Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin, die vor der Geburt ihrer Tochter Sophia Beschäftigte der M***** Innsbruck war, übersiedelte am 12. 4. 2007 mit ihrer am 8. 4. 2007 geborenen Tochter nach Deutschland in die Wohnung ihres bei einem deutschen Unternehmen in Deutschland beschäftigten Ehemanns. Die M***** Innsbruck bestätigte mit Schreiben vom 5. 6. 2007, dass die Klägerin während der Dauer ihres Karenzurlaubs nach dem Mutterschutzgesetz vom 4. 6. 2007 bis einschließlich 8. 4. 2009 keine Bezüge erhalte.
Der Klägerin wurde vom Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Oberpfalz Elterngeld gewährt. Sie bezog im Zeitraum vom 4. 6. 2007 bis 7. 4. 2008 Elterngeld in Höhe von insgesamt 12.181,36 EUR. Die Auszahlung des Elterngelds erfolgte erst ab 4. 6. 2007, weil das der Klägerin bis 3. 6. 2007 zustehende Wochengeld auf das Elterngeld angerechnet wurde.
Der Ehemann der Klägerin war vom 8. 4. 2008 - im Anschluss an den Elterngeldbezug durch die Klägerin - bis 7. 6. 2008 in Elternzeit (Karenz) und bezog in diesem Zeitraum Elterngeld in Höhe von 3.185,80 EUR.
Gemäß dem Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberpfalz kann für das Kind Landeserziehungsgeld für das zweite Lebensjahr nicht gewährt werden.
Das (österreichische) Kinderbetreuungsgeld beträgt für den Zeitraum vom 8. 6. 2008 bis 7. 4. 2009 4.417,12 EUR.
Mit Bescheid vom 28. 8. 2008 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 20. 7. 2007 auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgelds für ihre Tochter für den Zeitraum vom 8. 4. 2007 bis 8. 10. 2009 ab und sprach aus, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom 8. 4. 2007 bis 7. 4. 2009 ruhe.
Das Erstgericht gab dem auf Leistung einer Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von täglich 14,53 EUR für den Zeitraum vom 8. 6. 2008 bis 7. 4. 2009 gerichteten Klagebegehren statt.
Rechtlich würdigte es den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dass § 6 Abs 3 KBGG, auf den sich die beklagte Partei berufe, Gemeinschaftsrecht widerspreche. Ein Vergleich von Familienleistungen zweier Mitgliedstaaten über einen längeren Zeitraum als einem Jahr stehe nämlich nicht mit den Beschlüssen der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Nr 145 vom 27. 6. 1990 über die Nachzahlung von Familienleistungen an Selbständige gemäß den Art 73 und 74 der VO (EWG) Nr 1408/71 und Nr 147 vom 10. 10. 1990 zur Durchführung des Art 76 dieser Verordnung in Einklang. Die Punkte 1e dieser Beschlüsse stellten klar auf den Vergleichszeitraum von einem Jahr ab. Diese Regelung könne im Anlassfall analog herangezogen werden. Zweck der Prioritätsregeln des Art 76 der VO (EWG) Nr 1408/71 sei die Förderung der Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union. Mit der Zahlung des Kinderbetreuungsgelds sei nicht nur die finanzielle Leistung, sondern auch ein sozialversicherungsrechtlicher Schutz gegen Risken aus Krankheit verbunden. Die durch die Vorgangsweise der beklagten Partei bewirkte Schlechterstellung der Klägerin gegenüber den sich während der Karenzdauer im Inland aufhaltenden Arbeitnehmerinnen widerspreche daher dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 der genannten Verordnung. Eine Besserstellung der Klägerin im ersten Lebensjahr ihres Kindes, in dem das höhere deutsche Elterngeld bezogen worden sei, sei gemeinschaftsrechtlich durchaus zulässig.