OGH 4Ob25/14a

OGH4Ob25/14a25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** S*****, 2. A***** S*****, beide *****, beide vertreten durch Hauer Puchleitner Majer Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei M***** L*****, vertreten durch Eger|Gründl Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Oktober 2013, GZ 5 R 74/13h‑21, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Gleisdorf vom 12. Februar 2013, GZ 6 C 85/12s‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften in der Umgebung von Graz. Bei der Liegenschaft der Kläger ist aufgrund eines Kaufvertrags aus dem Jahr 1951 die Dienstbarkeit des Gehens, Fahrens und Viehtreibens (unter anderem) für die Liegenschaft des Beklagten einverleibt; in der Natur ist ein asphaltierter Weg vorhanden, der (auch) zur Liegenschaft des Beklagten führt.

Bei Begründung der Dienstbarkeit war die herrschende Liegenschaft landwirtschaftlich genutzt. Ab den späten 1950er Jahren betrieb eine Rechtsvorgängerin des Beklagten während der „warmen Jahreszeit“ Sommersaison eine Fremdenpension, wobei der Schwerpunkt in den Monaten Mai bis Oktober lag. Die Zufahrt erfolgte über den Weg, wobei es sich bei den Gästen vorwiegend um „ältere Herrschaften“ handelte, die an den Wochenenden mit „Bussen“ anreisten; manche kamen auch mit Privatfahrzeugen. In den Wintermonaten wurden die Zimmer vereinzelt an Arbeiter vermietet, die in der Umgebung beschäftigt waren. Um das Jahr 2003 wurde der Pensionsbetrieb eingestellt.

Der Beklagte erwarb die herrschende Liegenschaft im Jahr 2009. Zu diesem Zeitpunkt gab es im ersten Stock des Hauptgebäudes sieben Wohneinheiten, im Erdgeschoß befanden sich eine Küche, die Wohnung der früheren Eigentümerin sowie ein Gast- und Schankraum samt Toilettenanlagen. Der Beklagte führte Umbauarbeiten durch. Im ersten Stock schuf er ohne Veränderung der Grundrisse sieben Wohneinheiten mit Sanitär- und Küchenbereich, im Erdgeschoß errichtete er vier Wohnungen. Alle elf Wohnungen sind nun auf Dauer vermietet. Auch ein Nebengebäude ist vermietet, wobei der Mieter die Wohnräume nutzt und auch eine Werkstatt eingerichtet hat; ein weiteres Nebengebäude mit drei Zimmern steht leer. Die Mieter fahren meist über den strittigen Weg zu, teilweise aber auch über einen anderen Weg auf einer dritten Liegenschaft, der in den 1990er-Jahren befestigt worden war.

Seit dem Erwerb der herrschenden Liegenschaft durch den Beklagten und dem von ihm durchgeführten Umbau hat das Verkehrsaufkommen auf dem strittigen Weg stark zugenommen. Nicht nur die Mieter, sondern auch deren Besucher befahren ihn mehrmals täglich. Da der Weg eine starke Steigung aufweist, müssen die Fahrzeuge mit einem niedrigen Gang hinauffahren, was zu einer erhöhten Lärmbelästigung führt. Die Kläger sind dadurch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass keine Dienstbarkeit bestehe, wonach ein Befahren des Weges durch die Mieter des Beklagten zulässig wäre. Die herrschende Liegenschaft sei bei Begründung der Dienstbarkeit nur landwirtschaftlich genutzt worden; auch die später errichtete Fremdenpension sei nur in den Sommermonaten betrieben worden. Daher habe es auf dem Weg nahezu keinen Verkehr gegeben. Seit dem Umbau würden die Wohnungen gewerblich vermietet, die Bewohner führen zur Arbeit, tätigten Einkäufe und erhielten Besuche. Dies sei von der Dienstbarkeit nicht mehr gedeckt.

