European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00126.17P.1220.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die klagende Bank nimmt die Beklagte auf Zahlung von 689.326,64 EUR in Anspruch. Sie habe dieser mehrere Kredite gewährt. Unter Berücksichtigung erhaltener Zahlungen hafte der eingeklagte Betrag unberichtigt und fällig aus. Die Klägerin habe ihre Schuld auch anerkannt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie brachte vor, dass über das Vermögen ihres Ehemanns 1999 das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Es habe der Verlust der dem Ehemann eigentümlichen Liegenschaft in L***** gedroht, auf der sich das Familienhaus befinde. Angesichts der Schulden des Ehemanns bei der Klägerin und deren auf der ehelichen Liegenschaft haftenden Hypotheken habe sich die Beklagte an den Geschäftsleiter der Klägerin gewendet, damit diese ihr den Erwerb der Liegenschaft vom Insolvenzverwalter finanziere. Die Klägerin habe sich dazu nur unter der Bedingung, dass die Beklagte alle Schulden ihres Ehemanns begleiche, bereit erklärt. Obgleich der vom Insolvenzverwalter verlangte Kaufpreis nur 300.000 EUR betragen habe, was der Verkehrswert der Liegenschaft gewesen sei, habe die Beklagte bei der Klägerin Kredite in Höhe von letztlich 650.000 EUR aufnehmen müssen, deren Rückzahlung zuzüglich Zinsen abzüglich zwischenzeitlich geleisteter Schuldtilgungszahlungen die Klägerin nun gerichtlich einfordere, wobei sie erhaltene Zahlungen aber unzureichend berücksichtige. Mit den von der Beklagten bei der Klägerin aufgenommenen Krediten seien die Bankkonten des Ehemanns bei der Klägerin glattgestellt worden. Die Beklagte habe sich aufgrund des drohenden Verlustes des Familienheims in einer besonderen Situation befunden und sich nur deshalb zur Übernahme der Bankschulden des Ehemanns bereit erklärt. Die Klägerin habe die Situation der Beklagten ausgenützt. Es liege auch wegen des wirtschaftlichen Unvermögens der Beklagten zur Rückführung der Kredite Sittenwidrigkeit vor. Zudem schulde die Beklagte der Klägerin mangels Information nach § 25c KSchG nichts. Hilfsweise begehrte die Beklagte richterliche Mäßigung nach § 25d KSchG und stützte sich auch auf Wucher (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) und Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB).
Die Klägerin hielt den Einreden der Beklagten insbesondere entgegen, dass beiden Parteien bewusst gewesen sei, dass der Wert der Liegenschaft nicht wie im Kaufvertrag angeführt 300.000 EUR, sondern im Hinblick auf eine stets geplante und sodann 2004 erfolgte Umwidmung ca 500.000 bis 550.000 EUR betrage. Somit habe kein Missverhältnis vorgelegen. Auch liege kein wirtschaftliches Unvermögen der Beklagten zur Kreditrückführung vor.
Das Erstgericht traf umfangreiche Feststellungen, aus denen Folgendes hervorzuheben ist:
Die Klägerin war im betreffenden Zeitraum eine Hausfrau mit vier ehelichen Töchtern (geboren 1981, 1983, 1985 und 1995), einem Einkommen von ca 300 bis 400 EUR monatlich netto aus einer – jedoch nicht durchgehend ausgeübten – Teilzeitbeschäftigung und mit Einnahmen aus einer Zimmervermietung in nicht genau feststellbarer, 10.000 EUR netto jährlich jedenfalls nicht übersteigender Höhe. Sie war Eigentümerin eines Sparbuchs mit einem Einlagestand von rund 69.000 EUR und seit einer Schenkung Ende 2000 einer Liegenschaft in Sölden mit einem damaligen Verkehrswert von ca 60.000 bis 70.000 EUR.
