Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil und der zugleich gefasste Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Finanzstrafbehörde und die Angeklagten, diese auch mit ihren Beschwerden, auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Alois S***** und Caroline B***** (richtig) jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach (jeweils idF vor BGBl I 2010/104) §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG (I/1) und nach §§ 33 Abs 2 lit b, 38 Abs 1 lit a FinStrG (I/2) sowie jeweils des Verbrechens des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungs-beiträgen nach § 153d Abs 1, 2 und 3 StGB (II) schuldig erkannt.
Danach haben „Alois S***** als faktischer Machthaber und Caroline B***** als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Firma E***** GmbH in bewusstem und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB)
I. im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes Innsbruck gewerbsmäßig
1. im Zeitraum 2004 bis 2006 vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten eine Abgabenverkürzung an Umsatzsteuer, Körperschaftssteuer und Kapitalertragsteuer in nachgenannter Höhe bewirkt, indem sie Aufwendungen für den privaten Hausbau des Michael S***** und Kosten der privaten Lebensführung als Betriebsausgaben führten und die darauf entfallenen Vorsteuern bei der genannten Gesellschaft geltend machten, eine Ausgangsrechnung dreifach stornierten, Aufwendungen, die nicht betriebsnotwendig waren, verbuchten und Aufwendungen teilweise doppelt verbuchten, und zwar eine Verkürzung an
- Umsatzsteuer im Zeitraum von 2004 bis 2006 in Höhe von EUR 95.153,12
- Körperschaftssteuer im Jahr 2004 in Höhe von EUR 35.227,53
- Kapitalertragsteuer im Zeitraum 2004 bis 2006 in Höhe von EUR 77.114,41
Zwischensumme EUR 207.791,86
abzüglich der auf den Zuschlag von 10 % an Materialkosten entfallenden Steuer in Höhe von EUR 13.302,33
gesamt sohin EUR 194.489,53
2. im Zeitraum Jänner 2004 bis Mai 2010 unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommenssteuergesetzes 1972 entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe in nachgenannter Höhe bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, indem Lohnbestandteile nicht der Lohnbesteuerung unterzogen wurden, und zwar eine Verkürzung an
- Lohnsteuer in Höhe von EUR 681.083,42
- Dienstgeberbeiträge in Höhe von EUR 164.238,83
gesamt sohin EUR 845.322,25“;
II. in Innsbruck in den Jahren 2006 bis 2010 als Dienstgeber Beiträge zur Sozialversicherung der Tiroler Gebietskrankenkasse als berechtigtem Sozialversicherungs-träger im 50.000 Euro übersteigenden Ausmaß von insgesamt 403.448,82 Euro betrügerisch vorenthalten, indem sie schon die Anmeldung zur Sozialversicherung mit dem Vorsatz vorgenommen hatten, keine ausreichenden Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5a, 8, 9 lit a und b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten sind bereits aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund im Recht.
Zutreffend zeigt die Verfahrensrüge (Z 3) eine den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechende Fassung des Urteilstenors auf. Dessen in § 260 Abs 1 Z 1 StPO normierter Teil hat nach dieser Vorschrift eine ausdrückliche Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, also ein Referat der als erwiesen angenommenen entscheidenden Tatsachen, zu enthalten und solcherart deklarativ und resümierend darzustellen, auf welche Taten (im materiellen Sinn) sich der Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) bezieht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 273; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 6 f).
Bei (bescheidmäßig) festzusetzenden Abgaben (hier: Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer) wird ‑ bezogen auf ein Steuersubjekt ‑ mit Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG verwirklicht. Die Abgabe unrichtiger Jahreserklärungen begründet mehrere realkonkurrierende Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG, wenn sie eine Steuerart mehrere Veranlagungsjahre hindurch oder unterschiedliche Steuerarten im selben Jahr betreffen. Solcherart bildet eine Jahreserklärung zu einer Steuerart ‑ allenfalls auch als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte (vgl § 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG idF BGBl I 2010/104) ‑ eine selbständige Tat im Sinn des § 21 Abs 1 FinStrG.
Die Einkommensteuer in der Erhebungsform der Kapitalertragsteuer ist keine (bescheidmäßig) festzusetzende, sondern eine selbst zu berechnende Abgabe (vgl § 33 Abs 3 lit b FinStrG; Reger/Nordmeyer/Hacker/Kuroki, FinStrG I4 § 33 Rz 44; Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 32). Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge; zum Abzug der Kapitalertragsteuer verpflichtet ist hingegen der Schuldner der Kapitalerträge (hier: die von den Beschwerdeführern vertretene E***** GmbH), der die Steuer binnen einer Woche nach dem Zufließen der Erträge mit einer entsprechenden Anmeldung abzuführen hat (§§ 95 Abs 1 bis Abs 3, 96 Abs 1 Z 1 lit a und Abs 3 EStG [die hier maßgebliche Rechtslage blieb seit dem Tatzeitraum trotz mehrfacher Novellierungen und daraus resultierender unterschiedlicher Gesetzessystematik unverändert]). Eine (bescheidmäßige) Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben (hier: der Kapitalertragsteuer) ist nur ausnahmsweise ‑ insbesondere bei Verletzung der beschriebenen abgabenrechtlichen Pflichten ‑ vorgesehen (siehe zur Kapitalertragsteuer § 95 Abs 4 EStG, vgl auch § 201 BAO).
