OGH 13Os17/12t

OGH13Os17/12t10.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wohlmuth als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Maria S***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 38 Abs 1 lit a FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 5. Oktober 2011, GZ 39 Hv 18/10m‑42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maria S***** (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 (idF BGBl I 2010/104) und 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 schuldig erkannt.

Danach hat sie im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Innsbruck vorsätzlich und gewerbsmäßig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung von Umsatzsteuer in den Jahren 2001 bis 2007 um insgesamt 239.974,39 Euro bewirkt, indem sie als Einzelunternehmerin im Rahmen der von ihr betriebenen Begleitagentur „Top Secret“ Umsätze und Erlöse ihres Unternehmens nicht in den diesbezüglichen Jahressteuererklärungen (samt den bezughabenden Unterlagen) erfasste, „wobei sie hinsichtlich eines Betrages von EUR 235.934,39 gewerbsmäßig handelte“ (vgl zum Tatbegriff im Finanzstrafrecht: RIS‑Justiz RS0124712).

Vom weiteren Anklagevorwurf, sie habe in den Jahren 2001 bis 2007 im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Innsbruck unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 des EStG entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung von Lohnsteuer um insgesamt 646.451,26 Euro und von Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen um insgesamt 103.983,87 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, indem sie für die in ihrer Begleitagentur tätigen Mitarbeiter weder Lohnkonten führte noch deren Gehälter ordnungsgemäß der Lohnbesteuerung unterzog, wurde Maria S***** „gemäß § 259 Z 3 StPO“ freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das „Urteil wegen Abgabenhinterziehung gem. §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG sowie“ den „Freispruch gem. § 259 Z 3 StPO“ richtet sich die aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO zum Nachteil der Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde, der keine Berechtigung zukommt.

§ 281 Abs 1 Z 5 StPO erlaubt Urteilsanfechtung nach Maßgabe folgender Kriterien:

Undeutlichkeit iSd Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn ‑ nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht ‑ nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, mithin sowohl für den Beschwerdeführer als auch das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder auch aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist.

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil genau dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ.

Widersprüchlich sind zwei Aussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder der allgemeinen Lebenserfahrung nicht nebeneinander bestehen können. Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen.

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht.

Aktenwidrig iSd Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt.

Indem die Mängelrüge pauschal und ohne Bezeichnung von Fundstellen im Akt (vgl RIS‑Justiz RS0124172) behauptet, die Feststellungen seien „in sich widersprüchlich, undeutlich und unvollständig, aber auch aktenwidrig“, verfehlt sie die Orientierung an den vorstehenden Anfechtungskriterien und bekämpft im Wesentlichen die tatrichterliche Überzeugung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Die Tatrichter gingen in objektiver Hinsicht von einem Arbeitsverhältnis der von der „Begleitagentur“ vermittelten Prostituierten sowie einer daraus resultierenden Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten und Abfuhr von Lohnsteuer durch die Angeklagte aus (US 5 f und 9). Allerdings hielten sie deren Verantwortung, sie sei der Meinung gewesen, die Prostituierten hätten selbständig auf Werkvertragsbasis für sie gearbeitet, für nicht widerlegbar, und erachteten in diesem Zusammenhang die subjektive Tatseite in Bezug auf die Verletzung ‑ objektiv bestehender ‑ abgabenrechtlicher Pflichten als nicht erfüllt (US 8 und 11 f). Was an dieser Differenzierung und an der Darstellung des auf die Prostituierten entfallenden Anteils am Gesamtumsatz „in sich widersprüchlich“ sein, also gegen Denkgesetze oder die allgemeine Lebenserfahrung verstoßen soll (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 438), sagt die Rüge nicht.

Weshalb der nicht näher präzisierte (vgl RIS‑Justiz RS0118316 T5) „Akteninhalt des Ermittlungsaktes“ oder die Berichte über die Außenprüfung den angeführten Feststellungen entgegen stehen sollen und daher unter dem Aspekt mängelfreier Begründung erörterungsbedürftig gewesen wären (vgl RIS‑Justiz RS0098495), vermag die Rüge ebenfalls nicht darzulegen.

Die weiters im Rahmen der Mängelrüge erhobene Forderung, bei Verneinung eines Arbeitsverhältnisses der Prostituierten hätte (infolge Wegfalls von ‑ bei Bemessung der Einkommensteuer des Einzelunternehmens ‑ zu berücksichtigendem Lohnaufwand) ein Schuldspruch wegen Hinterziehung von Einkommensteuer im entsprechenden Ausmaß erfolgen müssen (vgl dazu die Berechnung des Sachverständigen ON 39 S 7 ff), übersieht, dass das Erstgericht das Bestehen einer Lohnsteuerpflicht in objektiver Hinsicht gerade nicht verneint hat. Im Übrigen wäre ein Schuldspruch wegen Hinterziehung der bescheidmäßig festzusetzenden Einkommensteuer ohne Überschreitung der Anklage (vgl § 281 Abs 1 Z 8 StPO), die in diesem Zusammenhang nur die Hinterziehung der selbst zu berechnenden Lohnsteuer (vgl §§ 78 f EStG; Reger/Hacker/Kneidinger, FinStrG³ § 33 Rz 44) umfasste, nicht möglich gewesen (vgl nochmals zum finanzstrafrechtlichen Tatbegriff: RIS‑Justiz RS0124712).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) abermals einen Schuldspruch wegen Hinterziehung von Lohnsteuer oder Einkommensteuer mit Berufung auf die „Anzeige durch das Finanzamt Innsbruck“ und die „aufgenommenen Beweise“ fordert, verfehlt sie den im festgestellten Urteilssachverhalt gelegenen gesetzlichen Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0099810).

Dass der Freispruch verfehlt auf § 259 Z 3 StPO statt (richtig) auf § 214 FinStrG gestützt wurde, ist mit Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht bekämpfbar, weil jedem Freispruch vom Vorwurf eines Finanzvergehens die Wirkung eines solchen nach § 214 FinStrG zukommt (RIS‑Justiz RS0120367). Die Wahrnehmung eines allenfalls bestehenden Verfolgungshindernisses nach Art 4 des 7. ZPMRK ist Sache der nachfolgend tätig werdenden Finanzstrafbehörde (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 628).

Die bloß „hilfsweise“ erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) erschöpft sich in einem Verweis auf das „bisherige Vorbringen“ und bedarf daher keiner Erörterung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung.

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht trotz unklarer Formulierung des Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO; US 2) deutlich genug (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 622 ff) der Sache nach richtig § 33 Abs 1 (und Abs 5) FinStrG idgF und § 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 angewendet hat. Gemäß § 265 Abs 1p zweiter Satz FinStrG ist § 38 FinStrG idF vor der FinStrG‑Novelle 2010 auf vor deren Inkrafttreten begangene Finanzvergehen weiterhin anzuwenden. In Bezug auf diese Bestimmung sind Urteils‑ und Tatzeitrecht ident, weshalb insofern kein Günstigkeitsvergleich anzustellen ist. Ansonsten kommt gemäß § 4 Abs 2 FinStrG ‑ anders übrigens als nach § 61 StGB ‑ grundsätzlich das Tatzeitrecht zur Anwendung, sofern das im Urteilszeitpunkt geltende Recht ‑ ausgehend vom Urteilssachverhalt ‑ in seiner konkreten Gesamtauswirkung (RIS‑Justiz RS0119085, RS0112939) nicht günstiger ist. Genau das ist hier der Fall, weil gemäß § 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG idgF der strafbestimmende Wertbetrag nur jene Abgabenbeträge umfasst, deren Verkürzung im Zusammenhang mit den Unrichtigkeiten bewirkt wurde, auf die sich der Vorsatz des Täters bezieht. Die auf Basis der getroffenen Feststellungen (US 8 iVm US 11 f) daraus resultierende ‑ gegenüber der früheren Rechtslage (vgl RIS‑Justiz RS0124712 und RS0087087) ‑ erhebliche Reduktion der Höchststrafdrohung überwiegt in concreto die mit der FinStrG‑Novelle 2010 ebenfalls eingeführten Verschärfungen des Sanktionensystems (vgl § 23 Abs 4 FinStrG) bei weitem, sodass die Gesamtauswirkungen der neuen Rechtslage für die Angeklagte günstiger sind (vgl RIS‑Justiz RS0089014, RS0091985; 13 Os 64/75 [verst Senat], JBl 1976, 269).

Dass es das Erstgericht übersehen hat, die während des gesamten Tatzeitraums geltenden verschiedenen Fassungen des § 38 Abs 1 lit a FinStrG (BGBl I 1999/28, BGBl I 2004/57 und BGBl I 2005/109) jeweils richtig auf die real konkurrierenden Finanzvergehen anzuwenden (vgl RIS‑Justiz RS0089011 [insbesondere T2]), bedeutet in concreto keinen Nachteil für die Angeklagte (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f).

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