Die Beklagte wusste, dass über das Vermögen ihres Ehemanns der Konkurs eröffnet worden war und deshalb der Verkauf seines Liegenschaftsvermögens, insbesondere auch des Wohnhauses der Familie in L*****, erfolgen würde. Sie wollte das Wohnhaus der Familie nicht aufgeben und kontaktierte deshalb von sich aus zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 25. 7. 2001 den damals für die Kreditlinien des Ehemanns zuständigen Geschäftsleiter der Klägerin, um mit diesem darüber zu verhandeln, dass sie die Liegenschaft samt dem darauf errichteten Wohnhaus erwirbt. Der Geschäftsleiter erklärte der Beklagten, dass die Klägerin den Kaufpreis für die Liegenschaft samt dem darauf errichteten Wohnhaus nur dann finanzieren werde, wenn sich die Beklagte dazu bereit erkläre, sämtliche offenen Verbindlichkeiten des Ehemanns bei der Klägerin zu bezahlen. Wäre die Beklagte die Verpflichtung, die offen aushaftenden Forderungen der Klägerin gegen den Ehemann zu bezahlen, nicht eingegangen, wäre die Klägerin nicht bereit gewesen, die Finanzierung des Kaufs der Liegenschaft durch die Beklagte zu übernehmen.
Zumal die Umwidmung einer Teilfläche der Liegenschaft, welche die Beklagte von ihrem Ehemann erwerben wollte, in Bauland jedenfalls spätestens seit Anfang des Jahres 2001 angestrebt wurde, besprachen die Beklagte und der Geschäftsleiter, dass die Rückzahlung der von der Klägerin zu gewährenden Kredite zur Abdeckung sämtlicher Schulden des Ehemanns dergestalt vonstattengehen sollte, dass die Beklagte ihre Liegenschaft in Sölden veräußert und– sobald die Umwidmung der Teilfläche der Liegenschaft in L***** erfolgt wäre – als Bauträgerin auf der dann umgewidmeten Teilfläche der von ihr erworbenen Liegenschaft in L***** Reihenhäuser errichtet und abverkauft und solcherart die eingegangenen Schulden allenfalls auch mit Hilfe ihrer Familie zurückbezahlt.
Der Geschäftsleiter und die Beklagte wussten, dass es der Beklagten nicht möglich sein wird, die Kredite allein aus dem von ihr erwirtschafteten laufenden Einkommen zu bedienen. Die Beklagte hatte zwar Zweifel daran, ob sie in der Lage sein werde, die Verbindlichkeiten zu bezahlen, hoffte jedoch, dass dies durch die oben dargestellte Vorgehensweise möglich sein werde. Der Geschäftsleiter ging davon aus, dass die von der Beklagten zu erwerbenden Teile der Liegenschaft nach der Umwidmung der Teilfläche einen Verkehrswert von zumindest 600.000 EUR haben und die Beklagte in der Lage sein wird, ihre Verbindlichkeiten durch den Verkauf ihres Liegenschaftsvermögens mit Ausnahme des Wohnhauses zu begleichen. Dies kommunizierte er auch gegenüber der Beklagten in dieser Weise. Er teilte ihr auch mit, dass für den Fall, dass sie die Liegenschaft nicht erwerben würde, diese im Wege der Zwangsversteigerung verwertet werden würde.
Ob der Geschäftsleiter die Beklagte ausdrücklich darauf hinwies, dass ihr Ehemann seine Schulden aus Eigenem nicht zurückbezahlen können wird, ist nicht feststellbar. Die Beklagte wusste dies jedenfalls. Sie war in der Lage, das von ihr eingegangene Geschäft zu verstehen und dessen Risiken einzuschätzen. Ihr war es sehr wichtig, das Wohnhaus behalten zu können. Sie wäre die Verpflichtung, sämtliche Schulden ihres Ehemanns zu übernehmen, um den Liegenschaftsteil in L***** samt dem darauf errichteten Wohnhaus erwerben zu können, ungeachtet des finanziellen Risikos auf jeden Fall eingegangen und wusste, dass ihr Ehemann finanziell zur Rückzahlung der Schulden keine nennenswerten Beträge beisteuern wird, sondern sie dies durch den Abverkauf ihres Liegenschaftsvermögens und die geplante Bauträgertätigkeit zu bewerkstelligen haben wird.
