European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00122.23A.1024.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teile, insgesamt lauten:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen den Betrag von 103.144,55 EUR samt 4 % Zinsen aus 22.150 EUR vom 4. 1. 2019 bis 25. 3. 2019, aus 25.117 EUR vom 26. 3. 2019 bis 22. 10. 2019, aus 70.912 EUR vom 23. 10. 2019 bis 9. 9. 2022 sowie aus 103.144,55 EUR seit dem 10. 9. 2022 zu zahlen.
2. Das darüber hinausgehende Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 23.618 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 9. 2022 zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.525,50 EUR bestimmten Kosten (Barauslagen) des Verfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist eine im ungarischen Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem dort angeführten Tätigkeitsbereich der ambulanten zahnärztlichen Versorgung.
[2] Nachdem der Kläger zu seinem Zahnstatus zunächst im September 2016 in W* eine Röntgenaufnahme herstellen ließ, entschloss er sich die zahnärztliche Behandlung bei der ihm empfohlenen Beklagten durchführen zu lassen. Er vereinbarte mit ihr, dass er sich zu einem Pauschalpreis von 6.000 EUR im Jänner 2017 einen Zahn ziehen, zwei Implantate sowie im Juni 2017 16 Metallkronen einsetzen lässt.
[3] Am 15. 1. 2017 wurde ihm der Zahn 16 gezogen und ein Kieferhöhlenverschluss, der wegen einer durch die Ziehung des Zahns aufgetretenen Eröffnung der rechten Kieferhöhle auftrat, vorgenommen. Weiters wurden die beiden Implantate im Kieferknochen befestigt sowie das Zahnfleisch vernäht. Während der Befestigung der Implantate hörte der Kläger plötzlich einen lauten Pfeifton und unterrichtete die behandelnde Ärztin davon. Ihm wurde mitgeteilt, dass sich dies wieder geben werde, was zunächst auch so war.
[4] Die Indikation zur Entfernung des Zahns war aufgrund einer Beherdung sowie einer in der Vergangenheit bereits durchgeführten Wurzelbehandlung gegeben und korrekt.
[5] Am 26. 1. 2017 wurden dem Kläger die Fäden der Zahnextraktion und auch der Implantate gezogen. Am 1. 3. 2017 wurde ein Kontrollröntgen angefertigt, ob das Implantat passt.
[6] Am 4. 6. 2017 wurden die Implantatköpfe angebracht. Das Zahnfleisch des Klägers wurde im unteren linken Kieferbereich aufgeschnitten und ein Verstoß auf die eingesetzten Implantate geschraubt. Dabei kam es beim Kläger aufgrund der notwendigen Fräsung des Knochens neuerlich zu einem Pfeifen im linken Ohr. In weiterer Folge wurden ihm sämtliche alte Kronen entfernt, 16 Zähne abgeschliffen, Abdrücke gemacht und ein Provisorium angebracht.
[7] Der Kläger litt nach diesen Behandlungen an starken Schmerzen im gesamten Mundbereich, an Schwindel, an einem Tinnitus, an elektrischen Impulsen und an Entzündungen am Zahnfleisch. Obwohl der Kläger die Ärzte der Beklagten auch auf diese Beschwerden hinwies, wurden 2–3 Tage nach den Vorbehandlungen die Metallkronen eingebracht. Der Kläger teilte den Ärzten nach dem Einkleben des Implantats mit, dass das Implantat zu hoch sei und nicht passe.
