1. Wiederaufnahmsgründe
1.1 Allgemeines
Wiederaufnahmsgründe liegen (nach § 303 Abs. 1 und 4 BAO) vor, wenn
- der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen wurde, oder
- Tatsachen oder Beweismittel (die vor Abschluss des Verfahrens bereits existent waren) neu hervorgekommen sind, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, oder
- der Bescheid von Vorfragen (§ 116 BAO) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde und
die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
1.2 "Erschleichungstatbestand"
Die betreffende gerichtlich strafbare Tat muss darauf gerichtet sein, die Hinausgabe eines bestimmten Bescheides herbeizuführen (vgl. VwGH 9.11.1983, 82/13/0095).
Als Wiederaufnahmsgründe kommen beispielsweise folgende gerichtlich strafbare Taten in Betracht:
- Nötigung (§ 105 StGB),
- Gefährliche Drohung (§ 107 StGB),
- Fälschung eines Beweismittels (§ 293 StGB),
- Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB),
- Geschenkannahme durch Beamte (§ 304 StGB),
- Bestechung (§ 307 StGB).
Die strafbare Handlung kann auf Seite der Partei, eines Behördenorgans oder eines Dritten liegen (VwGH 4.6.1986, 85/13/0050, 85/13/0117).
Es reicht, wenn die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt ist. Die Wiederaufnahme setzt keine gerichtliche Verurteilung voraus. Es liegt eine Vorfrage (im Sinn des § 116 BAO) vor (zB UFS 28.10.2005, RV/0239-I/05).
Die als erwiesen angenommene Tat ist im Wiederaufnahmsbescheid eindeutig zu bezeichnen und zu umschreiben (zB UFS 7.9.2005, RV/0321-I/03).
Der bloße Verdacht, dass es zu strafbaren Handlungen gekommen ist, genügt nicht als Wiederaufnahmsgrund (zB VwGH 19.4.1994, 93/11/0271, zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG). Ebensowenig reicht der bloße Hinweis auf eine laufende Voruntersuchung des Strafgerichts (zB UFS 9.6.2004, RV/0311-I/03).
1.3 Neuerungstatbestand
1.3.1 Tatsachen
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB VwGH 26.7.2000, 95/14/0094).
Beispiele:
- Unterbleiben von Aufzeichnungen (zB VwGH 26.5.1998, 93/14/0233),
- Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (zB VwGH 18.1.1989, 88/13/0075, 88/13/0077),
- Zufluss von Einnahmen (vgl. zB VwGH 27.11.2001, 97/14/0110),
- Zahlung von Aufwendungen (zB Betriebsausgaben, Sonderausgaben),
- Nichtverausgabung von Betriebsausgaben (zB Nichtauszahlung von Provisionen, VwGH 2.8.2000, 97/13/0196, 0197, 0198),
- doppelte Verbuchung von Aufwand (VwGH 27.11.2001, 98/14/0002, 98/14/0028),
- der Umstand, dass vom Abgabepflichtigen in seinen Abgabenerklärungen als Betriebsausgaben geltend gemachten Entgelten keine an ihn erbrachte Leistungen zu Grunde liegen (VwGH 22.11.2001, 98/15/0089, 0090),
- Mangelhaftigkeit von Rechnungen im Sinn des § 11 UStG 1994 (vgl. VwGH 24.9.1996, 94/13/0132),
- Inhalt des Gesellschaftsvertrags für die Frage, ob eine Mitunternehmerschaft vorliegt.
Keine Tatsachen im Sinn des § 303 BAO sind etwa
- höchstgerichtliche Erkenntnisse (zB VwGH 25.2.1998, 98/14/0015),
- Entscheidungen von Verwaltungsbehörden (zB VwGH 27.11.2000, 96/17/0373),
- abweichende Beweiswürdigung im Finanzstrafverfahren (vgl. zB VwGH 15.7.1998, 93/13/0269, 0270),
- geänderte rechtliche Beurteilung eines schon bekannt gewesenen Sachverhaltes (VwGH 23.11.1992, 92/15/0095),
- Hervorkommen von Rechtsirrtümern (VwGH 17.9.1990, 90/15/0118),
- bloße Mutmaßungen (VwGH 16.3.2005, 2001/14/0107).
Entscheidend ist, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie bereits in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB VwGH 24.2.2004, 2000/14/0186; VwGH 29.9.2004, 2001/13/0135).
Der Umstand, dass ein Prüfer aus den ihm vorgelegten Unterlagen einen Umstand erkennen hätte können, steht einer Wiederaufnahme nicht entgegen (vgl. VwGH 23.2.2005, 2001/14/0007; VwGH 10.8. 2005, 2005/13/0082).
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später neu hervorkommen. Das Hervorkommen ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (zB VwGH 18.9.2003, 99/15/0120; VwGH 29.9.2004, 2001/13/0135).
