European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E122277
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Die Wiederaufnahmsklägerin (in der Folge: Klägerin) wurde im Vorprozess – nachdem der (dortige) Kläger und nunmehr Wiederaufnahmsbeklagte die Forderung um die vom Gerichtssachverständigen ausgemittelten Mängelbehebungskosten eingeschränkt hatte – mit Urteil vom 20. 9. 2012 zur Zahlung von 5.173,61 EUR sA an restlichem Kaufpreis für die Lieferung einer Toranlage verurteilt. In der Folge hat die Klägerin ein Privatgutachten eingeholt, wonach die Toranlage aufgrund des Fehlens des CE‑Zeichens nicht marktfähig und nicht sanierbar sei. Dieses Gutachten vom 11. 6. 2016 sei eine neue Tatsache bzw ein neues Beweismittel, welche eine für die Klägerin günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte.
Die Klägerin begehrte daher die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Der Beklagte und die Nebenintervenientin (Herstellerin der Toranlage) wendeten ein, der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund sei bereits Gegenstand des Vorverfahrens gewesen.
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang die Wiederaufnahmsklage ab. Es stellte fest, die fehlende CE‑Kennzeichnung an der Toranlage hindere nicht dessen Sanierung, sie könne durch eine Drittfirma im Nachhinein erfolgen. Die fehlende Konformitätserklärung bzw Anbringung der CE‑Kennzeichnung sei vom Sachverständigen bei Erstattung seines Gutachtens im Vorverfahren berücksichtigt worden, und zwar auch bei der Ermittlung der Mängelbehebungskosten. Es liege daher keine neue Tatsache bzw kein neues Beweismittel vor. Im Übrigen sei die Wiederaufnahmsklage auch verfristet, weil einem der Klägerin zuzurechnenden Zeugen das Fehlen der CE‑Kennzeichnung bzw die mögliche Unsanierbarkeit des Tores bereits vor der vierwöchigen Frist des § 53 ZPO zur Kenntnis gelangt sei. Beweisanträge der Klägerin zum Nachweis dafür, dass das Gutachten vom 11. 6. 2016 geeignet sei, im wiederaufzunehmenden Verfahren ein anderes Ergebnis zu erzielen, ließ das Erstgericht unberücksichtigt.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache an dieses zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob die Beweisaufnahmen im iudicium rescindens so weit zu gehen haben, dass damit im Ergebnis das Beweisverfahren des wiederaufzunehmenden Verfahrens bereits vorweggenommen werde. An den Ausführungen des Sachverständigen, die das Erstgericht seinen Feststellungen zugrunde gelegt habe, bestünden erhebliche Zweifel. Zur Abklärung des objektiven Tatbestands bedürfe es daher der Beiziehung eines unvoreingenommenen gerichtlichen Sachverständigen. Ohne vorgreifende Beweiswürdigung könne auch nicht gesagt werden, dass die Aussagen der von der Klägerin beantragten – vom Erstgericht aber nicht vernommenen – Zeugen ungeeignet seien, die Beurteilung des Sachverständigen im iudicium rescindens (zur Vollständigkeit seines im Vorprozess erstatteten Gutachtens) zu erschüttern. Die Entscheidungsgrundlagen seien daher ergänzungsbedürftig.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen bzw das Klagebegehren abzuweisen.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Die Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO nimmt ihren Anfang erst dann, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel so weit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann (RIS‑Justiz RS0044635). Allein die Kenntnis, dass ein Beweismittel vorhanden ist, das allenfalls zugunsten des eigenen Standpunkts sprechen könnte, verpflichtet noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung (RIS‑Justiz RS0044646 [T2]), sondern erst die Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der objektiv gesehen die Wiederaufnahme rechtfertigt (RIS‑Justiz RS0044635 [T8, T10]).
1.2. Im vorliegenden Fall gründet die Wiederaufnahmsklage zwar zunächst auf der „neuen Tatsache“, dass dem Tor ein CE‑Kennzeichen fehlt. Die Argumentation geht jedoch im Weiteren dahin, dass aufgrund dieser neuen Tatsache das Gutachten des Sachverständigen zur Sanierbarkeit der anderen im Vorprozess eingewandten Mängel unrichtig sei. Diese Verknüpfung ergab sich für die Klägerin mit der erforderlichen Aussicht auf Erfolg erst durch das neue Gutachten. Damit wurde aber die Wiederaufnahmsklage – elf Tage nach Verfassung dieses Gutachtens – jedenfalls rechtzeitig eingebracht, sodass die im Rekurs thematisierte Frage der überschießenden Feststellungen im Zusammenhang mit der Zurechnung der Kenntnisnahme eines Zeugen an die Klägerin auf sich beruhen kann.
2.1. Das Fehlen eines CE‑Kennzeichens des Tores wurden im Vorverfahren von der Klägerin nicht eingewandt. Unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich bei dem neu beigebrachten (diesen Umstand bescheinigenden) Sachverständigengutachten daher auch nicht um ein „neues Beweismittel“ iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Neue Beweismittel im Sinne dieser Bestimmung können sich nämlich immer nur auf bereits im Vorprozess vorgebrachte Tatsachen beziehen (RIS-Justiz RS0040999; 4 Ob 162/17b; vgl auch RS0044741; RS0044669 [T5]).
2.2. Gegenstand des Vorprozesses war jedoch die Frage der Behebbarkeit der damals konkret eingewandten Mängel, die der gerichtlich bestellte Sachverständige bejahte. Der Klägerin wurden die Verbesserungskosten dafür in Form einer Reduktion der Kaufpreis- bzw Werklohnforderung zuerkannt.
2.3. Insofern die Klägerin aus dem fehlenden CE‑Kennzeichen und anderen Unterlagen folgert, auch diese Mängel seien nicht bzw nur zu einem erhöhten Entgelt sanierbar, weil kein anderer Unternehmer bereit sei, die Sanierung (zu diesen Konditionen) zu übernehmen, beruft sie sich mit dem beigebrachten Gutachten auf ein neues Beweismittel. Ein neues Gutachten kann nämlich auch dann eine Wiederaufnahmsklage rechtfertigen, wenn es darlegt, dass das Gutachten im Hauptprozess auf einer unvollständigen Grundlage fußt, weil neu entdeckte Tatsachen nicht berücksichtigt wurden (RIS-Justiz RS0044773 [T2]; 10 ObS 169/03f; 9 Ob 7/05b; 2 Ob 230/06x).
2.4. Da die Behauptung der Klägerin zumindest abstrakt geeignet ist, eine andere Beurteilung der Behebbarkeit der Mängel um den damals zuerkannten Preis zu rechtfertigen, sind die Vorinstanzen von der zitierten Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn sie die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage bejaht haben.
3.1. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung zur Würdigung der neuen Beweismittel im Wiederaufnahmeverfahren zutreffend wiedergegeben:
Ist die Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Klage zu bejahen, sind im Wiederaufnahmeverfahren die neuen Beweismittel über ihre abstrakte Eignung zur Herbeiführung einer Änderung der im Hauptprozess ergangenen Entscheidung hinaus im Wege einer eingeschränkten Beweiswürdigung dahin zu prüfen, ob ihre Nichtberücksichtigung im Hauptprozess gegen die materielle Wahrheitsfindung und die Vollständigkeit der Urteilsgrundlage verstößt, bzw ob sie geeignet war, die Beweiswürdigung im Hauptprozess konkret zu beeinflussen (RIS‑Justiz RS0044510; RS0044687).
Dabei ist zu untersuchen, ob dem betreffenden Beweismittel die konkrete Eignung zukommt, allenfalls eine für den Kläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0044678), worüber es entsprechender Feststellungen durch die Vorinstanzen bedarf (vgl 2 Ob 206/09x; 2 Ob 37/10w). Nur die endgültige, in der Zusammenschau mit den Beweisergebnissen des Hauptprozesses vorzunehmende Beweiswürdigung bleibt im Regelfall dem Hauptprozess vorbehalten, falls dessen Wiederaufnahme bewilligt wird (RIS‑Justiz RS0044678).
3.2. Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Sachverständige des Vorprozesses das fehlende CE‑Kennzeichen ohnedies in seine Überlegungen miteinbezogen hat und hat daher die konkrete Eignung des neuen Gutachtens, die Beweiswürdigung des Hauptprozesses zu beeinflussen, verneint. Diese Feststellung wurde vom Berufungsgericht aufgrund von ihm erkannter Verfahrensmängel nicht übernommen. Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers wird durch diese Feststellung das Ergebnis des Hauptverfahrens aber keineswegs vorweggenommen.
Hatte der damalige Sachverständige das fehlende CE‑Kennzeichen berücksichtigt, basiert sein Gutachten nicht auf unvollständiger Grundlage, womit es an der konkreten Eignung des nunmehr vorgelegten Gutachtens mangeln würde, die Sachverhaltsgrundlage auf Basis neuer Tatsachen in relevanter Weise zu erweitern. Frage des Hauptverfahrens ist hingegen, ob das Gutachten des Sachverständigen auch unter Bedachtnahme auf die neuen Tatsachen richtig war. Die Richtigkeit des Gutachtens – die ja auch dann nicht zwingend zu verneinen ist, wenn der Sachverständige das Fehlen des CE-Kennzeichen tatsächlich nicht berücksichtigt hatte – wird durch die fragliche Feststellung aber gerade nicht geklärt. Nur dies wäre dem Hauptverfahren vorbehalten.
3.3. Wenn das Berufungsgericht – ausgehend von den vom Obersten Gerichtshof geteilten Grundsätzen zur Würdigung der neuen Beweismittel im Wiederaufnahmeverfahren – eine endgültige Beurteilung als noch nicht möglich erachtet, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (vgl RIS-Justiz RS0042179). Auf die dementsprechenden Einwände des Rekurses ist daher nicht einzugehen.
4. Eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung liegt somit nicht vor. Der Rekurs ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
5. Ein Kostenersatzanspruch der Klägerin besteht nicht, weil sie nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat.
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