OGH 3Ob224/12f

OGH3Ob224/12f19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerinnen Christina Maria B***** und Daniela B*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Protokollierung einer Zustimmung (§ 8 FMedG), aus Anlass des Revisionsrekurses der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 2. Juni 2010, GZ 21 R 114/10d-5, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 8. März 2010, GZ 1 Fam 20/10s-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof betreffend das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) den

Antrag,

I.a. in § 2 in der Fassung BGBl I 2009/135 in Absatz 1 die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“,

I.b. in § 2 in der Fassung BGBl I 2009/135 den Absatz 2,

I.c. in § 3 in der Stammfassung BGBl 1992/275 die Absätze 1 und 2,

als verfassungswidrig aufzuheben;

II. in eventu zusätzlich zu den unter I. genannten Bestimmungen auch die folgenden Bestimmungen:

II.a. in § 8 in der Fassung BGBl I 2010/111 die Z 3 in Absatz 3, in eventu in § 8 in der Fassung BGBl I 2010/111 in Absatz 3 Z 3 die Wortfolge „oder Lebensgefährten“,

II.b. in § 8 in der Fassung BGBl I 2010/111 den Absatz 4;

II.c. in § 14 in der Stammfassung BGBl 1992/275 das Wort „eheähnlichen“,

II.d. in § 15 in der Stammfassung BGBl 1992/275 das Wort „eheähnlichen“, und

II.e. in § 18 in der Stammfassung BGBl 1992/275 den Absatz 1, in eventu in § 18 Abs 1 in der Stammfassung BGBl 1992/275 die Wortfolge „oder Lebensgefährten“,

als verfassungswidrig aufzuheben;

III. in eventu das gesamte Fortpflanzungsmedizingesetz in der Fassung BGBl I 2010/111

als verfassungswidrig aufzuheben.

Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens (neuerlich) bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung

Die Erstantragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin und mit der Zweitantragstellerin, einer deutschen Staatsangehörigen, am 20. August 2008 vor dem Standesamt Krefeld/Deutschland eine Lebenspartnerschaft nach dem (d)LPartG eingegangen. Beide haben ihren Wohnsitz in Wels.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 erklärten die Antragstellerinnen, die Erstantragstellerin wolle durch medizinische unterstützte Fortpflanzung unter Verwendung des Samens eines Dritten ein Kind empfangen; dem stimme die Zweitantragstellerin ausdrücklich zu. Sie beantragten dem entsprechend beim Erstgericht

1. die Zustimmung der Zweitantragstellerin zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung der Erstantragstellerin unter Verwendung des Samens eines Dritten gerichtlich zu Protokoll zu nehmen (§ 8 Abs 1 Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) und

2. sie zu Handen ihres Vertreters zu einem diesbezüglichen zeitnahen Termin zu laden.

Das Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb einer Ehe oder verschieden geschlechtlichen Lebensgemeinschaft verstoße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung.

Das Erstgericht wies das Begehren der Antragstellerinnen zurück, weil nach § 2 Abs 1 FMedG eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Zweck des durch das Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG, BGBl I 2009/135) novellierten § 2 Abs 1 FMedG sei es, die gemeinsame Elternschaft zweier Personen gleichen Geschlechts auszuschließen. Die eingetragene Partnerin der Mutter könne begrifflich nicht als Vater festgestellt werden. Ein nach den Vorstellungen der Antragstellerinnen gezeugtes Kind wäre daher gegenüber allen anderen Kindern benachteiligt, weil für dieses keine Möglichkeit auf Vaterschaftsfeststellung bestünde. Damit liege keine sachlich ungerechtfertigte Diskriminierung und auch kein Verstoß gegen Art 8 und Art 14 EMRK vor. Das generelle Verbot der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sei schon zur Vermeidung einer Diskriminierung der Partnerschaften von Männern erforderlich. Eine Leihmutterschaft sei in Österreich generell ausgeschlossen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob § 2 Abs 1 FMedG gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstoße, nicht vorliege.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragstellerinnen, die Vorentscheidungen dahin abzuändern, dass ihrem Begehren stattgegeben werde.