Der Beklagte bestreitet eine relevante Mehrbelastung des herrschenden Gutes. Es sei auf die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten abzustellen. Die Zahl der Bestandsobjekte habe sich durch den Umbau nicht erhöht. Zudem würden nun nur Mieter mit PKW zufahren und nicht mehr wie früher Pensionsgäste mit PKW und Bussen sowie Zulieferer mit LKW. Schon aus diesem Grunde sei eine Mehrbelastung auszuschließen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Durch den über 30 Jahre dauernden Betrieb der Fremdenpension sei die ursprünglich nur für die landwirtschaftliche Nutzung vereinbarte Dienstbarkeit auf die Zufahrt zu dieser Pension ausgedehnt worden. Die nunmehrige Nutzung des Weges durch die Dauermieter des Beklagten sei wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens eine unzulässige Ausweitung dieser Dienstbarkeit.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es bewertete seinen Entscheidungsgegenstand mit mehr als 5.000 EUR, jedoch nicht mehr als 30.000 EUR und ließ die ordentliche Revision zu.

Eine Dienstbarkeit könne zwar den technischen Entwicklungen angepasst werden. Eine Änderung der Bewirtschaftung des herrschenden Gutes dürfe aber zu keiner Erhöhung der realen Belastung des dienenden Gutes führen. Dies treffe hier zu, weil durch die Dauervermietung das Verkehrsaufkommen und damit auch die Lärmbelästigung zugenommen hätten. Soweit der Berufungswerber meine, es könne nur die Ausweitung der Dienstbarkeit und daher nicht jede Nutzung des Weges durch Mieter des Beklagten unzulässig sein, sei auf die „deutliche Fassung des Urteilsspruchs“ hinzuweisen, wonach die Dauermieter das Befahren des Weges zu unterlassen hätten, „zumal gerade die Dauervermietung zur Ausweitung der Dienstbarkeit führte.“ Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob eine unzulässige Ausweitung der Dienstbarkeit vorliege, bei Anlegen eines großzügigeren Maßstabs auch verneint werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Beklagten ist zwar nicht aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, wohl aber deswegen zulässig, weil auch bei einer Änderung der Nutzungsart nur die Mehrbelastung des dienenden Gutes untersagt werden kann. Sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Zwar ist für die Liegenschaft des Beklagten eine Dienstbarkeit zulasten der Liegenschaft der Kläger einverleibt. Diese wurde jedoch begründet, als das herrschende Gut noch landwirtschaftlich genutzt wurde. Die Zufahrt zu einem Gebäude mit mehr als zehn Wohneinheiten wäre davon keinesfalls gedeckt. Zwischen den Parteien ist allerdings unstrittig, dass diese Dienstbarkeit aufgrund der mehr als dreißigjährigen Nutzung des dienenden Gutes als Zufahrt zu einer Fremdenpension durch Ersitzung ausgeweitet wurde. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist zudem anzunehmen, dass die neuerliche Nutzungsänderung des herrschenden Gutes (Dauervermietung nach Umbau) zu einer weiteren ‑ und zwar deutlichen ‑ Mehrbelastung des dienenden Gutes geführt hat. Damit entscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von einem Vorverfahren über die Nutzung desselben Weges als Zufahrt zu einem anderen Grundstück, das früher ebenfalls zum Pensionsbetrieb gehört hatte. Die Kläger hatten dieses Verfahren verloren (Zurückweisung der Revision in 2 Ob 150/12s), die Mehrbelastung durch die Nutzung der Gebäude auf dem hier herrschenden Gut war dort aber der Natur der Sache nach nicht Gegenstand gewesen.

2. Die auch für die Beurteilung des vorliegenden Falls maßgebenden Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof in der bereits erwähnten Entscheidung 2 Ob 150/12s ausführlich dargelegt.

