European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:006OBA00002.23X.0117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Arbeitsrecht, Datenschutzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird von T* GmbH, *, auf die im Kopf der Entscheidung ersichtliche Bezeichnung umgestellt.
II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Zu I.:
[1] Aus dem Firmenbuch ergibt sich, dass die ursprünglich beklagte T* GmbH, *, aufgrund eines am 22. 6. 2024 eingetragenen Generalversammlungsbeschlusses vom 16. 5. 2024 gemäß § 5 UmwG unter gleichzeitiger Errichtung der Personengesellschaft T* B.V. & Co KG (*) auf letztere umgewandelt wurde.
[2] Bei der errichtenden Umwandlung nach § 5 UmwG geht gemäß § 5 Abs 5 iVm § 2 Abs 2 Z 1 UmwG mit der Eintragung der Umwandlung das Vermögen der übertragenden Gesellschaft im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die errichtete Personengesellschaft über (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 [2021] § 5 UmwG Rz 106; vgl 3 Ob 167/16d [ErwGr 2.3. ff]; RS0075703). Die übertragende Gesellschaft erlischt (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 § 5 UmwG Rz 101, 103, § 2 UmwG Rz 130).
[3] Nach ständiger Rechtsprechung führen Fälle der Gesamtrechtsnachfolge zur Berichtigung der Parteien-bezeichnung nach § 235 Abs 5 ZPO (vgl RS0039306; RS0039530; 9 Ob 154/00p zur Umwandlung nach § 2 UmwG). Die Umstellung hat in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu erfolgen (RS0039530 [T9]), daher auch im Revisionsverfahren.
[4] Zur Rechtsstellung des klagenden Betriebsrats ist klarzustellen, dass im bloßen Wechsel des Betriebsinhabers oder der Rechtsform des Unternehmens keine Betriebseinstellung liegt (9 ObA 40/23g [Rz 25]; RS0050993; vgl RS0051125). Es kommt nämlich zu keinem Verlust der Betriebsidentität, sondern es ändert sich bloß eines der Hauptelemente des Betriebs (9 ObA 40/23g [Rz 25] = RS0050993 [T7]). Aus dem mit der Eintragung der Umwandlung vollzogenen Übergang des Vermögens der übertragenden Gesellschaft auf die errichtete Personengesellschaft im Weg der Gesamtrechtsnachfolge folgt daher im vorliegenden Fall keine Änderung der Betriebsidentität und daher auch keine Änderung im Hinblick auf die Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats der beklagten Gesellschaft.
Zu II.:
[5] Die Beklagte betreibt einen Essens-Zustelldienst mit Fahrradboten. Sie kommuniziert mit ihren Arbeitnehmern primär per E-Mail oder Telefon, daneben erfolgt die Kommunikation zur Abwicklung der Zustellvorgänge über die App eines Drittanbieters. Die Beklagte stellt ihren Arbeitnehmern keine dienstlichen E-Mail-Adressen zur Verfügung, sondern verpflichtet sie, ihr als Kontaktdaten eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse bekannt zu geben und diese aktuell zu halten. Im Betrieb der Beklagten gibt es keinen Ort, an dem sich alle Arbeitnehmer regelmäßig aufhalten und so an diesem Ort angeschlagene Informationen regelmäßig sämtlichen Arbeitnehmern zukommen würden. Ein beträchtlicher, konkret nicht feststellbarer Teil der Arbeitnehmer beginnt und beendet den Dienst vom Wohnort oder einem sonstigen, nicht dem Betrieb der Beklagten zugehörenden Ort. Etwa 40 bis 60 % der Arbeitnehmer, die als Fahrradboten tätig sind, beginnen den Dienst von einer als „Hub“ bezeichneten Arbeitsstätte der beklagten Partei in * Wien aus. Es handelt sich um eine Garage, die auch Lagerplätze für Betriebsmittel, Spinde und einen Aufenthaltsraum umfasst. Es wäre dem klagenden Betriebsrat möglich, im Aufenthaltsraum Aushänge zu machen. Es steht nicht fest, wie viele Arbeitnehmer regelmäßig diesen Aufenthaltsraum frequentieren. Die Arbeitnehmer der Beklagten kommen nicht regelmäßig an den Betriebsratsräumlichkeiten vorbei. Im Unternehmen der Beklagten besteht eine hohe Fluktuation. Es kann vorkommen, dass es in einem Monat bis zu 100 Neueinstellungen oder bis zu 100 Austritte gibt.
[6] Der klagende Betriebsrat begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm sämtliche der Beklagten vorliegenden E‑Mail-Adressen und Telefonnummern der vom klagenden Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer sowie einen E-Mail-Verteiler zur Verfügung zu stellen, in dem die E-Mail-Adressen der vom klagenden Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer enthalten und für diesen ersichtlich, hilfsweise: nur enthalten, seien.
[7] Weiters begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm jeweils binnen 14 Tagen ab Kenntnis Aktualisierungen der E-Mail-Adressen und Telefonnummern der Arbeitnehmer sowie die E-Mail-Adressen und Telefonnummern neu eintretender Arbeitnehmer zu übermitteln und in den E-Mail-Verteiler aufzunehmen.
[8] Er brachte vor, aufgrund der dezentralen Arbeitsweise sei er auf die auch von der Beklagten genutzten Kommunikationsmöglichkeiten angewiesen, um mit den Arbeitnehmern in Kontakt zu treten. Aushänge am Schwarzen Brett würden dazu nicht ausreichen. Ebenfalls ungenügend sei das Angebot der Beklagten, selbst E‑Mails des Betriebsrats an die Arbeitnehmer zu übermitteln. Vielmehr sei eine unmittelbare Kontaktmöglichkeit des Betriebsrats mit den Arbeitnehmern erforderlich. Zur Erfüllung seiner Aufgaben müsse er die Arbeitnehmer sowohl gemeinsam als auch auch einzeln – etwa im Zusammenhang mit Kündigungen oder Versetzungen – per E‑Mail erreichen können. Die Telefonnummern seien notwendig, um etwa bei Beendigungen des Dienstverhältnisses zeitnah mit den Arbeitnehmern Kontakt aufzunehmen. Der Zugang zu E-Mail-Adressen und Telefonnummern falle unter die nach § 72 ArbVG dem Betriebsrat vom Betriebsinhaber zur Verfügung zu stellenden Sacherfordernisse. Der Anspruch auf Übermittlung der Kontaktdaten lasse sich auch aus der Gesamtheit der Betriebsverfassung sowie aus den Mitwirkungsrechten der Belegschaftsorgane gemäß §§ 89 ff ArbVG ableiten. Die DSGVO stehe der Datenweitergabe an den Betriebsrat nicht entgegen, sie sei nach Art 6 Abs 1 lit c und f DSGVO erlaubt.
