BVwG L504 2227688-2

BVwGL504 2227688-28.1.2021

BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:L504.2227688.2.00

 

Spruch:

 

L504 2227688-2/20E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.11.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Gregor Klammer und RA Mag. Kurt Jelinek, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer Verhandlung, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich Spruchpunkt V. wird der Beschwerde insoweit stattgegeben, als die Höhe des Einreiseverbotes auf die Dauer von 5 Jahren herabgesetzt wird.

Hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. wird der Beschwerde mit der Maßgabe stattgegeben, als Spruchpunkt IV. ersatzlos behoben wird und die Frist für die freiwillige Ausreise gem. § 55 Abs 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides beträgt.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrenshergang

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid hat das Bundesamt entschieden, dass gegen die anwaltlich vertretene beschwerdeführende Partei [bP], ein türkischer Staatsangehöriger, gem. § 52 Abs 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen wird (I.), gem. § 52 Abs 9 FPG iVm § 46 FPG festgestellt wird, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig ist (II.), gem. § 55 Abs 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt wird (III.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wird (IV.) und gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 u. 5 FPG ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird (V.).

 

Dagegen wurde durch den Rechtsfreund der bP innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Als Beschwerdepunkte werden im Wesentlichen angeführt, dass die Ermittlungen zum aktuellen Privatleben nur in geringem Umfang stattgefunden hätten und die engen Beziehungen zur Familie seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Referent beim Bundesamt habe sie kaum zu Wort kommen lassen. Aussagen seien unrichtig protokolliert worden.

In rechtlicher Hinsicht wurde eingewendet, dass die bP hinsichtlich Gewaltdelikte eindeutig bewiesen habe, dass sie sich bessern könne. Unrichtig sei, dass bisher eine Ausreiseverpflichtung gegen sie bestanden habe, da sie rechtzeitig einen Verlängerungsantrag bei der Behörde eingebracht habe. Unrichtig sei auch, dass sie die Zeit in Österreich nicht genutzt habe um sich zu integrieren.

Die Behörde habe nicht berücksichtigt, dass für die bP ARB Nr. 1/80 zur Anwendung gelange.

Das Einreiseverbot sei viel zu hoch bemessen, weshalb es zu reduzieren sei bzw. würden die rechtlichen Voraussetzungen für ein Einreiseverbot gar nicht vorliegen.

Der Beschwerde wäre die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Mit Beschluss vom 16.03.2020 wurde der Beschwerde vom BVwG gem. § 18 Abs 5 BFA-VG amtswegig die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Mit Schreiben vom 10.11.2020 wurden den Verfahrensparteien zur Wahrung des Parteiengehörs das Länderinformationsblatt zur Türkei, mit der Aufforderung dazu binnen 2 Wochen Stellung zu beziehen, übermittelt. Eine Stellungnahme langte beim Gericht nicht ein.

 

Am 26.11.2020 fand beim BVwG eine Verhandlung statt. Die bP erschien in Begleitung von 2 Rechtsanwälten als gewillkürte Vertretung. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm ebenso teil.

Im Zuge der Verhandlung wurden die beiden älteren Töchter der bP, die amtswegig zwecks Zeugenaussage geladen wurden, einvernommen. Die ebenso amtswegig geladene geschiedene Gattin der bP hat sich wegen eines nachgewiesenen Krankenaufenthaltes entschuldigt.

 

Nach Schluss der Beweisaufnahme wurde das Erkenntnis mdl. verkündet.

 

Am 27.11.2020 stellte ein Rechtsfreund der bP den Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses.

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

 

 

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum stehen fest. Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist die Türkei.

Der bP wurde 2012 vom türkischen Konsulat in Wien ein Reisepass mit Gültigkeitsdauer von 10 Jahren ausgestellt.

 

1.2. Regionale Herkunft und Einreise nach Österreich:

Die bP ist XXXX in der Türkei geboren und besuchte dort die Schule. Im September 1989 kam sie mit der Mutter und Geschwister als XXXX im Rahmen eines Familiennachzuges nach Österreich. Der Vater war bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und stand in einem Beschäftigungsverhältnis.

 

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Mutter und eine Schwester leben aktuell in der Türkei. Die bP hat zu diesen ein gutes Verhältnis.

 

 

1.4. Aktueller Gesundheitszustand:

Die bP nimmt derzeit gelegentlich ein Medikament gegen Müdigkeit. Sie ist erwerbsfähig. Es wurde hinsichtlich des Gesundheitszustandes kein konkretes Rückkehrhindernis geäußert.

 

1.5. Privatleben / Familienleben in Österreich:

 

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes

Die bP hält sich seit der legalen Einreise als XXXX im Jahr 1989 rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Mit Bescheid vom 17.11.2017 hat das Amt der Wiener Landesregierung, MA35, festgestellt, dass das unbefristete Niederlassungsrecht beendet ist. Die bP hat demnach am 07.03.2017 die Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ beantragt. Mit Hinweis auf bis dahin im Strafregister aufscheinende 9 rk. Verurteilungen (zuletzt 16.03.2016) wurde das Bundesamt um Stellungnahme ersucht.

Dieses teilte mit, dass die objektiven Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 5 FPG zwar vorliegen, von einer Verhängung wird aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG abgesehen. Die Voraussetzungen für eine Rückstufung des unbefristeten Aufenthaltsrechts lagen nach Ansicht des Bundesamtes vor.

 

Mit Gültigkeit vom 20.11.2017 bis 20.11.2018 wurde der bP folglich wegen Zweckänderung eine „Rot-Weiß-Rot-Karte (plus)“ gem. § 41a/5 NAG ausgestellt.

 

Am 18.10.2018 brachte die bP vor Ablauf des Aufenthaltstitels einen Verlängerungsantrag ein. Gem. § 24 Abs 1 NAG war die bP während des Verlängerungsverfahrens somit seither weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Mit Schreiben vom 06.03.2019 hat die MA35 das Bundesamt um eine fremdenpolizeiliche Stellungnahme ersucht, da die bP neuerlich rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt wurde. Am 15.03.2019 teilte das Bundesamt mit, dass eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot geprüft wird und hat folglich gegenständlichen Bescheid erlassen.

 

 

Familiäre/private Anknüpfungspunkte in Österreich

 

Die bP hat 1992 geheiratet und wurde die Ehe 2012 geschieden. Aus der Beziehung resultieren 3 Kinder: XXXX , XXXX geb., verheiratet mit 1 Kind; XXXX , XXXX geb., Schülerin; XXXX , XXXX geb., Schüler. Die Kinder sprechen auch Türkisch.

XXXX und XXXX leben im Haushalt der Mutter, weil diese bei der Mutter wohnen wollten. Die Obsorge haben beide Elternteile, wobei das Schwergewicht bei der Mutter liegt. Die Mutter der genannten Kinder hat zur bP ein Verhältnis, wie es unter geschiedenen Ehegatten üblich ist.

Die bP hat zu ihren Kindern und dem Enkelkind ein gutes Verhältnis und finden Besuche und gemeinsame Unternehmungen statt.

Für den Fall, dass die bP Österreich verlassen und etwa in der Türkei leben täte, würden die KInder den Vater auch dort besuchen. Die Kinder waren für Urlaubszwecke bzw. Verwandtenbesuche bereits in der Türkei.

Ein 13jähriges Kind aus einer anderen Beziehung lebt bei ihrer Mutter in Rumänien. Zu diesem besteht überwiegend Kontakt per Telefon.

 

Ein Bruder und Verwandte leben in Österreich. Eine über das normale Verhältnis zw. dertigen Erwachsenen hinausgehende Bindungen wurden diesbezüglich nicht vorgebracht. Die bP hat ebenso zahlreiche österreichische und türkische Freunde in Österreich. Sie beherrscht die Deutsche Sprache.

 

Aktuell ist die bP ledig. Gelegentlich hat sie eine Freundin. Die bP wohnt aktuell alleine in einer Mietwohnung

 

Grad der Integration

Die bP beherrscht die deutsche Sprache. Sie lebt seit 1989 in Österreich und nimmt am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil.

 

Während des bisherigen Aufenthaltes in Österreich war die bP sowohl als Dienstnehmer als auch auf selbständiger Basis erwerbstätig. Sie bezog auch wiederholt und über längeren Zeitraum Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Seit der Haftentlassung wechseln sich sich Erwerbstätigkeiten als Dienstnehmer mit Arbeitslosengeldbezug ab. Da die bP die zuletzt verhängte Geldstrafe von 400.000 Euro nicht zahlen konnte, hatte sie die Ableistung der Strafe in Form von 960 Sozialstunden beantragt und bewilligt bekommen. Seit Oktober 2019 leistet sie diese beim Verein XXXX , ab. Fleiß, Engagement und Wohlverhalten wird ihr von diesem Verein bestätigt.

 

Mit Arbeitszeugnis vom 25.12.2020 wird ihr von der XXXX , Cocktailbar & Restaurant bestätigt, dass sie dort als stv. Geschäftsführer tätig ist. Sie zeichnet sich dem Schreiben nach durch Verlässlichkeit, großen Fließ und langjährige Erfahrung in diesem Bereich aus. Die bP ist, so wird darin ausgeführt, für das Unternehmen unverzichtbar geworden. Die bP erhält für diese Tätigkeit einen Bruttolohn von 1400 Euro. Sie ist für zwei Kinder in Österreich und 1 Kind in Rumänien unterhaltspflichtig.

 

Im Urteil des LG Wien vom 16.03.2016 betreffend § 153d Abs 1 StGB wird festgestellt, dass die bP Schulden in der Höhe von ca. 500.000 Euro hat. In der Verhandlung gibt die bP beim BVwG an, dass ein „Privatinsolvenzverfahren“ anhängig ist und sie behauptet einen Schuldenstand von ca. 70.000 Euro. Sie war nicht in der Lage die im letzten Urteil verhängte Geldstrafe von 400.000 Euro zu bezahlen.

