VwGH 99/15/0120

VwGH99/15/012018.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der A in G, vertreten durch DDr. Horst Spuller, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jungferngasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 6. Mai 1999, Zl. RV-088.97/1-9/97, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer 1990 und 1991, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs4;
BAO §303 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die eine Buchdruckerei, Verlage und eine Buchhandlung betreibt sowie Zeitungen herausgibt, ermittelt ihren Gewinn nach § 5 EStG 1988 und zwar nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr mit Bilanzstichtag 30. April. In der berichtigten Bilanz 1990 (Beilage zur berichtigten Körperschaftssteuererklärung 1990) wies sie unter den Rückstellungen erstmalig eine "Entschädigung § 8 JournalistenG" in Höhe von rund S 52,500.000,-- aus. In der Bilanz 1991 wurde diese Rückstellung um S 10,000.000,--

erhöht. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß.

Im Zuge einer die Jahre 1990 bis 1995 umfassenden Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass es sich bei der Rückstellung, die nach der Art von Abfertigungsrückstellungen gebildet worden sei, um Entschädigungen handle, die bei Kündigungen von Redakteuren durch neue Eigentümer eines Zeitungsunternehmens bzw. bei Kündigungen durch Redakteure, denen im Falle einer politischen Richtungsänderung der Zeitung die Fortsetzung ihrer Tätigkeit ohne Gesinnungsänderung nicht zugemutet werden könne, zu zahlen seien. Mangels Vorliegens eines Risikos hinsichtlich eines Eigentümerwechsels bzw. einer politischen Richtungsänderung sei diese Rückstellung steuerlich nicht anzuerkennen.

Das Finanzamt folgte den Prüferfeststellungen und erließ für die Jahre 1990 und 1991 nach Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO neue Sachbescheide.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung gegen die Wiederaufnahmsbescheide und führte im Berufungsverfahren aus, es liege kein Grund für eine Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO vor, weil im Zuge der Betriebsprüfung keine neuen Tatsachen und Beweise hervorgekommen seien. Im August 1991 habe sie die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen 1990 beim Finanzamt eingereicht. Im Oktober 1991 seien berichtige Abgabenerklärungen für 1990 nachgereicht worden. In einer mit "Überleitung" überschriebenen Beilage sei neben den Auswirkungen einer Betriebsprüfung für die Zeit bis 30. April 1989 auch ausdrücklich die Entschädigung gemäß § 8 JournalistenG mit einem Betrag von rund S 52,500.000,-- (erstmalige Bildung) als Aufwand ausgewiesen worden. Auch im Jahresabschluss 1990/91, der den Abgabenerklärungen für das Jahr 1991 beigelegt worden sei, sei diese Rückstellung bzw. deren weitere Dotierung in Höhe von rund S 10,000.000,-- gesondert und sichtbar ausgewiesen gewesen. Auch der hohe Betrag sollte einer undeutlichen bzw. unvollständigen Angabe im Wege stehen. Es habe keine genauere Angabe als die einer Gesetzesstelle gemacht werden können, wie dies auch durch die Abgabenbehörde praktiziert werde. Dass im Nachhinein erkennbar sei, dass es zu keinen konkreten Entschädigungsansprüchen und zu keiner Zeitungsveräußerung bzw. Wechsel der politischen Richtung gekommen sei, könne nicht ausschlaggebend sein. Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin die Ansicht des Prüfers über die steuerliche Unzulässigkeit der Rücklage akzeptiert und im Jahresabschluss zum 31. Dezember 1996 bereits berücksichtigt.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung wurde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet abgewiesen und ausgeführt, aus den Akten (Bilanzen) sei zwar zu ersehen, dass Rückstellungen für Entschädigungen nach § 8 bzw. § 11 JournalistenG gebildet worden seien, es fänden sich jedoch weder in der Erklärung noch in den Beilagen weitere Hinweise oder Erläuterungen. Damit habe das Finanzamt zum Zeitpunkt der Veranlagung keineswegs zu dem Ergebnis gelangen können, dass die Bildung der Rückstellung nicht zulässig gewesen sei. Es hätte weiterer Ermittlungen bedurft, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Rückstellungen nicht hätten gebildet werden dürfen.

Von der Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass weder zum Bilanzstichtag 30. April 1990 noch zu einem anderen folgenden Bilanzstichtag konkrete Risken aufgetreten seien, welche die Rückstellung rechtfertigen würden. Die Beschwerdeführerin habe auch keinen einzigen Fall namhaft machen können, wonach eine Änderung der politischen Richtung die angestellten Redakteure zu einer Kündigung nach dem JournalistenG bewogen haben könnte. Es sei zu keinem Zeitpunkt behauptet worden, die Veräußerung des Zeitungsunternehmens sei auch nur in Planung gewesen. Für die Bildung der Rückstellungen seien nicht nur ein periodengerechter Aufwand der Jahre 1990 und 1991, sondern auch Aufwendungen früherer Jahre, zurückreichend bis zur erstmaligen gesetzlichen Festlegung der § 8-Entschädigung, miteinbezogen und gewinnmindernd berücksichtigt worden, obwohl der steuerlich vertretenen Beschwerdeführerin bekannt sein musste, dass auch eine handelsrechtlich gebotene Nachholung eines bisher nicht berücksichtigten Rückstellungsaufwandes steuerlich nicht möglich sei. Die Feststellungen des Prüfers beträfen somit Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Kenntnis und Berücksichtigung zum Zeitpunkt der Veranlagung zu einem anderen Ergebnis, nämlich der Aberkennung der Rückstellungen, geführt hätten. Der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt von der Abgabenbehörde keine weiteren Ermittlungen durchgeführt worden seien, hindere nicht, dass diese Tatsachen neu hervorgekommen seien. Andernfalls wäre ein überaus unwirtschaftlicher Verwaltungsaufwand unvermeidlich, weil die Abgabenbehörden gezwungen wären, in allen Fällen umfassende Ermittlungen durchzuführen, bevor sie eine Abgabe vorschrieben, und nicht auf Grund unbedenklich scheinender Steuererklärungen der Abgabenpflichtigen Bescheide erlassen dürften. Dass diesbezügliche Ermittlungen bereits durchgeführt worden wären, sei weder aus den Akten erkennbar noch werde dies von der Beschwerdeführein behauptet. Hinsichtlich der Ermessensübung werde auf die beträchtliche Höhe der gebildeten Rückstellungen verwiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und b und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht der jeweiligen Verfahren derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinn des § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen) des jeweiligen Veranlagungsjahres (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2000, 97/15/0207).