[9] Die Beklagte trat dem Klagebegehren entgegen. § 72 ArbVG trete hinter die speziellere Norm des § 91 Abs 2 ArbVG zurück, der eine Datenübermittlung an den Betriebsrat nur mit Einwilligung der betroffenen Arbeitnehmer gestatte. Sie habe dem klagenden Betriebsrat angeboten, ihm einen wöchentlich aktualisierten E-Mail-Verteiler der Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen, in dem die E‑Mail-Adressen nicht ersichtlich seien. Das sei vom klagenden Betriebsrat nicht akzeptiert worden.
[10] Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab.
[11] Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte zur Übermittlung der E-Mail-Adressen und Telefonnummern der Arbeitnehmer (Punkte 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens) und stellte die Verpflichtung der Beklagten zu deren Aktualisierung und zur Übermittlung der E-Mail-Adressen und Telefonnummern neu eintretender Arbeitnehmer fest (Punkt 3. des Klagebegehrens). Im Übrigen bestätigte es die Abweisung des auf Zur-Verfügung-Stellung eines E-Mail-Verteilers sowie dessen Aktualisierung gerichteten Klagebegehrens.
[12] Rechtlich führte es zur Klagestattgebung aus, eine Verpflichtung zur Herausgabe der E-Mail-Adressen und Telefonnummern lasse sich weder aus § 72 ArbVG noch aus §§ 89 ff ArbVG ableiten. Der klagende Betriebsrat könne vielmehr durch sein Einsichtsrecht in die Lohnzettel die Postadressen der Arbeitnehmer in Erfahrung bringen. Hingegen qualifizierte es Art 6 Abs 1 lit f DSGVO als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Informationsanspruch, weil ein berechtigtes Interesse des klagenden Betriebsrats und der Belegschaft an einer Kontaktmöglichkeit des Betriebsrats mit den Arbeitnehmern bestehe.
[13] In ihrer gegen die klagestattgebenden Teile des Berufungsurteils erhobenen außerordentlichen Revision macht die Beklagte als Nichtigkeitsgrund geltend, der klagende Betriebsrat habe während des Berufungsverfahrens seine Partei- und Prozessfähigkeit verloren, weil die zugrunde liegende Betriebsratswahl rechtskräftig für nichtig erklärt worden sei. In der Sache strebt sie die Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils an.
[14] Zur behaupteten Nichtigkeit brachte die Beklagte vor, am 14. 9. 2019 habe für den Standort der Rechtsvorgängerin der ursprünglichen Beklagten, * Wien, *, eine Betriebsratswahl stattgefunden, die sie zu 34 Cga 86/19v des Arbeits- und Sozialgerichts Wien gemäß § 59 Abs 2 ArbVG mit der Begründung angefochten habe, bei dem Standort handle es sich nicht um einen selbständigen Betrieb. Die Klage sei zurückgezogen worden, nachdem der Rechtsvertreter des Betriebsrats bestätigt habe, dass der gewählte Betriebsrat zu bestehen aufgehört habe. Der im vorliegenden Verfahren klagende Betriebsrat habe seine Partei- und Prozessfähigkeit durch eine am 12. 10. 2020 neuerlich am Standort * Wien, *, durchgeführten Betriebsratswahl erlangt. Die Beklagte habe diese Wahl wiederum gemäß § 59 Abs 2 ArbVG mit der Begründung angefochten, es handle sich nicht um einen selbständigen Betrieb. Mit Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien zu 11 Cga 135/20g vom 4. 7. 2022, zugestellt am 31. 1. 2023, sei die Wahl für rechtsunwirksam erklärt worden. Das Urteil sei in Rechtskraft erwachsen. Mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils habe die Tätigkeitsdauer des klagenden Betriebsrats gemäß § 62 Z 5 ArbVG vorzeitig geendet. Eine Verlängerung der Partei- und Prozessfähigkeit des klagenden Betriebsrats nach § 62a ArbVG finde nicht statt. Der Nichtigkeitsgrund könne auch nicht heilen, weil „in demselben Nicht-Betrieb“ kein neuer Betriebsrat gewählt werden könne. Es liege auch kein Fall der Fortsetzung der Tätigkeit des Betriebsrats nach § 61 Abs 2a ArbVG vor. Daher sei das Klagebegehren zurückzuweisen.
[15] In dem mit der Revision von der Beklagten vorgelegten Ausfertigung des Urteils 11 Cga 135/20g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien ist der dort beklagte Betriebsrat als „Betriebsrat der Arbeiter der T* B.V. Austria Branch“ bezeichnet. Nach den Feststellungen dieses Urteils in Zusammenschau mit dem offenen Firmenbuch (*) handelte es sich bei der dort klagenden Partei „T* B.V. Austria Branch“ um die inländische Zweigniederlassung einer nach niederländischem Recht errichteten Gesellschaft. Im Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien wurde festgestellt, die dort klagende Partei habe mit 1. 3. 2022 ihr österreichisches Liefergeschäft und die damit zusammenhängenden Aktiva und Passiva im Weg eines Asset Deal nach § 38 UGB zur Gänze auf die ursprüngliche Beklagte des vorliegenden Verfahrens (die T* GmbH) übertragen.
