European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132123
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Den außerordentlichen Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens dritter Instanz bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Begründung:
[1] Die Antragsgegnerin war Hauptgesellschafterin iSd § 1 Abs 2 GesAusG der am 31. 12. 2015 aus dem Firmenbuch gelöschten B* AG (künftig: Gesellschaft). Am 5. 10. 2015 wurde der geplante Ausschluss der übrigen Aktionäre der Gesellschaft öffentlich bekannt gegeben. Am 20. 11. 2015 beschloss die Hauptversammlung der Gesellschaft auf Verlangen der Antragsgegnerin den Ausschluss der übrigen Aktionäre gemäß §§ 1 ff GesAusG. Die Barabfindung je Aktie wurde durch den gemeinsamen Bericht des Vorstands der Gesellschaft und der Antragsgegnerin mit 5,80 EUR festgelegt. Der Gesellschafterausschluss wurde am 23. 12. 2015 im Firmenbuch eingetragen.
[2] Insgesamt 20 Minderheitsaktionäre stellten Anträge auf Überprüfung der Barabfindung (die Zählweise im Kopf der Entscheidung folgt der Bezeichnung durch die Vorinstanzen), die darauf abzielten, das Gericht möge eine höhere als die gewährte Barabfindung als angemessen festsetzen.
[3] Die Antragsgegnerin betrachtet die gewährte Barabfindung von 5,80 EUR als angemessen.
[4] Das Erstgericht ordnete mit Beschluss vom 23. 6. 2016 die Einholung eines Gutachtens des Gremiums zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses zur Überprüfung der angebotenen Barabfindung gemäß § 225g AktG an. Dieses holte ein Gutachten eines Sachverständigen ein und legte seinerseits ein Gutachten vor.
[5] Das Erstgericht stellte fest, die Gesellschaft habe die Funktion einer Holdinggesellschaft ausgeübt, der die Leitung einer international tätigen Unternehmensgruppe zugekommen sei. Die im Streubesitz notierten Aktien hätten zum Bewertungsstichtag (20. 11. 2015) im amtlichen Handel der Börse München notiert. Zum Bewertungsstichtag sei ein erheblicher Anteil des Konzernvermögens auf Finanzvermögen entfallen. Der wesentlichste Vermögenswert sei eine Beteiligung der Gesellschaft an einer deutschen börsennotierten Aktiengesellschaft, der A* AG (künftig: Beteiligungsgesellschaft) im Umfang von 11,58 % der ausgegebenen Anteile gewesen. Für die Ermittlung des Einflusses dieser Beteiligung auf den Wert der Gesellschaft sei zu beachten, dass die Annahme der Veräußerung der Beteiligung über die Börse problematisch sei, weil sie wegen der Größe des Aktienpakets und der geringen Liquidität der Aktie zu erheblichen negativen Kursbeeinflussungen führen würde. Es werde daher zunächst festgestellt, welcher Wert der Beteiligungsgesellschaft sich bei einer Stichtagsbetrachtung und bei einer Durchschnittsbetrachtung ergebe und wie sich diese Bewertungen auf den Wert der Aktien der vom Gesellschafterausschluss betroffenen Gesellschaft (der B* AG) auswirkten. Danach sei zu beurteilen, welche Methode angemessen sei.
[6] Die Heranziehung des dreimonatigen gewichteten durchschnittlichen Börsenkurses der Aktie der Beteiligungsgesellschaft im Beobachtungszeitraum 20. 8. 2015 bis 19. 11. 2015 würde sich auf den Unternehmenswert der B* AG so auswirken, dass der Wert je (B*‑)Aktie 7,12 EUR betrage. Die Heranziehung des sechsmonatigen gewichteten durchschnittlichen Börsenkurses der Aktie der Beteiligungsgesellschaft führe zu einer Bewertung der Aktie der Gesellschaft mit 6,78 EUR. Bei Heranziehung des Stichtagskurses zum 20. 11. 2015 ergebe sich ein Wert der Aktie der Gesellschaft von 7,88 EUR. Der vom Gremium bestellte Sachverständige sprach sich für den Beobachtungszeitraum von sechs Monaten aus.
[7] Das Erstgericht sprach aus, die angebotene Barabfindung von 5,80 EUR je Aktie sei nicht angemessen, setzte die Barabfindung mit 7,88 EUR je Aktie zuzüglich Zinsen von zwei Prozentpunkten jährlich über dem jeweils geltenden Basiszinssatz ab dem der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung folgenden Tag, sohin ab dem 21. 11. 2015, bis zur Fälligkeit, fest und sprach aus, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, einen Ausgleich durch bare Zuzahlung von 2,08 EUR je Aktie der Gesellschaft zuzüglich Zinsen in der genannten Höhe zu leisten.
[8] Rechtlich führte es aus, der Wert der Gesellschaft sei unter Zugrundelegung der tagesaktuellen Bewertung der Beteiligungsgesellschaft zu ermitteln, weil den Aktionären ein zum Stichtag (20. 11. 2015) bestehender Vermögenswert entzogen worden sei.
[9] Das Rekursgericht änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass es aussprach, die Antragsgegnerin habe zu der gewährten Barabfindung von 5,80 EUR je Aktie einen Ausgleich durch bare Zuzahlung von 0,98 EUR je Aktie zu leisten.
[10] Es ließ den Revisionsrekurs nicht zu, weil der Bewertung der Beteiligung der Gesellschaft an einer deutschen Aktiengesellschaft bei der Bemessung der Barabfindung nach einem Gesellschafterausschluss keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme; darüber hinaus sei die Bewertung entsprechend der herrschenden Meinung in Übereinstimmung mit der analog anwendbaren Bestimmung des § 26 ÜbG vorgenommen worden.