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld und das gleichartige deutsche Elterngeld seien Familienleistungen im Sinn der VO (EWG) Nr 1408/71 (künftig: VO 1408/71 ). Die Klägerin und ihr Ehemann seien Arbeitnehmer im Sinn dieser Verordnung. Der für die Anwendung der Verordnung notwendige grenzüberschreitende Bezug sei gegeben. In dem im Anlassfall maßgeblichen Zeitraum sei die - in einem karenzierten Beschäftigungsverhältnis in Österreich stehende - Klägerin den österreichischen Rechtsvorschriften, ihr Ehemann als in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer den deutschen Rechtsvorschriften unterlegen (Art 13 Abs 2 lit a VO 1408/71 ). Gemäß Art 10 Abs 1 lit b Z i der Durchführungsverordnung (EWG) Nr 574/72 (im Folgenden: VO 574/72 ) sei Deutschland prioritär leistungspflichtig, Österreich hingegen als nachrangig zuständiger Staat nur zu allfälligen Ausgleichszahlungen verpflichtet. § 6 Abs 3 KBGG sei nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Aus Art 12 VO 1408/71 , wonach ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aufgrund der Verordnung grundsätzlich weder erworben noch aufrecht erhalten werden könne, folge, dass unter Ausgleichszahlungen im Bereich des Kinderbetreuungsgelds der Differenzbetrag zwischen der Höhe der dem Kinderbetreuungsgeld nach Sinn und Zweck vergleichbaren ausländischen Leistung und dem Kinderbetreuungsgeld zu verstehen sei, weil für die Ermittlung der Ausgleichszahlung all jene Leistungen heranzuziehen seien, die auf einer öffentlich-rechtlichen Grundlage beruhen und einem Elternteil ermöglichen sollen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, die dazu dienen, die Kindererziehung zu vergüten, andere Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein Erwerbseinkommen bedeute, abzumildern. Berücksichtige man den Grundsatz der Familienbetrachtungsweise, so müsse gelten, dass Überschüsse an Erziehungsleistungen des vorrangig zuständigen Staats, die kürzer gewährt werden, auf nachfolgende Ausgleichszahlungen anzurechnen seien. Dabei sei der zur Vermeidung von Doppelleistungen anzustellende Vergleich nicht auf Zeiträume im Ausmaß von Tagen, Wochen oder Monaten beschränkt. Vielmehr könne er sich auf die gesamten Bezugszeiträume der Familienleistung erstrecken. Es liege keine Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern vor, wenn sie insgesamt von den beiden betroffenen Mitgliedstaaten nicht weniger an Erziehungsleistungen erhielten als sie lukrieren würden, wenn sie nur Leistungen aus dem einen oder aus dem anderen Mitgliedstaat bezogen hätten. Die Klägerin habe aufgrund der Anwendung der Verordnung deutlich mehr an Erziehungsleistungen erhalten, als sie bei Vorliegen eines rein inländischen Sachverhalts bekommen hätte. Es wäre höchst unbillig und bedeutete eine krasse Diskriminierung von Personen, die nur österreichische Leistungen bezögen, wenn die - in Ansehung der reinen Koordinierungsfunktion der Verordnung durchaus zulässige - unterschiedliche Ausgestaltung der Erziehungsleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten in dem Sinn, dass je nach sozialpolitischer Zielsetzung geringere Alimentationen für längere Zeiträume oder höhere Beiträge für kürzere Zeiträume vorgesehen seien, zu einer Besserstellung von Wanderarbeitnehmerfamilien führen, deren anspruchsberechtigter Teil den Wohnsitz nach Deutschland verlege, dort unter Wahl eines (kurzen) Bezugszeitraums von zwölf bzw vierzehn Monaten das hohe Elterngeld beziehe (anstelle von der in Deutschland gegebenen Möglichkeit des Bezugs von Elterngeld in halber Höhe für den doppelten Bezugszeitraum Gebrauch zu machen), um für den nach österreichischer Rechtslage zur Verfügung stehenden rechtlichen längeren Bezugszeiträume eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe des Tagessatzes zu beanspruchen. Solange ein auch nur dem Grunde nach bestehender Anspruch auf Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld bestehe, habe die Klägerin ungeachtet des Ruhens des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld den Anspruch auf Krankenversicherung, es sei denn, es würde eine eigene Pflichtversicherung oder eine Mitversicherung bei ihrem Ehemann in Deutschland dazwischentreten. Der Beschluss Nr 145 der Verwaltungskommission vom 27. 