[16] Der klagende Betriebsrat stellte in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Beendigung des Bestehens des am 14. 5. 2019 gewählten Betriebsrats, die Durchführung der Betriebsratswahl am 12. 10. 2020, die Wahlanfechtung zu 11 Cga 135/20g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien und das Ergehen des auf § 59 Abs 2 ArbVG gestützten klagestattgebenden Urteils am 4. 7. 2022, zugestellt am 31. 1. 2023, außer Streit. Er brachte ergänzend vor, aufgrund dieses Urteils des Arbeits- und Sozialgerichts Wien sei von 3. 4. bis 8. 4. 2023 abermals eine (nun österreichweite) Wahl eines Betriebsrats der Arbeiter der Beklagten durchgeführt worden. Die Konstituierung des Betriebsrats habe am 10. 4. 2023 stattgefunden. Diese Wahl sei von der Beklagten nicht angefochten worden.
[17] Rechtlich brachte er vor, die Tätigkeitsdauer des am 12. 10. 2020 gewählten Betriebsrats habe nach § 62 Z 5 ArbVG geendet. Ein Weiterführen der laufenden Geschäfte durch den früheren Betriebsrat nach § 61 Abs 2 ArbVG scheide im vorliegenden Fall aus, weil der vorangegangene, am 14. 5. 2019 gewählte Betriebsrat seinerseits gemäß § 62 ArbVG vorzeitig geendet habe. Allerdings trete der nach Rechtskraft des Urteils 11 Cga 135/20g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien neu gewählte Betriebsrat in das gegenständliche Verfahren ein und führe es fort, weil es sich beim zuvor sowie beim neu gewählten Betriebsrat stets um den gesetzlich normierten Vertreter der Arbeiterbelegschaft gehandelt habe, der materiell die arbeitsverfassungsrechtlichen Rechte zukämen. Der Umstand, dass (nach dem Urteil 11 Cga 135/20g) zunächst die Grenzen des Betriebs nach § 34 ArbVG unrichtig gezogen worden seien, ändere daran nichts. Ein allfälliger Mangel der Prozessfähigkeit sei daher geheilt.
[18] In der Sache hielt er seine bereits in erster Instanz vorgebrachten Argumente aufrecht.
[19] Die Beklagte replizierte mit vom Obersten Gerichtshof freigestelltem Schriftsatz vom 19. 11. 2024 zum Nichtigkeitsgrund, es habe keine Neuwahl der (selben) klagenden Partei stattgefunden, weil erstmals eine österreichweite anstelle einer auf den Standort Wien beschränkten Wahl durchgeführt worden sei. Damit gehe ein unzulässiger Parteiwechsel, eine unzulässige Erweiterung des Klagebegehrens und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten einher.
Rechtliche Beurteilung
[20] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Zur Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats
1.1. Parteifähigkeit des Betriebsrats
[21] Nach der Rechtsprechung ist die Belegschaft als Ganzes materieller Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse, nicht die einzelnen Arbeitnehmer oder die Belegschaftsorgane (RS0051061; vgl 8 ObA 253/95; 8 ObA 80/00y). Die Belegschaft ist im Umfang der ihr zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse teilrechtsfähig (9 ObA 171/02s; RS0051061 [T2]; 8 ObA 197/98y; 8 ObA 253/95). Sie handelt dabei durch ihre gesetzlich vorgesehenen Organe (9 ObA 171/02s; RS0051061). Der gesetzlich vorgeschriebene direkte Vertreter der Belegschaft ist der Betriebsrat (9 ObA 171/02s; 8 ObA 80/00y; RS0051061).
[22] Der Betriebsrat ist weder eine juristische Person noch ein sonstiges Personengebilde, dem eine eigene Rechtspersönlichkeit und damit Rechtsfähigkeit zukommt (9 ObA 102/23z [T9]; RS0101814 [T1]). Er vertritt immer nur die Belegschaft, welche eine der Gesamthand ähnliche Rechtsgemeinschaft darstellt (9 ObA 102/23z [Rz 9]: 9 ObA 10/11b; RS0035251 [T4]). Das Gesetz hat dem Betriebsrat in § 53 Abs 1 ASGG die Parteifähigkeit zuerkannt (9 ObA 102/23z [Rz 9]; RS0035251). Er tritt somit im Prozess als selbständiger Träger von Rechten und Pflichten im eigenen Namen auf (9 ObA 171/02s; vgl RS0035251 [T4]).
1.2. Dauer der Parteifähigkeit des Betriebsrats
[23] Die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats ist in § 61 ArbVG geregelt. Nach dessen Abs 1 beträgt die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats fünf Jahre ab (im Regelfall) der Konstituierung. § 61 Abs 2 ArbVG regelt die Weiterführung der Geschäfte im Fall einer erfolgreichen Wahlanfechtung: Erklärt das Gericht die Wahl eines Betriebsrats aufgrund einer Anfechtung nach § 59 Abs 1 oder 2 ArbVG für ungültig, so führt – vorbehaltlich des § 61 Abs 2a – der frühere Betriebsrat die laufenden Geschäfte bis zur Konstituierung des neu gewählten Betriebsrats, höchstens jedoch bis zum Ablauf von drei Monaten, ab dem Tag der Ungültigkeitserklärung gerechnet, weiter. Dies gilt nach § 61 Abs 2 Satz 2 ArbVG allerdings nicht, wenn die Tätigkeitsdauer des früheren Betriebsrats gemäß § 62 ArbVG vorzeitig geendet hat.
[24] § 61 Abs 2a ArbVG regelt die – im vorliegenden Fall nicht relevante – Fortführung der Geschäfte durch den Betriebsrat im Fall, dass ein erstes Urteil eines Gerichts erster Instanz die Wahl aufgrund einer Anfechtung nach § 51 Abs 1 ArbVG für unwirksam erklärte, bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Anfechtungsklage.