[8] Am 27. 6. 2017 fand eine Nachbehandlung statt, da sich die Schmerzen im Mund- und Kieferbereich sowie der Tinnitus nach der Behandlung immer noch nicht gebessert hatten. Am 3. 7. 2017 teilten die Ärzte der Beklagten ihm mit, dass die bestehenden Schmerzen von entzündeten Backenzähnen kommen würden und man eine Wurzelbehandlung machen müsse. An diesem Abend wurde ein Zahn wurzelbehandelt, am Tag darauf der zweite. Danach wurde ein 3-D Röntgen erstellt und dem Kläger mitgeteilt, dass beide Zähne entzündet und die Wurzelbehandlung daher notwendig gewesen sei. Zudem seien weitere Zähne entzündet. Auch an diesen müsse daher eine Wurzelbehandlung durchgeführt werden. Tatsächlich wurden fünf Zähne des Klägers ohne korrekte Indikation wurzelbehandelt. Das Auftreten von elektrischen Impulsen beim Kläger nach der Präparation von vitalen Zähnen im Sinne einer postoperativen Hypersensibilität ist ein mögliches, typisches Risiko.
[9] Danach verstärkten sich die Schmerzen an den wurzelbehandelten Zähnen noch weiter. Da zudem auch Entzündungen am Zahnfleisch bestanden, der Tinnitus sich nicht legte und die Kronen bei den Implantaten wackelten, suchte der Kläger im Spätsommer 2017 seinen Ansprechpartner bei der Beklagten in Ö* auf. Dieser meinte, Entzündungen am Zahnfleisch könnten von den Metallkronen stammen. Er empfahl dem Kläger, die bestehenden Metallkronen durch Zirkonkronen auszutauschen.
[10] Am 17. 9. 2017 entfernten die Ärzte der Beklagten die 16 Metallkronen und ersetzten sie durch Zirkonkronen. DerKläger teilte den behandelnden Ärzten zuvor noch mit, er wolle lediglich, dass die wackelnden Kronen bei den Implantaten ersetzt und die anderen Metallkronen nicht ausgetauscht werden. Man sagte ihm, er habe entweder alle Behandlungen durchführen zu lassen oder es würden auch die wackelnden Kronen nicht ausgebessert. Nachdem sich der Kläger dadurch unter Druck gesetzt fühlte, entschied er sich sodann für die Behandlung. Er bezahlte dafür 4.200 EUR. Dieser Austausch kann aus zahnmedizinischer Sicht nicht nachvollzogen werden.
[11] Am Tag darauf wurden wieder Abdrücke angefertigt und weitere Zähne wurzelbehandelt. Der Kläger wies nach der Behandlung darauf hin, dass der Biss nicht passe. Er wurde damit vertröstet, dass noch Klebstoff und Keramik auf die Kronen kämen und es dann schon passen werde. Obwohl der Kläger nach dem Einkleben wiederum auf den mangelnden Biss hinwies, wurden die Kronen durch die Ärzte der Beklagten nicht mehr angepasst.
[12] In weiterer Folge hieß es seitens der Ärzte der Beklagten, dass sie den Kläger weder in Ungarn noch in Ö* länger behandeln würden.
[13] Beim Kläger besteht aufgrund der Passungsfehler ein gravierend falscher Biss mit fehlendem Aufbiss im gesamten Seitenzahnbereich und eine Überlastung der Schneidezahngruppe von Ober- und Unterkiefer. Dies ist ausschließlich auf Behandlungsfehler bei der Bissregistrierung durch die Beklagte zurückzuführen und hätte spätestens bei der Eingliederung der Zirkonkronen auffallen müssen. Neben dem Fehler bei der Bissabnahme war auch das definitive Eingliedern der nicht passenden Arbeit ein grober Behandlungsfehler. Infolge dieser Behandlungsfehler wurde das Auftreten und der Fortbestand von Verspannungen in der gesamten Kaumuskulatur, Kopf- und Nackenmuskulatur in Verbindung mit Schwindel gefördert. Weiters brach der Zahn 11, Ursache dafür war die Belastung der Oberkieferfrontzähne durch den falschen Biss mit fehlendem Aufbiss, ebenfalls entstanden durch die Fehlbehandlung durch die Beklagte. Eine im Zwischenraum der Zähne 16/17 aufgetretene Entzündung ist durch eine ungenügend dichte Auflage der Unterseite des Pontics 16 auf dem Zahnfleisch verursacht, welche sowohl eine bakterielle Besiedelung der Pontic‑Unterseite als auch eine permanente Retention von Speiseresten zur Folge hatte. Auch hier liegt die Ursache in einer ungenauen Abformung und/oder einer fehlerhaften zahntechnischen Gestaltung und einer fehlenden Überprüfung bei Eingliederung der Arbeit durch die Beklagte. Die mangelhafte Passung der Implantatkronen 34 und 36 führte ebenso, wegen für den Patienten nicht zu reinigenden Retentionsnischen, zu einer chronischen Entzündung um die beiden Implantate (Periimplantitis) mit der langfristigen Gefahr des Verlusts der Implantate.
