OGH 10ObS143/23m

OGH10ObS143/23m19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch denSenatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Christoph Fink, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 2023, GZ 25 Rs 38/23 h‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Mai 2023, GZ 35 Cgs 76/23b‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00143.23M.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

1. Der Revision wird nicht Folge gegeben, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto aus Anlass der Geburt ihres Kindes F* am 7. Juli 2022 für den Zeitraum von 14. November 2022 bis 31. Jänner 2023 richtet.

2. Hingegen wird der Revision Folge gegeben, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto aus Anlass der Geburt ihres Kindes F* am 7. Juli 2022 für den Zeitraum von 1. Februar 2023 bis 28. Dezember 2023 richtet.

In diesem Umfang werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin, ihr Lebensgefährte E* und das am 7. 7. 2022 geborene gemeinsame Kind F* leben im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte sind in Liechtenstein unselbständig erwerbstätig.

[2] Die Klägerin bezog bis 20. 9. 2022 volles Entgelt von ihrem liechtensteinischen Dienstgeber. Von 21. 9. 2022 bis 13. 11. 2022 bezog sie eine „wochengeldähnliche Leistung“ von 115,10 CHF pro Tag. Sie erhielt von der AHV‑IV‑FAK in Liechtenstein eine einmalige Geburtszulage von 2.300 CHF. Seit 1. 7. 2022 bezieht sie die liechtensteinische Kinderzulage von 280 CHF im Monat. Die Klägerin bezieht keine Familienbeihilfe aus Österreich.

[3] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. 3. 2023 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes als Konto für den Zeitraum 14. 11. 2022 bis 28. 12. 2023 mit der Begründung ab, Österreich sei für die Leistung nicht vorrangig oder nachrangig zuständig.

[4] In ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes als Konto in der Variante 410 Tage für den Zeitraum 14. 11. 2022 bis 28. 12. 2023, hilfsweise die Zuerkennung einer Ausgleichszahlung zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld als Konto für diesen Zeitraum.

[5] Die Beklagte habe durch die Ausgleichszahlungen zum Kinderbetreuungsgeld für das 2020 geborene Kind J* der Klägerin einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Leistungen aus Anlass der Geburt ihres jüngeren Kindes F* gesetzt und die Leistungspflicht für den vorliegenden Fall eines unveränderten Sachverhalts anerkannt.

[6] Soweit die Beklagte die Anspruchsberechtigung verneine, weil die Klägerin die österreichische Familienbeihilfe nicht beziehe, sei die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG dennoch erfüllt, wenn sich aufgrund einer höheren ausländischen Familienbeihilfeleistung – des Bezugs der liechtensteinischen Kinderzulage – die Ausgleichszahlung auf die österreichische Familienbeihilfe nach der Differenzrechnung des § 4 Abs 2 und 3 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) mit null bemesse.

[7] Die Beklagte hielt dem Anspruch entgegen, Österreich sei für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld weder vor- noch nachrangig zuständig, weshalb auch kein Anspruch auf den Unterschiedsbetrag nach Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 bestehe.

[8] Sollte eine Zuständigkeit des österreichischen Trägers angenommen werden, sodass die innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen seien, bestehe der Anspruch maximal für 410 Tage ab der Geburt, somit längstens bis 20. 8. 2023. Der Anspruch scheitere aber daran, dass die Klägerin keine Familienbeihilfe aus Österreich beziehe. Eine Anrechenbarkeit der liechtensteinischen Kinderzulage als Äquivalent erfolge mangels Anwendbarkeit der Koordinierungs- und Antikumulierungsvorschriften nicht.

[9] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[10] Rechtlich erörterte es, nach Art 11 VO (EG) 883/2004 sei Liechtenstein für die Erbringung von Familienleistungen zuständig. Art 68 VO (EG) 883/2004 komme nur zur Anwendung, wenn Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren seien. Das sei hier nicht der Fall, weil in Liechtenstein kein Anspruch auf eine Leistung gleicher Art iSd Art 10 VO (EG) 883/2004 oder § 6 Abs 3 KBGG wie das Kinderbetreuungsgeld bestehe. Mangels Zusammentreffens vergleichbarer Leistungen bestehe kein Raum für eine Umkehr der vorrangigen Zuständigkeit des Beschäftigungsstaats zugunsten des Wohnsitzstaats. Die Klägerin habe daher keinen Anspruch auf Gewährung österreichischen Kinderbetreuungsgeldes.