[25] Nach § 61 Abs 3 ArbVG werden die nach Beginn der Tätigkeitsdauer gesetzten Rechtshandlungen eines Betriebsrats in ihrer Gültigkeit durch die zufolge einer Wahlanfechtung nachträglich erfolgte Aufhebung der Betriebsratswahl nicht berührt. Die rechtsgestaltende Entscheidung des Gerichts über die Wahlanfechtung nach § 59 ArbVG wirkt also ex nunc (vgl RS0100006).
[26] § 62 ArbVG regelt die vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats. Nach § 62 Z 5 ArbVG endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats, wenn das Gericht die Wahl für ungültig erklärt.
1.3. Ende der Parteifähigkeit des Betriebsrats
[27] Endet von Gesetzes wegen die Funktionsdauer des Betriebsrats, endet damit auch seine Parteifähigkeit (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm Arbeitsrecht³ § 53 ASGG Rz 3).
[28] Nur dann, wenn zu dieser Zeit ein Verfahren vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde anhängig ist, besteht die Partei- und Prozessfähigkeit gemäß § 62a ArbVG in Bezug auf dieses Verfahren weiter (vgl 8 ObA 207/00z), wobei der Wegfall – bzw die Verlängerung – der Partei- und Prozessfähigkeit während des Verfahrens in § 62a ArbVG abschließend geregelt ist (9 ObA 77/08a). In den in § 62a ArbVG nicht genannten Fällen kommt es daher zu keiner Verlängerung der Parteifähigkeit des Betriebsrats über das Ende der Tätigkeitsdauer hinaus (Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 [2020] § 62a ArbVG Rz 11; Burger‑Ehrnhofer/Drs in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, § 62a ArbVG [36. Lfg 2015] Rz 10).
[29] § 62a ArbVG ordnet für den Fall, dass die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats nach §§ 61 und 62 Z 1 und 2 ArbVG während eines Verfahrens vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde, in dem der Betriebsrat Partei ist, endet, an, dass seine Partei- und Prozessfähigkeit in Bezug auf dieses Verfahren bis zu dessen Abschluss, längstens jedoch bis zur Konstituierung eines neuen Betriebsrats, weiter besteht (Satz 1). Dies gilt auch im Fall der Ergreifung eines außerordentlichen Rechtsmittels (Satz 2). Im Fall des § 62 Z 5 ArbVG besteht die Partei- und Prozessfähigkeit des Betriebsrats, dessen Wahl angefochten worden ist, in Bezug auf dieses gerichtliche Verfahren bis zu dessen Abschluss weiter (Satz 3).
[30] § 62a ArbVG hat den Hauptanwendungsfall vor Augen, dass kein neuer Betriebsrat gewählt wird. Kommt es zu einer Neuwahl des Betriebsrats, führt grundsätzlich der neu gewählte Betriebsrat die anhängigen Verfahren weiter. Eine Verlängerung der Partei- und Prozessfähigkeit ist diesfalls nicht notwendig beziehungsweise endet die verlängerte Partei- und Prozessfähigkeit mit der Konstituierung eines neuen Betriebsrats (Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 62a ArbVG Rz 1).
[31] Hat die Tätigkeitsdauer eines Betriebsrats geendet und liegt kein Fall einer Verlängerung nach § 62a ArbVG vor, wird eine rasche Neuwahl eines Betriebsrats empfohlen, damit dieser in das laufende Verfahren eintreten kann (Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeits-verfassungsrecht II6 § 62a ArbVG Rz 11).
1.4. Folgen fehlender Parteifähigkeit und Heilung
[32] Fällt die zu Beginn des Verfahrens vorhandene Partei- und Prozessfähigkeit des Betriebsrats während des Verfahrens ersatzlos weg, so begründet dies ein Prozesshindernis (vgl 8 ObA 219/97g), das nach allgemeinen Grundsätzen (vgl nur Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ Vor § 1 ZPO Rz 97 ff; RS0035043) die Aufhebung der ergangenen Entscheidungen und des Verfahrens als nichtig und die Zurückweisung der Klage zur Folge hat (vgl 9 Ob 77/08a).
[33] Ein Mangel der Parteifähigkeit heilt, wenn die Parteifähigkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung über deren Vorliegen erlangt wird. Die Heilung kann auch noch im Rechtsmittelverfahren eintreten (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ Vor § 1 ZPO Rz 99; Domej in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON Vor § 1 ZPO Rz 17). Wird eine parteiunfähige Partei während des Verfahrens parteifähig, so kann eine Nichtigerklärung nicht mehr erfolgen (7 Ob 556/93). Dass dies sogar dann gilt, wenn die Parteifähigkeit erst im Rechtsmittelverfahren über deren Vorliegen erlangt wird, ergibt sich daraus, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der in der Vernichtung von Verfahrensaufwand liegende Schaden möglichst zu vermeiden ist, daher umso mehr im Rechtsmittelverfahren, wenn der Schaden durch die Vernichtung von Prozessaufwand besonders groß wäre (vgl 7 Ob 556/93; 1 Ob 231/56 JBl 1957, 510).
1.5. Zum vorliegenden Fall
[34] 1.5.1. Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der Klageeinbringung am 11. 5. 2022 die Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats gegeben: Nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen im Revisionsverfahren war dieser am 12. 10. 2020 gewählt worden. Die im später (am 4. 7. 2022) ergangenen Urteil 11 Cga 135/20g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien angesprochene bloße Änderung des Betriebsinhabers von der österreichischen Zweigniederlassung der T* B.V. auf die hier ursprünglich beklagte T* GmbH im Weg eines Asset Deal entfaltete keinen Einfluss auf die Betriebsidentität (vgl RS0050993; RS0051125 [T1]) und die Rechtsstellung des gewählten Betriebsrats. In diesem Sinn gingen beide Parteien in ihrem im Revisionsverfahren erstatteten Vorbringen übereinstimmend davon aus, dass die Klage vom – parteifähigen – Arbeiterbetriebsrat der Beklagten eingebracht worden war, was auch im Verfahren erster Instanz nicht in Zweifel gezogen wurde.