[14] Der Kläger erlitt zusammengefasst durch die mehrfachen Behandlungsfehler der Beklagten einen subjektiven Tinnitus, elektrische Impulse, Schwindel und Entzündungen am Zahnfleisch im Bereich der Implantatschultern bzw Kronenrändern an beiden Implantaten. Die beim Kläger vor allem nach Eingliederung der Versorgung mit Metallkeramikkronen aufgetretenen elektrischen Impulse sindin erster Linie auf das Beschleifen vitaler Zähne zurückzuführen. Sie deuten mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl auf eine postoperative Hypersensibilität als auch auf eine Pulpitis nach Zahnpräparation hin. Das Zurücklassen von intaktem Nervengewebe erklärt die anhaltende Schmerzempfindlichkeit des Klägers auf Kälte. Dabei handelt es sich wiederum um eine Fehlbehandlung anlässlich der Wurzelbehandlung durch die Beklagte.
[15] Für den Zeitraum von 4. 6. 2017 bis zum Einsetzen der Zirkonkronen am 22. 9. 2017 musste der Kläger unter Berücksichtigung des bei ihm aufgrund der Behandlungen durch die Beklagte entstandenen Schwindels und Tinnitus 55 Tage leichte Schmerzen erdulden. Vom 22. 9. 2017 bis zum 24. 6. 2019 litter 320 Tage leichte Schmerzen und vom 25. 6. 2019 bis zum 11. 3. 2020 130 Tage leichte Schmerzen. Dies jeweils komprimiert auf den 24-Stunden-Tag.
[16] Der Kläger bezahlte insgesamt 10.200 EUR an die Beklagte. Aus zahnmedizinischer Sicht sind lediglich die operative Entfernung des Zahnes 16 und der Kieferhöhlenverschluss, zwei Implantate in Region 34 und 36, 2x Panoramaröntgen und CT/DVT Aufnahme sowie CT/DVT Aufnahme und 1x Panoramaröntgen nicht frustriert. Alle übrigen Leistungen sind frustriert.
[17] Nach Beendigung der Behandlungen in Ungarn wandte sich der Kläger aufgrund seiner nach wie vor bestehenden Schmerzen an verschiedene Zahnärzte in V*. Keiner der angefragten Ärzte war dazu bereit, einen Heilkostenplan zu erstellen und den Kläger längerfristig zu behandeln.
[18] Der Kläger wurde schließlich an Dr. W* G* in D* verwiesen. Er erhielt am 19. 12. 2019 einen ersten Termin und steht bei diesem seither in Behandlung. Dr. G* musste aufgrund der durch die Beklagte durchgeführten mangelhaften Wurzelbehandlungen, wodurch diese teilweise beherdet waren, Zähne beim Kläger ziehen. Anlässlich der Extraktionen von vier Zähnen musste der Kläger insgesamt vier Tage mittlere und zwölf Tage leichte Schmerzen erdulden.
