VfGH V61/2013

VfGHV61/201320.11.2014

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der Fahrradverordnung betr die Montage eines Kindersitzes am Fahrrad mangels konkreter Bezeichnung der aufzuhebenden Wortfolgen

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z3
FahrradV, BGBl II 146/2001 §6, §8
VfGG §57 Abs1
B-VG Art139 Abs1 Z3
FahrradV, BGBl II 146/2001 §6, §8
VfGG §57 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Schriftsatz vom 4. November 2013 brachte der Antragsteller einen auf Art139 Abs1 B‑VG gestützten Antrag ein, mit welchem er die Aufhebung von "§6 Abs1, 2. Satz, 1. Halbsatz, 4.-6. Wort ('… hinter dem Sattel …') und/oder §6 Abs2 Z4 (mit einer Lehne, die das Abstützen des Kopfes erlaubt) und/oder §8 der Fahrradverordnung, Bundesgesetzblatt II. Nr 146/2001 in der Fassung vom 08.10.2013" als gesetzwidrig und den Ersatz der Kosten begehrt.

1.1. Zur Begründung seiner Antragslegitimation bringt er vor, er sei Vater einer – laut beigelegter Geburtsurkunde – am 28. Juni 2012 geborenen Tochter, und die §§6 und 8 der Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie über Fahrräder, Fahrradanhänger und zugehörige Ausrüstungsgegenstände (Fahrradverordnung), BGBl II 146/2001, würden ihm untersagen, sein Kind auf einem Kindersitz am Fahrrad zu transportieren, der zwischen Lenkstange und Sattel montiert werde. Im Konkreten wolle der passionierte Radfahrer einen Kindersitz der Marke "WeeRide" verwenden, der auf der Verbindungsstange zwischen Fahrradsattel und Lenkstange zu montieren sei und der eine Stützablage für den Kopf besitze. Eine Montage des speziellen Kindersitzes am Fahrrad würde jedoch eine Verwaltungsstrafe gemäß §§99 Abs3 lita, 66 Abs2 StVO iVm §6 Abs1 Fahrradverordnung nach sich ziehen, ein anderer Weg, die Gesetzwidrigkeit der näher bezeichneten Teile der Fahrradverordnung geltend zu machen, sei daher unzumutbar. Zudem bringt der Antragsteller vor, er sei selbstständig tätig, besitze hinsichtlich des speziellen Kindersitzes einen "exklusiven Vertriebsvertrag für Österreich" und es werde ihm durch die Bestimmungen der Fahrradverordnung verboten, diesen speziellen Kindersitz – der nicht den Vorgaben der Fahrradverordnung entspreche – zu vertreiben bzw. in Verkehr zu bringen.

1.2. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der näher bezeichneten Bestimmungen der Fahrradverordnung führt der Antragsteller Folgendes aus:

1.2.1. Zunächst sei der (damalige) Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie im Konkreten nur dann gemäß §8 Abs1 Produktsicherheitsgesetz 1994 (nunmehr §11 Produktsicherheitsgesetz 2004) zur Erlassung einer Verordnung ermächtigt, wenn dies zur Abwehr von Gefahren und/oder aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig sei. Diese Notwendigkeit sei aber keinesfalls gegeben, vielmehr gewährleiste ein Kindersitz, der vor dem Fahrradsattel montiert werde, eine zumindest gleich hohe, wenn nicht sogar eine höhere Verkehrssicherheit als ein Kindersitz, der hinter dem Fahrradsattel befestigt werden müsse.

1.2.2. Begründend führt der Antragsteller aus, dass das Kind leichter ange-schnallt werden könne als bei einem sogenannten Heckmodell. Der Fahrer des Fahrrades könne das Kind anschnallen, während das Rad gestützt stehe. Das Fahrverhalten verbessere sich durch den speziellen Kindersitz am Fahrrad, da durch die zentrale Montage vor dem Fahrradsattel und das Gewicht von Sitz und Kind das Fahrverhalten verbessert werde. Es bestehe keine Gefahr von Gleichgewichtsproblemen, weil das Kind freie Sicht in Fahrtrichtung habe und es sich daher nicht zur Seite lehnen brauche, um am Körper der das Rad lenkenden Person vorbeizusehen. Das Kind sei nicht der Gefahr ausgesetzt, mit den Händen oder Beinen in die Speichen des hinteren Rades zu gelangen. Ein Speichenschutz – wie dies bei einem Heckmodell nötig sei – sei daher nicht erforderlich. Die Kopfauflage des speziellen Kindersitzes vor dem Kind federe bei einem Sturz den eventuellen Lenkeinschlag ab.

1.3. Zudem würden die näher bezeichneten Bestimmungen der Verordnung nach dem Vorbringen des Antragstellers gegen mehrere verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte verstoßen.

1.3.1. Der Gleichheitssatz sei durch die genannten Bestimmungen der Verordnung verletzt, weil sie eine Differenzierung schaffen würden, die nicht sachlich gerechtfertigt sei. In der Bundesrepublik Deutschland etwa sei ein derartiges Modell gemäß §21 Abs3 der deutschen Straßenverkehrsordnung zulässig.