 

Aus einem aktuellen Auszug aus der Datenbank der Sozialversicherung ergeben sich folgende Einträge über Beschäftigung bzw. Sozialversicherung:

Dienstgeber/auszahlende Stelle

XXXX

[…]

08.07.2020 - laufend

Arbeiter

 

XXXX

XXXX

[…]

13.01.2020 - 02.07.2020

Angestellter

 

XXXX

[…]

02.12.2019 - 09.12.2019

Angestellter

02.10.2019 - 26.11.2019

Angestellter

 

XXXX

[…]

06.05.2019 - 03.06.2019

Angestellter

 

XXXX

[…]

15.10.2018 - 15.11.2018

Angestellter

01.10.2018 - 30.11.2018

 

XXXX

XXXX

[…]

19.12.2017 - 08.08.2018

 

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

03.10.2017 - 18.12.2017

Angestellter

 

AMS Wien Johnstraße

[…]

04.06.2019 - 11.07.2019

Arbeitslosengeldbezug

 

28.03.2019 - 05.05.2019

Arbeitslosengeldbezug

31.01.2019 - 26.03.2019

Arbeitslosengeldbezug

06.05.2017 - 14.09.2017

Arbeitslosengeldbezug

03.12.2016 - 07.12.2016

Arbeitslosengeldbezug

10.10.2016 - 30.10.2016

Arbeitslosengeldbezug

07.09.2016 - 10.09.2016

Arbeitslosengeldbezug

 

XXXX

[…]

21.01.2013 - 21.08.2013

Angestellter

 

XXXX

[…]

23.12.2008 - 08.06.2009

Angestellter

 

XXXX

XXXX

[…]

01.08.1998 - 08.01.1999

Arbeiter

 

XXXX

[…]

17.04.1998 - 05.07.1998

Arbeiter

 

XXXX

[…]

09.03.1998 - 18.03.1998

Arbeiter

 

XXXX

[…]

10.06.1996 - 11.05.1997

Arbeiter

 

AMS Wien Johnstraße

[…]

13.08.1999 - 26.09.1999

Notstandshilfe, Überbrückungshilfe

15.01.1999 - 12.08.1999

Arbeitslosengeldbezug

27.03.1998 - 06.04.1998

Arbeitslosengeldbezug

02.03.1998 - 08.03.1998

Arbeitslosengeldbezug

21.01.1998 - 20.02.1998

Arbeitslosengeldbezug

15.12.1997 - 01.01.1998

Arbeitslosengeldbezug

23.09.1997 - 06.12.1997

Arbeitslosengeldbezug

04.08.1997 - 19.09.1997

Arbeitslosengeldbezug

02.06.1997 - 22.06.1997

Arbeitslosengeldbezug

31.05.1996 - 09.06.1996

Arbeitslosengeldbezug

 

Arbeitsmarktservice Österreich

[…]

27.05.1996 - 30.05.1996

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

23.05.1996 - 26.05.1996

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

15.03.1996 - 22.05.1996

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

14.03.1996 - 14.03.1996

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

27.11.1995 - 13.03.1996

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

Keine Beitragsgrundlagen vorhanden.

 

 

Meldende Stellen:

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

12.07.2019 - 15.07.2019

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

19.12.2017 - 08.08.2018

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

15.09.2017 - 02.10.2017

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

08.12.2016 - 05.05.2017

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

31.10.2016 - 02.12.2016

 

Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen - GW

Wiedner Hauptstraße 84-86

1050 Wien

KV-PflVers. § 2/1/1 - § 2/1/3 GSVG SachL

03.05.2007 - 30.11.2012

 

Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen - GW

Wiedner Hauptstraße 84-86

1050 Wien

KV-PflVers. § 2/1/1 - § 2/1/3 GSVG GeldL

30.04.2007 - 02.05.2007

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

02.01.1998 - 20.01.1998

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug, Sonderfall

07.12.1997 - 14.12.1997

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

27.05.1996 - 30.05.1996

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

23.05.1996 - 26.05.1996

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

15.03.1996 - 22.05.1996

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen)

14.03.1996 - 14.03.1996

 

Österreichische Gesundheitskasse

Wienerbergstraße 15-19

1100 Wien

Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiter

27.11.1995 - 13.03.1996

 

 

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Die bP hat diese Anknüpfungspunkte in Österreich während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets rechtmäßig war. Ab 20.11.2017 besaß die bP nur mehr eine auf ein Jahr befristete „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Vor Gültigkeitsablauf stellte sie am 18.10.2018 einen Verlängerungsantrag. Davor verfügte sie über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

 

Bindungen zum Herkunftsstaat

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre überwiegende Schulzeit und kann sich im Herkunftsstaat problemlos verständigen. Im Alter von 15 Jahren zog sie nach Österreich. Seit dem Zuzug aus der Türkei gab es regelmäßig Aufenthalte in der Türkei. Entweder geschäftlich bzw. für Zwecke des Besuchs der Mutter . Zuletzt war sie vor ca. zweieinhalb Jahren in der Türkei. Die bP hat sich zuletzt 2012 einen bis 2022 gültigen Reisepass der Türkei ausstellen lassen.

 

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen aktuell folgende Vormerkungen wegen 10 rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.

01) LG F.STRAFS. XXXX vom 09.06.1995 RK 09.06.1995

PAR 36 ABS 1/1 U 2 WaffG

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 09.06.1995

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.06.1995

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS. XXXX vom 09.10.1998

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.06.1995

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 09.06.1995

LG F.STRAFS. XXXX vom 07.05.2004

Die bP wurde dabei für schuldig befunden bis zum 25.12.1994 ein Springmesser, ein Holz-Nunchaku, mithin verboten Waffen sowie eine Pistole Walther PP, mithin eine Faustfeuerwaffe, unbefugt besessen zu haben. Als mildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit befunden, erschwerend die Tatsache, dass sie mehrere verbotene Waffen und eine Faustfeuerwaffe besaß. Die Freiheitsstrafe wurde bedingt nachgesehen.

 

02) BG XXXX vom 16.09.1997 RK 11.02.1998

PAR 83/1 StGB

Geldstrafe von 40 Tags zu je 30,00 ATS (1.200,00 ATS) im NEF 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3

Jahre

Vollzugsdatum 02.12.1998

zu BG XXXX RK 11.02.1998

Der bedingt nachgesehene Teil der Geldstrafe wird widerrufen

LG F.STRAFS. XXXX vom 09.10.1998

Die bP wurde für schuldig befunden am 19.10.1996 in einem Lokal eine andere Person durch mehrere Schläge in das Gesicht verletzt zu haben, wobei diese eine Schädelprellung, Hautabschürfungen und Schwellungen im Bereich der Nase und der linken Augenbraue sowie eine Schwellung an der Lippe und eine Hautabschürfung am linken Unterarm erlitt. Mildernd wurde gewertet, dass eine Provokation durch den Verletzten erfolgte sowie der Beitrag zur Wahrheitsfindung, erschwerend wurde kein Umstand gewertet.

 

03) LG F.STRAFS. XXXX vom 09.10.1998 RK 09.10.1998

PAR 83/1 StGB

Geldstrafe von 180 Tags zu je 100,00 ATS (18.000,00 ATS) im NEF 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum 15.09.1999

Die bP wurde für schuldig befunden am 08.04.1998 eine Person durch Faustschläge und Fußtritte vorsätzlich am Körper verletzt zu haben, wodurch dieser einen Nasenbeinbruch, eine Schädelprellung, eine Rissquetschwunde im Bereich der rechten Oberlippe und einen Abbruch eines Stiftzahnes im Bereich des rechten Oberkiefers und einen Bluterguss im Bereich der Oberlippe erlitt. Als mildernd wurde das Geständnis, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe mit Begehung der Tat innerhalb der Probezeit gewertet.

 

04) BG XXXX vom 13.06.2002 RK 18.06.2002

PAR 88/1 U 4 StGB

Geldstrafe von 100 Tags zu je 2,00 EUR (200,00 EUR) im NEF 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum 08.07.2002

 

05) BG XXXX vom 22.08.2003 RK 26.08.2003

PAR 50 ABS 1/1 WaffG

Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 26.08.2003

zu BG XXXX RK 26.08.2003

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

BG XXXX vom 21.06.2004

zu BG XXXX RK 26.08.2003

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 26.08.2003

BG XXXX vom 30.03.2009

Die bP wurde für schuldig befunden vom November 2002 bis 13.01.2003 unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich eine Faustfeuerwaffe der Marke Browning 9mm, kurz, mit 7 Patronen besessen zu haben. Mildernd wurde das Geständnis, erschwerend 1 einschlägige Vorstrafe gewertet.

 

06) BG XXXX vom 21.06.2004 RK 06.10.2005

PAR 88/1 StGB

Geldstrafe von 80 Tags zu je 10,00 EUR (800,00 EUR) im NEF 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum 16.02.2006

Die bP wurde für schuldig befunden am 21.11.2003 als Pkw-Lenker durch Außerachtlassen notwendiger Sorgfalt und zumutbarer Aufmerksamkeit eine Fußgängerin übersehen und niedergestoßen zu haben, wobei diese deutliche Schwellung und Blauverfärbung der Lendenwirbelsäule sowie bis in die Beine ausstrahlende Schmerzen im Bereich der Hüften beidseits erlitt. Als mildernd wurde kein Umstand, erschwerend drei einschlägige Vorstrafen gewertet.

 

07) XXXX vom 13.01.2012 RK 13.01.2012

§ 83 (1) StGB

§ 125 StGB

Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 13.01.2012

zu LG XXXX RK 13.01.2012

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 13.01.2012

LG XXXX vom 10.09.2020

Die bP wurde für schuldig befunden am 06.03.2011 eine Frau durch Schläge mit den Fäusten in das Gesicht, Treten mit Füßen und durch einen Schlag mit der Faust auf den Hinterkopf, wodurch diese mit dem Kopf gegen einen Spiegel schlug und dieser zersprang, verletzt zu haben. Sie erlitt eine Prellung an der Stirn beidseits, Hautabschürfungen an der Stirn rechts, eine Prellung beider Oberschenkel und eine Zerrung der Halswirbelsäule. Weiters wurde die bP für schuldig befunden am 06.03.2011 den Laptop eines Mannes zerstört zu haben, in dem sie diesen auf den Boden schlug, mit den Füßen darauf trat und gegen die Wand warf.