[19] Dr. G* führte für eine aufgrund der Fehlbehandlungen durch die Beklagte notwendige zweckentsprechende Heilbehandlung verschiedenste zahnärztliche Leistungen durch, für welche der Kläger bereits 7.828,84 EUR bezahlte. Bei Belassen der von der Beklagten eingegliederten Versorgung ist mit einem Fortbestand der beim Kläger bestehenden Beschwerden, Muskelverspannungen mit Schmerzen und Schwindel, Tinnitus, Entzündungen am Zahnfleisch, Schmerzen am Zahn 26 sowie Fortschreiten einer bereits beginnenden Periimplantitis mit Gefahr des Implantatverlusts und Hinzutreten von strukturellen Veränderungen an den Kiefergelenken mit Schmerzen zu rechnen. Die einzige definitive Möglichkeit zur Behandlung der bestehenden Beschwerden beim Kläger war und ist die komplette Erneuerung der jetzt bestehenden Versorgung. Die Kosten für die hinkünftig notwendige Behandlung beim nunmehrigen Zahnarzt des Klägers belaufen sich auf 44.086,71 EUR. Diese Kosten sind angemessen. Bei Herstellung eines ordnungsgemäßen Bisses durch Fortführung der Behandlung beim jetzigen Zahnarzt sind Spät- und Dauerfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
[20] Wenn der Kläger die Behandlung lege artis in Ö* bzw in D* durch Dr. G* anstelle in Ungarn durchführen hätte lassen, hätte die Gesamtsanierung 20.000 EUR bis 22.000 EUR gekostet.
[21] Der Kläger begehrte mit der am 16. 10. 2018 eingebrachten Klage und nach Klagsausdehnungen die Zahlung von 126.762,55 EUR sA (Schmerzengeld 63.000 EUR, Rückforderung wertloser Zahnarzthonorare 7.930 EUR, frustrierte Fahrt‑ und Behandlungskosten 1.236 EUR, Heilbehandlungskosten 54.596,55 EUR). Er brachte zusammengefasst – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – vor, der Beklagten seien die unsachgemäße Zahnbehandlung sohin ein Behandlungsfehler sowie das Unterlassen der gebotenen ärztlichen Aufklärung und der gebotenen Vorbehandlung vorzuwerfen. Aufgrund der nicht fachgemäß durchgeführten Behandlungen hätten sich beim Kläger im Kieferbereich Entzündungen gebildet, welche bis heute andauernde Schmerzen verursachten. Zudem erleide der Kläger regelmäßige elektrische Impulse und Schwindelanfälle. Auch der seit der Behandlung bestehende Tinnitus habe sich nicht gebessert. Dadurch habe sich auch die Lebensfreude des Klägers wesentlich gemindert und er sei dadurch psychisch beeinträchtigt. Ein Schmerzengeld von 63.000 EUR sei berechtigt. Infolge der unsachgemäßen Behandlung der Zahnärzte der Beklagten habe der Kläger bereits 7.828,84 EUR an Behandlungskosten an seinen Zahnarzt in D* zahlen müssen. Hinkünftig werde er zur vollständigen Behebung seiner Beschwerden einen weiteren Betrag in Höhe von 44.086,71 EUR aufwenden müssen.
[22] Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass zur Beurteilung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche ausschließlich ungarisches materielles Recht zur Anwendung gelange. Der Kläger sei sach‑ und fachgerecht behandelt worden. Den behandelnden Zahnärzten seien keinerlei Versäumnisse oder Kunstfehler anzulasten. Der Kläger sei auch über das Behandlungsrisiko, insbesondere bezüglich eines Tinnitus und Schwindels sowie alternativer Behandlungsmöglichkeiten sowohl schriftlich als auch mündlich aufgeklärt worden. Ihm sei ein Mitverschulden (eine Verletzung der ihn treffenden Schadensminderungspflicht) anzulasten, da er es verabsäumt habe, nach der Behandlung in Ungarn frühzeitig zahnärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bei Inanspruchnahme rechtzeitiger ärztlicher Hilfe hätte der Kläger keinerlei Schmerzen zu erleiden gehabt. Das begehrte Schmerzengeld sei überhöht, da (selbst) bei Ausmittlung eines Schmerzengeldes nach österreichischem Recht auf gleichgelagerte Verletzungen bzw Beeinträchtigungen Rücksicht zu nehmen sei. Die vom Kläger geltend gemachten Kosten für die Neuanfertigung seiner Zähne stellten Sowieso‑Kosten dar. Er sei daher zur Geltendmachung dieser Schadensposition nicht berechtigt.
