OGH 13Os60/04

OGH13Os60/0416.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Kirchbacher und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart des Richters Mag. Redl als Schriftführer in der Strafsache gegen John B***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie über die damit verbundene Kostenbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Februar 2004, GZ 043 Hv 62/03f-57, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft, sowie die Berufung des Angeklagten und dessen Kostenbeschwerde werden auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde John B***** - abweichend von der auf das teils beim Versuch gebliebene Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB lautenden Anklage (entgegen § 260 Abs 1 Z 2 StPO) undifferenziert "des Verbrechens nach § 28 Abs 1, 2 (vierter Fall) und 3 erster Fall SMG" schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

I./ den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) gewerbsmäßig durch Verkauf in Verkehr gesetzt, und zwar

1./ von Anfang Februar bis 9. Mai 2003 dem abgesondert verfolgten Robert M***** in Teilmengen 2,4 Gramm Kokain;

2./ von Anfang März bis 9. Mai 2003 dem abgesondert verfolgten Heinz Ba***** in rund zehn Angriffen insgesamt zumindest fünf Gramm Kokain;

3./ am 9. Mai 2003 dem abgesondert verfolgten Raoul S***** 0,5 Gramm Kokain;

4./ im April und Mai 2003 dem abgesondert verfolgten Robert F***** insgesamt rund zwei Gramm Kokain und am 9. Mai 2003 rund 1 bis 1,5 Gramm Kokain;

5./ von Anfang 2003 bis 9. Mai 2003 zahlreichen unbekannt gebliebenen Abnehmern nicht mehr feststellbare Mengen Heroin und Kokain;

6./ von Dezember 2002 bis Anfang Mai 2003 dem Philipp Ö***** insgesamt zumindest 15 Gramm Heroin und Kokain;

7./ von August 2002 bis Anfang Mai 2003 dem Alexander G***** rund 40-mal je 0,5 Gramm Kokain;

8./ im März/April 2003 dem Piotr K***** 5 bis 6-mal Heroin und Kokain

9./ im Frühjahr 2003 dem Dieter J***** 10 bis 15 Kugeln Kokain;

II./ am 9. Mai 2003 weitere 23,8 Gramm reines Heroin und 341 Gramm reines Kokain aufbewahrt.

Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit jeweils auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge des Angeklagten (Z 5) reklamiert zu Recht eine Unvollständigkeit der Urteilsbegründung, weil die Tatrichter die - mit der Anzeige übereinstimmende (S 53, 93/I) - Aussage des Zeugen S***** in der Hauptverhandlung unerörtert ließen, er habe zwar Suchtgift vom Angeklagten kaufen wollen, sei aber infolge dessen Verhaftung gar nicht dazu gekommen (S 439/I). Mit diesen dem von einer vollendeten Weitergabe ausgehenden Schuldspruch zu Punkt I./3./ entgegenstehenden Angaben hätte sich das erkennende Gericht auseinandersetzen müssen.

In rechtlicher Hinsicht geht das Erstgericht zwar unter Berücksichtigung des Additionseffektes von einer (objektiven) Zusammenrechnung sämtlicher in Einzelakten in Verkehr gesetzten Suchtgiftmengen aus (offenkundig unter Nichteinrechnung der im Zuge der Personsdurchsuchung des Beschwerdeführers anlässlich seiner Verhaftung sichergestellten Suchtmittel, die vom Schuldspruch II./ erfasst werden; vgl S 59 f und 323 ff/I iVm US 6), lässt aber - wie die Subsumtionsrüge (Z 10) richtig aufzeigt - sowohl zu Punkt I./ wie zu Punkt II./ des Schuldspruches Feststellungen dahingehend vermissen, dass der Vorsatz des Angeklagten jeweils auf Tathandlungen in Bezug auf eine - hinsichtlich des Schuldspruchs I./ als Resultat des mit der fortlaufenden Begehung verknüpften Additionseffektes - große Menge Suchtgift gerichtet war (Foregger/Litzka/Matzka SMG § 28 Erl VI.1.; 13 Os 10/03, EvBl 2003/133, 616 mwN).

Desgleichen fehlt es - vom Beschwerdeführer ebenfalls releviert (Z 10) - an der für die Annahme der Qualifikation des § 28 Abs 3 erster Fall SMG unerlässlichen Feststellung, dass John B***** bei den Suchtgiftverkäufen in der Absicht handelte, sich durch das wiederkehrende Inverkehrsetzen einer jeweils großen Menge eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (vgl 13 Os 10/03, EvBl 2003/133, 616 mwN; zuletzt 13 Os 1/04).

Schließlich kommt der Subsumtionsrüge auch insoweit Berechtigung zu, als sie einen Mangel an Feststellungen zum Reinheitsgehalt des vom Angeklagten verkauften Suchtgiftes vorbringt. Abgesehen von der Unbestimmtheit der Mengenangaben in den Schuldsprüchen I./5./ bis 6./ und I./8./ bis 9./, die keine Grundlage für eine Zusammenrechnung bieten, erlaubt die (dessen ungeachtet) getroffene Konstatierung des Verkaufs von 35 Gramm Kokain und 7 Gramm Heroin jeweils in "Straßenqualität" (US 9) keine verlässliche Beurteilung, ob durch die vom Schuldspruch I./ erfassten Verkäufe in Summe tatsächlich eine große Menge Suchtgift iSd 28 Abs 6 SMG iVm § 1 der Suchtgift-Grenzmengenverordnung (BGBl II 1997/377 idgF) in Verkehr gesetzt wurde (vgl Ratz, RZ 2003, 197; 15 Os 154/03; 12 Os 3/03; 15 Os 138/01 ua).

Aus den aufgezeigten Gründen erweist sich daher - in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur - eine gänzliche Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung als unumgänglich (§ 285e StPO).

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Rechtsmittelvorbringen.

Mit ihren Berufungen waren sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft - der Angeklagte auch mit seiner Kostenbeschwerde - auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird es dem erkennenden Gericht nach der neu durchzuführenden Beweisaufnahme nicht verwehrt sein, gegebenenfalls auch einen Schuldspruch im Sinn des Anklagevorwurfs zu fällen. Für einen anklagekonformen Schuldspruch nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB wären aber mängelfreie Feststellungen notwendig, dass der Täter im Umfang der noch nicht verkauften Suchtgifte seinen Entschluss, eine übergroße Menge in Verkehr zu setzen, schon durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt hat (vgl 13 Os 10/03, EvBl 2003/133, 616; 14 Os 34/04; 14 Os 29/04; 14 Os 166/03).

Das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG wird dadurch ausgeführt, dass eine große Menge eines Suchtgiftes (§ 28 Abs 6 SMG), über welche der Täter tatsächlich verfügt, in Verkehr gesetzt wird. Geschieht das Inverkehrsetzen mehraktig, liegt eine solche Ausführungshandlung erst dann vor, wenn sich diese tatsächliche Verfügungsgewalt über eine insgesamt große Menge zur Gänze realisiert hat. Entscheidend für die Ausführungsnähe beim mehraktigen Inverkehrsetzen einer insgesamt großen Menge Suchtgift ist demnach jener Akt, der beim in Verkehr gesetzten Suchtgift zum Erreichen der Grenzmenge führt, gleichsam "das Fass zum Überlaufen bringt" (vgl auch Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 146 Rz 124). Gleiches gilt für die "Übermenge" iSd § 28 Abs 4 Z 3 SMG. Der Besitz von Suchtgift in einer solchen Menge allein reicht für eine Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 28 Abs 2 vierter Fall, (allenfalls Abs 3 erster Fall und) Abs 4 Z 3 SMG noch nicht aus. Vielmehr muss die Weitergabe dieses auf die übergroße Menge fehlenden Suchtgiftquantums an konkrete Abnehmer zeitlich unmittelbar bevorstehen (vgl 14 Os 34/04). Die gleichen Grundsätze wären auch für den Fall anzuwenden, dass im zweiten Rechtsgang dem Angeklagten im Umfang der in der Wohnung gelagerten Suchtgiftmenge wiederum das Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG und im Umfang der weitergegebenen Suchtgifte das (bzw bei Weitergabe der mehrfachen Grenzmenge die; hinsichtlich der bei der Verhaftung mitgeführten Suchtgiftportionen allenfalls auch ein in der Entwicklungsstufe des Versuchs gebliebenes) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG anzulasten wäre. Dabei hätte das erkennende Gericht zu beachten, dass hinsichtlich einer die Grenzmenge übersteigenden "Restmenge" (womit der nach Abzug der in der Gesamtmenge enthaltenen "großen" Mengen [= Grenzmengen] verbleibende Überrest des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes gemeint ist) zu differenzieren sein wird:

Insoweit liegen - gleichermaßen im Fall eines Einzelaktes wie (trotz eines Gesamtvorsatzes) beim sukzessiven Inverkehrsetzens - ein (oder mehrere) Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG oder ein im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vor. Ob hinsichtlich der Restmenge statt § 27 Abs 1 sechster oder siebter Fall SMG ein solches im Versuchsstadium gebliebenes weiteres Verbrechen anzunehmen wäre, wird wiederum fallbezogen davon abhängen, ob der Täter seinen Entschluss, erneut eine große Menge in Verkehr zu setzen, schon durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt hat (vgl 13 Os 10/03, EvBl 2003/133, 616; 14 Os 34/04; 14 Os 29/04; 14 Os 166/03).

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