Spruch:
Auch bei einer ungemessenen Dienstbarkeit stellt die Ausdehnung eines für landwirtschaftliche Zwecke eingeräumten Fahrtrechtes auf gewerbliche Zwecke des herrschenden Gutes eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit dar.
Ein für landwirtschaftliche Zwecke eingeräumtes Fahrtrecht umfaßt das Recht des Fußsteiges im gleichen Umfang.
Entscheidung vom 22. Jänner 1969, 5 Ob 6/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Mattighofen; II. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis.
Text
Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer der EZ. 99. KG. P.-Dorf, zu dessen Gutsbestand die Grundstücke Nr. 85/1 Bauarea und Nr. 1716/1 Wiese gehören.
Die Beklagte ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ. 157 KG. P.- Dorf, zu der u. a. die Parzelle Nr. 85/2 Bauarea gehört. Mit Kaufvertrag vom 25. Oktober 1936 erwarben die Beklagte und ihr inzwischen verstorbener Gatte von den Voreigentümern der Kläger einen Teil des Grundstückes 1716/1, der in die Parzelle 85/2 einbezogen wurde.
Im Punkt VIII des Kaufvertrages vom 25. Oktober 1936 wurden folgende Vereinbarungen getroffen:
"Bezüglich des im beigehefteten Plane dargestellten, mit gegenseitiges Fahrtrecht für Besitz 85/2 und 85/1 bezeichneten Fahrtrechtes bleibt es im beiderseitigen vertragsgültigen Einverständnisse beim bisherigen Zustand auch in der Zukunft."
Der tatsächliche Zustand war damals der, daß die Eigentümer der nunmehr der Beklagten gehörigen Liegenschaft mit Fuhren, die im Betrieb der Landwirtschaft erforderlich waren, den auf dem Grund der Kläger entlang der Grundgrenze führenden Wiesenweg benützten und auf diesem Weg insbesondere Jauche und zur Erntezeit auch Kartoffeln und Rüben beförderten, welche Produkte durch ein auf dieser Seite des Gebäudes der Beklagten befindliches Fenster in den Keller geschüttet wurden. Seit einiger Zeit läßt die Beklagte auch das Bier, das sie für ihre Bierniederlage benötigt, auf diesem Wiesenweg zu ihrem Hause bringen, an dessen Rückseite vor kurzer Zeit eine Tür ausgebrochen wurde. Auch Besucher der Beklagten benützen mit deren Einverständnis den Wiesenweg mit Fahrzeugen.
Ein Wegerecht ist zugunsten der Beklagten im Grundbuch eingetragen. Der von der Beklagten benützte Weg liegt aber auf dem im Eigentum der Kläger stehenden Grund.
Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger 1. die Feststellung, daß ein Fahrtrecht für Kraftfahrzeuge aller Art, einschließlich Motorrädern und Mopeds, sowie ein Zugangsrecht zum Hause Nr. 25 auf der Parzelle 85/2, inliegend in EZ. 157, KG. P.-Dorf, über den Wiesenweg auf der Parzelle 1716/1, nicht besteht, und 2. die Beklagte schuldig zu erkennen, jede der angeführten Arten der Benützung des Wiesenweges über das Grundstück 1716/1 Wiese zu unterlassen. Die Klage wird darauf gestützt, daß der Beklagten ein Fahrtrecht zur Entleerung der Jauchengrube eingeräumt worden sei. Eine darüber hinausgehende Dienstbarkeit stehe ihr aber nicht zu.
Die Beklagte wendete ein, daß ihr auf Grund des Kaufvertrages vom 25. Oktober 1936 das uneingeschränkte Geh- und Fahrtrecht zustehe.