In Ausführung ihres Rechtsmittels zeigen die Antragstellerinnen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 2 Abs 1 FMedG auf, die der Oberste Gerichtshof zum Anlass nahm, den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. März 2011, AZ 3 Ob 147/10d (= RdM 2011/81 [Bernat]) anzurufen, um die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG idF BGBl I 2009/135 als verfassungswidrig aufzuheben.

Nachdem der Verfassungsgerichtshof schon Stellungnahmen dazu eingeholt hatte, wurde dieser Antrag - neben einem Individualantrag der Antragstellerinnnen - mit Beschluss vom 2. Oktober 2012, GZ G 14/10-8, G 47/11-18, als unzulässig zurückgewiesen.

Jede medizinisch unterstützte Fortpflanzung gemäß § 2 Abs 2 FMedG unterliege einer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung, die nach Wortlaut und Zweck der Norm offenkundig nur von Partnern in heterosexuellen Lebensgemeinschaften erfüllt werden könne, nämlich, dass „nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist“. Eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung, für die dasselbe gelte, bestehe für jene Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, die alleinstehenden Frauen oder Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nach einer von der angefochtenen Wortfolge bereinigten Rechtslage allein offenstehen würde, nämlich des „Einbringen[s] von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau“ im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 FMedG: Nur für diese Methode sei nämlich (im Hinblick auf § 3 Abs 1 iVm § 3 Abs 2 FMedG) ausnahmsweise eine Samenspende Dritter zulässig, dies aber im Besonderen nur dann „wenn der [Samen] des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist“. Auch § 3 Abs 1 iVm Abs 2 FMedG setze somit das Bestehen einer heterosexuell orientierten Lebensgemeinschaft voraus, da anders die in § 3 Abs 2 FMedG genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit dieser Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nicht erfüllbar seien. Da schon aus diesen Gründen somit selbst dann, wenn man die Bedenken des Obersten Gerichtshofs teilte, die behauptete Verfassungswidrigkeit, die nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs in der Versagung des Zugangs zu Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung für alleinstehende Frauen und Frauen in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft gelegen sei, im Hinblick auf die im Gesetz enthaltenen weiteren Zugangsschranken durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge allein nicht beseitigt werden könnte, erweise sich der Antrag als zu eng gefasst und daher als unzulässig.

Die Antragstellerinnen stellten daraufhin das Ersuchen, im Fall einer neuerlichen Antragstellung auch (als Eventualantrag) die Aufhebung des FMedG als Ganzes als verfassungswidrig zu beantragen, „um einer neuerlichen formalistischen Zurückweisung vorzubeugen“.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hält seine bereits im vorausgehenden Antrag nach Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken aufrecht, weshalb der Gesetzesprüfungsantrag - in ergänzter Form - neuerlich zu stellen ist:

1.1. § 8 Abs 1 FMedG lautete - bis zum Beginn der Geltung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111 - in der Stammfassung BGBl 1992/275 wie folgt:

„Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung darf bei Ehegatten nur mit deren schriftlicher Zustimmung durchgeführt werden; bei Lebensgefährten muss die Zustimmung in Form eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts erteilt werden. Bei Verwendung von Samen eines Dritten bedarf die Zustimmung zu dieser Methode stets eines gerichtlichen Protokolls oder eines Notariatsakts.“

Nach § 7 Abs 3 FMedG hat der medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Lebensgefährten in jedem Fall eine eingehende Beratung durch ein Gericht oder einen Notar über die rechtlichen Folgen der Zustimmung voranzugehen.

§ 2 Abs 1 FMedG wurde mit dem Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (BGBl I 2009/135) novelliert: Die Bestimmung wurde um eine Wortfolge ergänzt, wonach eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig ist; das Adjektiv „eheähnlichen“ vor dem Wort „Lebensgemeinschaft“ entfiel. Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 485 BlgNR 24. GP 17) sollten damit die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen werden. Nur Eheleute können die medizinisch unterstützte Fortpflanzung ohne Einhaltung der qualifizierten Formvorschriften des § 8 Abs 1 FMedG in Anspruch nehmen (schriftliche Zustimmung genügt), wenn nicht der Samen eines Dritten verwendet werden soll. Andere Gemeinschaften bedürfen in jedem Fall der besonderen Form der Zustimmung zu gerichtlichem Protokoll oder eines Notariatsakts. § 2 Abs 1 FMedG steht dem Begehren der Antragstellerinnen, die nach § 8 Abs 1 FMedG geforderte Zustimmung gerichtlich zu Protokoll zu nehmen, entgegen. Die Präjudizialität der angefochtenen Regelung ist damit aus diesem Blickwinkel gegeben; sie wurde auch vom Verfassungsgerichtshof gar nicht in Zweifel gezogen.