6. 1990 betreffe Nachzahlungen aus abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Zeiträumen, er sei daher auch nicht analog anwendbar. Beim Punkt 1 lit e des Beschlusses Nr 147 der Verwaltungskommission vom 10. 9. 1990 handle es sich um eine Verfahrensbestimmung, mit der lediglich eine Abrechnungsperiode festgelegt werde. Aus dieser sei nicht abzuleiten, dass Überschussbeträge aus den Vorjahren keine Berücksichtigung zu finden hätten. Das von der Klägerin und ihrem Ehemann bezogene Elterngeld übersteige das Kinderbetreuungsgeld vom Ende des Bezugs des Wochengelds bis zum 7. 4. 2009, sodass der Klägerin die begehrte Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld nicht zustehe.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob § 6 Abs 3 KBGG Gemeinschaftsrecht widerspreche.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
1.1. Der durch BGBl I 2007/76 eingefügte und am 1. 1. 2008 in Kraft getretene § 6 Abs 3 KBGG bestimmt, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ruht, sofern Anspruch auf vergleichbare ausländische Familienleistungen besteht, in der Höhe der ausländischen Leistungen; der Differenzbetrag zwischen den vergleichbaren ausländischen Familienleistungen und dem Kinderbetreuungsgeld wird nach Ende der ausländischen Familienleistungen auf das Kinderbetreuungsgeld angerechnet.
1.2. Motiv des Gesetzgebers für die Einführung der Anrechnungsbestimmung war die Vermeidung von Ungleichbehandlungen während der Kleinstkindphase in jenen Fällen, in denen die ausländischen Leistungen in einem höheren Betrag als das Kinderbetreuungsgeld, jedoch für eine kürzere Dauer vorgesehen sind. Alle Eltern sollen bis höchstens zum 30. bzw 36. Lebensmonat des Kindes (der Kinder) mit den gleich hohen Beträgen unterstützt werden (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5).
1.3. Es ist auch im Revisionsverfahren unstrittig, dass das österreichische Kinderbetreuungsgeld und das Elterngeld nach dem deutschen Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG vom 5. 12. 2006 (dBGBl I S 2748), das zuletzt durch Art 10 des Gesetzes vom 28. 3. 2009 (dBGBl I S 634) geändert worden ist, gleichartige Familienleistungen iSd der VO 1408/71 und iSd § 6 Abs 3 KBGG miteinander vergleichbar sind.
2.1. Die Revisionswerberin meint, eine gänzliche Anrechnung des deutschen Elterngelds auf die begehrte Ausgleichszahlung komme schon deshalb nicht in Frage, weil der Großteil des Elterngelds vor dem 1. 1. 2008 an sie ausbezahlt worden sei, § 6 Abs 3 KBGG aber erst am 1. 1. 2008 in Kraft getreten und auf Sachverhalte vor seinem Inkrafttreten nicht anzuwenden sei.
2.2. Dem ist zu erwidern, dass zwar die Wirkungen einer Gesetzesänderung nicht Tatbestände ergreifen können, die vor dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes abschließend und endgültig verwirklicht wurden (10 Ob 57/06i; RIS-Justiz RS0008694). Dieser zeitliche Geltungsbereich ist aber nur für einmalige oder jene mehrgliedrigen oder dauernden Sachverhalte abgrenzbar, die zur Gänze in die Geltungszeit des alten oder des neuen Gesetzes fallen. Andernfalls gelten für den Dauersachverhalt die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten (10 Ob 57/06i mwN; RIS-Justiz RS0008715). Diese Grundsätze sind im Anlassfall maßgeblich, weil der Gesetzgeber anderes in Übergangsbestimmungen nicht angeordnet hat. Auch wenn im Anlassfall Elterngeld schon vor dem 1. 1. 2008 bezogen wurde, hat sich der Gesamttatbestand in Bezug auf die Anrechnung erst danach vollständig verwirklicht.