[11] Zur Bemessung der Barabfindung führte es rechtlich – soweit für das Verfahren dritter Instanz relevant – aus, der Abfindungsbetrag bemesse sich grundsätzlich nach dem anteiligen Unternehmenswert. Der Börsenkurs mache eine Unternehmensbewertung nicht entbehrlich. Die Ermittlung der richtigen Bewertungsmethode sei grundsätzlich eine Frage der Betriebswirtschaftslehre, die Methode müsse aber der vom Gericht gestellten Aufgabe adäquat sein. In Abgrenzung der mit der Bewertung verbundenen Tat- und Rechtsfragen sei jedenfalls das Ziel der Bewertung auf der rechtlichen Ebene zu bestimmen.
[12] Den ausgeschlossenen Gesellschaftern gebühre schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen eine volle Entschädigung. Sie müssten den wahren Wert ihrer Unternehmensbeteiligung erhalten, der zumindest dem Preis entspreche, den sie bei einer freiwilligen Deinvestition hätten lukrieren können.
[13] Für die Feststellung der Angemessenheit sei auf den Tag der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung abzustellen, wobei alle für die Wertermittlung beachtlichen Informationen, die bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätten erlangt werden können, zu berücksichtigen seien.
[14] Zu der – in dritter Instanz noch strittigen – Behandlung der Beteiligungsgesellschaft sah das Rekursgericht keinen Grund, von einer Durchschnittsbetrachtung des Börsenkurses abzuweichen. Es führte aus, der Börsenkurs werde üblicherweise für die Bewertung der betroffenen Gesellschaft selbst diskutiert. Auch wenn der Börsenkurs nach überwiegender Ansicht nicht den Unternehmenswert indiziere, sei es aus Sicht der ausgeschlossenen Aktionäre schlüssig, darin eine Untergrenze für die Abfindung zu sehen, weil sie ihre Anteile zu diesem Preis am Markt hätten veräußern können.
[15] Zur Frage, welcher Börsenkurs heranzuziehen sei, sei zu berücksichtigen, dass die Ankündigung einer Abfindung den Börsenkurs beeinflusse. Daher komme es auf keinen Stichtag an, sondern es sei analog § 26 ÜbG eine nach den jeweiligen Handelsvolumina gewichtete Durchschnittsbetrachtung von sechs Monaten, endend mit dem Tag der Bekanntmachung des Gesellschafterausschlusses, vorzunehmen. Die angemessene Abfindung könne darüber, ausnahmsweise auch darunter liegen. Die Gründe für die Ablehnung der Heranziehung eines Tageskurses seien schon für die betroffene Gesellschaft selbst überzeugend. Sie seien auf die hier vorzunehmende Bewertung einer von der Gesellschaft als Teil des nicht betriebsnotwendigen Vermögens gehaltenen Beteiligung zum Großteil übertragbar. Nur das Argument, dass die Ankündigung des Gesellschafterbeschlusses den Börsenkurs beeinflusse, treffe bei der Beteiligungsgesellschaft nicht im gleichen Ausmaß zu. Auch die Überlegung, dass der Börsenkurs als Untergrenze für die Barabfindung heranzuziehen sei, treffe nicht zu, weil die Aktionäre der Gesellschaft in Bezug auf die Aktien der Beteiligungsgesellschaft keine Deinvestitionsentscheidung fassen könnten.
[16] Gegen die Heranziehung des Tageskurses spreche im vorliegenden Fall zusätzlich das niedrige Handelsvolumen der Aktien der Beteiligungsgesellschaft. Die Gesellschaft hätte ihr großes Aktienpaket nicht zum Börsenkurs verkaufen und daher den punktuell am Stichtag erreichten Kurswert nicht lukrieren können. Es könne daher nicht gesagt werden, dass den Aktionären der Gesellschaft dieser Wert entzogen worden sei. Aus all diesen Erwägungen sei auf den sechsmonatigen Durchschnittskurs der Aktie der Beteiligungsgesellschaft abzustellen.
[17] Zur Fassung des Spruchs führte das Rekursgericht aus, dieser habe Feststellungs- und Gestaltungswirkung, es erfolge aber kein Leistungszuspruch an individuelle Gesellschafter. Ein Ausspruch über die Verzinsung der Barabfindung oder der Zuzahlung sei im Überprüfungsverfahren nicht vorgesehen. Es sei daher nicht über die Zinsen abzusprechen.
Rechtliche Beurteilung
[18] Die Revisionsrekurse sind zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zu der von den Rechtsmittelwerbern relevierten Frage eines Ausspruchs über die Zinsen im Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung nach § 6 Abs 2 GesAusG iVm §§ 225c ff AktG Stellung genommen hat. Er ist aber nicht berechtigt.
[19] 1. Zur Titulierung von Ansprüchen im Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung
[20] 1.1. Nach § 6 Abs 1 GesAusG kann die Anfechtung des Beschlusses über den Gesellschafterausschluss nicht darauf gestützt werden, dass die Barabfindung nicht angemessen festgelegt ist. Nach § 6 Abs 2 GesAusG hat die Überprüfung der Barabfindung im (außerstreitigen, § 225e Abs 1 AktG) Verfahren nach den §§ 225c ff AktG zu erfolgen.
[21] Diese Zweiteilung des Rechtsschutzes soll sowohl dem Interesse an der raschen Durchführung der Strukturentscheidung als auch dem Interesse an einer Kontrolle (hier:) der Barabfindung Rechnung tragen; sie folgt dem deutschen Vorbild (vgl ErläutRV 32 BlgNR 20. GP 100).
[22] 1.2. (Auch) nach deutscher Rechtslage kann die Anfechtung des Übertragungsbeschlusses nicht darauf gestützt werden, dass die durch den Hauptaktionär festgelegte Barabfindung (vgl § 327b dAktG) nicht angemessen ist. Die Überprüfung findet vielmehr im Verfahren nach dem dSpruchG (Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren – Spruchverfahrensgesetz) statt (§ 1 Z 3 dSpruchG). Ist die Barabfindung nicht angemessen, so hat das in § 2 SpruchG bestimmte Gericht auf Antrag die angemessene Barabfindung zu bestimmen (§ 327 f dAktG). Das Gericht entscheidet mit Beschluss (§ 11 dSpruchG), der für und gegen alle wirkt (§ 13 dSpruchG).
