European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00052.16V.1111.000
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der 1965 geborene Kläger hat den Beruf eines Spenglers erlernt. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem 1. 6. 2009 hat er 158 Monate als Spengler gearbeitet. Vom 1. 6. 2009 bis 30. 11. 2014 bezog der Kläger eine befristete Invaliditätspension. Seither geht er keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach.
Mit Bescheid vom 9. 10. 2014 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Weitergewährung der bis 30. 11. 2014 befristet gewährten Invaliditätspension mangels dauernder Invalidität ab, stellte fest, dass ab 1. 12. 2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege und als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation der weitere Krankheitsverlauf zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abzuwarten sei. Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation wurden als nicht zweckmäßig festgestellt. Weiters wurde ausgesprochen, dass für die Dauer der vorübergehenden Invalidität ab dem 1. 12. 2014 Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension ab 1. Dezember 2014. Er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, seinen erlernten Beruf als Spengler auszuüben. Im Rahmen der bereits erfolgten beruflichen Rehabilitation sei er zum Spenglermeister umgeschult worden, ohne dass diese Umschulung ihr Ziel erreicht habe. Nachdem bereits eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation erfolgt sei, die aus Gründen, die außerhalb seines Verantwortungsbereichs gelegen seien, nicht zielführend gewesen bzw abgebrochen worden sei, sei ihm eine neuerliche berufliche Rehabilitation nicht zumutbar.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, dass dauernde Invalidität nicht vorliege. Es sei aber vorübergehende Invalidität gegeben, da der Kläger unter Zugrundelegung seines Berufsschutzes als Spengler (nur) derzeit nicht in der Lage sei, diesen Beruf bzw eine zumutbare Verweisungstätigkeit weiter auszuüben. Zur Besserung des Gesundheitszustands und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit würden medizinische Maßnahmen der Rehabilitation gewährt. Für die weitere Dauer der Invalidität bestehe ab dem 1. 12. 2014 Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren (ohne Bescheidwiederholung) ab. Mit Ergänzungsurteil vom 11. 1. 2016 ergänzte es den Urteilsspruch dahin, dass ab 1. 12. 2014 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege, weshalb als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten sei; Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig; ab 1. 12. 2014 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht, das medizinische Gutachten sowie ein berufskundliches Gutachten eingeholt hatte, weiters noch folgende, für das Revisionsverfahren wesentliche Feststellungen:
„Im Rahmen der von der beklagten Partei gewährten beruflichen Rehabilitation wurde der Kläger zum Spenglermeister ausgebildet, ohne je als solcher gearbeitet zu haben. Wegen seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls ist er weder als Spengler noch als Spenglermeister einsetzbar, dies insbesondere deshalb, weil er Arbeiten in höhenexponierten Lagen nicht mehr erbringen kann und diesbezüglich auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten ist. Aufgrund eines leichtgradigen depressiven Verstimmungszustands ist der Kläger gegenwärtig nicht umschulbar. Bei optimaler Behandlung ist er aber längstens bis Ende November 2015 umschulbar. Bei Vorliegen von Umschulbarkeit ist eine berufliche Rehabilitation möglich. Als Berufe kommen beispielsweise die eines Baukaufmanns oder Arbeitsvorbereiters in Frage.“
Rechtlich führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, der Anspruch auf Invaliditätspension des Klägers setze nach § 254 Abs 1 ASVG ua voraus, dass die Invalidität aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliege und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bezogen auf das Berufsfeld nach § 222 Abs 3 ASVG nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar seien. Es müsse vorerst geklärt werden, ob Invalidität vorliege, bejahendenfalls, ob diese durch Maßnahmen medizinischer Rehabilitation wenigstens so weit beseitigt werden könne, dass ein Verweisungsfeld wieder eröffnet bzw erhalten werde. Könne jedoch die Invalidität medizinisch nicht mehr beeinflusst werden (liege also dauernde Invalidität vor), sei zu prüfen, ob durch eine zumutbare berufliche Rehabilitation ein Verweisungsfeld iSd § 367 Abs 4 Z 3 ASVG gewonnen werden könne. Da feststehe, dass der Kläger durch medizinische Maßnahmen der Rehabilitation bis längstens Ende November 2015 umschulbar sein werde, sei im Hinblick auf den Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ eine berufliche Rehabilitation auf die Berufe des Baukaufmanns oder Arbeitsvorbereiters zweckmäßig. Der Kläger sei somit nicht als invalid iSd § 254 Abs 1 ASVG anzusehen. Da er lediglich die Weitergewährung der Invaliditätspension begehrt habe, sei über das Rehabilitationsgeld nicht abzusprechen gewesen.
