UFS RV/0321-I/03

UFSRV/0321-I/037.9.2005

Herbeiführung eines Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Tat (Abgabenhinterziehung, Amtsmissbrauch) als Wiederaufnahmsgrund

 

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer sowie hinsichtlich der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1999 und 2000 und gegen die Bescheide des Finanzamtes Innsbruck betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1999 und 2000 vom 27. März bzw. 11. April 2003 entschieden:

Der Berufung gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer sowie hinsichtlich der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1999 und 2000 wird Folge gegeben. Die angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide werden aufgehoben.

Die Berufung gegen die Sachbescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1999 und 2000 wird als unzulässig zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Für die Berufungswerberin (Bw.), eine Hausbesitzgemeinschaft, waren am 1. Juli 2000 die Umsatzsteuererklärung sowie die Erklärung der Einkünfte von Personengemeinschaften des Jahres 1999 beim Finanzamt eingereicht worden. Die Bescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften (aus Vermietung und Verpachtung) ergingen mit Ausfertigungsdatum 3. August 2000 erklärungsgemäß. Die Bescheide waren - nach Auskunft eines Mitarbeiters des Finanzamtes offenbar auf Grund eines technischen Gebrechens - an die Bw. "zu Handen Finanzamt" adressiert worden, sie sind in der Folge jedoch der (auch zur Empfangnahme von Schriftstücken bevollmächtigten) steuerlichen Vertreterin der Bw. zugestellt worden.

Die Umsatzsteuererklärung und die Erklärung der Einkünfte von Personengemeinschaften für das Jahr 2000 weisen keinen Eingangsvermerk des Finanzamtes auf; in der elektronischen Abgabendatenbank wurde der Eingang der Erklärungen des Jahres 2000 beim Finanzamt mit Datum 12. März 2001 vermerkt.

Bei einer abgabenbehördlichen Prüfung, die laut Prüfungsbericht vom 12. März 2001 die Umsatzsteuer sowie die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften der Jahre 1999 bis 2000 zum Gegenstand hatte, wurden zur Umsatzsteuer keine Feststellungen getroffen. Zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften hielt der Prüfer unter Tz 13 seines Berichtes lediglich hinsichtlich des Jahres 2000 fest, dass die Kosten einer im Anschluss an umfangreiche Instandsetzungsarbeiten des Vorjahres erfolgten Baderneuerung (von 38.160,58 S netto) auf 10 Jahre verteilt abzuschreiben seien; der für das Jahr 2000 erklärte Einnahmenüberschuss (von 2,085.421,58 S) sei deshalb auf 2,119.765,58 S zu erhöhen. Der Prüfungsauftrag vom 21. September 2000 hatte sich auf die Umsatzsteuer sowie die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften des Jahres 1999 bezogen. Auf einer aktenkundigen Kopie dieses Prüfungsauftrages ist mit Datum 9. März 2001 handschriftlich vermerkt, dass die Prüfung auf die Umsatzsteuer sowie die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften des Jahres 2000 ausgedehnt worden sei; eine Unterschrift des die Ausdehnung der Prüfung anordnenden Organwalters des Finanzamtes weist diese Kopie nicht auf. Am 9. März 2001 fand auch bereits die Schlussbesprechung statt. Im Anschluss an die abgabenbehördliche Prüfung wurden vom Finanzamt am 10. Mai 2001 die Bescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für das Jahr 2000 erlassen.

Ende 2002/Anfang 2003 nahm das Finanzamt neuerlich eine Prüfung der Aufzeichnungen der Jahre 1999 und 2000 vor. Aus dem Prüfungsauftrag vom 4. September 2002 geht hervor, dass sich die Prüfung auf § 151 BAO in Verbindung mit § 99 Abs. 2 FinStrG stütze, weil der begründete Verdacht bestehe, dass im Prüfungszeitraum Abgaben verkürzt worden seien.

Im Prüfungsbericht vom 27. März 2003 wurden unter Anderem folgende Feststellungen getroffen:

Tz. 14 Mängel

Bei der Überprüfung der Mieterlöse durch den Prüfer wurde festgestellt, dass im Rahmen der steuerlichen Abschlussarbeiten die erklärten Mieterlöse im Jahre 1999 um 878.716,35 S (netto) und im Jahr 2000 um 800.000 S (netto) gekürzt wurden.