In weiterer Folge unterfertigten der Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Ehemanns, die H***** GmbH und die Beklagte am 25. 7. 2001/31. 7. 2001 einen Realteilungs- und Kaufvertrag betreffend die dem Ehemann gehörende Liegenschaft in L*****, welcher jedoch mit Vereinbarung vom 27. 1. 2003 wieder aufgehoben wurde, weil die Umwidmung der Teilfläche in Bauland nicht durchgeführt wurde.
Am 18. 9. 2003 unterfertigten der Masseverwalter und die Beklagte eine als „Kaufvertrag“ bezeichnete Urkunde mit auszugsweise folgendem Inhalt:
„I. Eigentums- und Grundbuchsstand:
H***** G***** ist Alleineigentümer der Liegenschaft in ***** L***** bestehend aus Grundstück *****9 im Ausmaß von 23.218 m 2 . [...]
Grundstücksveränderungen:
Mit Vermessungsurkunde des DI F*****, Ingenieurgemeinschaft ***** vom 8. 8.2003 GZ 54405/03/1, wird unter anderem das Grundstück ***** geteilt in das Grundstück *****9/1 im Ausmaß von 20.892 m 2 , das Grundstück *****9/2 im Ausmaß von 1.071 m 2 und das Grundstück *****9/3 im Ausmaß von 1.225 m 2 .
Das Grundstück *****9/1 wird aus dem Gutsbestand der Liegenschaft EZ ***** abgeschrieben und hiefür eine neue Einlagezahl eröffnet.
III. Kauf:
Der Verkäufer als Masseverwalter verkauft und übergibt hiemit an die Käuferin die auf Grund der oben angeführten Vermessungsurkunde neu entstandenen Grundstücke*****9/2 im Ausmaß von 1.071 m² samt dem darauf befindlichen Haus L*****, und *****9/3 im Ausmaß von 1.225 m 2 samt dem darauf befindlichen Wirtschaftsgebäude.
Die Käuferin kauft und übernimmt die zu Punkt II neu entstandenen Grundstücke *****9/2 und *****9/3 samt den darauf befindlichen Gebäuden, nämlich Wohnhaus ***** und Wirtschaftsgebäude.
IV. Kaufpreis – Fälligkeit:
Der Kaufpreis wird einvernehmlich mit 300.000 EUR vereinbart. [...]“
Die Gespräche bezüglich dieses Kaufvertrags führte der Geschäftsleiter der Klägerin mit dem Masseverwalter. Gespräche zwischen der Beklagten und dem Masseverwalter gab es diesbezüglich nicht. Aufgrund dieses Kaufvertrags wurde im Jahr 2008 zu 1/1.-Anteilen das Eigentumsrecht der Beklagten an der Liegenschaft in ***** L*****, bestehend aus GstNr *****9/2 und *****9/3 einverleibt.
Den weiteren Feststellungen ist unter anderem zu entnehmen, dass die Klägerin der Beklagten am 18. 9. 2006 drei Kredite im Gesamtausmaß von 550.000 EUR zuzählte, welche im Wesentlichen zeitgleich dazu verwendet wurden, um die Konten des Ehemanns bei der Klägerin glattzustellen, die zu diesem Zeitpunkt insgesamt mit 582.415,39 EUR aushafteten, dass zur Sicherstellung der Forderungen aus den drei Kreditverträgen die Beklagte der Klägerin Pfandrechte im Höchstbetrag von 195.000 EUR und 520.000 EUR einräumte und (insofern hat das Berufungsgericht jedoch eine Tatsachenrüge nicht erledigt) dass zum Zeitpunkt der Fertigung der drei Kreditverträge die Liegenschaft einen Wert von ca 600.000 EUR aufwies.