In seinem Ergänzungsurteil vom 11. 1. 2016 ging das Erstgericht unter Hinweis auf § 71 ASGG dann davon aus, dass die als unwiderruflich anerkannt anzusehende Leistungsverpflichtung von Amts wegen in den Urteilsspruch aufzunehmen sei. Da im Urteil ein Anspruch, über welchen zu entscheiden gewesen sei, übergangen worden sei, sei das Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung dahin zu ergänzen gewesen, dass das Vorliegen vorübergehender Invalidität ab 1. 12. 2014 festzustellen sei; weiters sei auszusprechen, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig seien und ab 1. 12. 2014 für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe.
Das Berufungsgericht wies die vom Kläger gegen das Ergänzungsurteil gerichtete Berufung mangels Beschwer als unzulässig zurück. Im Übrigen gab es der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Anspruch des Klägers auf Gewährung der befristeten Invaliditätspension sei nach der Bestimmung des § 254 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3) zu beurteilen (§ 669 ASVG). Es sei von einer Invalidität des Klägers iSd § 255 Abs 1 ASVG auszugehen, weil er den erlernten Beruf eines Spenglers aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr erbringen könne. Das bloße Bestehen einer vorübergehenden Invalidität reiche allerdings für die Gewährung der Invaliditätspension nicht aus, vielmehr schreibe das Gesetz als Anspruchsvoraussetzung das Vorliegen dauernder Invalidität fest. Die Zumutbarkeit von Rehabilitationsmaßnahmen sei nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die bisher gewährte berufliche Rehabilitation nicht erfolgreich gewesen sei, weil dadurch die dauernde Invalidität noch nicht nachgewiesen sei. Es sei Sache des Versicherten, die Dauerhaftigkeit der Invalidität dadurch unter Beweis zu stellen, dass er den Nachweis erbringe, eine Besserung sei nicht sehr wahrscheinlich. Dieser Nachweis sei dem Kläger aber nicht gelungen, stehe doch fest, dass die Invalidität insoweit behoben werden könne, also bei Vorliegen einer Umschulbarkeit eine berufliche Rehabilitation möglich sei. Zwar sei die Umschulbarkeit derzeit nicht gegeben, könne aber bei optimaler Behandlung innerhalb weniger Monate erreicht werden. Dass eine Invalidität nicht dauerhaft sei, treffe auch dann zu, wenn vorerst keine berufliche Maßnahme der Rehabilitation durchgeführt werden könne, da noch eine allfällige Besserung des Gesundheitszustands abzuwarten sei. Durch das SRÄG 2012 sei der im Pensionsrecht verankerte Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ weiter verstärkt worden. Nur wenn Rehabilitationsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben, solle als „ultima ratio“ die Pension in Betracht kommen. Dass die in Frage kommenden Berufe eines Baukaufmanns oder Arbeitsvorbereiters für den Kläger unzumutbar seien, sei weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Rechtsmittelverfahren behauptet worden. Da es dem Kläger nicht gelungen sei, die Dauerhaftigkeit seiner Invalidität nachzuweisen, seien die Anspruchsvoraussetzungen für die von ihm angestrebte Invaliditätspension nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass für eine Revisionszulassung keine Gründe ersichtlich seien.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die beklagte Partei, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig; sie ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Der Kläger macht in seiner Revision zusammengefasst geltend, er sei als dauernd invalid anzusehen. Sei eine Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz aufgrund des Gesundheitszustands des Versicherten nicht möglich, liege dauerhafte Invalidität vor, ohne dass es darauf ankomme, ob der Versicherte aufgrund einer möglichen Verbesserung seines Gesundheitszustands in Hinkunft möglicherweise – vielleicht einmal – umschulbar sein werde. Das Berufungsgericht habe diese Rechtsfrage entgegen dem Wortlaut des § 255 ASVG unrichtig gelöst, indem es dem Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ unbedingt den Vorrang gegeben habe.