[23] Es besteht Einigkeit darüber, dass die Entscheidung im Spruchverfahren keinen Vollstreckungstitel für den Antragsteller oder andere einzelne Anteilsinhaber bildet. Das Gericht stellt lediglich fest, welche bare Zuzahlung angemessen ist (Kubis in MünchKomm AktG5 [2020] § 11 dSpruchG Rz 5, § 13 Rz 4, § 16 Rz 1; Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³ [2013] § 11 dSpruchG Rz 16; Wilske in Kölner Kommentar zum AktG³ § 13 dSpruchG Rz 19; Drescher in Spindler/Stilz, AktG4 [2019] § 11 dSpruchG Rz 4). Diese müssen ihre Ansprüche – aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in § 16 dSpruchG – jeweils einzeln im streitigen Verfahren mit einer Leistungsklage geltend machen (Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³ § 11 dSpruchG Rz 16; Wilske in Kölner Kommentar zum AktG³ § 13 dSpruchG Rz 19).
[24] Die Zinsen aus dem Abfindungsbetrag sind nicht Gegenstand des Spruchverfahrens, sondern müssen im streitigen Verfahren nach § 16 dSpruchG geltend gemacht werden (Rosskopf in Kölner Kommentar zum AktG³ § 16 dSpruchG Rz 8). Über die Verzinsung ist daher im Spruchverfahren nach überwiegender Ansicht nicht abzusprechen (Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³ § 11 dSpruchG Rz 15; Kubis in MünchKomm AktG5 § 11 dSpruchG Rz 4 mwN des Meinungsstands; Drescher in Spindler/Stilz, AktG4 § 11 dSpruchG Rz 4, wonach ein dennoch erfolgter Ausspruch nicht schade).
[25] Dies wird damit begründet, dass die Verzinsung im Gesetz zwingend vorgeschrieben und deshalb nicht Gegenstand der zu überprüfenden Anteilsbewertung sei. Die Zinsen seien vielmehr Teil des konkreten, nach § 16 dSpruchG mit Leistungsklage (für die Einbeziehung von Stufenklagen und Feststellungsklagen Meilicke, Erste Probleme mit § 16 SpruchG, NZG 2004, 547 [548 f]) geltend zu machenden Zahlungsanspruchs (Kubis in MünchKomm AktG5 § 11 dSpruchG Rz 4; Drescher in Spindler/Stilz, AktG4 § 11 dSpruchG Rz 4; Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³ § 11 dSpruchG Rz 15).
[26] Das über die Leistungsklage entscheidende Gericht ist gemäß § 13 Satz 2 dSpruchG an die rechtskräftige Entscheidung im Spruchverfahren gebunden (Wilske in Kölner Kommentar zum AktG³ § 13 dSpruchG Rz 19).
[27] Nur der Vollständigkeit halber ist klarzustellen, dass die dargestellte Rechtslage dem Abschluss eines Vergleichs mit dort geregelten exekutionsfähigen Zuzahlungspflichten nicht entgegen steht (vgl Kubis in MünchKomm AktG5 § 11 dSpruchG Rz 13; Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³ § 11 dSpruchG Rz 39).
[28] 1.3. Für die österreichische Rechtslage ist zunächst davon auszugehen, dass die vom Hauptgesellschafter im Zuge des Gesellschafterausschlusses gewährte Barabfindung im streitigen Verfahren geltend zu machen ist (Gall/Potyka/Winner, Squeeze‑out [2006] Rz 244).
[29] Die nach § 6 Abs 2 GesAusG für die Überprüfung der Barabfindung anzuwendenden §§ 225c ff AktG enthalten aber keine ausdrückliche, dem § 16 dSpruchG vergleichbare Anordnung des streitigen Rechtswegs für die Geltendmachung des individuell zustehenden Anspruchs auf bare Zuzahlung.
[30] In der Literatur wurde zur österreichischen Rechtslage vor dem AktRÄG 2019 (BGBl I 2019/63) durchwegs vertreten, dass im außerstreitigen Überprüfungsverfahren bereits ein Exekutionstitel geschaffen werde (Gall/Potyka/Winner, Squeeze‑out Rz 244; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² [2010] § 225i AktG Rz 6; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² [2012] § 225i Rz 5; Szep in Artmann/Karollus, AktG6 [2019] § 225i Rz 12). Daher sei in der gerichtlichen Entscheidung die den antragstellenden Aktionären individuell zustehende Höhe der baren Zuzahlung ziffernmäßig festzusetzen; die übrigen namentlich bekannten Aktionäre seien unter Angabe der konkreten baren Zuzahlung aufzulisten, auch wenn für sie ein gemeinsamer Vertreter bestellt sei; für die namentlich nicht bekannten Aktionäre seien die Ausgleichsleistungen allgemein unter Bezugnahme auf das Nominale oder die Stückaktien zu bestimmen (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 225i AktG Rz 6; Szep in Artmann/Karollus, AktG6 § 225i Rz 10 ff). Für diese Auffassung sprechen die Erläuterungen zum EU‑GesRÄG 1996 (BGBl I 1996/304): Dort ist davon die Rede, dass die gerichtliche Entscheidung im Überprüfungsverfahren so zu fassen sei, dass sich die Bestimmtheit des Anspruchs (§ 7 EO) erkennen lasse. Wenn eine namentliche Erfassung der nicht antragstellenden Aktionäre – bei anonymen Aktionären – nicht möglich sei, erfordere die Exekutionsführung aufgrund einer solchen Entscheidung allenfalls eine Ergänzungsklage nach § 10 EO (ErläutRV 32 BlgNR 20. GP 104).
