OGH 13Os1/23f

OGH13Os1/23f22.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Lung in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 24. Oktober 2022, GZ 13 Hv 73/22p-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00001.23F.0322.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C), mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (D), nach § 207a Abs 3 erster Satz erster und zweiter Fall StGB (richtig) und nach § 207a Abs 3 zweiter Satz erster und zweiter Fall StGB (E) sowie mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (G) und eines Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (F) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit hier von Bedeutung – in W*

(A) vom September 2019 bis zum 24. Jänner 2020 in mehreren Angriffen mit dem am 25. Jänner 2006 geborenen, im Tatzeitraum sohin unmündigen * G* dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er – jeweils wiederholt – an * G* Oralverkehr durchführte und * G* dazu veranlasste, Oralverkehr an ihm vorzunehmen, wobei eine der Taten eine an sich schwere Körperverletzung des * G*, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), zur Folge hatte,

(B) vom September 2019 bis zum 24. Jänner 2020 in mehreren Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB an dem im Tatzeitraum unmündigen * G* geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihm an sich vornehmen lassen, indem er wiederholt den Genital- und Analbereich des * G* intensiv berührte, an dessen Penis wiederholt Handverkehr vornahm und * G* wiederholt dazu veranlasste, den Genital- und Analbereich des Angeklagten intensiv zu berühren und an ihm Handverkehr vorzunehmen,

(C) vom September 2019 bis zumindest Anfang März 2021 mit dem minderjährigen und seiner Aufsicht unterstehenden * G* unter Ausnützung seiner Stellung ihm gegenüber geschlechtliche Handlungen vorgenommen sowie von diesem an sich vornehmen lassen, und zwar

1) vom September 2019 bis zum 24. Jänner 2020 durch die zu A und B beschriebenen Tathandlungen sowie

2) indem er vom 25. Jänner 2020 bis zumindest Anfang März 2021 in zahlreichen Angriffen den Genital- und Analbereich des * G* intensiv berührte, an diesem wiederholt Hand- und Oralverkehr vornahm, * G* jeweils wiederholt dazu veranlasste, seinen Genital- und Analbereich intensiv zu berühren und an ihm Hand- und Oralverkehr vorzunehmen, und zumindest einmal auch dazu veranlasste, an ihm einen Analverkehr durchzuführen, weiters

(D) zwischen dem 25. Jänner und dem 14. Dezember 2020 den im Tatzeitraum mündigen Minderjährigen * G* dazu bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), pornographische Darstellungen, nämlich vier Nacktbilder, (insbesondere) von dessen entblößtem Genitalbereich herzustellen und ihm zu überlassen, wobei es sich dabei um wirklichkeitsnahe, reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Soweit die Verfahrensrüge (Z 3) die in der Hauptverhandlung erfolgte Vernehmung des Sachverständigen * im Wege einer Zoom-Konferenz kritisiert, lässt sie keinen Bezug zu einer Bestimmung erkennen, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet. Solcherart verlässt sie den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes. Die in Ansehung einer Verletzung des – von der Beschwerde in diesem Zusammenhang unsubstantiiert angesprochenen – § 252 StPO aus Z 3 allein relevante Verlesungszulässigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 238) stellt das dargelegte Vorbringen (aktenkonform [ON 45 S 17]) nicht in Frage.

[5] Die weiters behauptete Verletzung der Bestimmung des § 228 Abs 1 StPO durch faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit infolge Versperrens des Gerichtsgebäudes um 15:30 Uhr liegt schon aufgrund folgender Umstände nicht vor:

[6] Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 45) begann diese um 13:03 Uhr (ON 45 S 1). Nach Aufruf der Sache, Vornahme der gesetzlich vorgesehenen Belehrungen, Anklagevortrag und Gegenäußerung des Verteidigers (ON 45 S 2) folgten die Vernehmungen des Angeklagten (ON 45 S 2 bis 8), eines Sachverständigen (ON 45 S 8 bis 11) und einer Zeugin (ON 45 S 11 bis 16). Nach dem Ende dieser Zeugenvernehmung wurde die Hauptverhandlung von 15:35 Uhr bis 15:47 Uhr unterbrochen (ON 45 S 16). Sodann erfolgten eine Urkundenvorlage, die Konkretisierung der Ansprüche des Privatbeteiligten und ein diesbezügliches Teilanerkenntnis des Angeklagten (ON 45 S 16 f). Hienach ließ der Vorsitzende des Schöffengerichts am Eingang des Gerichtsgebäudes eine Verständigung anbringen, die es allenfalls interessierten Personen ermöglichte, über eine entsprechende Telefonnummer Zutritt zum Verhandlungssaal zu erlangen (ON 45 S 17). In der Folge wurden der erhebliche Akteninhalt (mit Einverständnis der Prozessparteien) resümierend vorgetragen und die Schlussvorträge erstattet (ON 45 S 17). Nach der Beratung des Schöffengerichts von 16:12 Uhr bis 16:34 Uhr (ON 45 S 18) verkündete der Vorsitzende bis 16:47 Uhr das Urteil des Gerichts (ON 45 S 18 bis 21).

[7] Auf der Basis dieser Sachlage war die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung von 13:03 Uhr bis 15:30 Uhr zweifelsfrei gewahrt, weil Gerichtsgebäude und Verhandlungssaal in diesem Zeitraum frei zugänglich waren.