Für das Neuhervorkommen ist das Veranlagungsverfahren sowie eine diesbezügliche Außenprüfung als ein Verfahren anzusehen. Umstände, die dem Prüfer bekannt geworden sind, die aber in das Prüfungsergebnis auswertenden Bescheiden nicht berücksichtigt wurden, kommen daher nicht als Gründe für die Wiederaufnahme des mit diesem Bescheid abgeschlossenen Verfahrens in Betracht.
Nach der Bescheiderlassung neu entstandene Tatsachen bilden keinen Wiederaufnahmsgrund, wie etwa, dass Belege nach Bescheiderlassung nicht mehr aufbewahrt wurden (vgl. VwGH 19.12.2001, 2001/13/0054).
Waren bestimmte Umstände im betreffenden Verfahren der Abgabenbehörde bekannt, hat sie diese Umstände jedoch für unwesentlich gehalten, so sind solche Umstände keine Wiederaufnahmsgründe (VwGH 8.11.1973, 1428/72; VwGH 19.5.1988, 87/16/0003). Dies gilt gleichermaßen, wenn die Behörde aktenkundige Umstände (zB Beilagen zu Steuererklärungen) bei der Bescheiderlassung nicht beachtet hat.
Wiederaufnahmsgründe sind nur entscheidungswesentliche Sachverhaltselemente. Dies sind solche, die im neuen Sachbescheid zu berücksichtigen, somit seinen Spruch zu beeinflussen geeignet sind.
1.3.2 Beweismittel
Neu hervorkommen können als Beweismittel beispielsweise Urkunden (zB Rechnungen) und Aufzeichnungen.
Ein solches Beweismittel ist nicht nur eine bereits vorliegende Zeugenaussage, sondern auch die Namhaftmachung eines Zeugen, der in der Lage ist, über ein entscheidungsrelevantes Beweisthema eine Aussage zu machen (VwGH 17.9.1979, 880/77).
Ein nach Rechtskraft erstelltes Sachverständigengutachten ist kein "neu hervorgekommenes" Beweismittel. Stützt es sich auf Tatsachen, die neu hervorgekommen sind, so kommen diese Tatsachen als Wiederaufnahmsgründe in Betracht.
Umstände aus Abgabenakten eines Dritten sind keine Beweismittel im Sinn der §§ 166 und 303 BAO, wenn die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht (§ 48a BAO) der Bekanntgabe dessen Namens entgegensteht (Verbot geheimer Beweismittel).
1.4 Vorfragentatbestand
Eine Vorfrage (im Sinn des § 116 BAO) ist eine Rechtsfrage, für deren Entscheidung die Behörde nicht (zumindest nicht in diesem Verfahren) zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet.
Beispiele:
- Die Frage, ob Abgaben hinterzogen sind, für die siebenjährige Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO (vgl. zB VwGH 26.4.1994, 90/14/0142; VwGH 19.3.2003, 2002/16/0190).
- Die Frage, ob die Gewährung oder Annahme der Geld- oder Sachzuwendung gerichtlich strafbar ist, für das Abzugsverbot des § 20 Abs. 1 Z 5 EStG 1988.
- Die Frage, ob ein Abgabenanspruch gegeben ist (und dessen Höhe) ist Vorfrage im Haftungsverfahren (vgl. zB VwGH 22.1.2004, 2003/14/0095; VwGH 24.2.2004, 99/14/0242),
- (außer bei Erbschaftskauf oder Erbschaftsschenkung) die vom Verlassenschaftsgericht angenommene und der Einantwortungsurkunde zugrunde gelegte Erbserklärung für die ErbSt (zB VwGH 16.12.1993, 88/16/0235; VwGH 26.1.1995, 89/16/0149).
Eine Vorfrage im Sinn des § 303 BAO liegt nur vor, wenn die Entscheidung der Hauptfragenbehörde bindende Wirkung für die Abgabenbehörde hat (zB VwGH 30.3.1998, 98/16/0097; VwGH 22.9.2000, 98/15/0014).
Eine solche Bindung setzt Tatbestandsgleichheit (Tatbestandskongruenz) voraus. Sie liegt daher nicht bei indirekter wirtschaftlicher Anknüpfung in der Abgabenvorschrift vor (Abgabenvorschrift verwendet wirtschaftlichen Begriff; die abgabenrechtsfremde Bestimmung verwendet formalrechtlichen Begriff).
Grundsätzlich besteht eine Bindung der Abgabenbehörde an Entscheidungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden. Die Bindung ist Ausdruck der Rechtskraft der Entscheidung; sie wirkt nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft und erstreckt sich auf den Inhalt des Spruches (vgl. zB VwGH 19.10.1988, 86/01/0062).
Keine Bindung besteht (dem § 116 Abs. 2 BAO zufolge) an Entscheidungen der Gerichte über privatrechtliche Fragen dann, wenn das Gericht bei Ermittlung des Sachverhaltes nicht von Amts wegen vorzugehen hat.