2.1. Danach bestimmt sich der Inhalt von ersessenen Dienstbarkeiten nach dem Zweck, zu dem das belastete Grundstück am Beginn der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Gutes während dieser Zeit benötigte. Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (7 Ob 12/07a; 10 Ob 27/11k; 6 Ob 200/12y; RIS-Justiz RS0011664). Bei einer „ungemessenen“ Dienstbarkeit, deren Art und Umfang ‑ wie hier ‑ durch den Erwerbstitel nicht eindeutig bestimmt ist, orientiert sich der Inhalt einer solchen Dienstbarkeit zwar am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Gutes, doch findet das eingeräumte Recht seine Grenzen in dessen ursprünglichen Bestand und der ursprünglichen oder doch zumindest vorhersehbaren Bewirtschaftungsart. Es soll dem Berechtigten der angestrebte Vorteil ermöglicht, dem Belasteten aber so wenig wie möglich geschadet werden. Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt nur dann vor, wenn das dienende Grundstück erheblich schwerer belastet wird (10 Ob 27/11k; 2 Ob 13/11t; 6 Ob 200/12y; RIS‑Justiz RS0011733, RS0016368, RS0016370, RS0097856 ua).

2.2. Der Umfang einer Wegeservitut richtet sich stets nach der Kulturgattung und der Bewirtschaftungsart des herrschenden Grundstücks im Zeitpunkt der Bestellung bzw Ersitzung der Dienstbarkeit. Kulturänderungen des herrschenden Gutes geben daher keinen Anspruch auf Ausdehnung eines Geh- und Fahrrechts (2 Ob 13/11t mwN; RIS-Justiz RS0016364 [T2]); auch Belastungen des dienenden Gutes infolge Änderung der Bewirtschaftungsart des herrschenden Gutes sind unzulässig (6 Ob 200/12y; RIS‑Justiz RS0011691). Die unzulässige Erweiterung einer Dienstbarkeit iSd § 484 ABGB wurde etwa in der Ausdehnung eines für private oder landwirtschaftliche Zwecke eingeräumten Fahrrechts auf andere (insbesondere gewerbliche) Zwecke erblickt, wobei teilweise nur auf die inhaltliche Änderung der Rechtsausübung abgestellt wurde (vgl etwa SZ 42/10; SZ 56/46; 6 Ob 333/97g; RIS-Justiz RS0011718), teilweise aber auch auf eine Mehrbelastung des dienenden Gutes (vgl etwa SZ 25/304; 1 Ob 276/02y; 10 Ob 27/11k; RIS-Justiz RS0011725 [T4, T8, T13]). Bei einer Vergrößerung des herrschenden Gutes oder baulichen Änderungen auf diesem wurde ‑ sofern es sich nicht um eine gemessene Servitut handelte (6 Ob 84/05d) ‑ vorrangig berücksichtigt, ob sich daraus eine nachteilige Beanspruchung des dienenden Gutes ergibt (vgl 7 Ob 709/77; 9 Ob 1/00p; 7 Ob 12/07a; 5 Ob 23/08f; 6 Ob 39/11w).

3. Diese Rechtsprechung trägt die angefochtene Entscheidung nicht.

3.1. Auch bei einer Änderung der Bewirtschaftungsart kann nur die dadurch verursachte Mehrbelastung des dienenden Gutes untersagt werden (so ausdrücklich 1 Ob 144/07v und 10 Ob 27/11k). Denn die Interessen des Verpflichteten werden nur in diesem Ausmaß beeinträchtigt; soweit die neue Bewirtschaftungsart zu keiner erhöhten Belastung des dienenden Gutes führt, ist kein Grund erkennbar, weshalb der Verpflichtete dessen Inanspruchnahme nun nicht mehr dulden müsste. Entschiede man anders, führte jegliche Änderung der Bewirtschaftung dazu, dass die Dienstbarkeit zunächst nicht ausgeübt werden könnte und in weiterer Folge nach § 1479 ABGB erlöschen würde. Ein solches Ergebnis könnte zwar ‑ etwa aufgrund ergänzender Auslegung eines Dienstbarkeitsbestellungsvertrags ‑ dann erwogen werden, wenn eine andere Bewirtschaftung des herrschenden Gutes zwar nicht mit einer verstärkten Ausübung des konkret bestehenden Rechts verbunden wäre, wohl aber aus anderen Gründen ‑ etwa wegen dadurch verursachter Immissionen ‑ zu einer Beeinträchtigung des dienenden Gutes führte. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