[31] Mit dem AktRÄG 2019 wurde der Wortlaut des § 225i Abs 1 Satz 3 AktG dahin geändert, dass den Aktionären für jede Aktie die gleiche Zuzahlung oder die gleiche Zahl zusätzlicher Aktien „zu gewähren“ – und nicht mehr, wie in der bis dahin geltenden Fassung „zuzusprechen“ – sei. Die Materialien führen dazu aus, da in einem Verfahren zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses kein Zuspruch begehrt werde, werde eine redaktionelle Änderung des Begriffs „zusprechen“ auf den neutralen Begriff „gewähren“ vorgeschlagen (IA 910/A 26. GP 20).
[32] § 225i Abs 1 AktG idF AktRÄG 2019 trat am 1. 8. 2019 in Kraft, ist aber auf das vorliegende Verfahren nach § 262 Abs 42 AktG noch nicht anzuwenden, weil der Beschluss gemäß § 225g Abs 1 bereits vor dem 31. 7. 2019 (nämlich am 23. 6. 2016) gefasst wurde.
[33] Die Änderung des § 225i Abs 1 Satz 3 AktG wurde aber auch als Klarstellung der bis dahin geltenden Rechtslage aufgefasst (Zottl/Pendl, Die Überprüfung der Barabfindung, GesRZ 2019, 216 [226]).Die Klarstellung entspreche den Bedürfnissen der Praxis, weil bei börsennotierten Gesellschaften ein Handel mit sogenannten Nachbesserungszertifikaten existiere, die den Anspruch auf eine mögliche zukünftige Zuzahlung auf Basis des Ergebnisses des Überprüfungsverfahrens verbrieften. Nach Abschluss des Verfahrens befänden sich diese Inhaberpapiere bei einer unüberschaubaren Zahl von Eigentümern, die keineswegs mit den ursprünglich ausgeschlossenen Aktionären übereinstimmten. Damit könne eine sichere Identifikation der Anspruchsberechtigten nur noch über elektronische Buchungssysteme erfolgen (Zottl/Pendl, GesRZ 2019, 226).
[34] In der Rechtsprechung liegt eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zur Qualität des im Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung nach § 6 Abs 2 GesAusG iVm §§ 225c ff AktG zu treffenden Ausspruchs nicht vor. Zu 6 Ob 138/19s (GesRZ 2020, 150 [Zollner]) musste zu dem von den Vorinstanzen formulierten Leistungsbefehl nicht Stellung genommen werden.
[35] 1.4. Zur Lösung des vorliegenden Falls ist zunächst davon auszugehen, dass allein dem Gesetzeswortlaut keine klare Stellungnahme zur Frage entnommen werden kann, ob im Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung – soweit es sich um bekannte Aktionäre handelt – tunlichst ein Exekutionstitel zu schaffen ist oder nicht. Allein der Begriff des „Zusprechens“ oder des „Gewährens“ in § 225i Abs 1 Satz 3 AktG bietet bei isolierter Betrachtung keinen verlässlichen Anhaltspunkt, da man diese Bestimmung auch als bloße Anordnung einer Gleichbehandlungspflicht unabhängig vom gestellten Antrag ansehen könnte. Gegen eine isoliert auf das Wort „gewähren“ in § 225i Abs 1 Satz 3 AktG gestützte Auslegung spricht auch, dass in § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG von der „zugesprochenen“ baren Zuzahlung die Rede ist.
[36] Die Intention der Initiatoren des AktRÄG 2019 war offenkundig darauf gerichtet, eine Regelung zu verdeutlichen, die bereits zuvor nicht auf die Schaffung eines Exekutionstitels abzielte (IA 910/A 26. GP 20). Die Ausführungen, dass bloß eine redaktionelle Änderung vorgenommen werde, weil im Überprüfungsverfahren ohnehin kein Zuspruch begehrt werde, stehen allerdings mit den oben dargestellten Literaturstimmen und Materialien nicht im Einklang. Aus dem Wortlaut und den Materialien zu § 225i AktG kann daher kein eindeutiges Auslegungsergebnis erzielt werden.
[37] Entscheidende Bedeutung kommt vielmehr dem Zweck des außerstreitigen Überprüfungsverfahrens zu.
[38] Die wesentlichen Merkmale des von § 6 Abs 2 GesAusG verwiesenen Verfahrens nach §§ 225c bis 225m AktG (mit den in § 6 Abs 2 GesAusG genannten Ausnahmen) sind in prozessualer Hinsicht die Wahrung der Interessen der nicht antragstellenden Gesellschafter durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters (§ 225f AktG) und die Rechtskrafterstreckung der gerichtlichen Entscheidungen (sowie der Vergleiche) auf alle Gesellschafter (§ 225i Abs 1 AktG).
[39] Die Festsetzung einer für alle Beteiligten bindenden Abfindungshöhe soll durch das Gremialverfahren des § 225g AktG befördert werden, indem ein sachkundiges und der Praxis nahe stehendes Gremium zur Beantwortung der Bewertungsfragen vorgesehen ist. Der Gesetzgeber strebte damit eine rasche, kostengünstige und formfreie Erörterung der zentralen Bewertungsfragen an (vgl ErläutRV 32 BlgNr 20. GP 102). Dass das Gremium seit dem AktRÄG 2019 nicht mehr selbst mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt werden soll (vgl § 225g AktG idF AktRÄG 2019), sondern lediglich – wie bisher – zwecks Herbeiführung eines Vergleichs einen Sachverständigen beiziehen kann (siehe im Einzelnen Dobrowolski, Neuerungen im Gremialverfahren nach dem AktRÄG 2019, GesRZ 2020, 36 [37 f]), ändert an der grundsätzlichen Zielsetzung des Gremialverfahrens nichts.
[40] Das Überprüfungsverfahren nach § 6 Abs 2 GesAusG iVm den dort verwiesenen Bestimmungen der §§ 225c ff AktG verfolgt damit insgesamt den Zweck, die Frage der Angemessenheit der Barabfindung mit Wirkung für die Gesellschaft und alle Gesellschafter zu beantworten. Der erfolgreiche Antrag führt zu einer Anpassung des Beschlussinhalts im Umfang der angemessenen Festlegung der Barabfindung (6 Ob 221/09z ErwGr 3.3.4, GesRZ 2010, 228 [Ofner] = EvBl 2010, 661 [Garber]).
