OGH 13Os10/03

OGH13Os10/0312.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. März 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Ratz, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Charles U***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG und anderer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 29. Oktober 2002, GZ 10 Hv 187/02z-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Pkt 1 sowie im Strafausspruch samt Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben zurückverwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf seine erfolglose Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Mit seiner Berufung wird er auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Charles U***** wurde "des Verbrechens nach § 28 Abs 2 (zu ergänzen:) vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG" (1) und einer unbestimmten Anzahl von Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: zweiter Fall) SMG

(2) schuldig erkannt.

Danach hat er

"in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte

1) in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) in Verkehr gesetzt, wobei er die Tathandlungen in der Absicht vornahm, sich durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, indem er im Zeitraum Anfang 2002 bis April/Mai 2002 in wiederholten Angriffen der abgesondert verfolgten Yvonne F***** zumindest 50 Gramm Heroin verkaufte;

2) besessen, indem er seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt bis Ende August 2002 Haschisch und Marihuana konsumierte.

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten orientiert sich nicht am Verfahrensrecht (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO).

Die Mängelrüge (Z 5) erschöpft sich im unzulässigen Versuch, die Glaubwürdigkeit der Zeugin F***** in Frage zu stellen. Auf welche Weise diese zuletzt mit dem Angeklagten in Kontakt getreten ist und ob er damals Suchtgift bei sich trug, betrifft keine entscheidende Tatsache.

Warum der Konsum eines Suchtgiftes dann, wenn der Konsument dazu eingeladen wurde, nicht mit dem Besitz daran zusammenfallen sollte, sagt die Subsumtionsrüge (Z 10), welche im Übrigen die Urteilsfeststellungen vernachlässigt, nicht.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde gelangte der Oberste Gerichtshof jedoch zur Überzeugung, dass in Hinsicht auf den zu 1) ergangenen Schuldspruch wegen "des Verbrechens" nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG entscheidende Tatsachen nicht festgestellt wurden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz [§ 281 Abs 1 Z 10] StPO).

Der vorliegend in Rede stehende vierte Fall des § 28 Abs 2 SMG ist - bei entsprechendem Vorsatz in Bezug auf die Reinsubstanz des Wirkstoffes - stets, aber nicht nur dann erfüllt, wenn eine die jeweilige Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) erreichende Suchtgiftquantität durch einen Einzelakt in Verkehr gesetzt wird.

Bei sukzessivem Inverkehrsetzen mehrerer, für sich allein die Grenzmenge nicht erreichender Suchtgiftquanten sind diese nur dann zu jeweils großen Mengen zusammenzurechnen, wenn der Wille (§ 5 StGB) des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasst. Auf diese Weise kann das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG auch als tatbestandliche Handlungseinheit iS einer fortlaufenden Tatbestandsverwirklichung begangen werden (EvBl 1999/216, 2000/136, 2001/54; JBl 2001, 802; 13 Os 74/02). Wird ein solcher Täterwille nicht als erwiesen angenommen, können derartige Einzelakte nur jeweils das Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG begründen (zuletzt: 13 Os 131/02). Der von § 28 Abs 6 SMG dem Bundesminister erteilte Gesetzesauftrag, für die einzelnen Suchtgifte die "Untergrenze" einer großen Menge (Grenzmenge) mit Verordnung festzusetzen, kann nicht bedeuten, dass bei Überschreiten dieser Grenze durch Inverkehrsetzen einer größeren Suchtgiftmenge stets nur ein einziges Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG begründet wird, weil sonst gewerbsmäßige Begehung in Ansehung insgesamt großer Mengen beim Inverkehrsetzen für sich allein die Grenzmenge nicht erreichender Teilmengen nahezu stets aus logischen Gründen verneint werden müsste (vgl JBl 2001, 802) und § 28 Abs 3 erster Satz (erster Fall) SMG in diesem kriminalpolitisch bedeutenden Anwendungsbereich seines Schutzzweckes verlustig ginge. Daher ist nach Erreichen der Grenzmenge jeweils gedanklich abzutrennen (EvBl 2001/54, JBl 2001, 802; 11 Os 123, 124/00, 13 Os 74/02) und demzufolge die große Menge (§ 28 Abs 2 SMG) der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) gleichzusetzen.

Angesichts materiellrechtlicher Gleichwertigkeit von Real- und Idealkonkurrenz macht es für die Anzahl begründeter (gleichartiger) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG keinen Unterschied, ob die jeweils großen Mengen (= Grenzmengen iS des § 28 Abs 6 SMG) tateinheitlich oder tatmehrheitlich in Verkehr gesetzt wurden (vgl JBl 1983, 659 und JBl 2000, 327, mit jeweils zust Anm von Burgstaller).

Wurde den Urteilsfeststellungen zufolge vorsätzlich eine Suchtgiftmenge in Verkehr gesetzt, deren Reinsubstanz an Wirkstoff dem Zwei- oder Mehrfachen der Grenzmenge entspricht, sind daher dadurch mehrere Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG verwirklicht. Für diese rechtliche Beurteilung ist es konsequenterweise gleichgültig, ob die Suchtgiftmenge durch einen Einzelakt oder, wenn der konstatierte Wille des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, sukzessiv in Verkehr gesetzt wurde.

In Ansehung einer "Restmenge", womit der nach gedanklichem Abzug der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen (= Grenzmengen) verbleibende Überrest des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes gemeint ist, liegen - gleichermaßen im Fall eines Einzelaktes wie (trotz des beschriebenen Gesamtvorsatzes) im Fall sukzessiven Inverkehrsetzens - ein (oder mehrere) Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG oder ein im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vor. Ob hinsichtlich der Restmenge statt § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG ein solches im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen anzunehmen ist, hängt fallbezogen davon ab, ob der Täter seinen Entschluss, erneut eine große Menge in Verkehr zu setzen, schon durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt hat.

Für die Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG verlangt das Gesetz die gewerbsmäßige Begehung der "im Abs 2 bezeichneten Tat", mithin die Absicht, sich durch wiederkehrendes Inverkehrsetzen einer jeweils großen Menge eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Soweit sich die Absicht nur auf das Inverkehrsetzen von Suchtgiftquanten unterhalb der Grenzmenge bezieht, vermag sie die Qualifikation des § 28 Abs 3 erster Fall SMG nicht zu begründen. Anhand der Feststellungen des Erstgerichtes lässt sich jedoch weder eine Differenzierung der zu 1) zusammengefassten Straftaten des Angeklagten nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG oder § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vornehmen, noch beurteilen, ob der Angeklagte - im Fall eines oder mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG - nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG gewerbsmäßig gehandelt hat (JBl 2001, 802, 13 Os 74/02 uva).

Dazu kommt, dass den Entscheidungsgründen keine Feststellungen über den Wirkstoffgehalt des an F***** übergebenen "Heroins" zu entnehmen sind, sodass trotz der Zusammenrechnung offen bleibt, ob überhaupt insgesamt die Grenzmenge erreicht wurde.

Damit ist - so auch die Stellungnahme der Generalprokuratur - eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter SatzStPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet auf § 390a StPO.

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