[8] Das Versperren des Gerichtsgebäudes in der Zeit von 15:30 Uhr bis 15:35 Uhr vermochte die Öffentlichkeit schon deshalb nicht zu tangieren, weil es unter dem in Rede stehenden Aspekt nicht erforderlich ist, Zuhörern während einer Zeugenvernehmung den Eintritt in den Verhandlungssaal zu gestatten (15 Os 95/07w, Sst 2007/89; RIS-Justiz RS0098167 [T3], RS0117048 [T1] und RS0128996; Schmoller, WK-StPO § 12 Rz 26; Wittmann, Hauptverhandlung trotz Schließung des Gerichtsgebäudes – Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit? ÖJZ 2019/72, 588).

[9] Für die Zeit der Unterbrechung der Hauptverhandlung stellt sich die Frage nach deren Öffentlichkeit von vornherein nicht.

[10] Hinsichtlich des auf die Unterbrechung unmittelbar folgenden Zeitraums wiederum ist unzweifelhaft erkennbar, dass die (kurzzeitige) Hinderung der Möglichkeit, in den Verhandlungssaal zu gelangen, keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO). Da § 228 Abs 1 StPO per se weder die Anklage noch den Angeklagten schützt, sondern primär dazu dient, die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit (§ 12 Abs 1 StPO, Art 6 Abs 1 MRK) sicherzustellen, ist auch die Relativität diesbezüglicher Nichtigkeit aus dem Blickwinkel dieses Schutzzwecks zu betrachten (vgl 13 Os 48/21i, AnwBl 2021, 538; RIS-Justiz RS0121890 [T3]). Davon ausgehend vermag eine Urkundenvorlage im gegebenen Zusammenhang keinen nachteiligen Einfluss im Sinn des § 281 Abs 3 erster Satz StPO zu entfalten, weil der Grundsatz der Öffentlichkeit es nicht verlangt, dem Publikum die Einsicht in vorgelegte Urkunden zu ermöglichen (11 Os 81/06f, Sst 2007/19; RIS-Justiz RS0121979; Schmoller, WK-StPO § 12 Rz 28). Parteienvorbringen ist nicht Gegenstand der für schöffengerichtliche Urteile bestehenden (§§ 270 Abs 2 Z 5, 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) Erörterungspflicht (11 Os 47/04, Sst 2004/51; RIS‑Justiz RS0119221; jüngst 13 Os 18/22d) und scheidet solcherart als Grundlage für die Annahme eines allfälligen nachteiligen Einflusses auf die Entscheidung jedenfalls aus.

[11] Die vom Vorsitzenden des Schöffengerichts für die letzte Phase der Hauptverhandlung und die – nach der Rechtsprechung von der Nichtigkeitsdrohung des § 228 Abs 1 StPO umfasste, unter dem Aspekt der Öffentlichkeit besonders bedeutsame Urteilsverkündung (14 Os 55/10k, RIS‑Justiz RS0098132 [T4]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 192; Wittmann, ÖJZ 2019/72, 588 [593] mwN) – gewählte Vorgangsweise entspricht der ständigen Judikatur zur Wahrung der Öffentlichkeit nach Versperren des Gerichtsgebäudes (13 Os 102/11s, Sst 2012/9; RIS-Justiz RS0117048 [T2]; Wittmann, ÖJZ 2019/72, 588 [591 f] mwN).

[12] Der Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verkennt, dass diese nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431). Ein solches Fehlzitat behauptet die Rüge nicht.

[13] Der Behauptung der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurde die Verantwortung des Angeklagten vom Erstgericht nicht übergangen, sondern aufgrund der Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO) als widerlegt angesehen (US 8 ff). Das Eingehen auf jedes Detail dieser Aussage war aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO nicht erforderlich, es hätte vielmehr gegen das Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) verstoßen (RIS‑Justiz RS0098778 und RS0106295).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur –gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[15] Nicht zu folgen war der Anregung der Generalprokuratur, die angefochtene Entscheidung im Schuldspruch D aus dem Grund eines Feststellungsmangels zu allfälliger Einwilligung im Sinn des § 207a Abs 5 Z 1 StGB aufzuheben, weil keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse auszumachen sind, die eine diesbezügliche Feststellung indizieren würden. Mit der Verantwortung des Angeklagten, * G* habe ihm die pornographischen Darstellungen aus eigenem Antrieb heraus überlassen, haben sich die Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auseinandergesetzt (US 11 f).

[16]  Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei aber hinzugefügt, dass das Erstgericht insoweit die Subsumtionsfrage (Z 10) unrichtig gelöst hat:

[17] Unter Zugrundelegung der zum Schuldspruch D getroffenen Tatsachenfeststellungen (US 6) bestimmte (§ 12 zweiter Fall StGB) der Angeklagte den im Tatzeitraum 14‑jährigen * G* nicht nur zur Herstellung (§ 207a Abs 1 Z 1 StGB) pornographischer Darstellungen einer minderjährigen Person (§ 207a Abs 4 StGB), sondern verschaffte er sich diese auch, indem er die minderjährige Person aufforderte, ihm diese zu übermitteln, und besaß er die Darstellungen in der Folge. Davon ausgehend wären die zu D festgestellten Handlungen des Angeklagten auch nach § 207a Abs 3 erster Satz StGB zu subsumieren gewesen (vgl RIS‑Justiz RS0127379 [T2], Philipp in WK2 StGB § 207a Rz 33 mwN). Da der Subsumtionsfehler dem Angeklagten zum Vorteil gereicht, hatte es mit diesem Hinweis sein Bewenden.

[18] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[19] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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