OGH 2Ob150/12s

OGH2Ob150/12s21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** S*****, und 2. A***** S*****, vertreten durch Hauer Puchleitner Majer, Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagte Partei Mag. M***** P*****, vertreten durch Eger/Gründl Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Unterlassung, in eventu Feststellung (Streitinteresse je 5.800 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 3. Mai 2012, GZ 3 R 70/12d‑27, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Gleisdorf vom 23. Dezember 2011, GZ 6 C 439/11y‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 614,86 EUR (darin 102,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

B e g r ü n d u n g :

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Behauptung der Kläger, die Beklagte habe eine ihre Liegenschaft belastende Wegeservitut (Geh- und Fahrrecht) unzulässig erweitert.

Das diesen Vorwurf verneinende Berufungsgericht begründete seinen nachträglichen Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision im Wesentlichen damit, dass zur Rechtsfrage, ob die durch Zusammenlegung von Gästezimmern zu Wohnungen erfolgte Umstellung von einem Pensionsbetrieb auf eine ganzjährige Wohnungsvermietung eine Ausdehnung der Servitut bewirke, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Klägern gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass sich der Oberste Gerichtshof zu einer völlig gleichgelagerten Fallkonstellation bisher noch nicht geäußert hat (RIS-Justiz RS0107773, RS0110702, RS0102181).

1. Die geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

2. Der Inhalt von ersessenen Dienstbarkeiten bestimmt sich nach dem Zweck, zu dem das belastete Grundstück am Beginn der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Guts während dieser Zeit benötigte. Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (7 Ob 12/07a; 10 Ob 27/11k; 6 Ob 200/12y; RIS-Justiz RS0011664).

Bei einer „ungemessenen“ Dienstbarkeit, deren Art und Umfang ‑ wie hier ‑ durch den Erwerbstitel nicht eindeutig bestimmt ist, orientiert sich der Inhalt einer solchen Dienstbarkeit zwar am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Guts, doch findet das eingeräumte Recht seine Grenzen in dessen ursprünglichen Bestand und der ursprünglichen oder doch zumindest vorhersehbaren Bewirtschaftungsart. Es soll dem Berechtigten der angestrebte Vorteil ermöglicht, dem Belasteten aber so wenig wie möglich geschadet werden. Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt nur dann vor, wenn das dienende Grundstück erheblich schwerer belastet wird (10 Ob 27/11k; 2 Ob 13/11t; 6 Ob 200/12y; RIS-Justiz RS0011733, RS0016368, RS0016370, RS0097856 ua).

Die Fragen des Ausmaßes bzw des Umfangs einer Dienstbarkeit und der Grenzen der zulässigen Erweiterung sind grundsätzlich einzelfallbezogen zu lösen und erfüllen daher ‑ von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen ‑ nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 13/11t mwN).

3. In der Entscheidung 2 Ob 13/11t hat sich der erkennende Senat jüngst auch mit der Frage befasst, inwieweit eine vom Kriterium der unzumutbaren Mehrbelastung losgelöste Erweiterung einer Wegeservitut in Frage kommen kann, wobei er sich auf einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen konnte:

Danach richtet sich der Umfang einer Wegeservitut stets auch nach der Kulturgattung und ‑ wie erwähnt ‑ der Bewirtschaftungsart des herrschenden Grundstücks im Zeitpunkt der Bestellung bzw Ersitzung der Dienstbarkeit. Kulturänderungen des herrschenden Guts geben daher keinen Anspruch auf Ausdehnung eines Geh- und Fahrrechts (2 Ob 13/11t mwN; RIS-Justiz RS0016364 [T2]); auch Belastungen des dienenden Guts infolge Änderung der Bewirtschaftungsart des herrschenden Guts sind unzulässig (6 Ob 200/12y; RIS-Justiz RS0011691).

Die unzulässige Erweiterung einer Dienstbarkeit iSd § 484 ABGB wurde etwa in der Ausdehnung eines für private oder landwirtschaftliche Zwecke eingeräumten Fahrrechts auf andere (insbesondere gewerbliche) Zwecke erblickt, wobei teilweise nur auf die inhaltliche Änderung der Rechtsausübung abgestellt wurde (vgl etwa SZ 42/10; SZ 56/46; 6 Ob 333/97g; RIS-Justiz RS0011718), teilweise aber auch auf eine Mehrbelastung des dienenden Guts (vgl etwa SZ 25/304; 1 Ob 276/02y; 10 Ob 27/11k; RIS-Justiz RS0011725 [T4, T8, T13]). Bei einer Vergrößerung des herrschenden Guts oder baulichen Änderungen auf diesem wurde ‑ sofern es sich nicht um eine gemessene Servitut handelte (6 Ob 84/05d) ‑ hingegen vorrangig berücksichtigt, ob sich daraus eine nachteilige Beanspruchung des dienenden Guts ergibt (vgl 7 Ob 709/77 = MietSlg 29.055; 9 Ob 1/00p; 7 Ob 12/07a; 5 Ob 23/08f; 6 Ob 39/11w).

4. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen führte die Mutter der Beklagten auf dem herrschenden Grundstück mehr als 30 Jahre lang eine Fremdenpension. Bereits seit den späten 1950er-Jahren wurden im Hauptgebäude Gäste beherbergt. Im Jahr 1971 errichteten die Eltern der Beklagten ein Nebengebäude, das (ausschließlich) der Beherbergung von Pensionsgästen diente. Die Fremdenpension wurde ganzjährig betrieben, der Schwerpunkt lag aber in den Monaten Mai bis Oktober. In den Wintermonaten wurden die Zimmer an Arbeiter vermietet, die in der näheren Umgebung tätig waren. Bei den Pensionsgästen handelte es sich hauptsächlich um „ältere Herrschaften“, die vorwiegend mit Bussen und meistens am Wochenende kamen, aber auch mit privaten Pkws anreisten. Regelmäßig fuhren auch kleinere Lkws (Lieferanten) zum Nebengebäude zu.

Zwischen 2003 und 2006 wurden die neun Gästezimmer des Nebengebäudes zu vier Wohnungen umgebaut, die seither ganzjährig vermietet sind. Vorübergehend waren neben Pensionsgästen auch schon „dauerhafte Mieter“ untergebracht, wodurch der Pensionsbetrieb fließend in die Vermietung von Wohnungen überging. Der „klassische Pensionsbetrieb“ wurde somit zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, frühestens jedoch 2003 eingestellt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Gästezimmer bzw die Wohnungen über einen längeren Zeitraum nicht vermietet waren.

Die Zufahrt zu Hauptgebäude und Nebengebäude erfolgte seit jeher ausschließlich über den Servitutsweg, den die Eltern der Beklagten in den 1970er-Jahren bis zum Nebengebäude hin asphaltiert hatten. Ende 2009 verkaufte die Beklagte das Grundstück, auf dem sich das Hauptgebäude befindet, an einen Dritten, während sie nach wie vor Eigentümerin des Grundstücks mit dem (ehemaligen) Nebengebäude ist. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf dem Servitutsweg ist erst seit der Veräußerung des Grundstücks mit dem Hauptgebäude eingetreten.

Im Rahmen seiner beweiswürdigenden Ausführungen präzisierte das Erstgericht die zuletzt erwähnte Feststellung dahin, dass das erhöhte Verkehrsaufkommen in die „Sphäre“ des neuen Eigentümers des Hauptgebäudes fällt.

5. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, die Umstellung von einer Vermietung von neun Zimmern im Rahmen eines ganzjährigen Pensionsbetriebs auf eine Vermietung von vier Wohnungen begründe ‑ wenn überhaupt ‑ nur eine unbedeutende, vom Belasteten hinzunehmende Änderung der Benützungsart, zumal eine erheblich schwerere Belastung des dienenden Guts nicht nachgewiesen worden sei.

Mit dieser Rechtsansicht ist dem Berufungsgericht keine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Seine Auslegung der (teilweise dislozierten) erstinstanzlichen Feststellungen über die Ursachen des erhöhten Verkehrsaufkommens wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS-Justiz RS0118891). Demnach ist aber von der den Obersten Gerichtshof bindenden Tatsachengrundlage auszugehen, dass weder die baulichen Veränderungen im Nebengebäude noch die Änderung der Benützungsart (von temporärem zu dauerhaftem Bewohnen) zu einer nennenswerten Mehrbelastung des dienenden Grundstücks durch Erhöhung der Nutzungsfrequenz geführt hat (zu diesem Kriterium vgl auch 10 Ob 27/11k). Dass die Kläger die Änderungen auch selbst nicht belastend empfunden haben, ergibt sich schon aus ihrer Revisionsbehauptung, der „fließende Übergang“ zur Dauervermietung sei für sie nur „schwer erkennbar“ gewesen. Waren es während der Ersitzungszeit Pensionsgäste oder auch die in den Wintermonaten beherbergten Arbeiter, denen die jederzeitige Nutzung des Servitutswegs durch beliebige Fahrten mit Pkws oder Bussen zu und von dem besagten Nebengebäude offen stand, so sind es nun die Mieter der Wohnungen, ihre Familienangehörigen und Besucher, die den Weg mit Pkws befahren. Eine allenfalls mit der Bewirtschaftung des Hauptgebäudes durch dessen Erwerber im Zusammenhang stehende Mehrbelastung des dienenden Grundstücks bildet nicht den Gegenstand dieses Verfahrens, weshalb die von den Klägern in ihrem Rechtsmittel geforderte „Gesamtbetrachtung“ nicht in Frage kommen kann.

Unter den dargelegten Umständen hält sich die angefochtene Entscheidung jedenfalls noch im Rahmen der erörterten höchstgerichtlichen Judikatur.

6. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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