Das Erstgericht gab der Hypothekarklage mit einem Teilbetrag von 677.578,24 EUR samt Zinsen statt; das Mehrbegehren in Höhe von 11.748,40 EUR samt Zinsen wies es (unangefochten geblieben) ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge, indem es den Zuspruch lediglich eines Betrags von 359.952,64 EUR samt Zinsen bestätigte und im Übrigen auf Klagsabweisung erkannte. In jenem Ausmaß nahm das Berufungsgericht eine Teilnichtigkeit der Kreditvereinbarungen wegen der von der Beklagten in erster Instanz (auch) eingewendeten Sittenwidrigkeit an. Die von der Beklagten übernommene Verpflichtung zur Kreditrückzahlung und die von der Klägerin der Beklagten erbrachte Leistung, die allein in der Finanzierung des Kaufpreises von 300.000 EUR bestehe, seien grob inäquivalent, weshalb die gesamten Vereinbarungen, nämlich die „Grundsatzvereinbarung“ der Schuldenübernahme gegen Kredit und die unterfertigten Kreditverträge, inhaltlich zu missbilligen seien. Die Beklagte habe über die Finanzierung der Liegenschaft hinaus kein Eigeninteresse an der Übernahme der Verpflichtungen ihres Gatten gehabt, was der Klägerin bewusst gewesen sein müsse. Durch die drohende Versteigerung der Liegenschaft, die der Beklagten als Familienheim naturgemäß enorm wichtig gewesen sei, sei die Entscheidungsfreiheit der Beklagten verdünnt gewesen. Ohne Finanzierung des Liegenschaftserwerbs wäre sie die von der Klägerin eingeforderte Verpflichtung nie eingegangen. Im Insolvenzverfahren hätte die Klägerin keine vollständige Begleichung der Verbindlichkeiten erwarten können. Indem die Klägerin die Beklagte, um einen Forderungsausfall zu verhindern, dazu gebracht habe, alle Verbindlichkeiten ihres Ehegatten gegen Kreditaufnahme zu tilgen, habe sie deren besondere Situation unbillig ausgenutzt. Zumal im Bereich der Sittenwidrigkeitskontrolle von Verträgen naher Angehöriger bloße Teilnichtigkeit möglich sei und die Kreditaufnahme über einen Betrag von 300.000 EUR der Beklagten selbst zugute gekommen sei, sei diese im Ergebnis so zu stellen, als ob sie einen Kreditvertrag über 300.000 EUR abgeschlossen hätte. Über eine – vom Berufungsgericht näher dargelegte – prozentuelle Aufteilung ergebe sich unter Berücksichtigung des § 273 ZPO der Klagszuspruch. Feststellungen zum Wert der Liegenschaft zum Zeitpunkt der „Grundsatzvereinbarung“ im Jahr 2003 [gemeint wohl: 2001; Anmerkung] hielt das Berufungsgericht für entbehrlich.
Im Übrigen ging das Berufungsgericht auch von einer Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB aus. Die Klägerin habe der Beklagten 300.000 EUR für den Ankauf der Liegenschaft zur Verfügung gestellt, die Beklagte umgekehrt aber nicht nur 2006 582.415,39 EUR an Schulden ihres Gatten durch Kreditaufnahme, sondern auch schon 2005 70.165,95 EUR aus eigenen Barmitteln getilgt. Selbst unter Außerachtlassung der zusätzlich eingegangenen Zinsverpflichtung habe die Beklagte mehr als doppelt so viel an Verbindlichkeiten übernommen, als ihr für den Erwerb zur Liegenschaft zur Verfügung gestellt worden sei. Die Wertsteigerung der Liegenschaft spiele dabei keine Rolle; die Beklagte habe jedenfalls nur 300.000 EUR an Leistung erbracht, die der Beklagten zugute gekommen sei. Dass dies ein krasses Missverhältnis sei, bedürfe auch im Hinblick auf die gesetzliche Wertung nach § 934 ABGB keiner weiteren Erörterung.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, da noch keine höchstgerichtlichen Entscheidungen zu einem vergleichbaren Sachverhalt vorlägen, „insbesondere nicht zur Frage der Kriterien der Sittenwidrigkeitsprüfung bei einer vom Kreditinstitut verlangten vollständigen Schuldentilgung durch eine Ehegattin, um eine (wertmäßig weit geringere) Gegenleistung zu erhalten“.
Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt und hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Vorweg ist festzuhalten, dass sich die Klägerin nicht auf ein Anerkenntnis der Beklagten stützen kann, weil diese mangels Widerspruchs gegen Kontoauszüge einen Saldo aus den jeweiligen Kreditverträgen anerkannt habe. Ein Saldoanerkenntnis ist in der Regel nur deklarativ, ein konstitutives Anerkenntnis ist nur dann anzunehmen, wenn damit im konkreten Fall in der Tat ein ernstlicher Streit (oder Zweifel) beigelegt werden sollte (RIS‑Justiz RS0115012). Die Ablehnung eines konstitutiven Anerkenntnisses durch die Vorinstanzen ist rechtsrichtig. Hierbei handelt es sich um einen erledigten Streitpunkt, der im fortgesetzten Verfahren nicht mehr aufgerollt werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0042031).
2. Das Berufungsgericht verurteilte die Beklagte nach Verwerfung von deren Rechtsrüge, der Klägerin zugeflossene Zahlungen wären in zu geringem Ausmaß schuldvermindernd berücksichtigt worden, zur Zahlung von 359.952,64 EUR. Der Schuldtilgungseinwand ist mangels einer Revision der Beklagten nicht mehr verfahrensgegenständlich. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte bei der Klägerin Kredite aufnahm, die (einschließlich angefallener Zinsen) in der Höhe des vom Erstgericht der Klägerin zuerkannten Betrags offen aushaften.
3. Strittig ist allein, ob der vertragliche Anspruch der Klägerin als Kreditgeberin auf Rückzahlung der Kredite mangels Information nach § 25c KSchG, zufolge richterlicher Mäßigung nach § 25d, wegen Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB (einschließlich Wucher) oder letztlich wegen Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB nicht besteht, all dies aber allein insoweit, als der Klagszuspruch noch nicht in Rechtskraft erwuchs, somit in Höhe des noch verfahrensgegenständlichen Betrags von 317.625,60 EUR (= 689.326,64 ‑ 11.748,40 ‑ 359.952,64).
4. Sowohl § 25c als auch § 25d KSchG setzen eine Interzession voraus. Unter
Interzession ist das
Eingehen einer Verbindlichkeit im fremden Interesse bzw im nicht ausschließlich eigenen Interesse zu verstehen. Der Begriff ist durch den wirtschaftlichen Zweck gekennzeichnet. Stets muss es sich um eine bestehende, materiell fremde Schuld handeln (3 Ob 111/08g = JBl 2009, 253 mwN [P. Bydlinski]). Eine materiell fremde Schuld ist dadurch charakterisiert, dass dem
zahlenden Interzedenten ein Regressanspruch gegenüber dem materiellen (ursprünglichen) Schuldner zusteht (5 Ob 103/13b; RIS‑Justiz RS0119014 [T1, T12, T14]; RS0124822 [T3]). Entscheidend ist, dass der Interzedent typischerweise damit rechnen kann, die Schuld – zumindest wegen seines Regressanspruchs – letztlich materiell nicht tragen zu müssen (RIS‑Justiz
RS0119014 [T15]). Ist offenkundig, dass ein Regressanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Hauptschuldners nicht durchsetzbar sein wird, so ist für den Interzedenten offenkundig, dass er die Schuld auch materiell selbst tragen muss (vgl 7 Ob 115/11d = ÖBA 2012, 842 [Bollenberger] =
RIS‑Justiz RS0119014 [T19]). In einem solchen Fall finden die auf ein Einstehen für fremde Schulden zugeschnittenen Schutzvorschriften der §§ 25c und 25d KSchG nicht Anwendung.