3.2. Illustrativ ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung 1 Ob 144/07v: Bei Einräumung eines Wegerechts befand sich am herrschenden Gut ein größeres Einfamilienhaus, die Errichtung eines zweiten Gebäudes stand „im Raum“. Später wurden jedoch 19 Wohneinheiten errichtet, deren Mieter nun über das dienende Gut fuhren. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs musste der Dienstbarkeitsverpflichtete eine „unbeschränkte“ Wegnutzung durch die Mieter nicht dulden, wohl aber hatte er jenes Verkehrsaufkommen hinzunehmen, das „nach den heutigen Gegebenheiten mit dem Bewohnen von zwei (größeren) Privatvillen verbunden ist.“ Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist damit vergleichbar. Denn die Dienstbarkeit wurde durch Ersitzung für die Zufahrt zu Wohnzwecken (wenngleich im Zusammenhang mit einer Fremdenpension) begründet; Umbauten und Dauervermietung führen nun zu einer (insgesamt) deutlich erhöhten Belastung der dienenden Liegenschaft, vor allem außerhalb der Sommersaison. Diese Belastung kam jedoch nicht zur ursprünglichen hinzu, sondern trat an deren Stelle. Jene Nutzung, die die Kläger ‑ unter Bedachtnahme auf die heutigen Verhältnisse (Motorisierung) ‑ auch beim Betrieb einer in erster Linie während des Sommers betriebenen einfachen Fremdenpension hinnehmen müssten, haben sie auch in Zusammenhang mit den Dauermietern zu dulden.

3.3. Dies Auffassung steht nicht im Widerspruch zu Entscheidungen, in denen dem Berechtigten jegliche Nutzung untersagt wurde, die im Zusammenhang mit einer neuen Bewirtschaftung des herrschenden Gutes stand (vgl etwa 6 Ob 702/77, 5 Ob 667/82, 10 Ob 27/11k). Denn dort trat die Belastung durch die neue Bewirtschaftung offenkundig zur bisherigen hinzu (zB 5 Ob 667/82: Anmeldung eines Taxigewerbes durch den weiter auf der herrschenden Liegenschaft ansässigen Dienstbarkeitsberechtigten), sodass in Wahrheit ohnehin nur eine Mehrbelastung zu prüfen war.

4. Die Kläger haben das Befahren des Weges durch die Mieter des Beklagten daher in jenem Ausmaß dulden, das dem durch den Betrieb der Fremdenpension ersessenen Recht entspricht. Die von ihnen begehrte Feststellung der umfassenden Nichtberechtigung geht auf dieser Grundlage zu weit. Allerdings kann auch bei Feststellungsbegehren ein Minderzuspruch erfolgen (4 Ob 93/13z mwN). Um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden (RIS-Justiz RS0037300 [insb T9]), sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, und die Rechtssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Dort wird mit den Parteien insbesondere die Fassung des Spruchs zu erörtern sein. Sollten die Kläger am umfassenden Begehren festhalten, wird der Beklagte ‑ der ein Recht behauptet und dieses daher im Verfahren über die negative Feststellungsklage behaupten und beweisen muss (RIS-Justiz RS0039109; zuletzt etwa 4 Ob 138/13t) ‑ ein konkretes Vorbringen zu erstatten haben, in welchem Ausmaß das Befahren des Weges aufgrund der dargestellten Rechtslage zulässig sein soll.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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