Daher ist die Abgabenbehörde an gerichtliche Entscheidungen im Zivilprozess nicht gebunden (zB VwGH 11.7.1995, 95/13/0153); dies im Unterschied zu im Außerstreitverfahren getroffenen Entscheidungen (zB über die Person des Erben).
Wiederaufnahmsgrund ist nicht nur die erstmalige Entscheidung über die Vorfrage in jenem Verfahren, in dem sie Hauptfrage ist, sondern auch eine neuerliche derartige Entscheidung (vgl. zB VwGH 21.12.1992, 88/16/0128).
Der Vorfragentatbestand setzt Parteienidentität voraus, somit dass die Entscheidung der Hauptfragenbehörde gegenüber der Partei des wiederaufnehmenden Abgabenverfahrens bindend (materiell rechtskräftig) geworden ist.
Nicht zuletzt wegen der mangelnden Parteienidentität sind Vorabentscheidungen (Art. 234 EG) keine Wiederaufnahmsgründe für Verfahren anderer (als des "Anlassverfahrens") Parteien.
1.5 Wiederaufnahme in verfassungskonformer Auslegung des § 303 BAO
Nach VfGH 6.12.1990, B 783/89, ist bei nachträglicher Aktivierung eine beantragte Wiederaufnahme für die Folgejahre zwecks Berücksichtigung der AfA vorzunehmen.
"Es stellte einen unerklärlichen Wertungswiderspruch dar, wollte man annehmen, daß zwar die Tatsache, daß nachträglich über eine Vorfrage von einer anderen (hiefür zuständigen) Behörde anders entschieden wurde, einen Wiederaufnahmsgrund darstellt, nicht aber eine Entscheidung derselben Behörde für einen früheren Steuerzeitraum, der sich in der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes direkt auf einen (einen späteren Steuerzeitraum betreffenden) Bescheid auswirkt."
Diese Überlegungen des VfGH gelten auch für amtswegige Wiederaufnahmen (§ 303 Abs. 4 BAO); übrigens auch für solche zu Ungunsten der Partei.
Beispiel:
Ein Aufwand wird aktiviert und abgeschrieben (auch in den Folgejahren). Nach Rechtskraft einiger Bescheide für die Folgejahre wird zB mit Berufungsvorentscheidung der Aufwand zur Gänze gewinnmindernd berücksichtigt.
Die Verfahren der Folgejahre können gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen werden, um in den neuen Sachbescheiden die gewinnmindernde Berücksichtigung der AfA-Beträge zu beseitigen.
2. Wiederaufnahme auf Antrag (§ 303 Abs. 1 bis 3 BAO und § 304 BAO)
2.1 Antrag (Frist, Befugnis)
Das Antragsrecht der Partei ist befristet (drei Monate ab nachweislicher Kenntnis des Wiederaufnahmsgrundes). Diese Frist ist nicht verlängerbar.
Die Frist beginnt mit Kenntnis des Wiederaufnahmsgrundes, nicht erst mit dessen Beweisbarkeit zu laufen (VwGH 3.10.1984, 83/13/0067).
Der Antrag ist ein Anbringen zur Geltendmachung von Rechten im Sinn des § 85 Abs. 1 BAO. Er ist daher grundsätzlich schriftlich einzubringen.
Der Wiederaufnahmsantrag ist bis zur Rechtskraft des über ihn absprechenden Bescheides zurücknehmbar.
Ein Verzicht der Partei auf die Stellung eines Wiederaufnahmsantrages ist gesetzlich nicht vorgesehen, daher unzulässig und unwirksam.
Der Antrag ist (nach § 303 Abs. 2 und 3 BAO) einzubringen
- bei der Abgabenbehörde erster Instanz, die den Bescheid erlassen hat, oder
- nach Übergang der Zuständigkeit (insbesondere gemäß den §§ 52a und 73 BAO) auch bei der neu zuständig gewordenen Abgabenbehörde erster Instanz.
Eine Wiederaufnahme auf Antrag setzt beim Neuerungstatbestand voraus, dass die Umstände im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO).
Hinsichtlich der Kenntnis des Wiederaufnahmsgrundes hat die vertretene Partei sich die Kenntnis des Vertreters zurechnen zu lassen (vgl. zB VwGH 12.8.1994, 91/14/0018, 0042).
Für die Frage des Neuhervorkommens ist der Kenntnisstand der Abgabenbehörde (im jeweiligen Verfahren) maßgebend, nicht jedoch, ob diese Umstände im Zeitpunkt des abgeschlossenen Verfahrens der Partei bekannt waren.
Erforderlich ist jedoch, dass diese Umstände von der Partei ohne grobes Verschulden nicht geltend gemacht wurden.
