European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133463
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit jeweils 367,10 EUR (darin 61,18 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[2] Die Vorinstanzen gaben den auf Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts ob des im Miteigentum der Beklagten stehenden Grundstücks gerichteten Begehren der Klägerinnen als jeweilige Eigentümerinnen der herrschenden Grundstücke statt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil Judikatur zur Frage fehle, ob die Miteigentümer des dienenden Grundstücks und ein Berechtigter aus einem verbücherten Belastungs- und Veräußerungsverbot eine einheitliche Streitpartei bilden.
[3] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel aufgezeigt:
[4] 1.1 Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der hier zu beurteilenden Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0102181; RS0110702; RS0107773). Das gilt insbesondere dann, wenn der Streitfall – wie hier – bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und gelöst wurde (RS0042742 [T13]).
[5] 1.2 Eine einheitliche Streitpartei (notwendige Streitgenossenschaft) liegt vor, wenn die Gemeinschaftlichkeit der Rechtstatsachen zwangsläufig – nämlich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses („anspruchsgebunden“) oder kraft gesetzlicher Vorschrift („wirkungsgebunden“) – zu einer Einheitlichkeit der Entscheidung führen muss (RS0035496). Eine einheitliche Streitpartei ist jedenfalls anzunehmen, wenn für sämtliche Streitgenossen aus der Einheitlichkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts ein allen Streitgenossen gemeinsames Begehren abgeleitet wird oder wenn das allen Streitgenossen gemeinschaftliche Rechtsverhältnis seiner Natur nach nur gegen alle oder für alle einheitlich festgestellt oder gestaltet werden kann (RS0035409). Das ist aber nicht der Fall, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit für eine in jedem Fall einheitliche Entscheidung besteht (2 Ob 40/20a; 4 Ob 196/11v). Die Frage, ob eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, ist nach dem materiellen Recht zu entscheiden und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (2 Ob 40/20a; RS0035479 [T18]; RS0035468 [T7]; RS0035496 [T13]).
[6] 1.3 Das nach § 364c ABGB eingetragene Veräußerungsverbot wirkt nur als Hindernis gegen eine grundbücherliche Durchführung einer verbotswidrigen Verfügung, während die obligatorische Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts davon unberührt bleibt (RS0010739 [T2]; RS0010751). Das Veräußerungsverbot macht aber das Verpflichtungsgeschäft nicht ungültig, weshalb trotz des Verbots auf Zuhaltung des Vertrags geklagt werden kann (5 Ob 203/18s; 3 Ob 2094/96d; 10 Ob 1534/95; RS0010751 [T4]). Das zunächst verbotswidrige Geschäft kann aber nach Erlöschen des Verbots (auch gegenüber den Rechtsnachfolgern) grundsätzlich bücherlich durchgeführt werden (5 Ob 42/89; vgl auch 5 Ob 51/88; 5 Ob 55/05g [ErwGr I.2]). Da der Anspruch auf Vertragszuhaltung gegen den Verbotsberechtigten gar nicht geltend gemacht werden kann, stellt sich das Problem der einheitlichen Streitpartei nicht (10 Ob 1534/95). Auch bei bücherlich angemerkter Nacherbschaft wurde die Rechtsansicht gebilligt, dass im Falle der Klage des Liegenschaftskäufers gegen den Vorerben auf Einwilligung in die Einverleibung seines Eigentumsrechts keine notwendige Streitgenossenschaft des Vor- und Nacherben vorliegt (2 Ob 40/20a).
[7] 1.4 Die Kläger begehren die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts ob des Grundstücks der Beklagten aufgrund eines zwischen der Einzelrechtsvorgängerin der Beklagten als Eigentümerin des dienenden Grundstücks und den Klägerinnen bestehenden Dienstbarkeitsbestellungsvertrags. Somit soll die Frage geklärt werden, ob die Beklagten zur Zustimmung zur Einverleibung verpflichtet sind, nicht aber, ob nach Zustimmung der Beklagten wegen des auf dem Miteigentumsanteil des Zweitbeklagten angemerkten Belastungs- und Veräußerungsverbotsseines Vaters (und Ehemanns der Erstbeklagten) ein (weiteres) Eintragungshindernis besteht oder nicht.
[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass hinsichtlich der beklagten Miteigentümer der dienenden Liegenschaft und des Verbotsberechtigten keine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, findet Deckung in der erörterten Rechtsprechung.
[9] 2.1 Die materiellen Rechtskraftwirkungen erstrecken sich nach ständiger Rechtsprechung auch auf den Einzelrechtsnachfolger. Dies ist eine Funktion des Rechtsübergangs an sich und bedarf keines weiteren konstitutiven Akts. Soweit die Rechtskraft eines Urteils unmittelbar für und gegen die Rechtsnachfolger der Prozessparteien wirkt, ist damit auch die mangelnde Identität zwischen den Parteien und ihren Sukzessoren aufgehoben (RS0111150). Diese Rechtsfolge setzt nicht voraus, dass der Einzelrechtsnachfolger im Vorprozess rechtliches Gehör fand (vgl 1 Ob 256/98y).