[35] Erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des die Wahl vom 12. 10. 2020 für nichtig erklärenden Urteils des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4. 7. 2023, sohin mit dem Verstreichen der Rechtsmittelfrist gegen das den Parteien am 31. 1. 2023 zugestellte Urteil, endete gemäß § 62 Z 5 ArbVG die Tätigkeitsdauer dieses Betriebsrats vorzeitig und mit Wirkung ex nunc (vgl RS0100006).
[36] Dass hier kein Fall einer Verlängerung der Tätigkeitsdauer dieses oder eines gemäß § 61 Abs 2 ArbVG „wiederbelebten“ früheren Betriebsrats (vgl Burger‑Ehrnhofer/Drs in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, § 62a ArbVG [36. Lfg 2015] Rz 19) über den Endigungszeitpunkt gemäß § 62 Z 5 ArbVG hinaus vorlag, hat der klagende Betriebsrat selbst vorgebracht. Diese Beurteilung steht auch im Einklang mit dem in der Revision und der Revisionsbeantwortung insofern übereinstimmend erstatteten Vorbringen zur vorzeitigen Beendigung des früheren (am 14. 5. 2019 gewählten) Betriebsrats (vgl § 61 Abs 2 letzter Satz ArbVG).
[37] Auch ein Fall der Verlängerung der Parteifähigkeit nach § 62a ArbVG liegt nicht vor: § 62a ArbVG knüpft die Verlängerung der Partei- und Prozessfähigkeit des Betriebsrats an bestimmte Fälle der Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats, nämlich die Endigungstatbestände des § 62 Z 1 und 2 ArbVG sowie des § 61 ArbVG (Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 62a ArbVG Rz 8). Im hier zu beurteilenden Fall liegen eine Beendigung der Tätigkeitsdauer nach § 62 Z 1 (dauernde Betriebseinstellung) oder Z 2 ArbVG (Funktionsunfähigkeit des Betriebsrats) oder der Beendigung nach § 61 Abs 1 ArbVG (Ablauf der gesetzlichen Funktionsperiode) nicht vor. Hingegen kommt eine Anwendung des § 62a ArbVG nach einem gerichtlichen Urteil, das die Wahl des Betriebsrats für ungültig erklärt, hinsichtlich dieses Betriebsrats nicht in Betracht (Brameshuber/Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz [17. Lfg 2023] § 62a Rz 2; Radner/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 62a ArbVG Rz 11).
[38] Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Parteifähigkeit des am 12. 10. 2020 gewählten Betriebsrats mit Rechtskraft des den Parteien am 31. 1. 2023 zugestellten Urteils 11 Cga 135/20g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien, sohin mit Ablauf des 28. 2. 2023, endete und kein Fall einer Verlängerung der Tätigkeitsdauer dieses oder des früheren Betriebsrats vorliegt.
[39] 1.5.2. Dieser während des Berufungsverfahrens eingetretene Mangel der Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats ist allerdings geheilt:
[40] Nach dem von der Beklagten auf Tatsachenebene nicht bestrittenen klägerischen Vorbringen im Revisionsverfahren wurde von 3. 4. bis 8. 4. 2023 neuerlich ein Betriebsrat der Arbeiter der Beklagten gewählt, der sich am 10. 4. 2023 konstituiert hat, womit gemäß § 61 Abs 1 ArbVG seine Tätigkeitsdauer begann. Umstände, die zu einer Beendigung der Tätigkeitsdauer dieses Betriebsrats führen könnten, wurden von der Beklagten nicht behauptet und sind auch nicht ersichtlich. Im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung über die Vorliegen der Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats ist dessen Parteifähigkeit daher zu bejahen. Der Mangel der fehlenden Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats ist geheilt.
[41] Dass die vorangegangene Betriebsratswahl vom 12. 10. 2020 vom Arbeits- und Sozialgericht Wien nach § 59 Abs 2 ArbVG (also mangels Betriebseigenschaft) für rechtsunwirksam erklärt wurde, hat auf die Parteifähigkeit des später (von 3. 4. bis 8. 4. 2023) gewählten Betriebsrats der Arbeiter der Beklagten keinen Einfluss und steht einer Heilung nicht entgegen. Soweit die Beklagte in ihrer Revision vorbringt, die Heilung sei nicht möglich, weil „im selben Nicht-Betrieb“ nicht nochmals ein Betriebsrat gewählt werden könne, lässt sie außer Acht, dass – auch nach ihrer eigenen Stellungnahme vom 19. 11. 2024 – der Betriebsratswahl vom 3. 4. bis 8. 4. 2023 eine andere Abgrenzung des Betriebs zugrunde gelegt wurde als der vorangegangenen Wahl und dass die vom 3. 4. bis 8. 4. 2023 durchgeführte Wahl unangefochten blieb, wodurch selbst eine im Nichtbetrieb stattgefundene Betriebsratswahl für die Dauer der gesetzlichen Funktionsperiode von fünf Jahren saniert wäre (9 ObA 40/23g [Rz 16]; RS0051150). Ein unzulässiger Parteiwechsel ist darin, dass die Parteifähigkeit des Arbeiterbetriebsrats der Beklagten im vorliegenden Entscheidungszeitpunkt wieder vorliegt, entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht zu erblicken.
[42] Zusammengefasst ist der Mangel der Parteifähigkeit des klagenden Betriebsrats der Arbeiter der Beklagten geheilt, eine Nichtigerklärung des bisher durchgeführten Verfahrens kommt daher nicht in Betracht. Vielmehr ist eine Entscheidung in der Sache zu treffen.
2. Zur Berechtigung des Klagebegehrens
2.1. Befugnisse des Betriebsrats
[43] Der Betriebsrat ist der gesetzlich vorgeschriebene direkte Vertreter der Belegschaft (RS0051061). Ihm kommt als Belegschaftsorgan die Aufgabe zu, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern (vgl § 38 ArbVG).