Als mildernd wurde das Geständnis und teilweise Schadenswiedergutmachung, als erschwerend mehrere einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.

 

 

08) LG XXXX vom 28.01.2013 RK 09.07.2013

§ 12 3. Fall StGB § 153 (1) u (2) 2. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 30.11.2011

Freiheitsstrafe 5 Jahre

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX RK

13.01.2012

Vollzugsdatum 06.09.2016

Die bP und B.B wurden für schuldig befunden dazu beigetragen zu haben, dass der abgesondert Verurteilte L.S. in zumindest 254 Angriffen seine ihm als Angestellter der B.U. Österreich durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der B.U. Österreich zu verfügen, nämlich Bestellungen und Leergebinderückgaben im System zu verbuchen und etwaige Guthaben auszahlen zu lassen, dadurch wissentlich missbrauchte, dass er im Zuge von Leergebinderückstellungen der XXXX , der XXXX , der XXXX und der XXXX ; abweichend von der tatsächlichen Anzahl an Leergebinden, fälschlich eine höhere Anzahl verbuchte, sodass er dem genannten Unternehmen namens der B.U: Österreich dementsprechend unberechtigte Gutschriften verbuchte und auszahlte und dadurch der B.U. Österreich einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil, und zwar zumindest in der Zeit von Oktober 2010 bis September 2011 einen Schaden von Brutto 1.766.199,33 Euro zufügte und in der Zeit von Oktober 2011 bis November 2011 einen weiteren Schaden von brutto 222.058,56 Euro zuzufügen versuchte, indem die bP als Geschäftsführer der XXXX im September oder Oktober 2010 mit B.B vereinbarte, dass B.B die obgenannten Scheingeschäfte namens der XXXX mit L.S. abwickeln könne und die von L.S. zu veranlassenden, rechtsgrundlosen Zahlungen an die XXXX auf deren Geschäftskonten überwiesen werden könne, er sich weiters bereit erklärte, das Rechenwerk der Gesellschaft derart zu manipulieren, dass die rechtsgrundlosen Kontogutschriften anschließend bar zu beheben, um hier von B.B einen nicht genau feststellbaren Anteil sowie über diesen dem L.S. einen Anteil von einem Drittel zukommen zu lassen, weiters indem er in weiterer Folge bis November 2011 dieser Vereinbarung entsprechend handelte und insbesondere am 11.01.2011 namens der XXXX ein Geschäftskonto bei der Volksbank einrichtete, welches er nicht ins Rechenwerk der XXXX aufnahm, über welches fortan ausschließlich die von L.S. veranlassten, rechtsgrundlosen Überweisungen abgewickelt wurden.

Als mildernd wurde die (im Vergleich zum bewirkten Schaden allerdings nur minimale) Sicherstellung von 5.772,20 Euro, erschwerend die Qualifikationsgrenze des § 153 Abs 2, 2. Fall StGB (50.000 Euro) um das mehr als 35fache übersteigende Schaden (sowie die versuchte weitere Schadenszufügung im Ausmaß des Viereinhalbfachen der Qualifikationsgrenze sowie die mehrfachen (wenn auch großteils releativ geringfügigen) Vorstrafen gewertet.

 

09) LG F.STRAFS. XXXX vom 16.03.2016 RK 16.03.2016

§ 153d (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 27.01.2013

Freiheitsstrafe 5 Monate

Vollzugsdatum 06.09.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 16.03.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.07.2013

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 06.09.2016, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG XXXX vom 20.07.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 16.03.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.07.2013

Zuständigkeit gemäß § 179 Abs. 1 STVG übernommen

LG F.STRAFS. XXXX vom 13.09.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 16.03.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.07.2013

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS. XXXX vom 21.09.2018

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 16.03.2016

zu LG F.STRAFS. XXXX RK 09.07.2013

Aus der Freiheitsstrafe entlassen, endgültig

Vollzugsdatum 06.09.2016

LG F.STRAFS. XXXX vom 18.03.2020

Die bP wurde für schuldig befunden im Zeitraum Juni 2012 bis 08.09.2012 als Dienstgeber und im Zeitraum 08.09.2012 bis 27.01.2013 als faktischer Dienstgeber Beiträge der XXXX zur Sozialversicherung im Gesamtbetrag von 23.341,17 Euro, dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der Wiener Gebietskrankenkasse, betrügerisch vorenthalten, indem er schon die Anmeldung zur Sozialversicherung mit dem Vorsatz vornahm, keine ausreichenden Beiträge zu leisten.

Mildernd wurde das Geständnis, erschwerend kein Umstand gewertet.

 

10) LG F.STRAFS. XXXX vom 28.01.2019 RK 01.02.2019

§§ 33 (1), 38 (1) FinStrG § 13 FinStrG

Datum der (letzten) Tat 07.01.2012

Geldstrafe von 400.000,00 EUR IM NEF 8 Monate Ersatzfreiheitsstrafe

Die bP wurde für schuldig befunden als Geschäftsführer der XXXX im Bereich des Finanzamts Wien vorsätzlich unter Verletzung eine abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt bzw. hinsichtlich der Jahressteuererklärungen 2010 zu bewirken versucht, indem inhaltlich unrichtige Jahresabgabenerklärungen eingereicht wurden bzw. die Jahresabgabenerklärung hinsichtlich USt 2011 einzureichen unterließ und zwar

Körperschaftssteuer:

Am 18.12.2008 KöSt 2007 in Höhe von 19.430,82 Euro

Am 09.07.2010 KöSt 2008 in Höhe von 17.643,66 Euro

Am 23.03.2011 KöSt 2009 in Höhe von 1.983,97 Eruo,

am 20.12.2011 KöSt 2010 in Höhe von 18.901 Euro

Umsatzsteuer:

Am 09.07.2010 USt 2008 in Höhe von 7.216,70 Euro

Am 23.03.2011 USt 2009 in Höhe von 136.554,22 Euro

Am 20.12.2011 USt 2010 in Höhe von 146.688,54 Euro

Zum Fälligkeitszeitpunkt (30.06 des Folgejahres) USt 2011 in Höhe von 225.901,65 Euro;

Gewerbsmäßig in dem er zum Fälligketiszeitpunkt (binnen einer Woche nach Zufluss) die entsprechende Anmeldungspflicht verletzte und die ordnungsgemäße Abfuhr unterließ und zwar Kaptialerstragssteuer

Spätestens mit 07.01.2008 KESt 2007 in Höhe von 32.700 Euro

Spätestens mit =7.01.2009 KESt 2008 in Höhe von 34.375 Euro

Spätestens mit 07.01.2010 KESt 2009 in Höhe von 81.525 Euro

Spätestens mit 07.01.2011 KESt 2010 in Höhe von 81.050 Euro

Spätestens mit 07.01.2012 KESt 2011 in Höhe von 141.170 Euro

wobei der strafbestimmende Wertbetrag insgesamt 945.140,56 Euro beträgt.

Mildernd wurde die reumütige geständige Verantwortung, der Beitrag zur Wahrheitsfindung, die lange Verfahrensdauer, die finanzrechtliche Unbescholtenheit, erschwerend kein Umstand gewertet.

 

Die bP befand sich vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 (bedingte Entlassung mit Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe) zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in österr. Justizanstalten.

Seit 16.04.2003 besteht für die bP ein noch immer aufrechtes Waffenverbot gem. Waffengesetz. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörde gilt die bP somit als Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser Mensch durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte und ihr daher der Besitz von Waffen und Munition zu verbieten ist.

 

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG seitens der Verwaltungsstrafbehörden nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt des Bundesamtes.

 

Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Abgesehen von den oa. Straftaten ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem ergänzenden Ermittlungsergebnis keine weiteren Verstöße.

Verfahrensdauer

Gegenständlicher Bescheid wurde am 12.02.2020 erlassen. Am 09.03.2020 wurde die Beschwerde beim BVwG eingebracht und mit heutigem Tag und am 26.11.2020 wurde nach Durchführung der Verhandlung das Erkenntnis mdl. verkündet.

 

1.6. Rückkehrsituation:

 

a) Betreffend ihrer aktuellen persönlichen Sicherheit im Herkunftsstaat:

Die bP gab weder im behördlichen Verfahren noch in der Verhandlung an, dass sie im Falle der Rückkehr in die Türkei dort konkrete sicherheitsrelevante Probleme erwarten würde.

 

b) Betreffend der aktuellen, persönlichen Versorgungssituation mit Lebensnotwendigem (insb. Lebensmittel, Unterkunft, med. Versorgung) im Herkunftsstaat:

Die bP hat diesbezüglich weder im behördlichen Verfahren noch in der Beschwerdeverhandlung Probleme im Falle der Rückkehr geäußert. Die bP ist im Wesentlichen gesund und erwerbsfähig. Sie verfügt in der Türkei auch noch über Familienangehörige, zu denen sie ein gutes Verhältnis hat.

 

1.7. Zur abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus dem zu Gehör gebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei mit Stand 08.04.2020 ergibt sich zusammengefasst, dass die Sicherheit und Versorgung der Bevölkerung mit Unterkunft, Lebensmittel und medizinischen Leistungen grds. gewährleistet ist. Aus der derzeitigen Covid-19 Pandemie ergibt sich auch keine derart exzeptionelle Lage für die Bevölkerung und konkret für die bP, die eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende, reale Gefahr im Hinblick auf Art 3 EMRK bilden würde.

 

Aus der derzeitigen Berichtslage ergibt sich im Herkunftsstaat, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde.

 

Die Verfahrensparteien haben im Rahmen des Parteiengehörs zur Lage in der Türkei keine Stellungnahme abgegeben und auch nicht dargelegt, dass sie im Falle der Rückkehr dort durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure Verfolgung oder sonstige Repressalien gegen Leib und/oder Leben erwarten würde.