[11] Dass der Klägerin aus Anlass der Geburt ihres ersten Kindes eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld gewährt worden sei, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

[13] Es führte aus, die Klägerin habe ihre Rechtsrüge ausschließlich darauf gestützt, die Beklagte habe die Verpflichtung zur Erbringung einer Ausgleichszahlung durch eine solche Leistung aus Anlass der Geburt des ersten Kindes der Klägerin anerkannt. Die rechtliche Prüfung habe sich auf diese Anspruchsgrundlage zu beschränken.

[14] Der Gewährung von Kinderbetreuungsgeld zugunsten des ersten Kindes der Klägerin sei aber kein Anerkenntnis hinsichtlich einer Leistung für das zweite Kind zu entnehmen. Die Beklagte habe auch nicht treuwidrig gehandelt.

[15] In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin geltend, während des Berufungsverfahrens sei § 2 Abs 1 Z 1 KBGG durch BGBl I 2023/115 rückwirkend ab 1. 2. 2023 dahin geändert worden, dass die Anspruchsvoraussetzungen zumindest ab diesem Zeitpunkt erfüllt seien. Das Berufungsgericht hätte die Rechtsänderung von Amts wegen beachten müssen.

[16] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil die durch BGBl I 2023/115 geänderte Rechtslage zu beachten ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Zur Änderung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG durch BGBl I 2023/115:

[18] 1.1. § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF vor BGBl I 2023/115 lautete:

„Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind) bzw. eine Krisenpflegeperson für ein Krisenpflegekind, sofern (Z 1.:) für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird“.

[19] Mit BGBl I 2023/115 wurde § 2 Abs 1 Z 1 KBGG dahin geändert, dass an den bisherigen Wortlaut die Wortfolge „oder für dieses Kind nur deswegen kein Anspruch besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige Leistung aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz besteht und diese tatsächlich bezogen wird“ angefügt wurde.

[20] Das BGBl I 2023/115 wurde am 12. 10. 2023 ausgegeben.

[21] Nach § 50 Abs 39 KBGG trat § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2023/115 mit 1. 2. 2023 in Kraft.

[22] 1.2. Das durch die Klage des Versicherten im Rahmen der sukzessiven Kompetenz eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende Funktion. Das Gericht prüft vielmehr selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (RS0085839; 10 ObS 96/23z [Rz 22] ua). Es ist daher grundsätzlich die Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebend (RS0085839 [T2]; 10 ObS 96/23z [Rz 22]). Allerdings hat das Gericht – auch das Rechtsmittelgericht (RS0106868) – auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind (RS0031419; 10 ObS 96/23z [Rz 22]).

[23] Bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Fall einer Gesetzesänderung der in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Gesetzes reichende Teil des Dauertatbestands nach dem neuen Gesetz zu beurteilen, wenn für den Übergang nichts anderes vorgesehen ist (RS0008732 [T5]; RS0031419 [T24]). Mit anderen Worten ist mangels anders lautender Übergangsbestimmungen für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Novellierung die alte Rechtslage anzuwenden und ab dann die neue (RS0008745 [T19]; 10 ObS 35/09h [ErwGr 1.3.]).

[24] 1.3. So führte in dem der Entscheidung 6 Ob 263/04a zugrunde liegenden Fall der während des Rekursverfahrens eingetretene EU‑Beitritt Polens dazu, dass die Unterhaltsvorschussanträge der in Wien lebenden Kinder polnischer Staatsangehörigkeit für den Zeitraum ab dem Beitritt Polens zur Europäischen Union nach der neuen Rechtslage zu beurteilen waren.

[25] Ebenso wurde zur Höhe des Anspruchs auf Pflegegeld ausgesprochen, dass zwischen dem Zeitraum vor und jenem nach einer Änderung der für die Einstufung maßgeblichen Rechtslage zu differenzieren ist (10 ObS 23/09v [ErwGr 1]).

