VfGH G16/2013 ua

VfGHG16/2013 ua10.12.2013

Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften von Frauen von medizinisch unterstützter Fortpflanzung mittels Samenspende; unverhältnismäßiger Eingriff in die durch die EMRK geschützten Rechte hinsichtlich des Kinderwunsches lesbischer Frauen in Lebensgemeinschaft; Diskriminierung durch die im Fortpflanzungsmedizingesetz normierte Beschränkung der artifiziellen Insemination auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften und Ehen

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
FortpflanzungsmedizinG §2 Abs1, Abs2, §3 Abs1, Abs2, §8 Abs1
EMRK Art8, Art12, Art14
VfGG §65a
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
FortpflanzungsmedizinG §2 Abs1, Abs2, §3 Abs1, Abs2, §8 Abs1
EMRK Art8, Art12, Art14
VfGG §65a

 

Spruch:

I. 1. Folgende Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden (Fort­pflanzungs­medizingesetz – FMedG), BGBl Nr 275/1992, werden als verfassungswidrig aufgehoben: 1.1. in §2 Abs1 in der Fassung BGBl I Nr 135/2009 die Wortfolge "von Personen verschiedenen Geschlechts", 1.2. §2 Abs2 in der Fassung BGBl I Nr 135/2009, 1.3. §3 Abs1 und 2 in der Stammfassung BGBl Nr 275/1992.

2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2014 in Kraft.

3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aus­sprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II. Der zu G44/2013 gestellte Hauptantrag, in §2 Abs1 FMedG die Wortfolge "von Personen verschiedenen Geschlechts" sowie der Eventualantrag, §2 Abs1 FMedG zur Gänze aufzuheben, werden zurückgewiesen.

III. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, den zu G44/2013 antrag­stellenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit insgesamt € 3.357,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Anträge und Vorverfahren

1. Mit dem vorliegenden, zu G16/2013 protokollierten und auf Art140 Abs1 erster Satz B‑VG gestützten Antrag begehrt der Oberste Gerichtshof, "betreffend das Fortpflanzungsmedizingesetz"

"I.a. in §2 in der Fassung BGBl I 2009/135 in Absatz 1 die Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts',

I.b. in §2 in der Fassung BGBl I 2009/135 den Absatz 2,

I.c. in §3 in der Stammfassung BGBl 1992/275 die Absätze 1 und 2,

als verfassungswidrig aufzuheben;

II. in eventu zusätzlich zu den unter I. genannten Bestimmungen auch die folgenden Bestimmungen:

II.a. in §8 in der Fassung BGBl I 2010/111 die Z3 in Absatz 3, in eventu in §8 in der Fassung BGBl I 2010/111 in Absatz 3 Z3 die Wortfolge 'oder Lebens­gefährten',

II.b. in §8 in der Fassung BGBl I 2010/111 den Absatz 4;

II.c. in §14 in der Stammfassung BGBl 1992/275 das Wort 'eheähnlichen',

II.d. in §15 in der Stammfassung BGBl 1992/275 das Wort 'eheähnlichen', und

II.e. in §18 in der Stammfassung BGBl 1992/275 den Absatz 1, in eventu in §18 Abs1 in der Stammfassung BGBl 1992/275 die Wortfolge 'oder Lebensgefährten',

als verfassungswidrig aufzuheben;

III. in eventu das gesamte Fortpflanzungsmedizingesetz in der Fassung BGBl I 2010/111 als verfassungswidrig aufzuheben."

Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 begehrten die nunmehrigen Revisions­rekurswerberinnen des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof beim Bezirks­gericht Wels die gerichtliche Protokollierung der Zustimmungserklärung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantrag­stellerin unter Ver­wendung des Samens eines Dritten gemäß §8 Abs1 FMedG und die Ladung der Antragstellerinnen zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen Termin. Diesen Antrag wies das Bezirksgericht Wels mit Beschluss vom 8. März 2010 zurück.

1.2. Das gegen diesen Beschluss mit Rekurs angerufene Landesgericht Wels wies den Rekurs mit Beschluss vom 2. Juni 2010 mit der Begründung ab, es sei Zweck des §2 Abs1 FMedG, die gemeinsame Elternschaft zweier Personen gleichen Geschlechts auszuschließen. Das Landesgericht erklärte jedoch den Revisions­rekurs für zulässig, weil die (im Rekurs aufgeworfene) Frage, ob das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei gleich­geschlechtlichen Paaren gegen das Recht der Europäischen Union, gegen Bestimmungen der EMRK oder gegen sonstiges österreichisches Verfassungs­recht verstößt, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sei und eine Rechtsprechung des Obersten Gerichts­hofes zu dieser Frage nicht existiere.

1.3. Aus Anlass der Behandlung des gegen diesen Beschluss erhobenen Revisions­rekurses beschloss der Oberste Gerichtshof, ob der Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs1 FMedG beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Gesetzesprüfung zu stellen. In diesem auf Art89 Abs2 iVm Art140 Abs1 B‑VG gestützten und zu G47/11 protokollierten Antrag begehrte er, "die Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 FMedG idF BGBl I 2009/135 als verfassungswidrig aufzuheben".

1.4. Diesen Antrag wies der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. Oktober 2012, VfSlg 19.674/2012, als unzulässig zurück. Begründend führte der Gerichtshof aus, der Antrag des Obersten Gerichtshofes sei hinsichtlich des Umfangs der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt gewesen, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung nicht be­seitigt würde. In der Begründung dieses Beschlusses heißt es u.a.:

"[…] Zunächst unterliegt jede medizinisch unterstützte Fortpflanzung gemäß §2 Abs2 FMedG einer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung, die – anders als dies die beteiligten Parteien in ihrer zur Äußerung der Bundesregierung erstatteten Replik sehen – nach Wortlaut und Zweck der Norm offenkundig nur von Partnern in heterosexuellen Lebensgemeinschaften erfüllt werden kann, nämlich, dass

'nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist'.

[…] Eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung, für die dasselbe gilt, besteht für jene Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, die alleinstehenden Frauen oder Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nach einer von der angefochtenen Wortfolge bereinigten Rechtslage allein offenstehen würde, nämlich des 'Einbringen[s] von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau' im Sinne des §1 Abs2 Z1 FMedG:

Nur für diese Methode ist nämlich (im Hinblick auf §3 Abs1 iVm §3 Abs2 FMedG) ausnahmsweise eine Samenspende Dritter zulässig, dies aber im Besonderen nur dann 'wenn der [Samen] des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fort­pflanzungsfähig ist'. Auch §3 Abs1 iVm 2 FMedG setzen somit das Bestehen einer heterosexuell orientierten Lebensgemeinschaft voraus, da anders die in §3 Abs2 leg.cit. genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nicht erfüllbar sind.

[…] Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich der Gesetzgeber bei Er­lassung des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft (Eingetragene Partnerschaft-Gesetz), BGBl I 135/2009, in dessen Art4 – zwar einer Forderung "im Begutachtungsverfahren" folgend, jedoch, wie gezeigt, ohne zwingende Notwendigkeit – zu der ausdrücklichen 'Klarstellung' veranlasst gesehen hat, 'dass nach dem FMedG medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig ist' (so die Erl. zu §2 FMedG in der RV 485 BlgNR 24. GP, 17).

[…]"

2. Mit dem nunmehr vorliegenden, zu G16/2013 protokollierten Antrag wieder­holt der Oberste Gerichtshof den Gesetzesprüfungsantrag, erweitert ihn jedoch um die eingangs genannten Bestimmungen. ­

2.1. Zur Zulässigkeit des Antrages führt der Oberste Gerichtshof Folgendes aus:

"1.1. §8 Abs1 FMedG lautete – bis zum Beginn der Geltung des Budgetbegleit­gesetzes 2011, BGBI I 2010/111 – in der Stammfassung BGBI 1992/275 wie folgt:

'Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren schriftlicher Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muss die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts.'

Nach §7 Abs3 FMedG hat der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Lebensgefährten in jedem Fall eine eingehende Beratung durch ein Gericht oder einen Notar über die rechtlichen Folgen der Zustimmung voranzugehen.

§2 Abs1 FMedG wurde mit dem Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (BGBl I 2009/135) novelliert: Die Bestimmung wurde um eine Wortfolge ergänzt, wo­nach eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebens­gemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig ist; das Adjektiv 'eheähnlichen' vor dem Wort 'Lebensgemeinschaft' entfiel. Nach den Gesetzes­materialien (ErlRV 485 BlgNR 24. GP 17) sollten damit die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen werden. Nur Eheleute können die medizinisch unterstützte Fortpflanzung ohne Ein­haltung der qualifizierten Formvorschriften des §8 Abs1 FMedG in Anspruch nehmen (schriftliche Zustimmung genügt), wenn nicht der Samen eines Dritten verwendet werden soll. Andere Gemeinschaften bedürfen in jedem Fall der besonderen Form der Zustimmung zu gerichtlichem Protokoll oder eines Notariatsakts. §2 Abs1 FMedG steht dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach §8 Abs1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, entgegen. Die Präjudizialität der angefochtenen Regelung ist damit aus diesem Blickwinkel gegeben; sie wurde auch vom Verfassungsgerichtshof gar nicht in Zweifel gezogen.

1.2. Durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBI I 2010/111) erfuhren die §§7 Abs3 und 8 Abs1 FMedG eine Änderung, wonach die Beratung der Lebens­gefährten/Ehegatten nicht mehr durch ein Gericht erfolgen und deren Zu­stimmung nicht mehr in Form eines gerichtlichen Protokolls erteilt werden kann. Sie betrifft mit der Zuständigkeit für Beratung und Protokollierung der Zu­stimmung verfahrensrechtliche Normen.

Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung ge­troffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden. Ein laufendes Ver­fahren ist daher, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas anderes be­stimmen, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen neuen Vorschrift an, nach den neuen Verfahrensvorschriften fortzusetzen und zu beenden. Eine 'Rückwirkung' von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt hingegen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht […].