Das Erstgericht stellte fest, daß ein Fahrtrecht für Kraftfahrzeuge aller Art, außer im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes, einschließlich Motorräder und Mopeds über den Wiesenweg auf der Parzelle 1716/1 nicht besteht. Es erkannte die Beklagte schuldig, jede derartige Benützung des Weges zu unterlassen. Hingegen wurde das Mehrbegehren, festzustellen, daß kein Zugangsrecht zum Haus Nr. 25 und auch im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes kein Fahrtrecht für Kraftfahrzeuge aller Art über den erwähnten Wiesenweg bestehe, sowie das diesbezügliche Unterlassungsbegehrens abgewiesen. Das Prozeßgericht vertrat die Auffassung, daß bei der Beurteilung des Umfanges des Fahrtrechtes davon ausgegangen werden müsse, daß der Weg früher nur zu landwirtschaftlichen Zwecken benützt worden sei. Dieser Zustand sollte durch den Kaufvertrag vom 25. Oktober 1936 nur erhärtet werden und keine Änderung erfahren. Beim Betrieb ihrer Landwirtschaft brauche sich die Beklagte aber nicht mehr auf Pferde und Ochsen als Zugtiere beschränken, sondern sie könne entsprechend den Gegebenheiten der Zeit auch Kraftfahrzeuge, insbesondere einen Traktor, verwenden. Hingegen lasse aber eine Kulturänderung des herrschenden Gutes keine Ausdehnung des Geh- und Fahrtrechtes zu. Die Beklagte sei daher nicht befugt, das Bier auf dem Wiesenweg zu ihrem Haus bringen zu lassen, zumal das Haus auf der anderen Seite einen weiteren Eingang besitze, der vom öffentlichen Weg aus zu erreichen sei. Das Wegerecht für landwirtschaftliche Fuhren könne auch nicht auf die Benützung mit Personenkraftwagen, Motorrädern und Mopeds ausgedehnt werden, weil darin eine andere Art der Benützung liege. Das Klagebegehren sei daher zum Teil begrundet.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Prozeßgerichtes teilweise dahin ab, daß festgestellt wurde, daß ein Fahrtrecht für Kraftfahrzeuge aller Art, insbesondere Motorräder und Mopeds, mit Ausnahme von Kraftfahrzeugen, die zum Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Güter verwendet werden, sowie ein Zugangsrecht zum Haus Nr. 25 auf der Parzelle 85/2 auf dem Wiesenweg über die Parzelle 1716/1 nicht besteht. Die Beklagte wurde schuldig erkannt, jede Benützung des Wiesenweges über das Grundstück 1716/1 Wiese in der bezeichneten Art zu unterlassen. Hingegen wurde das Mehrbegehren, es werde festgestellt, daß ein Fahrtrecht auch für Kraftfahrzeuge, die zum Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Güter verwendet werden, auf dem Wiesenweg über die Parzelle 1716/1 nicht besteht und die Beklagte schuldig sei, die Benützung des Wiesenweges über das Grundstück 1716/1 in dieser Art zu unterlassen, abgewiesen. Das Gericht zweiter Instanz übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze und vertrat die Auffassung, daß nach dem Kaufvertrag vom 25. Oktober 1936 den Voreigentümern der Beklagten nur ein Fahrtrecht mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen eingeräumt worden sei. Ein Recht des Fußsteiges sei den Voreigentümern nicht zugestanden. Die Beklagte dürfe daher nur dann, wenn sie den Weg mit landwirtschaftlichen Fuhren befahre, begehen. Da das Erstgericht auch das Bestehen einer Dienstbarkeit des Fußweges angenommen habe, eine solche aber nicht eingeräumt worden sei, sei das Urteil des Prozeßgerichtes teilweise abzuändern.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß festgestellt wurde, daß ein Fahrtrecht für Kraftfahrzeuge aller Art, insbesondere Motorräder und Mopeds, mit Ausnahme von Kraftfahrzeugen, die zum Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Güter verwendet werden, sowie ein Zugangsrecht zum Hause Nr. 25, soweit es nicht landwirtschaftlichen Zwecken dient, auf der Parzelle 85/2, EZ. 157 KG. P.-Dorf, auf dem Wiesenweg über die Parzelle 1716/1, EZ. 99 KG. P.-Dorf, nicht bestehe und daß die Beklagte schuldig sei, jede Benützung des Wiesenweges über das Grundstück 1716/1 in der angeführten Art zu unterlassen.
Das Mehrbegehren, es werde festgestellt, daß ein Fahrtrecht auch für Kraftfahrzeuge, die zum Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Güter verwendet werden, sowie daß ein Zugangsrecht zum Hause Nr. 25, soweit es landwirtschaftlichen Zwecken dient, auf dem Wiesenweg über die Parzelle 1716/1, EZ. 99 KG. P.-Dorf, nicht bestehe und die Beklagte schuldig sei, die Benützung des Wiesenweges über das Grundstück 1716/1 in dieser Art zu unterlassen, wurde abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kulturänderung oder Änderung der Art des Betriebes des herrschenden Grundstückes zu einer Ausdehnung der Servitut führt, ist von der Vorschrift des § 484 ABGB. auszugehen. Nach der angeführten Gesetzesstelle kann zwar der Besitzer des herrschenden Gutes sein Recht auf die ihm gefällige Art ausüben. Doch dürfen Servituten nicht erweitert, sie müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestattet, eingeschränkt werden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatten die Voreigentümer der nunmehr der Beklagten allein gehörigen Liegenschaft über den Wiesenweg ein Fahrtrecht mit landwirtschaftlichen Fuhren. Das Recht, Fuhren zum Zwecke der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zu tätigen, steht nunmehr der Beklagten zu. Es ist dabei ohne Belang, ob sie die landwirtschaftlichen Fahrzeuge durch Pferde oder mit Motorkraft betreibt. Insofern könnte die Beklagte im Sinne des ersten Halbsatzes des § 484 ABGB. die Servitut auf die ihr gefällige Art ausüben. Insofern müßten auch die Kläger, wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Klang im Komm.[2] II 564) ausgesprochen hat (SZ. XXV 304, SZ. XXXI 35, EvBl. 1963 Nr. 83 u. a.), dem Fortschritt der Technik Rechnung tragen.