1.2. Durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) erfuhren die §§ 7 Abs 3 und 8 Abs 1 FMedG eine Änderung, wonach die Beratung der Lebensgefährten/Ehegatten nicht mehr durch ein Gericht erfolgen und deren Zustimmung nicht mehr in Form eines gerichtlichen Protokolls erteilt werden kann. Sie betrifft mit der Zuständigkeit für Beratung und Protokollierung der Zustimmung verfahrensrechtliche Normen.

Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden. Ein laufendes Verfahren ist daher, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas anderes bestimmen, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen neuen Vorschrift an, nach den neuen Verfahrensvorschriften fortzusetzen und zu beenden. Eine „Rückwirkung“ von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt hingegen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0008733 [T1, T3 und T10]).

Die Novellierung durch das Budgetbegleitgesetz 2011 ist anzuwenden, wenn die Beratung oder die Zustimmung nach dem 30. April 2011 erteilt wird (Art 39 Abs 6 Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111). Hier wurde die Zustimmung der Zweitantragstellerin bereits in ihrem Antrag vom 22. Februar 2010 mit dem gleichzeitig erhobenen Begehren erteilt, diese in einem vom Erstgericht anzuberaumenden Termin zu Protokoll zu nehmen. Es würde einer - im konkreten Fall besonders weitreichenden - Rückwirkung der neuen Rechtslage seit 1. Mai 2011 gleichkommen, wollte man den Antragstellerinnen die Erledigung ihres - allenfalls zulässigen - Begehrens, das lange vor Eintritt der neuen Rechtslage erhoben wurde, mit dem Argument verweigern, nunmehr sei eine gerichtliche Protokollierung der Zustimmungserklärung nicht mehr vorgesehen. Im Übrigen bedarf es zur Erledigung des Antrags auch keiner (zeit-)aufwendigen, mit Beweisaufnahmen verbundenen gerichtlichen Tätigkeit mit dem Ziel, die Grundlagen für eine bestimmte Entscheidung zu schaffen und diese zu treffen; vielmehr hat sich das Gericht auf die Entgegennahme einer Zustimmungserklärung durch Aufnahme eines Protokolls zu beschränken, also auf eine bloß punktuelle Aktivität ohne jede Entscheidungsqualität im Sinn einer Beurkundung, weshalb kein Verfahren im herkömmlichen Sinn nach einer nicht mehr aktuellen Gesetzeslage zu führen ist. Schließlich war Zweck der Beseitigung der gerichtlichen Zuständigkeit die „Konzentration der Außerstreitgerichte auf deren Entscheidungstätigkeit in strittigen Fällen“ (ErlRV 981 BlgNR 24. GP 56), also deren Entlastung. Keinesfalls kann dem Gesetzgeber daher die Absicht unterstellt werden, mit der Novellierung den Abschluss bereits eingeleiteter Verfahren in der Sache zu verhindern (vgl in diesem Zusammenhang auch die Urteile des EGMR vom 6. Oktober 2005, 1513/03, Draon gegen Frankreich und 11810/03, Maurice gegen Frankreich).

Der Oberste Gerichtshof hat daher im vorliegenden Fall § 8 Abs 1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111, anzuwenden, sodass für den konkreten Fall die gerichtliche Zuständigkeit für die Protokollierung der Zustimmung gegeben ist.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Ansicht auch der offensichtlichen Auffassung des Verfassungsgerichtshofs entspricht. Der Verfassungsgerichtshof, der in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2012 auf die Novellierung des FMedG mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 hingewiesen hat, hat die Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrags nicht mit der (vorweg zu prüfenden) fehlenden Präjudizialität begründet, sondern mit einem zu engen Anfechtungsumfang. Damit ist auch er davon ausgegangen, dass die Gerichte § 8 Abs 1 FMedG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011 anzuwenden haben. Letztlich muss auch die Begründung der Zurückweisung des Individualantrags der beiden Antragstellerinnen in diesem Licht gesehen werden.