Die Novellierung durch das Budgetbegleitgesetz 2011 ist anzuwenden, wenn die Beratung oder die Zustimmung nach dem 30. April 2011 erteilt wird (Art39 Abs6 Budgetbegleitgesetz 2011, BGBI I 2010/111). Hier wurde die Zustimmung der Zweitantragstellerin bereits in ihrem Antrag vom 22. Februar 2010 mit dem gleichzeitig erhobenen Begehren erteilt, diese in einem vom Erstgericht anzu­beraumenden Termin zu Protokoll zu nehmen. Es würde einer – im konkreten Fall besonders weitreichenden – Rückwirkung der neuen Rechtslage seit 1. Mai 2011 gleichkommen, wollte man den Antragstellerinnen die Erledigung ihres – allenfalls zulässigen – Begehrens, das lange vor Eintritt der neuen Rechtslage erhoben wurde, mit dem Argument verweigern, nunmehr sei eine gerichtliche Protokollierung der Zustimmungserklärung nicht mehr vorgesehen. Im Übrigen bedarf es zur Erledigung des Antrags auch keiner (zeit‑)aufwendigen, mit Beweisaufnahmen verbundenen gerichtlichen Tätigkeit mit dem Ziel, die Grundlagen für eine bestimmte Entscheidung zu schaffen und diese zu treffen; vielmehr hat sich das Gericht auf die Entgegennahme einer Zustimmungs­erklärung durch Aufnahme eines Protokolls zu beschränken, also auf eine bloß punktuelle Aktivität ohne jede Entscheidungsqualität im Sinn einer Beurkundung, weshalb kein Verfahren im herkömmlichen Sinn nach einer nicht mehr aktuellen Gesetzeslage zu führen ist. Schließlich war Zweck der Beseitigung der gericht­lichen Zuständigkeit die 'Konzentration der Außerstreitgerichte auf deren Ent­scheidungstätigkeit in strittigen Fällen' (ErIRV 981 BlgNR 24. GP 56), also deren Entlastung. Keinesfalls kann dem Gesetzgeber daher die Absicht unterstellt werden, mit der Novellierung den Abschluss bereits eingeleiteter Verfahren in der Sache zu verhindern (vgl in diesem Zusammenhang auch die Urteile des EGMR vom 6. Oktober 2005, 1513/03, Draon gegen Frankreich und 11810/03, Maurice gegen Frankreich).

Der Oberste Gerichtshof hat daher im vorliegenden Fall §8 Abs1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBI I 2010/111, anzuwenden, sodass für den konkreten Fall die gerichtliche Zuständigkeit für die Protokollierung der Zustimmung gegeben ist.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Ansicht auch der offensichtlichen Auffassung des Verfassungsgerichtshofs entspricht. Der Verfassungsgerichtshof, der in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2012 auf die Novellierung des FMedG mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 hingewiesen hat, hat die Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrags nicht mit der (vorweg zu prüfenden) fehlenden Präjudizialität begründet, sondern mit einem zu engen Anfechtungsumfang. Damit ist auch er davon ausgegangen, dass die Gerichte §8 Abs1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011 anzuwenden haben. Letztlich muss auch die Begründung der Zurückweisung des Individual­antrags der beiden Antragstellerinnen in diesem Licht gesehen werden."

2.2. Seine Bedenken in der Sache legt der Oberste Gerichtshof wie folgt dar:

"2. Die Beschränkung des §2 Abs1 FMedG verschließt Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung und schließt sie damit von der Möglichkeit aus, Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben können, sei es dass – wie hier – heterosexuelle Kontakte nicht in Betracht kommen oder der Kinderwunsch ungeachtet dessen unerfüllt bleibt. Dies ver­stößt nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs gegen das Recht der Antrag­stellerinnen auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und gegen den Gleichheitssatz (Art7 B‑VG).

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der von Ehe­partnern oder Lebensgefährten gefasste Entschluss, ein Kind zu bekommen und sich hiezu erforderlicher medizinischer Unterstützung zu bedienen, dem Schutz­bereich des Art8 EMRK unterliegt (VfGH 14.10.1999, G91/98, 116/98, VfSlg 15.632, B.1.2.3.). Auch der EGMR betont, dass das Recht 'ein Kind zu be­kommen und sich zur Erfüllung des Kinderwunsches die Errungenschaft der Fortpflanzungsmedizin zunutze zu machen' zu den von Art8 EMRK geschützten Rechten zählt (EGMR 3.11.2011, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich [Z82], ÖJZ2012/2 [MRK]). Der Wunsch nach einem Kind stellt demnach einen besonders wichtigen Aspekt der Existenz oder der Identität eines privaten Individuums dar (EGMR 1.4.2010, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich [Z93], ÖJZ2010, 684 = RdM 2010/88 [Kopetzki]).

Dieses Recht wird durch die Beschränkung der nach dem Fortpflanzungsmedizin­gesetz an sich zulässigen Mittel der Fortpflanzungsmedizin auf Paare ver­schiedenen Geschlechts eingeschränkt. Der Oberste Gerichtshof hat Bedenken, ob dies mit dem Schutz der Familie oder mit dem Kindeswohl gerechtfertigt werden kann.

Im Verfahren Schalk und Kopf gegen Österreich trug der EGMR der 'rapiden Evolution des gesellschaftlichen Verhaltens gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren in vielen Mitgliedstaaten' (Z93) Rechnung und sprach mit Urteil vom 24. Juni 2010, 30141/04, ÖJZ2010/9 [MRK] (Z93), aus, dass die Beziehung eines gleichgeschlechtlichen Paares unter den Begriff 'Familienleben' wie auch unter den Begriff 'Privatleben' falle und daher Art14 iVm Art8 EMRK zur Anwendung gelange. Der EGMR geht also davon aus, dass Paare gleichen Geschlechts ebenso wie Paare verschiedenen Geschlechts in der Lage sind, stabile, bindende Be­ziehungen einzugehen. Sie sind also 'Familie' im verfassungsrechtlichen Sinn. Einen – im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens – besonderen Schutz der Ehe kennt das österreichische Verfassungsrecht nicht.

Auch eine Argumentation mit der Beeinträchtigung des Kindeswohls wird nicht greifen: Zunächst ist es unserem gesellschaftlichen Verständnis immanent, dass es (auch) für ein Kind – unabhängig von der Art seiner Zeugung und den Be­dingungen seines Lebens – besser ist, überhaupt zu sein als nicht zu sein (vgl Bernat, Glosse zu OGH 3 Ob 147/10d, RdM 2011/81, 97 [98]). Die Bestimmung des §97 Abs2 2. Alternative StGB ('eugenische Indikation') steht dem nicht entgegen, kann sie doch nur mit dem Interesse der Mutter gerechtfertigt werden, die Schwangerschaft nicht fortsetzen zu müssen. Weiters gibt es nach der im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eingeholten Stellungnahme der Bioethikkommission keine validen Studien, wonach sich ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung der beiden Hauptbezugspersonen ('Eltern') schlechter entwickelt als in einer verschiedengeschlechtlichen. Auf dieser Grundlage erkennt der Senat keine Rechtfertigung für die Beschränkung der Möglichkeit zweier Menschen gleichen Geschlechts, ihren durch Art8 EMRK geschützten Kinderwunsch durch an sich zulässige Mittel der Fortpflanzungs­medizin zu erfüllen. Die Rechtsstellung dritter Personen (insb einer 'Leihmutter'), die eine Einschränkung dieses Rechts ganz allgemein (also nicht nur bei homo­sexuellen Paaren) rechtfertigen mag, ist beim Kinderwunsch zweier zusammen­lebender Frauen, von denen eine das Kind austragen kann und will, nicht be­rührt.

2.2. Gegen die hier strittige Beschränkung hegt der Oberste Gerichtshof auch Bedenken in Bezug auf den Gleichheitssatz.

Zum einen ist aus den bereits angeführten Gründen keine sachliche Recht­fertigung erkennbar, eingetragene Partnerinnen (hier: Lebenspartnerinnen iSd deutschen LPartG) in Bezug auf die Erfüllung ihres Kinderwunsches anders zu behandeln als Ehegatten oder Lebensgefährten verschiedenen Geschlechts. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine eingetragene Partnerschaft für ein Kind (zumindest nach den rechtlichen Rahmenbedingungen) mehr Stabilität bietet als eine bloße Lebensgemeinschaft; umso weniger erscheint es aus Sicht des Kindeswohls sachlich gerechtfertigt, die Mittel der Fortpflanzungsmedizin in der rechtlich weniger abgesicherten Beziehungsform der (heterosexuellen) Lebensgemeinschaft zuzulassen, in der rechtlich abgesicherten, vom Gesetzgeber weitgehend der Ehe gleichgestellten Lebensform der eingetragenen Partner­schaft aber nicht.

Zum anderen liegt eine Verschiedenbehandlung gegenüber den Regelungen über die Adoption vor. Kinder werden entweder durch Geburt oder durch Adoption Teil einer Familienbeziehung.

Nach österreichischem Recht ist die Einzeladoption mit Zustimmung des Partners bei eingetragener Partnerschaft zulässig (§181 Abs1 ABGB idF BGBI I 2009/135). Die Einzeladoption durch einen eingetragenen Partner widerspricht damit für sich genommen nicht grundsätzlich dem Kindeswohl. Dies entspricht der Recht­sprechung des EGMR: Die Versagung der Adoption durch eine in einer gleich­geschlechtlichen Partnerschaft lebende Frau im Wesentlichen wegen ihrer sexuellen Orientierung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des Art14 iVm Art8 EMRK, wenn die Adoption grundsätzlich Einzelpersonen und damit auch alleinstehenden Homosexuellen offen steht (EGMR 22. Jänner 2008, 43546/02, E. B. gegen Frankreich, ÖJZ2008/7 [MRK]).

Damit ist die Herstellung eines nicht auf eine biologische Verbindung rückführ­baren Eltern-Kind-Verhältnisses durch (Einzel-)Adoption sowohl für eine(n) alleinstehende(n) Homosexuelle(n) als auch in einer eingetragenen Partnerschaft möglich und erlaubt. Außerhalb der Ehe steht es Einzelpersonen damit unab­hängig von ihrer sexuellen Orientierung offen, durch Adoption ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen. Die auf Vertrag beruhende Verbindung ergänzt die auf Abstammung beruhende Familienbeziehung.

Die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin ersetzen ebenfalls eine auf natürliche Fortpflanzung beruhende Familienbeziehung.

Die Unmöglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Partner­schaften von Männern ist eine biologisch bedingte 'Diskriminierung'. Wegen der in diesem Fall notwendigen Einbeziehung einer Frau (als 'Leihmutter'), deren Privat- und Familienleben ebenfalls schutzwürdig ist, liegt ein unterschiedlicher Sachverhalt vor, der auch rechtlich unterschiedlich geregelt werden kann. Wenn es – was hier nicht zu beurteilen ist – verfassungsrechtlich zulässig ist, einer Frau, die kein Kind austragen kann, durch Verbot der Leihmutterschaft die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu verwehren, so muss das auch für den Kinderwunsch zweier in Partnerschaft lebender Männer geIten, die zu dessen Erfüllung eben­falls die Mitwirkung einer Leihmutter benötigen.

2.3. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs bestehen daher verfassungsrecht­liche Bedenken gegen §2 Abs1 FMedG, soweit dadurch die medizinisch unter­stützte Fortpflanzung für eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebende Frau ausgeschlossen und dieser aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Möglichkeit genommen wird, einen Kinderwunsch zu erfüllen.