Die Mieterlöse wurden anhand der vorgelegten Unterlagen der Hausverwaltung "A." überprüft. Die Unterlagen umfassten eine Bruttozusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben für das jeweilige Jahr sowie ein an die Fa. B. (Anmerkung: die damalige steuerliche Vertreterin der Bw.) adressiertes Schreiben mit einer Zusammenfassung der gesammelten Mieterlöse. Beim Vergleich dieser Beträge mit den vorliegenden Steuererklärungen konnten die Differenzen vom Prüfer sofort aufgedeckt werden.

Tz 24 Wiederaufnahme des Verfahrens

Die Wiederaufnahme erfolgte gem. § 303 Abs. 4 und Abs. 1 lit. a BAO unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung gem. § 99 FinStrG in Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes unter GZl. x/x gegen C. und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gem. § 12 in Verbindung mit § 302 StGB, da davon auszugehen ist, dass die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden durch eben diese gerichtlich strafbaren Handlungen herbeigeführt wurden. Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen.

In der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom 6. Februar 2003 wird unter der Überschrift "Prüfungsfeststellungen" auf eine Beilage verwiesen, die unter Punkt 1. folgende Feststellung enthält:

Erlösdifferenzen: Im Rahmen der steuerlichen Abschlussarbeiten wurden Mieterlöse im folgenden Ausmaß nicht erklärt (gekürzt):

Dazu hatte der Prüfer in der Niederschrift festgehalten:

Welche Unterlagen im Einzelnen dem Vorprüfer übergeben worden sind, kann zum heutigen Zeitpunkt naturgemäß nicht abschließend beurteilt werden. Gegenteilige Anhaltspunkte zu den unten angeführten Äußerungen des Rechtsanwaltes liegen derzeit nicht vor.

Wiederaufnahmsgründe Pkt. 1 - 4: Seitens des Finanzamtes wird der Standpunkt vertreten, dass sich die Wiederaufnahme der gegenständlichen Bescheide insbesondere auf eine strafbare Tat im Sinne des § 303 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 lit. a BAO des vormaligen Betriebsprüfers Herr D. betr. Pkt. 1 stützt.

Stellungnahme des Rechtsanwaltes: Von Seiten des Vertreters wird die folgende Ansicht vertreten: "Wenn eine Wiederaufnahme aufgrund der strafbaren Handlungen überhaupt möglich ist, dann darf sich das wieder aufgenommene Verfahren nur auf jene Punkte beziehen, in denen die strafbare Handlung als erwiesen angenommen wurde. Insbesondere ist dabei zu unterstreichen, dass von Seiten der Steuerpflichtigen stets alle Angaben und Unterlagen rechtzeitig, richtig und vollständig der Finanz übergeben wurden, sodass keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind. Solange ich die Wiederaufnahme für nicht gerechtfertigt erachte, gebe ich inhaltlich zu den Prüfungsfeststellungen keine Stellungnahme ab."

Mit Bescheiden vom 27. März und 11. April 2003 wurden die Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer sowie hinsichtlich der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften der Jahre 1999 und 2000 gemäß § 303 Abs. 4 BAO von Amts wegen wiederaufgenommen. Gleichzeitig wurden neue Sachbescheide erlassen. Die Verfahrensbescheide wurden wie folgt begründet:

Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gemäß § 303 (4) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen.

Gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren und die neuen Sachbescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1999 und 2000 erhob der anwaltliche Vertreter der Bw. Berufung. Gegen die Verfügung der Wiederaufnahme der Verfahren wurde eingewendet:

