European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00143.15F.0922.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht entzog der Mutter mit Beschluss vom 17. 6. 2013 die Obsorge für ihren damals vier Monate alten Sohn und übertrug sie zur Gänze dem Jugendwohlfahrtsträger. Die Mutter sei nicht in der Lage, im Hinblick auf ihre persönliche Bedürftigkeit die notwendigsten Bedürfnisse des Säuglings auch nur annähernd adäquat wahrzunehmen.
Mit Beschluss vom 26. 2. 2015 wies das Erstgericht die Anträge der Kindeseltern ab, dem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge zu entziehen und der Mutter und dem Vater die gemeinsame Obsorge zu übertragen. Das Rekursgericht bestätigte diese Antragsabweisung, weil das Kindeswohl dem Elternrecht vorgehe. Grundsätzlich solle jede Maßnahme vermieden werden, die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reiße. Da das Erstgericht festgestellt habe, dass die Rückführung des Minderjährigen aus der Obhut der Pflegeeltern zu einem neuerlichen Wechsel der Lebensverhältnisse führe, was sein Wohl gefährde, müsse auch im Hinblick darauf, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter nicht ausreichend gegeben sei, im Sinn des vorrangigen Kindeswohls des Minderjährigen eine Rückführung in die Herkunftsfamilie vermieden werden, welche mit Traumatisierungsgefahr für den Minderjährigen verbunden sei. Die Rekurse gegen die seinerzeitige Obsorgeentziehung und Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger (samt näher bestimmter Kontaktregelung) wies das Rekursgericht infolge Wegfalls der Beschwer zurück, der damalige Beschluss sei als überholt anzusehen.
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Eltern, der sich ungeachtet der formelhaften Einleitung, den rekursgerichtlichen Beschluss zur Gänze zu bekämpfen, nur gegen die Bestätigung der Abweisung des Antrags richtet, die Obsorge vom Jugendwohlfahrtsträger auf die Eltern (teilweise zurück) zu übertragen, und mit dem sie die Übertragung der gemeinsamen Obsorge für den Minderjährigen anstreben, vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
Rechtliche Beurteilung
1. Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich dessen Wohl maßgebend (RIS‑Justiz RS0048632 [T1]). Sowohl die Frage, ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, als auch die Beurteilung, welche Verfügungen zur Sicherung des Kindeswohls nötig sind, hängen stets von den besonderen Umständen des konkreten Falls ab, sodass sich insoweit regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG stellen (RIS‑Justiz RS0114625 [T1, T2], RS0097114, vgl RS0006998).
2. Das Rekursgericht hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rückübertragung der Obsorge an die leiblichen Eltern nach vorangegangener Entziehung zutreffend dargelegt, wonach bei einem Antrag auf Rückführung des Kindes in die Pflege und Erziehung der leiblichen Eltern nach § 226 ABGB idF KindNamRÄG 2013 mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein muss, dass nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil, dem schon einmal die Obsorge wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden musste, gewährleistet ist und keine Gefahr mehr für das Wohl des Kindes besteht (1 Ob 167/14m mwN; RIS‑Justiz RS0009676, RS0048731 [T1, T6]). Da das Kindeswohl auch bei der Aufhebung von Maßnahmen dem Elternrecht vorgeht (RIS‑Justiz RS0118080), muss eindeutig feststehen, dass die Wiederherstellung der Obsorge der Mutter (bzw wie hier von den Eltern angestrebt: der gemeinsamen Obsorge) dem Kindeswohl dient (1 Ob 167/14m mwN). Ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung erfüllt sind, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0115719).
3. Der bloße Hinweis der Revisionsrekurswerber auf das Recht auf Familie gemäß Art 8 EMRK ohne nähere Ausführung, inwieweit die rekursgerichtliche Entscheidung einen Eingriff in dieses Grundrecht bewirken soll, und ohne jegliche Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des Rekursgerichts, warum die schon im Rekurs vorgetragenen Argumente der Eltern zu dem behaupteten Grundrechtseingriff und zu den Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR nicht zutreffen, wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf. Die Hinweise auf den Maßstab der Rechtsprechung zum Entzug der elterlichen Obsorge gehen ins Leere, weil hier nicht die Entziehung der mütterlichen Obsorge, sondern die Rückübertragung der bereits entzogenen und dem Jugendwohlfahrtsträger übertragenen Obsorge auf die Kindeseltern zu beurteilen war, wofür ‑ wie bereits ausgeführt ‑ ein anderer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist (und vom Rekursgericht auch zutreffend angelegt wurde).
4. Die Ausführungen der Revisionsrekurswerber zur Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens übersehen, dass im außerstreitigen Verfahren der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht gilt (RIS‑Justiz RS0006370). Es schadet daher auch nicht, wenn nicht alle an der Entscheidung beteiligten Richter auch an der Verhandlung teilgenommen haben (RIS‑Justiz RS0124924). Überdies kann ein vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel auch im Außerstreitverfahren nicht nochmals als Revisionsrekursgrund geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0050037). Ebenso wenig ist es zulässig, im Rekurs nicht beanstandete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens erst im Revisionsrekurs zum Gegenstand einer Mängelrüge zu machen (RIS‑Justiz RS0043111 [T18], RS0050037 [T13]; hier: Verletzung der Manuduktionspflicht durch das Erstgericht, vgl RIS‑Justiz RS0043111 [T16]).
5. Der überdies behauptete „Nichtigkeitsgrund“ der mangelnden Begründung iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, der im Wesentlichen § 57 Z 1 AußStrG entspricht (RIS‑Justiz RS0121710), wäre nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS‑Justiz RS0007484). Davon kann angesichts der ausführlich begründeten und übersichtlich gegliederten Rekursentscheidung keine Rede sein. Die Kritik an der rekursgerichtlichen Begründung richtet sich darüber hinaus wiederholt gegen Zitate der erstgerichtlichen Begründung und geht daher von vornherein ins Leere.
6. Die Ergebnisse von Sachverständigengutachten sind in dritter Instanz nur insoweit anfechtbar, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen sind (RIS‑Justiz RS0043404). Derartiges behauptet der Revisionsrekurs nicht. Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fällt hingegen in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RIS‑Justiz RS0113643).
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