[26] Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass auch die Anspruchsberechtigung auf Kinderbetreuungsgeld nach seiner gesetzlichen Konzeption, die auf die laufende Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, also nicht nur zu einem bestimmten Stichtag, abstellt, wie ein Dauerrechtsverhältnis zu behandeln ist (10 ObS 35/09h [ErwGr 1.3.]; RS0008745 [T20]). Aus diesem Grund wurde in der Entscheidung 10 ObS 35/09h hinsichtlich der Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG zwischen den vor und nach Wirksamwerden der Novelle BGBl I 2007/76 liegenden Zeiträumen differenziert und die novellierte Rechtslage (nur) auf den nach dem Inkrafttreten der Neuregelung liegenden Zeitraum angewendet (10 ObS 35/09h [ErwGr 1.4.]).

[27] 1.4. Auch im vorliegenden Fall, in dem das Übergangsrecht keine andere Anordnung trifft, ist daher für die Anspruchsberechtigung der Klägerin zwischen dem Zeitraum von 14. 11. 2022 bis 31. 1. 2023 einerseits und dem Zeitraum von 1. 2. 2023 bis 28. 12. 2023 zu unterscheiden.

2. Zur Anspruchsberechtigung bis 31. 1. 2023:

[28] 2.1. Die Übergangsbestimmung des § 50 Abs 39 KBGG ordnet eine Rückwirkung insofern an, als die erst am 1. 10. 2023 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Änderung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG durch BGBl I 2023/115 bereits mit 1. 2. 2023 in Kraft tritt. Eine Anwendung der novellierten Fassung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG auf noch weiter zurückliegende Zeitperioden ordnet das Übergangsrecht nicht an.

[29] Aus der Novellierung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG kann daher für den Zeitraum vor dem 1. 2. 2023 die Berechtigung des Anspruchs der Klägerin nicht abgeleitet werden.

[30] 2.2. Die Klägerin hat in ihrer Berufung die Berechtigung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vor dem 1. 2. 2023 ausschließlich auf ein Anerkenntnis bzw die Setzung eines Vertrauenstatbestands durch die Beklagte gestützt. Sie hat in der Berufung nicht vorgebracht, dass ihr Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum in der Fassung vor BGBl I 2023/115 berechtigt gewesen wäre.

[31] Mangels Geltendmachung einer Anspruchsberechtigung vor dem 1. 2. 2023 bereits aufgrund des Gesetzes ist dieser Aspekt in der Berufung aus dem Nachprüfungsrahmen auch des Revisionsgerichts herausgefallen (vgl RS0043338 [T13, T17]).

[32] Zur Auslegung von § 2 Abs 1 Z 1 KBGG idF vor BGBl I 2023/115 ist daher im vorliegenden Fall nicht Stellung zu nehmen.

[33] 2.3. Ihren Rechtsstandpunkt, die Beklagte habe durch die Gewährung einer Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für das ältere Kind der Klägerin deren Anspruch auf Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld auch für das jüngere Kind anerkannt, kommt die Klägerin in ihrer Revision nicht zurück.

[34] 2.4. Die Revision der Klägerin ist daher für den Zeitraum bis 31. 1. 2023 nicht berechtigt. In diesem Umfang sind die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen mit Teilurteil zu bestätigen.

3. Zur Anspruchsberechtigung ab 1. 2. 2023:

[35] 3.1. Die Anwendung des Koordinierungsrechts darf nicht dazu führen, dass Arbeitnehmern oder Selbständigen, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben, die Vorteile der sozialen Sicherheit, die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bestehen, entzogen oder gekürzt werden (EuGH C-24/75 , Petroni, Rz 11/13; 10 ObS 161/19b [ErwGr 4.1.]; vgl 10 ObS 6/10w [ErwGr 3.3.3.]; vgl auch EuGH C‑548/11 , Edgar Mulders, Rz 46).

[36] Der Anspruch der Klägerin ist daher auch dann berechtigt, wenn er sich allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergibt.

[37] 3.2. Die Anspruchsberechtigung für das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto ist in § 2 KBGG geregelt.

