OGH 5Ob79/24i

OGH5Ob79/24i4.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des G*, vertreten durch seine gerichtliche Erwachsenenvertreterin Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, über den Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Jänner 2024, GZ 43 R 7/24h‑718, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00079.24I.0704.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Vater des Betroffenen verstarb am 6. 5. 1996. Die Witwe des Vaters (Stiefmutter des Betroffenen) schloss am 5. 8. 1996 mit dem Betroffenen ein Übereinkommen mit folgendem Inhalt:

„Die Höhe des an den erbl. Sohn zur Auszahlung gelangenden Pflichtteils wird einvernehmlich mit S 250.000,- festgelegt und vereinbart, daß dieser Betrag innerhalb von drei Monaten nach dem Ableben von Frau E* zur Zahlung fällig ist. Zwischenzeitig ist der Betrag mit 3 % zu verzinsen.

Zur Sicherstellung des vorgenannten Pflichtteilsanspruches samt 3 % Zinsen und 12 % Verzugszinsen sowie einer Nebengebührensicherstellung von S 30.000 verpfändet nunmehr [die Witwe] den ihr in dieser Verlassenschaftssache zukommenden Hälfteanteil am vorgenannten Liegenschaftsvermögen und erteilt ihre Einwilligung, dass ob diesem das Pfandrecht im Betrag von S 250.000,- samt 3 % Zinsen und 12 % Verzugszinsen sowie einer Nebengebührensicherstellung von S 30.000,- grundbücherlich einverleibt werde.

Durch vorstehendes Pflichtteilsübereinkommen sind sämtliche Ansprüche des Genannten aus diesem Titel befriedigt. [...].“

 

[2] Die Witwe verstarb am 14. 8. 2019. Die Erbin nach der Witwe, A*, bezahlte am 23. 2. 2023 den Kapitalbetrag von 250.000 ATS, nämlich umgerechnet 18.168,22 EUR.

[3] Zum Anspruch auf Zinsen bestehen unterschiedliche Rechtsansichten zwischen dem Betroffenen und der Erbin. Die Erbin legt die Vereinbarung derart aus, dass die Verzinsung von 3 % lediglich für den Zeitraum ab Ableben der Witwe (14. 8. 2019) bis zur Fälligkeit des Kapitalbetrags (14. 11. 2019) zustehe, wobei die Erbin am Zahlungsverzug kein Verschulden treffe und daher auch keine Verzugszinsen zustünden. Aus der Sicht des Betroffenen und der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin ist die Vereinbarung hingegen so zu verstehen, dass 3 % Zinsen seit dem 6. 5. 1996 (Tod des Vaters) zustünden sowie Verzugszinsen ab 14. 11. 2019.

[4] Am 28. 3. 2023 schlossen die Parteien einen schwebend unwirksamen Vergleich, mit dem sich die Erbin zur Zahlung von 10.000 EUR an den Betroffenen binnen 14 Tagen nach rechtskräftiger pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung und der Betroffene zur Erklärung der Löschung des zu seinen Gunsten einverleibten Pfandrechts nach Einlangen des Betrages verpflichtet, womit sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Genannten bereinigt und verglichen sein sollen.

[5] Die für den Betroffenen bestellte Erwachsenenvertreterin beantragte die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung dieses Vergleichs. Der Betroffene selbst sprach sich gegen die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Vereinbarung aus, in dem vereinbarten Betrag würden Zinseszinsen außer Acht gelassen und stünde dem Betroffenen aus der im Pflichtteilsübereinkommen enthaltenen Zinsenvereinbarung ein weit höherer Betrag als der verglichene zu.

[6] Das Erstgericht genehmigte den Vergleich.

[7] Der Wortlaut des Pflichtteilsübereinkommens lasse unterschiedliche Interpretationen zu, die Vertragspartnerin des Pflichtteilsübereinkommens sei bereits verstorben und der Betroffene führe in diversen Schreiben aus, eigentlich auf seinen Pflichtteil verzichtet zu haben. Daher sei der Ausgang eines Verfahrens nicht absehbar und es bestehe ein nicht unbeachtliches Prozessrisiko für den Betroffenen. Die Vereinbarung sei daher als im Wohl des Betroffenen gelegen zu sehen und pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen.