3. Die Abgrenzung des Prüfungsgegenstands hat so zu erfolgen, dass auch alle mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen erfasst werden. Fälle untrennbaren Zusammenhangs liegen auch vor, wenn die Aufhebung ansonsten zu einer unklaren Rechtslage führen würde oder Schwierigkeiten bezüglich einer anderen, im Rechtsbestand verbleibenden Bestimmung hervorriefe. So wäre es etwa unzulässig, wenn der Wegfall bestimmter Sätze den verbleibenden Rest der Gesetzesbestimmung unverständlich und unanwendbar werden ließe oder wenn im Hinblick auf andere Sachverhalte nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt. Es darf nach Aufhebung kein 'legislativer Torso' verbleiben (Rohregger in Korinek/Houlubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art140 B‑VG Rz 215 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des VfGH; 3 Ob 89/12b).

Der Verfassungsgerichtshof judiziert in diesem Zusammenhang auch, dass er bei der Bestimmung des Umfangs einer als verfassungswidrig aufzuhebenden Rechtsvorschrift stets vom Grundgedanken ausgeht, dass ein Normenprüfungs­verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen, dass aber der nach der Aufhebung ver­bleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (zB VfGH 12. März 2008, G254/07, VfSlg 18.412).

3.1. Diese Judikatur wurde in dem im vorliegenden Verfahren ergangenen Zurückweisungsbeschluss ausdrücklich aufrecht erhalten. Entsprechend der daran anknüpfenden Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs, beim Umfang der (vorausgegangenen) Anfechtung (nur) der Wortfolge 'von Personen ver­schiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 FMedG, die neuerlich vorzunehmen ist, hätte auch auf die Bestimmungen des §2 Abs2 und des §3 Abs1 iVm Abs2 FMedG Bedacht genommen werden müssen, bedarf es einer dem ent­sprechenden Ausweitung.

Denn die Normierung einer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung, die in der Erfolg- oder Aussichtslosigkeit oder Unzumutbarkeit eines Geschlechtsverkehrs besteht (§2 Abs2 FMedG), sowie eines besonderen Zulässigkeitserfordernisses für die Methode nach §1 Abs2 Z1 FMedG (Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau) unter Verwendung der Samen eines Dritten, das in der fehlenden Fortpflanzungsfähigkeit des (männlichen) Lebensgefährten liegt (§3 Abs1 iVm Abs2 FMedG), macht es Frauen in gleichgeschlechtlichen Partner­schaften – bei strenger Auslegung der Begriffe nach dem reinen Wort­sinn – unmöglich, die vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung zu erfüllen. Wie sich aus seinem Zurück­weisungs­beschluss ergibt, hält der Verfassungsgerichtshof eine bei Aufhebung der vom Antrag erfassten Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 FMedG folgerichtige verfassungskonforme Auslegung dieser Be­stimmungen nicht für möglich. Auch insofern bestehen somit die bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken, weshalb die Anfechtung sowohl auf §2 Abs2 FMedG als auch auf §3 Abs1 und 2 FMedG auszudehnen ist.

3.2. Eine weitere Sichtung des FMedG idF BGBl I 2009/135 zeigt, dass darin noch andere Bestimmungen zu finden sind, die die befürchtete Verfassungswidrigkeit – sofern sie vom Verfassungsgerichtshof angenommen werden sollte – ebenso bei strenger grammatikalischer Interpretation und der betroffenen Begriffe am Wortsinn zu verwirklichen vermögen. Der Oberste Gerichtshof ist zwar der Auf­fassung, dass insofern jeweils eine verfassungskonforme Auslegung möglich wäre. Wird aber eine solche Auslegung nicht für möglich gehalten, könnte aus dem Weiterbestehen von Bestimmungen, die auf einen Mann, einen männlichen Lebensgefährten oder eine 'eheähnliche' Lebensgemeinschaft abstellen, abge­leitet werden, dass §2 Abs1 FMedG auch bei einer Aufhebung der Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' weiterhin in diesem Sinn zu verstehen sei. Insofern wären diese Normen ebenfalls präjudiziell, weil sie bei der (systematischen) Auslegung der jedenfalls präjudiziellen Bestimmung des §2 Abs2 FMedG zu berücksichtigen wären. Um eine neuerliche Zurückweisung wegen eines zu geringen Anfechtungsumfangs zu vermeiden, stellt der Oberste Gerichtshof daher auch hier – hilfsweise – einen Aufhebungsantrag:

(a) In §8 Abs3 Z3 FMedG wird grammatikalisch auf einen Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug genommen. Eine verfassungskonforme Inter­pretation der Norm könnte dahin gehen, dass unter diesem Begriff auch Lebens­gefährten weiblichen Geschlechts verstanden werden.

(b) §8 Abs4 FMedG sieht die Möglichkeit des formfreien Widerrufs der Zu­stimmungserklärungen vor und normiert je nach der gewählten Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung unterschiedliche Zeitpunkte, bis zu denen eine Zustimmung wirksam widerrufen werden kann; dabei wird auch unterschieden, wie lange ein Widerruf 'von der Frau' und 'vom Mann' abgegeben werden kann.

Zwar wäre nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs auch hier eine verfassungs­konforme Interpretation möglich, da nach Aufhebung der Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 FMedG der Begriff 'Mann' in §8 Abs4 FMedG analog auf die eingetragene Partnerin jener Frau angewendet werden könnte, die das Kind austrägt; dies deswegen, weil nach einer solchen Aufhebung eine planwidrige Lücke im Gesetz vorläge. Sollte der Verfassungs­gerichtshof aber der Auffassung sein, dass eine solche verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist, weil die genannten Bestimmungen zwingend das Bestehen einer heterosexuell orientierten (Ehe oder) Lebensgemeinschaft vo­raussetzen, bestünden auch insofern verfassungsrechtliche Bedenken. Der An­fechtungsumfang ist daher – im Zweifel – auch auf §8 Abs4 FMedG auszu­dehnen.

(c) Weiters trifft §14 FMedG im Zusammenhang mit der Verwendung der Samen eines Dritten folgende Regelung: 'Der Samen eines Dritten darf für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung in höchstens drei Ehen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften verwendet werden.' Damit korrespondiert eine auf 'Ehen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften' bezugnehmende Dokumentations­pflicht in §15 Abs2 FMedG. Zwar könnte eine verfassungskonforme Inter­pretation die eingetragene Partnerschaft (hier: Leben­spartnerschaft) der eheähnlichen Lebensgemeinschaft gleichstellen. Damit wären diese Bestimmungen unbedenklich. Soweit aber der Verfassungsgerichts­hof dies nicht als möglich ansieht und einen untrennbaren Zusammenhang mit den aufzuhebenden Regelungen annimmt, wären auch diese Bestimmungen verfassungswidrig.

(d) Wie in §8 Abs3 Z3 FMedG (siehe oben (a)) wird auch in §18 Abs1 FMedG auf Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug genommen.

(e) Daraus ergibt sich zusammenfassend der Anfechtungsumfang laut Punkt I. und II. des Antrags.

3.3. Die beantragte Aufhebung der genannten Bestimmungen des FMedG würde bedeuten, dass in Hinkunft auch für Ehegatten und Lebensgemeinschaften von Personen verschiedenen Geschlechts die bisher geltende allgemeine Zulässig­keitsvoraussetzung für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung des §2 Abs2 FMedG entfallen würde, ebenso die Notwendigkeit der Fortpflanzungsunfähig­keit des Mannes als Voraussetzung der Zulässigkeit der Verwendung der Samen eines Dritten. Der Entfall des §8 Abs4 FMedG hätte das Fehlen einer Be­stimmung zur Folge, die den Widerruf einer Zustimmungserklärung regelt. Die Aufhebung der oben genannten Bestimmungen, die auf einen Mann oder einen Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug nehmen, würde das Regelungs­gefüge des FMedG ändern.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Verfassungsgerichtshof – wenn dieser die verfassungsrechtlichen Bedenken teilt – im verbleibenden FMedG einen nicht aufrecht zu erhaltenden 'legislativen Torso' erblickt. In einem vergleichbaren Fall hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass er­forderliche rechtspolitische Entscheidungen dem Gesetzgeber vorzubehalten seien, die der Verfassungsgerichtshof nicht durch Teilaufhebung in eine be­stimmte Richtung lenken solle, weshalb in solchen Fällen die geprüften Normen zur Gänze aufzuheben seien (VfGH 10. Oktober 2005, G87/05 ua, VfSlg 17.659 ua). Da die Bestimmungen des FMedG eine Einheit bilden, stellt der Oberste Gerichtshof eventualiter den Antrag, das gesamte Gesetz aufzuheben, was unter Setzung einer Frist erfolgen könnte."

3. Beim Verfassungsgerichtshof ist ferner ein auf Art140 Abs1 letzter Satz B‑VG gestützter Antrag zweier Antragstellerinnen anhängig, die nach ihrem Vorbringen seit zehn Jahren in umfassender und dauerhafter Lebensgemeinschaft leben. Die Erst­antragstellerin möchte – im Einvernehmen mit der Zweitantragstellerin – durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung einer Samenspende eine Schwangerschaft herbeiführen. Mit diesem zu G44/2013 protokollierten Antrag begehren die Antragstellerinnen,

"A. die Wortfolge 'von Personen verschiedenen Geschlechts' in §2 Abs1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes, BGBl Nr 275/1992 idF BGBl I Nr 135/2009, als verfassungswidrig aufzuheben,

B. in eventu §2 Abs1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes, BGBl Nr 275/1992 idF BGBl I Nr 135/2009, als verfassungswidrig aufzuheben,

C. in eventu zusätzlich zu den unter A. und B. genannten Bestimmungen auch die folgenden Bestimmungen:

aa. in §2 in der Fassung BGBl I 135/2009 den Absatz 2,

bb. in §3 in der Stammfassung BGBl 275/1992 die Absätze 1 und 2,

D. in eventu zusätzlich zu den unter A., B. und C. genannten Bestimmungen auch die folgenden Bestimmungen:

aa. in §8 in der Fassung BGBl I 111/2010/111 die Z3 in Absatz 3, in eventu in §8 in der Fassung BGBl I 111/2010 in Absatz 3 Z3 die Wortfolge 'oder Lebens­gefährten',

bb. in §8 in der Fassung BGBl I 111/2010 den Absatz 4;

cc. in §14 in der Stammfassung BGBl 275/1992 das Wort 'eheähnlichen',

dd. in §15 in der Stammfassung BGBl 275/1992 das Wort 'eheähnlichen', und

ee. in §18 in der Stammfassung BGBl 275/1992 den Absatz 1, in eventu in §18 Abs1 in der Stammfassung BGBl 275/1992 die Wortfolge 'oder Lebensgefährten',

als verfassungswidrig aufzuheben;

D. in eventu das Fortpflanzungsmedizingesetz, BGBl Nr 275/1992 idF BGBl I Nr 111/2010, als verfassungswidrig aufzuheben."

3.1. Zu ihrer Antragslegitimation bringen die Antragstellerinnen im Wesentlichen vor, dass ihnen ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der als ver­fassungswidrig gerügten Vorschriften nicht offen stehe. Insbesondere bestehe der in VfSlg 19.674/2012 noch möglich gewesene Umweg der Be­antragung einer gerichtlichen Protokollierung seit der Novellierung des §8 FMedG durch BGBl I 111/2010 nicht mehr.

