European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00128.24G.0114.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist Justizwachebeamter in der Justizanstalt *. In der Nacht vom 2. 2. 2020 auf den 3. 2. 2020 brach in der Justizanstalt * ein Brand aus. Der Kläger war bei Brandausbruch nicht vor Ort, sondern befand sich in Rufbereitschaft. In seiner damaligen Funktion als stellvertretender Justizwachekommandant einer Außenstelle der Justizanstalt * vertrat er zu diesem Zeitpunkt die Anstaltsleitung und wurde vom Nachtdienstkommandanten über den Brand und den entsprechenden Tumult in der Justizanstalt informiert. Daraufhin fuhr der Kläger in die Justizanstalt, verständigte während der Fahrt seine Vorgesetzten und übernahm vor Ort das Kommando. Nach der Evakuierung von insgesamt 39 Insassen in die Justizanstalt * wurde der Brand relativ rasch gelöscht. Vier Kollegen des Klägers mussten wegen Rauchgasvergiftung oder eines entsprechenden Verdachts im Spital behandelt werden. Der Kläger blieb ca von 20:00 Uhr bis 1:00 Uhr vor Ort, bis die Evakuierung abgeschlossen war und der Brand als gelöscht galt. Er erlitt durch die Tätigkeit vor Ort keine gesundheitliche Beeinträchtigung. Am nächsten Tag verrichtete er wieder regelmäßig Dienst.
[2] Nach dem Brand kam es zu Konflikten zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten, *. Er fühlte sich für den Brand mitverantwortlich gemacht und meinte, man habe in seiner Person „einen Schuldigen“ für den Vorfall gesucht und gefunden.
[3] Am 23. 4. 2022, mehr als zwei Jahre nach dem Vorfall, ging der Kläger in seither ununterbrochenen Krankenstand. Davor hatte er keine Krankenstände aus psychischen Gründen oder wegen einer durch seine Tätigkeit in der Brandnacht ausgelöste gesundheitliche Beeinträchtigung in Anspruch genommen. Erstmals hatte er sich am 1. 12. 2021 in psychiatrische Behandlung begeben. Seit Mai 2022 unterzieht er sich einmal im Monat einer Psychotherapie.
[4] Im Zuge einer Beratung und Diskussion mit einem Rechtsanwalt darüber, welche Ursachen sein beeinträchtigter Gesundheitszustand haben könnte, kam er darauf, dass er seit dem Brand „entsprechend belastet“ ist. Daraufhin reichte er am 22. 1. 2023 (nur) bei der Beklagten eine Unfallmeldung ein und gab darin zum Unfallhergang an: „Brand in der Justizanstalt *. Traumatisierung durch die Ausnahmesituation in der Brandnacht und bei der dienstlichen Aufarbeitung im Nachhinein. Die Traumatisierung und die darauf folgende Belastungsstörung konnte erst vor Kurzem diagnostiziert werden“. Weiters führte er an, an einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden, und begehrte die Anerkennung des Ereignisses als Dienstunfall und die Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung gemäß §§ 88 ff B‑KUVG.
[5] Mit Bescheid vom 23. 11. 2023 anerkannte die Beklagte den Vorfall nicht als Dienstunfall und lehnte die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab.
[6] Mit der dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß und die Anerkennung des Vorfalls in der Nacht vom 2. 2. 2020 auf den 3. 2. 2020 als Dienstunfall. Er habe in dieser Brandnacht im Rahmen seiner Dienstverrichtung und durch die dienstliche Aufarbeitung der Ereignisse im Nachhinein eine anhaltende Gesundheitsbeeinträchtigung mit Krankheitswert davongetragen. Der Brand sei ursächlich für die posttraumatische Belastungsstörung. Es habe sich um eine Ausnahmesituation gehandelt, die samt der dienstlichen Aufarbeitung des Ereignisses im Nachhinein von solcher Schwere gewesen sei, dass eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung notwendig geworden sei.
[7] Die Beklagte hält dem entgegen, bei der behaupteten Traumatisierung durch die Ausnahmesituation in der Brandnacht und bei der dienstlichen Aufarbeitung im Nachhinein handle es sich nicht um ein plötzlich eintretendes bzw zeitlich eng begrenztes Ereignis und damit um keinen Dienstunfall im Sinn der ständigen Rechtsprechung.