[8] Das Rekursgericht gab dem vom Betroffenen persönlich ausgeführten Rekurs Folge und wies den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ab.

[9] Sämtliche Mitglieder des erkennenden Senats verstünden die Zinsvereinbarung des Pflichtteilsübereinkommens dahingehend, dass der Zinsenlauf von 3 % mit dem Ableben des Vaters, spätestens mit dem Abschluss des Pflichtteilsabkommens in Gang gesetzt werde. Die Interpretation der Erbin, dass der Zinsenlauf erst mit dem Tod der Witwe beginne, überzeuge nicht. Die Wortwahl „zwischenzeitig“ ergebe nur als Wertsicherung ab dem Ableben des Vaters, spätestens ab Vereinbarung Sinn, dies schon allein deshalb, weil die Nebengebührensicherstellung den Betrag von 3 % für 3 Monate bei weitem übersteige. Überdies hätten die 3 % für die 3 Monate zwischen Ableben der Witwe und Fälligkeit gleich beim Kapital mitberücksichtigt werden können.

[10] Auch die Argumentation der Erbin, sie habe den Zahlungsverzug nicht verschuldet und sei daher nicht verpflichtet, Verzugszinsen zu bezahlen, überzeuge nicht. Ob Verzugszinsen, die aufgrund vorheriger Vereinbarung gebührten, ein Verschulden voraussetzten, habe die Auslegung zu ergeben. Der Wortlaut des Pflichtteilsübereinkommens gebe keinerlei Anlass für die Annahme, die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen sei verschuldensabhängig.

[11] Lege man diese Rechtsansichten zugrunde, gebührten dem Betroffenen für die Zeit vom 5. 8. 1996 bis 14. 11. 2019 (gerundet 23 Jahre 3 Monate) Zinsen von insgesamt gerundet 12.750 EUR (bei Beginn des Zinsenlaufes ab dem Tod des Vaters zusätzlich gerundet 136 EUR dazu) und vom 14. 11. 2019 bis 23. 2. 2023 (gerundet 3 Jahre 3 Monate) Verzugszinsen von gerundet 7.410 EUR. Die Überlegung des Erstgerichts hinsichtlich eines allfälligen Verzichts des Betroffenen auf den Pflichtteil überzeuge nicht, weil dem das vorliegende Pflichtteilsübereinkommen widerspreche.

[12] Bei der Abwägung, ob der vorliegende Vergleich zu genehmigen sei, müsse der sich daraus ergebende Vorteil zwar in Relation zur angebotenen Vergleichssumme und der Wahrscheinlichkeit des Prozessverlusts gesetzt werden. Im Hinblick auf die obigen Erwägungen sei die Genehmigung des Vergleichs, der dem Betroffenen nicht einmal 50 % der Summe sichere, die dem Betroffenen bei vollständigem Obsiegen zukäme, auch bei Berücksichtigung des bestehenden Kostenrisikos nicht im Wohl des Betroffenen.

[13] Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der vom Rekursgericht nachträglich zugelassene, von der Erwachsenenvertreterin im Namen des Betroffenen erhobene Revisionsrekurs.

[14] Der Betroffene verfasste eine Replik, kam dem Auftrag zur Verbesserung der ihm zurückgestellten Eingabe aber nicht nach.

Rechtliche Beurteilung

[15] Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

[16] 1. Gemäß § 258 Abs 4 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen eines Erwachsenenvertreters in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Der hier zu beurteilende Abschluss eines Vergleichs über eine Geldforderung des Betroffenen, die auf einem im Jahr 1996 getroffenen Pflichtteilsübereinkommen beruht und im Jahr 2019 fällig wurde, gehört nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb und ist daher genehmigungsbedürftig.

[17] 2. Ein Rechtsgeschäft darf durch das Pflegschaftsgericht nur genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse des Pflegebefohlenen liegt und somit seinem Wohl entspricht. Dies ist der Fall, wenn das Vermögen des Pflegebefohlenen vermehrt wird. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Verminderung des Vermögens des Pflegebefohlenen nicht ausgeschlossen werden kann (RS0048176).

