OGH 9ObA102/23z

OGH9ObA102/23z14.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat des darstellenden künstlerischen Personals der *, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden *, dieser vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2023, GZ 8 Ra 77/23m‑13, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 12. April 2023, GZ 30 Cga 164/22i‑8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00102.23Z.0214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.883,40 EUR (darin 313,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 19. 5. 2022 fand eine Gruppenversammlung des darstellenden künstlerischen Personals der Beklagten statt, in welcher von den anwesenden Personen die Einführung einer Betriebsratsumlage per 1. 9. 2022 beschlossen wurde. Die Beklagte hat für Künstler mit Gastverträgen, Künstler mit Residenzverträgen sowie Mitglieder des Leading‑Teams keine Betriebsratsumlage einbehalten, weil es sich bei diesen Personen ihrer Ansicht nach um keine Arbeitnehmer im Sinne des ArbVG handelt.

[2] Der klagende Betriebsrat begehrt mit seiner – ausdrücklich als Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG bezeichneten – Klage die Feststellung, dass die Beklagte für die nach dem 1. 9. 2022 liegenden Zeiten der Vorstellungen und Proben bei bestimmten (in der Klage näher bezeichneten) Produktionen eine monatliche Betriebsratsumlage in Höhe von [...] auch hinsichtlich folgender (ebenfalls in der Klage näher bezeichneten) Personen einzuheben und an den Betriebsratsfonds abzuführen hat: […]. Zu Unrecht bestreite die Beklagte die Arbeitnehmereigenschaft der in der Klage genannten Personen. Die strittige Frage, ob diese der Umlagepflicht unterlägen, betreffe mehr als drei Arbeitnehmer.

[3] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Der klagende Betriebsrat sei nicht aktiv klagslegitimiert, weil nur der Betriebsratsfonds den Klagsanspruch geltend machen könne. Zudem handle es sich um keine Arbeitsrechtssache nach § 50 Abs 1 ASGG, weshalb die Voraussetzungen einer Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG nicht vorliege. Im Übrigen sei der Klagsanspruch auch inhaltlich nicht berechtigt.

[4] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Trotz Parteifähigkeit des Betriebsratsfonds sei zwar auch der Betriebsrat aktiv klagslegitimiert, allerdings handle es sich hier nicht um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 50 Abs 1 ASGG, sondern um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG. Diese könne aber nicht in einem Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG ausgetragen werden.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG – ausgehend vom Vorbringen und Begehren des Klägers – nicht gegeben seien, weil es sich beim geltend gemachten Anspruch des Betriebsratsfonds auf Betriebsratsumlage nach § 73 ArbVG um keine Arbeitsrechtssache im Sinne des § 50 Abs 1 ASGG, sondern um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG handle. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei der Betriebsrat auch nicht aktiv legitimiert, den betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch des – mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten und parteifähigen – Betriebsratsfonds geltend zu machen. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob der Betriebsrat bei Klagen auf Einhebung und Abführung der Betriebsratsumlage auch in den Fällen aktiv klagslegitimiert sei, in denen ein Betriebsratsfonds bereits von Gesetzes wegen durch die Zuwendung von Vermögen zu dem in § 73 ArbVG bezeichneten Zweck entstanden sei, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt.

[6] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der klagende Betriebsrat die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 ASGG können in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft im Rahmen ihres Wirkungsbereichs sowie der jeweilige Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebs oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden. Der Betriebsrat ist ein „Organ der Arbeitnehmerschaft“ (vgl § 40 ArbVG). Der Betriebsrat ist weder eine juristische Person noch ein sonstiges Personengebilde, dem eine eigene Rechtspersönlichkeit und damit Rechtsfähigkeit zukommt (RS0101814 [T1]). Er vertritt immer nur die Belegschaft, welche eine der Gesamthand ähnliche Rechtsgemeinschaft darstellt (RS0035251 [T4]). Das Gesetz hat dem Betriebsrat in § 53 Abs 1 ASGG die Parteifähigkeit zuerkannt (RS0035251).