3.2. Ihre Bedenken in der Sache legen die Antragstellerinnen wie folgt dar:

"11. Das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (nur) für gleich­geschlechtliche Paare ist grundrechtswidrig (so auch Bernat RdM 2011 Heft 3, Entscheidungsbesprechung zu OGH 22.03.2011, 3 Ob 147/10d, und Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR 2001 §8 EPG Rz 6; vgl. auch Graupner, Sexuelle Orientierung im europäischen Recht, RZ2009 178-184; Graupner, Gay Rights, Max Planck Encyclopedia of Public International Law 2011 Rz 7-28), was im Folgenden näher begründet wird.

12. Für heterosexuelle (auch unverheiratete) Paare gilt das unter I. angeführte Verbot nicht. Sie können medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch nehmen. Lesbische Paare können das nicht, weil sie gleichen Geschlechts sind.

13. Die Norm differenziert daher (direkt) auf Grund des Geschlechts und (indirekt) auf Grund der sexuellen Orientierung.

14. Die Ungleichbehandlung von unverheirateten verschiedengeschlechtlichen Paaren auf der einen Seite und unverheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren auf der anderen Seite (ebenso wie die Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Partnerinnen; vgl. dazu EuGH: Maruko v VdBB 2008, Jürgen Römer v. Stadt Hamburg 2011) ist gleichheitswidrig. Sie verstößt gegen Art2 StGG, Art7 B‑VG und Art14 iVm 8 EMRK.

15. Medizinisch unterstützte Fortpflanzung und deren gesetzliche Regelung und Beschränkung fallen in den Anwendungsbereich des Art8 EMRK, weshalb Un­gleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung den Anforderungen des Art14 EMRK zu entsprechen haben (vgl. mutatis mutandis: EGMR: Fretté vs. France 2002; E.B. vs. France 2008; X et al. vs. Austria (GC) 2013).

16. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unmissverständlich ausgesprochen, dass Diskriminierungen von (unverheirateten) gleichgeschlecht­lichen Paaren gegenüber (unverheirateten) verschiedengeschlechtlichen Paaren mit Art14 EMRK nicht vereinbar und daher unzulässig sind (EGMR: Karner vs. Austria, 2003; Kozak v. POL 2010; P.B: & J.S. vs. A2010; J.M. v. UK 2010; X et al. vs. Austria (GC) 2013; ebenso der UN-Menschenrechtsausschuss in Young v. AUS 2003; X. v Colombia 2007).

17. Gleichgeschlechtlich l(i)ebende Menschen sind, wie es die Parlamentarische Versammlung des Europarates treffend formulierte, Opfer jahrhundertealter Vorurteile. Die Aufhebung sämtlicher diskriminierender Bestimmungen ist mittlerweile eine Voraussetzung für die Aufnahme neuer Mitglieder in den Europarat und in die Europäische Union, und die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung wieder­holt als 'besonders abscheulich' und als 'eine der abscheulichsten Formen von Diskriminierung' verurteilt.

18. Nach der heute ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die sexuelle Selbstbestimmung ein zentrales Schutzgut der Europäischen Menschenrechtskonvention und Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung inakzeptabel.

19. Der Gerichtshof erachtet solche Diskriminierung als ebenso schwerwiegend wie Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, der Religion, der Rasse, Haut­farbe oder der ethnischen Herkunft und verlangt für die Rechtfertigung von Differenzierungen auf Grund der sexuellen Orientierung dementsprechend besonders schwerwiegende Gründe. Der Ermessenspielraum der Staaten ist eng und Unterscheidungen, die ausschließlich auf der sexuellen Orientierung be­ruhen, sind verbotene Diskriminierung.

20. Unterschiedliche Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebenssachverhalte einerseits und verschiedengeschlechtliche andererseits müssen für die Erfüllung eines legitimen Zieles notwendig sein, bloße Plausibilität, Vernünftigkeit, Sach­lichkeit oder die bloße Eignung das Ziel zu erreichen, genügen nicht. Unter­scheidungen sind, wie bei Geschlecht, der Religion, der Rasse, Hautfarbe und ethnischer Herkunft nur zulässig, wenn diese Unterscheidungen wirklich not­wendig ('necessary') sind, insb. wenn es um ungleiche Behandlung homo- und heterosexueller Lebensgemeinschaften geht.

21. Vorurteile einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit können, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, eben­so­wenig eine ausreichende Begründung für Eingriffe in die Rechte homo- und bisexueller Menschen bieten, wie ähnlich negative Einstellungen gegenüber Menschen anderer Rasse, Herkunft oder Hautfarbe. Die Ausübung der Grund­rechte durch eine (homosexuelle) Minderheit darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Mehrheit diese Ausübung akzeptiert.

22. Die Gesetzesmaterialien geben keinerlei Begründung für das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung für Frauen, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften leben. Angeführt wird lediglich, dass dies im Be­gut­achtungsverfahren (von wem? begründet?) gefordert worden sei (RV 485 Blg.‑NR XXIV. GP; kritisch dazu auch Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR 2001 §8 EPG Rz 6). Diese 'Begründung' gibt lediglich die Meinung jener wieder, die einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung für Frauen, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften leben, negativ gegenüber stehen, ohne auch nur ansatz­weise eine Notwendigkeit aus besonders schwerwiegenden Gründen darzulegen (so auch der EGMR in X et. al. vs. Austria (GC) 2013, par. 143).

23. Eine Notwendigkeit (!) (zur Erreichung welchen legitimen Zieles?) zur Benach­teiligung (unverheirateter) gleichgeschlechtlicher Paare gegenüber (unver­heirateten) verschiedengeschlechtlichen Paaren (bzw. eingetragener gegenüber verheirateten Paaren) besteht in keiner Weise, zumal der EGMR auch betont hat, dass der Gesellschaft ein gewisses Maß an Unannehmlichkeiten zuzumuten ist, um dem Einzelnen ein Leben in Würde und im Einklang mit seiner sexuellen Identität zu ermöglichen.

24. Zudem hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare ('genauso wie ein verschiedengeschlechtliches Paar') Familie sind (ebenso Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR 2001 §1 EPG Rz 6) und den grund­rechtlichen Schutz des Familienlebens nach Art8 MRK genießen sowie dass das Recht auf Eheschließung gem. Art12 Abs1 EMRK auch auf gleich­geschlechtliche Paare Anwendung findet.

25. Das der Beschränkung auf Ehen und Lebensgemeinschaften zu Grunde liegende Ziel, medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in stabilen Partnerschaften zuzulassen, kann auch erreicht werden, ohne zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren zu differenzieren.

26. Das Verbot nur für gleichgeschlechtliche Paare verletzt daher die o.a. ver­fassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte (so auch Bernat RdM 2011 Heft 3, Entscheidungsbesprechung zu OGH 22.03.2011, 3 Ob 147/10d, und Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR 2001 §8 EPG Rz 6; vgl. auch Graupner, Sexuelle Orientierung im europäischen Recht, RZ2009 178-184; Graupner, Gay Rights, Max Planck Encyclopedia of Public International Law 2011 Rz 7-28).

27. Der im vorliegenden Verfahren zu prüfende Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von den Möglichkeiten medizinisch unterstützter Fortpflanzung unterliegt zudem in zweifacher Hinsicht einem besonders strengen Rechtfertigungsbedarf.

28. Dass Differenzierungen auf Grund des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung aus besonders schwerwiegenden Gründen zur Erreichung eines legitimen Zieles notwendig (und nicht bloß plausibel, vernünftig oder sachlich) sein müssen, wurde vorhin ausführlich dargelegt.

29. Hinzu kommt noch, dass der Wunsch nach einem Kind ein besonders wichtiger Aspekt der Existenz oder Identität einer Person ist, was den Ermessenspielraum des Staates ebenfalls stark einschränkt und für Ein­schränkungen der Realisierung des Kindeswunsches erhöhte Begründungs­anforderungen auferlegt (S.H. gg. Österreich 2010).

30. Die angefochtene Bestimmung verbietet lesbischen Paaren die Fortpflanzung völlig. Eine Verweisung dieser Paare – entgegen ihrer sexuellen Orientierung und ihrer, im Falle einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft, monogamen rechtlich besiegelten Partnerschaft – auf einen Sexualverkehr mit einem Mann wäre menschenverachtend und scheidet daher aus. Bleibt also lediglich die von der österreichischen Rechtsordnung Paaren grundsätzlich eröffnete Möglichkeit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung. Gerade diese wird gleichgeschlecht­lichen Paaren gesetzlich per Strafandrohung verboten. Die angefochtene Be­stimmung verunmöglicht daher lesbischen Frauen die Fortpflanzung; und dies auch noch aufgrund ihres und des Geschlechtes ihrer Partnerin und ihrer sexuellen Orientierung.

31. Aufgrund dieser zweifach erhöhten strengen Begründungsanforderung kann die angefochtene Gesetzesbestimmung nur durch ganz besonders schwer­wiegende Gründe gerechtfertigt werden, die den Ausschluss der Antragstellerinnen und anderer gleichgeschlechtlicher Paare von medizinisch unterstützter Fortpflanzung absolut notwendig zur Verwirklichung eines legitimen Zieles machten.

32. Dies ist weder erkennbar noch vermag der Gesetzgeber solche Gründe dar­zulegen.

33. Wird lesbischen Frauen der Zugang zu Samenspenden verweigert, so müsste der Gesetzgeber nachweisen, dass es für das Kind besser wäre, GAR NICHT GEBOREN ZU WERDEN, als als Kind einer Frau, die mit einer Frau in einer Partnerschaft lebt (so auch Bernat RdM 2011 Heft 3, Entscheidungsbesprechung zu OGH 22.03.2011, 3 Ob 147/10d).

34. In Fretté v. France und in E.B. v. France bestand zumindest die theoretische Möglichkeit, dass das (potentiell zu adoptierende) Kind einem 'idealen' ver­heirateten heterosexuellen Paar zugewiesen werden kann.

35. In Fällen der Insemination von Frauen in einer lesbischen Partnerschaft hin­gegen wird das Kind (als Kind der einen oder anderen Partnerin) geboren oder gar nicht! WIE KANN DAS NICHTGEBORENWERDEN IM INTERESSE DES KINDES­WOHLS SEIN?! (ebenso Bernat RdM 2011 Heft 3, Entscheidungsbesprechung zu OGH 22.03.2011, 3 Ob 147/10d).

