OGH 13Os1/04

OGH13Os1/0418.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Februar 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loewe als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann M***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Juni 2003, GZ 4 a Hv 4713/00g-114, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A.1. und 2. sowie im Strafausspruch samt Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Freispruch vom Vorwurf einer weiteren Suchtgiftübergabe (nämlich an Michael S*****) und den Ausspruch eines Verfolgungsvorbehaltes nach § 263 Abs 2 StPO hinsichtlich ihm angelasteter Unterhaltspflichtverletzungen enthält, wurde Johann M***** "des" Verbrechens nach § 28 Abs 2 (vierter Fall) und Abs 3 erster Fall SMG (A.1 und 2.) und (richtig:) der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B.1. und 2.) schuldig erkannt.

Danach hat er

A. in der Zeit von ca 20. November 1999 bis ca 20. September 2000 den bestehenden Vorschriften zuwider gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er

1. eine "derzeit nicht feststellbare" Menge Kokain "in der Größenordnung von zumindest 80 Gramm und maximal 800 Gramm" an die abgesondert verfolgte Tamara B***** verkaufte und

2. insgesamt ca 3 Gramm Kokain an den abgesondert verfolgten Johann K***** verkaufte;

B. nachgenannte Personen vorsätzlich am Körper verletzt, indem er

1. am 8. April 2000 Gerhard M***** Fußtritte versetzte, wodurch dieser eine oberflächliche Hautabschürfung mit punktförmigen Blutungen in der Größe von 7 cm an der Außenseite des linken Unterschenkels sowie eine Schwellung am Außenknöchel erlitt;

2. am 14. März 2001 Rene E***** einen Schlag und einen Stoß versetzte, wodurch dieser gegen einen Heizkörper fiel und eine Rissquetschwunde am Hinterkopf "erhielt."

Rechtliche Beurteilung

Die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel. Keine Begründungsmängel (Z 5) werden mit dem Vorbringen aufgezeigt, dass die Feststellungen zur Menge des an Tamara B***** übergebenen Suchtgiftes nur auf ihrer in der Hauptverhandlung verlesenen Aussage beruhen (US 10) und die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen dazu keine eigenen Wahrnehmungen machen konnten.

Ob der Angeklagte am 24. August 2000, als er mit Michael S***** (vgl den Teilfreispruch) unterwegs war, von einem unbekannten Mann Kokain "von zumindest durchschnittlicher Qualität ('Straßenqualität')" bezog (US 7), ist für den Schuldspruch nicht von Bedeutung, weshalb ein insoweit geltend gemachter Begründungsmangel (Z 5 vierter Fall) keine entscheidende Tatsache betrifft. Dem Urteil ist kein Zusammenhang dieses Geschehens mit der Übergabe von Suchtgift laut A.1. und 2. zu entnehmen.

Weshalb erörterungsbedürftig sein soll, ob der Angeklagte täglich Suchtgift verkaufte, ist nicht zu ersehen.

Das Vorbringen, zum Schuldspruch B.1. "traf das Erstgericht keinerlei Feststellungen und ließ diese auch unbegründet, wie es zu dieser Körperverletzung kam", ist in sich widersprüchlich. Ein Begründungsmangel wird damit weder deutlich noch bestimmt bezeichnet (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285 a Z 2 StPO).

Die übrigen Einwände im Rahmen der Mängel- und der Rechtsrüge (Z 9 lit a) wenden sich nach Art einer zur Anfechtung kollegialgerichtlicher Urteile im Gesetz nicht vorgesehenen Schuldberufung gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes. Gegen den Schuldspruch B.2. wird in der uneingeschränkt auf (Urteilsaufhebung und) Freispruch oder Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung gerichteten Beschwerde nichts vorgebracht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO). Aus Anlass der Beschwerde war gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO zu Gunsten des Angeklagten eine dem Urteil in Ansehung des Schuldspruches A.1. und 2. anhaftende Nichtigkeit (Z 10) von Amts wegen aufzugreifen.

Der vorliegend in Rede stehende vierte Fall des § 28 Abs 2 SMG ist - bei entsprechendem Vorsatz in Bezug auf die Reinsubstanz des Wirkstoffes - stets, aber nicht nur dann erfüllt, wenn eine die jeweilige Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) erreichende Suchtgiftquantität durch einen Einzelakt in Verkehr gesetzt wird.

Bei sukzessivem Inverkehrsetzen mehrerer, für sich allein die Grenzmenge nicht erreichender Suchtgiftquanten sind diese nur dann zu jeweils großen Mengen zusammenzurechnen, wenn der Wille (§ 5 StGB) des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasst. Auf diese Weise kann das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG auch als tatbestandliche Handlungseinheit iS einer fortlaufenden Tatbestandsverwirklichung begangen werden. Wird ein solcher Täterwille nicht als erwiesen angenommen, können derartige Einzelakte nur jeweils das Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG begründen. Nach Erreichen der Grenzmenge ist jeweils gedanklich abzutrennen und demzufolge die große Menge (§ 28 Abs 2 SMG) der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) gleichzusetzen (zum Ganzen ausführlich 13 Os 10/03 = EvBl 2003/133 mwN).

Angesichts materiellrechtlicher Gleichwertigkeit von Real- und Idealkonkurrenz macht es für die Anzahl begründeter (gleichartiger) Verbrechen nach §28 Abs 2 vierter Fall SMG keinen Unterschied, ob die jeweils großen Mengen (= Grenzmengen iS des § 28 Abs 6 SMG) tateinheitlich oder tatmehrheitlich in Verkehr gesetzt wurden (vgl JBl 1983, 659 und JBl 2000, 327, mit jeweils zust Anm von Burgstaller).

Wurde den Urteilsfeststellungen zufolge vorsätzlich eine Suchtgiftmenge in Verkehr gesetzt, deren Reinsubstanz an Wirkstoff dem Zwei- oder Mehrfachen der Grenzmenge entspricht, sind daher dadurch mehrere Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG verwirklicht. Für diese rechtliche Beurteilung ist es konsequenterweise gleichgültig, ob die Suchtgiftmenge durch einen Einzelakt oder, wenn der konstatierte Wille des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, sukzessiv in Verkehr gesetzt wurde (dazu und zur "Restmenge" nach gedanklichem Abzug der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen abermals EvBl 2003/133). Für die Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG verlangt das Gesetz die gewerbsmäßige Begehung der "im Abs 2 bezeichneten Tat", mithin die Absicht, sich durch wiederkehrendes Inverkehrsetzen einer jeweils großen Menge eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Soweit sich die Absicht nur auf das Inverkehrsetzen von Suchtgiftquanten unterhalb der Grenzmenge bezieht, vermag sie die Qualifikation des § 28 Abs 3 erster Fall SMG nicht zu begründen. Anhand der Feststellungen des Erstgerichtes lässt sich jedoch weder eine Differenzierung der zu A.1. und 2. zusammengefassten Straftaten des Angeklagten nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG oder § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vornehmen noch beurteilen, ob der Angeklagte - im Fall eines oder mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG - nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG gewerbsmäßig gehandelt hat (EvBl 2003/133 mwN).

Damit ist - so auch die Stellungnahme der Generalprokuratur - eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter SatzStPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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