[18] Ob die Voraussetzungen für die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines Vergleichs vorliegen, hängt von der Beurteilung ab, ob dieser und nicht die gerichtliche Durchsetzung des verglichenen Anspruchs dem wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen entspricht. Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit eines Vergleichs ist dabei wie bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, vielmehr ist unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen. Abzustellen ist darauf, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter die vergleichsweise Einigung dem Klageweg vorziehen würde (7 Ob 252/02p; RS0108029 [T6]), was jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn die Erfolgsaussichten gering sind und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Vermögensnachteil des Betroffenen durch die Belastung mit Prozesskosten droht (vgl 4 Ob 211/23t mwN; RS0108029 [T8]; RS0048156 [T11]). Es ist also zu prüfen, ob die konkret zu beurteilende Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (RS0108029 [T13]; RS0048142 [T6]). Dabei ist eine grobe Vorprüfung der Erfolgsaussichten anzustellen (RS0048142), eine abschließende Beurteilung der Tat- und Rechtsfrage ist hingegen nicht vorgesehen (RS0108029 [T9]).

[19] Ob die Voraussetzungen für eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung vorliegen, kann immer nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (RS0048176 [T2]; RS0048142 [T4]; RS0048207 [T1, T8, T25]). Das gilt insbesondere auch für die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines Vergleichs (RS0112025). Bei dieser Prüfung ist daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen (RS0048176 [T6]). Eine erhebliche Rechtsfrage läge vielmehr nur dann vor, wenn dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (4 Ob 211/23t; RS0044088 [T41]).

[20] 3. Eine solche vom Obersten Gerichtshof ausnahmsweise auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.

[21] Das Rekursgericht legte das Übereinkommen, das die Anspruchsgrundlage für den noch strittigen Zinsenanspruch bildet, im Sinn des Rechtsstandpunkts des Betroffenen aus und begründete nachvollziehbar, warum es an der Richtigkeit dieser Auslegung nicht zweifle. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht beträgt der Anspruch des Betroffenen etwas mehr als das Doppelte der Vergleichssumme von 10.000 EUR. Die Beurteilung des Rekursgerichts, die Genehmigung des Vergleichs, derdem Betroffenen nicht einmal 50 % der Summe sichere, die ihm bei vollständigem Obsiegen zukäme, entspreche unter Berücksichtigung des bestehenden Kostenrisikos nicht dem Wohl des Betroffenen, dessen Genehmigung sei daher zu versagen, hält sich in dem den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Entscheidungsspielraum. Im Rahmen der hier gebotenen Grobprüfung ist die Auslegung des Übereinkommens durch das Rekursgericht – auch in Bezug auf die Anknüpfung der Verzugszinsen an einen bloß objektiven Verzug (zur Zulässigkeit und Maßgeblichkeit der konkreten Vereinbarung vgl ErlRV 1167 BlgNR 21. GP  11; 10 Ob 14/18h) nicht korrekturbedürftig. Auf Basis dieser Auslegung könnte der strittige Anspruch mit guten Erfolgsaussichten (und daher mit Kostenersatzanspruch) eingeklagt werden.

[22] Das gilt ungeachtet der von der Erwachsenenvertreterin im Revisionsrekurs (erstmals) aufgeworfenen Verjährungsproblematik. Grundsätzlich gilt nach § 1480 ABGB für Zinsen, und zwar sowohl für vertraglich bedungene als auch für gesetzliche, die dreijährige Verjährungszeit (RS0031939 [T3]). Die Verjährung beginnt freilich erst mit der Fälligkeit des vereinbarten Zinsenanspruchs. Ausgehend von einer dem Auslegungsergebnis des Rekursgerichts entsprechenden Funktion der Verzinsung als Form der Wertsicherung wurden hier die bis dahin anerlaufenen Zinsen von 3 % erst mit der Hauptforderung fällig. Es ist zwar richtig, dass gemäß § 1502 ABGB auf die Verjährung nicht im Voraus verzichtet werden kann und der nach dem Revisionsrekursvorbringen erklärte Vorausverzicht der Anspruchsgegnerin daher an sich unwirksam ist, einer allenfalls dennoch erhobenen Verjährungseinrede kann aber die Replik der Arglist (Handeln wider Treu und Glauben) entgegengesetzt werden (RS0014828; RS0077943; RS0034760 [T3]; vgl auch RS0014838; RS0034537 [T1, T4]).

[23] 4. Der Revisionsrekurs war somit mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte