OGH 4Ob149/19v

OGH4Ob149/19v24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch e/n/w/c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren zuletzt 32.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. Juli 2019, GZ 133 R 77/19z‑10, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00149.19V.0924.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Streitteile bieten Dienstleistungen im Gesundheitsbereich an. Die 2019 gegründete Beklagte erwarb 2019 im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestimmte Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin (ua Planungs- und Projektunterlagen betreffend internationale Projekte, Rechte an Internetdomains und an einer Website). Sie beschäftigt auch vier Mitarbeiter der Schuldnerin weiter, die bisher die internationalen Projekte der Schuldnerin operativ betreut hatten. Auf ihrer Website bewirbt die Beklagte ihr Unternehmen mit insgesamt 60 (weltweiten) Referenzprojekten, die jedoch alle noch von der Insolvenzschuldnerin durchgeführt wurden. Auf der Website ist ua davon die Rede, dass die Beklagte seit vielen Jahren als Vollservice-Dienstleister für medizintechnische Projekte auf internationaler Ebene erfolgreich tätig sei.

Die Vorinstanzen untersagten es der Beklagten mit einstweiliger Verfügung, bei der Bewerbung ihrer Leistungen den unrichtigen Eindruck zu erwecken, sie (als erst 2019 ins Firmenbuch eingetragene Gesellschaft) hätte seit vielen Jahren Projekte weltweit (in 17 namentlich genannten Ländern) durchgeführt, wenn sie diese Projekte gar nicht durchgeführt hat.

Im drittinstanzlichen Verfahren ist strittig, ob durch die Werbung der Beklagten eine Irreführung nach § 2 UWG vorliegt bzw ob die Werbeaussagen geeignet sind, zu einer relevanten Nachfrageverlagerung zu führen.

Rechtliche Beurteilung

Dazu zeigt die Beklagte in ihrer außerordentlichen Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf.

1. Wie die angesprochenen Kreise eine Werbeaussage verstehen und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel ebenso wenig eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0107771; RS0043000; RS0053112) wie die Frage, ob eine andere Beurteilung vertretbar ist (RS0107768).

2.1 Bei der Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Beklagte erwecke den irreführenden Eindruck, dass sie seit geraumer Zeit selbst als eigenständiges Unternehmen tätig sei, handelt es sich jedenfalls nicht um eine krasse Fehlbeurteilung, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RS0107771; RS0043000 [T7]).

2.2 Die angefochtene Entscheidung hält sich vielmehr im Rahmen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 2 UWG. Dessen Tatbestand ist ua auch dann erfüllt, wenn eine langjährige Tradition vorgetäuscht wird, aus der das Publikum besondere Erfahrungen, wirtschaftliche Leistungskraft, Qualität, Zuverlässigkeit, Solidität und eine langjährige Wertschätzung innerhalb des Kundenkreises ableitet, zumal das Publikum bei einem älteren Unternehmen in aller Regel Vorzüge erwartet, die ein jüngeres Unternehmen im Allgemeinen nicht aufzuweisen hat (RS0078638). Die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, dass dabei auf die Erfahrung des Unternehmens und nicht ihrer Mitarbeiter abzustellen sei, orientiert sich an der bisherigen Rechtsprechung (vgl 4 Ob 35/07m) und bedarf keiner Korrektur.

3. Auch aus den in ihrem Rechtsmittel zitierten Entscheidungen ist für die Beklagte nichts abzuleiten.

3.1 In der Entscheidung 4 Ob 388/80, Egger Bier, wurde es vielmehr als irreführend qualifiziert, wenn sich der Erwerber auf eine jahrhundertelange Tradition vor dem Kauf eines Unternehmens beruft.

3.2 In der Entscheidung 4 Ob 36/88 wurde insbesondere hervorgehoben, dass das längere Bestehen eines Unternehmens ua auch seine wirtschaftliche Leistungskraft und Wertschätzung innerhalb des Kundenkreises beweist (RS0078473). Aus dieser Entscheidung lässt sich nicht ableiten, dass der Erwerber eines Betriebsteils allein mit der Übernahme von wenigen (wenngleich qualifizierten) Mitarbeitern denselben Ruf genießt wie ein seit Jahren bestehendes Unternehmen, in dem diese Mitarbeiter zuvor tätig waren.

3.3 Auch die Entscheidung 4 Ob 227/07x kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen, weil es dort als irreführend gesehen wurde, dass die nunmehrigen Mitarbeiter des werbenden Unternehmens die hervorgehobenen Leistungen für ein anderes Unternehmen erbracht hatten.

4. Der Senat hat in der Entscheidung 4 Ob 40/15h bei der Prüfung der Irreführung im Zusammenhang mit einer beworbenen Unternehmenskontinuität darauf abgestellt, ob der Kern des Unternehmens ungeachtet der Änderungen der Rechtsform bzw Firma, des erweiterten Warensortiments und der Marke, gleich geblieben ist.

Aufgrund des Umstands, dass im Anlassfall die Beklagte nur bestimmte Vermögenswerte aus einer Konkursmasse erworben und (ebenso wie die Klägerin) nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitern der Insolvenzschuldnerin weiter beschäftigt hat, bedarf die Verneinung der Kontinuität der Beklagten mit dem Unternehmen der Insolvenzschuldnerin keiner Korrektur durch eine gegenteilige Sachentscheidung.

5. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 1 UWG ist die „Spürbarkeit“ des Verstoßes durch eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung (RS0121680; RS0117605).

5.1 Ob diese Schwelle überschritten wird, begründet – von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (RS0121680 [T2]; RS0123243).

5.2 Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Werbung bestimmte Kundenerwartungen wecke, die zu einer nicht unerheblichen Nachfrageverlagerung zum Nachteil von Mitbewerbern führen könnten, wendet die von der Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen (vgl zB 4 Ob 35/07m, 4 Ob 227/07x ua) entwickelten Grundsätze (auch unter Berücksichtigung der angesprochenen Verkehrskreise) jedenfalls nicht unvertretbar an.

6. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 528 Abs 3, 508a Abs 2 Satz 2 ZPO. Der Klägerin wurde die Beantwortung des Rechtsmittels nicht freigestellt.

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