 

 

2. Beweiswürdigung

 

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Dies ergibt sich unstreitig aus der Aktenlage des Bundesamtes.

 

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und Einreise nach Österreich:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen sowie der fremdenrechtlichen bzw. aufenthaltsrechtlichen Aktenlage des Bundesamtes. Gegenteilige Anhaltspunkte ergaben sich für das BVwG nicht.

 

Ad 1.1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Dies ergibt sich glaubhaft aus den persönlichen Angaben der bP und der Zeugen in der Verhandlung.

 

Ad 1.1.4. Aktueller Gesundheitszustand:

Dies ergibt sich glaubhaft aus ihren persönlichen Angaben in der Verhandlung beim BVwG.

 

Ad 1.1.5. Aktuelles Privatleben / Familienleben in Österreich

Dies ergibt sich plausibel aus ihren persönlichen Angaben und den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie aus den glaubhaften Angaben der beiden Zeuginnen. Die Feststellungen zu den Verurteilungen ergeben sich unstreitig aus der Strafregisterabfrage und den im Akt des Bundesamtes aufliegenden Urteilen. Das Waffenverbot ergibt sich zweifelsfrei aus der Datenbank Personeninformation des BMI. Die Feststellungen zur Beschäftigung bzw. Sozialversicherung ergeben sich zweifelsfrei aus einer Abfrage bei der der Datenbank der Sozialversicherung.

 

Ad 1.1.6. Rückkehrsituation:

Dies ergibt sich unstreitig aus den Einvernahmen/Angaben der bP bei der belangten Behörde, der Beschwerde sowie unter Berücksichtigung der persönlichen Aussagen der bP in der Verhandlung.

 

Ad 1.1.7. Zur abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Dies ergibt sich aus dem zitierten und zu Gehör gebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Eine Stellungnahme erfolgte durch die Verfahrensparteien nicht. Hinsichtlich der Covid-19 Pandämie hat die bP nicht vorgebracht, dass sie bezüglich allfällig erforderlicher medizinischer Behandlung als Staatsbürger der Türkei schlechter gestellt wäre als die sonstige dort lebende türkische Bevölkerung. Dies ergibt sich auch nicht aus der Berichtslage.

 

 

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. - Rückkehrentscheidung

 

1. Das Bundesamt hat gem. § 52 Abs 4 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, weil bei der bP auf Grund der Verurteilungen der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund iSd § 11 Abs 1 bzw. Abs 2 NAG gegeben sei. Auf Grund der Vielzahl an Verurteilungen würde der weitere Verbleib dem öffentlichen Interesse, konkret der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, entgegenstehen.

Die bP habe ua. in vollem Bewusstsein Untreue begangen, habe vorsätzlich unterlassen Körperschaftssteuer abzuführen und der Gebietskrankenkasse Sozialversicherungsgelder betrügerisch vorenthalten. Dies jeweils mit sehr hohen Schadenssummen. Die Anwesenheit Fremder mit einer kriminellen Energie wie sie die bP während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet an den Tag legte, führe auch zu einer Belastung des Staates und damit zu einer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wohles des Landes. Es bestehe auch die Gefahr, dass die bP zu einer Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft werde.

 

§ 52 Abs 4 FPG lautet:

Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.

nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a.

nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2.

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3.

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4.

der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5.

das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

 

§ 11 NAG lautet:

(1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.

gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2.

gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.

gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.

eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.

eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.

er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.

der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.

der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.

der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.

der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.

durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6.

der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7.

in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

 

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.

der Grad der Integration;

5.

die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.

die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1.

sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2.

der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs. 2 Z 2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§ 21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß § 23 FPG benötigen würde.

In der Beschwerde wird gegen die Abwägung der öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen der bP im Wesentlichen eingewendet, dass sie hinsichtlich der Gewaltdelikte eindeutig bewiesen habe, dass sie sich bessern könne. Sie sei daher keine massive Gefahr für die Sicherheit und öffentliche Ordnung. Sie habe sich integriert, sei selbsterhaltungsfähig, spreche Deutsch wie ein Österreicher und habe ihre Familie in Österreich. Lediglich die Straftaten seien für sie belastend. Weiters wurde ohne nähere Begründung eingewendet, die Behörde habe auch ARB Nr. 1/80 nicht beachtet.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

 

Die bP war auf Grund des vor Ablauf des NAG-Aufenthaltstitels gem.§ 24 Abs 1 NAG noch zum Aufenthalt berechtigt.

Die MA35 hat als zuständige NAG-Behörde gem. dieser Bestimmung dem Bundesamt Tatsachen (Verurteilungen) mitgeteilt, die ihrer Ansicht nach eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen könnten. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung für rechtmäßig aufhältige Fremde war somit § 52 Abs 4 Z 4 FPG zu prüfen.

 

In dem von der bP in Österreich gesetzten strafbaren Verhalten (siehe Feststellungen) könnte gem. § 52 Abs 4 Z 4 FPG ein Versagungsgrund iSd § 11 NAG liegen, der der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels durch die NAG Behörde entgegensteht.

Die Behörde stützte sich auf § 11 Abs 2 Z 1 u. Z 4 NAG. Demnach darf ein Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet (Z1) und der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte (Z4).

 

Gem. § 11 Abs 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. VwGH 14. April 2011, 2008/21/0257).

Soweit im Rahmen der § 11 Abs. 4 Z 1 und Z 2 NAG 2005 (idF des FrÄG 2017) auf in der Vergangenheit gesetzte Handlungen eines Fremden Bezug genommen wird (§ 11 Abs. 4 Z 2 NAG 2005: "... oder versucht hat ..."), bedarf es einer darauf gestützten Prognose zukünftigen Verhaltens; zurückliegendes Fehlverhalten kann nur insofern beachtlich sein, als es den Schluss auf weiter zu befürchtende gefährliche Verhaltensweisen zulässt.

Das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich ist in seinem Gewicht gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (VwGH 03.10.2017, Ra 2016/22/0056).

Für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist es nicht erforderlich, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (Hinweis E 3. April 2009, 2008/22/0711). Auf eine Verletzung der Anzeigepflicht (§ 78 StPO 1975) der Behörde kommt es sohin nicht an (VwGH 19.02.2014, 2011/22/0009).

Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Das gilt auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie (VwGH 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

 

Aus den Feststellungen – mit Ausführungen zur jeweiligen Tatausführung - ist ersichtlich, dass die bP bislang im Zeitraum von 1995 bis 2019 insgesamt 10 Mal wegen Vergehen und eines Verbrechens rk. verurteilt wurde. Dabei war bis 2011 ihre kriminelle Energie vor allem durch wiederholte Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit anderer und gegen fremde Sachen gerichtet und konnten sie dabei selbst zuvor schon verhängte Geld- und Freiheitsstrafen nicht vor neuerlichen Angriffen abhalten. Sie wurde auch wiederholt ua. wegen unbefugtem Besitz einer Faustfeuerwaffe verurteilt und geht gerade von Schusswaffen im Zusammenhang mit Personen, die zum Besitz und Führen nicht die persönliche Eignung besitzen, eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit aus, zumal in der Verhandlung auch nicht hervorgekommen ist, dass sie diese etwa aus bloßer Sammelleidenschaft besitzen wollte.

Die bP zeigte sich lt. der Urteile dabei zwar jeweils im Wesentlichen „reumütig geständig“, jedoch hielt sie das nicht vor der Begehung von weiteren Straftaten ab.

Wenn sie in der Beschwerde einwendet, dass sie seit der letzten Verurteilung wegen Körperverletzung im Jahr 2012 „hinsichtlich der Gewaltdelikte“ bewiesen habe, dass sie sich bessern könne, so spiegelt sich dies durchaus im Strafregisterauszug durch fehlenden Einträge hinsichtlich derartiger Straftaten wider.

 

Allerdings lenkte die bP nunmehr ab dann ihre nach wie vor in ihrer Persönlichkeit innewohnende kriminelle Energie im Rahmen ihrer Erwerbsttätigkeit bzw. Unternehmertätigkeit zur Erlangung zusätzlicher, nicht rechtmäßiger Einkünfte, auf betrügerische Handlungen und schädigte damit im Zusammenwirken mit anderen Mittätern ein österreichisches Unternehmen in deren Vermögen sowie den Staat bzw. die Sozialversicherung durch Nichtabführung von Steuern bzw. Abgaben. Dieses Verhalten ist auch geeignet das wirtschaftliche Wohl des Landes zu gefährden. Die bP verursachte dabei einen ganz erheblichen, nicht wiedergutgemachten Vermögensschaden, wie sich aus den Feststellungen näher ergibt.

Im Zuge dieses dabei gesetzten Verhaltens wurde sie 2013 (letzte Tat 30.11.2011) wegen des Verbrechens der Untreue, § 153 StGB, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren rk. (Strafmaß zw. 3 und 10 Jahre) verurteilt. Weiters wurde sie in diesem Zusammenhang 2016 (letzte Tat 27.01.2013) wegen § 153d Abs 1 StGB (§ 153d. (1) Wer als Dienstgeber Beiträge zur Sozialversicherung dem berechtigten Versicherungsträger oder Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse betrügerisch vorenthält, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Betrügerisch handelt, wer schon die Anmeldung zur Sozialversicherung oder die Meldung bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse mit dem Vorsatz vorgenommen hat, keine ausreichenden Beiträge oder Zuschläge zu leisten.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten und 2019 (letzte Tat 07.01.2012) wegen Übertretungen nach dem FinStrG zu einer unbedingten Geldstrafe von 400.000 Euro bzw. im NEF 8 Monate Ersatzfreiheitsstrafe rk. verurteilt.

 

Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Das gilt auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie (VwGH 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

Die bP befand sich vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 (bedingte Entlassung mit Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe) zur Verbüßung der Freiheitsstrafe(n) in österr. Justizanstalten. Seit der Entlassung wurde keine Straftat bekannt und zeigte sich die bP – wie auch schon in den vorhergehenden 10 Verhandlungen die zu rk Verurteilungen führten – in der Verhandlung beim BVwG durchaus auch reumütig und gelobte Besserung.