Dazu ist auszuführen:
1. Die Bestimmung des § 256 ASVG, nach der die Invaliditätspension in der Regel befristet – längstens für die Dauer von 24 Monaten ab dem
Stichtag – gebührte, trat mit Ablauf des 31. 12. 2013 außer Kraft (§ 669 Abs 2 ASVG). Sie ist allerdings auf Personen, die das 50. Lebensjahr bereits vor dem 1. 1. 2014 vollendet haben, in der am 31. 12. 2013 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 669 Abs 5 ASVG). Nach dem mit 1. 1. 2014 in Kraft getretenen Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 –
SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, wurde die befristete Invaliditätspension somit für Versicherte, die – wie der Kläger – das 50. Lebensjahr vor dem 1. 1. 2014 noch nicht vollendet haben, abgeschafft. Aufgrund der Übergangsbestimmung des § 669 Abs 6 ASVG konnte der Kläger, der am 31. 12. 2013 eine zeitlich befristete Invaliditätspension bezog, diese noch bis zum Auslaufen der Befristung am 30. 11. 2014 unter den bisherigen Bedingungen weiter beziehen. Seit diesem Zeitpunkt gilt aber auch für ihn unbestritten das neue Leistungsregime des
SRÄG 2012 für Versicherte, die ab dem 1. 1. 1964 geboren sind (vgl § 669 Abs 5 und 6 ASVG).
2.1 Für Versicherte im Anwendungsbereich des
SRÄG 2012 besteht ein Anspruch auf Invaliditätspension– bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliegt (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG idF
SRÄG 2012) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASV) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF
SRÄG 2012).
2.2 Bei Ablehnung einer beantragten Leistung auf Invaliditätspension mangels Vorliegens dauernder Invalidität hat der Versicherungsträger gemäß § 367 Abs 4 ASVG idF BGBl I 2015/2 von Amts wegen festzustellen, ob Invalidität iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegt und wann sie eingetreten ist; ob die Invalidität voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird; ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) und zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind und für welches Berufsfeld die versicherte Person durch diese Maßnahmen qualifiziert werden kann und ob Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 255b ASVG) besteht oder nicht.
2.3 Die – in Entsprechung dieser Grundsätze – von der beklagten Partei auch im vorliegenden Fall in den Bescheid aufgenommenen Aussprüche über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Invaliditätspension und die Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes sind als Einheit anzusehen. Der Bescheid ist durch die – auch nur gegen die Abweisung der Invaliditätspension gerichtete – Klage insgesamt außer Kraft getreten, sodass die zugrunde liegenden Ansprüche in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens sind (RIS-Justiz RS0084896). Außer Kraft gesetzt ist insbesondere auch der Ausspruch im Bescheid der beklagten Partei, wonach Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig sind (10 ObS 111/15v; 10 ObS 107/12a, SSV‑NF 27/9).
3.1 Nach den Gesetzesmaterialien soll als ein Eckpfeiler der Entflechtung von vorübergehender bzw „behebbarer“ Arbeitsunfähigkeit (befristeter Invalidität/Berufsunfähigkeit) und Pension eine Invaliditäts‑(Berufsunfähigkeits‑)pension – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann gebühren, wenn dauernde Invalidität/Berufsunfähigkeit vorliegt. Solange diese nicht gegeben sei, sind allfällige Geldleistungen während einer Arbeitsunfähigkeit von der Krankenversicherung und während einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme vom Arbeitsmarktservice zu gewähren. Für die Gewährung der Invaliditätspension ist es künftig erforderlich, dass zum einen dauernde Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt (bei der eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist) und zum anderen eine berufliche Rehabilitation etwa wegen des Qualifikationsschutzes nicht zumutbar oder– insbesondere wegen des Alters – nicht zweckmäßig ist. Logische Abfolge bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension ist zuerst die Prüfung des Vorliegens dauernder Invalidität, dann erst die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. Verdeutlicht wird die logische Abfolge bei Prüfung eines Anspruchs auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit durch die Umreihung der Ziffern des Abs 1 des § 254 ASVG (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24; vgl auch Födermayr in SV‑Komm [139. Lfg] § 254 ASVG Rz 13 ff).