Ein solches Verschulden wird im Allgemeinen nicht vorliegen, wenn die Partei die betreffenden Umstände nicht für abgabenrechtlich bedeutsam gehalten hat (als Folge des Vertrauens auf Judikatur, Erlässe des Bundesministeriums für Finanzen oder auf Auskünfte des Finanzamtes).
Antragsbefugt ist die Partei im Sinn des § 78 BAO. Dies ist im Verfahren über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte (§ 188 BAO) einer KG auch jeder Kommanditist. Bei einer OG (im Sinn des § 123 UGB) ist jeder Gesellschafter antragsbefugt.
Der Wiederaufnahmswerber ist für das Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes behauptungs- und beweispflichtig (zB VwGH 8.5.2003, 2000/15/0091; VwGH 27.11.2003, 2003/15/0115). Im Wiederaufnahmsantrag ist das Vorliegen der Wiederaufnahmsvoraussetzungen konkretisiert und schlüssig darzulegen (zB VwGH 26.3.2003, 98/13/0142). Siehe jedoch Abschnitt 2.3.
Eine Wiederaufnahme auf Antrag setzt die formelle Rechtskraft des Bescheides, der durch die Wiederaufnahme aufgehoben werden soll, voraus (VwGH 16.2.1994, 90/13/0011, 0013).
2.2 Formgebrechen, fehlende Unterschrift (§ 85 Abs. 2 BAO)
Der Wiederaufnahmsantrag ist eine Eingabe im Sinn des § 85 Abs. 2 BAO. Der Antrag ist daher nicht wegen Formgebrechens oder wegen fehlender Unterschrift zurückzuweisen. Vielmehr ist mit Mängelbehebungsauftrag vorzugehen (nach § 85 Abs. 2 BAO).
Ist der Wiederaufnahmsantrag (als verspätet oder unzulässig) zurückzuweisen (siehe Abschnitt 2.4), so ist kein Mängelbehebungsverfahren einzuleiten.
Die im Mängelbehebungsauftrag zu bestimmende angemessene Frist ist verlängerbar (zB VwGH 3.6.1993, 92/16/0116). Dem Antrag auf Fristverlängerung kommt keine fristhemmende Wirkung zu (zB VwGH 3.6.1993, 92/16/0116; VwGH 10.3.1994, 93/15/0092). Bei nicht grob verschuldeter Versäumung der Frist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO) in Betracht.
Der Mängelbehebungsauftrag ist ein Bescheid, nämlich eine verfahrensleitende Verfügung im Sinn der §§ 94 und 244 BAO. Er ist daher nicht abgesondert mit Berufung anfechtbar. Seine Rechtswidrigkeit ist in der Berufung gegen den Zurücknahmebescheid geltend zu machen.
Die Mängelbehebung ist nicht mit Zwangsstrafe (§ 111 BAO) erzwingbar.
Ein Formgebrechen im Sinn des § 85 Abs. 2 BAO ist beispielsweise die Nichtverwendung einer für den Einschreiter zugelassenen Amtssprache (vgl. zB VwGH 23.2.2000, 2000/12/0026). Amtssprache ist deutsch (Art. 8 B-VG) sowie gegebenenfalls (nach Maßgabe des Volksgruppenrechts) slowenisch, kroatisch und ungarisch.
Wird einem (rechtmäßigen) Mängelbehebungsauftrag nicht, nicht zeitgerecht oder unzureichend entsprochen, so ist mit (abgesondert anfechtbarem) Zurücknahmebescheid vorzugehen (vgl. zB VwGH 3.6.1993, 92/16/0116).
Ein Zurücknahmebescheid ist weiters zu erlassen, wenn einem (rechtmäßigen) Auftrag zur unterschriebenen Bestätigung des Anbringens (§ 86a Abs. 1 letzter Satz BAO) nicht entsprochen wird.
2.3 Mängelbehebungsverfahren (§ 303a BAO)
Der Wiederaufnahmsantrag hat (nach § 303a Abs. 1 BAO) zu enthalten:
- Die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird,
- die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird,
- die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind,
- bei einem auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel gestützten Antrag weiters Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig sind.
Entspricht der Wiederaufnahmsantrag nicht diesen Inhaltserfordernissen, so ist ein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen. Er hat den Hinweis zu enthalten, dass der Antrag nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden Frist als zurückgenommen gilt.
Die Erlassung des Mängelbehebungsauftrages liegt nicht im Ermessen (VwGH 2.3.2006, 2005/15/0126).
Der Mängelbehebungsauftrag ist eine verfahrensleitende Verfügung im Sinn der §§ 94 und 244 BAO. Er ist daher nicht abgesondert anfechtbar.
Die Mängelbehebungsfrist ist verlängerbar; ein Antrag auf Verlängerung dieser Frist hat keine fristhemmende Wirkung (vgl. zB VwGH 21.10.1999, 97/15/0094, zu § 275 BAO).