Das BVwG gelangt jedoch zur Ansicht, dass unter Berücksichtigung ihres bisherigen Lebens in Österreich und dem strafrechtlich relevanten Verhalten gegenüber anderen von der bP nach wie vor eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht.

Die finanzielle Lage der bP kann nämlich angesichts des geringen Einkommens, der Unterhaltspflicht für 3 Kinder, dem hohen Schuldenstand sowie der Unmöglichkeit der Bezahlung der Geldstrafe als durchaus prekär bezeichnet werden. Dass die bP zur Verbesserung ihrer finanziellen Lage auch vor Verbrechen und Vergehen nicht zurückscheut, hat sie deutlich gezeigt. Die früheren Straftaten zeigen auch eine Persönlichkeit, dass sie selbst wiederholte Geld- und Freiheitsstrafe nicht davon abhalten konnten, abermals andere Personen vorsätzlich zu verletzen oder Sachen zu beschädigen. Auch eine bereits erfolgte Bestrafung wegen unbefugtem Besitz einer Fausfeuerwaffe samt Munition konnten sie nicht davon abhalten, abermals eine solche illegal zu erwerben und zu besitzen.

Das Gesamtverhalten der bP über den Zeitraum ab 1995 mit den 10 rk. Verurteilungen weist darauf hin, dass die bP von ihrer Persönlichkeit her offensichtlich nicht gewillt oder in der Lage ist, sich dauerhaft bzw. über einen längeren Zeitraum an maßgebliche Normen für ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen in Österreich zu halten und stellt damit nicht nur nach Einschätzung des Bundesamtes, sondern auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch aktuell eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bzw. für das wirtschaftliche Wohl des Landes und für das Vermögen/Eigentum anderer dar.

Nicht einmal das Faktum, dass die Handlungen der bP auch nachteilige Auswirkungen auf ihre in Österreich lebenden Kinder, welche österr. Staatsangehörige sind, sowie ihre intensiven privaten und familiären Bindungen in Österreich, vermochten die bP von Straftaten bislang abzuhalten und konnten sie auch dieses Privat- und Familienleben erheblich beeinträchtigende Strafen nicht vor weiteren kriminellen Aktivitäten abhalten. Zudem musste der bP als Fremden, der für einen rechtmäßigen Aufenthalt auf einen Aufenthaltstitel angewiesen ist, dabei zumindest auch latent bewusst sein, dass sich dieses Verhalten auch auf ihren weiteren Verbleib nachteilig auswirken könnte.

Es besteht daher auch hier nach Ansicht des BVwG die erhebliche Gefahr, dass die bP auch künftig strafbare Handlungen begeht.

 

Ergänzend ist auch darauf hinzuweisen, dass auch nach Einschätzung der Sicherheitsbehörde die bP sicherheitspolizeilich nicht als unbedenklich gilt, sondern als eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte und ihr daher der Besitz von Waffen und Munition verbietet.

 

Die Wohlverhaltenszeit seit der Haftentlassung am 06.09.2016 ist angesichts des strafrechtlichen Vorlebens und der dabei zuletzt auch hinsichtlich anderer Rechtsgüter gezeigten kriminellen Energie und anscheinend schwerer Belehrbarkeit hinsichtlich der Notwendigkeit einer rechtskonformen Lebensgestaltung, zu kurz um zum Ergebnis zu gelangen, die bP würde seit der Haftentlassung keine derartige Gefahr mehr darstellen.

 

Soweit die Behörde sich auch zusätzlich auch auf den Versagungsgrund des § 11 Abs 2 Z 4 NAG stützte, wonach der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen soll, kann dem nicht zugestimmt werden.

Die Prüfung, ob der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, ob also ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, hat durch eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu erfolgen (vgl. E 21. Juni 2011, 2009/22/0060).

Folgt man dem rk Gerichtsurteil aus 2016 hat die bP Schulden in der Höhe von 500.000 Euro, folgt man der unbescheinigt gebliebenen Behauptung der bP in der Verhandlung, so hat sie 70.000 Euro Schulden. Ein Privatinsolvenzverfahren ist ihren Angaben nach anhängig. Sie war nicht in der Lage die 2019 verhängte Geldstrafe von 400.000 Euro zu bezahlen und hat deshalb die Umwandlung in abzuleistende Sozialdienststunden beantragt. Sie verfügt über ein Bruttoeinkommen von 1400 Euro, hat davon 200 Euro an Aufwendungen durch eine Mietwohnung und ist zudem für 3 Kinder unterhaltspflichtig.

Dessen ungeachtet hat die MA35 als NAG-Behörde mit dem Schreiben vom 06.03.2019 im Zuge der Einholung einer fremdenpolizeilichen Stellungnahme durch das Bundesamt aber vertreten, dass „alle materiellen Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels“ vorliegen würden und hat lediglich Bedenken geäußert, dass wegen der Verurteilungen ein Versagungsgrund vorliege. Gem. § 52 Abs 4 letzter Satz FPG hat im Falle des Verlängerungsverfahrens gem. § 24 NAG das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen. Offenbar hat die MA35 als für das Verlängerungsverfahren zuständige Behörde keine Bedenken, dass der Aufenthalt der bP zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Es war dies daher auch vom Bundesamt im Rahmen dieser Bestimmung nicht aufzugreifen.

 

2. Zur Anwendbarkeit des Beschlusses des ARB 1/80

Die Beschwerde wendet ein, dass die Behörde die „besonderen Vorschriften, welche auf türkische Staatsangehörige anwendbar sind“ nicht beachtete. Es werde insbes. auf den ARB Nr. 1/80 verwiesen. Eine nähere Begründung wird in der Beschwerde unterlassen.

Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass die Behörde davon ausgeht, dass es sich bei der bP um einen „Assoziations-Türken“ handelt, geht in der Begründung darauf aber nicht mehr konkret ein.

 

Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation regelt im Wesentlichen welche Rechte türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat auf dem Gebiet der Beschäftigung zustehen. Die Artikel 6 und 7 ARB 1/80 sind dabei die zentralen Vorschriften aus denen türkische Staatsangehörige, sofern die Voraussetzungen vorliegen, unmittelbar Ansprüche für rechtmäßigen Aufenthalt und Arbeitserlaubnis herleiten können.

Die Art 6 und 7 enthalten ihrem Wortlaut nach in erster Linie beschäftigungsrechtliche Regelungen. Der EuGH geht jedoch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die beschäftigungsrechtlichen Vergünstigungen, die türkischen Staatsangehörigen verliehen werden, zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht dieser Personen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat beinhalten, weil sonst die in diesen Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarktzugangsrechte wirkungslos wären.

 

Artikel 6 ARB 1/80

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

– nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

– nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

– nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.

 

Artikel 7 ARB 1/80

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

– haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

– haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.

 

Artikel 13 ARB 1/80

Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 schließt die Anwendbarkeit neu eingeführter Bestimmungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt nur dann aus, wenn eine restriktivere (verschärfte) Regelung getroffen wird, als sie eine frühere Rechtslage vorsah (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2016/22/0099, 19.1.2012, 2011/22/0313).(VwGH 16.01.2018, Ra 2017/22/0209)

Die Stillhalteklausel nach Art. 13 des ARB 1/80 ist nicht nur auf die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen anzuwenden (vgl. Urteile EuGH 21. Oktober 2003, C 317/01 - Abatay ua; und C-369/01 - N. Sahin; sowie Urteil EuGH 9. Dezember 2010, C-300/09 - Toprak; und C-301/09 - Oguz); allerdings muss die Absicht vorhanden sein, sich in den Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates zu integrieren (vgl. Urteil EuGH Abatay; sowie Urteil EuGH 29. April 2010, C-92/07 - Kommission gegen Niederlande; wonach Art. 13 ARB 1/80 der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit einschließlich solchen entgegensteht, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme jener türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats betreffen, die dort von dieser Freiheit Gebrauch machen wollen). Ferner kann sich auf die Stillhalteklausel nur berufen, wer die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat. Sie steht hingegen nicht einer Verstärkung der Maßnahmen entgegen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befinden (vgl. Urteil EuGH Abatay).(VwGH 18.04.2018, Ra 2018/22/0004)

 

Gegenständlich gelangt Art 7 ARB 1/80 zur Anwendung. Die bP erhielt 1989 als Sohn eines in Österreich rechtmäßig aufhältigen und regulär dem Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen die Genehmigung zu ihm nach Österreich zu ziehen.

 

Sind die Rechte aus Artikel 7 erst einmal entstanden, kann der Familienangehörige sie nur noch unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren („Bozkurt II“, Rn. 42; „Torun“, Rn. 25; „Cetinkaya“, Rn. 36; „Aydinli“, Rn. 27): entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum (nachfolgend Ziffer 4.10.2) oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar.

 

Artikel 14 ARB 1/80

(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen eine günstigere Regelung vorsehen.

 

Zur Aufenthaltsbeendigung und zum zur Anwendung zu gelangendem Gefährdungsgrad im Hinblick auf türkische Staatsangehörige, bei denen das Assoziationsabkommen zur Anwendung gelangt, führte der Verwaltungsgerichtshof jüngst Folgendes aus:

Die Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 27.6.2006, 2006/18/0138; VwGH 26.9.2007, 2007/21/0215), wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB 1/80-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage kommt, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt (seit Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011 ist das § 67 FrPolG 2005), kann jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten werden (Hinweis EuGH 8.12.2001, Ziebell, C-371/08).

Mit dem FNG 2014 wurde mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2014 das System verändert. Seither gibt es Ausweisung und Aufenthaltsverbot (§§ 66 und 67 FrPolG 2005) nur mehr gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige, während gegen alle sonstigen Drittstaatsangehörigen nur mehr eine Rückkehrentscheidung (§ 52 FrPolG 2005; entweder alleine oder in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FrPolG 2005) in Betracht kommt.

Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FrPolG 2005.

Auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, ist nunmehr - seit dem FNG 2014, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage, nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 - entspricht.

Bei der Frage nach dem auf die bP anzuwendenden Gefährdungsmaßstab wird allerdings das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen sein, weil § 67 Abs. 1 FPG insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser Richtlinie - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten Richtlinie bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich „ununterbrochen“ sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. insbesondere Rn. 25 sowie 31 bis 36 des zitierten Urteils des EuGH vom 16. Jänner 2004 und - daran anknüpfend - das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2014, Zl. 2013/22/0309).

Bei der Beurteilung des Gefährdungsmaßstabs ist in einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot das Urteil des EuGH vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, wonach (der im § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 umgesetzte) Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) dahin auszulegen ist, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dieser Umstand kann jedoch bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, vorzunehmen ist.

 

Bei der "umfassenden Beurteilung", ob die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch den Freiheitsentzug "abgerissen" sind, ist in einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 iVm. Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) auch zu berücksichtigen, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Des Weiteren kommt es dabei auf die Gesamtdauer der "Unterbrechungen" des Aufenthalts und auf deren Häufigkeit an (vgl. VwGH 24.3.2015, Ro 2014/21/0079). [Hier befand sich der Fremde etwa drei Monate erstmals in Haft, was aber schon wegen der Kürze der Anhaltung und der langen Dauer des Voraufenthalts von mehr als zehn Jahren jedenfalls nicht geeignet war, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen. (VwGH 07.03.2019, Ra 2018/21/0097).

Dabei kommt es auf einen ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich während der letzten zehn Jahre vor der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme an (vgl. EuGH 16.1.2014, C-400/12; EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08).

 

Zusammengefasst bedeutet diese Judikaturlinie für diesen Fall, dass, wenn man davon ausgeht, dass die unter das Assoziationsabkommen fallende bP als eine Person gilt, die ihren Aufenthalt ununterbrochen seit 10 Jahren - vor der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme – hatte, der Aufenthalt nur dann beendet werden kann, wenn sie eine besondere Gefährdung darstellt. Nämlich, dass ihr Verbleib im Bundesgebiet aufgrund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich nachhaltig und maßgeblich gefährden würde.

 

Fraglich ist hier, ob es durch den Zeitraum der Verbüßung der Freiheitsstrafe vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 – hier somit rd. 3 Jahre und 7 Monate – zu einem „Abreißen“ der Integrationsverbindungen zu Österreich kam und sie daher nicht als eine Person gilt, die ihren Aufenthalt vor der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ununterbrochen seit 10 Jahren hatte.

 

Hinsichtlich der Frage des „Abreißens“ der Kontinuität des Aufenthaltes bzw. der Integrationsverbindungen, wodurch gegebenenfalls die bP nicht mehr in den Genuss des erhöhten Schutzes gelangen würde, dass der Aufenthalt nur unter erschwerten Bedingungen beendet werden könnte, ergibt sich hier Folgendes:

Die bP ist als XXXX im Jahr 1989 eingereist. Die Verurteilungen wegen insgesamt 10 gerichtlich strafbarer Handlungen (siehe jeweils die diesbezüglichen oa. Feststellungen) begannen bereits 6 Jahre nach Einreise im Jahr 1995. Die bP wurde in weiterer Folge mit rk. Urteil vom 09.07.2013 wegen des Verbrechens der Untreue zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren, sowie rk. Urteil vom 16.03.2016 gem. § 153d Abs 1 StGB zu einer weiteren unbedingten Freiheitstrafe von 5 Monaten und in diesem Zusammenhang im Jahr 2019 nach dem Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe von 400.000 Euro verurteilt.

Die bP befand sich vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 (bedingte Entlassung mit Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe) zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in österr. Justizanstalten. Sie war somit wegen dieser Straftaten über einen Zeitraum von etwas mehr als 3 Jahre und 7 Monate in Österreich im Gefängnis.

Vor diesen, die Freiheit entziehenden Urteilen, wurde die bP bereits 7 Mal wegen Angriffen gegen die körperliche Integrität, fremde Sachen und wegen wiederholten Verstößen gegen das Waffengesetz, insbesondere infolge unbefugten Besitzes einer Faustfeuerwaffe, verurteilt. Dies führte auch zur Erlassung des bereits zitierten Waffenverbotes.

Der bereits langjährige Aufenthalt seit 1989, wiederholt verhängte Geld und bedingte Freiheitsstrafen und auch intensive private und familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, darunter ihre Kinder die österreichische Staatsangehörige sind, vermochten die bP nicht vor weiteren, integrationsmindernden Straftaten abhalten. Vielmehr steigerte sich dessen ungeachtet die kriminelle Energie der bP, die letztlich zur Verhängung der unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren führte und darin bis dato ihren Gipfel fand.

Mit ihren letzten Verurteilungen schädigte sie nicht nur ein österreichisches Unternehmen mit einem hohen Schadensbetrag, sondern auch den österreichischen Staat, in dem sie in strafrechtlich pönalisierter Weise Steuern bzw. Abgaben sowie Sozialversicherungsbeiträge im großen Ausmaß (siehe Feststellungen) nicht abführte. Eine vollständige Schadenswidergutmachung fand nicht statt. Angesichts ihrer nach wie vor prekären finanziellen Situation, einem geringen Einkommen von Brutto 1400 Euro, Unterhaltspflichten für 3 minderjährige Kinder, einem hohen Schuldenstand einschließlich Unmöglichkeit der Abstattung der zuletzt verhängten Geldstrafe von 400.000 Euro und einem anhängigen Privatinsolvenzverfahren ist nach Ansicht des BVwG, ua. angesichts der bisher gezeigten kriminellen Energie und de facto Unbelehrbarkeit von strafbaren Handlungen abzusehen, durch die Freiheitsentziehung bzw. deren Dauer das Integrationsband zu Österreich unterbrochen worden bzw. abgerissen.

Auch angesichts des Umstandes, dass die bP bis zum Haftbeginn am 28.01.2013 schon mehr als 10 Jahre, nämlich rd. 23 Jahre, in Österreich rechtmäßig aufhältig war, kommt das BVwG unter Berücksichtigung einer, alle Umstände iSd der vorherig zitierten Judikatur umfassenden Beurteilung zum Ergebnis, dass der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe von rd. 3 Jahren und 7 Monate mit Entlassung am 06.09.2016 geeignet war, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen. Da es im Wesentlichen auf einen ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich während der letzten zehn Jahre vor der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ankommt, führt dies dazu, dass sich die bP nicht auf den verstärkten Schutz für die Aufenthaltsbeendigung, nämlich dem Erfordernis eines erhöhten Gefährdungsmaßstabes iSd fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG („….wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.“) berufen kann.

 

Wie sich schon aus vorheriger Begründung ergibt, stellt die bP auf Grund ihres persönlichen Verhaltens jedenfalls eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

 

Aber selbst wenn man hypothetisch die Ansicht vertreten würde, dass das Integrationsband nicht als „abgerissen“ gelten würde, wäre in diesem Fall zu bejahen, dass aufgrund des bisher gezeigten persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden könnte, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 16.05.2019, Ra 2018/21/0244, dazu aus:

Mit der zuletzt genannten Bestimmung soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie"; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).(VwGH 16.05.2019, Ra 2018/21/0244)

Wie sich aus den Feststellungen zu den Straftaten (siehe insbes. Pkt. 8, 9, 10) und obigen Ausführungen des sonstigen Verhaltens und der persönlichen Umstände im Rahmen der Beurteilung des „Abreissens“ des Integrationsbandes ergibt, wäre davon auszugehen, dass gerade die von der bP zuletzt begangenen Straftaten, wobei sie ua auch den Staat schädigte und somit das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährdete, von derart "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" gekennzeichnet gewesen sind, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren weiteren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet wäre. Auch der Umstand, dass die bP bereits anlässlich des ersten Vermögensdeliktes sogleich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt wurde, ist ein Indiz für außergewöhnliche Umstände und einem hohen Schweregrad.

 

3. Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens in Österreich käme:

§ 9 BFA-VG

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

 

Für die Beurteilung, ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt, wird auf die im Erkenntnis des BVwG v. 16.01.2019, L504 1314867-3, dargestellte höchstgerichtliche Judikatur verwiesen.

 

Ob eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Dabei obliegt es dem Fremden integrationsbegründende Umstände, denen maßgebliche Bedeutung zukommen könnte, geltend zu machen (vgl. etwa VwGH 22.1.2014, 2012/22/0245).

Nicht näher substantiierte – bloße – Behauptungen können keine maßgebliche Verstärkung der Interessen des Fremden dartun (vgl. etwa VwGH 24.9.2009, 2009/18/0294).

 

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ergibt sich das Vorhandensein eines relevanten Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK. Es bedarf diesbezüglich einer Abwägung der persönlichen Interessen an einem Verbleib mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendung, somit, ob eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist

 

Im vorliegenden Fall ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verfolgt gem. Art 8 Abs 2 EMRK legitime Ziele, nämlich

 die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, worunter auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist;

 das wirtschaftliche Wohl des Landes;

 die Verteidigung der Ordnung und Verhinderung von strafbaren Handlungen;

 den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

 

Unter Zugrundelegung der Abwägungskriterien und der Ermittlungsergebnisse (einschließlich der Beschwerdeangaben) ergibt sich Folgendes:

 

Für die bP spricht im Wesentlichen, dass sie im Alter von 15 Jahren im Jahr 1989 im Rahmen eines Familiennachzuges einreiste und seither legal im Bundesgebiet aufhältig ist. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, verfügt sie über ausgeprägte private und familiäre Anknüpfungspunkte die sie während einer Zeit erlangt hat, als der Aufenthalt im Bundesgebiet durch einen Aufenthaltstitel gem. NAG immer rechtmäßig war. Sie beherrscht die deutsche Sprache und war die überwiegende Zeit in der Lage durch Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch aktuell ist sie erwerbstätig mit einem Bruttoeinkommen von 1400 Euro.

