OGH 20Os16/16b

OGH20Os16/16b25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten und des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwalts-kammer vom 27. Juni 2016, AZ D 70/15 (DV 23/16), TZ 22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Dr. Hackl und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200OS00016.16B.0425.000

 

Spruch:

 

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zu einer Geldbuße in der Höhe von 3.500 Euro verurteilt.

Danach hat er als vom ***** zu AZ ***** bestellter Sachwalter von I*****

1) mit Eingabe an das genannte Gericht vom 13. Oktober 2015 mitgeteilt, dass er sich entgegen dem Wunsch des Betroffenen weigert, neuerlich einen Asylantrag bei den zuständigen Behörden einzureichen, dies mit der Begründung, dass ein solcher (Antrag) fernab jedweder juristischer Realität sei und es nicht sein kann, dass in diesem Zusammenhang Sachwalter zu Frondiensten verpflichtet werden, welche im Ergebnis lediglich zu umfangreichen, die österreichische Verwaltung lahmlegenden und österreichische Steuergelder verschwendenden Verfahren führen und er sich aus persönlichen Gründen nicht mehr in der Lage sieht, den Betroffenen weiterhin, insbesondere unentgeltlich, als Sachwalter zu betreuen und deshalb einen Antrag auf Umbestellung des Sachwalters stellt und

2) nachdem vom ***** die Anträge vom 13. Oktober 2015 zurück‑ bzw abgewiesen wurden, am 25. November 2015 Rekurs erhoben, in welchem er ausführte, dass es ihm seine persönliche Überzeugung verbiete, weitere Asylanträge zu stellen bzw überhaupt den Betroffenen, der nicht einmal österreichischer Staatsbürger ist, zu vertreten, dies vor allem vor dem Hintergrund der derzeitigen Medienberichte sowie der Faktenlage betreffend Asylanten und könne ihm daher aus persönlichen Gründen bzw Verhältnissen im Sinne des § 274 Abs 2 ABGB eine weitere Betreuung des Betroffenen nicht zugemutet werden, zumal es überhaupt kurios erscheine, weshalb sich der Betroffene vor allem aufgrund seiner zahlreichen Vorverurteilungen nach wie vor in Österreich aufhalte und nicht etwa seine Strafe in seinem Heimatland ***** absitze und weiters dem Sachwalter keine Norm bekannt sei, die diesen zur Ausländerfreundlichkeit verpflichte, und hätte vor allem im Hinblick auf diese Ausführungen das Erstgericht dem Antrag des Sachwalters auf ausdrückliche Bewilligung, dass in der gegenständlichen Sachwalterschaft kein Asylantrag mehr einzubringen sei, stattgeben müssen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richten sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a und Z 10 StPO), Schuld und Strafe und die Berufung des Kammeranwalts gegen den Ausspruch über die Strafe. In seiner Gegenausführung zur Berufung des Kammeranwalts beantragt der Disziplinarbeschuldigte, dieser Berufung keine Folge zu geben.

 

Zur Berufung des Disziplinarbeschuldigten:

Entgegen der Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO), es fände sich im angefochtenen Erkenntnis keinerlei Beweiswürdigung zu den Feststellungen zur inneren Tatseite, hat der Disziplinarrat diesbezüglich auf die Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten verwiesen (ES 10 Mitte iVm TZ 21 S 2 und TZ 12 S 1 ff), in welcher sich die subjektive Tatseite des Disziplinarbeschuldigten manifestierte. In der Disziplinarverhandlung (TZ 21 S 2) bezog sich der Disziplinarbeschuldigte auf seine Vernehmung vor dem Untersuchungskommissär. In dieser (TZ 12) erklärte er, warum er seine Formulierungen gewählt habe. Daraus ergibt sich sprachlogisch sein Vorsatz. Die Begründung des Erkenntnisses zur inneren Tatseite ist daher unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, die pauschal die Unsachlichkeit der inkriminierten Formulierungen bestreitende Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) verkenne, dass der Bedeutungsinhalt einer Äußerung keine Rechtsfrage, sondern eine im Rahmen der Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage ist (RIS‑Justiz RS0092588; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 404). Die dazu getroffenen Feststellungen finden sich disloziert in der rechtlichen Beurteilung (ES 11 f): Der Disziplinarrat konnte sowohl dem Antrag als auch dem Rekurs des Disziplinarbeschuldigten keine konkreten sachlichen Argumente für sein an sich zulässiges Begehren entnehmen.