Im Wesentlichen stützt sich das Finanzamt darauf, dass "die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden durch eben diese gerichtlich strafbaren Handlungen herbeigeführt wurden." Diese Formulierung ist nichtssagend, viel zu wenig spezifiziert, als dass sie auf den hier gegenständlichen Fall anzuwenden wäre. Die Frage, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, hat ein Gericht zu prüfen und zu entscheiden. Eine Entscheidung hat das Gericht aber noch nicht gefällt, ja die Staatanwaltschaft hat noch nicht einmal Strafanträge oder Anklagen erhoben. Wenn nun das Finanzamt Innsbruck diese Frage, ob gerichtlich strafbare Handlungen vorliegen oder nicht, als Vorfrage prüft und selbst entscheidet, dann muss das Finanzamt zwingend erklären, welche Tat von welcher Person in welchem Zusammenhang als strafbar erachtet wird. Da § 69 AVG nahezu wortgleich mit § 303 BAO formuliert ist, kann etwa die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.4.1994, Zahl 93/11/0272, als Richtschnur gelten, in der es heißt: "Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 69 Abs 1 Z 1 AVG ist es für eine Wiederaufnahme zwar nicht erforderlich, dass die Partei wegen der strafbaren Handlung verurteilt ist. Der Wiederaufnahmegrund - insbesondere die strafbare Handlung - muss von der das Verfahren wiederaufnehmenden Behörde aber aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden. Ein bloßer Verdacht kann zwar zur Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens führen, aber keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, der es rechtfertigt, die Rechtskraft zu durchbrechen und gegebenenfalls eine rechtskräftig wieder zuerkannte Berechtigung wieder aufzuheben". Das Finanzamt hat es unterlassen, den Vorwurf soweit zu konkretisieren, dass eine Nachprüfung dieser Annahme, dass tatsächlich ein Prüfer einen Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit den hier gegenständlichen Steuerverfahren begangen hat, möglich ist. Ist aber die Nachprüfung einer Behauptung in einem Verfahren nicht möglich, dann fehlt die Grundlage eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Dazu kommt, dass ausgerechnet der Sonderprüfer des Finanzamtes, der seitens des Herrn Bundesministers für Finanzen eingesetzt wurde, in der "Tiroler Tageszeitung" vom 18. April 2003 erklärt, dass insbesondere für die Finanzbeamten die Unschuldsvermutung gilt, also dass keiner, insbesondere eben kein Finanzbeamter, für schuldig gehalten werden darf, solange er nicht gerichtlich und rechtskräftig verurteilt ist. Durch diese Aussage des obersten Steuerprüfers wird klar gemacht, dass der Wiederaufnahmegrund "strafbare Handlung" auch vom Finanzamt selbst nicht ernst genommen wird. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass der Staatsanwalt bereits erklärt hat, gegen die Bw. keinesfalls vorgehen zu wollen, da er nicht einmal den Verdacht einer strafbaren Handlung von ihr erheben könnte. Ein anderer Wiederaufnahmegrund wird nicht behauptet und liegt tatsächlich auch nicht vor: Insbesondere sind keine neuen Tatsachen oder Beweismittel zu Tage getreten oder hervorgekommen. Seitens des Finanzamtes wurde bestätigt, dass alle Unterlagen, die jetzt bei der Prüfung im Rahmen des § 99 FinStrG eingesehen wurden, auch vorher bei der letzten Prüfung vorhanden waren. Insbesondere hat das Finanzamt anerkannt, dass die Bw. nicht nur bei der jetzigen Prüfung, sondern auch bei der (und den) früheren Nachprüfung(en) alle Angaben und Unterlagen rechtzeitig, richtig und vollständig zur Verfügung gestellt hat. Ausdrücklich wurde im Besprechungsprotokoll festgehalten, dass dieser Behauptung seitens des Finanzamtes nicht entgegengetreten wird. Keinesfalls liegt daher ein Erschleichungstatbestand vor, aber auch nicht der Tatbestand, dass irgendeine Tatsache oder ein Beweismittel neu hervorgekommen sei. Eine amtswegige Wiederaufnahme nach dem Neuerungstatbestand ist aber dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde bereits in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig offengelegt wurde und damit bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumption zu der im wiederaufzunehmenden Verfahren ergehenden Entscheidung gelangen hätte können (VwGH 5.10.1987, 85/15/372)."

Das Finanzamt legte die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung unmittelbar zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach den Ausführungen im Prüfungsbericht und in der Niederschrift über die Schlussbesprechung, auf die sich die Begründung der angefochtenen Verfahrensbescheide bezieht, erfolgte die Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 und § 303 Abs. 1 lit. a BAO, weil davon auszugehen sei, dass die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden durch gerichtlich strafbare Handlungen herbeigeführt wurden, und zwar durch strafbare Handlungen gemäß § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB; "insbesondere" stütze sich die Wiederaufnahme auf eine strafbare Tat des Erstprüfers im Zusammenhang mit der bei der Wiederholungsprüfung festgestellten Kürzung von Umsätzen bzw. Einnahmen aus der Vermietung in den jeweiligen Jahreserklärungen. Dem Prüfungsbericht ist weiters zu entnehmen, dass die bei der Erstellung der Jahreserklärungen erfolgten Einnahmenkürzungen bei der Wiederholungsprüfung durch Vergleich der Jahreserklärungen mit den Abrechnungen des Hausverwalters sofort aufgedeckt werden konnten. Im Schlussbesprechungsprotokoll ist schließlich noch festgehalten, es könne "naturgemäß nicht abschließend beurteilt werden", welche Unterlagen im Einzelnen dem Erstprüfer übergeben worden sind.