3.1. Die Revisionswerberin ist der Auffassung, § 6 Abs 3 KBGG sei eine nationale Koordinierungsbestimmung, die nur gegenüber Drittstaaten anzuwenden sei, weil die Europäische Union von ihrer Kompetenz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Gebrauch gemacht (VO 1408/71 und VO 574/72 ) und Österreich deshalb keine Kompetenz im Bereich der Koordinierung habe. Jedenfalls handle es sich bei dieser Koordinierungskompetenz um eine geteilte Kompetenz, bei der die ursprüngliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten nach dem Tätigwerden der Gemeinschaft im Sinn einer Sperrwirkung verdrängt werde. Im Anlassfall seien daher nur die gemeinschaftsrechtlichen koordinierenden Rechtsgrundlagen heranzuziehen. Nach dem vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entwickelten Petroni-Prinzip könne es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durchaus auch zu Besserstellungen von Wanderarbeitnehmern kommen. Bei einer Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen zur Frage der Anrechnung kürzerer ausländischer Familienleistungen auf längere österreichische Leistungen spielten neben den Antikumulierungsvorschriften des Art 10 VO 574/72 auch die Beschlüsse der Verwaltungskommission Nr 145, Nr 147 und Nr 150 eine entscheidende Rolle. Punkt 1 lit e des Verwaltungskommissionsbeschlusses Nr 147 spreche zur Ermittlung des Leistungsanspruchs von einem Zwölfmonatszeitraum nach Begründung des Leistungsanspruchs und weiters davon, dass die Höhe spätestens nach Ablauf dieses Zwölfmonatszeitraums festzustellen sei. Ein Zwei- oder Mehrjahresvergleich sei demnach nicht möglich. Deshalb komme lediglich ein Einjahresvergleichszeitraum in Frage und es sei ausgeschlossen, dass Überschussbeträge aus vergangenen Jahren noch in die Berechnung einzubeziehen seien. In aller Regel sei ein Mehrjahresvergleich in der Praxis - etwa im Bereich der Familienbeihilfe - gar nicht anwendbar. In jenen Fällen, in denen der Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz aufgrund der Anrechnung der früheren deutschen Leistungen nur dem Grunde nach bestehe, der Höhe aber nach bei Null liege, gewährten die österreichischen Sozialversicherungsträger prinzipiell meist keinen Krankenversicherungsschutz. Allein die Tatsache, dass die Möglichkeit einer Mitversicherung beim Ehegatten dazu führe, dass der eigene Krankenversicherungsschutz bei Bezug des Kinderbetreuungsgelds verloren gehe, zeige eine klare Diskriminierung gegenüber rein innerstaatlichen Sachverhalten. Ob eine Mitversicherung im Ausland oder eine Selbstversicherung in Österreich vorliege, habe auch Auswirkungen auf den Anspruch auf Wochengeld gemäß § 162 Abs 1 ASVG bei einer möglichen zweiten Schwangerschaft während der Karenz. Bei einer reinen Mitversicherung im Ausland verliere die Mutter den inländischen Anspruch auf Wochengeld. § 6 Abs 3 KBGG führe auch zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf die in Österreich bei rein innerstaatlichen Sachverhalten gegebene Dauer der Leistung. Die in Österreich übliche längere Leistungsdauer werde bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wie im Anlassfall immer der kürzeren Dauer angepasst. Es liege daher eine unerlaubte Diskriminierung der Klägerin gegenüber Arbeitnehmerinnen vor, die für die Dauer der Karenz in Österreich blieben.
3.2. Hierzu wurde erwogen:
3.2.1. Zunächst ist als unstreitig festzuhalten, dass die Klägerin, die unter das MSchG fällt und bis zum zweiten Geburtstag ihrer Tochter in Karenz ging, bis zum Ende der Karenz (also in dem im Anlassfall maßgeblichen Zeitraum) Arbeitnehmerin iSd VO 1408/71 war (vgl 10 ObS 70/06a = SSV-NF 20/68).
