Herbeiführung eines Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Tat als Wiederaufnahmsgrund
Entscheidungstext
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 292 BAO steht der Amtspartei (§ 276 Abs. 7 BAO) das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Der Abgabepflichtige ist Inhaber eines Gewerbebetriebes, der Gewinn aus dieser Tätigkeit wird gemäß § 17 Abs. 4 EStG 1988 nach Durchschnittssätzen ermittelt. Daneben ist er als Fachschullehrer tätig, woraus er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Der Abgabepflichtige reichte am 14. April 1998 die Steuererklärungen für das Jahr 1997 ein, mit Bescheiden vom 4. Juni 1998 wurde er daraufhin erklärungsgemäß zur Umsatz- und Einkommen-steuer veranlagt.
Im Mai 2000 wurde vom Finanzamt I eine abgabenbehördliche Prüfung, umfassend die Jahre 1997 bis 1999, durchgeführt, die am 8. Mai 2000 bei der steuerlichen Vertreterin des Abgabepflichtigen telefonisch angekündigt und am 22. Mai 2000 begonnen wurde. Nach Ankündigung der Prüfung reichte der Abgabepflichtige am 16. Mai 2000 auch für das Jahr 1999 die Steuererklärungen ein, die in die Prüfung der Aufzeichnungen gemäß § 151 Abs. 1 BAO miteinbezogen wurden. Aufgrund der abgabenbehördlichen Prüfung ergaben sich letztlich keine Feststellungen, die zu einer Änderung der veranlagten bzw. erklärten Besteuerungsgrundlagen führten (vgl. Tz 4 des Bp-Berichtes vom 29. Mai 2000, Bp abc). Die Schlussbesprechung entfiel gemäß § 149 Abs. 2 BAO (vgl. Tz 5 des Bp-Berichtes vom 29. Mai 2000, Bp abc). Für das bereits veranlagte Jahr 1997 unterblieben demgemäß Bescheidänderungen, für das Jahr 1999 erließ das Finanzamt I am 13. Juni 2000 mit den eingereichten Steuererklärungen übereinstimmende Erstbescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer.
Aufgrund des Schreibens des Landesgerichtes I vom 25. Juli 2002, GZl. 123, wurde das Finanzamt I "im Strafverfahren gegen X und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß §§ 12, 302 StGB" gemäß § 197 FinStrG beauftragt, ua. auch den Abgabepflichtigen iSd § 99 FinStrG zu überprüfen. "In Anbetracht des Umfanges der Erhebungen und des Umstandes, dass Beamte des Finanzamtes I von den gegenständlichen Vorwürfen betroffen" seien, wurde ersucht, Beamte anderer Finanzdienststellen und erforderlichenfalls Beamte der Bundespolizeidirektion I beizuziehen. Das Finanzamt L führte daraufhin beim Abgabepflichtigen eine die Jahre 1997 bis 1999 umfassende Wiederholungsprüfung gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG durch, Prüfungsbeginn war am 16. September 2002. Dabei stellte der Prüfer nicht erklärte Erlöse von brutto 25.355 S (im Jahr 1997) und 100.000 S (im Jahr 1999) fest, die den erklärten Umsätzen und Gewinnen hinzuzurechnen seien (vgl. Tz 14 und 17 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz).
Das Finanzamt I folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ nach Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO von Amts wegen am 4. März 2003 neue Sachbescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1999. Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien. Daraus sei auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen. Der Anhang zu Tz 21 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz, enthält folgende Begründung zur "Wiederaufnahme des Verfahrens":
"Die Wiederaufnahme erfolgte gem. § 303 Abs. 4 und Abs. 1 lit. a BAO unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenrechtlichen Wiederholungsprüfung gem. § 99 FinStrG in Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung des Landesgerichtes I unter GZl. 123 gegen X und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB, da davon auszugehen ist, dass die im Zuge der Erstprüfung ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden durch ebendiese gerichtlich strafbaren Handlungen herbeigeführt wurden.
Bei der im Sinne des § 20 BAO vorgenommenen Interessensabwägung war dem Prinzip der Rechtssicherheit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteiinteresse an der Rechtskraft) einzuräumen."
Gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO von Amts wegen betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1999 erhob der Abgabepflichtige am 2. April 2003 fristgerecht Berufung. Zur Begründung führte er aus wie folgt:
"Die bescheiderlassende Behörde begründet die angefochtenen Bescheide mit dem Ergebnis der abgabenrechtlichen Prüfung gem. § 99 FinStrG, die beim Berufungswerber im Zusammenhang mit der laufenden Voruntersuchung beim Landesgericht I gegen Beamte der Finanzverwaltung durchgeführt wurde und wird. In den dort anhängigen Verfahren wird den betroffenen Beamten Abgabenhinterziehung sowie Amtsmissbrauch vorgeworfen. Die bescheiderlassende Behörde ,geht nunmehr davon aus', dass Bescheide durch diese strafbaren Handlungen herbeigeführt worden seien.
Hiezu ist festzuhalten, dass gem. § 303 Abs. 4 BAO eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nur unter der Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. a und lit. c BAO zulässig ist. Darüber hinaus ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind, die im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Offensichtlich vermeint die bescheiderlassende Behörde, dass sie das bereits rechtskräftig abgeschlossene Abgabenverfahren von Amts wegen deswegen wieder aufnehmen könne, weil sie vermutet, dass der Bescheid entweder durch die Fälschung einer Urkunde, durch Abgabe eines falschen Zeugnisses oder durch eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden sei. Diese Tatbestandsmerkmale glaubte die entscheidende Behörde in der Tatsache zu sehen, dass gegen verschiedene Finanzbeamte gerichtlich ermittelt wird.
Nach der Judikatur des VwGH müssen zwar die tatbestandsmäßigen gerichtlich strafbaren Handlungen nicht durch strafgerichtliches Urteil festgestellt sein, sie müssen aber die objektive und die subjektive Tatseite einer gerichtlichen strafbaren Tat erfüllen. Nach der ständigen Judikatur des VwGH kann die Abgabenbehörde nötigenfalls die Voraussetzung, nämlich das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatseite einer gerichtlich strafbaren Tat als Vorfrage nach Maßgabe des Strafrechtes beurteilen.
Für das Vorliegen dieser für die Wiederaufnahme notwendigen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale gibt es im gegenständlichen Fall jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Das gegen die Finanzbeamten geführte Strafverfahren befindet sich noch immer im Stadium der Vorerhebung bzw. Voruntersuchung. Eine rechtskräftige Versetzung in den Anklagestand liegt nicht vor.
Darüber hinaus liegt kein wie immer geartetes Geständnis (subjektive Tatseite) der verdächtigen Personen vor. Würde ein solches vorliegen, bestünde für die Behörde zunächst keine Veranlassung, weitere Ermittlungen durchzuführen. Jedoch liegt nach der Judikatur des VwGH selbst in dem Fall, dass ein Geständiger der Meinung ist, unter Druck ein Geständnis ablegen zu müssen, und im Rechtsmittelverfahren all das vorbringt, was ihm vor Erlassung des Strafurteiles nicht möglich gewesen ist (somit im Falle des Widerrufs eines Geständnisses), kein Wiederaufnahmegrund vor (VwGH 7.5.1973, 0239/73). Wenn es sogar im Falle eines widerrufenen Geständnisses an der subjektiven Tatseite einer bestimmten Handlung mangelt, muss dies umso mehr im gegenständlichen Fall gelten, in dem überhaupt kein wie immer geartetes Geständnis der beschuldigten Beamten vorliegt und sich darüber hinaus laut Akteninhalt die Verdachtsmomente trotz Einvernahme aller Beteiligten nicht erhärtet haben.
Würde ein so frühes Verfahrensstadium wie das gegenständliche bereits für die Wiederaufnahme eines Verfahrens im Sinne des § 303 BAO genügen, käme es zu einer ,abgabenrechtlichen Vorverurteilung' der Berufungswerber, noch bevor sich im gerichtlichen Strafverfahren herausgestellt hat, ob gegen die verdächtigen Beamten überhaupt Anklage erhoben wird. Somit wäre der Berufungswerber schlechter gestellt als die mit den Strafvorwürfen behafteten Beamten.
Mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO ist der Bescheid daher rechtswidrig.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der seinerzeitige Prüfungsbescheid des Finanzamtes I, der das nunmehr wieder aufgenommene Verfahren rechtskräftig beendet hat, zwingend durch eine gerichtlich strafbare Handlung im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. a BAO herbeigeführt werden müsste. Der Wiederaufnahmegrund ist nur dann gegeben, wenn die betreffende gerichtlich strafbare Handlung darauf gerichtet war, die Hinausgabe eines Bescheides herbeizuführen (VwGH 11.9.1983, 82/13/0095). Es muss somit ein bestimmter Konnex zwischen den (angeblichen) strafbaren Handlungen und der Bescheiderlassung des konkreten Bescheides bestehen. Der bloße Verdacht, bestimmte Beamte des Finanzamtes I könnten strafbare Handlungen begangen haben, reicht nicht aus, um eine wie immer geartete Verbindung zwischen diesen Beamten, dem Berufungswerber und dem seinerzeitigen Prüfungsverfahren zu konstruieren. Somit ist der angefochtene Bescheid auch wegen des mangelnden Konnexes zwischen den vorgeworfenen strafbaren Handlungen und der Erlassung des rechtskräftigen Bescheides rechtswidrig.
Schließlich ist festzuhalten, dass auch ein Bescheid, der die Wiederaufnahme eines Bescheides verfügt, hinreichend zu begründen ist. Eine solche Begründung hat die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme im rechtsgebundenen Bereich darzulegen. Darüber hinaus hat die Behörde ihre Gründe darzulegen, die zur Ermessungsentscheidung geführt haben. Sie hat in dieser Begründung alle Umstände und Erwägungen aufzuzeigen, die für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessungsaktes auf seine Gesetzmäßigkeit erforderlich sind.
Im gegenständlichen Fall begnügt sich die bescheiderlassende Behörde mit der ,lapidaren' Begründung, dass dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit einzuräumen sei. Diese Begründung ist nicht geeignet, die Ermessungsentscheidung der Behörde auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen, weshalb der angefochtene Bescheid auch in dieser Hinsicht mangelhaft ist und der Aufhebung zu verfallen hat."
Die Berufung wurde vom Finanzamt I ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung unmittelbar der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorgelegt. Gemäß § 282 Abs. 1 Z 2 BAO oblag die Entscheidung über die Berufung dem gesamten Berufungssenat.
Der Senat hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und
a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder
c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Das Finanzamt I stützte die nach der Wiederholungsprüfung gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf § 303 Abs. 4 iVm Abs. 1 lit. a BAO, weil die im Zuge der Vorprüfung "ergangenen Bescheide bzw. die Nichtänderung von Bescheiden" durch gerichtlich strafbare Handlungen herbeigeführt worden seien (vgl. den Anhang zu Tz 21 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz). Dabei verwies das Finanzamt I auf die laufende "Voruntersuchung des Landesgerichtes I unter GZl. 123 gegen X und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB".
Das Tatbestandsmerkmal des § 303 Abs. 1 lit. a BAO setzt voraus, dass der im abgeschlossenen Verfahren ergangene Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist. In diesem Zusammenhang ist bezüglich der Veranlagung zur Umsatz- und Einkommen-steuer für das Jahr 1997 festzuhalten, dass die im Mai 2000 durchgeführte Vorprüfung zu keinen neuen Bescheiden (im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen) geführt hat. Die "Nichtänderung von Bescheiden" wird vom Tatbestandsmerkmal des § 303 Abs. 1 lit. a BAO nicht erfasst. Das für die Festsetzung der Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1997 maßgebliche abgeschlossene Verfahren ist somit jenes, das am 4. Juni 1998 zur Erlassung der entsprechenden Erstbescheide geführt hat. Vom Finanzamt wurde nicht behauptet, dass (auch) die Erstbescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1997, mit denen erklärungsgemäße Veranlagungen vorgenommen wurden, durch gerichtlich strafbare Handlungen herbeigeführt worden seien; Anhaltspunkte in diese Richtung können auch der Aktenlage nicht entnommen werden.
Die Begründung von Verfügungen der Wiederaufnahme hat die entsprechenden Wiederaufnahmsgründe anzugeben. Die Wiederaufnahmsgründe sind in der Begründung deswegen anzuführen, weil sich die Berufungsbehörde nach der Rechtsprechung des VwGH bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Berufung auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, § 307 Tz 3).