Die Beschwerdeführerin wendet sich ausschließlich gegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung, im Zuge der Prüfung seien keine neuen Tatsachen hervorgekommen, die eine solche rechtfertigen würden. Die Abgabenerklärungen 1990 seien am 1. August 1991 beim Finanzamt eingereicht worden. Am 14. Oktober 1991 sei unter Anfügung einer mit "Überleitung" überschriebenen Beilage, welche (neben der Berücksichtung der Ergebnisse der Betriebsprüfung bis 1989) unter "Entschädigung § 8 JournalistenG - 52,548.100 Mio S" ausgewiesen habe, eine berichtigte Bilanz nachgereicht worden. Somit sei auf die Berechnungsbasis der Abfertigungansprüche bei Unternehmensveräußerung (§ 8 JournalistenG) und Richtungsänderung (§ 11 JournalistenG) ausdrücklich hingewiesen worden. Die berichtigte Erklärung sei der Veranlagung durch das Finanzamt zu Grunde gelegt worden. Im Jahresabschluss 1991 sei diese Rückstellung "ein bereits dem Finanzamt bekannter Bestandteil des Abschlusses" gewesen, sodass kein gesonderter Hinweis mehr notwendig gewesen sei.

§ 8 JournalistenG, StGBl. Nr. 88/1920, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung lautet:

"(1) Wird eine Zeitungsunternehmung veräußert, so kann der Erwerber innerhalb eines Monates nach der Veräußerung dem Redakteur gegenüber erklären, dass er in dessen Vertrag mit dem Veräußerer nicht eintritt.

(2) Wird eine solche Erklärung innerhalb der Frist abgegeben, so kann der Redakteur außer dem für die Kündigungsfrist entfallenden Entgelt eine Entschädigung verlangen, die bei weniger als fünfjähriger Dauer des Vertragsverhältnisses ein volles Jahresentgelt, bei fünf- bis zehnjähriger Dauer das Einundeinhalbfache des Jahresentgeltes beträgt und sich mit je fünf weiteren Jahren der Vertragsdauer um ein halbes Jahresentgelt erhöht, wobei ein angefangenes Jahrfünft als voll gerechnet wird.

(3) Tritt der Erwerber in den Vertrag ein oder hat er innerhalb der Frist den Eintritt nicht ausdrücklich abgelehnt, so kann er den Vertrag innerhalb eines Jahres nach der Veräußerung nicht kündigen.

(4) Das Recht des Redakteurs, den Vertrag unter Einhaltung der gesetzlichen oder vereinbarten Kündigungsfrist zu kündigen, ferner das Recht beider Teile, die vorzeitige Auflösung des Vertrages aus wichtigen Gründen zu verlangen, sowie die in den §§ 5 bis 7 festgesetzten Rechte und Pflichten bleiben unberührt."

§ 11 JournalistenG, StGBl. Nr. 88/1920, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung lautet:

"(1) Wechselt eine Zeitungsunternehmung die von ihr bisher eingehaltene politische Richtung, so kann der Redakteur, dem die Fortsetzung seiner Tätigkeit ohne Änderung seiner Gesinnung nicht zugemutet werden kann, innerhalb eines Monates, nachdem er von dem Wechsel der politischen Richtung Kenntnis erlangt haben musste, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist lösen.

(2) Dem Redakteur stehen in diesem Falle gegen die Zeitungsunternehmung die im § 8 Abs 2 bezeichneten Ansprüche zu."

Im Beschwerdefall kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Abgabenerklärungen 1990 und 1991 bzw. deren Beilagen (Bilanzen bzw. das mit "Überleitung der Bilanz zum 30. 4. 1990 nach Betriebsprüfung zur berichtigten Bilanz" überschriebene Beiblatt zu 1990) noch keinen vollständigen Sachverhalt über das Entstehen oder den rechtlichen Hintergrund der Rückstellung vermittelten. Aus der bloßen Bezeichnung einer einzelnen Position der Bilanz (bzw. der sog. "Überleitung") konnte das Finanzamt noch keine Kenntnis erlangen, ob im Beschwerdefall die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung vorlagen. Aus welchen Gründen dies dem Finanzamt bereits aus den Abgabenerklärungen bzw. den genannten Beilagen ersichtlich gewesen sein sollte, hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan.

Auch wenn die Finanzbehörde anlässlich der Veranlagung keine weiteren Erhebungen über die Sachverhaltsumstände dieser Rückstellung durchgeführt hat, hindert dies nicht die spätere Verfahrenswiederaufnahme, weil selbst ein Verschulden der Behörde am Unterbleiben der Feststellung der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel im Erstverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ausschließt (vgl. für viele wieder das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2000, 97/15/0207).

Da auch die in der Beschwerde ohnedies nicht bekämpfte Ermessensübung keine Rechtswidrigkeit erkennen lässt, konnte der Beschwerde in Bezug auf die Verfahrenswiederaufnahmen kein Erfolg zukommen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. September 2003

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