3.2.2. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat sie unstreitig nur aufgrund des Art 73 VO 1408/71 . Sie unterliegt als Arbeitnehmerin durch das karenzierte österreichische Arbeitsverhältnis den Rechtsvorschriften Österreichs (Art 13 Abs 2 lit a VO 1408/71 ); Österreich ist Beschäftigungsstaat der Klägerin. Allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften hätte sie den Anspruch nicht, weil sie und ihre Tochter den Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht in Österreich haben (§ 2 Abs 1 Z 4 KBGG).
3.2.3. Unstrittig ist ferner, dass Art 10 Abs 1 lit b Z i VO 574/72 die im Anlassfall anwendbare Antikumulierungs-Bestimmung ist (vgl EuGH 7. 6. 2005, Rs C-543/03 , Dodl und Oberhollenzer, Slg 2005, I-05049 Rz 54 - 60). Vorrangig leistungszuständiger Staat ist Deutschland. Demnach „ruht" der nach Art 73 VO 1408/71 bestehende Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld „bis zur Höhe" des Elterngelds.
3.3. Es trifft nicht zu, dass die gemeinschaftsrechtliche (jetzt unionsrechtliche) Kompetenz auf dem Gebiet der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit (für Arbeitnehmer: Art 42 EG [vgl jetzt: Art 48 AEUV]) die Unanwendbarkeit des § 6 Abs 3 KBGG im Anlassfall bewirkt. Die Auffassung der Revisionswerberin steht im Widerspruch zu Art 12 Abs 2 VO 1408/71 und der hiezu ergangenen Rechtsprechung des EuGH:
3.3.1. Nach Art 12 Abs 2 VO 1408/71 sind die Vorschriften eines Mitgliedstaats, die für den Fall des Zusammentreffens einer Leistung mit anderen Leistungen der sozialen Sicherheit oder mit anderen Einkünften vorsehen, dass die Leistungen gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden (Antikumulierungsvorschriften), einem Berechtigten gegenüber auch dann anwendbar, wenn es sich um Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden, oder um Einkünfte handelt, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden.
3.3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist Art 12 Abs 2 VO 1408/71 als Ausgleich für die Vorteile anzusehen, die das Gemeinschaftsrecht den Arbeitnehmern dadurch gewährt, dass es diesen das Recht gibt, die gleichzeitige Anwendung der Sozialrechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu verlangen; es soll verhindern, dass den Arbeitnehmern aus dieser gleichzeitigen Anwendung Vorteile erwachsen, die nach innerstaatlichem Recht als unangemessen anzusehen sind (zB EuGH 15. 9. 1983, Rs 279/82 - Jerzak, Slg 1983, 2603 Rz 10; 13. 3. 1986, Rs 296/84, Sinatra, Slg 1986, 1047; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 12 Rz 3).
3.3.3. Wenn auch den Wanderarbeitnehmern zum Ausgleich für die Vorteile der sozialen Sicherheit, die ihnen aus den Gemeinschaftsverordnungen erwachsen und die sie ohne diese nicht erhalten könnten, Beschränkungen auferlegt werden dürfen, so würde doch das mit den Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit angestrebte Ziel nicht erreicht, wenn die Anwendung dieser Verordnungen zur Folge hätte, dass die Vorteile der sozialen Sicherheit, die der Arbeitnehmer allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats hätte, entzogen oder gekürzt würden (Günstigkeits- oder sogenanntes „Petroni"- Prinzip; stRsp zB EuGH 21. 10. 1975, Rs 24/75 , Petroni, Slg 1975, 1149; 23. 3. 1982, Rs 79/81, Baccini, Slg 1982, 1063 15. 9. 1983, Rs 279/82, Jerzak, Slg 1983, 2603; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 12 Rz 3). Insbesondere ist hiernach auch eine Beschränkung der Leistungskumulierung durch das Gemeinschaftsrecht (Unionsrecht) mit Art 42 EG (Art 48 AEUV) unvereinbar, die eine Verringerung von Ansprüchen mit sich brächte, die einem Versicherten bereits allein nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zustehen (Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 12 Rz 3). Art 12 Abs 2 VO 1408/71 ist nach der Rechtsprechung des EuGH demnach nur einschlägig, wenn der Anspruch auf die zu beschränkende Leistung aufgrund der Anwendung der Vorschriften der VO 1408/71 entstanden ist (EuGH 21. 10. 1975, Rs 24/75 , Petroni, Slg 1975, 1149; 15. 9. 1983, Rs 279/82, Jerzak, Slg 1983, 2603; vgl BSGE 73/3).