2. Die Beschränkung des § 2 Abs 1 FMedG verschließt Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung und schließt sie damit von der Möglichkeit aus, Kinder zu haben und aufzuziehen, sofern sie ohne die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin keine Kinder haben können, sei es dass - wie hier - heterosexuelle Kontakte nicht in Betracht kommen oder der Kinderwunsch ungeachtet dessen unerfüllt bleibt. Dies verstößt nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs gegen das Recht der Antragstellerinnen auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) und gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-VG).

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der von Ehepartnern oder Lebensgefährten gefasste Entschluss, ein Kind zu bekommen und sich hiezu erforderlicher medizinischer Unterstützung zu bedienen, dem Schutzbereich des Art 8 EMRK unterliegt (VfGH 14. 10. 1999, G 91/98, 116/98, VfSlg 15.632, B.1.2.3.). Auch der EGMR betont, dass das Recht „ein Kind zu bekommen und sich zur Erfüllung des Kinderwunsches die Errungenschaft der Fortpflanzungsmedizin zunutze zu machen“ zu den von Art 8 EMRK geschützten Rechten zählt (EGMR 3. 11. 2011, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich [Z 82], ÖJZ 2012/2 [MRK]). Der Wunsch nach einem Kind stellt demnach einen besonders wichtigen Aspekt der Existenz oder der Identität eines privaten Individuums dar (EGMR 1. 4. 2010, 57813/00, S. H. ua gegen Österreich [Z 93], ÖJZ 2010, 684 = RdM 2010/88 [Kopetzki]).

Dieses Recht wird durch die Beschränkung der nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz an sich zulässigen Mittel der Fortpflanzungsmedizin auf Paare verschiedenen Geschlechts eingeschränkt. Der Oberste Gerichtshof hat Bedenken, ob dies mit dem Schutz der Familie oder mit dem Kindeswohl gerechtfertigt werden kann.

Im Verfahren Schalk und Kopf gegen Österreich trug der EGMR der „rapiden Evolution des gesellschaftlichen Verhaltens gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren in vielen Mitgliedstaaten“ (Z 93) Rechnung und sprach mit Urteil vom 24. Juni 2010, 30141/04, ÖJZ 2010/9 [MRK] (Z 93), aus, dass die Beziehung eines gleichgeschlechtlichen Paares unter den Begriff „Familienleben“ wie auch unter den Begriff „Privatleben“ falle und daher Art 14 iVm Art 8 EMRK zur Anwendung gelange. Der EGMR geht also davon aus, dass Paare gleichen Geschlechts ebenso wie Paare verschiedenen Geschlechts in der Lage sind, stabile, bindende Beziehungen einzugehen. Sie sind also „Familie“ im verfassungsrechtlichen Sinn. Einen - im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens - besonderen Schutz der Ehe kennt das österreichische Verfassungsrecht nicht.

Auch eine Argumentation mit der Beeinträchtigung des Kindeswohls wird nicht greifen: Zunächst ist es unserem gesellschaftlichen Verständnis immanent, dass es (auch) für ein Kind - unabhängig von der Art seiner Zeugung und den Bedingungen seines Lebens - besser ist, überhaupt zu sein als nicht zu sein (vgl Bernat, Glosse zu OGH 3 Ob 147/10d, RdM 2011/81, 97 [98]). Die Bestimmung des § 97 Abs 2 2. Alternative StGB („eugenische Indikation“) steht dem nicht entgegen, kann sie doch nur mit dem Interesse der Mutter gerechtfertigt werden, die Schwangerschaft nicht fortsetzen zu müssen. Weiters gibt es nach der im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eingeholten Stellungnahme der Bioethikkommission keine validen Studien, wonach sich ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung der beiden Hauptbezugspersonen („Eltern“) schlechter entwickelt als in einer verschiedengeschlechtlichen. Auf dieser Grundlage erkennt der Senat keine Rechtfertigung für die Beschränkung der Möglichkeit zweier Menschen gleichen Geschlechts, ihren durch Art 8 EMRK geschützten Kinderwunsch durch an sich zulässige Mittel der Fortpflanzungsmedizin zu erfüllen. Die Rechtsstellung dritter Personen (insb einer „Leihmutter“), die eine Einschränkung dieses Rechts ganz allgemein (also nicht nur bei homosexuellen Paaren) rechtfertigen mag, ist beim Kinderwunsch zweier zusammenlebender Frauen, von denen eine das Kind austragen kann und will, nicht berührt.