[10] 2. Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG sind die in Z 1 bis 9 leg cit aufgezählten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Begriff der Arbeitsrechtssachen gemäß § 50 Abs 1 ASGG ist nach der Rechtsprechung weit auszulegen (8 ObA 84/10a; Neumayr in ZellKomm3, § 50 ASGG Rz 8 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Arbeitsrechtssache im Sinne des § 50 Abs 1 ASGG vorliegt, ist der in der Klagserzählung behauptete Anspruch, dessen Wahrheit und Richtigkeit für den Zweck der Zuständigkeitsprüfung vorerst zu unterstellen ist. Streitigkeiten aus der Betriebsverfassung werden über die Generalklausel des § 50 Abs 2 ASGG als Arbeitsrechtssachen erfasst.

[11] 3. Der Revisionswerberbehauptetdas Vorliegen einer Arbeitsrechtssache im Sinne des § 50 Abs 1 Z 1 ASGG. Die Frage, ob hinsichtlich eines Arbeitnehmers eine Pflicht des Arbeitgebers zur Abführung der Betriebsratsumlage bestehe, stünde in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Arbeitsverhältnissen der in der Klage erwähnten Arbeitnehmer, zumal davon auch deren Entgelt abhängig sei. Auch wenn die gegenständliche Klage das Betriebsverfassungsrecht berühre, berühre sie aber auch unmittelbar das Rechtsverhältnis zwischen der beklagten Arbeitgeberin und den von der Klage betroffenen Arbeitnehmern, weil ihr die Frage zugrunde liege, ob hier aufrechte Arbeitsverhältnisse vorlägen. Im Rahmen seines Klagerechts nach § 54 Abs 1 ASGG könne auch der Betriebsrat eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands eines Arbeitsverhältnisses erheben.

[12] 4.1. Diese Argumente überzeugen nicht. Nach Rechtsprechung und Lehre fallen Streitigkeiten zwischen dem Betriebsratsfonds und dem Arbeitgeber über die Abführung der Betriebsratsumlage als Streitigkeit aus der Betriebsverfassung in die sachliche Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte nach § 50 Abs 2 ASGG (vgl 8 ObA 22/02x; Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 73 Rz 21; Radner/Preises in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 26 § 73 ArbVG Rz 28).

[13] 4.2. Auch eine weite Auslegung des § 50 Abs 1 Z 1 ASGG führt nicht dazu, dass die vorliegende betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nach dem II. Teil des ArbVG (§§ 7374 ArbVG; § 50 Abs 2 ASGG) über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, eine Betriebsratsumlage einzuheben, als Streitigkeit zwischen der Arbeitgeberin und bestimmten Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verstanden werden kann. Strittig ist hier nicht die Höhe des den (von der Klage betroffenen) Arbeitnehmern zustehenden Entgelts, sondern die Frage der Verpflichtung der Beklagten, die von der Gruppenversammlung des darstellenden künstlerischen Personals beschlossene Betriebsratsumlage auch vom Entgelt der von der Klage betroffenen namentlich genannten Personen einzubehalten und an den Betriebsratsfonds abzuführen (vgl § 73 Abs 3 ArbVG). Arbeitsrechtliche Vorfragen, wie jene des aufrechten Bestehens eines Arbeitsverhältnisses (hier dieses Personals), machen die betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit nicht auch zu einer arbeitsrechtlichen. Richtig ist zwar, dass der Betriebsrat im Rahmen seines Klagerechts nach § 54 Abs 1 ASGG eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses erheben kann (8 ObA 45/11t Pkt 1.). Die gegenständliche Klagsführung des Betriebsrats nach § 54 Abs 1 ASGG hat aber keinen arbeitsrechtlichen, sondern ausschließlich einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch zum Gegenstand.

[14] 4.3. Der Klagsanspruch unterfällt auch nicht § 50 Abs 1 Z 2 ASGG (auf den sich der Kläger ohnehin nicht beruft), weil es sich um eine Rechtsstreitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG handelt.

[15] 4.4. Da die Klage des Betriebsrats nach § 54 Abs 1 ASGG schon mangels Vorliegens einer Arbeitsrechtssache im Sinne des § 50 Abs 1 ASGG scheitern muss, war auf die – vom Berufungsgericht verneinte – Frage der aktiven Klagslegitimation des Betriebsrats für den gegenständlichen Anspruch nicht mehr einzugehen.

[16] Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4150 ZPO. Der ERV‑Zuschlag beträgt gemäß § 23a RATG lediglich 2,60 EUR (anstatt 5 EUR), handelt es sich doch bei der Revisionsbeantwortung um keinen das Verfahren einleitenden Schriftsatz.

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