"Im Zuge der Erstprüfung ergangene" Bescheide liegen nur bezüglich des Veranlagungsjahres 2000 vor. Hingegen wurden die auf Grund der am 1. Juli 2000 eingereichten Erklärungen ergangenen Erstbescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften des Jahres 1999 im Zuge der Erstprüfung nicht geändert. Soweit im Bericht über die Wiederholungsprüfung ausgeführt wird, dass strafbare Handlungen zur "Nichtänderung" von Bescheiden (gemeint: der vorerst erklärungsgemäß erlassenen Bescheide) geführt haben, ist darauf zu verweisen, dass der Wiederaufnahmsgrund des § 303 Abs. 1 lit. a BAO eine solche Konstellation nicht erfasst. Voraussetzung ist nach der bezogenen Gesetzesstelle vielmehr, dass "ein Bescheid" (nicht jedoch das "Nichtergehen" eines Bescheides) durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass sich das Finanzamt in der Begründung sämtlicher Wiederaufnahmsbescheide (auch jener des Jahres 1999) ausschließlich auf den Tatbestand des § 303 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 303 Abs. 4 BAO, nicht aber auf den Neuerungstatbestand (des § 303 Abs. 4 BAO) bezogen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Berufungsinstanz bei der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens keine neuen Wiederaufnahmsgründe heranziehen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen (siehe zB Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 2. Auflage, Rz 3 zu § 307).

Hinsichtlich des Veranlagungsjahres 2000 sind die (Erst-)Bescheide betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften zeitlich nach Abschluss der Erstprüfung erlassen worden. Das Finanzamt geht, wie ausgeführt, davon aus, dass bei der Erstprüfung tätige Personen (der Erstprüfer und möglicherweise noch weitere Personen) gerichtlich strafbare Handlungen (gemäß § 33 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB) zu verantworten haben. Die Wiederaufnahme von Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Taten setzt keine gerichtliche Verurteilung voraus. Das Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung stellt vielmehr eine Vorfrage dar (Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 2. Auflage, Rz 5 zu § 303), die - solange das zuständige Strafgericht nicht entschieden hat - von der Abgabenbehörde gemäß § 116 Abs. 1 BAO nach eigener Anschauung zu beurteilen ist. Eine solche Beurteilung (Vorfragenklärung) hat in der Begründung des jeweiligen Bescheides zu erfolgen (Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 2. Auflage, Rz 8 zu § 116).

Die Beurteilung der Frage, ob Abgaben hinterzogen wurden (§ 33 FinStrG), erfordert eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellungen. Die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde unter Anlegung strafrechtlicher Maßstäbe nachzuweisen. Dabei kann eine Hinterziehung von Abgaben erst angenommen werden, wenn - in nachprüfbarer Weise - sowohl die objektive als auch die subjektive Tatseite festgestellt ist (zB VwGH 17.12.2003, 99/13/0036). Im Grunde dieselben Überlegungen gelten für die Beurteilung der Frage, ob ein Amtsmissbrauch (§ 302 StGB) begangen wurde, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass diese Handlung nur in der Vorsatzform der Wissentlichkeit begangen werden kann.

Trifft die Abgabenbehörde die Beweislast, ist es ihr Recht, aber auch ihre Pflicht, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine bestimmte Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht (freie Beweiswürdigung; § 258 Abs. 2 StPO). Die im Einzelfall als erwiesen angenommene Tat muss so eindeutig bezeichnet und umschrieben sein, dass kein Zweifel darüber bestehen kann, wofür der Beschuldigte zu bestrafen ist (vgl. VwGH 25.6.1998, 96/15/0167, sowie § 260 Abs. 1 Z 1 StPO).