Wird dem Mängelbehebungsauftrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend entsprochen, so ist die Zurücknahme des Wiederaufnahmsantrags bescheidmäßig festzustellen (vgl. zB VwGH 28.2.1995, 90/14/0225, zu § 275 BAO). Dieser Bescheid ist mit Berufung anfechtbar.
2.4 Entscheidungspflicht (§ 311 BAO)
Der Wiederaufnahmsantrag ist entscheidungspflichtig. Es ist daher stets über ihn mit Bescheid abzusprechen.
Nach Maßgabe des § 311 Abs. 2 BAO kommt die Geltendmachung der Entscheidungspflicht im Wege eines Devolutionsantrages in Betracht.
2.5 Ablehnung des Wiederaufnahmsantrags
Der Wiederaufnahmsantrag ist bescheidmäßig zurückzuweisen, wenn der Antrag nicht rechtzeitig eingereicht wurde (vgl. VwGH 22.2.1994, 91/14/0069). Dies gilt sowohl für die Dreimonatsfrist des § 303 Abs. 2 BAO als auch für die beiden im § 304 BAO genannten Fristen.
Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist weiters zurückzuweisen, wenn er unzulässig ist (zB bei Einbringung durch eine hiezu nicht befugte Person).
Der Wiederaufnahmsantrag ist insbesondere dann mit Bescheid abzuweisen, wenn keine Wiederaufnahmsgründe (im Sinn des § 303 Abs. 1 BAO) vorliegen.
Die Zuständigkeit für die Ablehnung (somit für die Zurückweisung oder Abweisung) richtet sich nach § 305 BAO (siehe Abschnitt 5).
Mit Berufung sind anfechtbar
- die Ablehnung von Wiederaufnahmsanträgen,
- die Bewilligung (bzw. Verfügung) der Wiederaufnahme.
2.6 Bewilligung der Wiederaufnahme nach Verjährung (§ 304 BAO)
Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein
a) innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die amtswegige Wiederaufnahme unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs. 2 BAO) von sieben Jahren zulässig wäre, oder
b) vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides
eingebrachter Wiederaufnahmsantrag zugrunde liegt (§ 304 BAO).
Die Frist des § 304 lit. a BAO ist nach § 209 Abs. 1 BAO verlängerbar und nach § 209 Abs. 2 BAO hemmbar. Obergrenze ist jedoch die zehnjährige ("absolute") Verjährungsfrist des § 209 Abs. 3 BAO.
Mit Rechtskraft im Sinn des § 304 lit. b BAO ist die formelle Rechtskraft (somit die Unanfechtbarkeit durch Berufung) gemeint. Daher beginnt die Fünfjahresfrist
- bei erstinstanzlichen (mit Berufung anfechtbaren) Bescheiden mit ungenütztem Ablauf der Berufungsfrist,
- bei Berufungsvorentscheidungen mit Ablauf der Vorlageantragsfrist (wenn kein zeitgerechter Vorlageantrag eingebracht wird),
- bei Zurücknahme einer Berufung mit dem Zeitpunkt, in dem der Behörde die Zurücknahmeerklärung zukommt (VwGH 17.3.1970, 1855/68),
- bei nicht mit Berufung anfechtbaren Bescheiden (zB bei Bescheiden des Bundesministeriums für Finanzen oder des unabhängigen Finanzsenates) mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides.
Die Frist des § 304 lit. b BAO ist weder hemmbar noch verlängerbar.
Bei nicht grob verschuldeter Versäumung der Fristen des § 304 BAO kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO) in Betracht.
3. Wiederaufnahme von Amts wegen (§ 303 Abs. 4 BAO)
3.1 Voraussetzungen
Eine amtswegige Wiederaufnahme setzt (abgesehen vom Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen) voraus, dass das Verfahren mit Bescheid abgeschlossen ist. Dieser Bescheid muss noch nicht formell rechtskräftig sein (vgl. VwGH 10.12.1980, 2885, 2973, 2974/79).
Für den Neuerungstatbestand (Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln) ist der behördliche Wissensstand im jeweiligen Verfahren (im Zeitpunkt der seinerzeitigen Bescheiderlassung) maßgebend (zB VwGH 18.9.2003, 99/15/0120).
Ein Verschulden der Abgabenbehörde daran, nicht bereits damals die maßgebenden Umstände ermittelt zu haben, steht einer amtswegigen Wiederaufnahme grundsätzlich nicht entgegen (zB VwGH 16.9.2003, 99/14/0031; VwGH 18.9.2003, 99/15/0120). Ein solches Verschulden kann jedoch ein bei der Ermessensübung relevanter Umstand sein (vgl. VwGH 9.11.1988, 87/13/0096).
Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen (§ 304 BAO). Dies gilt sowohl für die Bemessungsverjährung (§§ 207 ff BAO) als auch für die Einhebungsverjährung (§ 238 BAO).