[41] Das Überprüfungsverfahren zielt hingegen nicht auf die individuelle Anspruchsdurchsetzung ab. Die Erörterung der individuellen Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und den einzelnen Gesellschaftern, samt der Beurteilung allfälliger, auf die Person der jeweiligen Antragsteller abzielender Einreden liefe dem Verfahrenszweck, für alle Beteiligten rasch Klarheit über die Höhe der Barabfindung zu schaffen, zuwider.
[42] § 6 Abs 2 GesAusG ist daher dahin auszulegen, dass nur die Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung, nicht aber die Beurteilung individueller Ansprüche, in das außerstreitige Überprüfungsverfahren nach § 225c ff AktG verwiesen wird.
[43] Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Materialien zum AktRÄG 2019 (IA 910/A 26. GP ) und den Erfordernissen der Praxis (vgl Zottl/Pendl, GesRZ 2019, 226).
[44] Die dargestellten Meinungen in der Literatur, wonach im Überprüfungsverfahren nach §§ 225c ff AktG tunlichst Exekutionstitel zugunsten der bekannten Gesellschafter zu schaffen sind, vermögen hingegen nicht zu überzeugen. Sie geben lediglich die in den Materialien zum EU‑GesRÄG 1996 enthaltenen Ausführungen wieder, für die aber weder der Wortlaut noch der Regelungszusammenhang und die Zielsetzung des Überprüfungsverfahrens nach §§ 225c ff AktG klare Anhaltspunkte bieten.
[45] 1.5. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass im Verfahren über die Höhe der Barabfindung des ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafters keine individuellen, ziffernmäßig bestimmten Leistungszusprüche vorzunehmen sind.
[46] 2. Zum Ausspruch über die Verzinsung
[47] 2.1. Weder die gemeinsame Vertreterin noch der Antragsteller zu 17. streben in ihren Rechtsmitteln einen ziffernmäßig bestimmten Zuspruch an. Beide Revisionsrekurswerber stehen aber auf dem Standpunkt, das Rekursgericht hätte zusätzlich zu seinem Ausspruch über die pro Aktie zusätzlich zur gewährten Barabfindung zu leistende bare Zuzahlung über die Verzinsung der Zuzahlung nach § 2 Abs 2 Satz 2, § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG sowie über die Verzugszinsen absprechen müssen.
[48] 2.2. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 GesAusG ist die Barabfindung ab dem der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung folgenden Tag bis zur Fälligkeit mit jährlich zwei Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz zu verzinsen.
[49] Die Barabfindung ist zwei Monate nach dem Tag fällig, an dem die Eintragung des Ausschlusses gemäß § 10 UGB als bekannt gemacht gilt (§ 2 Abs 2 Satz 1 GesAusG), also zwei Monate nach der Veröffentlichung des Beschlusses in der Ediktsdatei (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 2 GesAusG Rz 28, § 6 Rz 25; dies in MünchKomm AktG5 § 2 öGesAusG Rz 30). Der Grund für die in § 2 Abs 2 GesAusG angeordnete Verpflichtung zur Zinszahlung für einen Zeitraum vor Fälligkeit der Barabfindung liegt darin, dass es sich nicht um Verzugszinsen, sondern um einen gesetzlich standardisierten Ausgleich für die dem ausgeschlossenen Gesellschafter nicht mehr zustehenden Gewinnansprüche handelt (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 28 f).
[50] Allfällige Verzugszinsen für den Fall der nicht rechtzeitigen Auszahlung der Barabfindung sind nicht von § 2 Abs 2 GesAusG erfasst. Es kommen vielmehr die gesetzlichen Verzugszinsen zur Anwendung (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 2 GesAusG Rz 26; Gall/Potyka/Winner, Squeeze‑out Rz 247; ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 28 f).
[51] § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG enthält eine parallele Gestaltung der Verzinsung des Erhöhungsbetrags (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 6 GesAusG Rz 25). Demnach ist für die Verzinsung zugesprochener oder auf Grund eines Vergleichs zustehender barer Zuzahlungen § 2 Abs 2 GesAusG sinngemäß anzuwenden.
[52] 2.3. Die Rechtsmittelwerber können sich für ihre Auffassung, im Überprüfungsverfahren sei ein Zinsausspruch zu treffen, nicht auf eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung in diesem Sinn stützen.
[53] Auch der Zweck des Überprüfungsverfahrens gebietet es nicht, über die Verzinsung der zu gewährenden Zuzahlung abzusprechen.
[54] Wie ausgeführt, dient das Überprüfungsverfahren der Klärung von Bewertungsfragen, auf deren Grundlage die Höhe der angemessenen Barabfindung mit erga omnes-Wirkung festzusetzen ist. Es ersetzt funktionell eine Anfechtung des Ausschlussbeschlusses in einem Bestandteil; der erfolgreiche Antrag führt zu einer Anpassung des Inhalts des Ausschlussbeschlusses im Punkt der angemessenen Festlegung der Barabfindung (6 Ob 221/09g).
[55] Die Verzinsung der Barabfindung und der im Überprüfungsverfahren festgelegten baren Zuzahlung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 2 Abs 2 Satz 2, § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG). Die Verzinsung ist daher nicht Gegenstand des Verfahrens zur Überprüfung der Barabfindung (vgl Kubis in MünchKomm AktG5, § 11 dSpruchG Rz 4; Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG³, § 11 dSpruchG Rz 15).
[56] Der Umstand, dass es sich bei der nach § 2 Abs 2 Satz 2 GesAusG (iVm § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG) gebührenden Verzinsung der Barabfindung sowie der baren Zuzahlung um einen Ausgleich dafür handelt, dass der ausgeschlossene Gesellschafter an den Unternehmenschancen nicht mehr beteiligt ist, macht die Verzinsung noch nicht zum Verfahrensgegenstand des Überprüfungsverfahrens.