3.3.4. § 6 Abs 3 KBGG ist eine international umfassend ausgestaltete Antikumulierungsregel; sie bezieht sich ausdrücklich auf dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbare ausländische Familienleistungen und ist eine Antikumulierungsvorschrift iSd § 12 Abs 2 VO 1408/71 (vgl Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 12 Rz 18). Im Anlassfall hat die Klägerin Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nur aufgrund der Anwendung der Vorschriften der VO 1408/71 . Die Anwendbarkeit der nationalen Antikumulierungsbestimmung steht unter dem Vorbehalt „soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt" ist. Da die VO 574/72 die VO 1408/71 durchführt, ist unter „dieser Verordnung" in § 12 Abs 2 VO 1408/71 auch die VO 574/72 zu verstehen. Der Klägerin könnte sie nur dann nicht entgegengehalten werden, wenn § 6 Abs 3 KBGG im Anlassfall mit Art 10 Abs 1 lit b Z i VO 574/72 nicht vereinbar wäre. Unvereinbarkeit wäre gegeben und eine Kürzung hätte zu unterbleiben, wenn Österreich vorrangig leistungszuständig wäre, ruhen doch nach der genannten Bestimmung nur die Familienleistungen des nachrangig zuständigen Staats (Ehmer ua, Kinderbetreuungsgeld 116 f; 299 und 340 ff).
3.4. § 6 Abs 3 KBGG ist mit Art 10 Abs 1 lit b Z i VO 574/72 im Anlassfall, in dem Österreich nachrangig leistungszuständig ist, vereinbar:
3.4.1. Die Klägerin hätte bei der zuständigen Stelle in Deutschland beantragen können, dass die ihr zustehenden Monatsbeträge an Elterngeld in jeweils zwei halben Monatsbeträgen ausgezahlt werden, sodass sich der Auszahlungszeitraum verdoppelte (§ 6 BEEG). Sie hätte also das ihr für den (maximalen) Bezugszeitraum bis zum ersten Geburtstag ihrer Tochter gewährte Elterngeld (12.181,36 EUR) bis zum Ende des zweiten Lebensjahres auszahlen lassen können und damit noch immer beinahe 2.400 EUR mehr bezogen, als das Kinderbetreuungsgeld für denselben Zeitraum betrug (Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR/täglich ab 4. 6. 2007 bis 7. 4. 2009: 9.793,30 EUR). Sie steht aufgrund der Anwendbarkeit der VO 1408/71 also besser als sie stünde, hätte sie nur den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld.
3.4.2. Die in § 6 Abs 3 KBGG angeordnete Gesamtbetrachtungsweise und Anrechnung des Gesamtbetrags der ausländischen Familienleistung widerspricht nicht dem Wortlaut des Art 10 Abs 1 lit b Z i VO 574/72 , der - wie die anderen für Familienleistungen normierten Antikumulierungsregeln der VO 1408/71 - eine Überkompensation der Familienlasten verhindern soll (vgl EuGH 7. 6. 2005, Rs C-543/03 , Dodl und Oberhollenzer, Slg 2005, I-05049).
