Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 6.194,01 EUR sA sowie die Feststellung, dass dieser ihm für sämtliche zukünftige Schäden aufgrund dessen Gutachten, Äußerungen und Stellungnahmen in seinen Verfahren auf bedingte Entlassung hafte. Er sei zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die zeitliche Voraussetzung des § 46 Abs 6 StGB für eine bedingte Entlassung liege seit dem 2. 6. 2009 vor. Vor jeder Entscheidung über eine bedingte Entlassung eines wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Verurteilten sei eine Äußerung der Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt‑ und Sexualstraftäter einzuholen. In seinem Fall habe der Beklagte (als Sachverständiger) hiezu mehrfach unrichtige Gutachten, Stellungnahmen und Äußerungen abgegeben, wodurch bislang nicht nur seine bedingte Entlassung verhindert worden sei, sondern ihm auch Vollzugslockerungen und Ausgänge verwehrt worden bzw nur unter beträchtlichem Kostenaufwand möglich gewesen seien. So seien ihm von April 2014 bis Juli 2014 Kosten für Ausführungen entstanden. Überdies habe er näher genannte Anwaltskosten im Zuge seiner Anträge bzw im Verfahren auf bedingte Entlassung zu tragen gehabt. Erst seit Juni 2015 seien ihm Vollzugslockerungen gewährt worden. Der Beklagte habe das Ergebnis eines forensisch‑psychologischen Gutachtens eines anderen Sachverständigen rechtswidrig und schuldhaft nicht berücksichtigt, sodass er dem Kläger sämtliche Schäden aus dem Umstand der nicht bewilligten bedingten Entlassung bzw der Nichtgewährung von Vollzugslockerungen und Ausgängen (jedenfalls) seit November 2013 verursacht habe. Auch ein weiteres Gutachten vom September 2014 habe Vollzugslockerungen sowie das Anpeilen einer Entlassung nach sechs Monaten empfohlen. Den Gutachten, Stellungnahmen und Äußerungen des Beklagten sei vorzuwerfen, dass keine persönliche Befundung des Klägers und eine unrichtige Zuordnung von Tathandlungen eines Mittäters zu Lasten des Klägers stattgefunden habe, Ordnungswidrigkeiten bzw Ordnungsstrafen zu Lasten des Klägers unrichtig zugeordnet worden seien, Ergebnisse von anderen (für den Kläger positiven) Gutachten nicht berücksichtigt worden seien und nicht das seitens einer bestimmten Justizanstalt im Jahr 2014 in Auftrag gegebene Gutachten abgewartet worden sei. Diese Mängel habe der Beklagte in rechtswidriger und schuldhafter Weise zu verantworten und sie seien kausal für den deswegen (adäquat verursachten) Schaden des Klägers.
Das Erstgericht wies mit seinem vor Zustellung der Klage gefassten Beschluss diese wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Der Kläger mache geltend, dass der Beklagte als Sachverständiger der Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle in den Verfahren nach §§ 152 und 99a StVG unrichtige Gutachtensäußerungen und Stellungnahmen abgegeben habe, was bei ihm einen Schaden verursacht habe. In den behaupteten Fällen sei der Beklagte jedoch nicht als gerichtlich bestellter Sachverständiger tätig gewesen, sondern habe seine Tätigkeit als sogenannter „Amtssachverständiger“ der Vollzugsbehörde ausgeübt. Er sei damit in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden gewesen, um andere Organe bei deren Besorgung hoheitlicher Aufgaben zu unterstützen. Der Beklagte sei als Organ im Sinn des § 1 AHG tätig gewesen, weshalb die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen sei.