Vom Finanzamt I wurde bei der Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1997 ein unzutreffender Wiederaufnahmsgrund (Herbeiführen der im abgeschlossenen Verfahren ergangenen Bescheide durch eine gerichtlich strafbare Tat) angeführt. Die Berufungsbehörde darf die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht aufgrund von Tatsachen bestätigen, die das Finanzamt nicht herangezogen hat. Im Berufungsverfahren dürfen nur jene Wiederaufnahmsgründe berücksichtigt werden, die in der Bescheidbegründung des Finanzamtes genannt sind (zB VwGH 14.5.1991, 90/14/0262; VwGH 2.3.1993, 91/14/0003; VwGH 12.4.1994, 90/14/0044; VwGH 21.6.1994, 91/14/0165; VwGH 21.7.1998, 93/14/0187, 0188). Abweichend von dem Grundsatz, dass Begründungsmängel erstinstanzlicher Bescheide im Berufungsverfahren saniert werden können (zB VwGH 4.9.1986, 86/16/0083; VwGH 17.2.1994, 93/16/0117), ist eine hinsichtlich der Darstellung der Wiederaufnahmsgründe fehlende bzw. mangelhafte Begründung im Berufungsverfahren nicht sanierbar. Der Berufung vom 2. April 2003 gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1997 ist daher stattzugeben und die angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide aufzuheben. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die Wiederaufnahmsbescheide angefochten wurden.
Hinsichtlich der Veranlagung zur Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1999 ist festzuhalten, dass die im Mai 2000 durchgeführte Vorprüfung Bescheide nach sich gezogen hat. Die Steuererklärungen für das Jahr 1999 wurden erst nach Ankündigung dieser Vorprüfung am 16. Mai 2000 eingereicht, sie wurden in die Prüfung der Aufzeichnungen miteinbezogen. Das für die Festsetzung der Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1999 maßgebliche abgeschlossene Verfahren ist jenes, das am 13. Juni 2000 als Ergebnis der Vorprüfung zur Erlassung entsprechender Erstbescheide geführt hat. Dabei wurden mit den eingereichten Steuererklärungen übereinstimmende Bescheide erlassen, vom Vorprüfer wurden keine Feststellungen getroffen, die zu einer Änderung der erklärten Besteuerungsgrundlagen geführt hätten. Entscheidungswesentlich ist in der Folge, ob die am 13. Juni 2000 aufgrund der Vorprüfung ergangenen Bescheide durch eine gerichtlich strafbare Tat des Vorprüfers oder anderer Personen herbeigeführt wurden.
Der Wiederaufnahmsgrund des § 303 Abs. 1 lit. a BAO ist nur dann als gegeben anzusehen, wenn die betreffende gerichtlich strafbare Tat darauf gerichtet war, die Hinausgabe eines bestimmten Bescheides herbeizuführen. Keine auf diesen Tatbestand gestützte Wiederaufnahme ist jedoch möglich, wenn zB strafbare Handlungen lediglich aufgrund ihres wirtschaftlichen Ergebnisses zu einer Besteuerung und damit letztendlich auch zur Hinausgabe des Abgabenbescheides führen (VwGH 9.11.1983, 82/13/0095; vgl. auch Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, § 303 Tz 2; Stoll, BAO, Kommentar, 2919; Aichlreiter, SWK 1991, A V 21). Die Wiederaufnahme wegen gerichtlich strafbarer Taten setzt keine gerichtliche Verurteilung voraus (Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren, 5. Auflage, 650; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, 1467). Die Frage des Vorliegens einer gerichtlich strafbaren Tat ist von der Abgabenbehörde erforderlichenfalls als Vorfrage (§ 116 BAO) nach dem Maßstab des Strafrechts zu beurteilen. Voraussetzung ist, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt ist (Stoll, BAO, Kommentar, 2918; Aichlreiter, SWK 1991, A V 22).
