OGH 13Os83/04

OGH13Os83/0425.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. August 2004 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sabahudin S***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 5. Mai 2004, GZ 8 Hv 62/04p-19, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sabahudin S***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 (vierter Fall) und Abs 3 (erster Fall) SMG (I./) und der Vergehen nach § 27 Abs 1 (erster und zweiter Fall) SMG (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift I./ im Zeitraum Mai 2003 bis Dezember 2003 in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in Verkehr gesetzt, indem er in jeweils mehreren Angriffen

1. insgesamt rund 4 Gramm Kokain zu Preisen zwischen 80 und 100 Euro, 100 Gramm Heroin zu einem durchschnittlichen Preis von 50 Euro und 50 Stück Ecstasy-Tabletten an Stefan H***** und Katharina K*****,

2. 350 bis 380 Gramm Heroin zu einem Grammpreis von 50 Euro und 5 Gramm Kokain an Erika Se*****,

jeweils gegen Überlassung von Suchtgiften als "Provision" verkaufte, II./ erworben und besessen, indem er im Zeitraum 2001 bis Dezember 2003 über die zu I./ dargestellte Menge hinaus insgesamt nicht näher bekannte Mengen Heroin und Kokain, insbesondere von den schwarzafrikanischen Drogendealern "Markus" und "Tom" kaufte, sowie nicht näher bekannte Mengen Substitol von Erika Se***** kostenlos bzw als Gegenleistung für seine Vermittlertätigkeit überlassen erhielt und konsumierte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. In der Subsumtionsrüge (Z 10) wie in den inhaltlich gleiches Vorbringen enthaltenden Mängel- und Rechtsrügen zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, das im Urteil keinerlei Feststellungen zur Qualität der vom Schuldspruch I./ erfassten Suchtgifte getroffen wurden. Die bloße Nennung des Bruttogewichts der in Verkehr gesetzten Suchtgifte bzw einer gewichtsmäßig in keiner Weise substantiierten Stückanzahl von Ecstasy-Tabletten unter Hinzufügung der Bezeichnung als "große" Menge vermag die Feststellung des konkreten, auf der Basis der Reinsubstanz zu bestimmenden Suchtgiftquantums nicht zu ersetzen, welches der Beurteilung als große Menge iSd § 28 Abs 6 SMG iVm der Suchtgift-GrenzmengenVO zugrundezulegen wäre (vgl 14 Os 22/03; 12 Os 3/03). Damit fehlen hinreichende Sachverhaltsannahmen für die Subsumtion unter § 28 Abs 2 SMG, wodurch auch der Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG die Grundlage entzogen ist (vgl 15 Os 83/03). Mangels Behebbarkeit der aufgezeigten Mängel durch den Obersten Gerichtshof ist eine neue Hauptverhandlung und Entscheidung im Umfang des Schuldspruchs I. nicht zu vermeiden. Dies hat auch die Aufhebung des Schuldspruchs II./ zur Folge (§ 289 StPO).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Im Hinblick darauf erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht auf der Basis des festzustellenden Reinheitsgrades darüber abzusprechen haben, wie oft das Verbrechen des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG erfüllt wurde. Dabei wird das erkennende Gericht zu beachten haben, dass hinsichtlich einer die Grenzmenge übersteigenden Restmenge (mit welcher der nach Abzug der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen [= Grenzmengen] verbleibende Überrest des in Verkehr gesetzten Suchtgifts gemeint ist) zu differenzieren sein wird:

Insoweit liegen gleichermaßen im Fall eines Einzelaktes wie (trotz eines Gesamtvorsatzes) beim sukzessiven Inverkehrsetzen - ein (oder mehrere) Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG oder ein im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vor. Ob hinsichtlich der Restmenge statt § 27 Abs 1 sechster oder siebenter Fall SMG ein solches im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen anzunehmen wäre, wird wiederum fallbezogen davon abhängen, ob der Täter seinen Entschluss, erneut eine große Menge in Verkehr zu setzen, schon durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt hat (vgl 13 Os 10/03, EvBl 2003, 133, 616; 13 Os 60/04; 14 Os 34/04; 14 Os 29/04; 14 Os 166/03).

Geschieht das Inverkehrsetzen mehraktig, liegt eine solche Ausführungshandlung erst dann vor, wenn sich diese tatsächliche Verfügungsgewalt über eine insgesamt große Menge zur Gänze realisiert hat. Entscheidend für die Ausführungsnähe beim mehraktigen Inverkehrsetzen einer insgesamt großen Menge Suchtgift ist demnach jener Akt, der beim in Verkehr gesetzten Suchtgift zum Erreichen der Grenzmenge führt, gleichsam "das Fass zum Überlaufen bringt" (vgl auch Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 146 Rz 124). Die Weitergabe dieses auf die große Menge fehlenden Suchtgiftquantums an konkrete Abnehmer muss daher zeitlich unmittelbar bevorstehen (vgl 13 Os 40/04; 14 Os 34/04).

Des weiteren werden im zweiten Rechtsgang ausreichende Feststellungen zur inkriminierten gewerbsmäßigen Vorgangsweise zu treffen sein. Diese setzt nämlich die (im ersten Rechtsgang lediglich im Schuldspruch - US 2 - festgehaltene) Absicht voraus, sich durch das wiederkehrende Inverkehrsetzen jeweils großer Suchtgiftmengen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Die Urteilsannahmen stellen demgegenüber - wie in der Beschwerde zu Recht gerügt - ohne Bezugnahme auf die Voraussetzungen eines qualifizierten Vorsatzes nach § 5 Abs 2 StGB bloß darauf ab, dass der Angeklagte sich "entschloss", "durch die wiederkehrende Begehung von Suchtmittelgeschäften eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wobei er Suchtgift auch in einer großen Menge in Verkehr setzen wollte" (US 4).

Unerheblich ist dabei, ob die von der Absicht des Täters auf fortlaufende Einnahmegewinnung umfassten großen Suchtgiftmengen auf einmal oder bewusst in kontinuierlichen Teilmengen in Verkehr gesetzt werden. Es kann daher auch ein fortlaufendes - der Zielsetzung des § 70 StGB entsprechendes - Tatgeschehen, bei dem die Grenzmenge letztlich überschritten wurde, dem § 28 Abs 3 erster Fall SMG zu unterstellen sein, sofern der iSd § 5 Abs 2 StGB qualifizierte Vorsatz des Täters beim Inverkehrsetzen kleiner, unter der Grenzmenge iSd § 28 Abs 6 SMG liegender Suchtgiftmengen darauf gerichtet war, die Tat durch weitere Teilakte, die jeweils zur Summierung des Suchtgiftes zu großen Mengen führen sollten, zu wiederholen (14 Os 106/03; 13 Os 1/04; 13 Os 102/03; 13 Os 25/03).

Des weiteren wird - wie im Rechtsmittel zutreffend aufgezeigt - im zweiten Rechtsgang allenfalls die Privilegierung des § 28 Abs 3 zweiter Satz SMG zu prüfen sein, zumal Sabahudin S***** nach den im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen bereits seit 2002 heroinsüchtig war (US 4) und der Beschwerdeführer bei den angelasteten Suchtgifttransaktionen teilweise mit Heroin und Substitol entlohnt wurde (Urteilsspruch I./ und II./; vgl US 5). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

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