[44] Nach § 72 ArbVG sind dem Betriebsrat zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben neben Räumlichkeiten, Kanzlei- und Geschäftserfordernissen auch sonstige Sacherfordernisse in einem der Größe des Betriebs und den Bedürfnissen des Betriebsrats angemessenen Ausmaß vom Betriebsinhaber unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Begriff der Kanzlei- und Geschäftserfordernisse ist insofern dynamisch zu interpretieren, als er dem jeweiligen Stand der technologischen Entwicklung anzupassen ist (RS0123849). Im Rahmen des § 72 ArbVG hat der Betriebsinhaber dem Betriebsrat eine angemessene Ausstattung mit Büromaterial, Telefonanschluss, Fachliteratur, PC und Internetanschluss sowie bei großen Betrieben mit einer Schreibkraft zur Verfügung zu stellen (vgl Kallab inNeumayr/Reissner, ZellKomm Arbeitsrecht³ § 72 ASGG Rz 8 mwN).
[45] Entscheidend ist der Zweck der Bestimmung, der darin besteht, dem Betriebsrat die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen (8 ObA 92/04v ZAS 2005/39, 234 [Thiele]; RS0119458).
[46] Ausgehend von diesem Zweck folgt aus § 72 ArbVG auch die Verpflichtung, dem Betriebsrat dann, wenn im Betrieb ein bestimmtes internes Kommunikationsnetz errichtet ist, Zugang zu diesem, konkret die Möglichkeit der Verständigung der anderen Arbeitnehmer im Weg dieses Kommunikationsnetzes, einzuräumen (8 ObA 92/04v ZAS 2005/39, 234 [Thiele]). Zu beurteilen war in dieser im Jahr 2004 getroffenen Entscheidung die Einräumung der Möglichkeit, im Rahmen eines Firmenintranets E-Mails „an alle“ zu versenden. Der Oberste Gerichtshof bejahte die Verpflichtung des Betriebsinhabers, dem Betriebsrat diese Möglichkeit zu eröffnen, unter Hinweis auf den § 72 ArbVG innewohnenden Zweck.
[47] Die Befugnisse der Arbeitnehmerschaft – als materielle Rechtsträgerin – sind im 3. Hauptstück des ArbVG (§§ 89 ff) geregelt: Die allgemeinen Befugnisse des Betriebsrats (Abschnitt 1 des 3. Hauptstücks des ArbVG) umfassen Überwachungsrechte (§ 89 ArbVG), das Recht auf Intervention in allen die Interessen der Arbeitnehmer berührenden Angelegenheiten (§ 90 ArbVG), das allgemeine Informationsrecht (§ 91 ArbVG) sowie weitere Rechte. Darüber hinaus kommen der Belegschaftsvertretung Mitwirkungsrechte in sozialen (§§ 94 bis 97 ArbVG), personellen (§§ 98 bis 107 ArbVG) und wirtschaftlichen (§§ 108 bis 112 ArbVG) Angelegenheiten zu.
[48] Nach § 89 ArbVG hat der Betriebsrat das Recht, die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen. Dafür stehen ihm insbesondere folgende Befugnisse zur Verfügung (zusammengefasst): Z 1: das Recht auf Einsicht in die Aufzeichnungen über die Bezüge der Arbeitnehmer; Z 2: der Betriebsrat hat die Einhaltung der für den Betrieb geltenden Kollektivverträge und sonstiger arbeitsrechtlicher Vereinbarungen zu überwachen; Z 3: er hat die Durchführung und Einhaltung der Vorschriften über den Arbeitnehmerschutz, die Sozialversicherung und einer allfälligen betrieblichen Pensionsvorsorge zu überwachen, wozu er Räumlichkeiten, Anlagen und Arbeitsplätze besichtigen kann; Z 4: dem Betriebsrat ist bei Einverständnis des Arbeitnehmers Einsicht in dessen Personalakten zu gewähren.
[49] Nach dem allgemeinen – weit gefassten (vgl Felten in Felten, Betriebsrat und Information [2017] Rz 2.16) – Informationsrecht des § 91 ArbVG ist der Betriebsinhaber verpflichtet, dem Betriebsrat über alle Angelegenheiten, welche die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs berühren, Auskunft zu erteilen.
[50] § 91 Abs 2 ArbVG ordnet spezifische Informationsrechte an: Nach § 91 Abs 2 Satz 1 ArbVG hat der Betriebsinhaber dem Betriebsrat Mitteilung zu machen, welche Arten von personenbezogenen Arbeitnehmerdaten er automationsunterstützt aufzeichnet und welche Verarbeitungen und Übermittlungen er vorsieht. Dem Betriebsrat ist auf Verlangen die Überprüfung der Grundlagen der Verarbeitung und Ermittlung zu ermöglichen (Satz 2). Sofern sich nicht aus § 89 ArbVG oder anderen Rechtsvorschriften ein unbeschränktes Einsichtsrecht des Betriebsrats ergibt, ist zur Einsicht in die Daten einzelner Arbeitnehmer deren Zustimmung erforderlich (Satz 3). Das Erfordernis der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer gilt daher nur dann und soweit, als sich nicht aufgrund anderer Vorschriften ein unbeschränktes – das heißt von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer unabhängiges – Einsichtsrecht des Betriebsrats ergibt (Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 [2020] § 91 ArbVG Rz 26).
[51] Im Rahmen der Mitwirkung in personellen Angelegenheiten normiert § 99 Abs 4 ArbVG die Verpflichtung, dem Betriebsrat jede erfolgte Einstellung eines Arbeitnehmers unverzüglich mitzuteilen, wobei diese Mitteilung Angaben über die vorgesehene Verwendung und Einstufung des Arbeitnehmers, den Lohn oder Gehalt sowie eine allfällige vereinbarte Probezeit oder Befristung zu enthalten hat.
[52] Als wesentliche Befugnisse des Betriebsrats sind weiters dessen Mitwirkung bei Versetzungen (§ 101 ArbVG) sowie bei der Anfechtung von Kündigungen (§ 105 ArbVG) hervorzuheben. Nach § 105 Abs 1 ArbVG hat der Betriebsinhaber vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers den Betriebsrat zu verständigen, der innerhalb von einer Woche dazu Stellung nehmen kann. Dass dazu eine Kontaktaufnahme mit dem zu kündigenden Arbeitnehmer zweckdienlich ist, liegt auf der Hand (vgl Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 105 ArbVG Rz 58).