[10] 2.2 Aufgrund der sich aus einer rechtskräftigen Vorentscheidung ergebenden Präklusionswirkung als Teil der Bindungswirkung eines Urteils ist die Berufung auf Tatsachen, die bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorprozess schon existent und der verfahrensmäßigen Erledigung zugänglich waren, im Folgeprozess ausgeschlossen (RS0041321). Diese Rechtskraftwirkung bestehtlediglichinsoweitnicht, als beim weiteren Anspruch zu den in der ersten Klage vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten. Dies trifft aber (nur) auf solche Tatsachen zu, die im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Vorverfahrens noch nicht vorhanden und keiner verfahrensmäßigen Erledigung zugänglich waren (1 Ob 37/18z; 7 Ob 116/11a). Diese Grundsätze werden bei Liegenschaften dahin eingeschränkt, dass der im Vertrauen auf den Grundbuchstand gutgläubige Erwerber von der Rechtskraft eines gegen den Vormann ergangenen Urteils nicht erfasst wird (vgl 6 Ob 2238/96b; RS0000306 [T7]).
[11] 2.3 In einem Vorprozess wurde im Jahr 2013 rechtskräftig entschieden, dass die Einzelrechtsvorgängerin der Beklagten als Eigentümerin des dienenden Grundstücks gegenüber den Klägerinnen schuldig ist, aufgrund eines zwischen ihr und den Klägerinnen bestehenden Dienstbarkeitsbestellungsvertrags in die bücherliche Einverleibung des auch im vorliegenden Verfahren prozessgegenständlichen Geh- und Fahrrechts einzuwilligen. Dies war den Beklagten vor dem danach erfolgten Erwerb der Liegenschaft bekannt.
[12] Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Bindungswirkung dieser Entscheidung schließe eine neuerliche Prüfung des im Vorprozess rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus, sodass schon deshalb auch die den Zeitraum davor betreffende Verjährungseinrede nicht greife, entspricht der dargelegten Judikatur.
[13] 3. Die unter 1.2 f erörterten Rechtsgrundsätze gelten auch für den Vorprozess, an dem die nunmehrige Erstbeklagte, zu deren Gunsten damals ein (anderes, mittlerweile gelöschtes) bücherliches Belastungs- und Veräußerungsverbot hinsichtlich desdienenden Grundstücks bestand, nicht beteiligt war. Im Übrigen kommt dem Verbotsberechtigten nach der Rechtsprechung bei der Erlangung seiner bücherlichen Rechtsposition gemäß § 364c ABGB kein Schutz seines Vertrauens auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Grundbuchs zu (RS0126487). Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten könnten sich insoweit nicht auf dieses „alte“ Belastungs- und Veräußerungsverbot berufen, bedarf daher keiner Korrektur.
[14] 4.1 Eine Dienstbarkeit kann nur bestehen, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist (RS0011582). Sie besteht, solange sie noch etwas zur vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks beizutragen vermag; nur die völlige Zwecklosigkeit oder dauernde Unmöglichkeit der Ausübung lässt die Dienstbarkeit enden (RS0011589 [T3]). An das Utilitätserfordernis wird dabei kein strenger Maßstab angelegt (RS0011589 [T5]; RS0011593). Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts (RS0011701), wie etwa Vorteile einer bestimmten Bebauung (vgl RS0011589 [T5]). Eine Wegedienstbarkeit erlischt grundsätzlich nicht allein deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund auf einem anderen Weg erreichen kann (vgl RS0011574). Der Zweck einer Wegeservitut kann aber dann wegfallen, wenn eine vom Servitutsweg verschiedene Zugangsmöglichkeit einen vollwertigen (gleichwertigen) Ersatz für diesen bietet (1 Ob 107/17t; RS0011582 [T5]; RS0011699). Ob ein gleichwertiger Ersatz vorliegt oder nicht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0011582 [T13]).
[15] 4.2 Von dieser Judikatur ausgehend erweist sich die Annahme der Vorinstanzen, dass die Dienstbarkeit nach wie vor einen Nutzen habe, nicht als korrekturbedürftig, zumal das Erstgericht festgestellt hat, dass eine Zufahrt über den gegenständlichen Weg eine vorteilhaftere Situierung von Gebäuden und Ausnützung der Grundstücke der Klägerinnen erlaubt als bei Zufahrt über das öffentliche Wegenetz. Da der Servitutsweg (nur) in der Hälfte der Breite (auch) über Grundstücke verläuft, gegenüber deren Eigentümern den Klägerinnen derzeit weder ein obligatorisches noch ein dingliches Wegerecht zukommt, liegt in der Auffassung des Berufungsgerichts, es sei nicht von einer Unmöglichkeit der Dienstbarkeitsausübung auszugehen, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[16] 5. Da somit Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist die Revision zurückzuweisen.
[17] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagenden Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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