Nach der Begründung der angefochtenen Bescheide ergibt sich das Vorliegen gerichtlich strafbarer Handlungen, durch welche die Straftatbestände des § 33 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches nach § 302 StGB verwirklicht worden wären, als "das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung gemäß § 99 FinStrG in Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes gegen C. und andere". Zu Recht bringt die Bw. vor, dass damit dem Konkretisierungsgebot einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht entsprochen wurde. Mit dem Hinweis auf eine vom Landesgericht eingeleitete Voruntersuchung "gegen C. und andere" wird im Prüfungsbericht nicht nachvollziehbar dargelegt, welche Handlungen, die in den Bereich strafrechtlicher Verantwortung fallen, von welchen Personen tatsächlich gesetzt worden sind. Im Schlussbesprechungsprotokoll wurde zum in Betracht kommenden Täterkreis zwar noch ausgeführt, es habe "insbesondere" der Vorprüfer eine strafbare Handlung zu verantworten. Die (insbesondere dem Vorprüfer zur Last gelegte) Tathandlung wird aber auch im Schlussbesprechungsprotokoll nicht dargestellt. Das Protokoll über die Schlussbesprechung lässt im Gegenteil ausdrücklich offen, welche Unterlagen dem Erstprüfer vorlagen; erst recht fehlen Feststellungen, die in nachvollziehbarer Weise eine Schlussfolgerung darüber zulassen, in welche Unterlagen der Erstprüfer tatsächlich Einsicht genommen hat bzw. ob er sonst Kenntnis davon hatte, dass die beim Finanzamt eingereichten Abgabenerklärungen unrichtig waren. Nach dem Ergebnis der Wiederholungsprüfung steht fest, dass Mieteinnahmen nicht erklärt wurden, welche in den Abrechnungen des Hausverwalters ausgewiesen und auch in den Umsatzsteuervoranmeldungen enthalten waren, jedoch in die beim Finanzamt eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärungen und Erklärungen der Einkünfte von Personengemeinschaften nicht mehr aufgenommen worden waren. Fest steht weiters, dass die unrichtigen Erklärungen bei der Erstprüfung nicht korrigiert wurden. Der Verdacht, dass es zu strafbaren Handlungen gekommen ist, stellt, wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem von der Bw. zitierten Erkenntnis vom 19.4.1994, 93/11/0271, zur vergleichbaren Regelung des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ausgeführt hat, keinen Wiederaufnahmsgrund als solchen dar. Der Wiederaufnahmsgrund des § 303 Abs. 1 lit. a BAO erfordert vielmehr eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Ausführungen, welche schlüssig die Feststellung zu tragen vermögen, dass eine bestimmte, nach strafrechtlichen Grundsätzen hinlänglich umschriebene strafbare Handlung von einer bestimmten Person (bzw. bestimmten Personen) gesetzt worden ist. Eine solche Darstellung lassen sowohl die Niederschrift über die Schlussbesprechung vom 6. Februar 2003 als auch der Prüfungsbericht vom 27. März 2003 vermissen.

Wurden die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für eine gerichtlich strafbare Handlung in den angefochtenen Wiederaufnahmsbescheiden nicht dargestellt, können solche Feststellungen im Berufungsverfahren nicht nachgeholt werden. Eine solche Vorgangsweise käme einer unzulässigen Auswechslung des Wiederaufnahmsgrundes gleich: Wegen der Beschränkung der Berufungsbehörde auf die "Sache" des Berufungsverfahrens berechtigt auch die Bestimmung des § 289 Abs. 2 BAO die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht dazu, einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund erstmals aufzugreifen. Aufgabe der Berufungsbehörde bei der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur die Prüfung, ob das Finanzamt ein Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wieder aufnehmen durfte. Der Berufung gegen die Wiederaufnahmsbescheide war daher Folge zu geben.

Durch die Aufhebung der die Wiederaufnahme verfügenden Bescheide treten die Verfahren betreffend Umsatzsteuer sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1999 und 2000 in die Lage zurück, in der sie sich vor der Wiederaufnahme befunden haben (§ 307 Abs. 3 BAO). Die angefochtenen Sachbescheide (vom 27. März bzw. 11. April 2003) scheiden damit ex lege aus dem Rechtsbestand aus. Die Berufung gegen diese Sachbescheide war daher als unzulässig (geworden) zurückzuweisen.

Innsbruck, am 7. September 2005

Ergeht auch an: Finanzamt als Amtspartei

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Wiederaufnahmsgrund, gerichtlich strafbare Tat, Straftat, Amtsmissbrauch

Stichworte