3.2 Die Arbeitsfähigkeit ist voraussichtlich dauerhaft gemindert, wenn eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24). Nach ständiger Rechtsprechung muss der Versicherte unter dem Regime des SRÄG 2012 demnach nicht mehr beweisen, dass eine Besserung des Gesundheitszustands mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (eine Besserung unmöglich oder an Gewissheit grenzend unwahrscheinlich ist), sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist, damit feststeht, dass Invalidität „voraussichtlich dauerhaft vorliegt“. Es genügt daher, wenn eine die Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (im Sinne des Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist. Diesen Beweis einer anspruchsbegründenden Tatsache hat die versicherte Person zu erbringen (RIS‑Justiz RS0130217 [T3]). Es reicht nicht aus, dass irgendeine Besserungsmöglichkeit des Gesundheitszustands des Versicherten besteht, sondern entscheidend ist eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserung (10 ObS 111/15v unter Hinweis auf Panhölzl , Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 88/10d, DRdA 2011/18, 153 [156 f]).
3.3 Der Kläger genießt Berufsschutz als Spengler. Es müsste sich daher sein Leistungskalkül so weit bessern können, dass er in der Lage wäre, (irgend‑)eine seinen Berufsschutz erhaltende Tätigkeit zu verrichten. Nach dem festgestellten Sachverhalt kann er aus medizinischen Gründen aber weder die Tätigkeit eines Spenglers noch jene eines Spenglermeisters ohne Gefährdung seiner Gesundheit mehr ausüben, weil er infolge seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls Arbeiten in höhenexponierten Lagen nicht mehr erbringen kann. Hinsichtlich des Ausschlusses dieser Arbeiten ist auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit keine medizinische Besserung zu erwarten. Auf medizinischem Weg kann somit für den Kläger weder durch Krankenbehandlung noch durch medizinische Rehabilitation im bisherigen Beruf ein ausreichendes Verweisungsfeld erhalten bzw wiederhergestellt werden, weshalb eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserungsmöglichkeit nicht gegeben ist.
3.4 Der Ansicht des Berufungsgerichts, es bestehe dennoch keine dauernde, sondern nur vorübergehende Invalidität, weil feststehe, dass die Invalidität insoweit behoben werden könne, als bei Vorliegen von Umschulbarkeit eine berufliche Rehabilitation möglich sei, kann nicht gefolgt werden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist Voraussetzung für die dauernde Invalidität die nicht zu erwartende (medizinische) Besserung des Gesundheitszustands. Weiters ist in den Gesetzesmaterialien in eindeutiger Weise die Abfolge bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension dahin festgelegt, dass zuerst die Prüfung des Vorliegens dauernder Invalidität vorzunehmen ist und dann erst die Prüfung, ob eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist. Nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen reichen medizinische Maßnahmen nicht aus, um die Invalidität zu beseitigen und eine Tätigkeit innerhalb des bisherigen Verweisungsfelds zu ermöglichen.
Damit ist der Kläger – wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird – als „voraussichtlich dauerhaft“ invalid iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG anzusehen.
4.1 Stellt sich im sozialgerichtlichen Verfahren heraus, dass der Kläger dauernd invalid ist, so muss das Sozialgericht von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 2 ASVG prüfen, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension erfüllt sind. Danach ist weitere Voraussetzung eines Anspruchs auf Invaliditätspension, dass die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3 ASVG) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4 ASVG) sind ( Födermayr in SV-Komm [139. Lfg] § 254 ASVG Rz 6). Dass der Kläger Anspruch auf berufliche Rehabilitation hat und die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind, muss der Pensionsversicherungsträger nicht behaupten, weil diese Umstände nicht den Anspruch auf die Pension vernichten, sondern ihr Vorliegen das Entstehen des Pensionsanspruchs hindert (10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9).