Mit diesen als Feststellungen zum Bedeutungsinhalt zu wertenden Begründungselementen setzt sich der Disziplinarbeschuldigte nicht auseinander und legt nicht begründet dar, aus welchem Grund die von ihm gebrauchten Wendungen nicht als unsachliches Vorbringen zu werten wären. Ebensowenig leitet er methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb derartige Äußerungen keine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen der Rechtsanwaltschaft und keine Verletzung von Berufspflichten wären (vgl RIS‑Justiz RS0056179, RS0117215 [T2]).

Bleibt klarstellend anzumerken, dass Rechtsanwälte nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 274 Abs 2 ABGB Sachwalterschaften grundsätzlich zu übernehmen haben (RIS‑Justiz RS0123440) und weder eine allgemeine (nicht auf einem mit dem Vertretungsbedürftigen vorbestehenden Konflikt beruhende) Abneigung noch die typischerweise fehlende (juristische) Einsichtsfähigkeit des Betroffenen eine Unzumutbarkeit der Übernahme der Sachwalterschaft für einen Rechtsanwalt bewirkt (RIS‑Justiz RS0123572; Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 274 Rz 5).

Unter dem Aspekt der durch Art 10 MRK garantierten Freiheit der Meinungsäußerung genügt – wie die Generalprokuratur ebenfalls zutreffend ausführt – der Hinweis, dass unsachliche, nicht der Anspruchsdurchsetzung (auch in eigener Sache) dienliche – demnach auch nicht durch § 9 Abs 1 RAO gedeckte (vgl dazu Engelhart et al,RAO9, § 9 Rz 16 mwN) – Äußerungen keinen Schutz genießen (RIS‑Justiz RS0056312). Im Übrigen haben Rechtsanwälte schon aufgrund ihrer Funktion im Rechtsstaat weitergehende Beschränkungen bei Meinungsäußerungen hinzunehmen (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 30 und 32 [jeweils mwN], vgl auch RIS‑Justiz RS0107101).

Das weitere Vorbringen verfehlt den – in den Konstatierungen des Disziplinarrats bestehenden – gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0117247, Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584).

Dazu ist die Gesamtheit der in den Schriftsätzen des Disziplinarbeschuldigten enthaltenen Äußerungen als tatbestandliche Handlungseinheit zu beurteilen. Ob eine isoliert betrachtete Textpassage als solche – wie hier die Wendung „Frondienst“ – den Tatbestand erfüllt, ist daher ohne rechtliche Relevanz (vgl RIS‑Justiz RS0120532).

In der Subsumtionsrüge (dSn § 281 Abs 1 Z 10 StPO) bestreitet der Disziplinarbeschuldigte eine Berufspflichtenverletzung mit der Begründung, er habe bloß einen Antrag auf Umbestellung im Sinne des § 274 Abs 2 ABGB gestellt. Er übersieht dabei, dass er nach den Konstatierungen in der Eingabe vom 25. November 2015 dem Gericht mitteilte, es sei ihm aus beruflichen Gründen nicht möglich, den Betroffenen weiter zu vertreten (ES 9 dritter Absatz). Er leitet weiters nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb sein Verhalten nicht in Ausübung des Berufs erfolgt sein sollte (RIS‑Justiz RS0109721, RS0124103). Überdies bezieht sich die Verpflichtung nach § 9 Abs 1 RAO nicht ausschließlich auf eine Bevollmächtigung, sondern auch auf die Bestellung des Rechtsanwalts als Kurator, Sachwalter, Verfahrenshelfer und Masseverwalter (5 Bkd 4/97) (Feil/Wennig,Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 1).

Bleibt anzumerken, dass das konstatierte Fehlverhalten unter dem Aspekt der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes mit Blick auf die erfolgte Verfahrensführung in zwei Instanzen (ES 9) hinreichende Publizitätswirkung (vgl RIS‑Justiz RS0055093 [T9] und RS0054876 [T11]; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 1 DSt, 859) entfaltet hat.