Das Finanzamt I stützte die Wiederaufnahme des Verfahrens darauf, dass die am 13. Juni 2000 aufgrund der Vorprüfung ergangenen Bescheide durch gerichtlich strafbare Handlungen gemäß "§ 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB" herbeigeführt worden seien. Die Frage, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, hat ein Gericht zu prüfen und zu entscheiden. Zum Zeitpunkt der Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens am 4. März 2003 lag eine Entscheidung des Gerichtes in der Sache "X und andere" nicht vor, die Staatsanwaltschaft hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Strafanträge bzw. Anklagen erhoben. Das Finanzamt I hatte daher als Vorfrage selbst zu beurteilen, ob die objektive und subjektive Tatseite eines Missbrauches der Amtsgewalt (§ 302 StGB) erfüllt ist. Liegt eine Vorfrage vor, über die von der zuständigen Verwaltungsbehörde (vom zuständigen Gericht) noch nicht entschieden ist, so ist die Abgabenbehörde nach § 116 Abs. 1 BAO berechtigt, diese Rechtsfrage nach eigener Anschauung zu beurteilen. Eine solche Beurteilung ist in die Begründung des Bescheides aufzunehmen. Sie ist somit nicht Spruchbestandteil, fließt jedoch in den Spruch des Bescheides ein (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, § 116 Tz 8).
An dieser Stelle ist auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG 1991 zu verweisen, der (nahezu) den gleichen Wortlaut wie § 303 Abs. 1 lit. a BAO aufweist. Im Zusammenhang mit § 69 Abs. 1 Z 1 AVG 1991 hat der VwGH im Erkenntnis vom 19.4.1994, 93/11/0271, Folgendes zum Ausdruck gebracht:
"Nach dem insoferne eindeutigen Wortlaut des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist es für eine Wiederaufnahme zwar nicht erforderlich, dass die Partei wegen der strafbaren Handlung bereits verurteilt ist. Der Wiederaufnahmsgrund - insbesondere die strafbare Handlung - muss von der das Verfahren wieder aufnehmenden Behörde aber aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen werden. Ein bloßer Verdacht kann zwar zur Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens führen, aber keinen Wiederaufnahmsgrund darstellen, der es rechtfertigte, die Rechtskraft zu durchbrechen und gegebenenfalls (wie hier) eine rechtskräftig zuerkannte Berechtigung wieder aufzuheben. Da die Behörde dies verkannt und die in Rede stehende Wiederaufnahme ausschließlich auf den ihrer Meinung nach gegebenen Verdacht einer strafbaren Handlung des Beschwerdeführers gestützt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben."
Die Begründung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide erschöpft sich darin (vgl. den Anhang zu Tz 21 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz), dass "gegen X und andere wegen § 33 Abs. 1 und 2 FinStrG in Tateinheit mit dem Verbrechen des Amtsmissbrauches gemäß § 12 in Verbindung mit § 302 StGB" vom Landesgericht I eine Voruntersuchung eingeleitet worden sei. Der bloße Hinweis auf eine laufende Voruntersuchung des Landesgerichtes reicht nicht aus, um das Vorliegen eines Missbrauches der Amtsgewalt (§ 302 StGB) - wohl durch den Vorprüfer - im konkreten Fall als erwiesen anzunehmen. Dies umso mehr, als der Vorprüfer in der Begründung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide namentlich gar nicht erwähnt wurde. Auch wurden die dem Vorprüfer im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Abgabenverfahren konkret zur Last gelegten strafbaren Handlungen nicht dargestellt. Im Rahmen der Vorfragenbeurteilung hätte das Finanzamt I in der Begründung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide darstellen müssen, welche Taten von welcher Person in welchem Zusammenhang als strafbar erachtet werden. Mangels Konkretisierung des Vorwurfes einer gerichtlich strafbaren Tat ist eine Nachprüfung dahingehend nicht möglich, ob (und in welchem Ausmaß) der Vorprüfer oder andere Personen im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Abgabenverfahren tatsächlich einen Missbrauch der Amtsgewalt zu verantworten hat. Allein der Hinweis auf eine laufende Voruntersuchung des Landesgerichtes reicht nicht aus, den Wiederaufnahmsgrund der "anderen gerichtlich strafbaren Tat" in § 303 Abs. 1 lit. a BAO herzustellen, solange keine Konkretisierung erfolgt, in welcher Weise damit sowohl von der objektiven als auch von der subjektiven Tatseite her der Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt worden sein soll (vgl. dazu VwGH 24.3.1980, 810/79, 539/80, 540/80; ergangen zu dem mit § 69 Abs. 1 Z 1 AVG 1991 identischen § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950).