Ausnahmen von der Unzulässigkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Verjährungseintritt zu verfügen, können sich aus Doppelbesteuerungsabkommen sowie aus § 209a Abs. 2 BAO ergeben.
Aus einem DBA ergibt sich eine solche Ausnahme, wenn es (wie zB Art. 25 Abs. 2 letzter Satz DBA-Deutschland, BStBl. III Nr. 182/2002) eine Bestimmung enthält, wonach die Verständigungsregelung ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten durchzuführen ist.
Anregungen einer amtswegigen Wiederaufnahme sind Anträge im Sinn des § 209a Abs. 2 BAO.
Die Erlassung von Bescheiden über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (§ 188 BAO) unterliegt nicht der Verjährung (zB VwGH 22.4.1998, 93/13/0277). Daher ergibt sich aus § 304 BAO für die Wiederaufnahme derartiger Feststellungsverfahren keine Befristung. Eine Wiederaufnahme von Amts wegen wird allerdings im Allgemeinen aus Ermessensüberlegungen zu unterbleiben haben, wenn die Verjährung der Festsetzung (oder der Abänderung der Festsetzung) aller abgeleiteten Abgaben entgegenstehen würde.
3.2 Ermessen
Die amtswegige Wiederaufnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde (zB VwGH 17.12.2003, 99/13/0131; VwGH 21.4.2005, 2000/15/0115).
Nach dem Normzweck des § 303 Abs. 4 BAO ist idR dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben (vgl. zB VwGH 30.1.2001, 99/14/0067).
Dies gilt auch für sich zu Gunsten der Partei auswirkende Wiederaufnahmen.
Die Wiederaufnahme ist bei geklärtem entscheidungserheblichem Sachverhalt grundsätzlich auch zu Gunsten der Partei zu verfügen. Der Umstand, dass der Abgabepflichtige die Frist zur Stellung eines Wiederaufnahmsantrages oder zur Einbringung einer Berufung versäumte, steht einer amtswegigen Wiederaufnahme nicht entgegen. Eine sich zu Gunsten der Partei nicht nur geringfügig auswirkende Wiederaufnahme von Amts wegen darf nur in Ausnahmsfällen unterbleiben, etwa wenn die Partei bewusst und gewollt überhöhte Besteuerungsgrundlagen (zB in Gläubigerschädigungsabsicht) vorgetäuscht hat.
Amtswegige Wiederaufnahmen sind (als Folge nachträglich, nämlich nach Rechtskraft der Bescheide eingereichter Unterlagen) im Allgemeinen auch dann zu verfügen, wenn im abgeschlossenen Verfahren mangels Einreichung der Abgabenerklärungen die Bemessungsgrundlagen durch Schätzung (§ 184 BAO) ermittelt wurden. Eine solche Wiederaufnahme könnte lediglich in besonders gelagerten Ausnahmsfällen unterbleiben, wenn etwa die Partei bereits mehrfach von derartigen Wiederaufnahmen "profitierte", das Schätzungsverfahren unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften (zB Parteiengehör, Begründung des Schätzungsergebnisses) abgewickelt wurde und die Einhebung der Abgabenforderung nicht im Sinn des § 236 BAO unbillig (zB wegen Existenzgefährdung) ist.
Gegen die Verfügung einer Wiederaufnahme können ua sprechen:
- (absolute und relative) Geringfügigkeit der Auswirkungen (vgl. zB VwGH 12.4.1994, 90/14/0044; VwGH 14.12.1995, 94/15/0003; VwGH 10.7.1996, 92/15/0101; VwGH 28.5.1997, 94/13/0032),
- Missverhältnis zwischen den Folgen des Wiederaufnahmsgrundes und den abgabenrechtlichen Auswirkungen insgesamt (vgl. zB VwGH 27.8.1998, 93/13/0023; VwGH 28.5.2002, 99/14/0021; VwGH 29.10.2003, 99/13/0061),
- Uneinbringlichkeit (im Sinn des § 235 BAO) der Nachforderung,
- Unbilligkeit der Einhebung (im Sinn des § 236 BAO) der Nachforderung, wie zB wegen Treu und Glauben,
- Rechtswidrigkeit von Ermittlungen, etwa eine unzulässige "Wiederholungsprüfung" (vgl. zB VwGH 26.11.1996, 92/14/0212; VwGH 20.4.2004, 2003/13/0165; VwGH 25.3.1993, 92/16/0117, 0118).
Die Geringfügigkeit der Auswirkungen einer Wiederaufnahme ist unabhängig davon ermessensrelevant, ob sich die Wiederaufnahme zum Nachteil oder zum Vorteil der Partei auswirken würde.
Entscheidungsbedeutsam sind die Auswirkungen des in Aussicht genommenen Wiederaufnahmsbescheides (bzw. des neuen Sachbescheides) im Vergleich zu den Wirkungen des Bescheides, der durch die Verfügung der Wiederaufnahme aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden soll.