[53] Zweck der Informationsrechte des Betriebsrats ist es allgemein, der Belegschaft zu ermöglichen, auf betriebliche Entwicklungen zu reagieren, diesbezügliche Auswirkungen abzuklären und Vorschläge zu erstatten (9 ObA 135/09g DRdA 2012/28, 388 [Heilegger] = ZAS 2012/17, 87 [Grünanger]).
[54] Ganz grundsätzlich ist jedes Betriebsratsmitglied in seiner Funktion berechtigt, mit einzelnen Arbeitnehmern aktiv Kontakt aufzunehmen, diese zu informieren und Angelegenheiten zu besprechen, die deren soziale, wirtschaftliche, kulturelle und gesundheitliche Interessen berühren, oder sich deren Anfragen und Interventionen anzuhören (Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 Vorbemerkungen zu den §§ 89 bis 114 ArbVG Rz 2a; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II6 § 38 ArbVG Rz 8). In welcher Weise der Betriebsrat seine Interessenvertretungsaufgabe und in der Folge die Ausübung seiner Befugnisse anlegt, fällt in seine autonome Selbstverwaltung (Firlei, Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht des Betriebsinhabers gem § 91 Abs 1 ArbVG, wbl 2011, 461 [463]).
2.2. Verhältnis zum Datenschutz
[55] Zur Rechtslage vor der DSGVO hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Befugnisse des Betriebsrats durch das Datenschutzrecht (damals DSG 2000) nicht berührt werden und jedenfalls im Bereich der Pflichtkompetenzen des Betriebsrats eine daten-schutzrechtliche Interessenabwägung nicht erforderlich ist (6 ObA 1/14m DRdA 2015/33, 255 [Goricnik] = jusIT 2014/112, 232 [Thiele] mit ausführlicher Darstellung der Literatur). Hervorgehoben wurde, dass dort, wo das ArbVG dem Betriebsrat eine von der individuellen Zustimmung der Arbeitnehmer unabhängiges Einsichtsrecht zuweist, eine solche nicht aus datenschutzrechtlichen Erwägungen verlangt werden kann. Denn dadurch bestünde die Gefahr, dass einzelne Dienstnehmer vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt würden, um entsprechende Einsichtnahmen und Kontrolltätigkeiten des Betriebsrats zu vermeiden (6 ObA 1/14m; RS0129697). Vielmehr ist im Hinblick auf die vielfältigen Sanktionen im Fall der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ein Betriebsratsmitglied jedenfalls davon auszugehen, dass der Gesetzgeber angemessene Garantien für die Wahrung des Datenschutzes auch durch den Betriebsrat geschaffen hat (6 ObA 1/14m; RS0129697 [T2]).
[56] Diese Wertung wurde auch nach Inkrafttreten der DSGVO ausdrücklich aufrecht erhalten (9 ObA 51/22y [Rz 53] DRdA 2024/22, 296 [Jabornegg]). Auch wenn eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung des Verhältnisses von Datenschutz- und Arbeitsverfassungsrecht fehlt (Brodil, Arbeitnehmerschutz und Datenschutz-Grundverordnung [DSGVO], ecolex 2018, 486; Körber‑Risak, DSGVO und Betriebsverfassungsrecht in Körber‑Risak/Brodil, Datenschutz und Arbeitsrecht [2018] 55 [59 f]), wurde das ArbVG, soweit es die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext betrifft, nach § 88 Abs 3 DSGVO als „spezifischere“ Vorschrift im Sinn der Öffnungsklausel des Art 88 Abs 3 DSGVO notifiziert (Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 91 ArbVG Rz 9). In der Literatur wird dazu vertreten, dass – unabhängig von der Annahme zusätzlicher Erlaubnistatbestände unter Berufung auf Art 88 DSGVO – Datenverarbeitungen in Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse in aller Regel nach den Erlaubnistatbeständen des Art 6 Abs 1 lit c (im Rahmen der Pflichtbefugnisse, Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 89 ArbVG Rz 14) oder lit f DSGVO sowie Art 9 Abs 2 lit b DSGVO zulässig seien (Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 Vorbemerkungen zu §§ 89 bis 114 ArbVG Rz 10; Goricnik in Knyrim, Der DatKomm [72. Lfg 2023] Art 88 DSGVO Rz 91).
[57] Insofern bestehe eine „Sphärenharmonie“ zwischen Betriebsverfassungs- und Datenschutzrecht; die Grundsätze der Entscheidung 6 ObA 1/14m seien auch unter der Geltung der DSGVO fortzuschreiben (Goricnik in Knyrim, Der DatKomm Art 88 DSGVO Rz 86 ff, insb 88). Demnach sind alle gesetzlichen Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats datenschutzrechtlich auf ihre betriebsverfassungsrechtliche Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Arbeitnehmerdaten durch den Betriebsrat für den jeweiligen Zweck zu prüfen, wobei sich die Erforderlichkeit entweder aus dem klaren Gesetzeswortlaut oder kraft einer Interessenabwägung im Dreieck Arbeitnehmer – Belegschaft/Betriebsrat – Arbeitgeber ergebe (Goricnik in Knyrim, Der DatKomm Art 88 DSGVO Rz 89). Außerhalb der Pflichtbefugnisse des Betriebsrats scheide zwar der Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit c DSGVO aus, allerdings könne sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung innerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG aus Art 6 Abs 1 lit f DSGVO, hinsichtlich sensibler Daten aus Art 9 Abs 2 lit b DSGVO ergeben (Goricnik in Knyrim, Der DatKomm Art 88 DSGVO Rz 91; Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 § 91 ArbVG Rz 20).