Im vorliegenden Fall wusste die Beklagte, dass über das Vermögen ihres Ehemanns der Konkurs eröffnet worden war und dieser finanziell zur Rückzahlung der Schulden keine nennenswerten Beträge beisteuern wird, sondern sie dies durch den Abverkauf ihres Liegenschaftsvermögens und die geplante Bauträgertätigkeit zu bewerkstelligen haben wird. Damit war für sie offenkundig, dass ein Regressanspruch nicht durchsetzbar sein wird. Es lag daher – wie bereits von den Vorinstanzen erkannt – keine Interzession im Sinne der §§ 25c und 25d KSchG vor.
Anderes ist aus der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung 3 Ob 111/08g nicht ableitbar. Darin wurde eine Interzedenteneigenschaft einer Ehefrau bejaht, die für die Bank klar erkennbar und von der Bank beabsichtigt zur Bedienung von Krediten des Ehemanns einen Kredit aufnahm. In jenem Fall vertraute die Ehegattin in geschäftlichen Dingen ihrem Mann blind. Dieser war aber nicht insolvent, sondern bloß (nach Einschätzung der Bank) kreditunwürdig. Dass es im Fall 3 Ob 111/08g für die Ehefrau offenkundig war, dass letztlich sie die Schuld werde begleichen müssen, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.
5. Weil – wie dargestellt – die Beklagte materiell eine eigene Schuld eingegangen ist, kommt auch die Anwendung der zur Prüfung von Angehörigenbürgschaften aus § 879 Abs 1 ABGB abgeleiteten Kriterien nicht in Betracht (vgl dazu RIS‑Justiz RS0048312; RS0048300; RS0048309).
6. Bei der Sittenwidrigkeitsprüfung ist von der Übernahme einer materiell eigenen Schuld durch die Beklagte auszugehen. Die Sittenwidrigkeit kann sich hier aus dem Missverhältnis der übernommenen Leistungsverpflichtungen der Vertragsparteien ergeben.
6.1. Gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist ein Vertrag nichtig, wenn jemand die Zwangslage eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zum Wert seiner Leistung im groben und leicht erkennbaren
Missverhältnis steht. Das Gesetz missbilligt so die Ausbeutung eines Vertragspartners durch auffallende objektive Äquivalenzstörung der beiderseitigen Hauptleistungen in Fällen der gestörten Freiheit der Willensbildung (3 Ob 197/08d mwN).
Eine die Willensbildung beeinträchtigende Zwangslage im Sinne des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB liegt nur vor, wenn der Bewucherte einzig die Wahl hat, den ungünstigen Vertrag einzugehen oder einen noch größeren Nachteil zu erleiden (
3 Ob 503/93; 3 Ob 2199/96w = JBl 1998, 643 [Pfersmann];
8 ObA 38/03a; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 879 Rz 23; Bollenberger in KBB5 § 879 Rz 20;
Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 879 Rz 262). Dass sie alternativlos gewesen sei, insbesondere dass ihr keine andere Bank den vom Insolvenzverwalter verlangten Kaufpreis finanziert hätte, brachte die Beklagte nicht vor. Auf Wucher kann sie sich folglich nicht berufen.
6.2. Auch bei Fehlen einer der Voraussetzungen des
Wuchertatbestands kann ein Geschäft nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig sein, und zwar wenn ein dem fehlenden Tatbestandsmerkmal
gleichwertiges, den individuellen Fall prägendes, besonderes zusätzliches
Element der Sittenwidrigkeit hinzukommt (
RIS‑Justiz
RS0016864 [T3]; Bollenberger in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 IV Rz 1/78; ders in KBB5 § 879 ABGB Rz 19).