Das Rekursgericht gab dem vom Kläger erhobenen Rekurs nicht Folge. Rechtlich führte es aus, nach dem Vorbringen des Klägers habe der Beklagte als Sachverständiger der Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt‑ und Sexualstraftäter (die zu diesem Zeitpunkt noch der Vollzugsdirektion zugeordnet gewesen und von ihm geleitet worden sei) vor der Entscheidung des Strafvollzugsgerichts über die bedingte Entlassung des Klägers ein Gutachten erstattet. § 152 Abs 2 StVG sehe verpflichtend die Einholung einer Äußerung der Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt‑ und Sexualstraftäter vor der gerichtlichen Entscheidung vor. Wenngleich diese Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle bzw der dort tätige Sachverständige selbst keine Entscheidung treffe, sei in der Erstattung der Äußerung durch einen solchen Sachverständigen ein Handeln in Vollziehung der Gesetze zu erblicken. Die Evaluationsstelle sei kraft Gesetzes dem Verfahren, in dem über die bedingte Entlassung entschieden werde, beizuziehen. Der Sachverständige der Evaluationsstelle, der ein solches Gutachten erstatte, erfülle eine Amtspflicht. Seine Tätigkeit stelle einen Bestandteil des behördlichen Verfahrens dar. Die Klage sei daher wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.
Dass im Verfahrenshilfeverfahren das Erstgericht dem Kläger die Verfahrenshilfe bewilligt und damit die Aussichtslosigkeit des Verfahrens verneint habe, werde in diesem Verfahren nur als Vorfrage geprüft. Da darüber, ob der Anspruch aussichtslos erscheine, nicht spruchgemäß entschieden worden sei, sei das Erstgericht daran bei seiner rechtlichen Beurteilung der anschließend erhobenen Klage nicht gebunden.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil die Frage, ob ein Sachverständiger, der bei der Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter tätig sei und gemäß § 152 Abs 2 StVG ein Gutachten erstatte, in Vollziehung der Gesetze handle, von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Entgegen der Meinung des Klägers ergibt sich aus dem Beschluss, mit dem ihm die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, nicht, dass damit „offenbar die Möglichkeit einer direkten Inanspruchnahme des Beklagten rechtlich gegeben ist“. Alle Überlegungen zu den Erfolgsaussichten der Klage galten nur für die Vorprüfung der Prozessaussichten im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenshilfe, ohne dass im Fall einer späteren Sachentscheidung oder Entscheidung über die Prozessvoraussetzungen und bei deren Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht eine Bindung bestünde (3 Ob 502/91; allgemein zur mangelnden Bindung an Vorfragenbeurteilung RIS‑Justiz RS0041180). Gegenteiliges vermag der Kläger auch nicht aus § 425 Abs 2 ZPO abzuleiten.
2.1. Bei der Organstellung von Sachverständigen differenziert die Rechtsprechung zwischen Amtssachverständigen in Verwaltungsverfahren einerseits und nicht amtlichen oder gerichtlichen Sachverständigen andererseits. Den beiden letzteren wird die Organstellung abgesprochen, weil ihre Tätigkeit auf die Feststellung des Sachverhalts beschränkt (Beweismittel) und nicht als Mitwirkung an der Entscheidung zu qualifizieren ist. Sie haften daher persönlich (1 Ob 79/14w mwN; vgl RIS‑Justiz RS0049801 [T2]; RS0050099; RS0049749; RS0049751; RS0026337 [besonders T3, T4, T5]; RS0026353). Erstattet der Amtssachverständige eines Rechtsträgers ein Gutachten in Erfüllung seiner Amtspflicht, so ist diese Tätigkeit dann als Hoheitsakt zu qualifizieren, wenn sie einer hoheitlich wahrzunehmenden Verwaltungsmaterie zuzuordnen ist (1 Ob 49/05w = SZ 2005/92 = RIS‑Justiz RS0120112 = RS0050099 [T3] = RS0103741 [T1]). Dasselbe gilt für die Gerichtsbarkeit, weil diese in Ausübung der Rechtsprechung stets hoheitlich handelt (RIS‑Justiz RS0049762 [T1]).