2.2. Gegen die hier strittige Beschränkung hegt der Oberste Gerichtshof auch Bedenken in Bezug auf den Gleichheitssatz.

Zum einen ist aus den bereits angeführten Gründen keine sachliche Rechtfertigung erkennbar, eingetragene Partnerinnen (hier: Lebenspartnerinnen iSd deutschen LPartG) in Bezug auf die Erfüllung ihres Kinderwunsches anders zu behandeln als Ehegatten oder Lebensgefährten verschiedenen Geschlechts. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine eingetragene Partnerschaft für ein Kind (zumindest nach den rechtlichen Rahmenbedingungen) mehr Stabilität bietet als eine bloße Lebensgemeinschaft; umso weniger erscheint es aus Sicht des Kindeswohls sachlich gerechtfertigt, die Mittel der Fortpflanzungsmedizin in der rechtlich weniger abgesicherten Beziehungsform der (heterosexuellen) Lebensgemeinschaft zuzulassen, in der rechtlich abgesicherten, vom Gesetzgeber weitgehend der Ehe gleichgestellten Lebensform der eingetragenen Partnerschaft aber nicht.

Zum anderen liegt eine Verschiedenbehandlung gegenüber den Regelungen über die Adoption vor. Kinder werden entweder durch Geburt oder durch Adoption Teil einer Familienbeziehung.

Nach österreichischem Recht ist die Einzeladoption mit Zustimmung des Partners bei eingetragener Partnerschaft zulässig (§ 181 Abs 1 ABGB idF BGBl I 2009/135). Die Einzeladoption durch einen eingetragenen Partner widerspricht damit für sich genommen nicht grundsätzlich dem Kindeswohl. Dies entspricht der Rechtsprechung des EGMR: Die Versagung der Adoption durch eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebende Frau im Wesentlichen wegen ihrer sexuellen Orientierung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des Art 14 iVm Art 8 EMRK, wenn die Adoption grundsätzlich Einzelpersonen und damit auch alleinstehenden Homosexuellen offen steht (EGMR 22. Jänner 2008, 43546/02, E. B. gegen Frankreich, ÖJZ 2008/7 [MRK]).

Damit ist die Herstellung eines nicht auf eine biologische Verbindung rückführbaren Eltern-Kind-Verhältnisses durch (Einzel-)Adoption sowohl für eine(n) alleinstehende(n) Homosexuelle(n) als auch in einer eingetragenen Partnerschaft möglich und erlaubt. Außerhalb der Ehe steht es Einzelpersonen damit unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung offen, durch Adoption ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen. Die auf Vertrag beruhende Verbindung ergänzt die auf Abstammung beruhende Familienbeziehung.

Die Errungenschaften der Fortpflanzungsmedizin ersetzen ebenfalls eine auf natürliche Fortpflanzung beruhende Familienbeziehung.

Die Unmöglichkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung bei Partnerschaften von Männern ist eine biologisch bedingte „Diskriminierung“. Wegen der in diesem Fall notwendigen Einbeziehung einer Frau (als „Leihmutter“), deren Privat- und Familienleben ebenfalls schutzwürdig ist, liegt ein unterschiedlicher Sachverhalt vor, der auch rechtlich unterschiedlich geregelt werden kann. Wenn es - was hier nicht zu beurteilen ist - verfassungsrechtlich zulässig ist, einer Frau, die kein Kind austragen kann, durch Verbot der Leihmutterschaft die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu verwehren, so muss das auch für den Kinderwunsch zweier in Partnerschaft lebender Männer gelten, die zu dessen Erfüllung ebenfalls die Mitwirkung einer Leihmutter benötigen.

2.3. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs bestehen daher verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs 1 FMedG, soweit dadurch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung für eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebende Frau ausgeschlossen und dieser aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Möglichkeit genommen wird, einen Kinderwunsch zu erfüllen.