In diese Richtung geht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts: Es geht zum einen davon aus, dass ein Missverhältnis zwischen den wechselseitigen Leistungen der Streitparteien vorlag, wenn es – in Übereinstimmung mit dem diesbezüglichen Prozessstandpunkt der Beklagten – die Ansicht vertritt, die Leistung der Klägerin hätte sich darauf beschränkt, der Beklagten den vom Insolvenzverwalter verlangten Kaufpreis von 300.000 EUR zu finanzieren, wohingegen sie selbst der Beklagten Zahlungen in Höhe der beinahe doppelt so hohen Schuldenlast des Ehemanns abverlangt habe. Zum anderen hebt das Berufungsgericht Indizien für Sittenwidrigkeit hervor. Tatsächlich könnte für ein Sittenwidrigkeitsverdikt ins Treffen geführt werden, dass die Klägerin im Wissen, dass es der Beklagten einzig darum ging, das Haus als Heim der Familie zu bewahren, und dass deren Willensfreiheit selbstredend dadurch verdünnt war, ihr eigenes Insolvenzrisiko, welches sich (zumindest dem Anschein nach) bereits verwirklicht hatte, auf die Beklagte übertrug, indem sie sich von dieser die Schulden des Ehemanns bezahlen ließ, obgleich die Beklagte bedingt durch die Insolvenz des Ehemanns keine Aussicht hatte, von diesem später für die Begleichung seiner Schulden (nach § 1042 ABGB) mit Erfolg Ersatz zu fordern. Die Finanzierung des Liegenschaftskaufs hatte die Klägerin explizit von der Bereitschaft der Beklagten zur Übernahme der Schulden des Ehemanns abhängig gemacht, sodass hier ein Synallagma bestand.
Die Berechtigung des Sittenwidrigkeitsverdikts kann aber noch nicht abschließend beurteilt werden, weil wesentliche Aspekte des Sachverhalts im Dunkeln liegen:
- Die Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter führte für die Beklagte offenbar der Geschäftsleiter der Klägerin. Was hierzu zwischen dem Geschäftsleiter und der Beklagten besprochen wurde, wäre soweit möglich zu klären.
- Nach einer – in der Terminologie des Berufungsgerichts – „Grundsatzvereinbarung“ im Jahr (richtig) 2001 und dem Abschluss des Kaufvertrags im Jahr 2003 erfolgte die Zuzählung der Kredite zwecks Glattstellung der Schulden des Ehemanns erst im Jahr 2006 (und die Intabulation der Beklagten als Eigentümerin der Liegenschaft gar erst im Jahr 2008). Was zwischen den Parteien in der Zwischenzeit besprochen wurde, ist in Hinsicht auf § 861 Satz 2 ABGB, wonach, solange die Unterhandlungen dauern und das Versprechen noch nicht gemacht oder weder zum voraus, noch nachher angenommen ist, kein Vertrag entsteht, klärungsbedürftig.
- Der im schriftlichen Kaufvertrag genannte Preis von 300.000 EUR muss noch hinterfragt werden. Im Verfahren blieb bislang nämlich Punkt VI des Kaufvertrags unbeachtet, worin festgehalten ist: „Die Pfandrechte werden im Zuge der Grundbuchsbereinigung mit Ausnahme jenes des Landes Tirol – Wohnbauförderung CLNR 8 im Betrag von 402.000 ATS derzeit aushaftend mit _______ [in der Urkunde offengelassen; Anmerkung] gelöscht.“ Nach dem Wortlaut des Vertrags wäre es theoretisch denkbar gewesen, dass die Beklagte nach Abschluss des Kaufvertrags bei einer anderen Bank einen Kredit von 300.000 EUR aufnimmt, durch Barzahlung ihre Verpflichtung gegenüber dem Insolvenzverwalter aus dem Kaufvertrag erfüllt und hierauf von diesem eine (mit Ausnahme des Pfandrechts des Landes Tirol) geldlastenfreie Liegenschaft übereignet erhält. Die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach § 120 Abs 2 KO vorausgesetzt (dazu sowie zum gesamten insolvenzgerichtlichen Verfahren über den Verkauf der Liegenschaft an die Beklagte samt Verteilung des Erlöses und Lastenfreistellung fehlen weitestgehend Feststellungen) hätte sich die Klägerin gegen die Löschung ihrer bereits auf der Liegenschaft haftenden Pfandrechte nicht (mehr) wehren können (Riel in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 120 KO Rz 50; G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 IV § 120 Rz 41). Dies wirft die mit den Parteien zu erörternde Frage auf, ob/inwieweit bei der Festsetzung des Kaufpreises mit 300.000 EUR die auf der Liegenschaft haftenden Pfandrechte der Klägerin, deren Löschung oder allenfalls auch die – sodann erfolgte – Einverleibung neuer Pfandrechte der Klägerin eine Rolle spielten.