[57] Aufgrund der mit § 2 Abs 2 Satz 2 GesAusG angeordneten Pauschalierung der Abgeltung des Gewinnanspruchs (vgl wiederum ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 28) unterliegt diese Wertanpassung der Barabfindung eben nicht der gerichtlichen Angemessenheitskontrolle.
[58] Dafür, dass auch die nach Eintritt der Fälligkeit der Barabfindung und der baren Zuzahlung gebührenden gesetzlichen Verzugszinsen Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sein sollten, ist kein Anhaltspunkt erkennbar.
[59] Ein Ausspruch über die Verzinsung ist daher im Überprüfungsverfahren nicht erforderlich.
[60] 2.4. Beide Rechtsmittelwerber monieren, ohne Ausspruch über die Zinszahlungspflicht liefen die ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter Gefahr, Teile ihres Zinsanspruchs durch Verjährung zu verlieren. Die nach dem Überprüfungsverfahren zu gewährenden baren Zuzahlungen würden nämlich zugleich mit der vom Hauptgesellschafter gewährten Barabfindung, sohin zwei Monate nach Veröffentlichung des Gesellschafterausschlusses, fällig. Dauere das Überprüfungsverfahren mehr als drei Jahre, so könne einem Verjährungseinwand nur dann erfolgreich begegnet werden, wenn über die Zinszahlungspflicht im Überprüfungsverfahren abgesprochen werde.
[61] Diese Erwägungen treffen nicht zu.
[62] 2.4.1. Nach § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG ist für die Fälligkeit und die Verzinsung zugesprochener oder aufgrund eines Vergleichs zustehender barer Zuzahlungen § 2 Abs 2 GesAusG sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet, dass die Verzinsung der vom Gericht festgesetzten Zuzahlung ab dem der Gesellschafterversammlung, in der der Ausschluss beschlossen wurde, folgenden Tag gebührt, weil bereits von Anfang an eine angemessene Barabfindung zu leisten war (vgl Kalss in MünchKomm AktG5 § 2 GesAusG Rz 29, § 6 Rz 25).
[63] Unterschiedliche Meinungen werden zum Zeitpunkt vertreten, bis zu dem der Zuzahlungsbetrag gemäß § 2 Abs 2 Satz 2 GesAusG mit Zinsen von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist und nach dem Zinsen in Höhe der gesetzlichen Verzugszinsen anfallen.
[64] Dazu wird einerseits – den Materialien (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 31) folgend – vertreten, durch den Verweis in § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG werde der Fälligkeitszeitpunkt der baren Zuzahlungen mit dem Eintritt der Fälligkeit der im Ausschlussbeschluss festgelegten Barabfindung (zwei Monate nach Veröffentlichung in der Ediktsdatei, § 2 Abs 2 Satz 1 GesAusG) gleichgesetzt (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 6 GesAusG Rz 25; Kalss/Zollner, Squeeze‑out [2007] § 6 GesAusG Rz 14).
[65] Von dieser Auffassung ist Kalss in jüngerer Zeit abgegangen. Sie vertritt nun, der Erhöhungsbetrag könne nicht vor dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung des Überprüfungsgerichts fällig werden, weil zuvor noch gar nicht feststehe, ob überhaupt ein Zuzahlungsanspruch bestehe (Kalss in MünchKomm AktG5, § 6 GesAusG Rz 25).
[66] Die Antragsgegnerin vertritt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dass der Zinssatz des § 2 Abs 2 GesAusG von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz überhaupt den Verzugszinssatz für die Abfindung des ausgeschlossenen Gesellschafters darstelle, sodass die Anwendung der allgemein-zivilrechtlichen Verzugszinsen ausgeschlossen sei.
[67] Die Auslegung des Verweises führt jedoch zum Ergebnis, dass der Zinssatz von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nur für den Zeitpunkt bis zwei Monate nach Veröffentlichung in der Ediktsdatei gilt. Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
[68] Der Inhalt des Verweises in § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG besteht zunächst darin, die Anordnung der Verzinsung ab dem der Beschlussfassung folgenden Tag auch auf die im Überprüfungsverfahren ermittelten baren Zuzahlungen zu erstrecken. § 2 Abs 2 GesAusG ordnet aber auch einen Endpunkt an, bis zu dem dieser Zinssatz gilt, nämlich den Zeitpunkt der Fälligkeit der Barabfindung. Es kann kein Zweifel bestehen, dass für den darauf folgenden Zeitraum die Barabfindung im Fall der verspäteten Leistung nach (allgemeinen) Verzugszinsen zu verzinsen ist.
[69] § 6 Abs 2 Satz 3 GesAusG verweist für die Verzinsung der baren Zuzahlung uneingeschränkt, daher auch hinsichtlich des dort angeordneten Endzeitpunkts einer Verzinsung mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sinngemäß auf § 2 Abs 2 GesAusG. Dieser Verweis kann in seinem Zusammenhang nur dahin verstanden werden, dass der in § 2 Abs 2 GesAusG definierte (Fälligkeits‑)Zeitpunkt, ab dem Zinsen in Höhe des gesetzlichen Verzugszinssatzes gebühren, auch für die Verzinsung der baren Zuzahlungen maßgeblich ist.
[70] Entscheidend für das Verständnis des Verweises ist daher nicht die Frage, ob nach allgemeiner Zivilrechtsdogmatik ein in der Vergangenheit liegender Fälligkeitszeitpunkt denkbar ist. Der Verweis regelt vielmehr (lediglich) die Abgrenzung jener Zeiträume, für die die baren Zuzahlungen nach unterschiedlichen Zinssätzen zu verzinsen sind.
[71] Die Auslegung der Antragsgegnerin, wonach ein Anspruch auf Verzugszinsen für die im gerichtlichen Überprüfungsverfahren festgesetzte bare Zuzahlung schlechthin nicht über den Zinssatz von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hinausgehen könnte, ist daher nach dem Wortlaut und der Systematik der (von § 225j AktG abweichenden) Regelungen des § 2 Abs 2 iVm § 6 Abs 2 GesAusG abzulehnen.