3. Die Abgrenzung des Prüfungsgegenstands hat so zu erfolgen, dass auch alle mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen erfasst werden. Fälle untrennbaren Zusammenhangs liegen auch vor, wenn die Aufhebung ansonsten zu einer unklaren Rechtslage führen würde oder Schwierigkeiten bezüglich einer anderen, im Rechtsbestand verbleibenden Bestimmung hervorriefe. So wäre es etwa unzulässig, wenn der Wegfall bestimmter Sätze den verbleibenden Rest der Gesetzesbestimmung unverständlich und unanwendbar werden ließe oder wenn im Hinblick auf andere Sachverhalte nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt. Es darf nach Aufhebung kein „legislativer Torso“ verbleiben (Rohregger in Korinek/Houlubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 140 B-VG Rz 215 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des VfGH; 3 Ob 89/12b).

Der Verfassungsgerichtshof judiziert in diesem Zusammenhang auch, dass er bei der Bestimmung des Umfangs einer als verfassungswidrig aufzuhebenden Rechtsvorschrift stets vom Grundgedanken ausgeht, dass ein Normenprüfungsverfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit - wenn sie tatsächlich vorläge - zu beseitigen, dass aber der nach der Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (zB VfGH 12. März 2008, G 254/07, VfSlg 18.412).

3.1. Diese Judikatur wurde in dem im vorliegenden Verfahren ergangenen Zurückweisungsbeschluss ausdrücklich aufrecht erhalten. Entsprechend der daran anknüpfenden Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofs, beim Umfang der (vorausgegangenen) Anfechtung (nur) der Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG, die neuerlich vorzunehmen ist, hätte auch auf die Bestimmungen des § 2 Abs 2 und des § 3 Abs 1 iVm Abs 2 FMedG Bedacht genommen werden müssen, bedarf es einer dem entsprechenden Ausweitung.

Denn die Normierung einer allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung, die in der Erfolg- oder Aussichtslosigkeit oder Unzumutbarkeit eines Geschlechtsverkehrs besteht (§ 2 Abs 2 FMedG), sowie eines besonderen Zulässigkeitserfordernisses für die Methode nach § 1 Abs 2 Z 1 FMedG (Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau) unter Verwendung der Samen eines Dritten, das in der fehlenden Fortpflanzungsfähigkeit des (männlichen) Lebensgefährten liegt (§ 3 Abs 1 iVm Abs 2 FMedG), macht es Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - bei strenger Auslegung der Begriffe nach dem reinen Wortsinn - unmöglich, die vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung zu erfüllen. Wie sich aus seinem Zurückweisungsbeschluss ergibt, hält der Verfassungsgerichtshof eine bei Aufhebung der vom Antrag erfassten Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG folgerichtige verfassungskonforme Auslegung dieser Bestimmungen nicht für möglich. Auch insofern bestehen somit die bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken, weshalb die Anfechtung sowohl auf § 2 Abs 2 FMedG als auch auf § 3 Abs 1 und 2 FMedG auszudehnen ist.

3.2. Eine weitere Sichtung des FMedG idF BGBl I 2009/135 zeigt, dass darin noch andere Bestimmungen zu finden sind, die die befürchtete Verfassungswidrigkeit - sofern sie vom Verfassungsgerichtshof angenommen werden sollte - ebenso bei strenger grammatikalischer Interpretation und der betroffenen Begriffe am Wortsinn zu verwirklichen vermögen. Der Oberste Gerichtshof ist zwar der Auffassung, dass insofern jeweils eine verfassungskonforme Auslegung möglich wäre. Wird aber eine solche Auslegung nicht für möglich gehalten, könnte aus dem Weiterbestehen von Bestimmungen, die auf einen Mann, einen männlichen Lebensgefährten oder eine „eheähnliche“ Lebensgemeinschaft abstellen, abgeleitet werden, dass § 2 Abs 1 FMedG auch bei einer Aufhebung der Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ weiterhin in diesem Sinn zu verstehen sei. Insofern wären diese Normen ebenfalls präjudiziell, weil sie bei der (systematischen) Auslegung der jedenfalls präjudiziellen Bestimmung des § 2 Abs 2 FMedG zu berücksichtigen wären. Um eine neuerliche Zurückweisung wegen eines zu geringen Anfechtungsumfangs zu vermeiden, stellt der Oberste Gerichtshof daher auch hier - hilfsweise - einen Aufhebungsantrag:

(a) In § 8 Abs 3 Z 3 FMedG wird grammatikalisch auf einen Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug genommen. Eine verfassungskonforme Interpretation der Norm könnte dahin gehen, dass unter diesem Begriff auch Lebensgefährten weiblichen Geschlechts verstanden werden.

(b) § 8 Abs 4 FMedG sieht die Möglichkeit des formfreien Widerrufs der Zustimmungserklärungen vor und normiert je nach der gewählten Methode der medizinisch unterstützten Fortpflanzung unterschiedliche Zeitpunkte, bis zu denen eine Zustimmung wirksam widerrufen werden kann; dabei wird auch unterschieden, wie lange ein Widerruf „von der Frau“ und „vom Mann“ abgegeben werden kann.

Zwar wäre nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs auch hier eine verfassungskonforme Interpretation möglich, da nach Aufhebung der Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ in § 2 Abs 1 FMedG der Begriff „Mann“ in § 8 Abs 4 FMedG analog auf die eingetragene Partnerin jener Frau angewendet werden könnte, die das Kind austrägt; dies deswegen, weil nach einer solchen Aufhebung eine planwidrige Lücke im Gesetz vorläge. Sollte der Verfassungsgerichtshof aber der Auffassung sein, dass eine solche verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist, weil die genannten Bestimmungen zwingend das Bestehen einer heterosexuell orientierten (Ehe oder) Lebensgemeinschaft voraussetzen, bestünden auch insofern verfassungsrechtliche Bedenken. Der Anfechtungsumfang ist daher - im Zweifel - auch auf § 8 Abs 4 FMedG auszudehnen.

(c) Weiters trifft § 14 FMedG im Zusammenhang mit der Verwendung der Samen eines Dritten folgende Regelung: „Der Samen eines Dritten darf für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung in höchstens drei Ehen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften verwendet werden.“ Damit korrespondiert eine auf „Ehen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften“ bezugnehmende Dokumentations-pflicht in § 15 Abs 2 FMedG. Zwar könnte eine verfassungskonforme Interpretation die eingetragene Partnerschaft (hier: Lebenspartnerschaft) der eheähnlichen Lebensgemeinschaft gleichstellen. Damit wären diese Bestimmungen unbedenklich. Soweit aber der Verfassungsgerichtshof dies nicht als möglich ansieht und einen untrennbaren Zusammenhang mit den aufzuhebenden Regelungen annimmt, wären auch diese Bestimmungen verfassungswidrig.

(d) Wie in § 8 Abs 3 Z 3 FMedG (siehe oben (a)) wird auch in § 18 Abs 1 FMedG auf Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug genommen.

(e) Daraus ergibt sich zusammenfassend der Anfechtungsumfang laut Punkt I. und II. des Antrags.

3.3. Die beantragte Aufhebung der genannten Bestimmungen des FMedG würde bedeuten, dass in Hinkunft auch für Ehegatten und Lebensgemeinschaften von Personen verschiedenen Geschlechts die bisher geltende allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung des § 2 Abs 2 FMedG entfallen würde, ebenso die Notwendigkeit der Fortpflanzungsunfähigkeit des Mannes als Voraussetzung der Zulässigkeit der Verwendung der Samen eines Dritten. Der Entfall des § 8 Abs 4 FMedG hätte das Fehlen einer Bestimmung zur Folge, die den Widerruf einer Zustimmungserklärung regelt. Die Aufhebung der oben genannten Bestimmungen, die auf einen Mann oder einen Lebensgefährten männlichen Geschlechts Bezug nehmen, würde das Regelungsgefüge des FMedG ändern.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Verfassungsgerichtshof - wenn dieser die verfassungsrechtlichen Bedenken teilt - im verbleibenden FMedG einen nicht aufrecht zu erhaltenden „legislativen Torso“ erblickt. In einem vergleichbaren Fall hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass erforderliche rechtspolitische Entscheidungen dem Gesetzgeber vorzubehalten seien, die der Verfassungsgerichtshof nicht durch Teilaufhebung in eine bestimmte Richtung lenken solle, weshalb in solchen Fällen die geprüften Normen zur Gänze aufzuheben seien (VfGH 10. Oktober 2005, G 87/05 ua, VfSlg 17.659 ua). Da die Bestimmungen des FMedG eine Einheit bilden, stellt der Oberste Gerichtshof eventualiter den Antrag, das gesamte Gesetz aufzuheben, was unter Setzung einer Frist erfolgen könnte.

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