[38] Die Beklagte bestritt – für den Fall, dass österreichisches Recht zur Anwendung komme – ausschließlich die Erfüllung der Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG. Diese Bestimmung ist – wie ausgeführt – für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 1. 2. 2023 bis 28. 12. 2023 idF BGBl I 2023/115 anzuwenden.

[39] 3.3. Dass die Familienbeihilfe für das Kind nicht tatsächlich bezogen wurde (§ 2 Abs 1 Z 1 erster Halbsatz KBGG), steht fest. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob im Zeitraum 1. 2. 2023 bis 28. 12. 2023 kein Anspruch darauf bestand, weil Anspruch auf eine gleichartige Leistung aus einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums – Liechtenstein – bestand und diese tatsächlich bezogen wurde (§ 2 Abs 1 Z 1 zweiter Halbsatz KBGG).

[40] Dies war im Verfahren nicht strittig: Nach den Feststellungen bezieht die Klägerin die liechtensteinische Kinderzulage von 280 CHF im Monat. Der Oberste Gerichtshof hat bereits eine Vergleichbarkeit der liechtensteinischen Kinderzulage mit der österreichischen Familienbeihilfe angenommen (10 ObS 12/23x [Rz 22]; vgl 10 ObS 173/19t).

[41] Die Klägerin hat im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen, die liechtensteinische Kinderzulage zu beziehen, darauf hingewiesen, dass sich die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe bei Bezug einer höheren ausländischen Familienleistung mit null bemisst. Die Beklagte hat das Vorliegen eines Falls, in dem aufgrund des Bezugs der liechtensteinischen Kinderzulage der Differenzbetrag zur österreichischen Familienbeihilfe gemäß § 4 Abs 2 und 3 FLAG null beträgt, nicht bestritten (vgl zur Höhe der Familienbeihilfe im Jahr 2023 § 8 FLAG iVm der Familienleistungs-Valorisierungsverordnung 2023 [BGBl II 2022/413]).

[42] 3.5. Damit ist im vorliegenden Fall die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG, dass für dieses Kind nur deswegen kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige Leistung aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz besteht und diese tatsächlich bezogen wird, ab 1. 2. 2023 jedenfalls erfüllt.

[43] Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 KBGG waren im Verfahren nicht strittig.

4. Zum Aufhebungsbeschluss:

[44] 4.1. Ein Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld ab dem 1. 2. 2023 kann nach dem derzeitigen Verfahrensstand allerdings noch nicht erfolgen, weil die Anspruchsdauer, von der sich die Höhe der Leistung ableitet, der Erörterung bedarf.

[45] 4.2. Nach § 3 Abs 1 KBGG beträgt das Kinderbetreuungsgeld bei einer Anspruchsdauer von bis zu 365 Tagen ab der Geburt des Kindes 33,88 EUR täglich, wobei dieser Betrag nach § 3 Abs 1a KBGG mit dem 1. Jänner jeden Jahres mit dem Anpassungsfaktor des § 108 f ASVG zu vervielfachen ist.

[46] Nach § 5 Abs 1 erster Satz KBGG kann die Anspruchsdauer nach § 3 Abs 1 KBGG auf bis zu 851 Tage ab der Geburt des Kindes verlängert werden, wodurch sich der Tagesbetrag im gleichen Verhältnis verringert.

[47] 4.3. Nach den Feststellungen beantragte die Klägerin das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto „in der Variante 410 Tage für den Zeitraum 14. 11. 2022 bis 28. 12. 2023“.

[48] Bei den von der Klägerin im – im Verfahren vorgelegten – Antragsformular angegebenen 410 Tagen handelt es sich offenkundig um die Zahl der im Zeitraum 14. 11. 2022 bis 28. 12. 2023 liegenden Kalendertage.

[49] Die Beklagte legt den Antrag dahin aus, dass sie das im Antrag angegebene Datum des gewünschten Bezugsendes (28. 12. 2023) als unmaßgeblich erachtet und ausschließlich auf die angegebene Anzahl der Tage (410) abstellt, die nach den Erläuterungen im Antragsformular stets ab der Geburt des Kindes gerechnet sind.