4.2 § 303 Abs 2 ASVG definiert Maßnahmen beruflicher Rehabilitation als solche, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität oder Berufsunfähigkeit beseitigt oder vermieden werden kann und die geeignet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sicherzustellen.
4.3 § 14 der Richtlinien für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge (RRK) sieht insbesondere Arbeitserprobung, Berufsfindung, Berufsvorbereitung (Z 1), Arbeitstraining (Z 2), Ein‑, Um- und Nachschulung (Z 3) und Lehr- oder Schulausbildung (Z 4) als Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation vor. Zu den in § 14 RRK genannten Umschulungsmaßnahmen entspricht es schon der bisherigen Rechtsprechung, dass die Rehabilitation nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf anknüpft (10 ObS 26/03a; DRdA 2004, 469). Im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kann es somit grundsätzlich auch zu einer Umschulung eines überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten kommen. An die Stelle des Berufsschutzes tritt daher eine Art Qualifikationsschutz (10 ObS 49/00d, SSV-NF 14/44; RIS-Justiz RS0113173 [T2], RS0113672).
4.4 Als zweckmäßig werden Rehabilitationsmaßnahmen dann anzusehen sein, wenn – wie sich aus der Verweisung auf § 303 Abs 3 ASVG ergibt – die Schulungs‑ und Wiedereingliederungsmaßnahme ausreichend und zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Die Schulungs‑ und Wiedereingliederungsmaßnahme muss jedenfalls „erfolgversprechend“ sein ( R. Müller , Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation der Arbeitslosenversicherung, DRdA 2014, 375 [379 f]).
4.5 Während es bei der Frage der Zweckmäßigkeit um die „objektive Seite“ geht, geht es bei der Frage der Zumutbarkeit von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation kraft Verweisung auf § 303 Abs 4 ASVG um die „subjektive Seite“ ( R. Müller , DRdA 2014, 381). Gemäß § 303 Abs 4 ASVG ist in Bezug auf die versicherte Person die physische und die psychische Eignung, die bisherige Tätigkeit, Dauer und Umfang der bisherigen Ausbildung, das Alter, der Gesundheitszustand sowie die Dauer eines Pensionsbezugs zu berücksichtigen. Ob dem Versicherten die Rehabilitation zumutbar ist, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung, seiner bisherigen Tätigkeit, eines bestehenden Berufsschutzes sowie des Inhalts und der Dauer der konkret ins Auge gefassten Rehabilitationsmaßnahme zu beurteilen (RIS-Justiz RS0113667).
Im vorliegenden Fall lässt sich die Frage der Zumutbarkeit auf Grund der anhand der ärztlichen Gutachten getroffenen Feststellungen bisher nur dahingehend beantworten, dass eine berufliche Rehabilitation im Sinne einer Umschulung aus gesundheitlichen (psychischen) Gründen „derzeit“ nicht zumutbar ist, welcher Zustand bei optimaler Therapie erst zu einem (kurz) nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt (dem 19.10.2015), behebbar ist bzw gewesen wäre.
Die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist aber ganz allgemein nach den Verhältnissen an dem durch den Antrag ausgelösten Stichtag zu prüfen. Es genügt nicht, dass die Voraussetzungen für eine Versicherungsleistung zu einem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr an einem bestimmten Tag gegeben sein (RIS-Justiz RS0084524).
Dazu fehlen bisher Feststellungen. Sollte durch eine Änderung der Anspruchsvoraussetzungen die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen sein („Stichtagsverschiebung“), wird zu beachten sein, dass die Anspruchsvoraussetzungen jedenfalls zu einem vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sein müssen (10 ObS 199/02s). Eine danach eintretende Besserung des Gesundheitszustands, die künftig erst berufliche Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne einer Umschulung zu Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Verweisungsfelds ermöglicht, hat hingegen außer Betracht zu bleiben, dies sowohl bei Prüfung der (positiven) Anspruchsvoraussetzung der dauernden Invalidität als auch bei Beurteilung der (negativen) Anspruchsvoraussetzung der Zweckmäßigkeit bzw Zumutbarkeit beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation. Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen müssen zu einem vor Schluss der Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sein (RIS‑Justiz RS0084533 [T5]). Von diesem Grundsatz abzugehen rechtfertigt auch nicht die Intention des Gesetzgebers des SRÄG 2012, nach der die Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes der Regelfall, die Gewährung der Invaliditätspension hingegen nur der Ausnahmefall sein soll.