[72] Aus dem Gesetzeswortlaut im Zusammenhalt mit den Materialien (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 31) ergibt sich insgesamt die gesetzgeberische Intention, die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre auch hinsichtlich der Verzinsung so zu stellen, als wäre ihnen von Anfang an eine Barabfindung in angemessener Höhe gewährt worden.
[73] Daher haben die ausgeschlossenen Gesellschafter auch für den Zuzahlungsbetrag Anspruch auf Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung folgenden Tag bis zwei Monate nach dem Tag der Veröffentlichung des Beschlusses in der Ediktsdatei.
[74] 2.4.2. Für den darauf folgenden Zeitraum sind Zinsen in Höhe des gesetzlichen Verzugszinssatzes geschuldet. Dazu wurde in der Literatur verteten, dass dann, wenn der Gesellschafterausschluss ein beiderseitiges unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft sei, unternehmerische Zinsen (§ 456 UGB) gebührten (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 2 GesAusG Rz 26; Gall/Potyka/Winner, Squeeze‑out Rz 247). Dies sei regelmäßig der Fall, wenn der Hauptgesellschafter in einem Konzernverhältnis zur Gesellschaft stehe und ihm institutionelle Anleger als Minderheitsgesellschafter gegenüber stünden (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 2 GesAusG Rz 26). Hingegen spricht sich Kalss in jüngerer Zeit zur Wahrung des aktien- und übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgebots für die einheitliche Anwendung von § 1000 ABGB aus (Kalss in MünchKomm AktG5 § 6 GesAusG Rz 25).
[75] Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an. § 456 UGB setzt ein beiderseitiges Unternehmergeschäft voraus (RS0120608 [T6]; Haberer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 456 Rz 10; Dullinger in Artmann, UGB³ § 455 Rz 3). Zwar kann der Erwerb und die Veräußerung von Geschäftsanteilen als unternehmensbezogenes Geschäft zu qualifizieren sein, wenn das Geschäft zum Betrieb des Unternehmens gehört (6 Ob 126/18z). Der Anspruch des nach dem GesAusG ausgeschlossenen Gesellschafters resultiert aber nicht aus einem Erwerbsgeschäft, sondern ist der gesetzlich vorgesehene Ausgleich für die im Entzug der Geschäftsanteile liegende Eigentumsbeschränkung (vgl VfGH G 30/2017 ErwGr IV.2.2.2., IV.2.2.4.). Der Vorgang des Gesellschafterausschlusses ist daher – auch wenn es sich beim Minderheitsgesellschafter um einen institutionellen Anleger handelt – einem beiderseitigen unternehmensbezogenen Geschäft nicht gleich zu halten. Für die Anwendung des § 456 UGB besteht daher kein Raum. Es kommt einheitlich der Verzugszinssatz des § 1000 Abs 1 ABGB zur Anwendung.
[76] 2.5. Entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerber führt die Auslegung, wonach die zu leistende bare Zuzahlung ab dem in § 2 Abs 2 GesAusG bezeichneten Zeitpunkt (zwei Monate nach dem Tag der Veröffentlichung der Eintragung des Ausschlussbeschlusses in der Ediktsdatei) mit Zinsen in Höhe von 4 % (§ 1000 ABGB) zu verzinsen ist, auch bei einem über drei Jahre dauernden Überprüfungsverfahren nicht zur Verjährung von Zinsansprüchen aus den im Überprüfungsverfahren festgelegten Zuzahlungen.
[77] Die Verjährungsfrist beginnt grundsätzlich zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem das Recht „zuerst hätte ausgeübt werden können“, seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis mehr entgegen steht (RS0034343 [T2]; RS0034248 [T3]). Diese Regel gilt grundsätzlich für alle Verjährungsfristen, soweit das Gesetz davon nicht – wie etwa in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen – eine Ausnahme macht (RS0034248 [T7, T12]).
[78] Erst durch die rechtskräftige Entscheidung im Überprüfungsverfahren wird der Beschlussinhalt des Ausschlussbeschlusses hinsichtlich der Höhe der je Stückaktie (oder je Aktie zu einem bestimmten Nennwert) geschuldeten Barabfindung angepasst. Die rechtskräftige Entscheidung im Überprüfungsverfahren ist damit Voraussetzung der Geltendmachung des individuellen, ziffernmäßig bestimmten Anspruchs auf bare Zuzahlung (samt den daraus gebührenden Zinsen) durch den einzelnen ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafter.
[79] Vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Überprüfungsverfahren kann daher der Lauf der Verjährungsfrist für die aus der baren Zuzahlung geschuldeten Zinsen nach dem GesAusG sowie allfälliger Verzugszinsen nicht einsetzen. Die verjährungsrechtlichen Bedenken der Rechtsmittelwerberinnen machen einen Ausspruch über den Zinsenlauf in der im Überprüfungsverfahren ergehenden Entscheidung daher nicht erforderlich.
[80] Der Revisionsrekurs der gemeinsamen Vertreterin und der Revisionsrekurs des Antragstellers zu 17., soweit er einen Ausspruch über die Verzinsung anstrebt, erweisen sich daher als nicht berechtigt.
[81] 3. Zur Angemessenheit der vom Rekursgericht festgesetzten baren Zuzahlung
[82] 3.1. Der Antragsteller zu 17. wendet sich in seinem Revisionsrekurs auch gegen die Höhe der vom Rekursgericht ausgemittelten baren Zuzahlung und begehrt eine bare Zuzahlung von 2,28 EUR pro Aktie der Gesellschaft.