36. Wie der OGH ([Beschluss] 19.12.2012 3 Ob 224/12 = VfGH G16/13) zutreffend ausführt, ist es nicht zu rechtfertigen, dass eine in einer lesbischen Partnerschaft lebende Frau zwar ein Kind adoptieren darf (so ausdrücklich §195 Abs1 Z2 ABGB), dieselbe Frau jedoch unter Strafandrohung von der Empfängnis eines eigenen Kindes (das sonst nie geboren wird!) mittels einer Samenspende ausge­schlossen wird. (Auch) für diese Ungleichbehandlung gibt es keine sinnvolle Begründung (beachte das Gebot der Kohärenz der innerstaatlichen Rechts­ordnung: X et. al. vs. Austria (GC) 2013, par. 144). Die österreichische Rechtsordnung akzeptiert somit, dass ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Familie aufwächst und geht davon aus, dass dies für ein Kind nicht nachteilig ist (so ausdrücklich der EGMR in X et. al. vs. Austria (GC) 2013, par. 144).

37. Das Recht, ein fremdes Kind zu adoptieren, ist lesbischen Frauen (auch wenn sie in einer Partnerschaft mit einer anderen Frau leben) grundrechtlich verbürgt (EGMR: E.B. v. France 2008). Wie kann es dann sachlich gerechtfertigt (ge­schweige denn notwendig) sein, ihnen die Geburt eines eigenen Kindes zu verbieten?!

38. Das Land Niederösterreich erachtet gleichgeschlechtliche Familien sogar als besonders förderungswürdig. Das Nö Familiengesetz fördert gleichgeschlecht­liche Familien genauso wie verschiedengeschlechtliche. Sind die Partner/innen nicht verpartnert so erfolgt die Förderung gem. §3 als (nicht nach dem Geschlecht differenzierte) Lebensgemeinschaft. Und gleichgeschlechtliche Familien, bei denen die Partner/innen eingetragen sind, wurden mit Beschluss des Nö Landtags vom 14.04.2011 den ehelichen Familien gleichgestellt (§3a), welche Novelle am 20.06.2011 im LGBl veröffentlicht wurde und am 01.07.2011 in Kraft getreten ist.

39. Auch das Kärntner Familienförderungsgesetz schützt und fördert gleich­geschlechtliche Familien als 'Grundlage der menschlichen Gesellschaft' (genauso wie verschiedengeschlechtliche) (§1 Abs1 & 2 K‑FFG).

40. Auch die im dg. Verfahren G47/11 eingeholte Stellungnahme der Bioethik­kommission bestätigt umfassend die obige Argumentation und die Verfassungs­widrigkeit der bekämpften Gesetzesbestimmung sowie, dass sich Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gleich gut entwickeln wie in ver­schieden­geschlechtlichen. Diese Stellungnahme hat die Bioethikkommission des Bundes­kanzleramtes mit einer Mehrheit von mehr als ¾ seiner Mitglieder (!) gefällt und späterhin in seiner Stellungnahme zur Reform des Fortpflanzungs­medizinrechts vom 02. Juli 2012 bekräftigt (http://www.bka.gv.at/site/3458/default.aspx)

41. Obwohl die abweichende Minderheit der Bioethikkommission weniger als ein Viertel seiner Mitglieder ausmacht und diese Minderheit aus Theologen, Internisten, Krebsforschern und Juristen besteht (kein Psychiater, Psychologe etc.), sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber auf ihre abweichende Stellungnahme eingegangen.

42. Zu dieser Minderheitsmeinung ist vorerst anzumerken, dass der Ermessens­spielraum des nationalen Gesetzgebers im vorliegenden Fall nicht in Ent­sprechung der Entscheidung in S.H. gegen Österreich weit zu ziehen ist. Es geht nämlich hier nicht um die Frage, ob eine bestimmte Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung grundsätzlich eingeräumt werden soll oder nicht, sondern um eine Frage der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung. Nämlich um die Frage, ob eine Methode, die seit Jahr­zehnten grundsätzlich vom Gesetzgeber offen und zur Verfügung gestellt wird, manchen Frauen ausschließlich auf Grund ihres Geschlechtes und ihrer sexuellen Orientierung verweigert werden darf. Insbesondere geht es um die Frage, ob ein Recht, das Personen in einer ver­schiedengeschlechtlichen Partnerschaft zuge­standen wird, anderen Personen nur deshalb verweigert werden darf, weil sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. In einem solchen Fall ist der Ermessensspielraum des nationalen Gesetzgebers sehr eng und muss der Gesetzgeber beweisen, dass der Ausschluss zur Erreichung eines legitimen Zieles aus besonders schwer­wiegenden Gründen notwendig ist (Karner v A2003; Kozak v PL 2010, P.B. & J.S. v A2010, J.M. v UK 2010; X et. al. vs. Austria (GC) 2013).

43. Entgegen der Minderheit ist die Beseitigung der gesetzlichen Ungleich­behandlung bei der Zulassung zur Samenspende in keiner Weise automatisch auch mit der Verpflichtung des Staates zu einer finanziellen Förderung ver­bunden. Die Frage der finanziellen Förderung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und somit für die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der bekämpften Bestimmung irrelevant.

44. Wenn die Minderheit lesbische Frauen auf das Ausland verweist (S. 9), so ist darauf hinzuweisen, dass heterosexuellen Frauen in der gleichen Situation (zeugungsunfähiger Partner) die Vornahme im Ausland mit allen tatsächlichen, rechtlichen und finanziellen Schwierigkeiten eben gerade nicht zugemutet wird.

45. Zur Leihmutterschaft (S. 9f) sei darauf verwiesen, dass diese weder Gegen­stand des vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren ist noch, wie die Samen­spende, eine seit Jahrzehnten in Österreich legale Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, die bestimmten Menschen ausschließlich auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung vorent­halten wird.

46. Wenn die Minderheit ausführt, dass trotz der zahllosen Studien, die 'keine alarmierenden Ergebnisse im Sinne von Schäden für das Kindeswohl' geliefert haben, gewisse Unsicherheiten bestünden (S. 10), so ist auf die oben angeführte Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, wonach Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung, insbesondere zwischen Personen in nicht ehelichen verschiedengeschlechtlichen und nicht ehelichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen zur Erfüllung eines legitimen [Zieles] aus besonders schwerwiegenden Gründen notwendig sein müssen. Selbst wenn man hier also noch gewisse Unsicherheiten und Zweifel hätte (die, wie von den mitbe­teiligten Parteien und der Bioethikkommission ausführlich dargelegt, nicht be­rechtigt sind), so wäre die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Im Zweifel kommt der Gleichbehandlung und nicht der Diskriminierung der Vorrang zu. Auch die Minderheit legt keine Notwendigkeit dar, zwischen unverheirateten heterosexuellen und unverheirateten homosexuellen Paaren zu unterscheiden, zumal auch Partner/innen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen (als Einzel­personen) Kinder adoptieren dürfen. Warum dieselben Personen dann nicht selbst ein Kind durch eine Samenspende empfangen dürfen, begründet auch die Minderheit nicht. Mit der Aufhebung der bekämpften Gesetzesbestimmung ist ja zudem in keiner Weise eine rechtliche (Co‑)Elternschaft der Partnerin ver­bunden.

47. Das einzige Argument, das die Minderheit anführt, warum Adoption (und Pflegeelternschaft) erlaubt, die (medizinisch unterstützte) Samenspende aber verboten sein soll, ist, dass adoptierte und in Pflege gegebene Kinder schon geboren sind während es bei der Samenspende darum geht zu verhindern, dass ein Kind geboren wird (S. 12 oben). Die Minderheit sagt also, es sei für ein Kind besser, nicht geboren zu werden als als Kind einer lesbischen Mutter! Ein Argument, [das] die Dame und die fünf Herren der abweichenden Minderheit in anderen Zusammenhängen bekanntlich vehement als menschenwürdever­letzend zurückweisen würden.

48. Der Minderheit muss auch entgegengetreten werden, wenn sie in den Raum stellt, dass homosexuelle Partnerschaften weniger stabil wären als hetero­sexuelle (S. 11). Das Gegenteil ist der Fall. Die Trennungsraten bei gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaften sind sogar geringer als bei traditionellen verschiedengeschlechtlichen Ehen.

49. In Dänemark liegt die Scheidungsrate für homosexuelle Paare bei 17% gegenüber 46% für heterosexuelle Paare (Blg. ./4). In England & Wales beträgt nach jeweils 2, 3 und 4 Jahren Partnerschaft die Scheidungsrate bei homo­sexuellen eingetragenen Paaren weniger als die Hälfte als bei heterosexuellen Ehepaaren (Blg. ./5, S. 15f, 28). Auch in Deutschland liegt die Scheidungsrate bei eingetragenen Lebenspartnerschaften deutlich unter jener der verheirateten heterosexuellen Paare (Blg. ./6-./8). Selbst in Großstädten ist sie gering. So be­trägt die Scheidungsrate bei eingetragenen Partnerschaften beispielsweise in München 10% (Blg. ./6) und in Hamburg 8% (2009) (Blg. ./7) bzw. 9,8% (2011) (Blg. ./8), gegenüber einer Scheidungsrate von rund 40% bei heterosexuellen Ehepaaren (Blg. ./6, ./7). Auch in Tschechien liegt die Scheidungsrate bei homo­sexuellen eingetragenen Paaren bei nur 3,8% während die Scheidungsrate bei heterosexuellen Ehepaaren eine der höchsten in ganz Europa ist (Blg. ./9).

50. Auch die eine einzige Studie, auf die sich die Minderheit bezieht (S. 11 […]), stützt nicht deren Argument. Vielmehr findet sich dieser (im europäischen Vergleich) atypische Befund für Schweden (nicht aber für Norwegen, vgl. Blg. ./10, S. 89-94), nur dann, wenn man alle hetero- und homo­sexuellen Paare gesamthaft vergleicht. Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass der (in Europa atypische) Unterschied in den Scheidungsraten darauf zurückzu­führen ist, dass weit mehr heterosexuelle als homosexuelle Paare mit Kindern leben. Kinderlose heterosexuelle Ehepaare weisen die gleiche höhere Scheidungsrate auf wie homosexuelle Paare ohne Kinder (Blg. ./10, S. 93), wobei die Scheidungsraten in Schweden generell niedriger sind als in anderen Ländern wie bspw. in den USA (Blg. ./10, S. 95). In einer neueren Studie konstatieren die Autoren dementsprechend sowohl die Zunahme von gleichgeschlechtlichen (insb. lesbischen) Ehepaaren mit Kindern (Blg. ./11, S. 14f 'become much more common to become a parent while living in a same-sex marriage … upsurge in childrearing and childbearing in same-sex unions') als auch eine zunehmende Angleichung der Scheidungsraten, insb. deren Sinken bei lesbischen Paaren (Blg. ./11, S. 12 'divorce risk … decreased for female same-sex unions'). Zudem betonen die Autoren, dass eine erhöhte Scheidungsrate in einer Gruppe nicht als Beleg für eine geringere Beziehungsqualität in dieser Gruppe missverstanden werden darf (Blg. ./11, S. 96).