Allein die Beklagte benützt den Weg für Fahrten mit Kraftfahrzeugen, die für die ihr nunmehr betriebene Bierniederlassung erforderlich sind. Darin liegt eine Änderung bezüglich der Benützung des herrschenden Gutes, das nicht nur für landwirtschaftliche, sondern für gewerbliche Zwecke verwendet wird. Nach § 484 ABGB. dürfen Servituten aber nicht erweitert werden. Dieser Grundsatz beruht auf dem Gedanken der Freiheit des Eigentums. Kulturänderungen oder Änderungen des Betriebes des herrschenden Gutes ergeben daher, wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der Rechtslehre (Klang a. a. O., Ehrenzweig, System[2] I/2 S. 311 Anm. 10 und 11) ausgesprochen hat (SZ. V 295, 7 Ob 389/55, EvBl. 1963 Nr. 83 u. a.), keinen Anspruch auf eine entsprechend der Änderung der Betriebsart ausgedehntere Benützung. Entscheidend für das Schicksal der Servitut ist daher die Kulturgattung und Bewirtschaftungsart des herrschenden Gutes im Zeitpunkt der Bestellung der Dienstbarkeit.
Der Revisionswerberin ist beizupflichten, daß bei den sogenannten ungemessenen Dienstbarkeiten, deren Ausmaß durch den Titel nicht eindeutig bestimmt wird, nicht das Bedürfnis des herrschenden Gutes im Zeitpunkt der Entstehung der Servitut, sondern dessen jeweiliges Bedürfnis maßgebend ist. Aber auch bei den ungemessenen Dienstbarkeiten bestehen Schranken, die durch den ursprünglichen Bestand und die ursprüngliche Bewirtschaftungsart des herrschenden Gutes bestimmt sind. Eine für landwirtschaftliche Fuhren bestimmte Dienstbarkeit kann daher nicht auf eine gewerbliche Niederlassung erweitert werden. Die Kulturänderung oder Änderung des Widmungszweckes gibt auch bei den ungemessenen Dienstbarkeiten, wie der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Klang a. a. O., Ehrenzweig a. a. O.) ausgesprochen hat (1 Ob 231/65), keinen Anspruch auf eine ausgedehnte Benützung des dienenden Gutes. Es ist daher nicht statthaft, das Fahrtrecht für Zwecken der Landwirtschaft dienende Fuhren auf solche für gewerbliche Zwecke auszudehnen. Es liegen demgemäß keine auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhende Feststellungsmängel vor, wenn die Vorinstanzen nicht geprüft haben, ob durch die Benützung des Weges für gewerbliche Zwecke eine intensivere Beanspruchung erfolgt als durch seine Inanspruchnahme für landwirtschaftliche Fuhren.
Von feststellungsfremden Voraussetzungen geht die Revisionswerberin aus, wenn sie vorbringt, der Wiesenweg befinde sich auf der in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft. Bei der Überprüfung der rechtlichen Beurteilung der Sache darf aber nicht der in der Revision dargestellte Sachverhalt zur Grundlage genommen werden, es muß vielmehr von den Feststellungen ausgegangen werden, die die Grundlage der Entscheidung der Vorinstanzen bildeten.
Die Beklagte ist aber im Recht darin, daß das im Punkt VIII desKaufvertrages vom 25. Oktober 1936 ihren Voreigentümern eingeräumte Fahrtrecht, das auf sie überging, nach § 492 ABGB. auch die Befugnis in sich schließt, über den Wiesenweg zu gehen (Klang a. a. O. 571 unter 3). Daß etwa ein Ausschluß des Gehrechtes ausdrücklich zwischen den Eigentümern des herrschenden und des dienenden Gutes im Vertrag über die Dienstbarkeitsbestellung vereinbart wurde, trifft nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu.
Allein das Recht des Fahrweges wurde der Beklagten nur für landwirtschaftliche Zwecke eingeräumt. Es darf daher auch das darin enthaltene Recht des Fußsteiges, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (ZBl. 1909 Nr. 51, SZ. V 216), nur zum Nutzen der Landwirtschaft ausgeübt und nicht für gewerbliche Zwecke erweitert werden. Insoweit das Gericht zweiter Instanz das zugunsten der Beklagten bestehende Gehrecht auch für ihre Bedürfnisse im Rahmen ihrer Landwirtschaft verneint hat, erweist sich die Revision als gerechtfertigt.
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