1.3.2. Ebenso sei die Erwerbsfreiheit des Antragstellers verletzt, weil ein generelles Verbot Kindersitze in Verkehr zu bringen, die vor dem Fahrradsattel zu montieren sind, nicht geeignet sei, Kinder auf dem Fahrrad vor Gefährdungen besser zu schützen.

2. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie (im Folgenden: BMVIT) legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der zur Zulässigkeit keine Ausführungen enthalten sind und in der Sache ausgeführt wurde:

"Die prüfungsrelevanten Bestimmungen des §6 Abs1, 2. Satz, 1. Halbsatz, 4. -6. Wort ('hinter dem Sattel') und/oder §6 Abs2 Z4 (mit einer Lehne, die das Abstützen des Kopfes erlaubt) und/oder §8 der Fahrradverordnung sind am 1. Mai 2001 in Kraft getreten und blieben seit diesem Zeitpunkt unverändert.

1) Die prüfungsrelevanten Bestimmungen des §6 der Fahrradverordnung wurden aufgrund einer Expertise des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, die sich wiederum auf ein Gutachten des deutschen TÜV stützt, erlassen (siehe GZ: 160.022/16-II/B/6/99).

Im Rahmen dieses Gutachtens wurden die Vor- und Nachteile der einzelnen Befestigungsarten von Kindersitzen untersucht und miteinander verglichen. Dabei handelt es sich um Sitze, die vor dem Lenker, zwischen Lenker und Fahrer und hinter dem Fahrer montiert werden. Das vom Beschwerdeführer genannte Kindersitzmodell würde zwischen Fahrer und Lenker montiert werden. Zutreffend führt dieser die Vorteile des Modells aus, die Nachteile dieser Beförderungsart liegen aber darin, dass das Körpergewicht 15 kg nicht übersteigen sollte, der Bewegungsspielraum des Fahrers eingeschränkt und ein spreizbeiniges Fahren unumgänglich wird und – vor allem – eine große Einklemmgefahr des Kinderfußes zwischen festen und beweglichen Teilen besteht (Gabel und Speichen, Schutzblech und Rahmen) sowie ein Sitz mit hoher Rückenlehne – laut KfV durch die weiträumige Umschließung des Kindes die günstigste Beförderungsart - wegen Behinderung des Fahrers nicht verwendbar ist. Insgesamt kommen daher sowohl das Kuratorium für Verkehrssicherheit als auch der TÜV zum Ergebnis, dass die Beförderung hinter dem Fahrer aus Sicherheitsgründen zu empfehlen ist (siehe GZ: 160.022/16-II/B/6/99).

Das vom Beschwerdeführer genannte Kindersitzmodell ist dem bmvit bekannt und weist zweifellos eine Komfortsteigerung für das Kind, verglichen mit den hier untersuchten Sitzschalenmodellen, auf. Die Hauptargumente, die gegen einen Anbringung vor dem Radfahrer entsprechen, sind aber auch durch solch neuere Sitzmodelle nicht entkräftet, sondern haben unverändert Gültigkeit.

2) Die vorliegende Verordnung unterliegt der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft. Die Verordnung wurde daher einem Notifikationsverfahren unterzogen und durch andere Mitgliedstaaten wurde in der Verordnung keine Benachteiligung aus Sicht der Richtlinie gesehen. Wenn der Beschwerdeführer daher argumentiert, dass das von ihm genannte Kindersitzmodell auch in Deutschland verkauft und benutzt werden dürfte, dann dürfte dies zum Zeitpunkt des Notifikationsverfahrens von den deutschen Behörden nicht als ausreichend relevant betrachtet worden sein, um darin eine Benachteiligung zu erblicken . Die Gleichwertigkeitsklausel des §8 der Fahrradverordnung wurde aufgrund der genannten Richtlinie in den Verordnungstext aufgenommen und soll die Möglichkeit des Verkaufs von gleichwertigen Produkten bieten, die in anderen EU-Staaten verkauft werden dürfen und die zwar nicht der Verordnung entsprechen aber dasselbe Niveau für den Schutz der Gesundheit und für die Verkehrssicherheit gewährleisten. Anzuwenden ist die Gleichwertigkeitsklausel jedoch nur auf jene Typen von Kindersitzen, welche hinter dem Sattel angebracht werden, da ein Kindersitz, der vor dem Lenker angebracht ist, nicht dasselbe Niveau für den Schutz der Gesundheit und für die Verkehrssicherheit gewährleisten kann.

3) Die Notwendigkeit für die Erlassung der prüfungsrelevanten Regelung ist daher jedenfalls gegeben und eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung zu verneinen, entspricht doch gerade die hier gesetzte Maßnahme der Verordnungsermächtigung, da die prüfungsrelevanten Regelungen aus Gründen der Verkehrssicherheit und zur Abwehr von Gefahren erlassen wurden. Es wurde weiters aus den oben dargelegten Gründen eine sachliche Differenzierung getroffen, sodass die nicht näher ausgeführten Behauptungen des Beschwerdeführers hinsichtlich Gleichheitssatz und Grundrecht auf Erwerbsfreiheit ins Leere gehen.