[50] 4.4. Die unterschiedliche Auslegung ist für die Bezugsdauer und, abhängig davon, für die Höhe des Tagesbetrags maßgeblich:

[51] Nach § 5 KBGG idgF BGBl I 2016/53 bestehen für Geburten ab dem 1. 3. 2017 keine fixen Bezugszeiten mehr, aus denen gewählt werden muss. Vielmehr können die Eltern nach dem individuellen Bedarf die passende Bezugsdauer festlegen (Burger-Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz³ [2017] § 5 KBGG Rz 5; Holzmann‑Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz² [2022] 100 [§ 5 KBGG]). Je länger der Kinderbetreuungsgeldbezug andauern soll, umso niedriger wird der zu beziehende Tagesbetrag, da sich die Höhe der Leistung reziprok zur gewählten Leistungsdauer verhält (Burger-Ehrnhofer, § 5 KBGG Rz 6; ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  6).

[52] 4.5. Mit der Formulierung „ab Geburt des Kindes“ in § 5 Abs 1 KBGG wird klargestellt, dass hinsichtlich der längstmöglichen Bezugsdauer immer ab der Geburt des Kindes gerechnet wird (Burger-Ehrnhofer, § 5 KBGG Rz 4, vgl § 3 KBGG Rz 4); die Anspruchsdauer beginnt ab der Geburt zu laufen (vgl Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck 102 [§ 5 KBGG]). Beginnt der Bezug später, endet der Bezug vorzeitig oder entstehen andere Bezugslücken, so sollen die restlichen, nicht in Anspruch genommenen Tage verfallen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 6).

[53] Als Beispiele des Verfalls werden die Fälle genannt, dass Adoptiv- oder Pflegekinder erst zu einem späteren Zeitpunkt in Pflege genommen werden, sodass in Summe für sie weniger Kinderbetreuungsgeld bezogen werden kann als für leibliche Kinder (Burger‑Ehrnhofer, § 5 KBGG Rz 4, § 3 KBGG Rz 4), dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld während des Bezugs von Wochengeld oder einer gleichartigen Leistung in Höhe der gewährten Leistung ruht (Burger-Ehrnhofer, § 3 KBGG Rz 4, § 5a KBGG Rz 5), dass durch die Geltendmachung eines Verzichts der Bezug von Kinderbetreuungsgeld unterbrochen wurde (Burger-Ehrnhofer, § 5a KBGG Rz 5) oder dass eine Familie erst nach der Geburt des Kindes nach Österreich zuzieht und erst dadurch Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld erwirbt (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  6).

[54] Zusammengefasst kommt es in allen Fällen, in denen der tatsächliche Bezug von Kinderbetreuungsgeld nicht bereits mit der Geburt des Kindes beginnt, dazu, dass die nicht in Anspruch genommenen Tage verfallen (Burger‑Ehrnhofer, § 3 KBGG Rz 4). Sie führen weder zu einer späteren Verlängerung noch zu einer Erhöhung der (Rest-)Leistung (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  6; Holzmann‑Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, 99 [§ 5 KBGG]).

[55] Insofern wird durch die Wahl der Bezugsdauer die Konto-Variante festgelegt, aus der sich der Tagessatz ergibt (Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, 101 [§ 5 KBGG]), auch wenn die Eltern innerhalb der Konto-Variante den Bezug später starten oder früher beenden können (Holzmann-Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, 110 [§ 5a KBGG]).

[56] 4.6. Im vorliegenden Fall ist der Antrag der Klägerin insofern unklar, als die gewählte Bezugsdauer (410 Tage) dann, wenn man den Hinweis auf dem Antragsformular zugrunde legt, dass die beantragten Tage immer ab der Geburt des Kindes gerechnet werden, mit dem gewählten Enddatum in Widerspruch steht.

[57] Die Frage, wie der Antrag der Klägerin auszulegen ist, wurde mit den Parteien im Verfahren noch nicht erörtert, sodass zum Zeitraum der Anspruchsberechtigung keine Entscheidungsreife besteht. Das führt hinsichtlich des Anspruchs für den Zeitraum ab 1. 2. 2023 zur Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht erster Instanz.

[58] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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