OGH 8Ob92/23x

OGH8Ob92/23x11.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekurs- und Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.201,89 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei sowie den Rekurs und die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz vom 13. Juli 2023, GZ 2 R 80/23g‑37, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 30. März 2023, GZ 8 Cg 52/20y-28, teils aufgehoben, teils abgeändert und teils bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00092.23X.0111.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs der beklagten Partei sowie der Rekurs und die Revision der klagenden Partei werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei den mit 93 EUR (darin enthalten 16 EUR USt) bestimmten Anteil an den Kosten des Rekurs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 6. 10. 2010 einen Neuwagen der Type Seat Alhambra Style TDI CR DSG zum Preis von 36.400 EUR. Im Fahrzeug ist der von der Beklagten entwickelte und hergestellte Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Die in der Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich enthaltene Umschaltlogik, die einen Prüfstandlauf erkannte, um im normalen Fahrbetrieb die Abgasrückführung zu reduzieren, wurde mit dem Software‑Update vom 30. 1. 2017 entfernt.

[2] Im Juni 2020 musste der Kläger den NOx-Sensor des Fahrzeugs erneuern, wofür er 2.281,89 EUR bezahlte. Darüber hinaus leuchtete die Ad-Blue-Anzeige auf, obwohl der Ad-Blue-Tank gefüllt war. Der Kläger wendete sich daraufhin noch im Jahr 2020 an einen Autofahrerclub, der ihm zur Klagsführung riet. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese Fehler auf das Software-Update zurückzuführen sind. Wohl aber führte das Software-Update zu einer erhöhten Beanspruchung der Abgasrückführung. Darüber hinaus enthält das Software-Update ein „Thermofenster“. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hätte ein Käufer im Jahr 2010 für das Fahrzeug 10 % weniger bezahlt, wenn ihm gesagt worden wäre, dass es erst durch ein späteres Software-Update in einen rechtskonformen Zustand versetzt werden würde.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner am 17. 7. 2020 eingebrachten Klage den Ersatz des Minderwerts des Fahrzeugs von 10.920 EUR, die Kosten des Austauschs des NOx-Sensors von 2.281,89 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, die ihm aus dem Erwerb des Fahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotor entstehen würden. Die Beklagte habe den Kläger vorsätzlich darüber getäuscht, dass das Fahrzeug nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche. Das von der Beklagten durchgeführte Software-Update habe den rechtswidrigen Zustand nicht beseitigt, weil die Abgasrückführung lediglich zwischen 15 und 33 Grad Celsius uneingeschränkt funktioniere. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Kläger das Fahrzeug um einen um 30 % verminderten Kaufpreis erworben. Das Software-Update habe den Defekt des NOx-Sensors verursacht. Darüber hinaus seien weitere Schäden an der Abgasrückführung nicht auszuschließen.

[4] Die Beklagte wendet ein, dass die Ansprüche bereits verjährt seien, weil dem Kläger im Oktober 2015 ein Schreiben zugegangen sei, mit welchem er darüber informiert worden sei, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, und er daraufhin ein Software-Update durchführen habe lassen, um die in der Motorsteuerung enthaltene Umschaltlogik zu entfernen. Durch das Software-Update sei ein rechtskonformer Zustand hergestellt worden. Die Beklagte habe weder vorsätzlich noch arglistig gehandelt. Der Kläger habe keinen Vermögensnachteil erlitten.

[5] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Teilbetrag von 3.640 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das darüber hinausgehende Zahlungsbegehren ab. Die Beklagte hafte nach §§ 874 und 1295 Abs 2 ABGB, weil sie durch die „Umschaltlogik“ die Typengenehmigung erschlichen und die Erwerber solcher Fahrzeuge vorsätzlich getäuscht habe. Die Beklagte müsse dem Kläger daher den Minderwert des Fahrzeugs von 10 % des Kaufpreises ersetzen. Die Beklagte hafte nicht für die Kosten des NOx-Sensors, jedoch sei dem Kläger ein Feststellungsinteresse zuzubilligen, weil künftige Schäden durch das Software-Update nicht auszuschließen seien.

