European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00121.24H.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb am 18. 9. 2016 einen Gebrauchtwagen der Marke VW Sharan Sky BMT TDI 4motion zum Kaufpreis von 17.600 EUR. Im Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter 2,0 l Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 verbaut. Die Beklagte ist auch die Herstellerin des Fahrzeugs. Aufgrund des im Jahr 2015 bekannt gewordenen Abgasskandals wurde nach dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin die ursprünglich eingebaute Abschalteinrichtung (Umschaltlogik) am 29. 4. 2017 mittels Software‑Update entfernt, jedoch eine weitere temperaturabhängige Abschalteinrichtung im Fahrzeug belassen, die das Abgasverhalten in Abhängigkeit von der Außentemperatur reguliert (Thermofenster). Dieses Thermofenster bewirkt, dass es unterhalb von 15 Grad Celsius und über 33 Grad Celsius Ansauglufttemperatur bzw Ladelufttemperatur zu einer Reduktion der Abgasrückführung (AGR) kommt.
[2] Die Klägerin begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch Erwerb eines abgasmanipulierten Fahrzeugs in Höhe von 5.280 EUR als 30 %ige Preisminderung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für Folgeschäden. Beim Fahrzeug liege eine nach VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vor.
[3] Dem hielt die Beklagte ua entgegen, dass kein Schaden vorliege, weil das Fahrzeug spätestens nach Durchführung des Software‑Updates dem vertraglich Geschuldeten entspreche. Auch liege mangels einer Schädigungsabsicht kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten vor.
[4] Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab.
[5] Die Abweisung des Feststellungsbegehrens erwuchs in Rechtskraft.
[6] Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des Leistungsbegehrens erhobenen Berufung der Klägerin teilweise statt und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es der Klägerin 3.520 EUR sA zusprach. Im Umfang von 1.760 EUR sA wurde die Klagsabweisung (rechtskräftig) bestätigt.
[7] Das Berufungsgericht vertrat unter Hinweis auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs den Standpunkt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, wenn eine Abgasrückführung bei einem „Thermofenster“ von 15 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv sei. Aufgrund der Feststellungen des Erstgerichts ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Klägerin der Nachweis einer 20%igen Wertminderung gelungen sei, weshalb das Klagebegehren im Ausmaß von 3.520 EUR (= 20 % vom Kaufpreis 17.600 EUR) berechtigt sei.
[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Wahrung der Rechtssicherheit im Zusammenhang mit der Höhe des Wertverlusts zu.
[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die die Abweisung des Leistungsbegehrens anstrebt, insoweit dieses 880 EUR (= 5 % vom Kaufpreis) übersteigt.
[10] Die von der Klägerin beantwortete Revision ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. In dritter Instanz ist unstrittig, dass die klagende Käuferin wegen der nach Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber der beklagten Fahrzeugherstellerin Anspruch auf Zuspruch des Minderwerts hat.
[12] 2.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Schutznormen der VO 715/2007/EG jedenfalls ein angemessener Schadenersatz zu gewähren, der sich innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises zu bewegen hat (RS0134498; 4 Ob 27/24k Rz 20 ua). Die Wertminderung kann nach gesicherter Rechtsprechung aber auch exakt festgestellt und – wie hier – vom Käufer verlangt werden (RS0134498 [T6]; 4 Ob 165/23b Rz 24; 4 Ob 202/23v Rz 41; 4 Ob 27/24k Rz 21; 6 Ob 19/24y Rz 20; 8 Ob 70/23m, Rz 26; 8 Ob 109/23x; 10 Ob 27/23b, Rz 39 f; 10 Ob 33/23k Rz 22; 10 Ob 7/24p ua).
[13] 2.2 Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass der Klägerin wegen der (exakten) Feststellung der Wertminderung ein Betrag in dieser Höhe zuzusprechen ist (auch wenn dies die angeführte Bandbreite von 5 % und 15 % übersteigt), entspricht das der aufgezeigten Rechtsprechung.
[14] 3. Die Frage, ob der Klägerin im gegenständlichen Fall der Nachweis einer Wertminderung von 20 % gelungen ist, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.
[15] 3.1 Die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen ist jeweils einzelfallbezogen und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0118891). Nur wenn die erstrichterlichen Feststellungen durch die zweite Instanz unvertretbar ausgelegt wurden, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RS0118891 [T5]).
[16] 3.2 Das Erstgericht stellte fest, dass der nicht verordnungskonforme Zustand zu einem Wertverlust des Fahrzeugs im Ausmaß von etwa 20 % bis 30 % führt, dies aufgrund der Unsicherheit eines möglichen Typengenehmigungsentzugs.
[17] 3.3 Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser konkreten Feststellungen zum verminderten Marktwert davon ausgeht, dass der Klägerin der Nachweis einer Wertminderung ihres Fahrzeugs im Ausmaß von 20 % gelungen sei, wirft das keine Frage von erheblicher Bedeutung auf. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung liegt jedenfalls nicht vor, zumal der Oberste Gerichtshof zu vergleichbaren Konstellationen entsprechend entschieden hat (vgl zB 8 Ob 109/23x, Rz 50) und die Feststellungen im Anlassfall über bloß abstrakte Überlegungen hinausgehen (vgl dazu 10 Ob 46/23x und 5 Ob 33/24z).
[18] 4. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und die gerügte Aktenwidrigkeit wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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