[23] Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von 116.582,55 EUR sA zu. Das Mehrbegehren von 10.200 EUR wurde abgewiesen. In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zur Anwendung österreichischen materiellen Rechts. Die zahnärztliche Behandlung durch die Beklagte sei nicht lege artis durchgeführt worden. Das behauptete „Mitverschulden“ (die behauptete Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Kläger) sei zu verneinen. Der Kläger habe nach der Behandlung durch die Beklagte zunächst weder in der Ordination der Beklagten in Ungarn noch von Zahnärzten in Ö* behandelt werden können, obwohl er sich darum bemüht habe. Alle aus der unsachgemäßen Zahnbehandlung der Beklagten resultierenden und festgestellten Schmerzen würden den Zuspruch des begehrten Schmerzengeldes von 63.000 EUR rechtfertigen. Dem Kläger seien auch die von ihm geltend gemachten und bereits bezahlten Behandlungskosten sowie das Deckungskapital für die künftigen Behandlungskosten bei Dr. G* in Höhe von 44.086,71 EUR zu ersetzen. Von diesen Heilbehandlungskosten seien jedoch – über Einwendung der Beklagten – Sowieso‑Kosten abzuziehen, nämlich solche Kosten, die im Zuge der Zahnsanierung anfallen, die aber die Herstellung eines mangelfreien Werks von vorne herein erfordert hätte. In Ungarn habe die gesamte Behandlung des Klägers nach den getroffenen Feststellungen lediglich 10.200 EUR gekostet. Im gegebenen Fall sei dieser Betrag als Sowieso‑Kosten abzuziehen, da dieser Aufwand dem Kläger selbst bei einer lege-artis-Behandlung in Ungarn entstanden wäre.
[24] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von 82.144,55 EUR sA verpflichtete, und das Zahlungsbegehren von 44.618 EUR abwies. Die vom Erstgericht erfolgte Ausmittlung des dem Kläger zustehenden Schmerzengeldes mit 63.000 EUR sei bei weitem überhöht und unangemessen. In Anbetracht des anzulegenden objektiven Maßstabs und unter Berücksichtigung von Schmerzengeldzusprüchen in vergleichbaren Fällen sowie unter Bedachtnahme, dass die Beklagte dem Kläger ohnedies ein Schmerzengeld von 35.000 EUR als angemessen zugestehe, erachtete das Berufungsgericht ein Schmerzengeld in Höhe von 40.000 EUR als angemessen. Das Erstgericht habe festgestellt, dass für die Gesamtsanierung der Zähne des Klägers bei einer fachgerechten Behandlung in Ö* oder D* (statt in Ungarn) ein Betrag von 20.000 EUR bis 22.000 EUR aufgewendet hätte werden müssen. Von jenen Kosten die der Kläger für die Durchführung der Behandlung in D* aufwenden müsse, sei jener Betrag an Sowieso‑Kosten abzuziehen, der ihm zur Herstellung eines mangelfreien Werks (einer mangelfreien Zahnversorgung) in Ö* oder D* jedenfalls angefallen wäre, da der Kläger diese Zahnsanierung in D* und gerade nicht in Ungarn in Anspruch nehme. Daher sei der Mittelwert zwischen 20.000 EUR bis 22.000 EUR, sohin 21.000 EUR als Sowieso‑Kosten abzuziehen.
[25] Gegen die Klagsabweisung im Umfang von 44.000 EUR (23.000 EUR Schmerzengeld, 21.000 EUR an weiteren Kosten der Heilbehandlung) wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[26] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[27] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.
[28] 1. Die vom Erstgericht bejahte Anwendung materiellen österreichischen Rechts war bereits im Berufungsverfahren nicht mehr strittig.