 

Gegen die bP spricht, dass sie als Fremder bereits 6 Jahre nach der Einreise 1995 begann Straftaten zu begehen (siehe diesbezügliche Feststellungen mit Verurteilungen 1-10). Selbst die gravierenden privaten und familiären Bindungen in Österreich sowie wiederholte Geld- und Freiheitsstrafen vermochten die bP nicht davon abhalten, weiterhin Straftaten nach dem StGB und WaffenG zu begehen. Vielmehr steigerte sich die kriminelle Energie noch und fand bis dato mit der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren ihren Höhepunkt. Sie schädigte während des Aufenthaltes ab 1995 nicht nur wiederholt Menschen in ihrer persönlichen Integrität und Eigentum, sondern auch Unternehmen und den österreichischen Staat in ihrem Vermögen bzw. ihren Einkünften.

Im Rahmen der Abwägung ist auch anzumerken, dass es im Sinne des § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG grds. maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich die bP ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175). Daran kann auch eine allenfalls lange Dauer eines Rechtsmittelverfahrens, mag den Fremden daran auch kein Verschulden treffen, nichts ändern (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034). Gegenständlich hat die bP diese Integration jedoch während einer Zeit erlangt in der der Aufenthalt durch ein Aufenthaltsrecht gem. NAG grds. gesichert war.

 

Zwar wurde die bP seit der Haftentlassung im September 2016 nicht mehr straffällig, jedoch ist die Zeit des Wohlverhaltens angesichts des strafrechtlichen Vorlebens mit der Verurteilung zu 5 Jahren Haft als bisherigen Höhepunkt noch zu kurz, dass sich dieses wesentlich zugunsten der bP auswirken würde bzw. man damit zum Ergebnis kommen würde, dass sie keine Gefährdung mehr für die angeführten Ziele des Art 8 Abs 2 EMRK mehr darstellen würde.

 

Bei der Interessensabwägung ist unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG (Bindungen zum Heimatstaat) auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0135). Ein diesbezügliches Vorbringen hat freilich im Rahmen der Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr – letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden [die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188 mwN).

Die bP brachte im Verfahren nicht vor, dass sie hinsichtlich der Schaffung einer Existenzgrundlage in der Türkei Probleme erwarten würde. Die bP ist erwerbsfähig, verfügt in der Türkei auch noch über Familienangehörige zu denen sie ein gutes Verhältnis hat und war die bP auch in der Vergangenheit geschäftlich und für Besuchszwecke, zuletzt vor ca. zweieinhalb Jahren, in der Türkei aufhältig.

 

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die bP von der Türkei gänzlich entwurzelt wäre. Sie wuchs bis zum 15 Lebensjahr in der Türkei auf, wurde dort sozialisiert und besuchte dort auch die Schule. Sie hat in der Türkei nach wie vor Familienangehörige und war sie auch öfters dort aus geschäftlichen Motiven und für Besuche aufhältig.

 

Gegenständlich führt die Rückkehrentscheidung grds. zu einer räumlichen Trennung von ihren 3 in Österreich lebenden Kindern, die allesamt österreichische Staatsangehörige sind. Die älteste Tochter verfügt bereits über einen eigenen Haushalt und eigene Familie samt Kleinkind. Die beiden anderen Kinder leben bei der Mutter bzw. geschiedenen Ehegattin der bP.

Zu den Kindern pflegt die bP intensiven Kontakt, der im Wesentlichen durch Besuche und gemeinsame Unternehmungen gestaltet ist. Dieses Familienleben hat die bP aber bereits selbst durch ihr Verhalten schon erheblich gestört, und wirkte sich während der Haft aus. In den Jahren der Haft war das Familienleben im Wesentlichen auf Besuche in der Haftanstalt und Telefonate beschränkt. Die Kinder sprechen allesamt türkisch und waren auch schon für Besuchs- und Urlaubszwecke in der Türkei aufhältig. Im Falle, dass die bP in der Türkei leben würde, würden sie diesen auch dort besuchen.

Da die mj.Kinder (17 u. 13 Jahre) seit der Scheidung im Jahr 2012 ihren Aufenthalt und Lebensmittelpunkt bei der Mutter haben, wären sie auch nicht gezwungen mit dem Vater mitzureisen. Abgesehen von Besuchen in der Türkei kann der Kontakt auch durch moderne Medien, wie zB Skype, aufrecht erhalten werden und wäre damit ähnlich wie in der Zeit des mehrjährigen Gefängnisaufenthaltes.

Die bP hat auch noch ein 13jähriges Kind aus einer anderen Beziehung, das in Rumänien lebt. Zu diesem hat sie überwiegend telefonischen Kontakt. Auch hier kann der Kontakt auch von der Türkei aus weiterhin per Telefon oder auch durch Besuche stattfinden.

 

Die Verpflichtung Österreich zu verlassen führt zwar zu einer erheblichen Beeinträchtigung dieses Familienlebens in Österreich, jedoch überwiegen diese nicht die gewichtigen öffentlichen Interessen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen.

 

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände und unter Einbeziehung der oa. Judikatur der Höchstgerichte überwiegen gegenständlich die genannten öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten und familiären Interessen der bP an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung ist daher als notwendig und nicht unverhältnismäßig zu erachten.

Es erfolgte daher zu Recht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung.

 

 

Zu Spruchpunkt II. – Zulässigkeit der Abschiebung

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

§ 50 FPG Verbot der Abschiebung

(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der bP in den Herkunftsstaat Türkei ist gem. § 46 FPG gegeben. Die bP hat kein diesbezügliches Gefährdungsvorbringen erstattet und auch amtswegig konnte nicht festgestellt werden, dass Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würden. Auch im Hinblick auf die aktuelle Covid-19 Pandemie ist festzustellen, dass die Situation der bP im Falle des Aufenthaltes in der Türkei nicht schlechter gestellt wäre als die der übrigen Bevölkerung. Die bP ist aktuell nicht an Covid-19 erkrankt und kam auch nicht hervor, dass sie einer Risikogruppe angehören würde. Eine medizinische Versorgung ist auch in der Türkei möglich und zugänglich.

 

 

Zu Spruchpunkt III. u. IV – Frist für die freiwillige Ausreise, Aberkennung der aufsch. Wirkung

Das Bundesamt hat gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt, weil die Behörde die Ansicht vertrat, dass die sofortige Ausreise infolge der Straffälligkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unumgänglich sei. Das BVwG hat nach Aktenvorlage der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gem. § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Die Behörde gibt in ihrer Entscheidung nicht hinreichend an und ergibt sich dies auch sonst nicht aus dem Akteninhalt, weshalb nach nunmehr 31jährigem rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet jetzt die sofortige Ausreise, also ohne die Möglichkeit einzuräumen nach 31 Jahren legalem Aufenthalt in Österreich noch Persönliches zu regeln, so dringlich erforderlich sei. Die Behörde berücksichtigte dabei nicht nur den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt nicht hinreichend, sondern insbesondere auch die erheblichen privaten und familiären Anknüpfungspunkte.

Mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen war daher dieser Spruchpunkt IV. über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos zu beheben.

 

Hinsichtlich der Frist für die freiwillige Ausreise gilt somit Folgendes:

 

§ 55 FPG Frist für die freiwillige Ausreise

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

 

Im konkreten Fall führt die Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung dazu, dass für die bP gem. § 55 Abs 1 u. 2 FPG eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft des Bescheides besteht.

 

Zu Spruchpunkt V. - Einreiseverbot

Das Bundesamt verhängte ein Einreiseverbot für die Dauer von 8 Jahren und stützte dies auf § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 u. Z 5 FPG. Die Beschwerde wendet dagegen – ohne nähere Begründung - im Wesentlichen ein, dass die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen würden, jedenfalls sei dieses viel zu hoch bemessen.

 

§ 53 Einreiseverbot

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen.

In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinne der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht.

Zudem ist festzuhalten, dass - wie schon nach bisheriger Rechtslage (vgl. VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten (arg.: Einzelfallprüfung) abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.

 

§ 53 Abs. 3 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten (obgenannten) Kriterien, die bei der Verhängung des Einreiseverbots und seiner Dauer zur Anwendung gelangen sollen, kein Wandel stattgefunden hat. Aus diesem Grund erachtet das Bundesverwaltungsgericht diese auch nach wie vor als anwendbar. Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230)

 

Die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 angeführten Tatbestände stellen nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: "insbesondere") jener Umstände dar, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, der Fall sein (vgl. VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311; zu § 53 Abs. 2 FrPolG 2005: VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0104).

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das Bundesamt stützte das Einreiseverbot auf die Z 1 und Z 5 des § 53 Abs 3 FPG.

Gem. Abs 3 Z 1 leg cit gilt als bestimmte Tatsache, die die Annahme rechtfertig, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, insbesondere wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Wie aus den obigen Feststellungen zu den Straftaten ersichtlich, wurde die bP mit rk. Urteil vom 16.03.2016 wegen § 153d Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Das Urteil mit dem die bP am 28.01.2019 nach dem FinStrG zu einer Geldstrafe von 400.000 Euro, im NEF 8 Monate Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde, stellt ebenso ein Verhalten dar, das iSd § 53 Abs 3 eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (Arg. „insbesondere“), zumal durch Nichtabführen von Steuern und Abgaben die Finanzierung öffentlicher Aufgaben des Staates gefährdet bzw. beeinträchtigt wird.

Aber auch schon längere zurückliegende Verurteilungen sind hinsichtlich der Z 1 einschlägig, wie die Verurteilung wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung vom 13.01.2012 mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

 

Gem. Abs 3 Z 5 leg cit gilt als bestimmte Tatsache, die die Annahme rechtfertig, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, insbesondere wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist.

Wie aus obigen Feststellungen zu den Straftaten ersichtlich, wurde die bP vom Landesgericht wegen § 153 StGB am 09.07.2013 rk. zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Die bP befand sich vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 (bedingte Entlassung mit Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe) zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in österr. Justizanstalten.

