European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00027.24K.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Februar 2013 bei einer Fahrzeughändlerin das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug VW Tiguan Sky TDI BMT 4MOTION zu einem Kaufpreis von 30.650 EUR. Der Wagen wurde im September 2012 erstmalig im Straßenverkehr zugelassen. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Beklagten des Typs EA189 verbaut. Das Fahrzeug war mit einer von der Beklagten bewusst programmierten Umschaltlogik mit zwei verschiedenen Betriebsmodi ausgestattet, die eine Abgasrückführung außerhalb des Prüfstandsbetriebs verhinderte. Wäre die Umschaltlogik im Zeitpunkt der Typengenehmigung bekannt gewesen, hätte das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt die Typengenehmigung nicht erteilt.
[2] Der Kläger erfuhr im Laufe des Jahres 2015 aus den Medien vom „Dieselskandal“. Danach entwickelte die Beklagte ein Software‑Update, bei dem die Umschaltlogik entfernt und stattdessen eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung mittels „Thermofenster“ implementiert wird. Dieses ist dergestalt programmiert, dass zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Umgebungs- oder Ansauglufttemperatur und bis zu einer geodätischen Höhe von maximal 1.000 m eine volle Abgasrückführung gefahren wird. Am 31. 10. 2016 wurde das Software-Update am klägerischen Fahrzeug aufgespielt. Das war notwendig, damit die Typengenehmigung aufrecht blieb.
[3] Mangels entsprechender Verbesserungsmöglichkeit für die Herstellung des verordnungskonformen Zustands liegt der Wert des Fahrzeugs zumindest 30 % unter dem Wert eines verordnungskonformen Fahrzeugs.
[4] Hätte der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugankaufs gewusst, dass im Fahrzeug eine Umschaltlogik verbaut ist, hätte er dieses nicht gekauft. Der Kläger hätte das Fahrzeug auch nicht gekauft, wenn damals schon das Thermofenster vorhanden gewesen wäre. Er hätte sich dann für ein anderes Fahrzeug, allenfalls mit Benzinmotor entschieden. Generell hätte der Kläger kein Fahrzeug erworben, bei dem die latente Gefahr des Entzugs der Typengenehmigung besteht.
[5] Der Kläger verkaufte im Mai 2022 das Fahrzeug (mit einem Kilometerstand von 80.000 km) privat um 13.000 EUR. Am Gebrauchtwagenmarkt ist es für die Preisbildung ohne Bedeutung, ob ein Fahrzeug vom „Abgasskandal“ betroffen war.
[6] Mit seiner am 29. 3. 2021 eingebrachten Klage begehrt der Kläger Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch Erwerb eines abgasmanipulierten Fahrzeugs. Sein Schaden betrage 30 % des seinerseits für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises, somit 9.195 EUR. Repräsentanten der Beklagten hätten von der „Manipulationssoftware“ gewusst. Sein Schaden liege darin, ein Fahrzeug in seinem Vermögen zu haben, das er bei Kenntnis der Umstände nicht gewollt hätte. Er habe darauf vertraut, ein manipulationsfreies Fahrzeug zu erwerben, das den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Hätte er zum Zeitpunkt des Ankaufs gewusst, dass das Fahrzeug von der Beklagten manipuliert worden und darin eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert sei, hätte er es nicht gekauft. Durch das Software-Update sei der gesetzeskonforme Zustand nicht hergestellt worden, weil auch das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Die Klage sei nicht verjährt, weil er frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2020 erfahren habe, dass der normkonforme Zustand entgegen der Zusicherung der Beklagten nicht hergestellt worden sei. Angesichts des Vorliegens einer qualifiziert strafbaren Handlung komme zudem die 30‑jährige Frist zur Anwendung.
[7] Die Beklagte brachte vor, dass der Anspruch verjährt sei. Der Kläger habe spätestens mit der Durchführung des Software-Updates und der damit verbundenen Entfernung der Umschaltlogik im Oktober 2016 Kenntnis vom Schaden gehabt. Ein Schaden liege überdies nicht vor. Das Fahrzeug verfüge über eine aufrechte EG-Typengenehmigung und sei im Straßenverkehr uneingeschränkt benutzbar. Das Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Durch die Verwendung eines Thermofensters sei der Beklagten nicht einmal Fahrlässigkeit anzulasten, zumal sie das Vorhandensein der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt als Typengenehmigungsbehörde offengelegt habe.
[8] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es verneinte die Verjährung. Ein Schaden des Klägers liege deshalb vor, weil das Fahrzeug weder der objektiven Verkehrserwartung noch konkret dem Willen des Klägers entsprochen habe. Die Umschaltlogik sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Mangel sei durch das Software-Update wegen des gegenständlichen Thermofensters nicht beseitigt worden. Nach den Feststellungen sei von einem verminderten Wert im Ankaufszeitpunkt von 30 % auszugehen.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Hinsichtlich der Verjährung verwies es auf seine Entscheidung im früheren Rechtsgang, wonach eine Erkundigungsobliegenheit des Klägers frühestens im Jahr 2020 angenommen werden könnte, als der Kläger aus den Medien erfahren habe, dass trotz des Software-Updates kein „legaler“ Zustand des Fahrzeugs hergestellt worden sein soll. Aufgrund der 2021 eingebrachten Klage sei eine Verjährung selbst bei Anwendung der dreijährigen Frist auszuschließen. Auch der Zuspruch einer Preisdifferenz von 30 % sei mit Blick auf die Feststellungen nicht zu beanstanden. Der Kläger habe angesichts der unzulässigen Abschalteinrichtung einen über dem objektiven Wert des Fahrzeugs liegenden Kaufpreis gezahlt. Das Software-Update habe keinen verordnungskonformen Zustand hergestellt. Ungeachtet des grundsätzlich nach § 273 Abs 1 ZPO in der Bandbreite von 5 % bis 15 % festzusetzenden Minderwerts sei ein Zuspruch einer exakt festgestellten höheren Wertminderung nicht ausgeschlossen. Entgegen der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 9 Ob 33/22a schließe auch ein Weiterverkauf des Fahrzeugs zu einem martküblichen Preis den Schaden nicht aus.