[29] 2. Der Vertrag zwischen einem Patienten und einem Zahnarzt ist zunächst wie jeder Arztvertrag ein sogenannter „freier“ Dienstvertrag. Wenn aber der Zahnarzt mit der Vornahme bestimmter zahnprothetischer Arbeiten beauftragt wird, treten zum Dienstvertrag auch Elemente eines Werkvertrags hinzu. Es ist daher gerechtfertigt, auf die Tätigkeit des Zahnarztes zum Beispiel das Gewährleistungsrecht des Werkvertrags nach § 1167 ABGB oder die Bestimmungen über die Warnpflicht nach § 1168a ABGB anzuwenden (RS0021759). Gegenstand des vorliegenden zahnärztlichen Behandlungsvertrags war das Ziehen des Zahns Nummer 16 sowie das Einsetzen zweier Implantate und 16 Metallkronen. Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, dass der vorliegende zahnärztliche Behandlungsvertrag als gemischter Vertrag, der auch Elemente des Werkvertrags enthält, zu beurteilen ist (vgl RS0021338).
[30] 3.1 Das Problem des etwaigen Ersatzes der Sowieso‑Kosten stellt sich dort, wo ein Werk einen bestimmten Erfolg aufweisen soll, dieser Erfolg aber mit den im Vertrag vorgesehenen qualitativ und/oder quantitativ einzusetzenden Mitteln nicht erreicht werden kann (2 Ob 152/03x, 1 Ob 132/15s, 9 ObA 129/15h, 10 Ob 48/19k; RS0117792, RS0115106, Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 932 Rz 655 ff).
[31] 3.2 Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage des Ersatzes der Sowieso-Kosten schon aus dem Grund nicht, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Herstellung des Zahnersatzes des Klägers durch die qualitativ und quantitativ vorgesehenen und auch eingesetzten Mittel der Beklagten nicht erreichbar gewesen wäre.
[32] 3.3.1 Vielmehr steht im vorliegenden Fall fest, dass den Ärzten der Beklagten mehrfach Behandlungsfehler unterlaufen sind, die zu massiven Beschwerden des Klägers (Tinnitus, Verspannungen, Schwindel, Entzündungen am Zahnfleisch, elektrische Impulse) führten, deren Behandlung eine komplette Erneuerung der bestehenden Versorgung erfordert. Die künftig noch notwendige Behandlung ist mit (weiteren) angemessenen Kosten von 44.086,71 EUR verbunden. Der Kläger macht damit nicht die Kosten zur Erreichung des Vertragszwecks, also jene einer fehlerfreien Gebisssanierung geltend, sondern solche Kosten, die für die Beseitigung der durch die Behandlungsfehler verursachten gesundheitlichen Beschwerden erforderlich sind. Er begehrt damit den Ersatz künftig fällig werdender Heilbehandlungskosten, die vom Geschädigten, der – wie hier – die Heilbehandlung ernstlich beabsichtigt vorschussweise gefordert werden können (RS0108906).
[33] 3.3.2 Zu den Heilungskosten gehört jeder Aufwand, der zur gänzlichen oder teilweisen Heilung des durch die Verletzung hervorgerufenen Zustands erforderlich ist. Zu ersetzen ist der zweckmäßig gemachte Aufwand (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 VI § 1325 Rz 6 mwN). Der Frage nach Sowieso-Kosten kommt in diesem Zusammenhang keine Relevanz zu.
[34] 3.3.3 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Geschädigte entsprechend der sich aus § 1304 ABGB ergebenden Schadensminderungspflicht verhalten, seinen Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein konkretes (jedoch unterlassenes) Verhalten zugemutet werden kann (RS0109225). Die Behauptungs‑ und Beweislast für eine solche Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Geschädigten trifft den beklagten Schädiger (RS0027129).
[35] Die Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Heilbehandlung und die Angemessenheit der damit verbundenen Kosten steht fest. Dass der Kläger diese Heilbehandlung anderswo günstiger erhalten hätte können, wurde von der Beklagten nicht dargelegt.
[36] 3.4 Damit ist der Revision des Klägers insoweit Folge zu geben, als ihm der Betrag von 21.000 EUR für die weitere Heilbehandlung zuzusprechen war. Ein Eingehen auf die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erübrigt sich daher.
[37] 4.1 Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen, hier der Beeinträchtigung aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlungen, und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Gesundheitszustands abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (RS0031040, RS0031307). Dabei ist zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RS0031075). Das Schmerzengeld ist nicht nach starren Regeln zu bemessen (RS0125618); bei den festgestellten Schmerzperioden handelt es sich um keine Berechnungsmethode. Die Schmerzperioden dienen nur zur Orientierung als Bemessungshilfe (8 Ob 98/20z).
[38] 4.2 Die Behandlungsfehler der Ärzte der Beklagten führten beim Kläger zum Auftreten und Fortbestand von Verspannungen in der gesamten Kau‑, Kopf‑ und Nackenmuskulatur mit Schwindel, zum Auftreten eines Tinnitus, Entzündungen am Zahnfleisch und elektrischen Impulsen. Er litt bis 11. 3. 2020 an 505 Tagen leichte Schmerzen. Weiters mussten dem Kläger im Zuge der Heilbehandlung vier Zähne gezogen werden, was mit vier Tagen mittleren und 12 Tagen leichten Schmerzen verbunden war. Nach Beendigung der Behandlung sind Spät‑ und Dauerfolgen auszuschließen.
[39] 4.3 Zu 2 Ob 120/01p erlitt der Geschädigte eine muskuläre Schleuderverletzung der Nacken‑ und Schulterbereiche (bei leicht vorgeschädigter HWS), hiedurch ausgelöst eine zunehmende (zeitlich um 5 bis 10 Jahre vorverlegte) Beschwerdesymptomatik im (ebenfalls degenerativ vorgeschädigten) Kiefergelenk mit Einschränkungen der maximalen Schneidekantendistanz auf 32 mm, später 25 mm samt ständiger Schmerzhaftigkeit, er benötigte regelmäßig Schmerz‑ und Schlafmittel und litt an Wetterfühligkeit. Er litt drei mittelstarke, 10 Tage leichte Schmerzen, weiters für 1995 sechs Tage, 1996 18 Tage, 1997 33 Tage, 1998 39 Tage, 1999 46 Tage und 2000 54 Tage leichte Schmerzen für die Mundöffnungseinschränkung; für die Zukunft werden 54 Tage leichte Schmerzen pro Jahr erwartet. Er erhielt ein Schmerzengeld von 23.255 EUR (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Das Schmerzengeld [online]: 38.812,60 EUR) zugesprochen.
[40] Die Entscheidung 2 Ob 154/03s betraf einen Geschädigten, der eine Gehirnerschütterung, Rissquetschwunden an der rechten Wange, am Kinn und am rechten Unterschenkel, eine Thoraxverletzung mit Hämatopneumothorax rechts, ein stumpfes Bauchtrauma mit Leberruptur und multiplen Serosa-Rissen (samt Verwachsungen im Bereich des Abdomens mit rezidivierenden Subileusbeschwerden samt weiteren Operationsnotwendigkeiten), einen proximalen Oberschenkelbruch rechts, eine Luxationsfraktur des rechten Hüftgelenks (mit massiver Verknöcherung und Streckhemmung, Implantation einer Hüftprothese im Laufe der nächsten Jahrzehnte erforderlich), eine Zerreissung der Symphyse und des rechten Kreuz-Darmbeingelenks, Prellungen und Hautabschürfungen am rechten Kniegelenk, und eine besondere psychische Belastung wegen eingeschränkter Bewegungsfreiheit und damit verbundener Einschränkung bei der Betreuung und Obsorgepflicht für den spastischen Sohn erlitt. Er litt bis 12. 4. 1992 15 Tage starke, 48 Tage mittelstarke, 23 Wochen leichte Schmerzen, ab 1. 1. 1996 drei bis vier Tage mittelstarke und ca zwei bis drei Wochen leichte Schmerzen pro Jahr, seit 1. 1. 2001 für weitere zehn Jahre vier Tage mittelstarke und drei Wochen leichte Schmerzen pro Jahr. Er erhielt ein Schmerzengeld von 28.000 EUR (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Das Schmerzengeld [online]: 46.200 EUR) zugesprochen.
[41] Zu 2 Ob 241/05p erlitt der Geschädigte einen offenen Oberarmschaftbruch, einen offenen Verrenkungsbruch des linken Ellbogengelenks (mit Defektbruch des radialen unteren Oberarmendes, Weichteildefekt und knöcherner Kapselbandverletzung), einen offenen Bruch des körpernahen Ellenendes (mit Verrenkung des Speichenköpfchens, Monteggia‑Verletzung), einen Speichenschaftsbruch mit Abbruch des Griffelfortsatzes der Elle am Handgelenk, einen Bruch des vierten und fünften Mittelhandknochens und eine inkomplette passagere Radialisparese. Er litt bis 22. 6. 2004 28 Tage starke, 88 Tage mittelstarke und 217 Tage leichte Schmerzen. Für die Zukunft werden zwei Tage mittelstarke und zehn Tage leichte Schmerzen pro Jahr erwartet. Er erhielt ein Schmerzengeld von 30.000 EUR (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Das Schmerzengeld [online]: 47.040 EUR) zugesprochen.
[42] 9 Ob 97/09v betraf einen Fall, in dem die Geschädigte eine proximale Unterschenkelfraktur (Schienbeinkopfbruch) rechts mit Kniegelenksbeteiligung erlitt und mehrere Operationen durchführen lassen musste. Sie benötigte 17 Tage Krankenhausaufenthalt, hatte eine Bewegungseinschränkung am rechten Knie (wodurch die Lebensführung und Sportausübung beeinträchtigt wurden), eine ausgeprägte Operationsnarbe und leichte Schmerzen als Dauerfolge. Komprimiert erlitt sie zwei Tage schwere, 10 bis 12 Tage mittelstarke und auf Dauer 30 Minuten pro Tag leichte Schmerzen. Hier wurde ein Schmerzengeldbetrag von 31.000 EUR (Betrag valorisiert gemäß Verbraucherpreisindex nach Danzl, Das Schmerzengeld [online]: 43.900 EUR) zugesprochen.
4.4 Bisherigen Fällen mit Zusprüchen in der vom Kläger geltend gemachten Höhe lagen damit regelmäßig wesentlich umfangreichere und gravierendere Verletzungen mit deutlich schwereren Verletzungsfolgen, schwere Brüche und damit einhergehende weitere Verletzungen mit bleibenden Dauerfolgen und/oder dauernden Bewegungseinschränkungen zugrunde. Mit diesen Zusprüchen ist das hier verursachte Schmerzgeschehen samt allen Heilungsfolgen bei weitem nicht vergleichbar. Der Kläger hat im Vergleich zu all diesen Fällen weitaus geringere körperliche Beeinträchtigungen erfahren und es verbleiben keine Dauerfolgen. Dass das Berufungsgericht davon ausgehend kein 40.000 EUR übersteigendes Schmerzengeld ermittelte, ist nicht zu beanstanden.
[43] 5. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet auf die §§ 50, 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger obsiegte mit ungefähr 50 %, sodass die Kosten gegeneinander aufzuheben sind. Er erhält jedoch die Barauslagen im Ausmaß seines tatsächlichen Obsiegens ersetzt.
[44] Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein lang andauerndes, umfangreiches Verfahren mit Klagseinschränkungen und Klagsausdehnungen sowie umfangreichen Einwendungen jeweils gegen das Kostenverzeichnis der Gegenseite. In einem derartigen Fall kann der Oberste Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO die Kostenentscheidung beider Instanzen aufheben und dem Erstgericht eine neuerliche Kostenentscheidung auftragen (RS0124588 [T13]; 1 Ob 66/22w).
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