Selbständige Tat im Bereich der Kapitalertragsteuer ist jeweils das Unterlassen der Abfuhr der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuer unter Verletzung der korrespondierenden Anmeldungspflicht und zwar auch dann, wenn es aus den zuvor genannten Gründen ausnahmsweise zu einer (bescheidmäßigen) Festsetzung dieser Abgabe kommt.
Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG wiederum werden durch dort pönalisiertes Verhalten bezogen auf Lohnzahlungszeiträume verwirklicht, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums unabhängig von der Höhe der Hinterziehungsbeträge eine selbständige Tat und damit ein Finanzvergehen verwirklicht wird (insgesamt zum finanzstrafrechtlichen Tatbegriff RIS-Justiz RS0124712).
Das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) des angefochtenen Urteils stellt mehrere Finanzvergehen über mehrere Tatzeiträume bloß unter Anführung von Gesamt-Hinterziehungsbeträgen (für jeweils mehrere solcher Zeiträume) und (zu I/1) ‑ auf Grund unterschiedlicher Erhebungsformen der betroffenen Abgaben ‑ verschiedenartige Begehungsweisen zusammen-gefasst dar und enthält somit keine (nach Maßgabe entscheidender Tatsachen) ausreichende Individualisierung der vom Schuldspruch erfassten Taten (13 Os 154/09k; 13 Os 18/12i, EvBl 2012/99, 679; 13 Os 15/13z, 16/13x).
Aufgrund des aufgezeigten Mangels war der Schuldspruch I ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).
Der vom Schuldspruch II erfasste Vorwurf des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungs-beiträgen beruht auf dem auch zu I/2 relevanten Vorwurf, die Beschwerdeführer hätten Lohnbestandteile (im Hinblick auf die tatsächlichen Beschäftigungsorte der Dienstnehmer) zu Unrecht als ‑ nicht einkommensteuerpflichtige und nicht in die sozialversicherungsrechtliche Beitragsgrundlage einzubeziehende (vgl § 26 Z 4 EStG und §§ 44 Abs 1 Z 1 und 49 Abs 3 Z 1 ASVG) ‑ Reisevergütungen und Tagesgelder ausbezahlt (vgl US 11). Auf Grund des engen beweismäßigen Zusammenhangs mit dem Gegenstand des aufgehobenen Schuldspruchs I/2 erschien die Aufrechterhaltung des Schuldspruchs II untunlich, weshalb dieser in Wahrnehmung der dem Obersten Gerichtshof gemäß § 289 StPO zukommenden Befugnis aufzuheben war (RIS-Justiz RS0100072). Eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens erübrigt sich somit.
Der Wegfall der Schuldsprüche bedingt die Aufhebung der Strafaussprüche und der ‑ verfehlt in Urteilsform erteilten (RIS-Justiz RS0086112) ‑ Weisung nach § 26 Abs 2 FinStrG (13 Os 136/11s; Reger/Nordmeyer/Hacker/Kuroki, FinStrG I4 § 26 Rz 5).
Die Finanzstrafbehörde und die Angeklagten, Letztere auch mit ihren (impliziten) Beschwerden (§ 498 Abs 3 dritter und vierter Satz StPO 13 Os 1/13s), waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird ‑ im Fall neuerlicher Schuldsprüche wegen Finanzvergehen der Abgabenhinter-ziehung ‑ zu beachten sein:
1/ Bei bescheidmäßig veranlagten Abgaben (hier: Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer) besteht die von § 33 Abs 1 FinStrG vorausgesetzte Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht (§§ 119 f BAO) regelmäßig in der Einreichung einer unrichtigen (Jahres-)Steuererklärung oder in deren gänzlicher Unterlassung. Das Vorliegen dieser objektiven Tatbestandsvoraussetzungen ist festzustellen. Die ‑ aus dem im angefochtenen Urteil angesprochenen (unrichtigen) Verbuchen steuerlich relevanter Sachverhalte im Rechenwerk des Steuersubjekts (vgl US 2 und 8 bis 10) resultierende ‑ Verletzung von Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten (vgl § 124 BAO iVm §§ 189 f UGB) mag zwar der Vorbereitung einer Abgabenhinterziehung dienen, ist als solche jedoch nicht Tatbestandselement (RIS‑Justiz RS0087191 T11).
2/ Der Zeitpunkt des Bewirktseins einer Verkürzung dieser Abgaben, mithin der Deliktsvollendung, ist in § 33 Abs 3 lit a FinStrG geregelt. Unter dem Aspekt der Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung (vgl § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) sind auch dazu die erforderlichen Konstatierungen zu treffen. Werden die Abgaben ‑ ungeachtet der vorangegangenen Verletzung einer Erklärungspflicht ‑ richtig festgesetzt, ist die Tat bloß versucht (RIS-Justiz RS0086391, RS0087158, RS0087087, RS0126994).
3/ Der Tatbestand des § 33 Abs 2 lit b FinStrG erfasst in objektiver Hinsicht die Hinterziehung von (im Sinn des Abs 3 lit b) selbst zu berechnenden Abgaben. Wesentliches (ungeschriebenes) Element der pönalisierten Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten ist demnach ‑ neben jener zur Führung von § 76 EStG entsprechenden Lohnkonten ‑ das Unterlassen der Entrichtung der Abgaben zu den gesetzlich festgelegten Fälligkeitszeitpunkten (vgl § 79 Abs 1 EStG und § 43 Abs 1 FLAG). Dies ist ebenso festzustellen wie (in Ansehung der subjektiven Tatseite) auf die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten gerichteter (zumindest) bedingter Vorsatz und Wissentlichkeit in Bezug auf das Bewirken der Abgabenverkürzung (RIS-Justiz RS0087051).
4/ Eine Zusammenfassung von Konstatierungen für mehrere Finanzvergehen ist zwar zulässig. Stets muss muss aber die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen anhand der Entscheidungsgründe für jede Tat (im Sinn der obigen Ausführungen), also für jedes Veranlagungsjahr und jede Steuerart, für jeden Lohnzahlungszeitraum und jede Abgabenart oder für jede einzelne Hinterziehung von Kapitalertragsteuer unzweifelhaft beurteilt werden können. Dazu gehört auch die Feststellung, dass in jedem einzelnen dieser Zeiträume Abgaben tatsächlich verkürzt wurden, der strafbestimmende Wertbetrag also für jedes der real konkurrierenden Finanzvergehen mehr als null beträgt (vgl RIS-Justiz RS0124713; Lässig in WK2 FinStrG Vor Rz 13; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 402 und 626).
5/ Feststellungen zum strafbestimmenden Wertbetrag sind ‑ unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 (iVm Z 11 erster Fall) StPO ‑ mängelfrei zu begründen. Die Bezugnahme auf Berechnungen des Finanzamts (oder eines Sachverständigen) genügt, wenn die Entscheidungsgründe konkret auf eine bestimmte Fundstelle im Akt verweisen und diese eine schlüssige und nachvollziehbare Berechnung enthält (RIS-Justiz RS0119301 T5; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 396). Der im angefochtenen Urteil (zudem ohne Hinweis auf Fundstellen im Akt) gegebene pauschale Hinweis „auf die schlüssigen und umfangreichen Erhebungen des Finanzamtes Innsbruck und der TGKK“ (US 15) entspricht diesen Anforderungen nicht (Lässig in WK2 FinStrG Vor Rz 5; zum Umfang der Pflicht zur Überprüfung abgabenbehördlicher Ermittlungsergebnisse RIS-Justiz RS0087030).
6/ Im Hinblick auf den nach § 4 Abs 2 FinStrG vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich ist zu beachten: Diese Bestimmung ordnet (anders als § 61 StGB) grundsätzlich die Anwendung des Tatzeitrechts an, es sei denn, die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage wäre günstiger. Wie das Erstgericht zutreffend erkannte, ist § 38 FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 auf vor Inkrafttreten der FinStrG-Novelle 2010 begangene Finanzvergehen weiterhin anzuwenden (§ 265 Abs 1p FinStrG). Im hier maßgeblichen Tatzeitraum standen allerdings verschiedene Fassungen des § 38 Abs 1 lit a FinStrG (BGBl I 1999/28, BGBl I 2004/57 und BGBl I 2005/103) in Geltung, die auf die jeweils real konkurrierenden Finanzvergehen anzuwenden sind (RIS‑Justiz RS0089011; zum Verbot, verschiedene Rechtslagen zu mischen RIS-Justiz RS0088953).
Sollten die Tatrichter im zweiten Rechtsgang zur Auffassung gelangen, dass nur Teile der die angelasteten Abgabenhinterziehungen nach sich ziehenden Unrichtigkeiten (§ 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG) vom Vorsatz der Angeklagten (oder eines von ihnen) umfasst waren, muss auch dies durch entsprechende Feststellungen geklärt und sodann im Wege des Günstigkeitsvergleichs die Sanktionsbestimmung des § 33 Abs 5 FinStrG in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2013/104) angewendet werden (13 Os 15/13z, 16/13x; grundlegend zum Günstigkeitsvergleich in Finanzstrafsachen 13 Os 17/12t).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)