3.4.3. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck dieser Norm, den kurzen Zeitraum, in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen werden kann, und das der Klägerin nach dem BEEG und nach dem KBGG (§§ 5a, 5b KBGG) eingeräumte Wahlrecht, kommt auch der erkennende Senat zu dem Schluss, dass Art 10 Abs 1 lit b Z i VO 574/72 der Anwendung des § 6 Abs 3 KBGG nicht entgegensteht, wenn Österreich nachrangig zuständig für diese Familienleistung ist (vgl Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal, Die Familie im Sozialrecht, 130 f), verwirklicht doch die Norm den mit Art 12 Abs 2 VO 1408/71 verfolgten Zweck. Ob eine Gesamtbetrachtungsweise, wie sie § 6 Abs 3 KBGG anordnet, bei der Familienbeihilfe auch so zu beurteilen wäre, muss hier mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erörtert werden.
4. Diesem Ergebnis stehen die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Beschlüsse der nach Art 80 VO 1408/71 eingerichteten Verwaltungskommission nicht entgegen: Diese Verwaltungskommission ist - wie der EuGH ausgesprochen hat (EuGH 14. 5. 1981, Rs 98/80 - Romano, Slg 1981, 1241 Rz 20), nicht ermächtigt, Rechtsakte mit normativem Charakter zu erlassen. Beschlüsse der Verwaltungskommission sind daher für mitgliedstaatliche Gerichte und die Gerichte der Europäischen Union unverbindlich (Cornelissen in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 81 Rz 20 f). Die von der Revisionswerberin angeführten Beschlüsse der Verwaltungskommission können daher eine Anwendung des § 6 Abs 3 KBGG nicht hindern. Im Übrigen lässt sich aus einer jährlich zu erfolgenden Feststellung der Ausgleichszahlung nicht ableiten, dass ein Überschussbetrag in folgenden Perioden nicht zu berücksichtigen ist.
5.1. Die Bezieher und Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld sind in der gesetzlichen Krankenversicherung teilversichert (§ 28 Abs 1 KBGG; nach dem ASVG: § 8 Abs 1 lit f ASVG).
5.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Leistungen, die zwar als eigenständige Versicherung konzipiert sind, aber im Zusammenhang mit einer auslösenden Hauptleistung gewährt werden, als Bestandteil dieser Leistung anzusehen, der derselben Koordination wie die Hauptleistung unterliegt (EuGH 8. 7. 2004, verb Rs C-502/01 und C-31/02 , Guarmain-Cerri und Barth, Slg 2004, I-06483; Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal, Die Familie im Sozialrecht, 140).
5.3. Die Krankenversicherung ist in diesem Sinn ein Annex des Kinderbetreuungsgelds für die beziehende Person, sodass auch die Versicherung nach den Grundsätzen für die Familienleistungen zu koordinieren ist, wobei auch in diesem Zusammenhang die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung vertretene Familienbetrachtung (zB EuGH 9. 12. 1992, Rs C-119/91 , McMenamin, Slg 1992, I-06393; 7. 6. 2005, Rs C-543/03 , Dodl und Oberhollenzer, Slg 2005, I-05049) zu beachten ist (Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal, Die Familie im Sozialrecht, 140).
5.4. Wie schon ausgeführt ist Deutschland im Anlassfall vorrangig für Familienleistungen zuständig. War die Klägerin im hier relevanten Zeitraum in Deutschland krankenversichert, musste Österreich als nachrangig zuständiger Staat nicht mit einer Krankenversicherung einspringen. War sie es nicht, so hätte - auch nach den Ausführungen der beklagten Partei in der Revisionsbeantwortung - Österreich die Klägerin in der Krankenversicherung der Kinderbetreuungsgeldbezieher versichern müssen, auch wenn Kinderbetreuungsgeld wegen der Anrechnung des Elterngelds nicht zu zahlen war (vgl Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal, Die Familie im Sozialrecht, 140 f).
5.5. Die Anwendung des § 6 Abs 3 KBGG führt demnach nicht zu der von der Revisionswerberin behaupteten Diskriminierung. Wenn es Situationen gibt, in denen sie nicht in der Krankenversicherung der Kinderbetreuungsgeldbezieher zu versichern war, so ist dies Folge der Koordinierungsregeln, ohne die sie gar keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hätte.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)