VfGH G24/2013, V12/2013

VfGHG24/2013, V12/20137.10.2015

Unzulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend die Festsetzung des Inhaltes eines aufgekündigten Gesamtvertrags durch die Bundesschiedskommission mangels Eingriffs in die Rechtssphäre der antragstellenden Ärztekammer bzw der Kurienversammlung

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
B-VG Art139 Abs1 Z3
ASVG §341, §348
Schiedskommissionsverordnung 2010 §26, §30
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
B-VG Art139 Abs1 Z3
ASVG §341, §348
Schiedskommissionsverordnung 2010 §26, §30

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt

1. Die Niederösterreichische Ärztekammer (erstantragstellende Partei) und die Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte dieser Ärztekammer (zweitantragstellende Partei) stellen den Antrag,

"§348 ASVG idgF, in §26 der SchKV 2010 idgF die Wortfolge 'zur Festsetzung des Inhaltes eines aufgekündigten Gesamtvertrages für höchstens drei Monate;' sowie §30 der SchKV idgF als verfassungswidrig aufzuheben".

2. Zur Antragslegitimation führen die antragstellenden Parteien unter Hinweis auf die §§65 und 84 Abs4 ÄrzteG aus, dass der zweitantragstellenden Partei "im Verfahren vor dem Höchstgericht Rechtspersönlichkeit im Sinne des §65 Abs3 Ärztegesetz zukommt", weshalb "– aus dem sachlichen Zusammenhang heraus die Antragslegitimation grundsätzlich wegen Vorliegens eigener Rechtspersönlichkeit gegeben" sei. Dies treffe auf die Erstantragstellerin als die seinerzeitige Vertragspartnerin (gemeint: des Gesamtvertrages iSd §341 ASVG) wohl jedenfalls zu, es sei denn, man betrachte lediglich die Zweitantragstellerin als nach dem Ärztegesetz zur Stellung des gegenständlichen Antrags als "zuständig". Aus advokatorischer Vorsicht" erfolge die Antragstellung jedenfalls im Namen beider antragstellender Parteien; einer von beiden, wenn nicht beiden müsse jedenfalls "die Rechtspersönlichkeit zur Antragstellung" zukommen.

3. Die angefochtenen Bestimmungen würden unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen eingreifen: Über "Antrag eines Dritten" – nämlich der Österreichischen Ärztekammer oder des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger – könne nämlich die Bundesschiedskommission einen gekündigten Gesamtvertrag verlängern, und sogar inhaltlich für drei Monate festsetzen, dies nach einer zumindest 6‑monatigen Verfahrensdauer. Faktisch komme es daher "zu einer Vertragsverlängerung trotz gegenteiliger privatrechtlich vereinbarter Kündigungsfristen über Betreiben Dritter zu Lasten der Antragstellerinnen". Die Beeinträchtigung sei nicht bloß potenziell, sondern aktuell, weil "kurzfristig eine Gesamtvertragskündigung angedacht" sei. Selbst wenn noch keine Kündigung ausgesprochen worden sei, bestehe eine aktuelle Beeinträchtigung, weil das Verfahren vor dem angerufenen Höchstgericht erfahrungsgemäß zumindest so lange dauere, dass eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über den Antrag zu spät käme, würde man verlangen, dass zunächst die Kündigung ausgesprochen werden müsse.

Es bestehe für die Antragstellerinnen kein anderer, schon gar kein zumutbarer Weg, ein Normenprüfungsverfahren zu initiieren und den behaupteten rechtswidrigen Eingriff abzuwehren: Im Verfahren gemäß §348 ASVG hätten nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nur die Österreichische Ärztekammer und der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger Parteistellung, nicht aber die Antragstellerinnen. In Ermangelung der Parteistellung könnten daher die Antragstellerinnen einen allfälligen Bescheid, mit welchem die Bundesschiedskommission den Inhalt eines Gesamtvertrags für 3 Monate festsetzt, nicht vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen. Selbst wenn man eine Parteistellung der Antragstellerinnen bejahen würde, käme die Entscheidung des angerufenen Höchstgerichts zu spät, weil die Bundesschiedskommission den sodann gekündigten Gesamtvertrag bereits entsprechend verlängert haben würde, was den Zweck des angestrebten Normenprüfungsverfahrens konterkarieren und zum Entfall des Rechtsschutzinteresses der antragstellenden Parteien führen würde.

4. Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen führen die antragstellenden Parteien näher aus, dass §348 ASVG gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitssatz verstoße. Zu den angefochtenen Verordnungsbestimmungen bringen die antragstellenden Parteien lediglich vor, dass nach Wegfall des §348 ASVG den das Verfahrensrecht vor der Bundesschiedskommission näher regelnden Bestimmungen der Schiedskommissionsverordnung 2010 (im Folgenden: SchkV 2010) die rechtliche Grundlage fehle, "nämlich §26 der SchKV 2010 idgF der Wortfolge 'zur Festsetzung des Inhaltes eines aufgekündigten Gesamtvertrages für höchstens drei Monate;' sowie §30 der SchKV idgF".

II. Rechtslage

1. §§341 Abs1 und 3, 348 Abs1 ASVG in der angefochtenen Fassung des 3. SRÄG 2009, BGBl I 84/2009 lautet:

"Gesamtverträge

§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen werden jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Diese sind für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

(2) Aufgehoben.

