European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00168.13I.0625.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 818,66 EUR (darin 136,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Kläger sind je zur Hälfte bücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ 200 des Grundbuchs B***** mit dem Grundstück 1671/1, das an das zur EZ 336 gehörige Grundstück 1670/2 des Beklagten grenzt. In einem Vorprozess wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 7. 7. 2010 festgestellt, dass dem hier Beklagten (und dortigen Kläger) und seinen Rechtsnachfolgern im Eigentum der Liegenschaft EZ 336 das Recht zusteht, über das Grundstück 1671/1 auf einem im Katasterplan näher bezeichneten Waldweg zu gehen und zu fahren. Die Kläger wurden verpflichtet, in die grundbücherliche Einverleibung dieses Geh‑ und Fahrrechts einzuwilligen. In der Folge wurde die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens im Grundbuch einverleibt.
Das Grundstück des Beklagten hat einen Rotbuchenbestand mit hohem Pflege‑ und Verjüngungsbedarf. Zum Zweck der Bewirtschaftung dieses Waldes wurde der unbefestigte Waldweg der Kläger von den Rechtsvorgängern des Beklagten zumindest seit dem Jahr 1965 begangen und befahren. Es handelte sich um einen „Traktorweg“ mit einer Fahrspur und einer starken Querneigung, die im ersten Wegabschnitt durchschnittlich 20 %, im zweiten Abschnitt durchschnittlich 30 % betrug. Aufgrund dieser Querneigung bestand beim Holztransport Rutschgefahr. Die Holzbringung mit dem Traktor ‑ ohne Verwendung eines Anhängers ‑ erfolgte im Wege des „Bodenzugs“ und war nur bei günstigen Wetterverhältnissen, dh bei trockenem oder gefrorenem Boden möglich. Der Weg wurde deshalb auch vom Beklagten nur mit kleinen Traktoren und bei trockenem Wetter befahren.
Nach seinem Obsiegen im Vorprozess verringerte der Beklagte die Querneigung des Wegs, indem er bergseitig Material entnahm und dieses talseitig aufschüttete, sodass eine „Fahrbahn“ entstand. Die Querneigung der neuen Weganlage beträgt nunmehr im ersten Abschnitt nur noch 3,3 % und im zweiten Abschnitt 5,1 %. Die durchschnittliche Wegbreite beträgt dort 2,29 m, wobei der Servitutsweg im letzten Abschnitt immer schmäler wird. Die geringste Breite beträgt 1,8 m. In diesem Teil des Wegs erfolgte auch ein stärkerer Eingriff in das Gelände mit einer durchschnittlichen bergseitigen Böschungshöhe von 48,4 cm (maximal 93 cm) und einer durchschnittlichen talseitigen Böschungshöhe von 59,5 cm (maximal 96 cm).
Die Verminderung des Quergefälles führte zu einer Erhöhung der „Verkehrssicherheit“. Der Ausbau des Wegs hat zur Folge, dass er nunmehr ganzjährig mit einem Allradtraktor samt Anhänger und mit Pkws befahren werden kann. Ein wirtschaftlicher Nachteil für das Grundstück der Kläger ist nicht entstanden. Der Abtransport des Holzes unter Verwendung eines Anhängers bedeutet eine schonendere Behandlung des Bodens, als das beim Schleifen des Holzes der Fall gewesen ist. Eine zeitgemäße Infrastruktur für die forstliche Bringung wurde durch den Ausbau des Wegs dennoch nicht erreicht.
Die Kläger begehrten, den Beklagten zur Unterlassung näher bezeichneter Eingriffe in ihr Eigentumsrecht am Grundstück 1671/1 und zur Wiederherstellung des vorherigen Zustands dieses Grundstücks zu verpflichten. Der Beklagte habe Abgrabungen durchführen lassen und die Wegbreite vergrößert. Der bisherige Zustand des unbefestigten Waldwegs sei erheblich verändert worden, um ein Befahren des Wegs mit Traktor samt Anhänger zu ermöglichen. Diese Maßnahmen hätten zu einer unzulässigen Erweiterung der Dienstbarkeit des Beklagten geführt.
Der Beklagte wandte ein, das frühere Quergefälle habe ein Befahren des Wegs mit Traktor und beladenem Anhänger nicht erlaubt. Um sein Wegerecht ausüben zu können, habe er den Weg schonend herrichten lassen. Er habe die Wegtrasse so verändert, dass sie an die fortschreitende technische Entwicklung angepasst worden sei. Die Kläger hätten keinen Nachteil, die Klagsführung sei schikanös.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es vertrat die Ansicht, der Beklagte sei zur Veränderung des Wegs nicht befugt gewesen. Die dadurch möglich gewordene ganzjährige Befahrbarkeit mit Fahrzeugen aller Art bedeute eine erhebliche Mehrbelastung für das dienende Gut. Darin liege nicht bloß eine Anpassung an die technische Entwicklung, sondern eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach zunächst aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
In rechtlicher Hinsicht erörterte es, eine erheblich schwerere Belastung des dienenden Guts sei schon anzunehmen, wenn ‑ wie hier ‑ die Breite und die Befestigung, somit die Beschaffenheit des Wegs geändert werde, um eine Benützung durch Fahrzeuge erst zu ermöglichen. Die unzulässige Erweiterung der Servitut sei demnach schon darin gelegen, dass der ursprüngliche Waldweg durch Abgrabung und Aufschüttung eingeebnet worden sei. Dadurch sei eine „Straße“ entstanden, die dem Beklagten das Befahren mit einem Traktor samt Anhänger ermögliche. Einen derartigen Eingriff in ihr Eigentum müssten die Kläger nicht dulden. Ob es hiedurch zu einer erheblichen Mehrbelastung des dienenden Guts komme, sei nicht entscheidend.
