im verlangten Nachweis eines gültigen negativen Testergebnisses im Hinblick auf COVID‑19 für die Ausreise aus dem Bundesland Tirol (bzw Teilen davon) vermag der Verfassungsgerichtshof – auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit des vorgesehenen Test(verfahren)s – keinen Verstoß gegen Art56 Abs1 B‑VG zu sehen. Das unter Art56 Abs1 B‑VG geäußerte Bedenken des Antragstellers geht somit ins Leere.

V. Ergebnis

1. Die vom Antragsteller ob der (Verfassungs-)Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 (Virusvariante B1.351) getroffen werden, BGBl II 63/2021, idF BGBl II 98/2021 geltend gemachten Bedenken treffen allesamt nicht zu.

Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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