[6] Das Berufungsgericht wies das die Kosten des NOx-Sensors von 2.281,89 EUR betreffende Zahlungsbegehren und das Feststellungsbegehren ab und verwies die Rechtssache im Übrigen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz der Wertminderung von 10.920 EUR an das Erstgericht zurück. Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt, weil die Feststellungen des Erstgerichts dahin zu verstehen seien, dass er erst durch den Autofahrerclub erfahren habe, dass das Fahrzeug nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche. Die Beklagte habe auch nicht vorgebracht, aufgrund welcher Umstände der Kläger den drohenden Entzug der EG-Typengenehmigung schon zuvor erkennen hätte können, zumal die Unzulässigkeit des Thermofensters in den Medien erst im Jahr 2019 thematisiert worden sei.

[7] Da die Beklagte nicht Fahrzeugherstellerin sei, hafte sie für das Verschulden ihrer Organe und Repräsentanten nur nach §§ 874 und 1295 Abs 2 ABGB. Die „Umschaltlogik“ sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Entsprechendes gelte für ein Thermofenster, das so ausgestaltet ist, dass die Abgasrückführung angesichts der regionalen klimatischen Verhältnisse den überwiegenden Teil des Jahres nur eingeschränkt funktioniert. Das Erstgericht habe aber weder Feststellungen zum Umfang des Thermofensters noch zu den klimatischen Verhältnissen, in denen das Fahrzeug verwendet wird, und dem Schaden, getroffen. Da mit dem Ersatz der Wertminderung allfällige Schäden aus der unzulässigen Abschaltvorrichtung abgegolten seien, bestehe kein Feststellungsinteresse.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen das Teilurteil und der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss im Hinblick auf die Vielzahl anhängiger Parallelverfahren zulässig sei.

[9] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem sie eine gänzliche Klagsabweisung, in eventu eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses anstrebt, sowie der Rekurs des Klägers, mit dem er die Abänderung des Aufhebungsbeschlusses dahin beantragt, dass er sich gegenüber der Beklagten auf eine Schutzgesetzverletzung stützen könne, und die Revision des Klägers, mit der er die Abänderung des Teilurteils dahin anstrebt, dass seinem Feststellungsbegehren stattgegeben, in eventu die Entscheidung aufgehoben werde.

[10] Beide Parteien beantragen, den Rekurs bzw die Revision der jeweiligen Gegenseite als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Rekurs der Beklagten sowie die Revision und der Rekurs des Klägers sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Zum Rekurs der Beklagten:

[12] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat nach Einholung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022, C-145/20 , zu 10 Ob 2/23a klargestellt, dass eine „Umschaltlogik“, wie sie auch im Fahrzeug des Klägers verbaut war, eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt und der damit verbundene Sachmangel auch durch ein Software-Update nicht behoben wird, wenn diese Software ein „Thermofenster“ beinhaltet, aufgrund dessen die Abgasrückführung bei den in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnissen nur in vier oder fünf Monaten im Jahr uneingeschränkt funktioniert (ebenso 6 Ob 150/22k und 3 Ob 121/23z). Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach es nicht auf die Temperaturverhältnisse in Österreich, sondern auf die durchschnittliche Umgebungstemperatur im Unionsgebiet ankomme, wurde vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 40/23p ausdrücklich abgelehnt. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass es angesichts der jedenfalls unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf ankommt, ob Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb trotz der unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden (10 Ob 31/23s; ebenso BGH VIa ZR 335/21 Rn 51; anders noch 3 Ob 77/23d).

[13] 1.2. Ob die Beklagte angesichts der Offenlegung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt auf die Zulässigkeit eines solchen Thermofensters vertrauen durfte, ist nicht entscheidungswesentlich. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass die Beklagte hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters einem entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen ist, würde dies nämlich nichts an einer allfälligen Haftung für eine vorsätzliche Schädigung durch die im Fahrzeug ursprünglich verbaute Umschaltlogik ändern, weil das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht (RIS‑Justiz RS0134560).