5.2 Selbst unter der Annahme, sein Gesundheitszustand wäre so weit gebessert, dass ihm eine Teilnahme an einer Umschulungsmaßnahme noch vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich sein sollte, stellt der Kläger bereits jetzt die Zumutbarkeit einer neuerlichen beruflichen Rehabilitation in Abrede und weist auf die schon einmal erfolglos gebliebene Umschulung hin:
Wurde der Pensionsantrag vom Pensionsversicherungsträger mangels Vorliegens dauerhafter Invalidität abgelehnt und gelangt das Arbeits- und Sozialgericht – wie im vorliegenden Fall – abweichend davon zum Ergebnis, dass auf Grund des körperlichen und geistigen Zustands vom voraussichtlich dauerhaften Vorliegen der Invalidität auszugehen ist (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG), so ist für das Beweisverfahren zur Prüfung einer beruflichen Rehabilitierbarkeit grundsätzlich auf die in der Entscheidung 10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9 beschriebene Vorgangsweise zurückzugreifen ( Sonntag , Vorübergehende Invalidität nach dem SRÄG 2012 [2015] Rz 159). Wenngleich diese Entscheidung noch zur Rechtslage vor dem SRÄG 2012 ergangen ist (nach der in § 253e ASVG noch ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen normiert war), lässt sich daraus auch für den vorliegenden Fall ableiten, dass das Gericht die Frage der beruflichen Rehabilitierbarkeit mit den Parteien zu erörtern und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird. Insbesondere wird mit den Parteien zu erörtern sein, dass die beklagte Partei bisher davon ausgegangen ist, der vorübergehend invalide Kläger sei medizinisch rehabilitierbar, weshalb Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation als nicht zweckmäßig erachtet wurden. Da der Kläger aber als dauernd invalid iSd § 254 Abs 1 Z 1 ASVG zu qualifizieren ist, wird der beklagten Partei Gelegenheit zu bieten sein, zur Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitation als weitere (negative) Anspruchsvoraussetzung (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG) Stellung zu nehmen. Dabei wird auch der Umstand in Betracht zu ziehen sein, dass der Kläger bereits einmal (erfolglos) berufliche Rehabilitationsmaßnahmen absolviert hat. Sollte die beklagte Partei davon ausgehen, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind, bedarf es keiner weiteren (inhaltlichen) Prüfung dieser Anspruchsvoraussetzung. Sollte die beklagte Partei aber den Standpunkt einnehmen, (weitere) berufliche Rehabilitationsmaßnahmen seien allenfalls doch zweckmäßig und zumutbar, wird ihr vom Gericht eine angemessene Frist zur Klärung der Zumutbarkeitsfrage gemäß § 366 Abs 4 ASVG durch eine eigene berufskundliche Beurteilung einzuräumen sein ( Sonntag in Sonntag , ASVG 7 [2016] § 254 Rz 3). Die im Berufsfindungsverfahren erzielten Ergebnisse sind dem Kläger und dem Gericht bekannt zu geben, das das Verfahren daraufhin fortzusetzen hat. Im fortgesetzten Verfahren wird die beklagte Partei alle geplanten Maßnahmen konkret zu bezeichnen haben, denn nur so kann der Kläger zu deren Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit Stellung nehmen und das Gericht diese Fragen im Streitfall prüfen. Auch nach der Rechtslage zum SRÄG 2012 ist die Durchführung des Berufsfindungsverfahrens nicht Sache eines im Gerichtsverfahren bestellten berufskundlichen Sachverständigen.
6. Da es somit jedenfalls einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Rechtssache spruchreif zu machen, war in Stattgebung der Revision des Klägers mit einer Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und einer Zurückverweisung an das Erstgericht vorzugehen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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