51. Ergänzend sei angemerkt, dass sich in Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und Finnland sowie in den USA gezeigt hat, dass die Einführung von Partnerschaftsgesetzen für gleichgeschlechtliche Paare sogar mit einem Anstieg der Eheschließungsraten bzw. einem Sinken der Scheidungsraten bei hetero­sexuellen Ehepaaren korreliert (Blg. ./11, S. 16f; Blg. ./12).

52. Schließlich können Scheidungsratenstatistiken schon deshalb nicht die er­forderlichen besonders schwerwiegenden Gründe liefern, die den Ausschluss lesbischer Frauen von der medizinisch unterstützten Samenspende notwendig machten, weil das österreichische Gesetz diese Samenspende auch Frauen in verschiedengeschlechtlichen nichtehelichen Lebensgemeinschaften eröffnet, die jederzeit von jedem der beiden Partner einseitig und begründungslos beendet werden können.

53. Insoweit die Minderheit mit dem Recht des Kindes argumentiert, seine Elternteile zu kennen (S. 13), so sei darauf verwiesen, dass §20 Abs2 FMedG ebendieses Recht des Kindes garantiert und eine solche Garantie gerade bei Vornahme im Ausland, auf die die Minderheit lesbische Frauen verweisen möchte (S. 9), nicht gegeben ist, zumal das FMedG nur bei Vornahme in Österreich zur Anwendung kommt (VfGH 14.12.2011, B13/11) und der EGMR es den Mitgliedstaaten freistellt, ob sie einem Kind das Recht einräumen, die Identität eines anonym bleiben wollenden Elternteils zu erfahren (Odièvre v F[GC] 2003).

54. Bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung des faktischen Fortpflanzungs­verbots für lesbische Frauen kann es auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die österreichische Bevölkerung der gleichgeschlechtlichen Elternschaft extrem positiv gegenüber steht. Sogar der Adoption von Kindern durch ein homo­sexuelles Paar stimmen in der Union nur die Niederländer und die Schweden in noch […] größerem Maß zu als die Österreicher (Blg. ./10, S. 26). Knapp die Hälfte der Österreicher befürwortet die gemeinsame Paaradoption. Und das war 2006. Es liegt auf der Hand, dass die Zustimmung in der Zwischenzeit erheblich ge­stiegen ist und die Meinung zu Stiefkindadoption und zum faktischen [Fortpflanzungsverbot] für lesbische Frauen überdies noch deutlicher ausfällt. Dementsprechend zeigt eine aktuelle Umfrage 57% Zustimmung zur gemein­samen Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare (Blg. ./14). Nicht die öster­reichische Bevölkerung hat ein Problem mit der gleichgeschlechtlichen Eltern­schaft sondern Teile der Politik.

55. Die abschließenden Anmerkungen der abweichenden Minderheit, die sich grundsätzlich gegen die medizinisch unterstützte Fortpflanzung mittels einer Samenspende eines Dritten richten (S. 13), betreffen die grundsätzliche Diskussion, ob diese Methode seitens des Staates erlaubt werden soll oder nicht, kann jedoch in keiner Weise einen Ausschluss bestimmter Menschen von einer grundsätzlich zugelassenen Methode ausschließlich auf Grund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung rechtfertigen.

56. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die (einstimmige) Empfehlung (2007) 17 des Ministerkomitees des Europarates vom 21.11.2007, in der es heißt:

'both women and men must have a non-negotiable right to decide over their own body, including sexual and reproductive matters. Such acknowledgement must be reflected in the development, implementation, access to, monitoring and evaluation of health-care services and in research priorities' (principle 44)

57. Mit dieser Empfehlung hat der Europarat überdies sowohl die Gleich­be­handlung gleich- und verschiedengeschlechtlicher unverheirateter Paare einge­fordert wie auch die Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher einge­tragener Paare mit Ehepaaren:

'23. Where national legislation confers rights and obligations on unmarried couples, member states should ensure that it applies in a non-discriminatory way to both same-sex and different-sex couples, including with respect to survivor’s pension benefits and tenancy rights.

24. Where national legislation recognises registered same-sex partnerships, member states should seek to ensure that their legal status and their rights and obligations are equivalent to those of heterosexual couples in a comparable situation.' (Blg. ./15; Blg. ./16, par. 23f)

58. Am 19. Februar 2013 hat die Große Kammer des EGMR ihr Urteil im Fall X et. al. vs Austria verkündet, das in mehrfacher Hinsicht bahnbrechend ist:

- Die Ungleichbehandlung unverheirateter gleich- und verschiedengeschlecht­licher Paare bei der Stiefkindadoption verstößt gegen die EMRK

- Mutter, Stiefmutter und Kind sind eine Familiengemeinschaft, die als Familie Opfer der Konventionsverletzung wurde, weshalb ihnen der EGMR den im­materiellen Schadenersatz als Gemeinschaft zuspricht (par. 127, 157)

- Die Beweislast für eine Notwendigkeit zur Differenzierung aus besonders schwerwiegenden Gründen trifft den Staat (par. 141)

- Es gibt nicht nur einen Weg oder eine Wahl, sein Familien- oder Privatleben zu leben (par. 139)

- Keine Hinweise dafür, dass es für ein Kind nachteilig wäre, von einem gleich­geschlechtlichen [Paar] aufgezogen zu werden oder zwei rechtliche Väter oder zwei rechtliche Mütter zu haben (par. 142, 144, 146, 151)

- Auch die abweichende Minderheit konzedierte, dass das gleichgeschlechtliche Paar mit dem Kind eine Familie bildet (par. 2) und dass das Kind von dem lesbischen Paar gut aufgezogen wurde (par. 2 & 10). In diesem Punkt ist das Urteil der Großen Kammer sogar einstimmig!

59. Am 24. Februar 2012 hat auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) ein richtungweisendes Urteil gefällt, in dem er die Diskriminierung von homosexuellen Menschen im Zusammenhang mit der Pflege und Erziehung von Kindern mit deutlichen Worten zurückgewiesen hat (Atala Riffo & Daughters v Chile). Insbesondere ist der Gerichtshof dem Argument der potentiellen sozialen Diskriminierung der Kinder nachdrücklich entgegengetreten und hat betont, dass die Menschenrechte nicht nur die traditionelle Familie schützen (par. 119-121, 141-145).

60. Am 19.02.2013 hat zudem das deutsche Bundesverfassungsgericht das Ver­bot der Sukzessivadoption durch gleichgeschlechtliche Paare (und damit de facto das Verbot der gemeinsamen Adoption von Kindern) für grundgesetzwidrig erklärt und festgehalten, dass es keinen sachlichen Grund für eine unterschied­liche Behandlung homo- und heterosexueller Paare im Kindschafts- und Adoptionsrecht gibt (BVerfG, 1 BvL 1/11 19.02.2013, http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html)

61. Lesbischen Frauen die einzige zumutbare Fortpflanzungsmöglichkeit zu ver­schließen (überdies unter Strafandrohung) stellt sohin eine schwere Menschen­rechtsverletzung dar (Art7 B‑VG, Art2 StGG, Art8 & 14 EMRK)."

Ferner enthält der Antrag eine nähere Begründung des Umfangs des Auf­hebungsbegehrens.

4. Die Bundesregierung hat sich an den beiden Verfahren trotz Aufforderung zur Äußerung nicht beteiligt.

5. Die Revisionsrekurswerberinnen vor dem Obersten Gerichtshof erstatteten eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des Obersten Gerichtshofes an­schließen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Die §§1 und 3 in der Stammfassung des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden (Fortpflanzungs­medizingesetz – FMedG), BGBl 275/1992, sowie §2 FMedG idF BGBl I 135/2009, lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Begriffsbestimmungen

§1. (1) Medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist die Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwanger­schaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr.

(2) Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung im Sinn des Abs1 sind insbesondere

1. das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau,

2. die Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau,

3. das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau und

4. das Einbringen von Eizellen oder von Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau.

(3) Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus ent­wickelte Zellen anzusehen."

"Zulässigkeit

§2. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig.

(2) Sie ist ferner nur zulässig, wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Er­fahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbei­führung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos ge­wesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist.

(3) Samen, Eizellen, Hoden- oder Eierstockgewebe dürfen auch für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung entnommen und aufbewahrt werden, wenn ein körperliches Leiden oder dessen dem Stand der Wissenschaft ent­sprechende Behandlung eine ernste Gefahr bewirkt, dass eine Schwangerschaft nicht mehr durch Geschlechtsverkehr herbeigeführt werden kann."

"§3. (1) Für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung dürfen nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden.

(2) Für die Methode nach §1 Abs2 Z1 darf jedoch der Samen eines Dritten verwendet werden, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fort­pflanzungsfähig ist.

(3) Eizellen und entwicklungsfähige Zellen dürfen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen."

2. §8 Abs1 FMedG in der Fassung BGBl I 163/2004 (vor dem Budget­begleitgesetz 2011) lautete (später aufgehobener Teil hervorgehoben):

"Zustimmung

§8. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren schriftlicher Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muß die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts."

Durch Art20 Z2 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 111/2010, wurde in §8 Abs1 jeweils die Wortfolge "eines gerichtlichen Protokolls oder" aufgehoben. Das am 30. Dezember 2010 ausgegebene Gesetz enthielt zu dieser Änderung in Art39 Abs6 Budgetbegleitgesetz 2011 folgende Übergangsbestimmung:

"(6) Art20 (FMedG) in der Fassung dieses Bundesgesetzes ist anzuwenden, wenn die Beratung oder die Zustimmung nach dem 30. April 2011 erteilt wird."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung ver­bundenen Anträge – erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsent­scheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag auf Auf­hebung einer generellen Norm nur dann mangels Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – ange­fochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antrag­stellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.1.1. Gegenstand des gerichtlichen Anlassverfahrens ist die erstgerichtliche Versagung der gerichtlichen Protokollierung der gemäß §8 Abs1 FMedG er­forderlichen Zustimmungserklärung mit der Begründung, dass medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur bei verschiedengeschlechtlichen, nicht aber auch bei gleich­geschlechtlichen Lebensgefährten zulässig sei.

1.1.2. Die Erwägungen des Obersten Gerichtshofes zur Präjudizialität der ange­fochtenen Bestimmungen, insbesondere seine Auslegung der Übergangsbe­stimmung des Art39 Abs6 Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 111/2010, und die daran geknüpften verfassungsrechtlichen Über­legungen sind nicht denkun­möglich; der Verfassungsgerichtshof vermag ihnen daher nicht entgegenzu­treten. Der Hauptantrag ist im Hinblick auf seinen Umfang nunmehr ausreichend weit gezogen (VfSlg 19.674/2012).

1.2. Der zu G44/2013 protokollierte Individualantrag ist teilweise zulässig:

Der von den beteiligten Parteien zu G16/2013 eingeschlagene Weg des Antrages auf eine gerichtliche Protokollierung der Zustimmung gemäß §8 Abs1 FMedG ist seit der Novellierung dieser Bestimmung mit 1. Mai 2011 ver­schlossen.