- Es fehlen weitestgehend Feststellungen zum Verkehrswert der Liegenschaft in den Jahren 2001 („Grundsatzvereinbarung“), 2003 (Kaufvertragsschluss) und 2006 (Kreditzuzählung) sowie zur Höhe der Schulden des Ehemanns bei der Klägerin zu den genannten Zeiten. Das Erstgericht stellte zwar fest, dass der Wert der Liegenschaft im Zeitpunkt der Gewährung der Kredite im Jahr 2006 600.000 EUR betrug. Hiergegen erhob die Beklagte aber eine Tatsachenrüge, die das Berufungsgericht allein wegen seiner rechtlichen Beurteilung, es liege ohnehin Sittenwidrigkeit vor, unerledigt ließ, wobei es – mit Grund – erkennen ließ, dass es an einer tragfähigen Grundlage für die bekämpfte Feststellung fehlt.
- Die Verkehrswerte der Liegenschaft zu den verschiedenen Zeitpunkten und der jeweilige Schuldenstand sind relevant, weil sich aus einer Gegenüberstellung ergibt, mit welchem Geldzufluss – und damit mit welchem Ausfall – die Klägerin im Falle eines Verkaufs oder einer Versteigerung der Liegenschaft zum jeweiligen Zeitpunkt zu rechnen hatte. Soweit die Klägerin abgesichert war, kann nicht gesagt werden, sie hätte ein bereits zu ihrem Nachteil verwirklichtes Insolvenzrisiko „einfach der Beklagten umgehängt“. Ein solcher allenfalls Sittenwidrigkeit indizierender Vorwurf würde eine (beträchtliche) Sicherungslücke verlangen.
7. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann somit noch nicht gesagt werden, die Leistung der Klägerin hätte einzig darin bestanden, der Beklagten den Kaufpreis in Höhe von – nominell – 300.000 EUR zu finanzieren. Aus diesem Grund kann über den Einwand der Sittenwidrigkeit noch nicht abgesprochen werden, wie auch noch keine Beurteilung des Falles nach § 934 ABGB möglich ist. Hinsichtlich letzterer Vorschrift wäre zudem zu beachten, dass sich nach ständiger Rechtsprechung das Wertmissverhältnis nach dem
Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts bestimmt (RIS‑Justiz RS0018871).
8. Zusammengefasst bedarf es einer Verbreiterung der Tatsachengrundlage. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die aufgezeigten Fragen mit den Parteien zu erörtern, diesen Gelegenheit zu einem allfälligen ergänzenden oder konkretisierenden Vorbringen und zu Beweisanboten zu geben und ein Beweisverfahren abzuführen haben. Erst nach
Verbreiterung der Tatsachengrundlage wird es möglich sein zu entscheiden, ob die auf § 879 Abs 1 ABGB und § 934 ABGB gestützten Einwendungen der Beklagten berechtigt sind. Sowohl für eine Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0108170) als auch für eine Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0048300) trifft nach den allgemeinen Regeln die Beklagte die
Behauptungs- und Beweislast.
9. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten (§ 52 ZPO).
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