[83] 3.2. Nach § 2 Abs 1 GesAusG hat der Hauptgesellschafter den ausscheidenden Minderheitsgesellschaftern eine „angemessene“, auf den Tag der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung abstellende Barabfindung zu gewähren. Eine gesetzliche Determinierung der Angemessenheit wurde nicht getroffen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Ableitung, unter welchen Voraussetzungen die Abfindung angemessen ist und welche Bewertungsmethoden anzuwenden sind, aber auch die Beurteilung der Frage, ob Börsenkurse zu berücksichtigen sind, grundsätzlich der Rechtsprechung überlassen sein (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 28; vgl Kalss in MünchKomm AktG5 § 2 GesAusG Rz 11).
[84] Da sich der Unternehmenswert nicht mathematisch exakt bestimmen lässt, hat das Gericht im Rahmen des Überprüfungsverfahrens die Unternehmensbewertung bzw die Angemessenheit der Barabfindung lediglich einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen (vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 225c AktG Rz 17; Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, Angemessene Barabfindung beim Squeeze‑out: Jagd nach einer Chimäre?, GesRZ 2020, 43 [49 f]).
[85] 3.3. Das Rekursgericht setzte sich ausführlich mit dem zentralen Aspekt des Revisionsrekurses des Antragstellers zu 17. auseinander, nämlich der Behandlung der Beteiligungsgesellschaft bei der Bewertung der (vom Gesellschafterausschluss betroffenen) Gesellschaft. Es begründete die Heranziehung des sechsmonatigen Durchschnittskurses und des gewählten Beobachtungszeitraums unter Bedachtnahme auf allgemeine Bedenken gegen eine Stichtagsbewertung, aber auch unter Bedachtnahme auf die konkrete Kursentwicklung und die Liquidität der Aktie der Beteiligungsgesellschaft und die Größe des von der Gesellschaft gehaltenen Aktienpakets. Großes Gewicht maß es auch dem Umstand bei, dass den ausgeschlossenen Gesellschaftern eine Deinvestition hinsichtlich der Anteile an der Beteiligungsgesellschaft zum Stichtagskurs nicht möglich gewesen wäre.
[86] Auf diese ausführlich begründeten und überzeugenden Erwägungen des Rekursgerichts kann verwiesen werden (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[87] 3.4. Der Antragsteller zu 17. zieht in seinem Revisionsrekurs zunächst grundsätzlich die Maßgeblichkeit des Unternehmenswerts für die Ermittlung der angemessenen Barabfindung in Zweifel; im vorliegenden Fall seien die Beteiligungen der ausgeschlossenen Gesellschafter einer „simplen Kreditgewährung“ gleich zu halten, was zu einer höheren Barabfindung führe.
[88] Diese Erwägungen lassen außer Acht, dass die angemessene Barabfindung dem Ausgleich für den Verlust der Beteiligung dient (VfGH G 30/2017 ErwGr IV.2.2.4.). Damit steht im Einklang, dass sich die Barabfindung grundsätzlich nach dem anteiligen Unternehmenswert des Anteilsberechtigten bemisst (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 2 GesAusG Rz 10 mwN). Worin im Hinblick auf die Höhe der Barabfindung die Parallele zur Darlehensgewährung liegen soll, wird im Revisionsrekurs nicht dargetan. Der bloße Hinweis auf ein in erster Instanz erstattetes Vorbringen zur „Firmengeschichte“ ist dazu nicht ausreichend (vgl RS0043616; RS0007029).
[89] Im Weiteren strebt der Antragsteller zu 17. eine Bewertung ausgehend vom Börsenkurs der Aktien der Beteiligungsgesellschaft „zum Stichtag“ an. Aus welchen Gründen die Erwägungen des Rekursgerichts zur Heranziehung des gewichteten durchschnittlichen Sechsmonatskurses im vorliegenden Fall nicht zutreffen sollen, wird im Revisionsrekurs jedoch nicht ausgeführt. Der Rechtsmittelwerber setzt sich auch mit den Erwägungen des Rekursgerichts, die ausgeschlossenen Gesellschafter könnten sich nicht auf den Stichtagskurs stützen, weil der Verkauf der Aktien der Beteiligungsgesellschaft nicht in ihrer Ingerenz stehe und (aufgrund der Größe des Aktienpakets) zum Börsenkurs auch nicht möglich sei, nicht auseinander.
[90] Er beschränkt sich darauf, zu verlangen, dass bei einer Bandbreite von Bewertungen stets die höchste heranzuziehen sei, weil der Gesellschafterausschluss einzig den Interessen des Mehrheitsgesellschafters diene und das bei Enteignungen zu fordernde öffentliche Interesse fehle.
[91] Dies trifft allerdings nicht zu, weil das mit dem GesAusG verfolgte Ziel, effiziente Unternehmensstrukturen zu schaffen, im öffentlichen Interesse liegt (VfGH G 30/2017 ErwGr IV.2.2.3.).
[92] Unklar bleibt auch, woraus sich die vom Rechtsmittelwerber angestrebte bare Zuzahlung von 2,88 EUR pro Aktie ergeben soll. Eine Zuzahlung von 2,88 EUR pro Aktie führte zu einer Barabfindung von insgesamt 8,68 EUR pro Aktie, der Revisionsrekurswerber geht aber selbst von einer Barabfindung von höchstens 7,88 EUR pro Aktie aus.
[93] Insgesamt zeigt er mit seinen Ausführungen daher nicht auf, dass dem Rekursgericht bei der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung ein rechtlicher Fehler unterlaufen wäre.
[94] Das Rekursgericht wies bereits darauf hin, dass die Ermittlung der richtigen Bewertungsmethode grundsätzlich ein Problem der Betriebswirtschaftslehre ist, das gewählte System aber der vom Gericht gestellten Aufgabe adäquat sein muss (RS0010087). Der Oberste Gerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Rekursgericht auf methodisch ungeeignete Gutachten zurückgegriffen oder rechtlich unrichtige Erwägungen angestellt hätte.
[95] Damit erweist sich der Revisionsrekurs des Antragstellers zu 17. auch hinsichtlich der Höhe der baren Zuzahlung als nicht berechtigt.
[96] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 letzter Halbsatz AußStrG.
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