Ziel der Wiederaufnahme ist das insgesamt rechtmäßige Ergebnis (zB VfGH 30.9.1997, B 2/96; VwGH 22.3.2000, 99/13/0253). Die Rechtmäßigkeit der Verfügung der Wiederaufnahme kann somit davon abhängen, ob auch ein anderes Verfahren wiederaufgenommen wird.
Nach VfGH 5.3.1988, B 70/87, liegt ein Ermessensmissbrauch vor, wenn eine Wiederaufnahme nur jenes Verfahrens verfügt wird, in dem sich steuerliche Auswirkungen zum Nachteil des Abgabepflichtigen ergeben, jedoch eine Wiederaufnahme für ein Jahr, wo sie sich zu Gunsten der Partei ausgewirkt hätte, unterlassen wird.
Dieser Judikatur kommt etwa Bedeutung zu, wenn Vorsteuern für einen anderen Zeitraum, als sie zustehen, geltend gemacht wurden oder wenn Erhöhungen von Einnahmen entsprechende Aufwandserhöhungen in einem anderen Verfahren gegenüberstehen. Die Nichtberücksichtigung solcher Vorsteuern bzw. solcher Aufwandserhöhungen kann somit zur Rechtswidrigkeit der zwecks Nichtanerkennung von Vorsteuern bzw. zwecks Berücksichtigung der höheren Einnahmenbeträge verfügten Wiederaufnahme führen.
3.3 Begründung des Wiederaufnahmsbescheides
In der Begründung (§ 93 Abs. 3 lit. a BAO) des Wiederaufnahmsbescheides sind ua
- die Wiederaufnahmsgründe anzuführen (zB VwGH 17.10.1984, 84/13/0054) und
- die für die Ermessensübung maßgeblichen Überlegungen darzustellen (zB VwGH 9.7.1997, 96/13/0185).
Wurden mehrere Verfahren mit Sammelbescheid wiederaufgenommen und somit mehrere Bescheide gemäß § 307 Abs. 1 BAO aufgehoben, so sind die Wiederaufnahmsgründe je aufgehobenem Bescheid in der Begründung der Wiederaufnahmsbescheide darzustellen. Dies gilt auch für als Folge einer Außenprüfung (§ 147 BAO) verfügte Wiederaufnahmen. Die Anführung der Wiederaufnahmsgründe gesondert je Bescheid ist auch dann erforderlich, wenn der Partei die Wiederaufnahmsgründe aus Besprechungen mit dem Prüfer (zB aus der Schlussbesprechung) bekannt sind.
Keinesfalls genügt als Begründung beispielsweise
- der Hinweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht (VwGH 13.12.1985, 84/17/0140-0142),
- der Hinweis auf behördliche Ermittlungen (vgl. zB VwGH 6.7.1990, 88/17/0059),
- die Wiedergabe des Gesetzestextes (des § 303 Abs. 4 BAO).
Die Nichtanführung der Wiederaufnahmsgründe ist im Berufungsverfahren nicht sanierbar (vgl. zB VwGH 21.7.1998, 93/14/0187). Dies gilt auch für Berufungsvorentscheidungen.
Im Berufungsverfahren dürfen nur die in der Begründung des Wiederaufnahmsbescheides genannten Wiederaufnahmsgründe berücksichtigt werden. Die Heranziehung anderer Gründe ist unzulässig (vgl. zB VwGH 14.5.1991, 90/14/0262; VwGH 30.11.1999, 94/14/0124; VwGH 2.2.2000, 97/13/0199).
Wegen derartiger Begründungsmängel aufhebende Berufungsentscheidungen (Berufungsvorentscheidungen) stehen der neuerlichen Wiederaufnahme des Verfahrens nicht entgegen (vgl. zB VwGH 14.5.1991, 90/14/0262).
Die Ermessensübung betreffende Begründungsmängel sind im Berufungsverfahren sanierbar.
4. Wiederaufnahmsverfahren (§§ 306 und 307 BAO)
Zwecks Beurteilung der Frage, ob das Verfahren wiederaufzunehmen ist, sind frühere Ermittlungen und Beweisaufnahmen, die durch die Wiederaufnahmsgründe nicht betroffen sind, keinesfalls zu wiederholen (§ 306 BAO).
Wiederholte Wiederaufnahmen eines Verfahrens sind zulässig, wenn jeweils die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen (vgl. VwGH 28.5.1997, 94/13/0032). Allerdings kann eine neuerliche Wiederaufnahme nur aus anderen Gründen (als eine frühere Wiederaufnahme) verfügt werden (VwGH 23.3.1999, 97/14/0069; VwGH 20.7.1999, 97/13/0131).
Wiederaufnahmsbescheide dürfen nicht vorläufig erlassen werden.