[14] 1.3. Die kurze Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden sind (RS0034951). Der Kläger hat sein Zahlungsbegehren darauf gestützt, dass das Fahrzeug bereits im Erwerbszeitpunkt nicht die vereinbarten Eigenschaften gehabt habe. Die Beklagte beruft sich darauf, dass der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 160/21d davon ausgegangen ist, dass es in einem solchen Fall für den Beginn der Verjährung– entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – nicht darauf ankomme, wann der Kläger erfahren hat, dass das Software-Update den ursprünglichen Mangel nicht beseitigt hat, sondern, wann der Kläger von dem schon im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs vorhanden Mangel Kenntnis erlangt hat.

[15] 1.4. Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung, dass der Geschädigte, wenn er annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden behoben sei, nicht anders zu behandeln ist, als wenn er von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat, weil für ihn auch in einem solchen Fall nicht der geringste Anlass zur Klagsführung besteht (RS0034426). Da auch die Eigentümer der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nach Durchführung des Software-Updates mit gutem Grund davon ausgehen durften, dass der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben wurde, hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile zu 9 Ob 33/23b und 10 Ob 31/23s ausgesprochen, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst zu laufen beginnt, wenn sie davon Kenntnis erlangen, dass das Fahrzeug trotz des Software-Updates nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht.

[16] 1.5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das eine Verjährung verneinte, weil der Kläger erst im Jahr 2020 von einen Autofahrerclub darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche, ist daher von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt, sodass der Rekurs der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.

Zum Rekurs und der Revision des Klägers:

[17] 2.1. Die VO 715/2007/EG , auf welche sich der Kläger stützt, regelt die Anforderungen, welche die Hersteller von Neufahrzeugen erfüllen müssen, um eine EG‑Typengenehmigung zu erhalten. Der EuGH hat zu C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, ausgesprochen, dass diese Regelungen neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits zu 3 Ob 40/23p darauf hingewiesen, dass eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung wegen Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausschließlich den Fahrzeughersteller als Inhaber der EG-Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung trifft, sodass eine Haftung der Beklagten als Motorenhersteller nur nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar ist.

[18] 2.2. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 10 Ob 27/23b ausgesprochen, dass das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes für die Wertminderung einfließt und der Käufer dadurch so gestellt wird, als ob ihm die unzulässige Abschalteinrichtung bereits bei Vertragsabschluss bekannt gewesen wäre. Entschließt sich der Käufer dazu, keine Rückabwicklung des Vertrags anzustreben, sondern das Fahrzeug gegen Ersatz des Minderwerts weiter zu behalten, so nimmt er das Risiko des Entzugs der Zulassung bewusst in Kauf, sodass er fortan keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr stellen kann.

[19] 2.3. Auch die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen wurden damit vom Obersten Gerichtshof bereits beantwortet. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels müssen noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegeben sein, sodass die Erheblichkeit einer vom Rechtsmittelwerber aufgeworfenen Rechtsfrage wegfällt, wenn diese Rechtsfrage durch eine nachfolgende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt wird (RS0112769; RS0112921). Die Revision und der Rekurs des Klägers waren deshalb ebenso wie der Rekurs der Beklagten zurückzuweisen.

[20] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO (RS0123222). Die Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel der jeweiligen Gegenseite hingewiesen. Die vom Kläger verzeichneten Kosten waren dahin zu korrigieren, dass der ERV-Zuschlag für die Rekursbeantwortung nur 2,60 EUR beträgt, sodass sich ein Kostenersatzanspruch des Klägers von 1.032,90 EUR (darin 172,15 EUR USt) ergibt. Hinsichtlich der von der Beklagten verzeichneten Kosten war zu berücksichtigen, dass angesichts der Verbindungspflicht nach § 22 RATG das Revisionsinteresse von 10.290 EUR und das Rekursinteresse von 2.000 EUR zusammenzurechnen waren (6 Ob 195/22b; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.454). Der sich daraus ergebende Kostenersatzanspruch der Beklagten von 1.118,01 EUR (darin 178,51 EUR USt) war mit dem Kostenersatzanspruch des Klägers zu saldieren.

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