 

Gemäß § 53 Abs 3 FPG an ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren, in den Fällen der Z 5 bis Z9 auch unbefristet erlassen werden. Demnach lag im konkreten Fall das mögliche Höchstmaß grds. bei einem unbefristeten Einreiseverbot. Das Bundesamt blieb mit 8 Jahren darunter.

 

Wie bereits erwähnt, ist aber in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten (arg.: Einzelfallprüfung) abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.

Hinsichtlich der näheren Darstellung der oa Straftaten zur Z1 und Z5 wird, ohne sie hier zu wiederholen, im Einzelnen auf die in den Feststellungen zu den Straftaten näher geschilderten Umstände der Tatausführung und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen, verwiesen.

 

Aus den Feststellungen ist ersichtlich, dass die bP bislang im Zeitraum von 1995 bis 2019 insgesamt 10 Mal wegen Vergehen und eines Verbrechens rk. verurteilt wurde. Dabei war bis 2011 ihre kriminelle Energie vor allem durch Angriff auf die körperliche Unversehrtheit anderer und gegen fremde Sachen gerichtet und konnten sie dabei selbst zuvor schon verhängte Geld- und Freiheitsstrafen nicht vor neuerlichen Angriffen abhalten. Sie wurde auch wiederholt ua. wegen unbefugtem Besitz einer Faustfeuerwaffe verurteilt und geht gerade von Schusswaffen bzw. Personen die zum Besitz und Führen nicht die persönliche Eignung besitzen eine besondere Gefahr aus, zumal in der Verhandlung auch nicht hervorgekommen ist, dass sie diese etwa aus bloßer Sammelleidenschaft besitzen wollte.

Die bP zeigte sich lt. der Urteile dabei zwar jeweils im Wesentlichen „reumütig geständig“, jedoch hielt sie das nicht vor weiteren Straftaten ab.

Wenn sie in der Beschwerde einwendet, dass sie seit der letzten Verurteilung wegen Körperverletzung im Jahr 2012 „hinsichtlich der Gewaltdelikte“ bewiesen habe, dass sie sich bessern könne, so spiegelt sich dies durchaus im Strafregisterauszug durch fehlenden Einträge hinsichtlich derartiger Straftaten wider.

Allerdings lenkte die bP nunmehr ab dann ihre offenkundig nach wie vor in ihrer Persönlichkeit innewohnende kriminelle Energie im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit bzw. Unternehmertätigkeit zur Erlangung zusätzlicher, nicht rechtmäßiger Einkünfte, auf betrügerische Handlungen und schädigte damit im Zusammenwirken mit anderen Mittätern ein österreichisches Unternehmen in deren Vermögen sowie den Staat bzw. die Sozialversicherung durch Nichtabführung von Steuern bzw. Abgaben. Die bP verursachte dabei einen ganz erheblichen, nicht wiedergutgemachten Vermögensschaden, wie sich aus den Feststellungen ergibt.

Im Zuge dieses dabei gesetzten Verhaltens wurde sie 2013 (letzte Tat 30.11.2011) wegen des Verbrechens der Untreue, § 153 StGB, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren rk. (Strafmaß zw. 3 und 10 Jahre) verurteilt. Weiters wurde sie in diesem Zusammenhang 2016 (letzte Tat 27.01.2013) wegen § 153d Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten und 2019 (letzte Tat 07.01.2012) wegen Übertretungen nach dem FinStrG zu einer Geldstrafe von 400.000 Euro bzw. im NEF 8 Monate Ersatzfreiheitsstrafe rk. verurteilt.

 

Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Das gilt auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie (VwGH 15. September 2016, Ra 2016/21/0262). Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (siehe etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0035, Rn. 11, mit dem Hinweis auf VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN; 09.11.2020, Ra 2020/21/0417-6).

Die bP befand sich vom 28.01.2013 bis 06.09.2016 (bedingte Entlassung mit Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe) zur Verbüßung der 5jährigen Freiheitsstrafe in österr. Justizanstalten. Seit der Entlassung wurde keine Straftat bekannt und zeigte sich die bP – wie auch schon in den vorhergehenden 10 Verhandlungen die zu rk Verurteilungen führten – in der Verhandlung beim BVwG durchaus auch reumütig.

Das BVwG gelangt jedoch zur Ansicht, dass unter Berücksichtigung ihres bisherigen Lebens in Österreich und dem Verhalten gegenüber anderen, von der bP nach wie vor eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht. Ein tatsächlicher Gesinnungswandel der bP, nämlich, dass sie künftig keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit mehr darstellt, kann angesichts der erst rel. kurzen Zeit des Wohlverhaltens in Freiheit seit der Haftentlassung im September 2016 noch nicht festgestellt werden.

Die finanzielle Lage der bP kann nämlich angesichts des geringen Einkommens von 1400 Euro Brutto, der Unterhaltspflicht für 3 Kinder, dem hohen Schuldenstand sowie der Unmöglichkeit der Bezahlung der Geldstrafe als äußerst prekär bezeichnet werden. Dass die bP zur Verbesserung ihrer finanziellen Lage auch vor Verbrechen und Vergehen nicht zurückscheut, hat sie mit den letzten 3 Verurteilungen (8., 9., 10.) deutlich gezeigt. Die bP ist aktuell wieder erwerbstätig und abermals in einem Unternehmen als stv. Geschäftsführer im Gastronomiebereich in gehobener Stellung tätig, die derartige oder ähnliche Handlungen grds. zu erleichtern geeignet sind.

Nicht einmal das Faktum, dass die Handlungen der bP auch nachteilige Auswirkungen auf ihre in Österreich lebenden Kinder, welche österr. Staatsangehörige sind, sowie ihre intensiven privaten und familiären Bindungen in Österreich vermochten die bP von Straftaten bislang abzuhalten und konnten sie auch dieses Privat- und Familienleben erheblich beeinträchtigende Strafen nicht vor weiteren kriminellen Aktivitäten abhalten. Zudem musste der bP als Fremden, der für einen rechtmäßigen Aufenthalt auf einen Aufenthaltstitel angewiesen ist, dabei zumindest auch latent bewusst sein, dass sich dieses Verhalten auch auf ihren weiteren Verbleib nachteilig auswirken könnte.

Es besteht daher auch hier nach Ansicht des BVwG die erhebliche Gefahr, dass die bP auch künftig strafbare Handlungen begeht.

 

Ergänzend ist auch darauf hinzuweisen, dass auch nach Einschätzung der Sicherheitsbehörde die bP sicherheitspolizeilich nicht als unbedenklich gilt, sondern als eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte und ihr daher der Besitz von Waffen und Munition verbietet.

 

Angesichts der sehr angespannten finanziellen Verhältnisse, der über viele Jahre an den Tag gelegten kriminellen Energie, wobei sie Strafen nur im geringen Maße zu einem rechtskonformen Leben motivieren konnten, besteht nach Ansicht des BVwG, angesichts einer, der allgemeinen Lebenserfahrung nach gewissen Wiederholungsgeneigtheit von Eigentums- bzw. Vermögensdelikten zur Verbesserung oder Beseitigung einer prekären finanziellen Lage, unter Berücksichtigung der von der bP gezeigten Gesinnung, nach wie vor eine gegenwärtige und anhaltende Gefahr aus.

 

Die Wohlverhaltenszeit seit der Haftentlassung am 06.09.2016 ist angesichts des strafrechtlichen Vorlebens und der dabei zuletzt auch hinsichtlich anderer Rechtsgüter gezeigten kriminellen Energie und anscheinender schwerer Unbelehrbarkeit hinsichtlich der Notwendigkeit einer rechtskonformen Lebensgestaltung, zu kurz um zum Ergebnis zu gelangen, die bP würde keine derartige Gefahr mehr darstellen.

 

Die Frage nach dem durch eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot bewirkten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern ist auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten "in den Blick" zu nehmen. Das folgt unzweifelhaft daraus, dass diese aufenthaltsbeendenden Maßnahmen grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bezogen sein sollen (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A/2011). Familiären Bindungen in einem anderen Mitgliedstaat ist daher dadurch Rechnung zu tragen, dass die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes zu beantwortende Frage nach einem - zulässigen - Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in dem anderen "Schengen-Staat" zu berücksichtigen ist (vgl. VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0236; VwGH 3.7.2018, Ro 2018/21/0007; 27.08.2020, Ra 2020/21/0172). Gegenständlich kam hervor, dass die bP noch ein 13jähriges Kind hat, das in Rumänien lebt und für das sie unterhaltspflichtig ist. Die bP gab dazu in der Verhandlung an, dass zu diesem telefonischer Kontakt besteht. Im Sommer dieses Jahres hätte es die bP in Österreich besucht, was jedoch auf Grund der Pandemie nicht möglich war. Der Kontakt zum Kind kann auch von der Türkei aus telefonisch oder etwa durch andere moderne Kommunikationsmittel, zB Skype, somit in Bild und Ton, aufrecht erhalten werden. Dass von Rumänien aus, somit einem Staat der Europäischen Union, nicht auch Besuche in der Türkei möglich wären, kam nicht hervor. Somit wirkt sich eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot im konkreten Fall hier nur unwesentlich auf die Beziehung zu diesem Kind aus.

 

Auf Grund der gegebenen langen Aufenthaltsdauer seit 1989 sowie den in dieser Zeit entstanden intensiven privaten und familiären Anknüpfungspunkten, darunter insbesondere die enge Beziehung zu ihren Kindern, welche österreichische Staatsangehörige sind, das, wenngleich noch zu kurze Wohlverhalten seit der Haftentlassung, vertritt das BVwG die Ansicht, dass unter Berücksichtigung auf die Gefährlichkeitsprognose die vom Bundesamt veranschlagten 8 Jahre zu hoch bemessen sind, und erachtet das BVwG im konkreten Fall ein Einreiseverbot in der Dauer von 5 Jahren als angemessen und notwendig.

 

 

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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