2.3. Anwendung der Grundsätze auf den derzeit festgestellten Sachverhalt
[58] Der Oberste Gerichtshof hat bereits im Rahmen der Ausstattung des Betriebsrats mit Büroinfrastruktur den Zweck der Regelung, nämlich die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe der Belegschaftsvertretung, betont. Dieser Zweck ist den – oben überblicksweise dargestellten – Regelungen über die Belegschaftsvertretung insgesamt immanent. Denn dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, eine Belegschaftsvertretung als ein mit weitgehenden Befugnissen ausgestattetes Organ der Arbeitnehmerschaft einzurichten, ohne ihr eine effiziente, den betrieblichen Gepflogenheiten entsprechende Kontaktaufnahme mit den von ihr vertretenen Arbeitnehmern zu ermöglichen. Das wäre aber der Fall, wollte man dem Betriebsrat verwehren, die dem Arbeitgeber bekannten und von diesem zur laufenden Kommunikation mit den Arbeitnehmern genutzten E-Mail-Adressen in Erfahrung zu bringen. Der Anspruch auf die Mitteilung der dem Dienstgeber bekannten E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer ergibt sich in einem Sachverhalt wie dem vorliegend festgestellten, in dem es sich bei den E-Mail-Adressen um eines der vom Arbeitgeber selbst primär genutzten Mittel der Kommunikation mit den Arbeitnehmern handelt, bereits aus dem Zweck der Einrichtung des Betriebsrats als Belegschaftsorgan und seiner Ausstattung mit umfangreichen (Einzel-)Befugnissen.
[59] Die Übermittlung der dem Arbeitgeber bekannten E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer an den Betriebsrat ist in einer Fallkonstellation wie vorliegend festgestellt auch datenschutzrechtlich zulässig:
[60] Da die proaktive Kontaktaufnahme des Betriebsrats mit den von ihm vertretenen Arbeitnehmern nicht schlechthin einer seiner Pflichtbefugnisse (zum Begriff vgl Auer-Mayer in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht III6 Vorbemerkungen zu §§ 89 bis 114 ArbVG Rz 4) zugeordnet werden kann, ist in einer Konstellation wie der vorliegend festgestellten die Zulässigkeit der Datenverarbeitung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO zu prüfen. Nach der gebotenen dreigliedrigen Interessenabwägung ist eine Datenverarbeitung zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt, die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich ist und die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen (vgl RS0133890).
[61] In einem Sachverhalt wie vorliegend festgestellt ergibt sich das berechtigte Interesse der Belegschaftsvertretung an der Mitteilung der dem Dienstgeber bekannt gegebenen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer aus dem Bedürfnis, in einer effizienten, den gegenwärtigen technischen Entwicklungen entsprechenden und betriebsüblichen Form mit den vertretenen Arbeitnehmern zu kommunizieren und dadurch die Befugnisse des Betriebsrats zweckdienlich ausüben zu können. Darin liegt gleichzeitig ein legitimes Interesse der Belegschaft als Gesamtheit. Dass die E-Mail-Adressen zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlich sind, ergibt sich schon daraus, dass es sich um eines der auch von der beklagten Arbeitgeberin selbst primär genutzten Kommunikationsmittel handelt.
[62] Ein relevanter Eingriff in die Privatsphäre dadurch, dass Arbeitnehmer auf jener E-Mail-Adresse, die sie ihrem Arbeitgeber zur Kommunikation im Zuge des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung stellen, auch von der Belegschaftsvertretung, also ebenfalls im beruflichen Kontext, kontaktiert werden können, ist nicht ersichtlich. Überwiegende Interessen der betroffenen Arbeitnehmer stehen der begehrten Bekanntgabe der E-Mail-Adressen bei einem Sachverhalt wie dem hier festgestellten daher nicht entgegen.
[63] Das Recht zur Bekanntgabe umfasst notwendig auch die E-Mail-Adressen der neu eintretenden Arbeitnehmer sowie die Mitteilung der der Beklagten bekannt gegebenen Aktualisierungen.
[64] Hingegen ist in einem Sachverhalt wie hier festgestellt ein berechtigtes Interesse der Belegschaftsvertretung und der Arbeitnehmer daran, neben einer Kontaktaufnahmemöglichkeit per E-Mail zusätzlich über die privaten Telefonnummern der Arbeitnehmer zu verfügen, nur gering ausgeprägt. Bei regelmäßiger Nutzung der E-Mail-Adresse – wovon auszugehen ist, wenn es sich dabei, wie im festgestellten Sachverhalt, um eines der primären Kommunikationsmittel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt – ist die Telefonnummer des Arbeitnehmers auch für eine zeitnahe Kontaktaufnahme durch die Belegschaftsvertretung nicht erforderlich. Schon aufgrund dieser Erwägungen ist aus dem festgestellten Sachverhalt ein Recht des Betriebsrats auf Bekanntgabe der Telefonnummern der von ihm vertretenen Arbeitnehmer nach dem derzeit etablierten Sachverhalt nicht ableitbar.
2.4. Erörterungsbedürftigkeit der Sachverhaltsgrundlage
[65] Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach dem insofern übereinstimmenden Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren die im April 2024 durchgeführte Betriebsratswahl erstmals „österreichweit“ und innerhalb eines geografisch weiter gezogenen Umfangs durchgeführt wurde als die am 12. 10. 2020 durchgeführte Wahl. Die getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, ob sie sich – ungeachtet der generellen Formulierungen, die von den Arbeitnehmern der Beklagten sprechen – nur auf die vom Klagebegehren bereits ursprünglich erfassten „von der klagenden Partei vertretenen“ Arbeitnehmer und insofern nur auf die Arbeitnehmer jenes Betriebsteils beziehen, in dem die Betriebsratswahl vom 12. 10. 2020 stattgefunden hatte, oder ob sie sich auf sämtliche Arbeitnehmer der Beklagten „österreichweit“ beziehen.
[66] Da dieser Umstand der Erörterung mit den Parteien bedarf, ist die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung an das Erstgericht erforderlich.
[67] Dabei werden die dargestellten Erwägungen, die für einen Sachverhalt wie den derzeit festgestellten anzustellen sind, zu berücksichtigen sein.
3. Kosten
[68] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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