Die Berufung wegen Schuld bekämpft die Feststellungen zur subjektiven Tatseite mit der unzutreffenden Behauptung, es fehle dazu im angefochtenen Erkenntnis eine Beweiswürdigung. Wie schon oben bei Erledigung der Mängelrüge ausgeführt, berücksichtigt dieses Vorbringen nicht die gesamten Entscheidungsgründe. Der substanzlose Hinweis auf seine Vernehmung vor dem Untersuchungskommissär (TZ 12) vermag die vom Disziplinarbeschuldigten angestrebte Negativfeststellung, er habe vorsatzlos gehandelt, nicht zu tragen. Schließlich fehlt die erforderliche Darlegung, aufgrund welcher Beweiswürdigung der Disziplinarrat zu dieser Negativfeststellung hätte gelangen sollen.

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass es dem Disziplinarbeschuldigten ohne weiteres freigestanden wäre, aus – etwa in Äußerungen des Betroffenen gelegenen – sachlichen Gründen die Stellung eines Asylantrags (als aussichtslos oder mutwillig) schlicht zu unterlassen, ohne sich in über das konkrete Verfahren weit hinausgehende (für dieses daher sachlich nicht gebotene) Ausführungen weltanschaulicher Natur zu ergehen.

In der Berufung wegen Strafe macht der Disziplinarbeschuldigte geltend, er habe ein Tatsachengeständnis abgelegt, weshalb der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB hätte berücksichtigt werden müssen. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Wortlaut der inkriminierten Äußerungen ergibt sich aus den Schriftsätzen. Text und Urheberschaft waren nie strittig, ebensowenig seine Stellung als Sachwalter und das Anliegen des Betroffenen, einen Asylantrag einzubringen. Mit seiner Aussage leistete der Disziplinarbeschuldigte nicht den von der Rechtsprechung geforderten wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung, seine Aussage war vielmehr für die Beweisführung bedeutungslos (RIS‑Justiz RS0091460; 13 Os 71/09d). Bei seinen Ausführungen, der Disziplinarrat sei von „mehreren Tatvergehen“ ausgegangen, übersieht der Disziplinar-beschuldigte, dass der Disziplinarrat aufgrund tatbestandlicher Handlungseinheit den Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 nicht herangezogen hat. Mit dem Hinweis auf seine Subsumtionsrüge (dSn § 281 Abs 1 Z 10 StPO), es liege keine Berufspflichtenverletzung vor, ist der Disziplinarbeschuldigte auf die Erledigung dieses Einwands zu verweisen. Entgegen den Berufungsausführungen hat der Disziplinarrat die beiden Vorverurteilungen nicht gemäß § 33 Abs 1 Z 2 StGB als erschwerend gewertet, sondern diese nur insofern (zutreffend) berücksichtigt, als sie den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB zum Wegfall bringen (RIS‑Justiz RS0091561 [T2]).

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten – der überdies im Gerichtstag sein durch Überlastung motiviertes Fehlverhalten ohnehin einräumte – war daher insgesamt nicht Folge zu geben.

Zur Berufung des Kammeranwalts:

Eine Disziplinarstrafe nach § 16 DSt ist immer aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bemessen, wobei Tatunrecht und darauf gegründet Täterschuld ausschlaggebend sind. Aspekte der Spezial- und Generalprävention dürfen im Rahmen einer schuldangemessenen Sanktion Berücksichtigung finden (RIS‑Justiz RS0090592 [T3]). Die in erster Instanz ausgemessene Geldbuße erweist sich dementsprechend als nicht erhöhungsbedürftig. Einer zusätzlichen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft bedarf es im Gegenstand ebenfalls nicht. Die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis lassen für die Abfassung der in Rede stehenden Eingaben keinen Schluss auf das Vorliegen von Beweggründen im Sinne des § 33 Abs 1 Z 5 StGB zu.

Da aber nur diese inkriminierten Schriftsätze den Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof bildeten, war der – in ihrer Argumentation den genannten Prozessrahmen verlassenden – Berufung des Kammeranwalts daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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