[8] Das Erstgericht wies das Begehren auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab. Der Kläger sei nicht schon durch den Brand selbst oder unmittelbar danach durch Vorkommnisse am Brandort in seiner Gesundheit beeinträchtigt worden. Vielmehr sei die Belastungsstörung nach Auffassung des Klägers aufgrund von Konflikten mit Vorgesetzten im Zuge der Aufarbeitung des Brandgeschehens entstanden. Es liege daher kein Dienstunfall vor, weil die Beeinträchtigungen des Klägers mit dem Unfallgeschehen selbst in keinerlei Zusammenhang stünden.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es auch das Begehren auf Anerkennung des Vorfalls in der Nacht vom 2. 2. 2020 auf den 3. 2. 2020 als Dienstunfall abwies. Es verwarf die in der Berufung des Klägers geltend gemachte Mängelrüge, verneinte das Vorliegen der beanstandeten rechtlichen Feststellungsmängel des Ersturteils und führte darüber hinaus nach Darstellung der Rechtsprechung zum Begriff des Arbeits- bzw Dienstunfalls in rechtlicher Hinsicht aus, ein Unfall im Sinn eines zeitlich begrenzten (plötzlichen) Ereignisses lasse sich aus dem Urteilssachverhalt – auch unter Bedachtnahme auf die dislozierte Feststellung im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils, wonach die Beeinträchtigungen des Klägers mit dem „Unfallgeschehen“ selbst in keinerlei Zusammenhang stünden – nicht ableiten.
[10] Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit dem er die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.
[12] 1. Die vom Kläger behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor:
[13] 1.1 Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche erkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Ob ein in der Berufung behaupteter Verfahrensmangel vom Berufungsgericht zu Recht verneint wurde, ist vom Revisionsgericht auch in Sozialrechtssachen nicht mehr zu prüfen (RS0043061). Diese Grundsätze gelten nur dann nicht, wenn eine Mängelrüge in Folge unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften unerledigt blieb oder wenn das Berufungsgericht einen gerügten Mangel erster Instanz mit einer aktenwidrigen oder rechtlich unhaltbaren Begründung verneinte (RS0042963 [T28, T52]; RS0041032 [T13]).
[14] Der Kläger vermeint, das Berufungsgericht habe den von ihm beanstandeten Begründungsmangel im Ersturteil zu Unrecht – unter Verweis auf dessen fehlende Relevanz – keiner inhaltlichen Prüfung unterzogen. Der Verfahrensmangel sei aber sehr wohl maßgeblich, weil eine ordnungsgemäße Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts (namentlich zur Frage, wieso dieses nicht davon ausgegangen sei, dass die Behandlung des Klägers bereits aufgrund der Brandnacht notwendig geworden sei) zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung führen hätte können, zumal seine Belastung und die dadurch notwendige psychiatrische Behandlung möglicherweise als direkte Folge des „Dienstunfalles“ anerkannt worden wären.
[15] Diese Argumentation nimmt nicht darauf Bedacht, dass der Kläger in erster Instanz gar nicht die Behauptung aufgestellt hat, alleine durch die Ereignisse der Brandnacht einer solchen Belastung ausgesetzt gewesen zu sein, die schon für sich genommen – also ganz unabhängig von der späteren „dienstlichen Aufarbeitung“ des Vorfalls – die nachfolgende psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert herbeigeführt hätte. Vielmehr betont er auch im Berufungsschriftsatz, wesentliche Bedingung für die posttraumatische Belastungsstörung seien die späteren Vorwürfe und Herabwürdigungen seitens seiner Vorgesetzten gewesen. Ausgehend von diesem unmissverständlichen Prozessstandpunkt des Klägers begegnet die Verneinung der Relevanz des angeblichen Begründungsmangels im Ersturteil durch das Berufungsgericht keinen im Einzelfall aufzugreifenden Bedenken (vgl RS0116273 [T3]).
[16] 1.2. Der Kläger moniert weiters, das Berufungsgericht sei in der Sache von der Unschlüssigkeit der Klage ausgegangen, indem es die fehlende Substanziierung seines Klagevorbringens zur psychischen Belastung durch das Verhalten seiner Vorgesetzten beanstandet und darauf aufbauend die Kritik eines rechtlichen Feststellungsmangels des bekämpften Ersturteils verworfen habe. Ausgehend von dieser Rechtsansicht wäre das Berufungsgericht aber dazu verhalten gewesen, ihm die Möglichkeit zur Verbesserung seiner (unschlüssigen) Klage einzuräumen.
[17] Damit rügt der Kläger sinngemäß die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als Folge eines Verstoßes gegen §§ 182, 182a ZPO, allerdings ohne darzulegen, welche konkreten Behauptungen er aufgestellt hätte, wenn ihm nach Erörterung Gelegenheit zur Verbesserung geboten worden wäre. Damit verabsäumte er es, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen, führt also den Rechtsmittelgrund von vornherein nicht gesetzmäßig aus (RS0120056 [T12, T16, T18]; RS0037095 [T6]; RS0037325 [T5]).
[18] 2. Im Rahmen seiner Rechtsrüge wiederholt der Kläger seine Kritik eines rechtlichen Feststellungsmangels betreffend das nachfolgende Vorgehen seiner Vorgesetzten in der Zeit nach dem Brand, das er als belastend und herabwürdigend empfunden habe und ohne das die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht eingetreten wäre. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht eine Ergänzungsbedürftigkeit des Urteilssachverhalts zu diesem Themenkreis unter Hinweis darauf verneint, dass in erster Instanz ein substanziiertes Vorbringen in diese Richtung unterblieben wäre.