Die §§2 und 3 FMedG intendieren nach Wortlaut und Gesetzessystematik, in die Privatsphäre von Männern und Frauen – soweit es um die Erfüllung eines Kinderwunsches durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung geht – unmittelbar regulierend einzugreifen. Die Antragstellerinnen zu G44/2013 führen dazu Folgendes aus:

"Die beiden Antragstellerinnen sind homosexuell. Seit zehn Jahren leben sie in umfassender und dauerhafter Lebensgemeinschaft, die ebenso wie eine eheliche Gemeinschaft von gegenseitigem Einstehen und Beistand sowie gegenseitiger Verantwortung, Zuwendung und Fürsorge geprägt ist, auf tiefen inneren Bindungen beruht und das zeitgleiche Vorliegen einer zweiten solchen Gemeinschaft ausschließt.

[…] Die Erstantragstellerin möchte durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung des Samens eines Dritten ein Kind empfangen. Die Zweit­antragstellerin stimmt dieser medizinisch unterstützten Fortpflanzung an der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten ausdrücklich zu. Die beiden Antragstellerinnen haben über ihre Zustimmung den gem. §8 FMedG geforderten Notariatsakt errichtet (Blg. ./1)."

1.3. Die Antragstellerinnen haben damit ausreichend dargetan, dass sie die ernsthafte Absicht haben, in ihrer Lebensgemeinschaft ein von der Erstantrag­stellerin geborenes Kind aufzuziehen. Soweit dem die angefochtenen Be­stimmungen des FMedG entgegenstehen, greifen sie aktuell in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen ein.

1.4. Wie der Verfassungsgerichtshof aber bereits in VfSlg 19.674/2012 ausge­führt hat, geht der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu den Prozessvoraus­setzungen von Normenkontrollverfahren stets vom Grund­gedanken aus, dass ein solches Verfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. zB VfSlg 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008). Unzulässig ist ein Antrag daher auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Auf­hebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 13.299/1992, 14.740/1997, 16.191/2001, 19.496/2011).

1.4.1. Soweit die Antragstellerinnen in ihrem Hauptantrag die Wortfolge "von Personen verschiedenen Geschlechts" in §2 Abs1 FMedG und in ihrem ersten Eventualantrag §2 Abs1 FMedG zur Gänze anfechten, sind diese Anträge aus den bereits in VfSlg 19.674/2012 dargelegten Gründen zu eng gefasst und daher als unzulässig zurückzuweisen.

1.4.2. Der auf Aufhebung sowohl der Wortfolge "von Personen ver­schiedenen Geschlechts" in §2 Abs1 FMedG als auch der Vorschriften des §2 Abs2 und §3 Abs1 und 2 FMedG gerichtete Eventualantrag ist demgegenüber – ident mit jenem zu G16/2013 – aus den oben dargelegten Gründen zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Ver­fahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der von der antragstellenden Partei aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.1.1. Der Oberste Gerichtshof hegt Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Ungleichbehandlung in Bezug auf die Erfüllung des Kinderwunsches zwischen Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften einerseits und Ehegatten oder Lebensgefährten verschiedenen Geschlechts andererseits sowie im Hinblick auf eine mögliche Verschieden­behandlung dieser Personen im Vergleich zu den Regelungen der Adoption.

2.1.2. Nach der oben dargestellten Rechtslage können Frauen in gleich­geschlecht­lichen Lebensgemeinschaften nicht auf medizinisch unterstütztem Wege ein Kind bekommen. Der Erfüllung eines Kinderwunsches auf diesem Wege stehen die angefochtenen Bestimmungen entgegen. Auf der Ebene des Gleich­heitssatzes bedeutet dies, dass verschiedengeschlechtliche Lebens­gemein­schaften einerseits und gleichgeschlechtliche Lebensgemein­schaften von Frauen andererseits ungleich be­handelt werden.

2.1.3. Der Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetz­geber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitssatz nicht ver­wehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

2.1.4. Gemäß Art8 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Eingriffe in das in diesem Artikel verbürgte Grund­recht sind nur statthaft, insoweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.1.5. Gemäß Art14 EMRK ist der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.

2.1.6. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschen­rechte, der der Verfassungsgerichtshof gefolgt ist, fallen gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht nur unter den Begriff des "Privatlebens", sondern, wenn die Personen in einer gleichgeschlechtlichen de facto-Partner­schaft in einem gemeinsamen Haushalt leben, auch unter den Schutz des "Familienlebens" nach Art8 Abs1 EMRK (s. EGMR 24.6.2010, Fall Schalk und Kopf, Appl. 30.141/04, EuGRZ2010, 445 [Z94]; 22.7.2010, Fall P.B. und J.S., Appl. 18.984/02, newsletter 2010, 240 [Z30]; 19.2.2013, Fall X ua., Appl. 19.010/07, [Z95]; VfSlg 19.623/2012; VfGH 19.06.2013, G18, 19/2013).

2.1.7. Der Wunsch, ein Kind zu haben und sich zu diesem Zweck natür­licher oder medizinisch unterstützter Methoden der Fortpflanzung zu bedienen, unter­liegt nach herrschender Lehre und Rechtsprechung als Teil des Privatlebens ebenso dem Schutzbereich des Art8 EMRK (s. dazu mwN Wiederin, Art8 EMRK, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 42 sowie VfSlg 15.632/1999; EGMR 3.11.2011, Fall S.H. ua., Appl. 57.813/00, RdM 2012, 70 [Z82]).

2.1.8. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschen­rechte (EGMR 24.7.2003, Fall Karner, Appl. 40.016/98, newsletter 2003, 214 [Z37]; 22.7.2010, Fall P.B. und J.S., Appl. 18.984/02, newsletter 2010, 240 [Z38]) und des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 17.659/2005, 19.492/2011, 19.623/2012, zuletzt VfGH 19.6.2013, G18, 19/2013) müssen besonders über­zeugende und schwerwiegende Gründe ("particularly convincing and weighty reasons") vorliegen, um eine am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung anknüpfende Differenzierung nicht als Diskriminierung und damit Verletzung des Art14 EMRK iVm einem einschlägigen Konventionsrecht zu erweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen Grund­satz jüngst erneut bekräftigt (EGMR 7.11.2013, Fall Vallianatos ao., Appl. 29.381/09 und 32.684/09, [Z77]).

2.2. Die Anträge wenden sich gegen jene Bestimmungen des FMedG, welche dazu führen, dass auch jene Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, bei welcher eine Samenspende unmittelbar in den Körper einer Frau eingebracht wird (artifizielle intrauterine Insemination), nur auf (Ehen und) verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften und überdies auf Fälle, in denen der Mann zeugungsunfähig ist, beschränkt wird.

2.3. Die vom Obersten Gerichtshof nach den Maßstäben des Art8 EMRK und des Gleichheitssatzes (Art7 Abs1 B-VG) als verfassungswidrig erachtete Rechtslage lässt eine derartige Insemination nur in einer Ehe oder Lebens­gemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts (§2 Abs1 FMedG) und nur unter der allgemeinen Voraussetzung des §2 Abs2 FMedG zu,

"wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist."

Schließlich ordnet §3 Abs2 FMedG im Besonderen an, dass für die hier in Rede stehende Methode des Einbringens von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau iS des §1 Abs2 Z1 FMedG der Samen eines Dritten nur verwendet werden darf, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist. Die Zu­lässigkeit einer artifiziellen heterologen Insemination setzt also voraus, dass die Frau in einer Ehe oder (verschiedengeschlechtlichen) Lebensgemein­schaft lebt, bei ihrem männlichen Partner jedoch Fertilitätsprobleme vorliegen, die die Herbeiführung einer Schwangerschaft auf natürlichem Wege medizinisch als aussichtslos erscheinen lassen.

2.4. Diese vom Obersten Gerichtshof und von den Antragstellerinnen bekämpften Regelungen des FMedG greifen – soweit sie die genannte Fortpflanzungs­methode nur unter den im FMedG genannten Voraussetzungen zulassen und damit Frauen, die über keinen Ehepartner bzw. Lebensgefährten verfügen oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft von Frauen leben, hievon schlechthin ausschließen – in den Schutzbereich des Art8 Abs1 EMRK ein. Der Oberste Gerichtshof macht ferner geltend, dass die mit den angefochtenen Regelungen bewirkte Differenzierung zwischen Ehen und verschieden­geschlechtlichen Lebensgemeinschaften einerseits und gleichgeschlechtlichen Lebens­gemeinschaften von Frauen andererseits gegen den Gleichheitssatz verstoße.

2.5. Die mit den vorliegenden Anträgen geltend gemachte Verfassungswidrig­keit wegen eines gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften diskriminierenden Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und Art8 EMRK (der Sache nach eine Ver­letzung des Art14 iVm Art8 EMRK) wird vom Obersten Gerichtshof und von den Antragstellerinnen zu G44/2013 darin gesehen, dass für den Fall des Fehlens eines männlichen Lebensgefährten für allein­stehende oder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft lebende Frauen im Inland kein von gesundheitlichen Voraussetzungen eines männlichen Partners un­ab­hängiger, legaler Zugang zu dieser Methode medizinisch unterstützter Fortpflanzung offen steht. Für den Obersten Gerichtshof ist ein so weitreichender Eingriff in den Schutzbereich des Art8 EMRK nicht durch Gründe hinreichenden Gewichts gerechtfertigt, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Kindes noch unter jenem des "Schutzes der Familie". Eine einge­tragene Partnerschaft biete mehr Stabilität als eine bloße Lebensgemeinschaft; zudem sei die Adoption auch durch allein­stehende Frauen und unabhängig von deren sexueller Orientierung zulässig.

2.6. Zu der Frage, ob es nach dem Maßstab des Art8 Abs2 EMRK und der Auslegung, die Art8 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts­hofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes erfahren hat, zu­lässig ist, die Anwendung der Methode der artifiziellen intrauterinen heterologen Insemination an Voraussetzungen zu knüpfen, wie sie in den ange­fochtenen Bestimmungen des FMedG enthalten sind (und dadurch allein­stehende Frauen und gleich­geschlechtliche Lebensgemeinschaften von Frauen davon ausschließen), oder ob der Gesetzgeber den ihm in diesen Fragen an sich zustehenden Beurteilungsspielraum damit überschritten hat, hat der Verfassungsgerichtshof Folgendes er­wogen:

2.6.1. Vorausgeschickt sei, dass der Oberste Gerichtshof zwar in seinem Antrag ausführt, dass auch alleinstehende Frauen von der von ihm als ver­fassungswidrig erachteten Regelung nachteilig betroffen seien, insoweit enthält der Antrag aber weder eine eigenständige Argumentation, noch bieten der Aus­gangsfall des Obersten Gerichtshofes und der zu G44/2013 protokollierte Individualantrag, welche eine einge­tragene Partnerschaft zweier Frauen bzw. – nach dem Vorbringen im Antrag – eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft zweier Frauen betreffen, Anlass dazu, sich mit der Frage zu befassen, ob für allein­stehende Frauen dieselben oder andere Erwägungen zu gelten hätten. Im Folgenden werden daher – den vorgetragenen Bedenken ­folgend – die in Rede stehenden Beschränkungen des FMedG ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des bewirkten Ausschlusses gleich­geschlechtlicher Lebensgemeinschaften von Frauen untersucht.