Nachträglich ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision doch zu. Im Hinblick auf die Entscheidungen 6 Ob 200/12y und 1 Ob 301/97i sei nicht auszuschließen, dass es bei der Beurteilung, ob die Kläger die Verringerung der Querneigung des Waldwegs hinnehmen müssten, sein Ermessen möglicherweise überschritten habe. Darüber hinaus komme dieser Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:
1. Die in einer Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erblickte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Feststellungen des Erstgerichts korrekt wiedergegeben und keine eigenen Feststellungen getroffen. Ein allfälliges Abweichen von der erstinstanzlichen Tatsachengrundlage im Rahmen seiner Rechtsausführungen ‑ so der Vorwurf des Beklagten ‑ könnte nur zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung führen.
2. Der Inhalt von ersessenen Dienstbarkeiten bestimmt sich nach dem Zweck, zu dem das belastete Grundstück am Beginn der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Guts während dieser Zeit benötigte. Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (2 Ob 150/12s mwN, 4 Ob 25/14a; RIS‑Justiz RS0011664).
Bei einer „ungemessenen“ Dienstbarkeit, deren Art und Umfang ‑ wie hier ‑ durch den Erwerbstitel nicht eindeutig bestimmt ist, orientiert sich der Inhalt einer solchen Dienstbarkeit zwar am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Guts, doch findet das eingeräumte Recht seine Grenzen in dessen ursprünglichen Bestand und der ursprünglichen oder doch zumindest vorhersehbaren Bewirtschaftungsart. Es soll dem Berechtigten der angestrebte Vorteil ermöglicht, dem Belasteten aber so wenig wie möglich geschadet werden. Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt nur dann vor, wenn das dienende Grundstück erheblich schwerer belastet wird (2 Ob 150/12s mwN; 4 Ob 25/14a; RIS‑Justiz RS0011733, RS0016368, RS0016370, RS0097856 ua). Solange daher eine ungemessene Dienstbarkeit innerhalb ihrer Schranken ausgeübt wird, fehlt es an deren ‑ gemäß § 484 ABGB unzulässigen ‑ eigenmächtigen Erweiterung. Nur im erörterten Rahmen dürfen somit die Modalitäten der Rechtsausübung der fortschreitenden technischen Entwicklung angepasst werden (1 Ob 295/98h mwN).
Die Fragen des Ausmaßes bzw des Umfangs einer Dienstbarkeit und der Grenzen der zulässigen Erweiterung sind grundsätzlich einzelfallbezogen zu lösen und erfüllen daher ‑ von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen ‑ nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 13/11t mwN; 2 Ob 150/12s).
3. Eine derartige Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen:
Ob ein Fahrweg (§ 492 ABGB) mit bestimmten Fahrzeugen befahren werden kann, hängt auch von der Beschaffenheit des Bodens und der vorhandenen Weganlage ab (RIS‑Justiz RS0016365). In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird eine erheblich schwerere Belastung des dienenden Guts und damit eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit insbesondere dann angenommen, wenn die Beschaffenheit des Wegs (etwa dessen Breite und/oder Befestigung) geändert werden muss, um seine ‑ wenn auch einem Bedürfnis des Berechtigten entsprechende ‑ Benützung durch Fahrzeuge zu ermöglichen (vgl 5 Ob 661/82; 4 Ob 1617/95; 1 Ob 295/98h; 1 Ob 225/12p; RIS‑Justiz RS0016367).
Im vorliegenden Fall ging das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung von einer Veränderung (auch) der Breite des Wegs durch den Beklagten aus. Diese Auslegung der erstinstanzlichen Feststellungen ist vertretbar und wirft deshalb keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS‑Justiz RS0118891). Hat doch das Erstgericht festgestellt, dass früher, also während der Ersitzungszeit, lediglich ein Traktorweg mit einer Fahrspur vorhanden war und auch der Beklagte den Weg nur mit kleinen Traktoren befuhr. In seiner derzeitigen Gestaltung ist der Weg im zweiten Abschnitt jedoch durchschnittlich 2,29 m (im ersten Abschnitt sogar 2,51 m; vgl AS 91) breit, was jedenfalls auf eine Verbreiterung hindeutet.
Dass der Beklagte den Weg auch „befestigt“ hätte, geht zwar aus den erstinstanzlichen Feststellungen tatsächlich nicht hervor; dieser Umstand war aber für die Entscheidung des Berufungsgerichts, ebenso wie die in der Revision bemängelte Bezeichnung des Waldwegs als „Straße“, ohnehin nicht von Relevanz. Den nicht zu duldenden Eingriff in das Eigentumsrecht der Kläger erblickte es vielmehr erkennbar in der eigenmächtigen Herstellung einer neuen Weganlage durch Verwendung von Material, das der Beklagte dem an den Servitutsweg angrenzenden Gelände entnommen hat. Die Rechtsansicht, dass diese Vorgangsweise das ersessene Recht überschreite, hält sich noch im Rahmen der erörterten Rechtsprechung (vgl auch 5 Ob 136/09z) und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Daran ändert nichts, dass der Oberste Gerichtshof in (anders gelagerten) Einzelfällen auch schon vom Regelfall abweichende Lösungen als vertretbar gebilligt hat (vgl 1 Ob 301/97i; 6 Ob 200/12y).
4. Hat aber das Berufungsgericht schon die grundlegende Veränderung des Wegs vertretbar als unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit beurteilt, kommt es auf die vom Beklagten ins Treffen geführten weiteren Umstände (keine häufigere Beanspruchung; keine Kultur- oder Widmungsänderung des herrschenden Guts; schonendere Behandlung des Waldbodens; kein wirtschaftlicher Nachteil für die Kläger) nicht mehr an.
Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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