[19] Auch mit diesem Rechtsmittelvortrag zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[20] Gemäß § 90 Abs 1 B‑KUVG setzt die Anerkennung als Dienstunfall voraus, dass sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignet hat. Zur Auslegung des B‑KUVG sind Lehre und Rechtsprechung zu den entsprechenden Bestimmungen des ASVG heranzuziehen (RS0110598 [T2]). Der Unfall unterscheidet sich von der – hier nicht geltend gemachten – Berufskrankheit durch den Zeitraum, in dem er sich ereignet: Während sich die Berufskrankheit typischerweise während eines längeren Zeitraums entwickelt, mag sie auch mitunter plötzlich zu Gesundheitsstörungen führen, versteht man unter einem Unfall ein im Allgemeinen von außen auf Geist und/oder Körper einwirkendes, meist plötzlich eintretendes, zumindest aber zeitlich eng begrenztes Ereignis, durch das eine Gesundheitsschädigung oder der Tod bewirkt wird (RS0084348; RS0110320; RS0084089). „Plötzlich“ muss dabei nicht Einmaligkeit bedeuten. Auch kurz aufeinanderfolgende Einwirkungen, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, sind noch als plötzlich anzusehen, allerdings nur dann, wenn sie sich innerhalb einer Arbeitsschicht oder eines sich auch auf mehrere Tage erstreckenden Dienstauftrags ereignet haben (grundlegend 10 ObS 224/98h; RS0084348 [T4]; RS0110322). Liegt das Ergebnis einer längeren krankheitsbedingten, möglicherweise auch berufsbedingten Entwicklung vor, kann nicht von einem Unfall gesprochen werden (RS0110323; vgl auch 10 ObS 53/14p zu einer Anpassungsstörung als Folge mehrerer Ereignisse in ihrer Gesamtheit, die in einem mehrwöchigen Zeitraum eintraten).
[21] Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen zur äußersten zeitlichen Begrenzung des schadensstiftenden Vorganges kommt aber der Frage, wie sich die Vorgesetzte des Klägers im Rahmen der nachfolgenden dienstlichen Aufarbeitung des Brandes verhalten hat und ob dieses Verhalten beim Beklagten die behauptete gesundheitliche Beeinträchtigung herbeigeführt hat, keine entscheidende Bedeutung zu, kann doch eine psychische Beeinträchtigung, die sich erst allmählich durch mehrere Einwirkungen während eines länger andauernden Zeitraums entwickelt hat, nach dem Gesagten von vornherein nicht auf ein unfallartiges Geschehen zurückgeführt werden.
[22] Das Vorgehen der Vorgesetzten des Klägers nach dem Brand wäre nur dann rechtlich maßgeblich, wenn einzelne ihrer Maßnahmen schon für sich genommen die in Rede stehende Gesundheitsschädigung wesentlich bedingt hätten. Bei Verteilung mehrerer physischer oder psychischer Ereignisse über einen über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeitraum ist „Plötzlichkeit“ – und damit ein Arbeitsunfall im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung – nur dann zu bejahen, wenn sich ein oder mehrere Ereignisse (Einwirkungen) innerhalb einer bestimmten Arbeitsschicht aus der Gesamtheit der Ereignisse (Einwirkungen) so herausheben, dass sie nicht bloß eine (insbesondere die letzte) unter mehreren gleichwertigen Ursachen der Schädigung sind, sondern für die Schädigung wesentliche Bedeutung haben, diese also alleine wesentlich bedingen (10 ObS 48/21p Rz 39 = RS0133636). Das Vorliegen einer solchen Sonderkonstellation hat der Kläger jedoch in erster Instanz gar nicht behauptet. Seine nunmehrige Kritik, der Urteilssachverhalt wäre zu diesem Fragenkreis zu verbreitern gewesen, geht vor diesem Hintergrund – wie schon vom Berufungsgericht aufgezeigt – fehl.
[23] 3. Der Kläger kritisiert schließlich, ausgehend vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts müsse die von diesem als dislozierte Feststellung gewertete Annahme des Erstgerichts, wonach die Beeinträchtigungen des Klägers mit dem „Unfallgeschehen“ in keinerlei Zusammenhang stünden, als überschießend beurteilt werden, weshalb die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Entscheidung nicht darauf aufbauen hätte dürfen.
[24] Dieser Vorwurf trifft schon deshalb nicht zu, weil das der Sachverhaltsannahme zugrundeliegende Beweisthema sehr wohl mit dem Klagevortrag in erster Instanz korreliert, der Kläger habe die Gesundheitsbeeinträchtigung von dem „Brand [...] und der dienstlichen Aufarbeitung des Ereignisses im Nachhinein“ davongetragen. Auch insoweit gelingt es dem Kläger folglich nicht, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen.
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