[10] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil hinsichtlich der Verjährung ein Widerspruch zu 6 Ob 160/21d vorliegen könnte. Zudem sei zum Vorwurf der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Schutzgesetzverletzung noch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung auszugehen. Schließlich bedürfe es einer Klarstellung, ob auch der Zuspruch einer exakt festgestellten Wertminderung außerhalb der Bandbreite von 5 % bis 15 % gerechtfertigt sei.
[11] Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Das Rechtsmittel wirft zur Frage der Verjährung keine erhebliche Frage auf.
[13] 1.1 Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die geltend gemachten Ansprüche bei Klagseinbringung auch unter Zugrundelegung der dreijährigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt waren, hält sich das im Rahmen der Rechtsprechung. Grundsätzlich beginnt die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524).
[14] 1.2 Zu (mit dem hier zu beurteilenden Fall) vergleichbaren „Dieselskandal“-Konstellationen hat der Oberste Gerichtshof jüngst mehrfach und einheitlich vertreten, dass die dreijährige Verjährungsfrist (erst) zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software-Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (9 Ob 33/23b, Rz 26; 6 Ob 122/23v, Rz 37; 10 Ob 31/23s; 8 Ob 81/23d, Rz 19; 8 Ob 92/23x, Rz 15; 6 Ob 181/23w, Rz 14). Der Umstand, dass ein Käufer Kenntnis vom Schaden in Form der Umschaltlogik bereits länger als drei Jahre vor der Klage gehabt haben könnte, ist demnach unerheblich, wenn – wie im Anlassfall – durch das von der Beklagten entwickelte Software-Update vom Schädiger suggeriert wird, der Schaden sei behoben worden (6 Ob 122/23v, Rz 37; 10 Ob 31/23s, Rz 64).
[15] 1.3 Die Ausführungen der Revision, die hier zentral mit der Entscheidung 6 Ob 160/21d argumentieren, können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. In seinen neueren Entscheidungen 6 Ob 122/23v und 6 Ob 181/23w hat der sechste Senat auch ausdrücklich ausgesprochen, dass er seine Aussagen in der Entscheidung 6 Ob 160/21d nicht mehr aufrechterhält, soweit dort Gegenteiliges abgeleitet wird.
2. Zum behaupteten Verschulden im Zusammenhang mit dem Thermofenster:
[16] 2.1 Hat ein Kfz-Hersteller eine unzulässige Abschalteinrichtung nach VO 715/2007/EG schuldhaft eingebaut, entfällt die Haftung nicht dadurch, dass der Versuch der Schadensbeseitigung unverschuldet fehlgeschlagen ist (RS0134560).
[17] 2.2 Zu 8 Ob 92/23x hat der Oberste Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass es nicht entscheidungswesentlich ist, ob die beklagte Fahrzeugherstellerin angesichts der Offenlegung gegenüber dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt auf die Zulässigkeit eines solchen Thermofensters vertrauen durfte. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass die Beklagte hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters einem entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen ist, würde dies nämlich nichts an einer allfälligen Haftung für eine vorsätzliche Schädigung durch die im Fahrzeug ursprünglich verbaute Umschaltlogik ändern, weil das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht (8 Ob 92/23x).
[18] 2.3 Von dieser Judikatur sind die Vorinstanzen nicht abgewichen.
[19] Auch die Ausführungen zur Schadenshöhe zeigen keine Frage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[20] 3.1 Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren. Wie bereits vom Obersten Gerichtshof wiederholt entschieden, kann der zu ersetzende Betrag in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot iSd § 273 Abs 1 ZPO vom Gericht nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festgesetzt werden (8 Ob 70/23m, Rz 39 f; 8 Ob 88/22g, Rz 25 ua; RS0134498).
[21] 3.2 Das schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangt (8 Ob 70/23m, Rz 26; 8 Ob 109/23x; RS0134498 [T6]). Der Zuspruch von 30 % aus der Erwägung, das hier dem Kläger in diesem Ausmaß der Nachweis einer Wertminderung gelang, ist aus Sicht des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes nicht zu beanstanden.
[22] 4. Schließlich können auch die Ausführungen zum Weiterverkauf des Fahrzeugs die Zulässigkeit der Revision nicht stützen.
[23] 4.1 Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dass der mit dem Erwerb des Fahrzeugs verbundene Vorteil anzurechnen sei, weil der Kläger das Fahrzeug zu einem angemessenen Preis weiterverkaufen habe können. Ein allfälliger Vorteilsausgleich hat nicht von Amts wegen zu erfolgen, sondern nur über Einwendung des Schädigers, den für seine Voraussetzungen die Behauptungslast und Beweislast trifft (RS0036710).
[24] 4.2 Die Beklagte erstattete in erster Instanz (nur) Vorbringen zur Anrechnung eines Benützungsentgelts als Vorteil im Falle der Rückabwicklung des Kaufvertrags. Dass die in der Revision genannten Umstände (Weiterverkauf) im Rahmen eines Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen wären, wurde von der Beklagten im Verfahren erster Instanz aber nicht eingewendet, sodass darauf schon wegen des Neuerungsverbots nicht weiter einzugehen ist.
[25] 5. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.
[26] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Für die Bemessungsgrundlage ist das eingeschränkte Begehren von 9.195 EUR heranzuziehen.
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