2.6.2. Die Beschränkungen der artifiziellen heterologen intrauterinen Insemination sind gesetzlich geregelt; daher setzt ihre Zulässigkeit – unter Außerachtlassung der hier nicht berührten Belange der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, des wirtschaftlichen Wohls des Landes und der Verhinderung straf­barer Handlungen – voraus, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, dass also diese Be­schränkungen insoweit – im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte – einem zwingenden sozialen Bedürfnis ("urgent social need") entsprechen. Für diese Frage kann aus den jüngsten Ent­scheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu fort­pflanzungs­medizinischen Maßnahmen, die das FMedG generell nicht zulässt, einerseits (zuletzt EGMR 3.11.2011, Fall S.H. ua., Appl. 57.813/00, RdM 2012, 70) und zur sogenannten Stiefkindadoption andererseits (EGMR 19.2.2013, Fall X ua., Appl. 19.010/07) nichts gewonnen werden, weil sich in diesen Verfahren andere Fragen gestellt haben.

2.6.3. Der Verfassungsgerichtshof geht von einem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers aus, der allerdings im Falle einer intrauterinen Insemination insofern ein geringerer ist als bei den bisher in der oben er­wähnten ein­schlägigen Recht­sprechung behandelten Fragen der heterologen Samen­spende bei In-vitro-Fertilisation und der Eizellspende, als sich die mit den zuletzt ge­nannten Methoden verbundenen besonderen ethischen und moralischen Fragen, wie sie auch bei in vitro er­zeugten Embryonen diskutiert werden (Selektion, Präimplantationsdiagnostik, das Problem überzähliger Embryonen, vgl. dazu näher VfSlg 15.632/1999, 433 f.), bei einem Geschehen, welches –abge­sehen von seiner artifiziellen Initialisierung – voll­kommen den natürlichen Vor­gängen bei Schwangerschaft und Geburt folgt, nicht ergeben können. Vor diesem Hintergrund hängt die Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs gemäß Art8 Abs2 EMRK davon ab, ob die in den angefochtenen Bestimmungen zum Aus­druck kommende undifferenzierte Be­schränkung aller zulässigen Methoden medizinisch unterstützter Fortpflanzung auf die Überbrückung von Fertilitäts­problemen in heterosexuellen Lebens­gemeinschaften und Ehen verhältnismäßig oder ob sie diskriminierend ist.

2.6.4. Die artifizielle Insemination ist eine in Österreich seit den 1970er Jahren (dh. schon vor dem Inkrafttreten des FMedG) und auch außer­halb von Kranken­häusern verbreitet angewendete Methode medizinisch unterstützter Fort­pflanzung in der Humanmedizin, zu der Frischsamen, ge­waschenes Ejakulat oder kryokonservierter Samen verwendet werden können, im Übrigen aber keine besonderen technischen Hilfsmittel erforderlich sind, sodass sie an sich in jeder gynäkologischen Ordination durchgeführt werden kann, vom FMedG freilich nur in dafür zugelassenen Krankenanstalten erlaubt ist (§§11 iVm 5 Abs2 FMedG). Die Anzahl der Geburten, die auf heterologe artifizielle Insemination zurückgehen, betrug schon im Jahre 1985 (also vor Inkrafttreten des FMedG) in Österreich pro Jahr etwa 200 (vgl. Posch, Rechtsprobleme der medizinisch assistierten Fortpflanzung und Gentechnologie, Gutachten, 10. ÖJT, Bd. I/5, 1988, 8 f., 12 f. mwH) gegenüber nur insgesamt 40, die durch In-vitro-Fertilisation entstanden sind (Holzberger, Arten der künst­lichen Befruchtung und ihre rechtliche Problematik, AnwBl 1985, 627 [628]).

Auch die Materialien zum FMedG (RV216 BlgNR 18. GP, 13) bezeichnen die Insemination als ein "seit längerer Zeit praktizierte[s] und ver­hältnismäßig einfache[s] Verfahren", dessen Verbot "kaum überprüfbar" wäre. Die heterologe Insemination war in der ärztlichen Praxis bereits vor dem Inkraft­treten des FMedG verbreitet, ohne dass die beteiligten Verkehrskreise davon auszugehen hatten, dass diese Methode mit "unserer Gesellschafts- und Wertordnung" unvereinbar wäre (Steiner, Ausgewählte Rechtsfragen der Insemination und Fertilisation, ÖJZ1987, 513 [517]).

2.6.5. Die (undifferenzierte) Beschränkung aller zulässigen Methoden medizinisch unterstützter Fortpflanzung auf die Substituierung von körperlichen Defiziten, die einer Fortpflanzung auf natürlichem Wege ent­gegen­stehen, (bei der Samenspende Dritter von solchen Defiziten bei Männern) in Ehen und ehe­ähnlichen (verschiedengeschlechtlichen) Lebensgemeinschaften begründet die Regierungsvorlage zum FMedG (RV 216 BlgNR 18. GP, 11) aus­schließlich damit, dass "[a]lleinstehenden Frauen oder gleichgeschlechtlichen Paaren […] wegen der damit verbundenen Mißbrauchs­gefahr ('Leihmutterschaft')" (vgl. den diesen Umstand im hier gegebenen Zusammenhang noch besonders betonenden AB 490 BlgNR 18. GP, 2) "keine medizinisch assistierten Zeugungshilfen geleistet werden" dürfen. Dabei gehen die Materialien von der – wie die seither er­gangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zeigt – unzutreffenden Auffassung aus, dass ein Recht auf Fortpflanzung aus­schließlich in dem gemäß Art12 EMRK den Ehepaaren garantierten Recht auf Familiengründung, nicht aber im Recht auf Privatleben gemäß Art8 EMRK, ent­halten und daher grundrechtlich nicht gewährleistet ist.

2.6.6. Andere Gründe werden in den Gesetzesmaterialien nicht ge­nannt. Insbesondere eine gesundheitliche Gefährdung der Frau durch Insemination wird von niemandem behauptet und ist auch nicht erkennbar. Auch der Gesetzgeber des FMedG stuft sie bei der artifiziellen Insemination als "gering" ein (RV 216 BlgNR 18. GP, 15). Dies wird auch durch die grundsätz­liche Zulassung der heterologen Insemination zur Überwindung von Zeugungshindernissen unterstrichen. Ethisch problematische Begleiter­scheinungen, wie zB eine "Über­produktion" von Embryonen bei der In-vitro-Fertilisation, sind mit der hier in Rede stehenden Methode nicht verbunden. Soweit es um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung geht, ist dieses Recht durch §20 Abs2 FMedG gesichert.

2.6.7. Die als Motiv der Gesetzgebung ­in den vorzitierten Materialien als Hauptgrund ange­gebene Gefahr des Miss­brauchs in Form der Leihmutterschaft spielt bei der artifiziellen heterologen Insemination in gleichgeschlechtlichen Lebensgemein­schaften von Frauen gerade keine Rolle.

2.6.8. Auch die vom Obersten Gerichtshof implizit angesprochene, jedoch von ihm zutreffend nicht geteilte Befürchtung, dass bei Verlassen des Konzeptes der "Gebrechensorientiertheit" des FMedG bei gleichgeschlechtlichen Lebens­gemeinschaften von Frauen auch in der Folge die Zulassung von Leihmutterschaft unvermeidlich sei, ist unbegründet. Denn die Frage der Leihmutterschaft kann sich einerseits auch bei einem "therapeutischen Ansatz" des FMedG stellen, ohne dass daraus zwingend ein Verfassungsgebot hinsichtlich ihrer Zulässigkeit ab­leitbar ist, wie schon die bisherige Rechtsprechung zeigt (vgl. im Zusammen­hang mit dem Verbot der Eizellspende VfSlg 15.632/1999 und EGMR 3.11.2011, Fall S.H. ua., Appl. 57.813/00, RdM 2012, 70). Das Verbot der Leihmutterschaft stützt sich andererseits aber auf eigen­ständige Sachgründe, die – ihre hier nicht zu untersuchende Stichhaltigkeit vorausgesetzt – dieses Verbot unabhängig davon zu tragen vermögen, ob und welche Auswirkungen dies auf die Palette der Möglichkeiten hat, "Wunsch­elternschaften" durch medizinisch unterstützte Maßnahmen herbeizuführen.

2.6.9. Dem Obersten Gerichtshof ist aber auch insoweit zu folgen, als die Beschränkung der artifiziellen Insemination ­auf verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften und Ehen nicht mit dem Schutz der Familie, und zwar weder nach Art8 noch nach Art12 EMRK, gerechtfertigt werden kann: Gleich­geschlecht­liche Partnerschaften stehen gesellschaftlich gesehen nicht in einem Substitutions­ver­hältnis zu Ehen und verschiedengeschlechtlichen Lebens­gemeinschaften, sondern treten zu diesen hinzu­; sie vermögen diese daher auch nicht zu gefährden. Umso weniger ist in der Ermöglichung der Erfüllung eines Kinderwunsches, auch wenn dieser in einer gleichgeschlechtlichen Lebens­gemeinschaft von Frauen nur mit Hilfe einer Samenspende Dritter erfüllbar ist, ein derartiges Gefährdungspotential zu erkennen.

Der in den angefochtenen Bestimmungen liegende Eingriff in den Schutz­bereich des Art14 iVm 8 EMRK hinsichtlich des Kinderwunsches von Frauen, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, ist somit nicht durch Gründe ausreichenden Gewichts gerechtfertigt und daher unverhältnis­mäßig, weil er im Ergebnis diese Personengruppe generell von der artifiziellen intrauterinen heterologen Insemination ausschließt.

IV. Ergebnis

1. Die im Spruch genannten Bestimmungen des FMedG sind daher als verfassungs­widrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG. Ungeachtet des Umstandes, dass sich die Bundesregierung am vorliegenden Verfahren nicht beteiligt hat, ist offensichtlich, dass die Ausweitung der Zu­lassung der artifiziellen Insemination auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften von Frauen weitere Maßnahmen des Gesetzgebers erfordert, denen durch die Frist­setzung die zur Erarbeitung erforderliche Zeit gegeben werden soll.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüg­lichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne münd­liche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §65a VfGG. Da die zu G44/2013 antragstellenden Parteien durch ein und denselben Rechtsanwalt vertreten sind, ist ihnen insgesamt lediglich der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen 10%igen Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (VfSlg 17.819/2006, 19.412/2011; VfGH 27.6.2013, G90/2012, G26/2013). In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 479,60 sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühren in Höhe von € 480,– enthalten.

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