Der Begründung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide kann auch nicht entnommen werden, dass (und aufgrund welcher Umstände) das Finanzamt I den Wiederaufnahmsgrund des § 303 Abs. 1 lit. a BAO aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen als erwiesen angenommen hat. Eine Beurteilung dahingehend, ob die objektive und subjektive Tatseite eines Missbrauches der Amtsgewalt durch den Vorprüfer im gegenständlichen Abgabenverfahren erfüllt ist, wurde vom Finanzamt I offensichtlich nicht vorgenommen. Jedenfalls wurde eine solche Vorfragenbeurteilung nicht in die Begründung der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide aufgenommen. Auch dem übrigen Inhalt des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz, lässt sich nicht entnehmen, dass das Finanzamt I die objektive und subjektive Tatseite eines Missbrauches der Amtsgewalt eingehend geprüft und als erwiesen angenommen hätte.
Im Rahmen der Wiederholungsprüfung gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG wurde zwar der Verdacht geäußert, dass der Vorprüfer im Namen der steuerlichen Vertreterin für den Berufungswerber gleichzeitig auch die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen erstellt haben könnte. Diesbezüglich wurden auch Schriftprobenvergleiche angestellt (der Vergleich betraf den vom Vorprüfer anlässlich der Erstprüfung erstellten Arbeitsbogen und den Handakt der Steuerberatungskanzlei mit den darin enthaltenen Erlöszusammenstellungen), eine Würdigung dieser Vergleiche im Hinblick auf eine Personenidentität ist dem Bp-Bericht jedoch nicht zu entnehmen (vgl. den Anhang zu Tz 12 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz).
Bei der Wiederholungsprüfung wurde auch festgestellt, dass der Prüfungsauftrag für die Erstprüfung vom Vorprüfer selbst unterfertigt und die Steuererklärungen für das Jahr 1999 erst nach Ankündigung dieser Vorprüfung eingereicht worden seien. Im Hinblick auf das Streitjahr 1999 wurden dabei nicht erklärte Erlöse von brutto 100.000 S festgestellt, die den erklärten Umsätzen und Gewinnen hinzuzurechnen seien (vgl. Tz 14 und 17 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz). Schlussfolgerungen bzw. weitere Erhebungen zur objektiven und subjektiven Tatseite eines Missbrauches der Amtsgewalt wurden anlässlich der Wiederholungsprüfung jedoch nicht getätigt. Es wurde vielmehr offen gelassen, ob die Erlösdifferenzen des Jahres 1999 tatsächlich auf gerichtlich strafbare Handlungen des Vorprüfers zurückzuführen sind (vgl. den Anhang zu Tz 12 des Bp-Berichtes vom 4. März 2003, Bp xyz):
"Bezüglich der Art des Entstehens der Erlösdifferenzen 1999 kann aufgrund der vorgelegten Unterlagen keine Wertung seitens des Prüfers abgegeben werden (ob Erlöse bewusst verkürzt wurden oder durch Summenfehler entstanden sind)."
Das Vorliegen eines Missbrauches der Amtsgewalt durch den Vorprüfer wurde somit vom Prüfer der Wiederholungsprüfung - und ihm folgend vom Finanzamt I - im konkreten Fall keineswegs als erwiesen angenommen.
Im Übrigen wird festgehalten, dass die Vorfragenbeurteilung des Vorliegens einer gerichtlich strafbaren Tat nicht Gegenstand dieser Berufungsentscheidung ist.
Die Konsequenzen einer hinsichtlich der Darstellung der Wiederaufnahmsgründe mangelhaften Bescheidbegründung wurden bereits dargestellt (vgl. die Ausführungen das Streitjahr 1997 betreffend). Der Berufung vom 2. April 2003 gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1999 ist daher ebenfalls stattzugeben und die angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide aufzuheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Innsbruck, 9. Juni 2004
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Wiederaufnahme, Wiederaufnahmsgrund, gerichtlich strafbare Tat, Amtsmissbrauch |
Verweise: |