[…]"

II. Rechtslage

1. §66 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl 159/1960 idF BGBl I 27/2014, lautet:

"Beschaffenheit von Fahrrädern, Fahrradanhängern und Kindersitzen

§66. (1) Fahrräder müssen der Größe des Benützers entsprechen. Fahrräder, Fahrradanhänger und Kindersitze müssen in einem Zustand erhalten werden, der den Anforderungen der Produktsicherheitsbestimmungen für Fahrräder (§104 Abs8) entspricht.

(2) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat unter Be-dachtnahme auf die Verkehrssicherheit und den Stand der Technik durch Verordnung festzulegen:

1. unter welchen Voraussetzungen bestimmte Teile der Ausrüstung von Fahr-rädern oder Fahrradanhängern entfallen können;

2. unter welchen Voraussetzungen die Beförderung von Kindern in Kindersitzen oder Personen mit Fahrradanhängern und mehrspurigen Fahrrädern zulässig ist;

3. das Ladegewicht, das bei der Beförderung von Lasten oder Personen mit Fahrrädern oder mit Fahrradanhängern nicht überschritten werden darf."

2. §99 Abs3 lita StVO 1960, BGBl 159/1960 idF BGBl I 39/2013, lautet:

"§99. Strafbestimmungen.

(1) – (2e) […]

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhal-ten nicht nach den Abs1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,

b) – k) […]

(4) – (7) […]"

3. Die §§6 und 8 der Fahrradverordnung, BGBl II 146/2001, lauteten auszugsweise (die angefochtenen Verordnungsstellen sind hervorgehoben):

"Kindersitze

§6. (1) Der für ein mitfahrendes Kind bestimmte Sitz muss mit dem Fahrradrah-men fest verbunden sein. Der Sitz ist hinter dem Sattel so anzubringen, dass der Fahrer nicht in seiner Sicht, Aufmerksamkeit oder Bewegungsfreiheit behindert oder in seiner Sicherheit gefährdet werden kann. Die Beförderung von mehr als einem Kind ist unzulässig.

(2) Jeder Kindersitz, der in Verkehr gebracht wird, muss ausgestattet sein:

1. – 3. […]

4. mit einer Lehne, die das Abstützen des Kopfes erlaubt.

(3) […]

Gleichwertigkeitsklausel

§8. Von den in den §§1 bis 7 beschriebenen Anforderungen für Fahrräder, Fahrradanhänger und zugehörige Ausrüstungsgegenstände darf dann abgegangen werden, wenn diese in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR rechtmäßig hergestellt oder in Verkehr gebracht werden dürfen und die Anforderungen dasselbe Niveau für den Schutz der Gesundheit und für die Verkehrssicherheit gewährleisten, wie in dieser Verordnung verlangt."

III. Erwägungen

1. Der Antrag ist unzulässig.

2.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

2.2. Ein solcher Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, muss gemäß §57 Abs1 VfGG begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach, oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Um dieses strenge Erfordernis zu erfüllen, müssen die bekämpften Verordnungsstellen genau und eindeutig bezeichnet sein (vgl. VfSlg 17.679/2005 mwN). Es darf nicht offen bleiben, welche Vorschriften oder welche Teile einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aufgehoben werden sollen. Der Verfassungsgerichtshof ist nämlich nicht befugt, Verordnungsbestimmungen aufgrund bloßer Vermutung darüber, welche Normen der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen (vgl. VfSlg 16.533/2002).

3. Diesen Anforderungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht. Die Wendung "§6 Abs1, 2. Satz, 1. Halbsatz, 4.-6. Wort ('… hinter dem Sattel …') und/oder §6 Abs2 Z4 (mit einer Lehne, die das Abstützen des Kopfes erlaubt) und/oder §8 der Fahrradverordnung, Bundesgesetzblatt II. Nr 146/2001 in der Fassung vom 08.10.2013 als gesetzwidrig" aufzuheben grenzt den als gesetzwidrig erachteten Teil der Fahrradverordnung nicht – in einer den Anforderungen des VfGG entsprechenden Weise – klar und unmissverständlich ab. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – für den Antragsteller zu präzisieren (vgl. VfSlg 17.099/2003, 17.102/2003, vgl. auch VfGH 10.12.2013, G46/2013; 12.12.2013, G53/2013; 13.6.2014, G10/2014). Es wäre die Aufgabe des Antragstellers gewesen, die aufzuhebenden Wortfolgen positiv und konkret zu bezeichnen (vgl. VfGH 16.6.2014, G82/2013).

IV. Ergebnis

1. Dem Antrag haftet sohin ein nicht iSd §18 VfGG verbesserungsfähiger – gravierender – Mangel an (vgl. zB VfSlg 13.736/1994), weshalb er schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen ist.

2. Dies konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 litc VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte