OGH 2Ob241/05p

OGH2Ob241/05p1.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmuth F*****, vertreten durch Dr. Egon Duschek, Rechtsanwalt in Knittelfeld, gegen die beklagte Partei I***** AG, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Folk und Dr. Gert Folk, Rechtsanwälte in Kapfenberg, wegen EUR 106.050,75 sA und Feststellung (Streitwert EUR 726,73), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 23. August 2005, GZ 5 R 105/05w-60, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 18. April 2005, GZ 4 Cg 180/00b-56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Ausspruch über das Leistungsbegehren dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 36.050,75 samt 4 % Zinsen seit 27. 2. 1998 zu bezahlen und die mit (EUR 18.377,79 darin enthalten EUR 2.259,03 USt und EUR 5.120,05 Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Soweit sich die Revision gegen das Feststellungsbegehren richtet, wird ihr nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.946,34 (darin enthalten EUR 346,64 USt und EUR 2.866,50 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 5.318,75 (darin enthalten EUR 249,41 USt und EUR 3.822,30 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13. 11. 1997 ereignete sich gegen 22.40 Uhr auf der Landesstraße L 503 im Gemeindegebiet Spielberg ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW und ein bei der beklagten Partei haftpflichtversicherter LKW-Zug beteiligt waren. Die Landesstraße verläuft im Wesentlichen in Ost-West-Richtung und beschreibt im Unfallbereich eine langgezogene Kurve. Sie ist 6,2 m breit; die Fahrbahn ist durch eine Leitlinie in zwei Fahrstreifen mit einer Breite von jeweils 3,1 m geteilt. Im weiteren Unfallbereich - die Unfallstelle liegt im Ortsgebiet - war die Landesstraße durch Peitschenleuchten künstlich beleuchtet.

Der LKW-Zug befuhr eine für ihn langgezogene Linkskurve mit einer Geschwindigkeit von 57 km/h und geriet im Unfallsbereich über die Leitlinie. Der entgegenkommende Kläger lenkte seinen PKW an den für ihn rechten Fahrbahnrand und von dort wieder zurück in die Mitte seines Fahrstreifens. In der Folge kam es zu einer streifenden Kollision zwischen der linken Flanke des Pkw des Klägers und der linken Flanke des Anhängers des LKW-Zuges; die Kollisionsstelle lag 0,5 m innerhalb des Fahrstreifens des Klägers. Im Kollisionszeitpunkt betrug der Abstand zwischen der rechten Flanke des Fahrzeuges des Klägers und dem rechten Fahrbahnrand etwa 0,5 m, während sich die rechte Flanke des Anhängers des LKW-Zuges etwa 1 m vom südlichen Fahrbahnrand entfernt befand. Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen seines linken Armes.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei letztlich die Zahlung von EUR 106.050,75 (Ausdehnung in der Streitverhandlung vom 5. 10. 2004) und verband damit ein Feststellungsbegehren. Den Lenker des Beklagtenfahrzeuges treffe das Alleinverschulden, weil er eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und über die Fahrbahnmitte gefahren sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er in Annäherung an die Unfallstelle sein Fahrzeuges zunächst über den rechten Fahrbahnrand hinaus auf das rechte Bankett und in der Folge nach links über die Fahrbahnmitte gelenkt habe.

Das Erstgericht gab ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Unfallshergang dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf noch folgende - zusammengefasste - Feststellungen über die Verletzungen des Klägers. Der Kläger erlitt einen offenen Oberarmschaftbruch, einen offenen Verrenkungsbruch des linken Ellbogengelenkes mit Defektbruch des radialen unteren Oberarmendes mit Weichteildefekt und knöcherner Kapselbandverletzung, einen offenen Bruch des körpernahen Ellenendes mit Verrenkung des Speichenköpfchens, einen Speichenschaftsbruch mit Abbruch des Griffelfortsatzes der Elle am Handgelenk, einen Bruch des vierten und fünften Mittelhandknochens sowie eine inkomplette passagere Radialisparese. Er befand sich in der Zeit zwischen dem 14. 11. 1997 und dem 2. 6. 1998 insgesamt fünfmal für eine jeweilige Dauer zwischen 8 und 14 Tagen stationär im Krankenhaus, wobei anlässlich derartiger Aufenthalte jeweils eine Operation mit Spongiosaplastik vorgenommen wurde. Weiters musste er zwei jeweils 14-tägige Rehabilitationsaufenthalte absolvieren. Er wurde auch noch dreimal - zuletzt im Februar 2002 auf Grund einer sturzbedingten Refraktur der linken Elle - für jeweils drei bzw vier Tage stationär im Krankenhaus aufgenommen. In der Zeit zwischen dem 15. 6. und dem 22. 6. 2004 wurde ihm anlässlich eines stationären Krankenhausaufenthaltes eine Platte entfernt. Bis zum 17. 2. 2004 hatte er komprimiert auf den 24-Stunden-Tag 28 Tage starke Schmerzen, 87 Tage mittelstarke und 209 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Auf Grund der operativen Entfernung der Platte im Juni 2004 litt der Kläger einen Tag an starken Schmerzen, drei Tage an mittelstarken und 12 Tage an leichten Schmerzen, wobei diese Schmerzen zu 25 % durch die beim Verkehrsunfall vom 13. 11. 1997 erlittenen Verletzungen verursacht wurden. Ab 17. 2. 2004 wird der Kläger bis zum Lebensende bei normalem Verlauf ohne Komplikationen und ohne weiterer Operationen pro Jahr zwei Tage mittelstarke und und zehn Tage leichte Schmerzen erleiden; seine mittlere Lebenserwartung beträgt 79 Jahre.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe den Versicherungsnehmer der Beklagten. Ein Mitverschulden des Klägers sei zu verneinen, weil sich der Unfall zur Gänze auf dessen Fahrstreifen ereignet habe. Das Schmerzengeld in Höhe von EUR 100.000 sei angemessen.

Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es bejahte ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen zum Unfallshergang die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, den Lenker des LKW-Zuges treffe das Alleinverschulden. Der Kläger habe sich zum Unfallszeitpunkt zur Gänze auf seinem Fahrstreifen befunden, weshalb es ohne Bedeutung sei, welchen Abstand er zum rechten Fahrbahnrand eingehalten habe. Ihm könne ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 7 Abs 2 StVO nicht angelastet werden.

Es erachtete auch im Hinblick auf die Verletzungen des Klägers in Verbindung mit den vielfachen stationären Krankenhausaufenthalt mit den Operationen und dem langwierigen Heilungsaufenthalt das zugesprochene Schmerzengeld von EUR 100.000,-- für angemessen.

In der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird geltend gemacht, dass Schmerzengeld sei überhöht. Die Nichteinhaltung einer äußerst rechten Fahrlinie durch den Kläger begründe dessen Mitverschulden von einem Viertel.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zum Schmerzengeld:

Rechtliche Beurteilung

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzung und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzten, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld nach freier Überzeugung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, dass der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8, 64 und 170 je mit mwN; RIS-Justiz RS0031307). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen und darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung nicht gesprengt werden (ZVR 2004/43 mwN), auch wenn es geboten erscheint, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen. Berücksichtigt man allerdings die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in den Fällen, in denen Schmerzengeld von etwa EUR 100.000,-- zugesprochen wurde (vgl ZVR 2004/37 bzw Danzl aaO S 2 78) bzw für die festgestellten Verletzungen des Klägers zugesprochen wurde, dann erscheint ein Betrag von EUR 30.000,-- angemessen, um alles Unbill, das der Kläger erduldet hat bzw noch erdulden wird, abzugelten.

Zur Verschuldensteilung:

Die Vorinstanzen haben zutreffend ein Mitverschulden des Klägers, das in der Einhaltung eines zu großen Seitenabstandes nach rechts erblickt wurde, verneint. Die Kollision ereignete sich zur Gänze auf dem von Kläger benützten Fahrstreifen. Ein Seitenabstand von einem halben Meter zum rechten Fahrbahnrand kann ein Verschulden des Klägers nicht begründen.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und das Schmerzengeld mit EUR 30.000,-- auszumitteln.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 143 Abs 1 und 2, 50 ZPO.

Der Kläger hat im ersten Verfahrensabschnitt Schmerzengeld von EUR 39.243,33 begehrt. Er ist mit dem Betrag von EUR 30.000,-- durchgedrungen und hat daher gemäß § 43 Abs 2 ZPO Anspruch auf Ersatz seiner gesamten Kosten auf Basis des ersiegten Betrages.

Im letzten Verfahrensabschnitt (Ausdehnung in der letzten Stunde der mündlichen Streitverhandlung vom 5. 10. 04) ist der Kläger nur mehr mit rund einem Drittel seines Begehrens durchgedrungen und hat daher nur Anspruch auf ein Drittel seiner Barauslagen aber der Beklagten ein Drittel ihrer Kosten zu ersetzen.

Im Berufungsverfahren ist die beklagte Partei mit ihrer Berufung zu etwa 9/10 durchgedrungen und hat daher Anspruch auf Ersatz von 9/10 ihrer Barauslagen und 8/10 ihrer Kosten. Dieses Obsiegen der beklagten Partei gilt ebenfalls für das Revisionsverfahrens.

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