2.2. Bis zum Inkrafttreten des Strafvollzugsreorganisationsgesetzes 2014, BGBl I 2015/13, am 1. 7. 2015 war die Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt‑ und Sexualstraftäter (kurz: BEST) eine Organisationseinheit der Vollzugsdirektion (Erlass der Bundesministerin für Justiz vom 6. 9. 2007, BMJ‑StV72501/0004‑StV/2007; vgl Drexler , StVG 3 § 152 Rz 2). Die Vollzugsdirektion war nach dem mittlerweile aufgehobenen § 12 StVG aF Vollzugsoberbehörde und dem „Bundesministerium“ für Justiz unmittelbar nachgeordnet (Abs 1) und ihr oblagen insbesondere die operative Durchführung des Straf‑ und Maßnahmenvollzugs nach den Bestimmungen des StVG einschließlich der Errichtung, Erhaltung und Erneuerung der Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen, die Planstellenbewirtschaftung und das operative Controlling (Abs 2).
Seit 1. 7. 2015 ist nach der gesetzlichen Anordnung in § 13 StVG im Bundesministerium für Justiz eine Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen samt Chefärztlichem Dienst und Begutachtungs‑ und Evaluationsstelle für Gewalt‑ und Sexualstraftäter einzurichten. Nach der Geschäfts‑ und Personaleinteilung des Bundesministeriums für Justiz vom 1. 12. 2015 ist die BEST Teil einer Abteilung der Generaldirektion für den Straf‑ und Maßnahmenvollzug.
2.3. Der Anstaltsleiter kann für die Entscheidung über die Unterbrechung einer Freiheitsstrafe, den Widerruf der Unterbrechung und den Ausgang zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Strafgefangenen die Fachmeinung der BEST einholen, die auf die Abklärung spezialisiert ist, ob Strafgefangene die Gewährung einer Unterbrechung, eines Ausgangs oder von Vollzugslockerungen missbrauchen werden (§ 99 Abs 5, § 99a Abs 3 StVG; Pieber in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB §§ 99, 99a StVG Rz 2, 7 und 8). Gemäß § 152 Abs 2 StVG ist vor jeder Entscheidung über die bedingte Entlassung, über die gemäß § 16 Abs 2 Z 12 StVG das Vollzugsgericht entscheidet, eines wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Verurteilten eine Äußerung der BEST einzuholen. Für die Prüfung der Entlassungsvoraussetzungen bei der bedingten Entlassung von Sexualstraftätern ist eine solche Äußerung der BEST also zwingend (ErläutRV 302 BlgNR XXIII. GP 15 [zum Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109]).
2.4. Der gesamte Bereich des Strafvollzugs fällt in den Bereich der Hoheitsverwaltung (RIS‑Justiz RS0050066). Die Entscheidung über eine bedingte Entlassung (§§ 46 ff StGB) erfolgt als Akt der Gerichtsbarkeit ebenfalls hoheitlich. Die Äußerungen der BEST, die der Beklagte als Leiter dieser Stelle in Erfüllung seiner Amtspflicht erstattet haben soll, sind dem Bund als Rechtsträger des Strafvollzugs zuzurechnen. Äußerungen des Beklagten im Zusammenhang mit den vom Kläger nach seinen Behauptungen angestrebten Ausgängen und der begehrten bedingten Entlassung erfolgten in Ausübung der Hoheitsverwaltung, sodass aus den behaupteten rechtswidrigen Handlungen des Beklagten als „Amtssachverständiger“ in diesen Verfahren gegenüber dem Kläger als Strafgefangenen nur Amtshaftungsansprüche in Frage kommen. Die im § 9 Abs 5 AHG angeordnete amtshaftungsrechtliche Immunität des Organs gegenüber unmittelbar geltend gemachten Ersatzansprüchen führt damit zur Zurückweisung der Klage infolge Unzulässigkeit des Rechtswegs (RIS‑Justiz RS0103666; RS0103737).
3. Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.
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