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes oder für den Sitz der Gruppenpraxis geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

(4) […]"

"Bestimmung des Inhaltes eines Gesamtvertrages durch die Bundesschiedskommission

§348 . (1) Auf Antrag der Österreichischen Ärztekammer oder des Hauptverbandes setzt die Bundesschiedskommission den Inhalt eines aufgekündigten Gesamtvertrages für höchstens drei Monate – gerechnet vom Tage der Entscheidung – fest. Dieser Antrag kann gestellt werden, wenn sechs Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer des Gesamtvertrages ein neuer Gesamtvertrag nicht geschlossen wurde und wenn die Geltungsdauer des aufgekündigten Gesamtvertrages noch nicht abgelaufen ist. Der Inhalt des festgesetzten Gesamtvertrages ist vom Hauptverband im Internet zu veröffentlichen.

(2) Wenn ein Antrag gemäß Abs1 fristgerecht gestellt wird, dann bleibt der aufgekündigte Gesamtvertrag bis zur Entscheidung der Bundesschiedskommission vorläufig in Kraft.

(3) Mit Ablauf der Geltungsdauer des gemäß Abs1 festgesetzten Gesamtvertrages erlöschen die von seinem Geltungsbereich erfaßten Einzelverträge."

2. Die angefochtenen §§26 und 30 der Schiedskommissionsverordnung 2010, BGBl II 446/2010, lauten:

"Zuständigkeit

§26. Die Bundesschiedskommission ist zuständig:

1. […]

2. zur Festsetzung des Inhaltes eines aufgekündigten Gesamtvertrages für höchstens drei Monate;

3. […]"

"Verfahren bei Festsetzung des Vertragsinhaltes

§30. Anträge auf Festsetzung des Inhaltes eines aufgekündigten Gesamtvertrages (§26 Z2) sind bei der Geschäftsstelle der Bundesschiedskommission schriftlich einzubringen. Dem Antrag sind sieben Gleichschriften anzuschließen, von denen je eine für die Antragsgegnerin/den Antragsgegner und die Beisitzerinnen/Beisitzer der Bundesschiedskommission bestimmt ist. Der Antrag ist zu begründen. Die erforderlichen Beweismittel sind zu bezeichnen, Urkunden sind in Ur- oder in Abschrift beizufügen. Im Übrigen gelten die §§6 bis 11 sinngemäß."

III. Erwägungen

1. Die Anträge sind mangels Legitimation der antragstellenden Parteien unzulässig:

2. Ein Gesamtvertrag gemäß §341 Abs1 ASVG regelt die Beziehungen der Träger der Krankenversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten und Ärztinnen sowie den Gruppenpraxen. Der Gesamtvertrag wird vom Hauptverband mit Zustimmung des jeweiligen Krankenversicherungsträgers für diesen und mit der örtlich zuständigen Ärztekammer abgeschlossen. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der örtlich zuständigen Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen. Gemäß §341 Abs3 ASVG ist der Inhalt des Gesamtvertrages Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis zu schließenden Einzelvertrages.

3. Die antragstellenden Parteien haben es zwar unterlassen, die angefochtenen Fassungen der angegriffenen Bestimmungen hinreichend genau zu bezeichnen (zu diesen Anforderungen beim Verordnungsprüfungsantrag vgl. zuletzt VfGH 20.11.2014, V61/2013, beim Gesetzesprüfungsantrag ua. VfSlg 11.888/1988, 14.634/1996, 15.631/1999), sie haben diese jedoch im Antrag wörtlich wiedergegeben, sodass klar und unzweifelhaft erkennbar ist, in welcher Fassung diese Bestimmungen angefochten werden sollen (vgl. VfSlg 17.237/2004, 16.773/2002 uva.).

4. Die antragstellenden gesetzlichen beruflichen Vertretungskörper der Ärzte sind aber weder Normadressaten eines Gesamtvertrages noch der angefochtenen Bestimmungen. Diese Bestimmungen schränken auch das Recht der Ärztekammer zum Abschluss eines (neuen) Gesamtvertrages iSd §341 ASVG nicht ein, und zwar auch dann nicht, wenn und insoweit der Bundesschiedskommission ein Antrag nach §348 ASVG vorläge oder sie schon einen Beschluss nach dieser Gesetzesstelle gefasst hätte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt im Zusammenhang mit der vergleichbaren Kompetenz des Bundeseinigungsamtes zur Satzung eines Kollektivvertrages, VfSlg 12.827/1991).

5. Auch die Funktion als Interessenvertretung der Ärzte verschafft der Ärztekammer als gesetzlicher beruflicher Vertretung keine rechtliche Betroffenheit in Bezug auf eine Norm, die nicht in die Rechtssphäre der Ärztekammer bzw. einer Kurienversammlung, sondern nur in jene ihrer Mitglieder eingreift (vgl. zur Unzulässigkeit von Anträgen der Ärztekammer auf Aufhebung von Bestimmungen des ASVG über den Abschluss von Gesamtverträgen mangels unmittelbarer Betroffenheit schon VfSlg 15.530/1999; vgl. ferner VfSlg 19.450/2011 und 15.710/1999).

6. Der Umstand, dass durch den Beschluss der Bundesschiedskommission gemäß §348 ASVG ein vertragsloser Zustand (und damit auch der von ihm ausgehende Druck zum Abschluss eines mehr im wirtschaftlichen Interesse der Vertragsärzte liegenden neuen Gesamtvertrages) – angesichts der Rolle des Vertragsarztes als ein elementarer Teil des österreichischen Systems der Gesundheitsvorsorge (VfSlg 15.818/2000) im (öffentlichen) Interesse liegend – erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung eintritt, berührt ebenso wenig die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien (vgl. auch insoweit VfSlg 12.827/1991).

IV. Ergebnis

1. Den antragstellenden Parteien fehlt es somit an der Antragslegitimation, weshalb der Antrag schon aus diesen Gründen zurückzuweisen ist.

2. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 VfGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte