European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0110OS00040.23A.0711.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde C* L* des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (IV/), mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (I/) sowie jeweils eines Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB (II/) und der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB (III/) schuldig erkannt, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
[2] Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde relevant –
IV/ am 13. Mai 2022 in P* seine getrennt von ihm lebende Ehefrau S* L* durch einen Würge- oder Drosselvorgang am Hals und das Versetzen dreier heftiger Messerstiche in den Brustbereich getötet.
[3] Die Geschworenen hatten die dazu gestellte Hauptfrage IV/ in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB bejaht.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen den Schuldspruch zu IV/ und gegen die Anordnung der Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 10a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Der Verfahrensrüge (Z 5; zum Teil auch Z 13 erster Fall iVm Z 5) zuwider wurden durch die Abweisung von in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Zur Antragsbegründung jeweils im Rechtsmittel nachgetragene Argumente sind prozessual verspätet und damit unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).
[6] Der Antrag auf Beischaffung der gesamten Krankengeschichte des Angeklagten im T* samt Arztbriefen an den Hausarzt wurde zum Beweis dafür gestellt (ON 79 S 41), dass sich der Angeklagte operativen Eingriffen wegen Divertikeln im Darm unterzogen hatte. Diesen Umstand erachtete der Angeklagte als erheblich, weil er danach eine krankheitswertige psychiatrische Störung wegen postoperativ eingetretener Zeugungs- und Ejakulationsunfähigkeit entwickelt und deshalb zur Tatzeit in einem „Affektzustand“ gehandelt habe. Dass aber schon die begehrten Unterlagen Hinweise auf psychische oder urologische Auffälligkeiten des Angeklagten enthalten hätten, wurde im Antrag nicht einmal behauptet. Eine Beweisführung mit dem Ziel, abzuklären, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten sei, läuft auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus (RIS‑Justiz RS0118123). Abgesehen davon wurde die „urologische Problematik“ ohnehin als erwiesen erachtet (ON 79 S 41), sodass das Begehren auf Beischaffung der Krankengeschichte betreffend die dieser bloß vorangegangenen Darmoperationen schon deshalb abgewiesen werden durfte (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO).
[7] Der Antrag auf Einholung eines weiteren psychiatrisch-neurologischen Sachverständigengutachtens (ON 80 S 4 ff) ging mit der Behauptung von Mängeln im Gutachten der vom Gericht beigezogenen Sachverständigen einher, weil diese ihre ursprüngliche (schriftliche) Expertise in der Hauptverhandlung (mündlich) abgeändert hatte (ON 39.2; ON 79 S 99 ff).
[8] Eine auf mangelnde Sachkunde des Sachverständigen gegründete Einwendung gegen diesen ist nach Erstattung von Befund und Gutachten zufolge der Spezialregelung des § 127 Abs 3 erster Satz StPO nicht mehr zulässig (RIS‑Justiz RS0126626). Ein durch Z 5 garantiertes Überprüfungsrecht betreffend einen bereits erstatteten Befund sowie ein Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen besteht nur dann, wenn der Beschwerdeführer in der Lage ist, einen der in § 127 Abs 3 StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen, und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos geblieben ist (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351 mwN; Hinterhofer, WK‑StPO § 127 Rz 31; RIS‑Justiz RS0117263, RS0120023 [T4 und T5]).
[9] Im vorliegenden Fall legte die Sachverständige im Rahmen der Gutachtenserörterung nachvollziehbar dar, weshalb und auf Basis welcher ihr erst in der Hauptverhandlung bekannt gewordener Umstände sie ihr Kalkül zum Zustand des Angeklagten und dessen Gefährlichkeit gegenüber ihrer früheren Einschätzung (ON 39.2) geändert hatte, wobei sie auch auf entsprechende Fragen (ua) der Verteidigung einging (ON 79 S 100–111, insbesondere auch S 107, 110 f zur Anwendung des „PCL‑R“).
[10] Mit bloßer Kritik am Unterlassen einer neuerlichen Untersuchung (vgl dazu ON 79 S 108 ff) und bestimmter Testverfahren wird ausschließlich die allein der Sachverständigen obliegende Methode der Befundaufnahme in Frage gestellt, aber kein in § 127 Abs 3 erster Satz StPO beschriebener Mangel von Befund oder Gutachten dargetan (RIS‑Justiz RS0097355).
[11] Der in Rede stehende Antrag zeigte somit keine Mängel iSd § 127 Abs 3 StPO auf, sondern begehrte bloß eine Überprüfung der Beurteilung der beigezogenen Expertin in der nicht indizierten Erwartung eines für den Angeklagten günstigeren Ergebnisses und zielte damit auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0117263 [T17]).
[12] Auch die Ablehnung der beantragten Vernehmung des Rechtsanwalts Mag. * F* (ON 80 S 6 f) war gerechtfertigt (ON 80 S 9), weil die damit unter Beweis zu stellenden Umstände (unauffälliges Verhalten des Angeklagten und des Opfers im Zusammenhang mit der finanziellen Auseinandersetzung der in Scheidung lebenden Eheleute am 12. Mai 2022, dem Tag vor der Tat) nicht geeignet waren, das Vorliegen einer heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten am folgenden Tag (wie intendiert) unter Beweis zu stellen.
[13] Indem die weitere Verfahrensrüge (Z 5) die Abweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrags auf Zulassung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB zur Hauptfrage IV/ releviert, ist sie schon im Ansatz verfehlt, weil Mängel der Fragestellung nur aus Z 6 (dazu gleich unten) geltend gemacht werden können (RIS‑Justiz RS0101012).
[14] Unter Berufung einerseits auf Passagen der Verantwortung des Angeklagten, er habe sich im Zuge eines heftigen Streits mit seiner getrennt lebenden Ehefrau machtlos und verzweifelt gefühlt, er habe sie nach Schubsen und Boxen ihrerseits in den Schwitzkasten genommen, „reflexartig“ (auch: „blitzartig“, „wie aus der Rakete geschossen“, „wie aus der Kanone geschossen“) das Messer genommen und zugestochen (ON 14 S 18 f; ON 79 S 11, 65 f, 68 f), und andererseits auf das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen, wonach der Angeklagte die Kränkungen und Demütigungen durch seine Ehefrau nicht ausgehalten und somit aus einem Gefühl einer gewissen Ohnmacht heraus agiert habe (ON 79 S 102), kritisiert die Fragenrüge (Z 6) das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. Damit werden aber keine Verfahrensergebnisse aufgezeigt, die das Vorliegen einer allgemein begreiflichen (also nach einem objektiven Maßstab sittlich verständlichen [vgl RIS‑Justiz RS0092115]) heftigen Gemütsbewegung im Tatzeitpunkt (vgl dazu RIS‑Justiz RS0092259, RS0092087, RS0092271, RS0092138) nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würden (RIS‑Justiz RS0100860 [T1], RS0101087).
[15] Mit dem Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten (vgl dazu US 5) gelingt es der Tatsachenrüge (Z 10a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.
[16] Die tatsächliche Annahme von Kriterien für die Anordnung einer Maßnahme nach (hier) § 21 Abs 2 StGB ist aus § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO iVm § 345 Abs 1 Z 3 bis 5 StPO und § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar (vgl RIS‑Justiz RS0118581 [T5]). Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt, ist dies Gegenstand der Sanktionsrüge nach § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO. Der Inhalt der Gefährlichkeitsprognose aber kann nur mit Berufung geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0113980).
[17] Der Sanktionsrüge (§ 345 Abs 1 Z 13 erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) zuwider ist die Ableitung der Tatsachengrundlage (US 6: eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, narzisstischen und unreifen Anteilen, die außerhalb der Variationsbreite des noch Normalen liegt und so ausgeprägt ist, dass die Willensbildung wesentlich beeinflusst wird) zur rechtlichen Annahme (RIS‑Justiz RS0090441) einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades aus dem von den Tatrichtern als unbedenklich eingestuften Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen (US 6 iVm ON 79 S 99 ff, insbesondere S 105 ff, 111) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
[18] Weshalb dieses (festgestellte) Zustandsbild keine Abartigkeit höheren Grades iSd § 21 Abs 2 StGB (aF) darstellen soll (vgl RIS‑Justiz RS0111482), lässt die Beschwerde hingegen nicht erkennen (RIS‑Justiz RS0116565).
[19] Indem die Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) weder das Übergehen einer gesetzlich angeordneten Erkenntnisquelle (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) noch einen unvertretbaren Schluss aus herangezogenen Erkenntnisquellen behauptet, vielmehr bloß die Befürchtung einer den Anlasstaten ähnlichen Prognosetat (US 6) mit Kritik am Kalkül der Sachverständigen in Frage stellt, verlässt sie den dargelegten Anfechtungsrahmen.
[20] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[21] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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