Die Verfügung bzw. Bewilligung der Wiederaufnahme bewirkt die Aufhebung des früheren Bescheides; ein gesonderter Aufhebungsbescheid ist nicht erforderlich (vgl. zB VwGH 11.7.1995, 91/13/0145; VwGH 2.8.2000, 97/13/0196, 0197, 0198).
Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden (§ 307 Abs. 1 BAO).
Ein neuer Sachbescheid kann auch dann vorläufig ergehen, wenn der alte Sachbescheid endgültig erlassen wurde.
Der die Wiederaufnahme bewilligende oder verfügende Bescheid und der neue Sachbescheid sind zwei voneinander unabhängig anfechtbare Bescheide (zB VwGH 23.4.2001, 96/14/0091; VwGH 17.11.2004, 2000/14/0142).
Die im § 307 Abs. 1 BAO angeordnete Verbindung des Wiederaufnahmsbescheides mit der abschließenden Sachentscheidung setzt voraus, dass letztere zulässig ist.
Lediglich aufhebende Wiederaufnahmsbescheide sind etwa zu erlassen
- hinsichtlich einer Zwangsstrafe (§ 111 BAO), deren Androhung nicht zugestellt wurde,
- hinsichtlich einer Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO, wenn kein nachträglicher Feststellungsbescheid erlassen wurde (zB "Nichtbescheid" als Folge der Adressierung an bereits beendete GesBR),
- wenn ein antragsgebundener Bescheid trotz Fehlens eines Antrages erging,
- wenn ein Bescheid von einer hiefür unzuständigen Abgabenbehörde erlassen wurde.
Sind beide Bescheide (Wiederaufnahmsbescheid, neuer Sachbescheid) mit Berufung angefochten, so ist zunächst über die Berufung gegen den Wiederaufnahmsbescheid zu entscheiden (zB VwGH 22.12.2005, 2001/15/0004).
Es ist rechtswidrig, die Berufung gegen den Wiederaufnahmsbescheid unerledigt zu lassen und zunächst über die Berufung gegen den neuen Sachbescheid abzusprechen (VwGH 8.11.1988, 88/14/0135).
Die Entscheidung über beide Berufungen kann in einer Berufungsentscheidung verbunden werden (VwGH 24.6.1986, 86/14/0014).
Wird der die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligende oder verfügende Bescheid aufgehoben (zB mit Berufungsvorentscheidung oder gemäß § 299 Abs. 1 BAO), so tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat (§ 307 Abs. 3 BAO). Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus (vgl. zB VwGH 24.1.1990, 86/13/0146) und lebt der vor der Wiederaufnahme im Rechtsbestand gestandene Bescheid wieder auf (zB VwGH 28.3.2001, 98/13/0032).
In der neuen Sachentscheidung sind, soweit die Abänderungsbefugnis nicht eingeschränkt ist, Änderungen nicht nur hinsichtlich von Wiederaufnahmsgründen berührter Bescheidelemente zulässig (vg. zB VwGH 28.5.1997, 94/13/0032).
Solche Einschränkungen der Abänderungsbefugnis ergeben sich vor allem aus:
- § 116 BAO (Bindung an Entscheidungen der Hauptfragenbehörde),
- § 192 BAO (Bindung an Grundlagenbescheide),
- § 289 Abs. 1 vorletzter Satz BAO (Bindung an die für die Aufhebung maßgebliche, im Aufhebungsbescheid dargelegte Rechtsanschauung),
- § 289 Abs. 3 BAO (Bindung an die für die Berufungsentscheidung maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung),
- § 63 Abs. 1 VwGG (Herstellung des der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustandes),
- § 87 Abs. 2 VfGG (Herstellung des der Rechtsanschauung des VfGH entsprechenden Rechtszustandes).
5. Wiederaufnahmsbehörde (§ 305 BAO)
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Ist die Zuständigkeit im abgeschlossenen Verfahren gemäß § 311 Abs. 4 BAO auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz übergegangen, so steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens der Abgabenbehörde erster Instanz zu (nach § 305 Abs. 1 zweiter Satz BAO).
Nach Übergang der Zuständigkeit (insbesondere gemäß den §§ 52a, 71 oder 73 BAO) hat die neu zuständige Abgabenbehörde über die Wiederaufnahme zu entscheiden (nach § 305 Abs. 2 BAO).
6. Hinweise
Die vorstehenden Ausführungen stellen die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen dar, die im Interesse einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten werden dadurch weder begründet noch können solche aus dem Erlass abgeleitet werden.
Die Erlässe des Bundesministeriums für Finanzen vom 5. Mai 1986, 05 0801/3-IV/5/85, AÖF Nr. 155/1986 und vom 9. Jänner 1987, 05 0301/3-IV/5/86, AÖF Nr. 61/1987, und vom 9. Jänner 1995, 05 0801/1-IV/5/94, ÖStZ 1995, 359, werden aufgehoben.
Bundesministerium für Finanzen, 14. Juni 2006